Männer schweigen / Sylt Bd.3
Ein Sylt-Krimi
Sonnenaufgang am Strand von Westerland. Eine rothaarige Frau sitzt reglos in einem Strandkorb. Sie ist jung, sie ist schön, sie ist tot ...
Am Westerländer Strand wird eine junge Frau tot aufgefunden. Man hat sie wie ein Kunstwerk in einem Strandkorb...
Am Westerländer Strand wird eine junge Frau tot aufgefunden. Man hat sie wie ein Kunstwerk in einem Strandkorb...
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Produktinformationen zu „Männer schweigen / Sylt Bd.3 “
Klappentext zu „Männer schweigen / Sylt Bd.3 “
Sonnenaufgang am Strand von Westerland. Eine rothaarige Frau sitzt reglos in einem Strandkorb. Sie ist jung, sie ist schön, sie ist tot ...Am Westerländer Strand wird eine junge Frau tot aufgefunden. Man hat sie wie ein Kunstwerk in einem Strandkorb drapiert. Als wenige Stunden später der angesehene Sylter Geschäftsmann Hubert Mönchinger seine Frau Marga als vermisst meldet, scheint der Fall bereits geklärt. Dem Foto nach handelt es sich bei der Toten um Marga Mönchinger. Doch als Hubert Mönchinger die Leiche identifizieren soll, stellt sich heraus, dass die Ähnlichkeit zwar groß, die Ermordete aber nicht seine Frau ist.
Marga Mönchinger bleibt verschwunden, und dem Sylter Ermittlerteam um Sven Winterberg, Silja Blanck und Bastian Kreuzer stellt sich die Frage, ob die Ereignisse zusammenhängen. Wer wusste von der Ähnlichkeit der beiden Frauen? Wo ist Marga Mönchinger jetzt? Und ist auch ihr Leben in Gefahr? Unter enormen Zeitdruck suchen die Ermittler nach einem Anhaltspunkt in beiden Fällen. Doch auf das, was sie finden, sind sie nicht im Geringsten vorbereitet ...
Der dritte Fall für die Sylter Ermittler Winterberg, Blanck und Kreuzer
Lese-Probe zu „Männer schweigen / Sylt Bd.3 “
Männer schweigen von Eva EhleyFreitag, 17. Juni, 00.15 Uhr, Lister Landstraße
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So und nicht anders stelle ich mir das Paradies vor. Die Nacht ist lau, ich kann ohne Verdeck fahren, und hätte ich mehr Haare auf dem Kopf, würde der Fahrtwind sie verwehen. Der Klassiksender im Autoradio hat ein ausführliches Mozart-Feature angekündigt, und der Musikredakteur scheint die gleichen Vorlieben zu haben wie ich. Die Landstraße vor mir ist fast leer, vielleicht sollte man häufiger nach Mitternacht unterwegs sein. Nur könnte ich das Marleen auf Dauer kaum erklären, sie ist ein eifersüchtiges Mädchen.
Ach, Marleen, wenn du wüsstest!
Ich frage mich langsam, wer überhaupt um Mitternacht von List nach Westerland fährt. Ein Fischhändler vielleicht, der es vorzieht, die Nacht in einer Westerländer Bar zu verbringen, anstatt mit seiner Angetrauten zu Hause vor dem Fernseher einzuschlafen? Morgen früh wird er verkatert ein aus dem Ruder gelaufenes Geschäftsessen vorschützen.
Ob Hubert Mönchinger auch manchmal um diese Zeit unterwegs ist? Schwer zu sagen. Wahrscheinlich nicht, er hätte es mir doch sonst erzählt. Er erzählt mir alles, von dem er glaubt, dass es wichtig ist. Und diese eine freie Nacht, die er seiner Gattin pro Woche gönnt, hält er für ungeheuer wichtig. Er schämt sich furchtbar, wenn er darüber redet, aber er tut es trotzdem immer wieder. Tapfer. Wahrscheinlich lügt er nie. Denn Hubert Mönchinger will vor sich selbst als Ehrenmann dastehen - wenigstens das.
Wenn ihn seine Frau schon für einen Versager hält.
Der arme Kerl, er spricht fast nur von ihr. Er scheint nur durch sie zu existieren, als habe sie ihn am Tag ihrer Eheschließung aufgesogen, mit ihren Tentakeln erfasst und eingekreist. Unschädlich gemacht. Dabei hat er in seinem ganzen Leben bestimmt noch niemandem geschadet.
Aber halt, Manfred, alter Junge, pass auf, sonst sitzt du gleich neben deinem Patienten in der Marga-Mönchinger- Falle. Sie hält ihn ja gerade nicht für einen Versager. Nur darum ist er zu mir gekommen, und das finde ich durchaus nachvollziehbar.
Er fühlt sich, so sagt er, wie ein Fisch, den man nur angelt, um sein angstvolles Japsen verwundert zu betrachten. Niemand will ihn anschließend braten. Im Gegenteil. Stets wird er zurück ins Wasser geworfen. Allerdings nur vermeintlich mildtätig. Denn mit dem Angler eint ihn die Gewissheit, dass er jederzeit wieder aus dem Wasser gefischt werden kann. Hat Mönchinger eigentlich von einem Angler oder einer Anglerin gesprochen? Himmel, ich werde vergesslich! Gut, dass ich meine Aufzeichnungen habe.
Was ist denn da vorn los? Sieht aus, als habe dort einer die Promille der bescheidenen drei Martinis, die ich mir genehmigt habe, erheblich überschritten. Der beansprucht doch tatsächlich die volle Straßenbreite, beide Spuren. Witzig, er fährt das gleiche Auto wie ich. Sogar die Radkappen sind identisch. Wollen doch mal sehen, ob er sich auch die Turbo- Version geleistet hat.
Da schau einer an, er hat! Aber er traut sich nicht richtig. Vielleicht liegt das an dem Mädel auf dem Beifahrersitz. Scheint eine scharfe Nummer zu sein, so wie die blonden Locken fliegen.
Hoppla, jetzt hätte der Kerl mich doch beinahe gerammt.
Ist ja gut, wollte mir doch nur deine Kleine etwas näher ansehen. Wenn der mal kein Fall für die Inselpolizei ist. Allein schon, weil man unmöglich an ihm vorbeikommt, jedenfalls, wenn man nicht in selbstmörderischer Absicht unterwegs ist. Am besten wäre es wirklich, ich würde stehen bleiben, rechts ranfahren und dann die Polizei rufen. Der Kerl ist eindeutig eine Gefahr für seine Mitmenschen.
Wenn ich nur wüsste, ob man meine Martinis noch riecht. Nicht, dass die Beamten dann auf die dumme Idee kommen, auch gleich bei mir einen Alkoholtest zu machen.
Marleen denkt ja, ich schlafe wieder mal auf der Couch in der Praxis. Dabei belüge ich das gute Kind so ungern. Aber es ging nicht anders. Oder hätte ich sagen sollen, ich wolle die Angaben eines Patienten überprüfen? Selbst Marleen hätte mich für komplett übergeschnappt gehalten. Wahrscheinlich zu Recht!
Ach, was weiß Marleen schon.
Mönchinger kommt seit mindestens zwei Monaten nicht weiter mit seiner Analyse. Natürlich war das vorauszusehen. Die beiden Mönchingers sind der klassische Fall für eine Paartherapie. Aber seine Marga will ja nicht. Behauptet er jedenfalls. Hier bin ich mir übrigens nicht ganz sicher, ob er die Wahrheit sagt. Ich kann mir nicht vorstellen, dass er sie wirklich gefragt hat.
Ich weiß noch sehr genau, wie es war, als er mir zum ersten Mal die Bilder zeigte. Dieser Stolz, mit dem Mönchinger die Fotos aus der Brieftasche zog. Die absichtlich verzögerten Bewegungen, dazu ein Gesicht wie Weihnachten unterm Tannenbaum. Als ich seine Frau dann endlich anschauen durfte, war ich zugegebenermaßen beeindruckt. Flammend rote Haare, auch zwischen den Beinen, und dann diese Figur - Junge, Junge! Warum sie ihn wohl geheiratet hat? Er meint wegen seines lukrativen Jobs, der Naivling. Ich habe dazu nichts gesagt, aber du liebe Güte, was ist schon ein Kleinunternehmer? So, wie seine Marga aussieht, hätte die doch ganz andere haben können! Selbst ohne ihre pikante Veranlagung.
Natürlich ist keinesfalls sicher, ob auch wirklich alles stimmt, was Mönchinger mir über seine Frau erzählt hat. Aber genau das werde ich heute Nacht herausfinden. Das bin ich dem Ruf schuldig, der mir in Fachkreisen vorauseilt. Instinktsicher nennen mich die Kollegen, und neidvoll wispern sie sich zu: Diesen Instinkt, den hast du, oder du hast ihn nicht. Lernen kannst du das auf keiner Uni. Aber der Pabst, der hat ihn einfach.
Und ungewöhnliche Fälle erfordern eben ungewöhnliche Methoden.
Eines steht für mich jetzt schon fest: Wenn ich mit Marga Mönchinger verheiratet wäre, würde ich sie nicht eine Nacht pro Woche allein lassen. Jedenfalls nicht freiwillig. Etwas Selbstquälerisches hat er schon, der Hubert Mönchinger, man muss sich nur ansehen, wie er sich in meinem Sessel krümmt.
Was er wohl gerade tut? In dieser, und auch in all den anderen Donnerstagnächten, die er in der kleinen Pension neben dem Flensburger Büro seiner Firma verbringt, um seiner Ehefrau ein wenig Freiraum zu lassen. Welch eigenartige Formulierung.
Ob ich wohl Marga Mönchinger mit ihrem Liebhaber antreffen werde? Ich halte jede Wette, dass sie einen hat. Mönchinger selbst glaubt das natürlich auch.
Ich weiß, dass es nicht meine Aufgabe ist, Marga Mönchingers Treue zu überprüfen. Schließlich bin ich kein Privatdetektiv. Also umkehren? Denn was soll schließlich schon bei diesem Überraschungsbesuch herauskommen?
Ich klingele, sie öffnet. Und am nächsten Tag erzählt sie die ganze Geschichte verwundert ihrem Gatten.
»Sag mal Hubert, weißt du eigentlich, wer gestern Nacht hier vor unserer Tür stand? Du wirst es nicht glauben, Manfred Pabst, dein Analytiker. Doch, doch, mein Lieber, er hat sich mir ja vorgestellt. Oder glaubst du vielleicht, ich hätte ihn sonst hereingelassen? Was denkst du eigentlich von mir? Es war schon nach Mitternacht, er hat mich aus dem Schlaf geklingelt. Warum ich überhaupt die Tür geöffnet habe? Du stellst Fragen! Aus Sorge um dich natürlich. Dir hätte etwas passiert sein können in Flensburg. Warum sonst sollte ich wohl einen wildfremden Mann nachts in unser Haus lassen? Was denkst du eigentlich von mir? Was heißt, das habe ich dich eben schon gefragt? Natürlich habe ich eben schon gefragt, was du von mir denkst, aber du antwortest mir ja nie auf diese Frage.«
Diese Frau ist ihrem Mann himmelhoch überlegen. Aber um das festzustellen, muss ich nicht durch die Nacht fahren. Das weiß ich spätestens seit Mönchinger mir von einem äußerst pikanten nächtlichen Dialog erzählt hat.
Man stelle sich Folgendes vor: Beide liegen im Bett, nackt natürlich, der Mann hat sein Bestes gegeben, ist immer noch ein wenig atemlos, aber durchaus zufrieden, und sie sagt: »Hubert, mein Guter, es ist nicht so, wie du denkst ...«
»Was meinst du, mein Schatz? Ich denke doch gar nichts.«
»Ich will nur nicht, dass du ein schlechtes Gewissen hast.«
Hubert Mönchinger hat gar kein schlechtes Gewissen, zu diesem Zeitpunkt noch nicht, das hat er mir glaubhaft versichert. Er antwortet also: »Aber meine Liebe, ich bin rundum zufrieden, du etwa nicht?«
Und seine Frau, was sagt sie darauf? Sie sagt doch glatt: »Nein, ich bin leider nicht zufrieden. Wieder einmal leider nicht zufrieden.«
»Aber warum denn nicht mein Liebes?« Als sie die Antwort schuldig bleibt, fügt Mönchinger hinzu: »Fühlst du dich irgendwie, nun, wie soll ich es sagen ... unterversorgt?«
»Unterversorgt ...« Sie lässt das Wort im Mund zergehen, es scheint ihr zu gefallen, und während ihr dieses Wort so sichtbar gefällt, keimt in ihrem Mann der Verdacht, dass er soeben eine höchst gefährliche Vorlage geliefert hat. Mit bangem Blick beobachtet er seine Frau und sieht, wie sie einen Entschluss fasst. Scheinbar unkonzentriert murmelt sie: »Ach was, unterversorgt.«
Hubert Mönchinger atmet auf, völlig zu Unrecht, wie sich gleich herausstellen wird, denn sie redet weiter.
»Ich bin nicht unterversorgt, Hubert, ich bin einfach überbedürftig.«
»Überbedürftig ...« Jetzt ist es an ihm, das Wort bedachtsam hin und her zu wenden.
Doch seine Frau lässt ihn nicht. »Bitte mach dir keine Sorgen, Hubert. Die Schuld liegt ganz auf meiner Seite. Und ich werde schon irgendwie damit fertig.«
Was antwortet man auf so eine Bemerkung? Ich weiß es genauso wenig, wie Hubert Mönchinger es gewusst hat. Immerhin rang er sich ein »Das ist bestimmt nicht einfach für dich« ab. Denn langsam begriff er, worauf sie anspielte.
Im Grunde genommen finde ich diese Replik ganz angemessen. Wenn sie nur nicht so dämlich klingen würde. Das fand wohl auch die rote Marga. Denn anstatt ihn zu trösten, sein Ego zu streicheln, ihre Worte zu relativieren, legt sie nach.
»Nein, natürlich ist es nicht einfach für mich. Das habe ich auch nicht behauptet. Aber weißt du, ich schaffe es schon.«
»Kann ich dir denn gar nicht dabei helfen, Marga?«
Da faucht sie ihn an: »Was sagst du? Helfen? Du willst mir helfen? Ach du liebe Güte, wie willst du mir denn helfen?«
Fehlt nur noch, dass sie hinzufügt: Ausgerechnet du! Aber das tut sie nicht. Das tut sie gerade nicht. Das ist eben das Perfide an Marga Mönchinger. Sie wirft den Fisch Hubert wieder ins Wasser. Und er darf seine Wunden pflegen, bis er das nächste Mal geangelt wird. Und ich, Manfred Pabst, bin derweil sein Wundarzt. Natürlich. Ich Trottel. Woche für Woche fange ich wieder von vorn an, bekomme den Ursprung des Übels aber nicht zu packen, denn er liegt nicht bei Hubert Mönchinger. Da kann ich suchen, bis ich schwarz werde. Nein, nein, Marga ist es, die die Fäden zieht.
Und darum ist es gut, dass ich sie mir einmal ansehe. Ungewöhnliche Fälle erfordern eben ungewöhnliche Methoden. So einfach ist das.
Wenn ich nur nicht so hundemüde wäre. Hätte ich doch bloß einen der Martinis durch einen Kaffee ersetzt, oder am besten gleich alle drei. Aber hinterher ist man immer schlauer. Und ohne die drei Martinis wäre ich vielleicht gar nicht erst losgefahren.
Wunderschön, dieses Klavierkonzert, geht mir richtig ins Blut, die Melodie. Und links und rechts. Beide Spuren völlig leer. Komisch, ich hab gar nicht gesehen, wo der Alkoholiker vor mir abgeblieben ist. Wahrscheinlich nach Kampen gefahren, erst einen Absacker in der Whiskystraße nehmen und anschließend seine schnucklige Beifahrerin auf dem Rücksitz poppen. Warum auch nicht. Und links und rechts. Da ist wieder dieses Motiv, diesmal bei den Streichern. Mist, das war aber knapp! So ein Ortsschild ganz aus der Nähe sieht nicht gerade einladend aus. Ach, diese Streicher. Und links und rechts.
Ich bin nicht unterversorgt, ich bin überbedürftig. Mit diesem Ausspruch seiner Gattin geht Mönchinger jetzt durchs Leben. Den Satz nimmt ihm keiner ab. Auch kein Analytiker. Ein Teufelsweib ist das. Ob sie wohl noch wach ist? Angeblich trinkt sie überhaupt keinen Alkohol.
Das würde alles noch viel schlimmer machen, Hubert.
Noch so ein Satz.
Was hat er sich bloß von dem Alkohol versprochen? Willig ist sie doch ohnehin. Daran jedenfalls hat Mönchinger nie einen Zweifel gelassen.
»Eine Nymphomanin, Herr Pabst.«
»Das gibt es nicht, Herr Mönchinger.«
»Doch, Herr Pabst, das gibt es. Sie kennen eben meine Frau nicht.«
Was sollte ich dazu sagen? Ich kannte eben seine Frau nicht.
Aber jetzt, in schätzungsweise fünf Minuten, wird sich das ändern. Die Ortseinfahrt von Westerland habe ich gerade passiert, jetzt muss ich nur noch nach links durch diese langweilige Backsteinsiedlung. Irgendwo dort wohnen die Mönchingers.
Ich stelle den Wagen lieber ein Stück entfernt ab, ein paar Schritte durch die klare Luft können mich nur beruhigen.
Ein schönes Haus, geschmackvoll. Und ein schöner Vorgarten. Ob die rote Marga wohl auch mit dem Gärtner ...?
Manfred, alter Junge, jetzt halt dich aber zurück!
Sie macht nicht auf. Es sind auch alle Fenster dunkel. Also Sturmklingeln? Oder doch aufgeben? Halt, da scheint plötzlich etwas durch das Glas der Tür. Das Treppenlicht? Jetzt entriegelt jemand das Schloss.
»Wer ist da?«
Ihre Stimme ist schon mal eine Enttäuschung.
»Mein Name ist Manfred Pabst, gnädige Frau. Ich bin Hubert Mönchingers Analytiker. Ich weiß, dass er Ihnen von mir erzählt hat.«
»Bitte? Ich kann Sie so schlecht verstehen.«
Na dann mach doch endlich auf!
Langsam, ganz langsam öffnet sich die Tür. Nur einen Spalt weit, Marga Mönchinger hat immer noch die Kette vorgelegt. Aber sie tritt so in den Spalt, dass ich sie sehen kann. Heiliger Strohsack!
»Sind Sie Frau Mönchinger?«, frage ich fassungslos.
»Ja. Natürlich. Wer sind Sie? Und was wollen Sie hier um diese Zeit? Ist Hubert etwas geschehen?«
Sie trägt ein Blümchennachthemd. Baumwollflanell in einem unsäglichen Gelb mit etwa 2000 Streublümchen darauf und mit einer Rüsche rund um den Busen. Leider hat das Nachthemd keinen eingearbeiteten Büstenhalter. Und von roten Haaren kann schon überhaupt nicht die Rede sein. Verschwitzt kleben mausgraue Fäden an ihrem Kopf, der klein ist wie bei einem unterernährten Vögelchen. Wenn ich an die Mähne von der Rothaarigen auf dem Foto denke, wird mir ganz anders. Die Frau, die hier vor mir steht und behauptet, Marga Mönchinger zu sein, hat höchstens im Vergleich mit mir selbst eine Mähne auf dem Kopf. Jetzt zupft sie auch noch nervös an ihren Haaren herum. Ihre Stimme wird ganz zittrig vor Angst.
»Bitte sagen Sie doch etwas! Sie stehen doch nicht ohne Grund hier. O mein Gott ...«
»Nein, nein, gnädige Frau, beruhigen Sie sich, es ist überhaupt nichts geschehen. Gar nichts. Ich wollte nur ...«
Ach verdammt, ist das peinlich!
Ich nestele an meinem Jackett, um nicht weiter in dieses Gesicht sehen zu müssen. Natürlich sehen wir alle etwas zerknautscht aus, wenn man uns mitten in der Nacht aus dem Schlaf reißt. Aber doch nicht so zerknautscht. Diese faltigen Augen, dieser verkniffene Mund.
»Ist Ihnen nicht gut? Mein Gott, ich stehe hier und rede. Sie sind ja ganz blass! Warten Sie ...«
Die Frau im Blümchennachthemd nestelt an der Türkette.
»Bitte bemühen Sie sich nicht, Frau Mönchinger, es geht schon besser. Ein kleiner Schwächeanfall, offenbar. Wissen Sie, ich kenne niemanden in Westerland, und in meiner Not kam mir Ihre Adresse in den Sinn. Es war natürlich ganz unverzeihlich von mir, Sie einfach so mitten in der Nacht aus dem Bett zu klingeln. Bitte entschuldigen Sie vielmals, aber ich dachte ...«
Jetzt hat sie die Kette aus dem Schloss gefummelt und winkt mich mit besorgter Miene ins Haus.
»Wirklich, Frau Mönchinger, es geht mir erheblich besser! Ich bitte Sie inständig: Nur keine Umstände! Es ist mir furchtbar unangenehm, Sie überhaupt gestört zu haben.«
Irgendwie schaffe ich es, wieder ins Auto zu kommen.
Mein Kopf ist leer. In einem wahrhaft erschreckenden Ausmaß leer. Ich wende und fahre ziellos durch die Straßen. Nur hin und wieder sehe ich auf die Uhr. Ordne meine Gedanken.
© S. Fischer Verlag GmbH, Frankfurt am Main
So und nicht anders stelle ich mir das Paradies vor. Die Nacht ist lau, ich kann ohne Verdeck fahren, und hätte ich mehr Haare auf dem Kopf, würde der Fahrtwind sie verwehen. Der Klassiksender im Autoradio hat ein ausführliches Mozart-Feature angekündigt, und der Musikredakteur scheint die gleichen Vorlieben zu haben wie ich. Die Landstraße vor mir ist fast leer, vielleicht sollte man häufiger nach Mitternacht unterwegs sein. Nur könnte ich das Marleen auf Dauer kaum erklären, sie ist ein eifersüchtiges Mädchen.
Ach, Marleen, wenn du wüsstest!
Ich frage mich langsam, wer überhaupt um Mitternacht von List nach Westerland fährt. Ein Fischhändler vielleicht, der es vorzieht, die Nacht in einer Westerländer Bar zu verbringen, anstatt mit seiner Angetrauten zu Hause vor dem Fernseher einzuschlafen? Morgen früh wird er verkatert ein aus dem Ruder gelaufenes Geschäftsessen vorschützen.
Ob Hubert Mönchinger auch manchmal um diese Zeit unterwegs ist? Schwer zu sagen. Wahrscheinlich nicht, er hätte es mir doch sonst erzählt. Er erzählt mir alles, von dem er glaubt, dass es wichtig ist. Und diese eine freie Nacht, die er seiner Gattin pro Woche gönnt, hält er für ungeheuer wichtig. Er schämt sich furchtbar, wenn er darüber redet, aber er tut es trotzdem immer wieder. Tapfer. Wahrscheinlich lügt er nie. Denn Hubert Mönchinger will vor sich selbst als Ehrenmann dastehen - wenigstens das.
Wenn ihn seine Frau schon für einen Versager hält.
Der arme Kerl, er spricht fast nur von ihr. Er scheint nur durch sie zu existieren, als habe sie ihn am Tag ihrer Eheschließung aufgesogen, mit ihren Tentakeln erfasst und eingekreist. Unschädlich gemacht. Dabei hat er in seinem ganzen Leben bestimmt noch niemandem geschadet.
Aber halt, Manfred, alter Junge, pass auf, sonst sitzt du gleich neben deinem Patienten in der Marga-Mönchinger- Falle. Sie hält ihn ja gerade nicht für einen Versager. Nur darum ist er zu mir gekommen, und das finde ich durchaus nachvollziehbar.
Er fühlt sich, so sagt er, wie ein Fisch, den man nur angelt, um sein angstvolles Japsen verwundert zu betrachten. Niemand will ihn anschließend braten. Im Gegenteil. Stets wird er zurück ins Wasser geworfen. Allerdings nur vermeintlich mildtätig. Denn mit dem Angler eint ihn die Gewissheit, dass er jederzeit wieder aus dem Wasser gefischt werden kann. Hat Mönchinger eigentlich von einem Angler oder einer Anglerin gesprochen? Himmel, ich werde vergesslich! Gut, dass ich meine Aufzeichnungen habe.
Was ist denn da vorn los? Sieht aus, als habe dort einer die Promille der bescheidenen drei Martinis, die ich mir genehmigt habe, erheblich überschritten. Der beansprucht doch tatsächlich die volle Straßenbreite, beide Spuren. Witzig, er fährt das gleiche Auto wie ich. Sogar die Radkappen sind identisch. Wollen doch mal sehen, ob er sich auch die Turbo- Version geleistet hat.
Da schau einer an, er hat! Aber er traut sich nicht richtig. Vielleicht liegt das an dem Mädel auf dem Beifahrersitz. Scheint eine scharfe Nummer zu sein, so wie die blonden Locken fliegen.
Hoppla, jetzt hätte der Kerl mich doch beinahe gerammt.
Ist ja gut, wollte mir doch nur deine Kleine etwas näher ansehen. Wenn der mal kein Fall für die Inselpolizei ist. Allein schon, weil man unmöglich an ihm vorbeikommt, jedenfalls, wenn man nicht in selbstmörderischer Absicht unterwegs ist. Am besten wäre es wirklich, ich würde stehen bleiben, rechts ranfahren und dann die Polizei rufen. Der Kerl ist eindeutig eine Gefahr für seine Mitmenschen.
Wenn ich nur wüsste, ob man meine Martinis noch riecht. Nicht, dass die Beamten dann auf die dumme Idee kommen, auch gleich bei mir einen Alkoholtest zu machen.
Marleen denkt ja, ich schlafe wieder mal auf der Couch in der Praxis. Dabei belüge ich das gute Kind so ungern. Aber es ging nicht anders. Oder hätte ich sagen sollen, ich wolle die Angaben eines Patienten überprüfen? Selbst Marleen hätte mich für komplett übergeschnappt gehalten. Wahrscheinlich zu Recht!
Ach, was weiß Marleen schon.
Mönchinger kommt seit mindestens zwei Monaten nicht weiter mit seiner Analyse. Natürlich war das vorauszusehen. Die beiden Mönchingers sind der klassische Fall für eine Paartherapie. Aber seine Marga will ja nicht. Behauptet er jedenfalls. Hier bin ich mir übrigens nicht ganz sicher, ob er die Wahrheit sagt. Ich kann mir nicht vorstellen, dass er sie wirklich gefragt hat.
Ich weiß noch sehr genau, wie es war, als er mir zum ersten Mal die Bilder zeigte. Dieser Stolz, mit dem Mönchinger die Fotos aus der Brieftasche zog. Die absichtlich verzögerten Bewegungen, dazu ein Gesicht wie Weihnachten unterm Tannenbaum. Als ich seine Frau dann endlich anschauen durfte, war ich zugegebenermaßen beeindruckt. Flammend rote Haare, auch zwischen den Beinen, und dann diese Figur - Junge, Junge! Warum sie ihn wohl geheiratet hat? Er meint wegen seines lukrativen Jobs, der Naivling. Ich habe dazu nichts gesagt, aber du liebe Güte, was ist schon ein Kleinunternehmer? So, wie seine Marga aussieht, hätte die doch ganz andere haben können! Selbst ohne ihre pikante Veranlagung.
Natürlich ist keinesfalls sicher, ob auch wirklich alles stimmt, was Mönchinger mir über seine Frau erzählt hat. Aber genau das werde ich heute Nacht herausfinden. Das bin ich dem Ruf schuldig, der mir in Fachkreisen vorauseilt. Instinktsicher nennen mich die Kollegen, und neidvoll wispern sie sich zu: Diesen Instinkt, den hast du, oder du hast ihn nicht. Lernen kannst du das auf keiner Uni. Aber der Pabst, der hat ihn einfach.
Und ungewöhnliche Fälle erfordern eben ungewöhnliche Methoden.
Eines steht für mich jetzt schon fest: Wenn ich mit Marga Mönchinger verheiratet wäre, würde ich sie nicht eine Nacht pro Woche allein lassen. Jedenfalls nicht freiwillig. Etwas Selbstquälerisches hat er schon, der Hubert Mönchinger, man muss sich nur ansehen, wie er sich in meinem Sessel krümmt.
Was er wohl gerade tut? In dieser, und auch in all den anderen Donnerstagnächten, die er in der kleinen Pension neben dem Flensburger Büro seiner Firma verbringt, um seiner Ehefrau ein wenig Freiraum zu lassen. Welch eigenartige Formulierung.
Ob ich wohl Marga Mönchinger mit ihrem Liebhaber antreffen werde? Ich halte jede Wette, dass sie einen hat. Mönchinger selbst glaubt das natürlich auch.
Ich weiß, dass es nicht meine Aufgabe ist, Marga Mönchingers Treue zu überprüfen. Schließlich bin ich kein Privatdetektiv. Also umkehren? Denn was soll schließlich schon bei diesem Überraschungsbesuch herauskommen?
Ich klingele, sie öffnet. Und am nächsten Tag erzählt sie die ganze Geschichte verwundert ihrem Gatten.
»Sag mal Hubert, weißt du eigentlich, wer gestern Nacht hier vor unserer Tür stand? Du wirst es nicht glauben, Manfred Pabst, dein Analytiker. Doch, doch, mein Lieber, er hat sich mir ja vorgestellt. Oder glaubst du vielleicht, ich hätte ihn sonst hereingelassen? Was denkst du eigentlich von mir? Es war schon nach Mitternacht, er hat mich aus dem Schlaf geklingelt. Warum ich überhaupt die Tür geöffnet habe? Du stellst Fragen! Aus Sorge um dich natürlich. Dir hätte etwas passiert sein können in Flensburg. Warum sonst sollte ich wohl einen wildfremden Mann nachts in unser Haus lassen? Was denkst du eigentlich von mir? Was heißt, das habe ich dich eben schon gefragt? Natürlich habe ich eben schon gefragt, was du von mir denkst, aber du antwortest mir ja nie auf diese Frage.«
Diese Frau ist ihrem Mann himmelhoch überlegen. Aber um das festzustellen, muss ich nicht durch die Nacht fahren. Das weiß ich spätestens seit Mönchinger mir von einem äußerst pikanten nächtlichen Dialog erzählt hat.
Man stelle sich Folgendes vor: Beide liegen im Bett, nackt natürlich, der Mann hat sein Bestes gegeben, ist immer noch ein wenig atemlos, aber durchaus zufrieden, und sie sagt: »Hubert, mein Guter, es ist nicht so, wie du denkst ...«
»Was meinst du, mein Schatz? Ich denke doch gar nichts.«
»Ich will nur nicht, dass du ein schlechtes Gewissen hast.«
Hubert Mönchinger hat gar kein schlechtes Gewissen, zu diesem Zeitpunkt noch nicht, das hat er mir glaubhaft versichert. Er antwortet also: »Aber meine Liebe, ich bin rundum zufrieden, du etwa nicht?«
Und seine Frau, was sagt sie darauf? Sie sagt doch glatt: »Nein, ich bin leider nicht zufrieden. Wieder einmal leider nicht zufrieden.«
»Aber warum denn nicht mein Liebes?« Als sie die Antwort schuldig bleibt, fügt Mönchinger hinzu: »Fühlst du dich irgendwie, nun, wie soll ich es sagen ... unterversorgt?«
»Unterversorgt ...« Sie lässt das Wort im Mund zergehen, es scheint ihr zu gefallen, und während ihr dieses Wort so sichtbar gefällt, keimt in ihrem Mann der Verdacht, dass er soeben eine höchst gefährliche Vorlage geliefert hat. Mit bangem Blick beobachtet er seine Frau und sieht, wie sie einen Entschluss fasst. Scheinbar unkonzentriert murmelt sie: »Ach was, unterversorgt.«
Hubert Mönchinger atmet auf, völlig zu Unrecht, wie sich gleich herausstellen wird, denn sie redet weiter.
»Ich bin nicht unterversorgt, Hubert, ich bin einfach überbedürftig.«
»Überbedürftig ...« Jetzt ist es an ihm, das Wort bedachtsam hin und her zu wenden.
Doch seine Frau lässt ihn nicht. »Bitte mach dir keine Sorgen, Hubert. Die Schuld liegt ganz auf meiner Seite. Und ich werde schon irgendwie damit fertig.«
Was antwortet man auf so eine Bemerkung? Ich weiß es genauso wenig, wie Hubert Mönchinger es gewusst hat. Immerhin rang er sich ein »Das ist bestimmt nicht einfach für dich« ab. Denn langsam begriff er, worauf sie anspielte.
Im Grunde genommen finde ich diese Replik ganz angemessen. Wenn sie nur nicht so dämlich klingen würde. Das fand wohl auch die rote Marga. Denn anstatt ihn zu trösten, sein Ego zu streicheln, ihre Worte zu relativieren, legt sie nach.
»Nein, natürlich ist es nicht einfach für mich. Das habe ich auch nicht behauptet. Aber weißt du, ich schaffe es schon.«
»Kann ich dir denn gar nicht dabei helfen, Marga?«
Da faucht sie ihn an: »Was sagst du? Helfen? Du willst mir helfen? Ach du liebe Güte, wie willst du mir denn helfen?«
Fehlt nur noch, dass sie hinzufügt: Ausgerechnet du! Aber das tut sie nicht. Das tut sie gerade nicht. Das ist eben das Perfide an Marga Mönchinger. Sie wirft den Fisch Hubert wieder ins Wasser. Und er darf seine Wunden pflegen, bis er das nächste Mal geangelt wird. Und ich, Manfred Pabst, bin derweil sein Wundarzt. Natürlich. Ich Trottel. Woche für Woche fange ich wieder von vorn an, bekomme den Ursprung des Übels aber nicht zu packen, denn er liegt nicht bei Hubert Mönchinger. Da kann ich suchen, bis ich schwarz werde. Nein, nein, Marga ist es, die die Fäden zieht.
Und darum ist es gut, dass ich sie mir einmal ansehe. Ungewöhnliche Fälle erfordern eben ungewöhnliche Methoden. So einfach ist das.
Wenn ich nur nicht so hundemüde wäre. Hätte ich doch bloß einen der Martinis durch einen Kaffee ersetzt, oder am besten gleich alle drei. Aber hinterher ist man immer schlauer. Und ohne die drei Martinis wäre ich vielleicht gar nicht erst losgefahren.
Wunderschön, dieses Klavierkonzert, geht mir richtig ins Blut, die Melodie. Und links und rechts. Beide Spuren völlig leer. Komisch, ich hab gar nicht gesehen, wo der Alkoholiker vor mir abgeblieben ist. Wahrscheinlich nach Kampen gefahren, erst einen Absacker in der Whiskystraße nehmen und anschließend seine schnucklige Beifahrerin auf dem Rücksitz poppen. Warum auch nicht. Und links und rechts. Da ist wieder dieses Motiv, diesmal bei den Streichern. Mist, das war aber knapp! So ein Ortsschild ganz aus der Nähe sieht nicht gerade einladend aus. Ach, diese Streicher. Und links und rechts.
Ich bin nicht unterversorgt, ich bin überbedürftig. Mit diesem Ausspruch seiner Gattin geht Mönchinger jetzt durchs Leben. Den Satz nimmt ihm keiner ab. Auch kein Analytiker. Ein Teufelsweib ist das. Ob sie wohl noch wach ist? Angeblich trinkt sie überhaupt keinen Alkohol.
Das würde alles noch viel schlimmer machen, Hubert.
Noch so ein Satz.
Was hat er sich bloß von dem Alkohol versprochen? Willig ist sie doch ohnehin. Daran jedenfalls hat Mönchinger nie einen Zweifel gelassen.
»Eine Nymphomanin, Herr Pabst.«
»Das gibt es nicht, Herr Mönchinger.«
»Doch, Herr Pabst, das gibt es. Sie kennen eben meine Frau nicht.«
Was sollte ich dazu sagen? Ich kannte eben seine Frau nicht.
Aber jetzt, in schätzungsweise fünf Minuten, wird sich das ändern. Die Ortseinfahrt von Westerland habe ich gerade passiert, jetzt muss ich nur noch nach links durch diese langweilige Backsteinsiedlung. Irgendwo dort wohnen die Mönchingers.
Ich stelle den Wagen lieber ein Stück entfernt ab, ein paar Schritte durch die klare Luft können mich nur beruhigen.
Ein schönes Haus, geschmackvoll. Und ein schöner Vorgarten. Ob die rote Marga wohl auch mit dem Gärtner ...?
Manfred, alter Junge, jetzt halt dich aber zurück!
Sie macht nicht auf. Es sind auch alle Fenster dunkel. Also Sturmklingeln? Oder doch aufgeben? Halt, da scheint plötzlich etwas durch das Glas der Tür. Das Treppenlicht? Jetzt entriegelt jemand das Schloss.
»Wer ist da?«
Ihre Stimme ist schon mal eine Enttäuschung.
»Mein Name ist Manfred Pabst, gnädige Frau. Ich bin Hubert Mönchingers Analytiker. Ich weiß, dass er Ihnen von mir erzählt hat.«
»Bitte? Ich kann Sie so schlecht verstehen.«
Na dann mach doch endlich auf!
Langsam, ganz langsam öffnet sich die Tür. Nur einen Spalt weit, Marga Mönchinger hat immer noch die Kette vorgelegt. Aber sie tritt so in den Spalt, dass ich sie sehen kann. Heiliger Strohsack!
»Sind Sie Frau Mönchinger?«, frage ich fassungslos.
»Ja. Natürlich. Wer sind Sie? Und was wollen Sie hier um diese Zeit? Ist Hubert etwas geschehen?«
Sie trägt ein Blümchennachthemd. Baumwollflanell in einem unsäglichen Gelb mit etwa 2000 Streublümchen darauf und mit einer Rüsche rund um den Busen. Leider hat das Nachthemd keinen eingearbeiteten Büstenhalter. Und von roten Haaren kann schon überhaupt nicht die Rede sein. Verschwitzt kleben mausgraue Fäden an ihrem Kopf, der klein ist wie bei einem unterernährten Vögelchen. Wenn ich an die Mähne von der Rothaarigen auf dem Foto denke, wird mir ganz anders. Die Frau, die hier vor mir steht und behauptet, Marga Mönchinger zu sein, hat höchstens im Vergleich mit mir selbst eine Mähne auf dem Kopf. Jetzt zupft sie auch noch nervös an ihren Haaren herum. Ihre Stimme wird ganz zittrig vor Angst.
»Bitte sagen Sie doch etwas! Sie stehen doch nicht ohne Grund hier. O mein Gott ...«
»Nein, nein, gnädige Frau, beruhigen Sie sich, es ist überhaupt nichts geschehen. Gar nichts. Ich wollte nur ...«
Ach verdammt, ist das peinlich!
Ich nestele an meinem Jackett, um nicht weiter in dieses Gesicht sehen zu müssen. Natürlich sehen wir alle etwas zerknautscht aus, wenn man uns mitten in der Nacht aus dem Schlaf reißt. Aber doch nicht so zerknautscht. Diese faltigen Augen, dieser verkniffene Mund.
»Ist Ihnen nicht gut? Mein Gott, ich stehe hier und rede. Sie sind ja ganz blass! Warten Sie ...«
Die Frau im Blümchennachthemd nestelt an der Türkette.
»Bitte bemühen Sie sich nicht, Frau Mönchinger, es geht schon besser. Ein kleiner Schwächeanfall, offenbar. Wissen Sie, ich kenne niemanden in Westerland, und in meiner Not kam mir Ihre Adresse in den Sinn. Es war natürlich ganz unverzeihlich von mir, Sie einfach so mitten in der Nacht aus dem Bett zu klingeln. Bitte entschuldigen Sie vielmals, aber ich dachte ...«
Jetzt hat sie die Kette aus dem Schloss gefummelt und winkt mich mit besorgter Miene ins Haus.
»Wirklich, Frau Mönchinger, es geht mir erheblich besser! Ich bitte Sie inständig: Nur keine Umstände! Es ist mir furchtbar unangenehm, Sie überhaupt gestört zu haben.«
Irgendwie schaffe ich es, wieder ins Auto zu kommen.
Mein Kopf ist leer. In einem wahrhaft erschreckenden Ausmaß leer. Ich wende und fahre ziellos durch die Straßen. Nur hin und wieder sehe ich auf die Uhr. Ordne meine Gedanken.
© S. Fischer Verlag GmbH, Frankfurt am Main
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Autoren-Porträt von Eva Ehley
Eva Ehley studierte Literaturwissenschaften und Mathematik und arbeitete als Lehrerin. In ihren Texten erzählt sie allerdings von Dingen, über die man in der Schule nichts lernt. Hier werden Neurotiker leicht zu Mördern, während Egoisten unter Umständen ein Helfersyndrom entwickeln. Eva Ehleys Sylt-Krimis sind klassische Whodunnits mit Tendenz zum Psychothriller. Und sie sind nicht nur an der Nordsee Kult. Ehleys Texte wurden vielfach preisgekrönt u.a. mit dem Agatha-Christie-Krimipreis. Die Autorin lebt in Berlin. Sie ist verheiratet und hat zwei erwachsene Söhne.
Bibliographische Angaben
- Autor: Eva Ehley
- 2013, 4. Aufl., 400 Seiten, Maße: 12,3 x 19 cm, Taschenbuch, Deutsch
- Verlag: FISCHER Taschenbuch
- ISBN-10: 3596189292
- ISBN-13: 9783596189298
- Erscheinungsdatum: 19.03.2013
Rezension zu „Männer schweigen / Sylt Bd.3 “
Man muss keineswegs 'reif für die Insel' sein, um an Eva Ehleys drittem Sylt-Krimi 'Männer schweigen' Gefallen zu finden. Kai U. Jürgens Kieler Nachrichten 20130626
Pressezitat
Man muss keineswegs 'reif für die Insel' sein, um an Eva Ehleys drittem Sylt-Krimi 'Männer schweigen' Gefallen zu finden. Kai U. Jürgens Kieler Nachrichten 20130626
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