Sturm über Beauregard Abbey
Unter Einsatz ihres Lebens gelingt es Zuleika, das Böse aus Beauregard Abbey zu bannen. Vorerst.
Die junge amerikanische Sprachwissenschaftlerin Zuleika Rathbone wird nach Beauregard Abbey in die schottischen Highlands gerufen. Es...
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Produktinformationen zu „Sturm über Beauregard Abbey “
Unter Einsatz ihres Lebens gelingt es Zuleika, das Böse aus Beauregard Abbey zu bannen. Vorerst.
Die junge amerikanische Sprachwissenschaftlerin Zuleika Rathbone wird nach Beauregard Abbey in die schottischen Highlands gerufen. Es ist die einzigartige Chance, ein geheimnisvolles Buch zu begutachten, das im alten Gemäuer des heutigen Internats gefunden wurde. Bald geschehen merkwürdige Dinge: Schüler werden gegeneinander aufgehetzt, unschuldige Streiche werden immer grausamer. Doch dann erkennt Zuleika, was für ein Lehrbuch sie da in Händen hält.
Klappentext zu „Sturm über Beauregard Abbey “
Ein düsterer Morgen im Jahr 1538. Die Reiter König Heinrichs des Achten suchen die Abtei von Beauregard heim, denn die Mönche dort stehen unter Verdacht, sich der Hexerei schuldig gemacht zu haben. Alle Brüder werden hingerichtet, doch vorher gelingt es dem Prior, ein Buch zu retten. Er lässt es hastig in die Säule eines Kreuzgangs einmauern.Knapp fünfhundert Jahre später will die junge amerikanische Sprachwissenschaftlerin Zuleika Rathbone England schon den Rücken kehren. Doch da wird sie nach Beauregard Abbey in den schottischen Highlands gerufen. Es ist die einzigartige Chance, ein geheimnisvolles Buch zu begutachten, das im alten Gemäuer des heutigen Internats gefunden wurde. Bald geschehen merkwürdige Dinge: Schüler werden gegeneinander aufgehetzt, unschuldige Streiche werden immer grausamer. Doch dann erkennt Zuleika, was für ein Lehrbuch sie da in Händen hält
Lese-Probe zu „Sturm über Beauregard Abbey “
Sturm über Beauregard Abbey von Elizabeth EdmondsonPROLOG
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Zuleika bremste auf dem Hügelkamm, machte den Motor ihrer Maschine aus und stieg ab. Sie war froh, dass sie endlich von diesem Motorrad herunterkam, das ihr alle Knochen im Leib durcheinandergerüttelt hatte.
«Beauregard?», hatte ihr Bruder Hank mitleidig gesagt, «meine Güte, das ist ja mitten in der Pampa. Du verpasst deinen Rückflug, nur um ein altes Buch zu begutachten, das die da gefunden haben? Weißt du was, Zulie, nimm meine Maschine, ich bin die ganze Woche in London, dann sparst du dir den Mietwagen, und für die kurvenreichen Straßen taugt das Motorrad ohnehin besser. Fahr bloß nicht gegen einen Baum, okay?»
Geradezu rührend fand sie, dass Hank ihr seine heißgeliebte alte Harley-Davidson überlassen hatte. Aber es war eine Schnapsidee gewesen, das Angebot anzunehmen. Ein König-reich für ein Auto mit Dach und Servolenkung!
Sie zog die Stulpenhandschuhe aus, nahm den Helm ab und rieb sich den Nacken. Die Arme und der Kopf taten ihr weh, und in ihren Ohren dröhnte immer noch das Hämmern des Motors. Sie schüttelte den Kopf, um das Geräusch loszuwerden, und lauschte: In den Baumwipfeln rauschte der Wind, eine Möwe kreischte hoch oben in den Wolken, und in der Ferne grollte unheilverkündend der Donner.
Gegen den Wind gestemmt stand sie da, blickte übers Tal hinunter zur Abtei - Beauregard Abbey - und bestaunte das schmucklose, strenge Anwesen, das am Hang des gegenüber-liegenden Hügels thronte.
Die Fakten zur Geschichte des Klosters, am Vorabend hastig zusammengetragen, gingen ihr durch den Kopf. Es war von Zisterziensern im 12. Jahrhundert gegründet, von Heinrich VIII. im 16. Jahrhundert aufgelöst und an die Familie Beauregard übergeben worden. Im 19. Jahrhundert hatte man die Mönche zurückgeholt, eine Art Wiedergutmachung. Eine abwegige Entscheidung.
Die Abteikirche gab es längst nicht mehr. Nur der Grund-riss im grünen Gras zeigte, wo die Mönche über die Jahrhunderte gebetet und gesungen hatten. Von den übrigen Klostergebäuden hatten einige der Zeit getrotzt. Sie bildeten das stattliche Anwesen, das bis Ende des letzten Jahrhunderts der Wohnsitz der Beauregards gewesen war. Viel zu groß für eine einzelne Familie und nicht gerade anheimelnd. Ein jäher Windstoß peitschte ihr die Haare ins Gesicht. Was wollte sie eigentlich hier? Sie mochte diesen Wind nicht und diese Landschaft noch weniger. Warum saß sie nicht im Flugzeug zurück nach Amerika?
Als ihr Bruder sich entschlossen hatte, nach Yorkshire zu gehen, hatte sie ihn ausgelacht. «Warum ausgerechnet in den verregneten Norden von England?»
«Das ist maximal weit weg von unseren Eltern, und außer-dem gefällt's mir hier.» Er war Dozent für Musik an der Universität York, und Zuleika hatte bei ihm gewohnt, während sie dort an einer Konferenz teilnahm. «Kernspin?» Er hatte sich geschüttelt. «Mich kriegen keine zehn Pferde in so eine Röhre. Bei uns an der Musikfakultät haben sie mal Freiwillige gesucht, weil sie sehen wollten, welche Teile unseres Gehirns aufleuchten, wenn wir Mozart hören - gibt es eigentlich noch so was wie Privatsphäre? Nimm dir ein paar Stunden frei von deinem High-Tech-Zeugs, solange du hier bist, atme den Hauch der Geschichte ein. Du kannst zum Beispiel an einem Ghostwalk teilnehmen und dir ein paar gruselige Geschichten anhören. Das ist doch dein Ding, und es macht mehr Spaß, in dunklen Gassen auf den Spuren der Gespenster zu wandeln, als den Leuten ins Hirn zu schauen, um dort welche zu finden.»
Sie setzte sich wieder auf die Harley, deren Motor nur stotternd ansprang, und fuhr die letzte Meile bergab auf kurven-reicher, von Bäumen gesäumter Strecke. Unten im Tal führte eine scharfe Kurve zum Fluss, der über Felsen und Findlinge schäumte, dann ging's über die Brücke und jenseits des Silber-bands wieder bergauf.
Am Eingang zu Beauregard Abbey gab es kein Schild, aber das hohe schmiedeeiserne Doppeltor war nicht zu verkennen. Zuleika hielt an, schob ihr Visier hoch und betrachtete die grimmigen Tiergestalten, die auf den Säulen zu beiden Seiten des Tors thronten und ihre verwitterten Wappen mit schuppigen Klauen umklammert hielten. Waren es Greife? Drachen? Oder etwas Schlimmeres?
Jenseits des Tors stand ein kleines, achteckiges Haus mit einem Kegeldach. Ein richtiges Hexenhäuschen, dachte Zuleika. Überhaupt war das der ideale Schauplatz für einen Schauerroman. Sie stieg ab, ging zum Tor und suchte nach einer Sprechanlage, einer Kamera oder wenigstens einer Glocke. Schließlich rief sie: «Ist da jemand?»
Der Wind trug ihre Worte davon. Genervt holte sie ihr Mobiltelefon aus der Innentasche ihrer schwarzen Lederjacke und wählte.
«Das Handy können Sie sich sparen», sagte eine Stimme. «Hier gibt's keinen Empfang.»
Ein Mann mit graumeliertem Haar, er trug eine Moleskin-hose und eine abgewetzte grüne Jacke, näherte sich gemächlich dem Tor. Er nickte ihr zu und fragte: «Sie werden erwartet?»
«Ja.»
«Name?»
«Rathbone.»
«Also Dr. Rathbone? Sie sollten erst heute Nachmittag eintreffen, für heute Vormittag stehen Sie nicht auf meiner Liste.»
«Ich habe beschlossen, früher zu kommen.»
«Aber Sie sind nicht motorisiert. Kein Auto.»
«Wie Sie sehen, fahre ich Motorrad.»
«Dann brauchen Sie also keinen Parkplatz.»
Ein Pförtner wie aus dem Märchen, passend zu seinem Pförtnerhaus. Mit langsamen Schritten kehrte er zu dem acht-eckigen Häuschen zurück. «Liegt es am Wetter, dass mein Handy keinen Empfang hat?», rief Zuleika ihm nach.
Er blieb stehen und drehte sich zu ihr um. «Nein. Wir sind hier zu abgelegen, deshalb gibt es keinen Empfang.» Dann ging er hinein, und kurze Zeit später öffnete sich sachte und lautlos das Tor.
«Willkommen in Beauregard Abbey, Dr. Rathbone», sagte der Pförtner mit ernster Miene, als sie an ihm vorbeirollte. «Fahren Sie bitte langsam, der Wind holt die Blätter von den Bäumen, da kann es rutschig werden. Ohnehin ist die Geschwindigkeit auf zehn Meilen die Stunde begrenzt.»
Scheppernd schloss sich hinter ihr das Tor.
Die Auffahrt war breit, zwei Fahrzeuge kamen hier leicht aneinander vorbei. Riesige Buchen säumten die Straße, der Wind fegte durch die Äste und wirbelte das Laub in wildem Tanz durch die Luft. Die Geschwindigkeitsbegrenzung war sinnvoll, wollte man nicht Hals über Kopf im Straßengraben landen. Wie lang war diese Auffahrt eigentlich? Nach etwa einer Meile gelangte Zuleika zu einem Torbogen, der dem am Eingang ähnelte.
Als sie den Motor ausmachte, öffnete sich die Eichentür, und eine Frau mit länglichem Gesicht und geschäftiger Miene trat heraus. Sie musterte Zuleika durch ihre schmalen Brillengläser.
Ja, ich bin ein Mensch, und ja, Sie erwarten mich, und nein, Sie brauchen mich nicht von Kopf bis Fuß zu inspizieren.
«Guten Morgen. Dr. Rathbone, nicht wahr? Matthew vom Pförtnerhaus hat Bescheid gegeben, dass Sie eingetroffen sind. Wir hatten Sie gar nicht so früh erwartet.»
Zuleika bockte das Motorrad auf, nahm den Helm ab und fuhr sich mit den Fingern durchs Haar. «Ich wohne in York und bin schon recht früh losgefahren.»
«Ich bin Margo Campbell, die Schatzmeisterin der Schule. Mr. Beauregard hat mich gebeten, Sie zur alten Bibliothek hinaufzuführen, falls Sie vor ihm eintreffen.»
Zuleika war es herzlich egal, ob Nicholas Beauregard hier war oder nicht. Es war ihr sogar lieber, das Zauberbuch, im Fachjargon Grimoire genannt, in Augenschein nehmen zu können, ohne dass dieser Mr. Beauregard ihr über die Schulter sah.
«Möchten Sie gleich hinaufgehen, oder hätten Sie gern vor-her eine Tasse Kaffee?»
Offenbar hatte die Frau viel um die Ohren. Was machte eine Schatzmeisterin eigentlich? Jedenfalls hatte sie mit Geld zu tun.
«Wenn der Grimoire in der Bibliothek ist, sehe ich ihn mir gleich an. »
Margo Campbell wirkte erleichtert. Sie zog die Tür hinter sich zu und kam die Stufen herunter. «Es geht schneller, wenn wir außen herum gehen. Obwohl es nach Regen aussieht, aber die paar Minuten wird es noch halten.»
Als sie dem Kiesweg folgten, staunte Zuleika über die Dimensionen der Anlage. «Das Internat ist wohl sehr groß?»
«Wir haben dieses Jahr 723 Schüler, alles Interne. Die Schule beginnt nächste Woche, deshalb sind die Lehrer zum Großteil schon da, die Schüler reisen am Samstag oder Sonntag an. Im Augenblick wirkt alles still und friedlich, aber das ist nur die Ruhe vor dem Sturm. Nächste Woche um diese Zeit sieht es hier ganz anders aus. »
Margo Campbell wählte den größten Schlüssel von ihrem Bund und sperrte die massive Holztür mit den breiten Schar-nieren und dem wuchtigen Schloss auf. Mit beiden Händen drehte sie den Griff, einen schweren schmiedeeisernen Ring, und stemmte die Tür auf, dann trat sie beiseite, um Zuleika den Vortritt zu lassen.
Der Schritt über die Schwelle war eine Zeitreise, Zuleika betrat einen Raum mit Steinfußboden, dessen hohe dunkel-blaue Stuckdecke mit goldenen Sternen bemalt war. Es gab einen gewaltigen offenen Kamin, und an der gegenüberliegen-den Wand hing das Porträt eines elisabethanischen Gentleman in Wams und Kniehose und mit einer steifen, weißen Hals-krause unter dem hochmütigen Gesicht.
«Das ist die Große Halle, die unverändert geblieben ist, seit die Familie hier lebte.»
«Wer ist der Mann auf dem Bild?»
« Sir Nicholas Beauregard, der erste Besitzer der Abtei.»
Sie durchquerten die Halle und traten durch eine Tür in einen weiteren Raum, von dem eine glänzende Holztreppe zu einer Galerie hinaufführte. «In diesem Teil des Gebäudes befanden sich die Privaträume der Familie», erklärte Margo Campbell, während sie hinaufgingen. «Hier ist auch der Salon. Ich würde Sie ja gern herumführen, aber ich fürchte, mir fehlt im Augenblick die Zeit.»
Durch einen Flur mit knarrenden Dielenbrettern ging es vorbei an weiteren Eichentüren. «Schlafräume, heute werden sie als Gästezimmer genutzt. Und hier ist die Bibliothek.»
Ein schöner Raum voller Bücher. Der Holzfußboden und die Regale trugen unverkennbar die Patina des Alters. Es roch nach Bienenwachs und ein wenig modrig nach alten Büchern.
«Ursprünglich befand sich hier das Refektorium, der Speise-saal des Klosters», erklärte Margo. Sie schaltete die Messing-lampen auf dem Tisch in der Mitte an, deren rote Lampen-schirme ein warmes, aber unzureichendes Licht verbreiteten. «Im frühen 18. Jahrhundert machten die Beauregards eine Bibliothek daraus. Die Dachbalken sind wesentlich älter, sie stammen aus dem 15. Jahrhundert.»
Zuleika blickte kurz zu den Balken hoch, die das Deckengewölbe trugen, aber viel interessanter fand sie die Schachtel auf dem Tisch. Daneben lagen weiße Handschuhe, eine Zange und ein Lappen. Margo Campbell zögerte. Zuleika ahnte, was ihr durch den Kopf ging, und sagte: «Machen Sie sich keine Sorgen, Sie können mir vertrauen. Oder wollen Sie meinen Aus-weis sehen? Der Grimoire ist bei mir gut aufgehoben.»
Margo Campbells Neugier war offenbar stärker als ihr Wunsch, zu ihrer Arbeit zurückzukehren. «Und Sie sollen das Alter des Buches feststellen? Aufgrund des Papiers, der Tinte und so weiter?»
«Das ist nicht mein Fachgebiet. Ich soll die Zaubersprüche entziffern», erklärte Zuleika und wünschte, Margo Campbell würde endlich gehen. «Mr. Beauregard hat die Echtheit des Buches schon prüfen lassen. Es wurde hier in der Abtei gefunden, nicht wahr?»
«In einer Säule im Kreuzgang. Bei Restaurationsarbeiten. Einer der Maurer zog einen losen Stein heraus, und das Buch lag in dem Hohlraum dahinter. Mr. Beauregard vermutet, dass es ursprünglich von den Mönchen dort versteckt, später, wahrscheinlich beim Umbau des Kreuzgangs Anfang des 18. Jahr-hunderts, herausgenommen, dann aber aus irgendeinem Grund wieder zurückgelegt wurde.»
«Könnte es nicht die ganze Zeit dort gelegen haben?»
«Nein. Sie werden gleich sehen, warum.» Margo Camp-bell blickte auf ihre Uhr. «Ich muss gehen. Die Toilette ist den Gang entlang die zweite Tür links. Finden Sie zurück zur Verwaltung, wenn Sie fertig sind?»
Noch bevor Margo Campbell die Tür hinter sich zumachte, saß Zuleika am Tisch, zog die Baumwollhandschuhe an und nahm den Deckel von der Schachtel.
...
Übersetzung: Sonja Schumacher und Rita Seuß
Genehmigte Lizenzausgabe für Verlagsgruppe Weltbild GmbH,
Steinerne Furt, 86167 Augsburg
Zuleika bremste auf dem Hügelkamm, machte den Motor ihrer Maschine aus und stieg ab. Sie war froh, dass sie endlich von diesem Motorrad herunterkam, das ihr alle Knochen im Leib durcheinandergerüttelt hatte.
«Beauregard?», hatte ihr Bruder Hank mitleidig gesagt, «meine Güte, das ist ja mitten in der Pampa. Du verpasst deinen Rückflug, nur um ein altes Buch zu begutachten, das die da gefunden haben? Weißt du was, Zulie, nimm meine Maschine, ich bin die ganze Woche in London, dann sparst du dir den Mietwagen, und für die kurvenreichen Straßen taugt das Motorrad ohnehin besser. Fahr bloß nicht gegen einen Baum, okay?»
Geradezu rührend fand sie, dass Hank ihr seine heißgeliebte alte Harley-Davidson überlassen hatte. Aber es war eine Schnapsidee gewesen, das Angebot anzunehmen. Ein König-reich für ein Auto mit Dach und Servolenkung!
Sie zog die Stulpenhandschuhe aus, nahm den Helm ab und rieb sich den Nacken. Die Arme und der Kopf taten ihr weh, und in ihren Ohren dröhnte immer noch das Hämmern des Motors. Sie schüttelte den Kopf, um das Geräusch loszuwerden, und lauschte: In den Baumwipfeln rauschte der Wind, eine Möwe kreischte hoch oben in den Wolken, und in der Ferne grollte unheilverkündend der Donner.
Gegen den Wind gestemmt stand sie da, blickte übers Tal hinunter zur Abtei - Beauregard Abbey - und bestaunte das schmucklose, strenge Anwesen, das am Hang des gegenüber-liegenden Hügels thronte.
Die Fakten zur Geschichte des Klosters, am Vorabend hastig zusammengetragen, gingen ihr durch den Kopf. Es war von Zisterziensern im 12. Jahrhundert gegründet, von Heinrich VIII. im 16. Jahrhundert aufgelöst und an die Familie Beauregard übergeben worden. Im 19. Jahrhundert hatte man die Mönche zurückgeholt, eine Art Wiedergutmachung. Eine abwegige Entscheidung.
Die Abteikirche gab es längst nicht mehr. Nur der Grund-riss im grünen Gras zeigte, wo die Mönche über die Jahrhunderte gebetet und gesungen hatten. Von den übrigen Klostergebäuden hatten einige der Zeit getrotzt. Sie bildeten das stattliche Anwesen, das bis Ende des letzten Jahrhunderts der Wohnsitz der Beauregards gewesen war. Viel zu groß für eine einzelne Familie und nicht gerade anheimelnd. Ein jäher Windstoß peitschte ihr die Haare ins Gesicht. Was wollte sie eigentlich hier? Sie mochte diesen Wind nicht und diese Landschaft noch weniger. Warum saß sie nicht im Flugzeug zurück nach Amerika?
Als ihr Bruder sich entschlossen hatte, nach Yorkshire zu gehen, hatte sie ihn ausgelacht. «Warum ausgerechnet in den verregneten Norden von England?»
«Das ist maximal weit weg von unseren Eltern, und außer-dem gefällt's mir hier.» Er war Dozent für Musik an der Universität York, und Zuleika hatte bei ihm gewohnt, während sie dort an einer Konferenz teilnahm. «Kernspin?» Er hatte sich geschüttelt. «Mich kriegen keine zehn Pferde in so eine Röhre. Bei uns an der Musikfakultät haben sie mal Freiwillige gesucht, weil sie sehen wollten, welche Teile unseres Gehirns aufleuchten, wenn wir Mozart hören - gibt es eigentlich noch so was wie Privatsphäre? Nimm dir ein paar Stunden frei von deinem High-Tech-Zeugs, solange du hier bist, atme den Hauch der Geschichte ein. Du kannst zum Beispiel an einem Ghostwalk teilnehmen und dir ein paar gruselige Geschichten anhören. Das ist doch dein Ding, und es macht mehr Spaß, in dunklen Gassen auf den Spuren der Gespenster zu wandeln, als den Leuten ins Hirn zu schauen, um dort welche zu finden.»
Sie setzte sich wieder auf die Harley, deren Motor nur stotternd ansprang, und fuhr die letzte Meile bergab auf kurven-reicher, von Bäumen gesäumter Strecke. Unten im Tal führte eine scharfe Kurve zum Fluss, der über Felsen und Findlinge schäumte, dann ging's über die Brücke und jenseits des Silber-bands wieder bergauf.
Am Eingang zu Beauregard Abbey gab es kein Schild, aber das hohe schmiedeeiserne Doppeltor war nicht zu verkennen. Zuleika hielt an, schob ihr Visier hoch und betrachtete die grimmigen Tiergestalten, die auf den Säulen zu beiden Seiten des Tors thronten und ihre verwitterten Wappen mit schuppigen Klauen umklammert hielten. Waren es Greife? Drachen? Oder etwas Schlimmeres?
Jenseits des Tors stand ein kleines, achteckiges Haus mit einem Kegeldach. Ein richtiges Hexenhäuschen, dachte Zuleika. Überhaupt war das der ideale Schauplatz für einen Schauerroman. Sie stieg ab, ging zum Tor und suchte nach einer Sprechanlage, einer Kamera oder wenigstens einer Glocke. Schließlich rief sie: «Ist da jemand?»
Der Wind trug ihre Worte davon. Genervt holte sie ihr Mobiltelefon aus der Innentasche ihrer schwarzen Lederjacke und wählte.
«Das Handy können Sie sich sparen», sagte eine Stimme. «Hier gibt's keinen Empfang.»
Ein Mann mit graumeliertem Haar, er trug eine Moleskin-hose und eine abgewetzte grüne Jacke, näherte sich gemächlich dem Tor. Er nickte ihr zu und fragte: «Sie werden erwartet?»
«Ja.»
«Name?»
«Rathbone.»
«Also Dr. Rathbone? Sie sollten erst heute Nachmittag eintreffen, für heute Vormittag stehen Sie nicht auf meiner Liste.»
«Ich habe beschlossen, früher zu kommen.»
«Aber Sie sind nicht motorisiert. Kein Auto.»
«Wie Sie sehen, fahre ich Motorrad.»
«Dann brauchen Sie also keinen Parkplatz.»
Ein Pförtner wie aus dem Märchen, passend zu seinem Pförtnerhaus. Mit langsamen Schritten kehrte er zu dem acht-eckigen Häuschen zurück. «Liegt es am Wetter, dass mein Handy keinen Empfang hat?», rief Zuleika ihm nach.
Er blieb stehen und drehte sich zu ihr um. «Nein. Wir sind hier zu abgelegen, deshalb gibt es keinen Empfang.» Dann ging er hinein, und kurze Zeit später öffnete sich sachte und lautlos das Tor.
«Willkommen in Beauregard Abbey, Dr. Rathbone», sagte der Pförtner mit ernster Miene, als sie an ihm vorbeirollte. «Fahren Sie bitte langsam, der Wind holt die Blätter von den Bäumen, da kann es rutschig werden. Ohnehin ist die Geschwindigkeit auf zehn Meilen die Stunde begrenzt.»
Scheppernd schloss sich hinter ihr das Tor.
Die Auffahrt war breit, zwei Fahrzeuge kamen hier leicht aneinander vorbei. Riesige Buchen säumten die Straße, der Wind fegte durch die Äste und wirbelte das Laub in wildem Tanz durch die Luft. Die Geschwindigkeitsbegrenzung war sinnvoll, wollte man nicht Hals über Kopf im Straßengraben landen. Wie lang war diese Auffahrt eigentlich? Nach etwa einer Meile gelangte Zuleika zu einem Torbogen, der dem am Eingang ähnelte.
Als sie den Motor ausmachte, öffnete sich die Eichentür, und eine Frau mit länglichem Gesicht und geschäftiger Miene trat heraus. Sie musterte Zuleika durch ihre schmalen Brillengläser.
Ja, ich bin ein Mensch, und ja, Sie erwarten mich, und nein, Sie brauchen mich nicht von Kopf bis Fuß zu inspizieren.
«Guten Morgen. Dr. Rathbone, nicht wahr? Matthew vom Pförtnerhaus hat Bescheid gegeben, dass Sie eingetroffen sind. Wir hatten Sie gar nicht so früh erwartet.»
Zuleika bockte das Motorrad auf, nahm den Helm ab und fuhr sich mit den Fingern durchs Haar. «Ich wohne in York und bin schon recht früh losgefahren.»
«Ich bin Margo Campbell, die Schatzmeisterin der Schule. Mr. Beauregard hat mich gebeten, Sie zur alten Bibliothek hinaufzuführen, falls Sie vor ihm eintreffen.»
Zuleika war es herzlich egal, ob Nicholas Beauregard hier war oder nicht. Es war ihr sogar lieber, das Zauberbuch, im Fachjargon Grimoire genannt, in Augenschein nehmen zu können, ohne dass dieser Mr. Beauregard ihr über die Schulter sah.
«Möchten Sie gleich hinaufgehen, oder hätten Sie gern vor-her eine Tasse Kaffee?»
Offenbar hatte die Frau viel um die Ohren. Was machte eine Schatzmeisterin eigentlich? Jedenfalls hatte sie mit Geld zu tun.
«Wenn der Grimoire in der Bibliothek ist, sehe ich ihn mir gleich an. »
Margo Campbell wirkte erleichtert. Sie zog die Tür hinter sich zu und kam die Stufen herunter. «Es geht schneller, wenn wir außen herum gehen. Obwohl es nach Regen aussieht, aber die paar Minuten wird es noch halten.»
Als sie dem Kiesweg folgten, staunte Zuleika über die Dimensionen der Anlage. «Das Internat ist wohl sehr groß?»
«Wir haben dieses Jahr 723 Schüler, alles Interne. Die Schule beginnt nächste Woche, deshalb sind die Lehrer zum Großteil schon da, die Schüler reisen am Samstag oder Sonntag an. Im Augenblick wirkt alles still und friedlich, aber das ist nur die Ruhe vor dem Sturm. Nächste Woche um diese Zeit sieht es hier ganz anders aus. »
Margo Campbell wählte den größten Schlüssel von ihrem Bund und sperrte die massive Holztür mit den breiten Schar-nieren und dem wuchtigen Schloss auf. Mit beiden Händen drehte sie den Griff, einen schweren schmiedeeisernen Ring, und stemmte die Tür auf, dann trat sie beiseite, um Zuleika den Vortritt zu lassen.
Der Schritt über die Schwelle war eine Zeitreise, Zuleika betrat einen Raum mit Steinfußboden, dessen hohe dunkel-blaue Stuckdecke mit goldenen Sternen bemalt war. Es gab einen gewaltigen offenen Kamin, und an der gegenüberliegen-den Wand hing das Porträt eines elisabethanischen Gentleman in Wams und Kniehose und mit einer steifen, weißen Hals-krause unter dem hochmütigen Gesicht.
«Das ist die Große Halle, die unverändert geblieben ist, seit die Familie hier lebte.»
«Wer ist der Mann auf dem Bild?»
« Sir Nicholas Beauregard, der erste Besitzer der Abtei.»
Sie durchquerten die Halle und traten durch eine Tür in einen weiteren Raum, von dem eine glänzende Holztreppe zu einer Galerie hinaufführte. «In diesem Teil des Gebäudes befanden sich die Privaträume der Familie», erklärte Margo Campbell, während sie hinaufgingen. «Hier ist auch der Salon. Ich würde Sie ja gern herumführen, aber ich fürchte, mir fehlt im Augenblick die Zeit.»
Durch einen Flur mit knarrenden Dielenbrettern ging es vorbei an weiteren Eichentüren. «Schlafräume, heute werden sie als Gästezimmer genutzt. Und hier ist die Bibliothek.»
Ein schöner Raum voller Bücher. Der Holzfußboden und die Regale trugen unverkennbar die Patina des Alters. Es roch nach Bienenwachs und ein wenig modrig nach alten Büchern.
«Ursprünglich befand sich hier das Refektorium, der Speise-saal des Klosters», erklärte Margo. Sie schaltete die Messing-lampen auf dem Tisch in der Mitte an, deren rote Lampen-schirme ein warmes, aber unzureichendes Licht verbreiteten. «Im frühen 18. Jahrhundert machten die Beauregards eine Bibliothek daraus. Die Dachbalken sind wesentlich älter, sie stammen aus dem 15. Jahrhundert.»
Zuleika blickte kurz zu den Balken hoch, die das Deckengewölbe trugen, aber viel interessanter fand sie die Schachtel auf dem Tisch. Daneben lagen weiße Handschuhe, eine Zange und ein Lappen. Margo Campbell zögerte. Zuleika ahnte, was ihr durch den Kopf ging, und sagte: «Machen Sie sich keine Sorgen, Sie können mir vertrauen. Oder wollen Sie meinen Aus-weis sehen? Der Grimoire ist bei mir gut aufgehoben.»
Margo Campbells Neugier war offenbar stärker als ihr Wunsch, zu ihrer Arbeit zurückzukehren. «Und Sie sollen das Alter des Buches feststellen? Aufgrund des Papiers, der Tinte und so weiter?»
«Das ist nicht mein Fachgebiet. Ich soll die Zaubersprüche entziffern», erklärte Zuleika und wünschte, Margo Campbell würde endlich gehen. «Mr. Beauregard hat die Echtheit des Buches schon prüfen lassen. Es wurde hier in der Abtei gefunden, nicht wahr?»
«In einer Säule im Kreuzgang. Bei Restaurationsarbeiten. Einer der Maurer zog einen losen Stein heraus, und das Buch lag in dem Hohlraum dahinter. Mr. Beauregard vermutet, dass es ursprünglich von den Mönchen dort versteckt, später, wahrscheinlich beim Umbau des Kreuzgangs Anfang des 18. Jahr-hunderts, herausgenommen, dann aber aus irgendeinem Grund wieder zurückgelegt wurde.»
«Könnte es nicht die ganze Zeit dort gelegen haben?»
«Nein. Sie werden gleich sehen, warum.» Margo Camp-bell blickte auf ihre Uhr. «Ich muss gehen. Die Toilette ist den Gang entlang die zweite Tür links. Finden Sie zurück zur Verwaltung, wenn Sie fertig sind?»
Noch bevor Margo Campbell die Tür hinter sich zumachte, saß Zuleika am Tisch, zog die Baumwollhandschuhe an und nahm den Deckel von der Schachtel.
...
Übersetzung: Sonja Schumacher und Rita Seuß
Genehmigte Lizenzausgabe für Verlagsgruppe Weltbild GmbH,
Steinerne Furt, 86167 Augsburg
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Autoren-Porträt von Elizabeth Edmondson
Elizabeth Edmondson startete ihre Schriftstellerkarriere schon in jungen Jahren. Mit Lady Helenas Geheimnis, Die Farben des Himmels und Die Gärten von Landrake Hall schaffte sie ihren Durchbruch in Deutschland. Sie ist verheiratet und hat zwei Kinder.
Bibliographische Angaben
- Autor: Elizabeth Edmondson
- 400 Seiten, Maße: 13,6 x 21,5 cm, Hochw. Broschur mit Klappeinb.
- Verlag: Weltbild
- ISBN-10: 386365174X
- ISBN-13: 9783863651749
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