Stutenbiss
Sie w rden Indianer heiraten und Pferde z chten, davon haben Susen und Belle mit elf getr umt. Belles Leben ist diesem Traum erstaunlich nahe gekommen. Zu nahe f r Susens Geschmack. Doch die Einladung von ihrer einstigen Freundin auf den Pferdehof kommt der Journalistin trotzdem recht. Denn so ein Reiterparadies liefert bestimmt genug Stoff f r ihre Kolumne. Und tats chlich, kaum angekommen, steht er vor ihr, der Cowboy ihrer Tr ume.
Obwohl die warme Vertrautheit zwischen den beiden Frauen sofort wieder da ist, bereut Belle schon bald, die St dterin mit dem Designertick eingeladen zu haben - weil sie sich ber ihren Mann lustig macht. Die "M nage trois" kritisiert, die die pragmatische Belle akzeptiert. Und weil jener Tag vor gut 30 Jahren die beiden noch immer trennt, jener Tag, an dem Susen ihre beste Freundin im Stich gelassen hat.
Milena Moser, bekannt daf r, zwischenweibliche Turbulenzen aufs Treffendste zu beschreiben, l sst in ihrem neuen Roman zwei Frauen aufeinander los - hinrei end komisch und hemmungslos bissig.
"Milena Moser zeigt ganz unvoreingenommen den skurrilen Alltag zwischen Gesundheitswahn, Esoterikfanatismus und den blichen Problemen einer amerikanischen Durchschnittsfamilie - mit einem genauen Blick f r die kleinen Dinge." 3 Sat
"Da betreibt jemand mit Phantasie und Chuzpe den ganz normalen Alltagswahnsinn auf die Spitze und erz hlt lustvoll subversiv und mit kom diantischer Hemmungslosigkeit." Der Spiegel
"Moser ist erneut ein Meisterst ck spannender Unterhaltung gelungen ... Die Moser-Frauen sind wie immer, ein bisschen schlampig, aber liebenswert, heillos berfordert und trotzdem klug und berlebensf hig. Toll ist, dass es der Autorin gelingt, ihre Figuren immer wieder in neue spannende Geschichten zu packen. Man mag alle beide, die Frauen und die Geschichten." Sonja Kolb, Associated Press
Stutenbiss von Milena Moser
LESEPROBE
Streik
Nach siebenTagen brach sie ihr Schweigen. Nicht, dass es irgendjemandem aufgefallen wäre.Susen saß allein an ihrem Schreibtisch, als dasTelefon klingelte. Ohne weiter darüber nachzudenken, hob sie den Hörer ab undsagte: »Hallo.«
Das war esnun: das Ende eines Streiks, den keiner bemerkt hatte.
EineInszenierung ohne Publikum, ein Protest ohne Wirkung - das passierte Susennicht zum ersten Mal.
AlsDreizehnjährige hatte sie ihren Selbstmord vorgetäuscht, nach einem Streit mitihrer Mutter, die darauf bestanden hatte, dass sie ihr Zimmer aufräumte, bevorsie in den Jugendkeller ging. Eine Aufgabe, die Susen damals so unüberwindlicherschien, dass sie sich einfach auf den Teppichboden legte, mitten in dieverstreut herumliegenden schmutzigen und sauberen Kleider, aufgeschlagenenBücher, Jugendmagazine, auf gerissenen Kekspackungen, Mandarinenschalen. Nachkurzem Überlegen stand sie noch einmal auf, ging ins Badezimmer und räumte denMedikamentenschrank aus. Aspirin, Ibuprofen und Dulcolax, sie schüttete die Pillen ins Klo und arrangiertedann die leeren Packungen neben sich auf dem Fußboden. So lag sie eine ganzeWeile und wartete, dass ihre Mutter ins Zimmer kam. Dann würde sie ja sehen,was sie angerichtet hatte!
Susen maltesich die Szene aus: Die Mutter, noch angetrieben von selbstgerechter Wut, willschon zu einer neuen Tirade ansetzen, dann sieht sie die geliebte Tochterdaliegen, reglos, blass. Sie stockt, sie sinkt in die Knie - sieht die leeren Pillenschachteln.
»Was habich getan?«, jammert sie und reißt den leblosen Körperan sich. »Meine Tochter, mein liebstes Kind! So hab ich s doch nicht gemeint!«
Die Familieläuft zusammen, der Vater, die Brüder, sie tragen sie ins Wohnzimmer, legensie aufs Sofa. Der Fernseher wird aus Respekt vor der scheinbar Totenausgeschaltet, obwohl das Fußballspiel auf seinen Höhepunkt zugeht. Und wennSusen dann endlich die Augen aufschlägt, kriegt sie alles: einSchokoladenfondue, bei dem sie ersten Zugriff auf die Bananenscheiben hat,sofortige Aufbesserung des Taschengeldes, und sie darf in den Jugendkeller.Ohne Sperrstunde. So.
Als ihreMutter schließlich ins Zimmer kam, stieg sie kurzer hand über die am BodenLiegende hinweg und zog die schweren Vorhänge mit einem Ruck zur Seite. Das Sonnenlichtfiel mit einer Wucht auf Susen, die ihr den Atem verschlug. Sie schnappte nachLuft. Riss die Augen auf.
»Jetzt tunicht so«, sagte ihre Mutter kurz und fing gleich an, den Schreibtischaufzuräumen. Mit schnellen, effizien - ten Bewegungenschichtete sie alles zu ordentlichen Stapeln auf. Blätter auf Blätter, Bücherauf Bücher, Stifte in die dafür vorgesehenen runden Behälter aus orangefarbenemPlastik. Dabei wandte sie Susen den Rücken zu, sie sah nicht ihre Blässe, nichtdas kunstvolle Arrangement aus leeren Schachteln.
»Zusammenkriegen wir das hin«, sagte sie. »Es ist nichtmalsechs, du kannst also immer noch in den Jugendkeller.«
Und Susen stand auf und ließ die Pillenschachteln unauffällig verschwinden,kippte sie zusammen mit dem überquellenden Inhalt ihres Papierkorbs in dieschwarze Mülltüte, die ihre Mutter mitgebracht hatte.
Daran dachte Susen jetzt, als sie mit dem Hörer in der Hand eineweitere folgenlose Inszenierung abbrach. Susen wusste bis heute nicht, ob ihreMutter damals die sorgfältig arrangier ten Tablettenschachteln überhauptbemerkt hatte. Ob sie Susens vorgetäuschtenSelbstmordversuch bewusst ignoriert oder einfach übersehen hatte. Und wasschlimmer gewesen wäre.
DieErinnerung an diese Episode brannte noch lange an der Stelle im Zwerchfell, woSusen peinliche Momente aufbewahrte, knapp unter demHerzen.
So wie auchin einer blauen Mappe auf ihrem Schreibtisch. »Roman« stand auf dem Deckel. InAnführungsstrichen. Darin sammelte Susen die romanwürdigsten Szenen ihresLebens, die meist auch die peinlichsten waren.
So vieledieser peinlichen Momente hatte sie schon zusammen, dass sie bald eine zweiteMappe anlegen musste. Den von niemandem bemerkten Selbstmordversuch hatte Susen allerdings schon in einer ihrer Magazinkolumnenverarbeitet. Darin berichtete sie von einer Freundin, die zehn Tage lang nichtmit ihrem Mann gesprochen hatte. Ohne dass dieser es bemerkt hätte. »Wir hattenes doch gerade so schön«, sagte er, als sie die Koffer packte. »Wir hattennicht mal Streit«, später in der Bar zu seinen Freunden. Da hatte Susen danndie Geschichte von den arrangierten Pillenschachteln auf dem Kinderzimmerteppicheingebaut und schon beim Schreiben gewusst, dass sie diese Episode in ihrerKolumne eigentlich verschenkte.
Wie allediese brennenden Momente gab dieses Erlebnis nämlich eine gute Geschichte ab.Sie hätte diesen Moment in der blauen Mappe liegen lassen sollen, für denRoman. Es würde ein umwerfender Roman werden, das wusste sie. Sie musste ihnnur schreiben.
Ob eszulässig war, von sich selbst abzuschreiben? Oder sollte sie ihren vonniemandem beachteten Redestreik verwenden? Dieser hatte allerdings nicht wieder ihrer Freundin einem Mann gegolten. Sie hatte keinen. Schon seit einer Weilenicht mehr. Susen wusste nicht, wie das passiert war. Da war immer einergewesen, manchmal mehr als einer, und dann plötzlich keiner mehr. Darauf warsie nicht vorbereitet gewesen, so wenig, dass sie es eine Zeit lang nichteinmal gemerkt hatte. Bis ihr irgendwann nichts mehr einfiel für ihre Kolumne,die sich immerhin im Wesentlichen mit ihrem Liebesleben befassen sollte. DemLiebesleben einer selbstbewussten, modernen Städterin, die alles hat: Erfolg imBeruf, ein schönes Kind, eine schicke Eigentumswohnung mit Balkon. Unabhängigkeitund Leidenschaft, montags bis freitags zu den üblichen Öffnungszeiten. AmSamstag erschien dann die Zusammenfassung in der Zeitschrift Life.Style.
Was Susenin ihrer Kolumne allerdings unerwähnt ließ, war die Tatsache, dass sie nichtnur mit ihrer elfjährigen Tochter Wednesdayzusammenlebte, sondern auch mit ihrer verwitweten Mutter Lou. Ein Arrangement,das nicht ganz zu ihrem Image passte und ihr das Schreiben auch nicht geradeerleichterte.
Wertung,Wertung, dachte Susen, wie sie es im Meditationskurs gelernt hatte: dieflatternden Gedanken erkennen, bezeichnen und ziehen lassen. Wertung, Wertung.Unbehagen, Unbehagen. Nur dass sie keine flatternden Gedanken mehr hatte,keine eigenen jedenfalls, ihr Kopf war mit Gehörtem vollgestopft.Nicht nur Wednesday plapperte ununterbrochen auf sieein und wiederholte in schmerzlicher Detailtreue jedes Gespräch, das siegeführt hatte. Auch ihre Mutter hatte die Angewohnheit, leise, aberunüberhörbar vor sich hinzureden und ihre sämtlichen Handlungen zu kommentieren.Denn Lou Hugentobler wollte ihrer Tochter auf keinenFall Umstände machen. Nur keine Umstände! Und genau das machte dasZusammenleben mit ihr so kompliziert.
SusensRedestreik war unbemerkt geblieben, ihr Alltag weitergegangen wie immer. Siewäre wohl besser in einen Zuhörstreik getreten. Hätte sich auf ihr großes,einsames weißes Bett gelegt mit riesigen flauschigen Ohrenschützern aus rosaPlüsch, wie sie Freizeitschützen tragen - Freizeitschützen? Rosa? Wo hatte siedas wieder her? -, und das Zuhören verweigert. Allerdings hätte das wohl auchniemanden beeindruckt, vermutlich hätten sowohl ihre Mutter als auch ihre Tochtereinfach weitergeredet, manchmal sogar beide gleichzeitig.
Eigentlich konnte Susen sich nicht beklagen, denn sie hatte ja ihreKolumne. Ihre wöchentlichen fünftausend Zeichen, Leerzeichen eingerechnet.Sollte das nicht reichen? Ihre Kolumne war seit Jahren ein gern gelesener undfes - ter Bestandteil des Wochenmagazins Life.Style und bereits in zwei sich gut verkaufendenSammelbänden veröffentlicht worden. Wenn sie zu Lesungen antrat, hörte ihr dasmehrheitlich weibliche Publikum gebannt zu, nickte zustimmend und lachte anden richtigen Stellen.
Wenn ihrwüsstet, dachte Susen. Wenn ihr wüsstet, dass ich zuHause rein gar nichts zu sagen habe!
Nach denLesungen ließ sie sich gern zum Essen einladen. Hatte nie etwas gegen einengroßen Tisch einzuwenden, scharte die Leserinnen um sich, die Buchhändlerinnen.Solange sie ihr an den Lippen hingen, solange sie die Rechnung bezahlten, warsie an diesen Abenden kaum mehr nach Hause zu bringen.
Manchmaldachte sie, sie sollte ihren Verlag anrufen. Ein paar neue Lesungenorganisieren lassen. Nur damit ihr wieder mal jemand zuhörte. Oder einenehemaligen Liebhaber, jemanden, der an ihren Lippen hing, sie nur unterbrach, umsie zu küssen. Sie hatte ein spezielles Adressbuch, ihr littleblack book, in dem siediese Männer sammelte, ganz in der Tradition großer Frauenhelden. So sah siesich gern: eine galante, aber im Wesentlichen unerschütterliche Casanova. Miteiner Rose zwischen den Zähnen. Da müsste doch jemand drinstehen. Den sieanrufen könnte. Das wäre doch gelacht. Allerdings konnte sie das Adressbuchdann nicht finden, und sie fragte sich, ob es überhaupt existierte. Oder ob siees sich doch nur ausgedacht hatte.
Wenn mirniemand zuhört, gibt es mich dann?
Susen brachihr Schweigen nach genau sieben Tagen, als das Telefon klingelte. Sie hob denHörer ab und sagte »Hallo«, automatisch, ohne nachzudenken. »Hallo.« Unddachte: Wie ungeheuer bedeutungsvoll. Ihr erstes Wort nach sieben Tagen hätteeigentlich mehr Gewicht haben sollen. Weltfrieden! Freiheit! Geht mir aus derSonne! Stattdessen sagte sie »Hallo« und das auch nur, weil sie die Nummer auf derAnzeige nicht erkannt hatte.
»Susen?«
»Belle?«
© BlessingVerlag
- Autor: Milena Moser
- 2007, 1, 250 Seiten, Maße: 14 x 22 cm, Gebunden, Deutsch
- Verlag: Blessing
- ISBN-10: 3896672177
- ISBN-13: 9783896672179
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