Tödliches Lachen
Kommissarin Julia Durant ist eigentlich glücklich, denn sie ist frisch verliebt. Doch ihr Beruf holt sie auf den knallharten Boden der Realität zurück: Sie bekommt ein Foto zugeschickt, auf dem eine ermordete Frau zu sehen ist. Kurz darauf...
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Kommissarin Julia Durant ist eigentlich glücklich, denn sie ist frisch verliebt. Doch ihr Beruf holt sie auf den knallharten Boden der Realität zurück: Sie bekommt ein Foto zugeschickt, auf dem eine ermordete Frau zu sehen ist. Kurz darauf wird die Leiche gefunden, an der Wand hinter ihr steht mit Blut geschrieben: "Huren sterben einsam". Als das nächste Foto bei Julia eintrifft und die zweite Tote gefunden wird, ist der Kommissarin klar, dass sie es mit einem brutalen Serienmörder zu tun hat. Doch sie bemerkt nicht, wie nah er schon an sie herangerückt ist.
LESEPROBE
Mike war um kurz nach zwei nach Hause gekommen und hatte sich eine Packung Spaghetti gemacht, ein Fertiggericht, das sich schnell zubereiten ließ und keine Kochkünste erforderte. Sechs Stunden Schule hatten ihre Spuren hinterlassen, vor allem die Lateinarbeit, die er sicher nicht schlecht geschrieben hatte, aber dennoch hasste er dieses Fach, denn er fragte sich, wozu er diese Sprache später einmal brauchen würde. Doch sein Vater und auch sein Großvater hatten ihn geradezu gedrängt, es statt Französisch als zweite Fremdsprache zu wählen, obwohl ihm Französisch, das etwas Sanftes, Beschwingtes und Sinnliches hatte, viel besser gefiel. Außerdem hatte Mike ein konkretes Ziel vor Augen - er wollte Mathematiker oder Physiker werden. Schon jetzt war er in diesen Fächern seinen Mitschülern um Lichtjahre voraus, konnte Aufgaben lösen, vor denen selbst die besten Abiturienten, die meisten Studenten und sogar einige Professoren kapitulierten. Und es war erst ein halbes Jahr her, als er einen internationalen Mathematik-Wettbewerb für Schüler und Studenten gewann.
Noch maximal zwei Jahre, dann war der Schulstress vorbei, aber im Moment dachte Mike nur an heute und den restlichen Tag mit noch einer halben, höchstens einer Stunde Hausaufgaben, die er jedoch erst später, irgendwann gegen Abend, erledigen würde. Sein Vater war noch in der Firma, und die Putzfrau hatte wie immer das Haus um Punkt eins verlassen. Sie kam zweimal in der Woche, um sauber zu machen, eine junge Spanierin, die nur gebrochen Deutsch sprach, aber ihre Arbeit hervorragend erledigte. Er mochte sie, auch wenn er sie nicht oft sah und lediglich von ihr wusste, dass sie verheiratet war und zwei Kinder hatte.
Mike ging mit dem Teller auf sein Zimmer, setzte sich an den Schreibtisch und las beim Essen ein Asterix-Heft.
Ein paarmal musste er schmunzeln, und er war gerade bei der letzten Gabel, als das Telefon klingelte. Großmutter.
Sie fragte ihn wie jeden Tag, wie es ihm gehe, wie die Schule gewesen sei. Das Übliche. Mike antwortete brav und beendete das Gespräch nach wenigen Sätzen. Er legte sich aufs Bett und machte den Fernseher an, verschränkte die Arme hinter dem Kopf und starrte an die Decke, während im Hintergrund eine billige Talkshow lief.
Sein Blick ging nach einer Weile zur Wand, wo ein großes Foto seiner Mutter hing. Zehn Jahre waren seit ihrem Tod vergangen, die Erinnerung an sie war vollständig verblasst.
Das Einzige, was ihm geblieben war, war dieses Foto, das in einem großen Rahmen über seinem Schreibtisch hing. Er betrachtete sie lange - eine schöne Frau, mit fast mystischen und doch auf seltsame Weise traurigen Augen, die ihn ansahen, als wollten sie ihm etwas mitteilen.
Manchmal meinte er, dass sie ihm sagen wollte, wie traurig sie sei, ihn allein mit dem Vater zurückgelassen zu haben.
Von einem Tag auf den andern war sie verschwunden, daran konnte er sich noch vage erinnern, und irgendwann hatte ihm sein Vater auf seine ständigen Fragen hin, wo Mama sei, geantwortet, sie sei jetzt oben im Himmel. Er war auch noch nie an ihrem Grab gewesen, denn sein Vater hatte erst vor kurzem gesagt, sie habe eine Seebestattung gewollt, doch das solle er niemandem erzählen, nur er wisse davon und seine Eltern.
Also liegt deine Asche jetzt irgendwo im Meer verteilt, dachte Mike und lächelte der hübschen jungen Frau zu. Er hatte seinen Vater gefragt, woran sie gestorben sei, worauf dieser antwortete, sie habe einen Unfall gehabt. Jedes Mal, wenn er das Gespräch auf seine Mutter brachte, wurde sein Vater kurz angebunden und bisweilen auch unwirsch, einmal hatte er Mike sogar angebrüllt und gesagt, das sei alles lange her und er solle sich auf sein eigenes Leben konzentrieren.
Mike setzte sich nach einer halben Stunde auf, fuhr sich ein paarmal durch das kurz geschnittene Haar, schob die Brille zurecht, die er seit seiner frühesten Kindheit tragen musste, und überlegte, was er tun konnte.
Er war gestern fünfzehn geworden, und sein Vater hatte gemeint, er sei nun auf dem besten Weg, ein richtiger Mann zu werden. Die Feier sollte in drei Tagen am Samstag stattfinden, im kleinen Kreis, Großeltern, Vater, sein Onkel und seine Tante und vielleicht zwei Mitschüler, die auch nichts weiter als das waren, denn Mike hatte keine Freunde. Dafür gab es mehrere Gründe. Er interessierte sich nicht für Sport, während fast alle Jungs und auch etliche Mädchen in seiner Klasse auf Fußball standen, und er ging auch nicht gerne in die Disco oder machte all die andern Sachen mit, die Jungs in seinem Alter eben so machten. Selbst Mädchen waren für ihn noch kein wirkliches Thema, auch wenn es ein paar in seiner Klasse gab, die ihn schon interessiert hätten. Aber sie waren für ihn unerreichbar, hatten alle schon feste Freunde, coole Jungs mit Mopeds, Motorrädern oder gar Autos. Sie waren außerdem alle mindestens ein, manche sogar zwei oder drei Jahre älter, und er wurde von ihnen gar nicht wahrgenommen, es sei denn, eine von ihnen hatte Probleme in einem der naturwissenschaftlichen Fächer und brauchte dringend Nachhilfe. Aber für die meisten in seiner Klasse war er ein Streber, einer, mit dem man sich nicht abgab.
Nur ein Mädchen unterschied sich vom Rest. Auch sie war hübsch, sehr hübsch sogar, und sie war überaus intelligent, wie er fand, und auch sie schwamm nicht mit dem Strom. Sie war eben anders, sie war besonders.
Louise war ein Einzelkind wie Mike. Der Vater hatte sich kurz nach ihrer Geburt aus dem Staub gemacht, und nun lebte sie allein mit ihrer Mutter in einem Reihenhaus am Stadtrand von Düsseldorf, nur wenige Minuten von ihm entfernt. Sie war schon einige Male bei ihm zu Hause gewesen, sie hatten sich unterhalten und festgestellt, dass es niemanden sonst gab, mit dem sie über Themen sprechen konnten, die für das Gros der anderen Jugendlichen langweilig waren. Sie war siebzehn, fast so groß wie er und hatte etwas, das ihn magisch anzog. Doch er traute sich nicht, ihr seine Gefühle zu zeigen, denn schließlich lagen zwei Jahre zwischen ihnen.
Dennoch träumte er immer wieder von ihr, wenn er wie jetzt allein in seinem Zimmer war und keiner ihn störte.
Sie gingen fast jeden Tag gemeinsam zur Schule, sie telefonierten recht häufig miteinander - aber sie hatten sich noch nie berührt. Er hätte sie gerne einmal angefasst, einfach um zu spüren, wie sie sich anfühlte, ihre Haut, ihre Hände, wie ihr Haar duftete. Er träumte auch davon, sie einmal zu umarmen, und wenn seine Träume noch weiter gingen, dann hielt er sie ganz fest im Arm und streichelte und küsste sie. Bisweilen dachte er: Vielleicht wartet sie nur darauf, dass ich den Anfang mache. Doch dann verwarf er den Gedanken sofort wieder und sagte sich, wie bescheuert er doch sei, auch nur zu denken, sie könnte sich für ihn interessieren. Für Mike, einen mutterlosen, pickligen Jungen von fünfzehn Jahren, mit einer dicken Brille auf der Nase.
Mike hatte Louise zu seinem Geburtstag eingeladen, aber sie hatte bedauernd abgelehnt, da sie am Samstag mit ihrer Mutter nach Frankfurt fahre, um ihre Tante zu besuchen.
Er hatte das Gefühl, dass es ihr wirklich leid tat, nicht kommen zu können.
Er war auch noch nie bei ihr zu Hause gewesen, und ihre Mutter kannte er nur vom Sehen, eine unscheinbare Frau, in deren Gesicht sich tiefe Gräben gezogen hatten, obwohl sie erst Mitte dreißig war. Und es gab auch keinen Mann in ihrem Leben. Louise hatte ihm einmal anvertraut, dass ihre Mutter einen Hass auf Männer habe und sie ihr gerne helfen würde, aber jedes Mal, wenn sie das Thema anschneide, blocke ihre Mutter ab. Und einmal erzählte sie ihm traurig, dass sie nicht nur Kettenraucherin sei, sondern auch regelmäßig zur Flasche greife. Louise war überhaupt ein ernstes, trauriges Mädchen, auch wenn sie oft lachte, aber sie fühlte sich einsam, von der Mutter im Stich gelassen und von den Mitschülern unverstanden. Mike war der Einzige, zu dem sie noch Vertrauen hatte, dem sie viele Dinge erzählte, die niemand außer ihr wusste, nicht einmal ihre Mutter, die ohnehin das Leben um sich herum kaum noch wahrzunehmen schien.
Sein Vater war ganz anders. Er führte seit dem Verlust von Mikes Mutter ein recht lockeres Leben. Immer wieder brachte er neue Bekanntschaften ins Haus, meist junge Damen, mit denen er sehr schnell im Schlafzimmer verschwand, aus dem kurz darauf Stöhnen und Schreie drangen. Mike wusste, was dieses Stöhnen und diese Schreie bedeuteten, und setzte sich entweder Kopfhörer mit lauter Musik auf oder verließ das Haus, um spazieren zu gehen oder sich auf die Terrasse zu setzen.
Noch während er in Gedanken versunken war, klingelte das Telefon erneut. Louise. Sie teilte ihm mit, dass die Fahrt nach Frankfurt am Samstag abgesagt wurde, da ihre Tante krank geworden sei. Ob die Einladung noch gelte.
Er freute sich wie ein kleines Kind, sie am Samstag zu sehen, auch wenn es ihn schon jetzt nervte, wenn er sich die Fragen seines Vaters und seiner Großeltern vorstellte. Ist das deine neue Flamme? Ist es was Ernstes? Er rollte mit den Augen und schüttelte den Kopf.
Keiner von ihnen kannte Louise. Sie war immer nur bei ihm gewesen, wenn er allein zu Hause war. Allein, wie die meiste Zeit. In einem viel zu großen Haus. Neun Zimmer, ein Schwimmbad mit Sauna und Whirlpool im Keller, ein riesiger Garten, drei Autos. Sein Vater verdiente Unsummen, aber Mike interessierte dies wenig, für ihn zählten andere Dinge, auch wenn er mehr Taschengeld bekam als alle andern Jugendlichen in seinem Alter. Viel mehr Taschengeld.
Nach dem Anruf ging Mike nach unten und setzte sich mit einem Buch in die Bibliothek. Am liebsten hätte er mit Louise hier gesessen. Er überlegte, ob er sie anrufen und fragen solle, ob sie Lust habe, zu ihm zu kommen. Er verwarf den Gedanken wieder, denn er sagte sich, dass sie bestimmt etwas anderes vorhabe.
Er hörte den Porsche vorfahren, schaute auf die Uhr und stellte verwundert fest, dass zwei Stunden vergangen waren, seit er sich in die Bibliothek zurückgezogen hatte.
Mike stand auf und rannte in sein Zimmer, denn er wollte seinem Vater nicht begegnen. Es gab Zeiten, da ging er ihm aus dem Weg. Sie hatten sich nicht viel zu sagen, und daran würde sich auch nie etwas ändern. Mike konnte mit dem Lebenswandel seines Vaters nichts anfangen. Er arbeitete viel, aber er gönnte sich auch eine Menge Luxus, vor allem Frauen. Doch keine von ihnen holte er sich ins Haus, um gepflegte Konversation zu betreiben, sondern nur zum Vergnügen. Alle waren schön, sein Vater stand auf blonde, vollbusige Frauen, nur ab und zu war auch eine Dunkelhaarige darunter.
Er hörte Stimmen, die seines Vaters und die einer Frau.
Sie lachten und kamen die Treppe herauf. Mike dachte, dies würde wieder einer jener Abende werden, in denen sich sein Pseudovater, wie er ihn abfällig betitelte, mit der Dame seiner Wahl ins Schlafzimmer zurückziehen würde, doch es vergingen nur wenige Minuten, bis es an seine Tür klopfte und sein Vater hereinkam.
»Hi«, begrüßte er Mike. »Kann ich dich kurz sprechen?«
»Klar. Was gibt s?«
»Ich habe eine nachträgliche Geburtstagsüberraschung für dich.« Er wartete die Reaktion von Mike ab, der seinen Vater nur verwundert anschaute.
»Willst du gar nicht wissen, was es ist?«
»Was?«, fragte er gelangweilt.
»Weißt du, als ich fünfzehn war, da war ich schon ein Mann, wenn du verstehst. Man kann nicht früh genug anfangen, das Leben zu genießen, es geht viel zu schnell vorbei. Und ich denke, es ist an der Zeit, dass auch du endlich Was ich sagen will, ist, du solltest auch endlich ein Mann werden.«
»Was meinst du damit?«
»Ich hole deine Überraschung rein. Sie wird dir gefallen, ich glaube, ich kenne deinen Geschmack«, antwortete er, öffnete die Tür und winkte mit der Hand. Eine mittelgroße, etwa zwanzigjährige junge Frau mit langen dunkelbraunen Haaren und einem vollen Busen kam herein.
Sein Vater grinste, die junge Frau warf einen kurzen Blick auf Mike, der mit gefalteten Händen auf seinem Bett saß und kaum zu atmen wagte.
»Deine Überraschung. Mach mir keine Schande, hörst du. Ihr habt so viel Zeit, wie ihr wollt. Ich verzieh mich dann mal. Vorstellen könnt ihr euch ja selber.«
»Hm«, war alles, was Mike herausbrachte. Sein Mund war trocken, seine Stimme schien zu versagen. Er sah die Frau an, die einen Minirock und eine fast durchsichtige enge Bluse trug, die so weit ausgeschnitten war, dass sie ihre Brüste nur spärlich verhüllte.
Sein Vater schloss leise die Tür hinter sich. Die junge Frau trat näher.
»Hi, ich bin Moni. Und du bist Mike«, sagte sie mit heller Stimme, setzte sich neben ihn und schlug die langen braunen Beine übereinander. Sie duftete nach einem süßlichen Parfum, das unangenehm in seine Nase zog, was vielleicht daran lag, dass sein Vater ständig irgendwelche Weiber mit nach Hause brachte, die sich mit irgendwelchem Zeug eingedieselt hatten. Er rutschte ein paar Zentimeter von ihr weg, auch wenn ihr Körper, zumindest das, was er von ihr sah, ihn erregte.
»Hm.«
»Bist du immer so schweigsam?«, fragte sie und kramte eine Zigarette aus ihrer Handtasche. »Na ja, egal. Hast du n Aschenbecher?«
»Nee, ich «
»Ganz locker, Kleiner«, sagte sie, zündete sich die Zigarette an, stand auf und holte sich eine Untertasse, die sie auf der Fensterbank stehen sah. »Ich bin ein Geburtstagsgeschenk. Willst du dich erst waschen gehen? Oder wollen wir zusammen baden? Dein Dad hat gemeint, wir könnten auch zusammen ins Bad gehen. Wir haben das ganze Haus für uns.«
Mike wurde knallrot und lächelte verschämt. Er hatte mit so etwas nicht gerechnet, eigentlich wollte er das alles nicht, aber er hatte keine Wahl. Würde er diese Moni zurückweisen, würde er Ärger mit seinem Vater bekommen.
Und außerdem hatten die meisten, wenn nicht gar alle Jungs in seiner Klasse schon mal mit einem Mädchen geschlafen. Aber Moni war nicht das, was er sich für sein erstes Mal vorstellte. Louise war diejenige, in die er sich verliebt hatte und mit der er sich hätte vorstellen können zu schlafen.
Mit einem Mal spürte er, wie Moni seinen Rücken streichelte, ihre Hand nach vorn glitt und über seine Brust fuhr und tiefer und immer tiefer und ihr Griff fester wurde.
»Gehen wir ins Bad, es wird Zeit, dass wir ein bisschen Spaß haben. Und du brauchst auch keine Angst zu haben, ich beiße nicht, nur manchmal«, sagte sie und lachte dabei auf, ein Lachen, das sich anhörte, als käme es aus weiter Ferne und als würde sie ihn verspotten.
Sie nahm ihn bei der Hand, und er erhob sich wie in Trance und folgte ihr. Er wunderte sich nur, dass sie sich so gut auskannte, obwohl er sie noch nie hier gesehen hatte.
Im Bad standen eine Flasche Champagner und zwei Gläser. »Machst du die auf?«, fragte sie, während sie sich auszog.
Seine Hände zitterten leicht, und als Moni merkte, dass er offenbar noch nie eine Champagnerflasche geöffnet hatte, übernahm sie das für ihn, schenkte ein und sagte:
»Auf unsere Freundschaft.« Sie stieß mit ihm an, legte ihren Arm um seinen und fuhr fort: »Und jetzt ex.«
© DroemerKnaur Verlag
Andreas Franz gehört zu den erfolgreichsten deutschen Krimiautoren. Seine Lebensgeschichte beginnt am 12.01.1954 in Quedlinburg. 1955 zog die Familie nach Helmbrechts/Oberfranken, und 1967 nach der Trennung der Eltern ging er mit seiner Mutter nach Frankfurt. Die Gewalt in der Ehe seiner Eltern wurde zum einschneidenden Erlebnis in seinem Leben. Mit 17 Jahren machte er den Schulabschluss in Wirtschaftsenglisch und -französisch. Dann aber entschloss er sich, sein Hobby, die Musik, zum Beruf zu machen. Als Drummer in verschiedenen Bands lernte er Inge kennen, die er 1974 heiratete. Zu den zwei Kindern, die seine Frau mit in die Ehe gebracht hatte, kamen bis 1986 noch drei hinzu, sodass Andreas Franz für eine große Familie zu sorgen hatte. Er sagt dazu: „Irgendwann war Schluss mit lustig und der Musik“.
Als LKW-Fahrer, „Mädchen für alles“ in einer Werbeagentur, kaufmännischer Angestellter und graphologischer Gutachter verdiente er sein Geld und eröffnete 1990 ein eigenes Übersetzungsbüro.
Der Autor verrät, dass noch zahlreiche Manuskripte anderer Genres in der Schublade liegen. Manch einer fragt sich: Wie schafft er das alles? Vielleicht liegt die Erklärung in seinem Bekenntnis: „Ohne Gott und ohne meine Familie würde es mich heute nicht mehr geben.“
Interview mit Andreas Franz
Es hatlange gedauert, ehe ein Buch von Ihnen von einem Verlag angenommen wurde undSie zu einem erfolgreichen Krimiautor wurden. Schreiben Sie gerne, oder istSchreiben vor allem harte Arbeit für Sie? Wie empfinden Sie es, nun einBestsellerautor zu sein?
Ich schreibe sogar sehr gerne, aber es ist auch harteArbeit, verdammt harte Arbeit. Doch wie empfinde ich es, nun einBestsellerautor zu sein?! Bin ich überhaupt einer, nur weil ich ein paartausend Bücher mehr als ein paar andere verkaufe? Ich denke, das Problem ist,dass die meisten glauben, Bestsellerautormüsste gleichbedeutend sein mit Bestverdiener.Das ist jedoch ein Riesenirrtum. Es gibt überall, auch hierzulande,Bestsellerautoren, die Millionen verdienen, ich hingegen bin froh, dass ichmeine Familie einigermaßen über die Runden bringen kann. Ein weiteres Problemist, dass z.B. ein Grisham oder Crichton oder eine Walters oder Cornwell oder George und viele andere schon Monate vorErscheinen ihres neuen Werks - ganz gleich wie gut oder miserabel es auch ist -medienwirksam von den Verlagen promotet werden, dazuerhalten sie Vorschüsse, von denen ich und auch andere Autoren jahrelangsorglos leben könnten. Für die oben genannten wird automatisch ein Platz in derBestsellerliste reserviert, doch wenn ich mir zu vielen derer Bücher dieLeserrezensionen anschaue, dann weichen diese doch sehr häufig von der Meinungder Medienrezensenten ab. Seltsam, oder? Meine Leserschaft hat sich im Laufeder Jahre fast ausschließlich durch Mund-zu-MundPropaganda aufgebaut, und durch die Empfehlungen von Buchhändlern, denen ichsehr, sehr dankbar bin. Das heißt aber auch, dass ich noch lange Zeit hartweiterarbeiten muss, bevor ich mir mal einen Burnoutoder einen richtig langen Urlaub leisten kann, von einem schicken Haus ganz zuschweigen. Aber schau mer mal, was die Zukunftbringt. Ich lebe nach dem Motto - cogito ergo sum, ich denke, also bin ich. Und ich hoffe, noch langedenken und auch beobachten zu können. Und sollte irgend jemand nach demGelesenen meinen, ich wäre nur neidisch auf die Großverdiener - falsch, imGegenteil, ich schreibe wenigstens noch selbst und bin froh und dankbar, einenBeruf ausüben zu können, von dem ich immer geträumt habe.
1970 haben Sie dasGymnasium verlassen und eine Sprachschule besucht, um "etwas Ordentliches ausmeinem Leben zu machen." Ist Ihnen das gelungen?
Ich denke schon. Schreiben war ein lang gehegter Traum, derWirklichkeit wurde. Was kann es Schöneres und Erfüllteresgeben?!
Es gibt immerwieder Polizisten, die an dem, was sie über Jahre sehen, seelisch zerbrechen. Wiewird innerhalb der Polizei mit psychischen Problemen umgegangen? Welche Art vonHilfe ist hier überhaupt möglich?
Es gibt Polizeipsychologen, die sich um z.B. traumatisierteBeamte kümmern, die mit schrecklichen Bildern konfrontiert wurden. Allerdingsreden viele Beamte nicht über ihre Probleme, sondern fangen etwa an zu trinken,häusliche Gewalt findet man in dieser Berufsgruppe auch nicht selten, dieScheidungsrate ist relativ hoch. Welche Hilfe überhaupt möglich ist ich weißes nicht.
In IhrenKrimis geht es häufig um verschiedene Formen des Missbrauchs. Was bedeutetIhnen dieses Thema?
Missbrauch jedweder Form ist für mich verabscheuungswürdig,weil er nicht nur häufig den Körper verletzt, sondern vor allem die Seeletötet. Und ich gebe zu, es macht mich unendlich wütend, wenn ich wieder einmalvon einem besonders gravierenden Fall höre. In meinen Büchern spielt Missbraucheine große Rolle, denn ich möchte meine Leser auch zum Nachdenken anregen.Kinder können sich nicht wehren, sie schreien ihren Schmerz nach innen undhaben nur sehr selten eine Chance, ihrem Peiniger zu entkommen. Und ich sprecheauch aus eigener Erfahrung, da ich in meiner Kindheit fast vierzehn Jahremiterleben musste, wie meine Mutter beinahe täglich misshandelt und missbrauchtwurde. Deshalb an alle Männer: Finger weg von Kindern und Frauen, es gibtandere Möglichkeiten, seine inneren und äußeren Konflikte zu lösen! Über dasVorwort meines ersten Romans "Jung, blond, tot" habe ich geschrieben: Wenn die Seele verbrennt, bleibt nichteinmal Asche. Missbrauch wird jedenfalls immer wieder mal in einem meinerBücher vorkommen, es wird allerdings kein Dauerthema sein.
DiePersonen in Ihren Romanen sind psychologisch sehr einfühlsam gezeichnet. Dabeifällt auf, dass insbesondere das Verhalten der Täter erklärt, ja manchmalgeradezu "entschuldigt" wird. Glauben Sie, dass sich jede kriminelleTat psychologisch erklären lässt?
Dass ich Täterverhalten entschuldige, ist schlichtwegfalsch. Ich versuche lediglich zu ergründen, was einen Menschen zum Beispiel zueinem Mörder hat werden lassen. Und da gibt es unzählige Gründe, doch einer derhäufigsten - gerade bei Serienkillern - ist persönlich erlebter Missbrauch. Wieich oben bereits erwähnte, verletzt Missbrauch nicht nur den Körper, sonderntötet die Seele, vor allem, wenn dieser Missbrauch über einen längeren Zeitraumhinweg geschieht. Da ich selbst im Alter von fünfzehn Jahren mit einemSerienkiller befreundet war und seine Kindheitsgeschichte fast zwanzig Jahrespäter erfuhr (darauf beruht übrigens "Jung, blond, tot"), begann ich michintensiver mit dem Phänomen Serienkiller zu beschäftigen. Ich entschuldigenicht einen einzigen Mord, ich entschuldige aber auch nicht das, was dieseMenschen letztlich dazu getrieben hat, diese schrecklichen Taten zu begehen.Nur in dem Buch "Das achte Opfer" versuche ich, Verständnis für das Verhaltendes Täters zu wecken, denn dieses Buch beruht ebenfalls auf einer wahrenGeschichte, die mir von einem höchst resignierten Hauptkommissar, der seitbeinahe fünfunddreißig Jahren bei der Kripo ist, erzählt wurde. In besagtemBuch lege ich den Finger in eine Wunde und prangere unser Justizsystem an, wasdazu führte, dass ich mehrere wütende Briefe und Mails von Staatsanwälten undRichtern erhalten habe, in denen ich bezichtigt wurde, Selbstjustizgutzuheißen. Diese werten Damen und Herren sollten das Buch einmal nicht ausder juristischen, sondern der menschlichen Warte lesen. Außerdem sehe ich michweniger als Roman-, denn als Berichtautor, da fast alle von mirniedergeschriebenen Fälle auf wahren Begebenheiten beruhen - und ich merke anden Reaktionen meiner LeserInnen, dass genau dies anmeinen Büchern geschätzt wird. Und nein, ich glaube nicht, dass sich jedekriminelle Tat psychologisch erklären lässt, da manche Taten im Affekt oder ineinem Zustand geistiger Verwirrung geschehen und somit nicht erklärbar sind,nicht einmal von den Tätern. Eigentlich lassen sich die wenigsten Taten, ganzgleich welcher Art, psychologisch erklären, auch wenn manche sogenannte Gutachter und Psychologen das zu können meinen.Der menschliche Geist, die Psyche und die Emotionen sind dazu noch viel zuwenig erforscht.
Die Fragenstellte Ulrike Künnecke, Literaturtest.
- Autor: Andreas Franz
- 2006, 1, 444 Seiten, Maße: 12 x 18,5 cm, Geb. mit Su.
- Verlag: Weltbild
- ISBN-10: 3828986757
- ISBN-13: 9783828986756
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