Seine große Liebe
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Kurz darauf ist Bruno tot.
''Ich bin so furchtbar gemein, ich weiß, aber ich kann nicht anders.''
Petra Hammesfahr
Er war der erste Mann, der sie geliebt hat und der ihr sagte, für ihn sei sie schön. Angelika, die sich selbst hässlich und viel zu dick findet, nimmt einiges in Kauf um Bruno zu halten und an sich zu binden. Mit seiner Untreue kann sie sich arrangieren, solange die Frauen kein Gesicht haben. Als sie ihn zum ersten Mal mit einer anderen sieht, ändert sich schlagartig alles. Kurz Zeit darauf ist Bruno tot ...
Seine große Liebe von Petra Hammesfahr
LESEPROBE
Band zwei
0-Ton - Angelika
Der Weg zu dir ist noch so weit, doch es wartet aufuns ...
So, liebe Freunde. Ich hoffe doch sehr, dass esFreunde sind, die sich meine Beichte zu Gemüte führen. Solange ich meine Ergüssenicht als Beweismaterial kenntlich mache, hat die spanische Polizei eigentlichkeinen Grund, mal hineinzuhören. Aber man sollte die Neugier nichtunterschätzen, was? Sie würden zwar kaum ein Wort verstehen und einen Dolmetscherzuziehen müssen. Doch der Ärmste bekäme bestimmt schon in den nächsten Minutenrote Ohren.
Was Bruno damals am Telefon sagte, weiß ich noch infast allen Einzelheiten. Ich hatte immer ein ausgezeichnetes Gedächtnis fürDialoge. Einleitend drückte er mir sein Mitgefühl aus und vermutete, meineTrauer verhindere, dass ich verlange, was mir zustehe. Er wolle mir gerne dabeibehilflich sein, das betrachte er als seine Aufgabe, sagte er. Das fand ich irgendwiezweideutig. Was mir zustehe. Aber die Art, wie er sprach, machte mich ganzweich und nachgiebig.
Später habe ich mich ein paarmal gefragt, wie oft erden Spruch wohl schon aufgesagt hatte, dass er ihm so flüssig und nachAufrichtigkeit klingend über die Lippen kam. Nachdem ich ihm minutenlangzugehört hatte, hätte ich ihm auch stundenlang zuhören können und warselbstverständlich sofort bereit, ihn am nächsten Abend zu empfangen.
Er kam auf die Minute pünktlich, war vermutlichetwas früher da gewesen und hatte im Auto gewartet, bis es Zeit wurde, auf denKlingelknopf zu drücken. Er trug einen dezenten grauen Anzug von der Art, dieauch mein Verlagsleiter bevorzugte, aber ohne Weste. Das Jackett waraufgeknöpft, darunter trug er ein hellgraues Hemd mit einer gestreiften Krawatte.
Der Knoten saß wahrscheinlich perfekt. Darauf habeich zwar nicht geachtet. Aber später habe ich ihn oft gesehen, diesenprüfenden Griff an den Krawattenknoten. Immer wenn Bruno abends noch diesespeziellen Termine hatte und vor seinem Aufbruch für ein paar Minuten im Badoder zumindest in der Toilette verschwand. Man kann mit fließend Wasser mehrwaschen als nur die Hände. Ist schon komisch, wie schnell man einen Menschendurchschaut, seine Eigenheiten und die verräterischen Gesten zu deuten weiß.
Zuerst ging alles noch förmlich zu. Bruno füllte denAntrag auf Auszahlung der Versicherungssumme aus und bat um eine Kopie derSterbeurkunde. Ich fand sie nicht sofort. Die Behördengänge und den Papierkriegnach Papas Tod hatte mir der alte Roßmüller abgenommen. Er hatte Tage zuvoreine Mappe mit Unterlagen hereingereicht. Ich hatte sie irgendwohin gelegt.
Bruno half mir, sie zu suchen. Wir fanden sie inPapas Arbeitszimmer auf dem Schreibtisch. Ich wollte danach greifen. Er griffebenfalls. Und statt der Mappe bekam er meine Hand zu fassen. Es war imHöchstfall eine Sekunde. Er ließ mich sofort wieder los und entschuldigte sichfür seinen Übereifer.
Wir gingen zurück ins Wohnzimmer. Bruno nahm wieder indem Sessel beim Tisch Platz, in dem er auch zuvor gesessen hatte. Ich setztemich zurück auf die Couch. Er machte die letzten Einträge in seinen Formularen.Und ich musste ihn unentwegt anschauen. In dieser einen Sekunde, in der er meineHand gehalten hatte, war etwas geschehen. Eine Art Stromstoß oder der vielzitierte Funke, der überspringt und alles in Brand setzt.
Mir ist erst Tage später ein weiteres Spottlied inden Sinn gekommen, das nicht Herbert Roßmüller gedichtet hat. «Wenn eine alteScheune brennt, da hilft kein Löschen mehr.»
Gut, so alt war ich noch nicht mit meinenzweiunddreißig Jahren. Andererseits, damals in der Tanzstunde war ich siebzehngewesen. Die anderen Mädchen waren alle in meinem Alter, manche sogar jünger.Und selbst die hatten bereits mit ihren Freunden geschlafen, jedenfallsprotzten sie damit. Ich musste mir die nackten Männer immer noch in denIllustrierten anschauen, wo sie meist nur halb nackt waren.
Dann sollte ich den Auszahlungsantragunterschreiben. Und Bruno schob mir nicht einfach nur das Blatt über den Tisch.Er erhob sich, kam zur Couch, blieb neben mir stehen, schaute auf michhinunter. Natürlich waren ihm meine Blicke nicht entgangen.
Bruno gehörte zu den Männern, denen nie etwasentging, was eine Frau betraf. Er gehörte auch zu den Männern, die nur mit denFingern schnipsen mussten, um jede Frau haben zu können. Vielleicht kam es mirdeshalb so wunderbar und ungeheuerlich vor, dass er ausgerechnet an mirinteressiert schien.
Das schien er ganz offensichtlich. Ich hatte zwar keineeigenen Erfahrungen auf diesem Gebiet, doch die bewussten Blicke kannte ichzur Genüge aus diversen Liebesfilmen. Das Abtasten mit den Augen. Zuerst dasGesicht, die Stirn, die Augen, die Nase. Beim Mund verhielt der Blick etwaslänger, wanderte über den Hals zu den Schultern, verweilte einen Moment langauf den Brüsten, glitt weiter zur Taille, sofern man bei mir von einer solchensprechen konnte. Zuletzt betrachtete er meine Schenkel. Ich stellteautomatisch die Füße eng zusammen, damit es nicht nach so viel aussah.
An dem Abend trug ich ein dunkelblaues Kleid. KeineTrauerkleidung, ein schlichtes, weit geschnittenes Kleid, das im Rücken miteinem Reißverschluss geschlossen war. Vielleicht versuchte Bruno bloßabzuschätzen, wie viele Pfund Fleisch da zu bewegen wären. Aber ich fühlteförmlich, wie er mir das Kleid auszog, ohne dafür eine Hand ausstrecken zumüssen. Und er begnügte sich nicht mit dem Kleid. Als Nächstes löste er denPanzer, den ich darunter trug.
Ich spürte, wie mir die Schamröte ins Gesicht stieg.Mein Kopf glühte plötzlich bei dem Gedanken an das, was Papa immer so nett alsPölsterchen bezeichnet hatte.
Aber Bruno gehörte auch zu den Männern, die Gedankenlesen konnten. Er schüttelte den Kopf, ging zurück zum Sessel, setzte sich undsagte: «Nicht denken.»
Jetzt wird es peinlich. Aber was soll's? Es gabspäter Situationen, in denen es erheblich peinlicher wurde, in denen ich michselbst so gedemütigt habe, dass ich es mir nie verzeihen werde. Ihm auchnicht, weil er mich dazu gebracht hat, noch den letzten Funken Stolz zuzertreten. Ich konnte ihn nie hassen dafür, obwohl ich es mir oft wünschte. Ichkonnte ihn nicht einmal gestern Abend hassen. Aber ich habe auch Papa nichtgehasst, als ich ihm die zweite Tablette einschob und ihm die Luft abschnitt.
Bruno blieb im Sessel, er fasste mich nicht an,sprach auch nicht mehr. Ich stand auf, ging um den Tisch herum und blieb vorihm stehen. Ich griff nach hinten und bekam den winzigen Zipfel vomReißverschluss zu fassen. Es muss ein lächerlicher Anblick gewesen sein: Diefette Angelika bemüht sich verzweifelt, ihr Kleid auszuziehen und dabeieinigermaßen reizvoll zu wirken.
Aber vielleicht bemühte sie sich auch um das Gegenteil,wollte diesem Traummann zeigen, was alles unter dem dunkelblauen Stoffverborgen war. Vielleicht wollte sie ihn erschrecken, damit er endlich ging undsie alleine ließ mit ihrem Elend, ihren Schuldgefühlen, ihrer Sehnsucht, ihrem Frust.Doch wenn sie das wollte, hat sie es nicht geschafft.
Bruno saß zurückgelehnt, wirkte gelöst undentspannt. Nur auf seinem Gesicht lag so ein aufgewühlter Ausdruck. Mehrfachsah ich, dass er heftig schluckte. Nicht vor Ekel. Ihn ekelte es vor keinerFrau, egal, wie sie aussah.
Endlich lag das Kleid wie ein Ring aus Stoff ummeine Füße. Ich kam mir so hilflos vor. Wenn er nur einmal die Lippenverzogen, einen Anflug von Spott oder Abscheu gezeigt hätte.
© Rowohlt Taschenbuch Verlag
Petra Hammesfahr schrieb mit 17 ihren ersten Roman. Mit ihrem Buch "Der stille Herr Genardy" kam der große Erfolg. Seitdem schreibt sie einen Bestseller nach dem anderen, u.a. "Die Sünderin", "Die Mutter" und "Erinnerungen an einen Mörder". Die Autorin lebt in der Nähe von Köln.
Interview mit Petra Hammesfahr
Ihre Leser können sichregelmäßig über neue Veröffentlichungen von Ihnen freuen. Schreiben Sie ohnePause, an mehreren Büchern gleichzeitig, oder eins nach dem anderen? Wiearbeiten Sie?
Ohne Pause, das heißt, täglich zehn bis zwölf Stunden, abernie an zwei Büchern gleichzeitig. Ich schreibe auch nicht unentwegt. Die meisteZeit vergeht mit Lesen und Verbessern.
In einem Interviewerzählten Sie, dass Sie seit Ihrer Kindheit schreiben, schon immerSchriftstellerin werden wollten. Wollten Sie schon immer Krimiautorin werden?
Nein, das hat sich dann so ergeben, weil mir mehr bitterböseals wunderschöne Geschichten einfallen.
In manchen Büchern berühren Sie parapsychologischePhänomene. Welches Verhältnis haben Sie zu Übersinnlichem?
Da muss ichmit dem bekannten Spruch von den Dingen zwischen Himmel und Erde antworten, dieder Mensch nicht erklären kann. Trotzdem ist mein Verhältnis zum Übersinnlicheneher nüchtern. In den meisten Fällen steckt doch ein Mensch hinterErscheinungen oder anderen Phänomenen.
Was inspiriert Sie: Alltägliches, Polizeinachrichten, andereAutoren?
Alltäglichesund die Abgründe, die in jedem normalen Bürger und jeder Bürgerin stecken.Manchmal braucht es wirklich nur einen geringfügigen Anlass, um jemanden insolch einen Abgrund stürzen zu lassen.
Gibtes für die Charaktere in Ihrem Buch jeweils lebende Vorbilder, oder sind siedoch mehr Phantasiegestalten?
ReinePhantasie.
Die Fragen stellte Roland Große Holtforth,Literaturtest.
- Autor: Petra Hammesfahr
- 2007, 6. Aufl., 320 Seiten, Maße: 11,4 x 18,8 cm, Taschenbuch, Deutsch
- Verlag: Rowohlt TB.
- ISBN-10: 3499240343
- ISBN-13: 9783499240348
- Erscheinungsdatum: 01.08.2005
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