So sitze ich denn zwischen allen Stühlen, 2 Bde.
Die Nachkriegstagebücher des Victor Klemperer Es schien die Wende zum Märchen zu sein, als Eva und Victor Klemperer aus den Ruinen Dresdens zu ihrem Haus in Dölzschen hinaufstiegen: mit diesem 10. Juni 1945 enden die Aufzeichnungen der Tagebücher 1933-1945. Nach den Jahren des Nazi-Terrors, ständiger Todesgefahr und Erniedrigung erhofft Klemperer einen radikalen Neubeginn: für sich und für Deutschland. Das ist das Maß, mit dem er von nun an alle privaten und öffentlichen Dinge bewertet. Er stürzt sich in die Arbeit, plädiert für die humanistische Bildung und einen neuen Geist an den Hochschulen, reist zu Vorträgen, stellt früheren Mitläufern entlastende Zeugnisse aus, weist andere unnachsichtig ab, mischt sich ein in die Neuordnung der Verhältnisse, erhält seinen Lehrstuhl an der TH Dresden zurück, dann einen Ruf an die Universität Greifswald, später nach Halle und Berlin. Er ist berühmt und geehrt. Über den Preis dieser Erfolge reflektiert er im Tagebuch, in dem er seinen inneren Zwiespalt festhält, sein Schwanken zwischen Hoffnung und Angst, zwischen Opportunismus und Rebellion, seine zunehmenden Zweifel am Wert des eigenen Engagements.
Die Skepsis, mit der er seinen Eintritt in die KPD vollzog, begleitet ihn ebenso weiter wie die Überzeugung, auf der richtigen Seite zu stehen. Später nennt er es: "das kleinere Übel", denn die BRD unter Adenauer im Kalten Krieg ist für ihn keine ernsthafte Alternative. Wenn er die Inszenierungen der neuen Macht beobachtet, laufen wie in einem Simultanfilm Erinnerungen an die zwanziger und dreißiger Jahre in ihm ab. Parallelen fallen ihm auf, das Fortwirken alter Kräfte mit neuen Vorzeichen, die fatale Ähnlichkeit der Propaganda und der kultischen Verehrung Stalins. Indiz dafür ist bei Klemperer immer die Sprache. Er sammelt und notiert Beispiele einer LQI, einer mißbrauchten, verkommenen Sprache - des Vierten Reiches.
Als im Juli 1951 Eva Klemperer stirbt, die Frau, die 45 Jahre lang immer an seiner Seite war, absolviert Klemperer seine Pflichten mit mechanischer Präzision, innerlich wie abgestorben. Die zweite Ehe bringt ihm neuen, unerwarteten Gewinn an Leben und Glück, ein Gegengewicht zur anwachsenden Enttäuschung über die Misere Deutschland.
Autoren-Porträtvon Victor Klemperer
Victor Klemperer war ein deutscher Patriot, ein Jude, einIntellektueller ersten Ranges. Er, der von 1935 an nicht mehr lehren durfte,hatte Beharrungswillen und blieb in Deutschland. Seine Tagebücher, darunter"Ich will Zeugnis ablegen bis zum letzten, Tagebücher 1933-1945" (beiAufbau), liefern ein einzigartiges Porträt dieser Zeit. Mit "LTI"(als Taschenbuch bei Reclam Leipzig) hat der Philologe Klemperer zudem einebestechende Analyse der Lingua TertiiImperii (LTI), der Sprache des Dritten Reiches, vorgelegt.
Victor Klemperer wurde 1881 in Landsberg an der Warthe, demheutigen Gorzów, geboren. Die Berliner Gymnasialzeit unterbrach er für dreiJahre, um eine kaufmännische Ausbildung abzuschließen. 1912 konvertierte derSohn eines Rabbiners zum Protestantismus. Unter anderem in Berlin und Parisstudierte Klemperer Germanistik, Romanistik und Philosophie. In seinerHabilitationsschrift befasste er sich mit Montesquieu, über den er ein Jahrspäter, 1915, ein zweibändiges Werk vorlegte. Als Freiwilliger zog Klempererfür fünf Monate in den I. Weltkrieg und arbeitete später als Zensor für dasMilitärgouvernement Litauen (1916-18) sowie als Professor in München (1919).Von 1920 an wirkte er als ordentlicher Professor für Romanistik an derTechnischen Hochschule Dresden. Auf Grund seiner jüdischen Herkunft und proforma dem Gesetz zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums" folgend, wurdeKlemperer 1935 "entpflichtet". Erst nach Ende der Naziherrschaft,1945, bekommt Klemperer wieder eine Professur. Bis zu seinem Tod im Jahre 1960lehrte er in Dresden, Greifswald, Halle und Berlin.
- Autor: Victor Klemperer
- 1999, 1822 Seiten, Maße: 13,8 x 23 cm, Gebunden, Deutsch
- Mitarbeit: Nowojski, Walter
- Herausgegeben: Walter Nowojski, Christian Löser
- Verlag: Aufbau-Verlag
- ISBN-10: 3351023936
- ISBN-13: 9783351023935
Zustand | Preis | Porto | Zahlung | Verkäufer | Rating |
---|
Schreiben Sie einen Kommentar zu "So sitze ich denn zwischen allen Stühlen, 2 Bde.".
Kommentar verfassen