Tränen des Südens
South Carolina, 1852: Als die junge, mittellose Deborah das Angebot bekommt, auf einer großen Reisplantage als Gesellschafterin zu arbeiten, ist sie überglücklich. Doch bald muss sie erkennen, dass ihre Träume sich nicht...
Leider schon ausverkauft
Weltbild Ausgabe
3.99 €
- Lastschrift, Kreditkarte, Paypal, Rechnung
- Kostenlose Rücksendung
Produktdetails
Produktinformationen zu „Tränen des Südens “
South Carolina, 1852: Als die junge, mittellose Deborah das Angebot bekommt, auf einer großen Reisplantage als Gesellschafterin zu arbeiten, ist sie überglücklich. Doch bald muss sie erkennen, dass ihre Träume sich nicht erfüllen. Sie wird kaum besser behandelt als die schwarzen Sklaven, und als sie nach einer kurzen Liebesbeziehung zu dem Plantagenbesitzer schwanger wird, jagt man sie aus dem Haus. In ihrer Verzweiflung setzt Deborah das Kind auf den Stufen des Herrenhauses aus...
Lese-Probe zu „Tränen des Südens “
Tränen des Südens von Sarah Lee Hawkins1
Charleston 1852
... mehr
In Mrs Sophie Johnsons Küche herrschten Hektik und Nervosität, wie immer, wenn die Dame des Hauses Besuch erwartete. Dies kam allerdings nicht sehr häufig vor, da Mrs Johnsons Freunde und Bekannte im Laufe der Jahre »weggestorben« waren, wie sie oft mit wehmütigem Lächeln sagte. Sie selbst ging auch bereits auf die achtzig zu und war dringend auf die Hilfe ihrer drei Bediensteten angewiesen, denn ihr hagerer Körper war gezeichnet von Gicht und Rheuma. Sophie war die Witwe eines Kaufmanns, der ihr nach seinem Tod das klei-ne Stadthaus und etwas Geld hinterlassen hatte.
»Ada, steh nicht so dumm rum, sondern sieh im Esszimmer nach, ob es dort noch etwas zu tun gibt«, murrte die schwarze Köchin, während sie in ihren Töpfen rührte. »Und vergiss nicht, den Staubwedel mitzunehmen.«
Die etwas einfältige junge Sklavin grinste respektlos und sah zu, dass sie aus Mattys Sichtfeld kam. Die Köchin war zwar genauso warmherzig, wie sie dick war, aber wenn sie ein ganzes Menü zubereiten sollte, war sie gereizt und übellaunig.
»Und du, Debby«, Mattys hölzerner Kochlöffel richtete sich drohend auf das Mädchen, das sich mit seiner hellen Haut und dem üppigen honigblonden Haar seltsam unter den bei-den Sklavinnen ausmachte, »du putzt mir noch mal das Silber. Der junge Master Johnson soll nicht glauben, dass seine alte Tante ihr Personal nicht im Griff hat. «
Deborah Brown nickte pflichtbewusst, obwohl sie das für das Mahl benötigte Silberbesteck an diesem Tag bereits zweimal geputzt hatte. Sie raffte ihre Röcke und eilte leichtfüßig hinüber ins Speisezimmer, in dem sie Ada träumend am Fenster stehend erwischte.
Ada dachte gar nicht daran, den Staubwedel zu benutzen; sie lächelte Debby mit ihren gelben, riesigen Zähnen verschwörerisch zu und wisperte: »Hat sie dich auch aus der Küche verscheucht ?«
Seufzend nickte Debby, zog das Silbertuch aus der Schürzentasche und nahm eines der schweren Messer in die Hand. »Du weißt doch, dass Matty glaubt, es fällt auf sie zurück, wenn nicht alles tipptopp ist.«
»Aber es ist doch alles sauber«, schmollte Ada, die im Gegensatz zu Debby in der Tracht eines Dienstmädchens gekleidet war, mit weißer Schürze und Spitzenhäubchen. Halbherzig nahm sie den Staubwedel auf und fuhr damit flüchtig über die vergoldeten Bilderrahmen.
»Debby, Ada !« Mattys Stimme aus der Küche klang ungeduldig. »Kommt sofort hierher!«
Die beiden jungen Frauen warfen sich einen amüsierten Blick zu, bevor sie sich in Bewegung setzten. Matty war unausstehlich, und die Mädchen waren froh, dass sich nicht häufiger Besuch zum Essen anmeldete.
»Ada, bring mir die Suppenterrine, aber sei vorsichtig, sie ist ein altes Erbstück. Und danach holst du den Blumenschmuck bei Mr Nigel ab. Und du, Debby, hackst die Petersilie, damit ich sie frisch auf die Suppe streuen kann.«
Wie zwei aufgescheuchte Hühner stoben die Mädchen auseinander ; nie wäre ihnen in den Sinn gekommen, Matty zu widersprechen. Während Ada die riesige Suppenterrine heran-schleppte, nahm Debby den Petersilienstrauß aus dem Wasser und bemühte sich, das Kraut so fein wie möglich zu hacken, damit die Köchin zufrieden war.
Im Gegensatz zu Matty und Ada war Debby keine Sklavin, sondern bei der Suche nach Arbeit auf Mrs Johnson gestoßen. Die gütige alte Dame hatte das mittellose weiße Mädchen aus Mitleid eingestellt -Debby verdiente zwar kaum etwas, hatte aber ein Dach über dem Kopf und bekam täglich drei Mahl-zeiten. Das war in diesen Zeiten mehr, als eine arme Weiße sich erhoffen konnte, denn die meisten Bürger in Charleston hielten sich Haussklaven.
Debby arbeitete gern bei Mrs Johnson, und es störte sie überhaupt nicht, dass sie lediglich eine winzige Kammer unter dem Dach bewohnte, in der es im Sommer unerträglich heiß war. Bis sie Mrs Johnson traf und in ihre Dienste trat, hatte sie sich mit Gelegenheitsarbeiten herumgeschlagen, und das schon seit Jahren. Die Mutter war bereits bei Debbys Geburt gestorben, einen Vater gab es nicht. So hatte das Mädchen sei-ne Kindheit im Waisenhaus und bei diversen Pflegeeltern verbracht, die es allerdings lediglich als billige Arbeitskraft benutzt hatten.
Doch Debby war nicht verbittert ob ihres bisherigen Lebens - im Gegenteil, sie war dankbar, dass sie trotz ihrer harten Kindheit noch lebte. Im Haus von Mrs Johnson spürte sie zum ersten Mal in ihrem Leben einen Hauch von Geborgenheit. Sie stellte keinerlei Ansprüche oder kam sich als etwas Besseres gegenüber den beiden anderen Dienstboten vor, denn sie wusste, dass selbst Sklaven ott die Nase über das »arme weiße Pack« rümpften.
»Schlaf nicht ein!« Mattys ungeduldige Stimme riss Debby aus ihren Tagträumen. Das Wiegemesser wippte so schnell über das Holzbrett, dass Debby achtgeben musste, die Petersilie nicht zu einem grünen Brei zu verarbeiten.
Endlich war Matty zufrieden und grunzte zustimmend, als Debby ihr das Resultat vorlegte. »Und nun sieh nach, wo Ada mit den Blumen bleibt. Der junge Master kann jeden Augen-blick eintreffen.«
Debby eilte zur Hintertür und riss sie auf, denn es war den Bediensteten ausdrücklich verboten, den Vordereingang zu benutzen. Aber da nahte auch schon Ada, ganz gemächlich, wie es ihre Art war. Debby nahm ihr schnell die Blumengebinde aus der Hand, bevor Matty wegen der Trödelei schimpfen konnte.
Ausnahmsweise gelang es Ada zu servieren, ohne etwas zu verschütten oder zu stolpern. Dabei spähte sie immer wieder verstohlen zu Matthew Johnson, der seiner Tante gegenübersaß und in den Augen der jungen Sklavin der bestaussehende Mann von South Carolina war. Er trug sein rötlich-blondes Haar nach der neuesten Mode, und sein Anzug war aus feinstem Tuch gewebt; dennoch war er alles andere als ein versnobter Dandy.
Matthew führte eine große Reisplantage etwa dreißig Meilen von Charleston entfernt, die sich bereits in der dritten Generation im Familienbesitz befand.
»Wie geht es Abigail und den Kindern - und vor allem deiner Mutter ?«, erkundigte sich Sophie, während Ada zartes Rinderfilet mit Butterkartoffeln und gemischtem Gemüse servierte. »Und wie haltet ihr es nur bei der großen Hitze da draußen aus ?«
»Wir sind das feuchtwarme Klima gewohnt, Tantchen«, entgegnete Matthew schmunzelnd. »Mutter kränkelt ein wenig - du kennst sie ja, sie ist sehr wehleidig.«
»Oh, hoffentlich ist es nichts Ernstes!« Sophie mochte zwar Leticia Johnson, die Schwester ihres verstorbenen Mannes, nicht sonderlich, war aber trotzdem stets höflich darum bemüht, sich nach deren Gesundheitszustand zu erkundigen.
»Nein, nein. Es ist immer dasselbe mit Mutter. Wenn sie nicht im Mittelpunkt steht, wird sie zänkisch und unausstehlich. Abigail hat ihre liebe Not mit ihr, aber so sind alte Leute nun mal. Verzeih, Tante Sophie, du bist natürlich die große Ausnahme.«
Sie lächelte sanft, widersprach jedoch nicht. Seit dem frühen Tod ihres Gatten trug sie Schwarz, das mit ihrem schlohweißen Haar reizvoll harmonierte.
»Die Kinder sind anstrengend wie immer«, fuhr Matthew mit gerunzelter Stirn fort. »Sie scheuchen die Haussklaven den ganzen Tag herum und sind schadenfroh, wenn diese ihre eigentliche Arbeit nicht schaffen und dafür Schläge bekommen.«
Sophie hob ihr Weinglas. »Du solltest deine Frau darauf hinweisen, dass die Kinder die reinsten Flegel sind - auch Sklaven sollten menschlich behandelt werden.«
»Aber Sklaven sind natürlich keine richtigen Menschen, Tantchen.« Matthew prostete ihr zu. »Sie sind Kapital, nichts anderes - geboren, um den Weißen zu dienen.«
Sophie teilte diese Meinung keineswegs, doch ihr war daran gelegen, keinen unnötigen Streit vom Zaun zu brechen. Ihr Neffe war der einzige Verwandte, den sie hatte, und sie würde es jammerschade finden, wenn er seine seltenen Besuche ein-stellen würde, weil sie sich zänkisch und rechthaberisch gab. Und so galt ihre nächste Frage der Plantage.
»Du solltest wieder einmal zu uns kommen«, schlug Matthew gut gelaunt vor, während er das Filet auf seinem Teller in mundgerechte Happen schnitt. »Im Herbst sind die Tage trockener und die Nächte angenehm kühl. Mutter würde sich freuen, wenn sie etwas Abwechslung hätte. Ihr habt euch doch immer gut verstanden.«
»Danke für die Einladung, mein Junge.« Sophie wandte sich der Sklavin zu, die - wie sie es gelernt hatte - mit ausdrucksloser Miene neben der Tür stand, um auf weitere Anweisungen zu warten. »Ada, du kannst gehen. Wenn ich dich brauche, läute ich.«
Ada versank in einen tiefen Knicks, bevor sie wortlos das Speisezimmer verließ.
»Meine Dienstboten haben bei den Mahlzeiten immer bei Fuß zu stehen«, bemerkte Matthew beiläufig. »Sie sind ohnehin viel zu dumm, um etwas zu begreifen, was bei Tisch geplaudert wird.«
Leichter Ärger stieg in Sophie auf; sie mochte ihren Neffen zwar gern, nicht aber seine abwertenden Reden. Dennoch lächelte sie nachsichtig über den Tisch hinweg. »Du solltest die Schwarzen nicht unterschätzen, Matthew. Ada mag zwar etwas einfältig sein, aber sie ist leicht zu lenken - und eine bessere Köchin als Matty wirst du in ganz Charleston nicht finden. «
»In der Tat, das Filet zergeht auf der Zunge«, musste er zu-geben und ließ sich von seiner Tante eine weitere hauchzarte Fleischscheibe auf den Teller legen. »Und hast du über einen Besuch auf Five Oaks nachgedacht?«
»Allerdings. Aber sei mir nicht böse, die Reise wäre mir zu anstrengend - auch wenn ich Leticia gern noch einmal sehen würde.« Der letzte Teil des Satzes war gelogen, denn Sophie verspürte nicht die geringste Lust, ihrer bärbeißigen Schwägerin zu begegnen.
Unterdessen berichtete Ada in der Küche, was sie soeben er-fahren hatte. »Die Frau des jungen Masters heißt Abigail. Sicher ist sie eine wahre Schönheit.«
»Woher willst du Grünschnabel das denn wissen?« Matty garnierte unbeeindruckt den Inhalt der Dessertschüsselchen akkurat mit Rosenblättern. »Wie oft soll ich dir noch sagen, dass dich alles, was die Herrschaften betrifft, nichts angeht.«
Trotzig reckte Ada das Kinn; ihre Finger spielten dabei ununterbrochen mit einem Zipfel der Spitzenschürze. »Ich glaube zumindest, dass die junge Mrs Johnson schön ist, weil der Master auch so ein gut aussehender Gentleman ist. Aber die alte Missis scheint ein wahrer Teufel zu sein ... mit der würde ich nicht gern zu tun haben.«
Entrüstet stemmte die Köchin ihre Fäuste in die ausladen-den Hütten. »Niemand fragt ein Sklavenmädchen danach, mit wem es zu tun haben möchte. Merk dir eins, du vorlautes Gör: Du kannst dankbar für unsere gütige Missis sein, denn nicht alle haben so ein großes Glück.«
Ada nahm eines der Rosenblätter von der Anrichte und drehte es spielerisch in ihrer Hand, bis Matty es ihr mit unwirscher Miene wieder wegnahm und zu den anderen zurücklegte. »Der junge Master schlug vorhin vor, dass unsere Missis ihn auf seiner Plantage besuchen solle. Bevor sie antworten konnte, wurde ich aus dem Zimmer geschickt. Aber stellt euch doch mal vor, wir würden eine Zeit lang dort leben - wäre das nicht herrlich?«
»Wieso wir ?« Die Köchin stellte die Schälchen mit dem Sahnedessert vorsichtig auf das Tablett. »Wer sagt denn, dass die Missis uns mitnehmen würde ?«
Vage hob Ada die Schultern und erklärte, dass Mrs Johnson sicher nicht ohne Personal reisen würde, was Matty zu einem Naserümpfen veranlasste - und zu der Bemerkung, dass es auf der Plantage genügend Haussklaven gab, sodass man dort keinen Bedarf an naiven Charlestoner Dienstmädchen hatte.
Debby hielt sich bei dieser Debatte zurück, innerlich schmunzelnd. So ging es beinahe jeden Tag ; Ada teilte der Köchin ihre Tagträume mit, und diese wusch dem Mädchen da-nach gehörig den Kopf.
Mit der Kaffeemühle zwischen den Knien, saß Debby auf einem Holzschemel. Natürlich hätte sie sich jederzeit einmischen können, doch sie meldete sich stets nur zu Wort, wenn nach ihrer Meinung gefragt wurde - was relativ selten geschah. Oft ging es um den Status, dem man angehörte. Und da Debby weiße Haut hatte und in Freiheit geboren war, konnte sie nicht mitreden, wenn es um Dinge wie Leibeigenschat und Sklavenverkauf ging.
Vorsichtig nahm Debby die Schublade der Kaffeemühle he-raus und atmete tief den Duft des fein gemahlenen Kaffees ein. Wenn die Herrschaften etwas übrig ließen, konnten sich die Dienstboten mit den Resten bedienen; allein der Gedanke an das heutige Mahl ließ Debby das Wasser im Munde zusammenlaufen.
Ohne Aufforderung setzte sie den Kessel auf die Kochstelle und polierte danach die Porzellankanne, die mit demselben breiten Goldrand und dem blassblauen Veilchenmuster versehen war wie das übrige Geschirr.
»Gefällt dir der junge Master Johnson auch so gut?«, fragte Ada, nachdem sie das Dessert serviert und das schmutzige Geschirr vom Hauptgang auf die Küchenanrichte gestellt hatte. »Matty sagt, das ginge mich nichts an, aber dich mit deiner lilienweißen Haut geht es schon etwas an.«
Debby krempelte die Ärmel hoch und nahm sich des schmutzigen Essgeschirrs an. »Ich bin nur ein armes Küchen-mädchen, deshalb steht auch mir keine Meinung zu ; außer-dem hab ich Mr Johnson bisher nur einmal flüchtig zu Gesicht bekommen.«
Da Ada nicht nur für das Servieren, sondern auch für das Öffnen der Haustür zuständig war, kannte sie Matthew natürlich näher, auch wenn der noch nie einen Blick auf das Sklavenmädchen mit den großen schiefen Zähnen geworfen hatte. Debbys Platz hingegen war größtenteils in der Küche - vor allem, wenn die Missis Besuch bekam.
»Das Kaffeewasser ist fertig!«, rief Matty im Hintergrund. »Nimm es vom Feuer, Debby. Ada, hilf mir, die Plätzchen aus dem Ofen zu holen.«
Die kurze Anweisung genügte, um die Mädchen für die nächsten Minuten ausschließlich mit ihren Pflichten zu beschäftigen, bis Matty wieder gnädig gestimmt war.
Abends kam Mrs Johnson in die Küche und bedankte sich persönlich bei Matty für das gelungene Mahl. Ihr gütiger Blick streifte auch Debby und Ada, die sich schüchtern im Abseits hielten.
»Sie machen uns sehr stolz, Madam«, sagte Matty so unterwürfig, wie sie es nur bei der Missis tat. »Die beiden Mädchen sind mir eine große Hilfe dabei.«
Sophie blickte sich in der nun wieder blitzsauberen Küche um; nur der leichte Geruch von Braten, Backwerk und Kaffee erinnerte noch an das opulente Mahl.
»Ja, ich bin auch sehr froh, dass ich die richtige Wahl bei meinen Dienstboten getroffen habe«, sagte sie. Die schwarze Seide ihres Kleides raschelte leise, als sie sich auf ihren Geh-stock mit dem Elfenbeingriff stützte. »Ada, bring mich jetzt bitte in mein Schlafzimmer, der heutige Tag war sehr anstrengend. Gute Nacht.«
Matty und Debby knicksten gehorsam, denn auch sie waren erleichtert, dass dieser Tag zu Ende war. Normalerweise ging es in Mrs Johnsons Haus recht gemächlich zu; jeder hatte seine Pflichten, denen er gewissenhaft nachging. Während Matty ausschließlich für die Mahlzeiten zuständig war - Sophie begnügte sich meistens mit einfachen, rasch zubereiteten Speisen, wenn sie allein aß - teilten sich Ada und Debby alle im Haus anfallen-den Arbeiten. In erster Linie wurde sie von Matty für den Küchendienst eingeteilt; alle niederen Arbeiten fielen Debby zu. Doch sie beklagte sich nie, blieb bescheiden und demütig. Es machte ihr nichts aus, einer Sklavin unterstellt zu sein.
Dennoch hatte auch sie ihre geheimen Träume. Irgendwann wollte sie heiraten und Kinder bekommen, doch ihr war bewusst, dass dieser Wunschtraum noch in weiter Ferne lag. Gerade achtzehn Jahre alt, kam ihr noch nicht in den Sinn, sich nach einem geeigneten Heiratskandidaten umzusehen, auch wenn viele Mädchen in ihrem Alter bereits unter der Haube waren. Aber welcher Mann sollte schon Interesse an einem armen Mädchen haben, das man ihr vielleicht nicht auf den ersten, jedoch spätestens nach dem zweiten Blick ansah?
Debby war klein und zierlich, und das Auffallendste war ihr üppiges honigfarbenes Haar, das sie allerdings meistens unter einer schmucklosen Haube verbarg. Ihre Garderobe war schlicht, sie besaß lediglich zwei Kleider - ein hellbraunes Baumwollkleid für die Arbeit und ein blaues für besondere Anlässe, die größten-teils aus sonntäglichen Kirchgängen bestanden. Natürlich gefielen Debby die feinen Kleider der jungen Damen, denen man unterwegs ständig begegnete, aber sie empfand keinen Neid deswegen. Sie kannte ihre Stellung in der Gesellschaft, war arm geboren und würde arm sterben und nahm diese Tatsache ergeben hin.
Von dem wenigen Geld, das Debby für ihre Arbeit bekam, sparte sie so lange, bis sie sich ein paar Handschuhe kaufen konnte; freilich keine feinen Handschuhe aus Spitze oder Safranleder, sondern ganz einfache aus dünner Wolle, in denen sie ihre roten rissigen Hände verstecken konnte. Die scharfe Wäschelauge und der tägliche Kontakt mit Abwaschwasser hatten längst ihren Tribut gefordert. Manchmal schmerzten die Hände so arg, dass Debby die Zähne zusammenbeißen musste; doch sie weinte nicht. Die anderen sollten nicht denken, dass sie wehleidig war.
»Du kannst jetzt auch schlafen gehen«, bestimmte Matty großzügig, nachdem Debby das Herdfeuer geschürft und den Steinfußboden gefegt hatte.
Wortlos nickte Debby und unterdrückte ein Gähnen. Viel Zeit zum Schlafen blieb eigentlich nie, denn um fünf Uhr morgens musste sie schon wieder auf den Beinen sein, damit alles sauber war, wenn Mrs Johnson aufstand.
Über die Hintertreppe gelangte Debby zu ihrer bescheidenen Kammer, in der nicht mehr Platz war als für ein schmales Bett, einen Stuhl und eine wurmstichige Wäschekommode - doch für Debby war sie das reinste Paradies ; bei ihren früheren Herrschaften hatte ihre Schlafstatt oft genug aus einer Ecke neben dem Küchenherd bestanden.
Obwohl sich Debby vor Müdigkeit kaum noch auf den Beinen halten konnte, wusch sie sich gründlich über der Waschschüssel auf der Kommode, bevor sie auf das knarrende Bett fiel und augenblicklich einschlief.
...
Genehmigte Lizenzausgabe für Verlagsgruppe Weltbild GmbH, Augsburg
In Mrs Sophie Johnsons Küche herrschten Hektik und Nervosität, wie immer, wenn die Dame des Hauses Besuch erwartete. Dies kam allerdings nicht sehr häufig vor, da Mrs Johnsons Freunde und Bekannte im Laufe der Jahre »weggestorben« waren, wie sie oft mit wehmütigem Lächeln sagte. Sie selbst ging auch bereits auf die achtzig zu und war dringend auf die Hilfe ihrer drei Bediensteten angewiesen, denn ihr hagerer Körper war gezeichnet von Gicht und Rheuma. Sophie war die Witwe eines Kaufmanns, der ihr nach seinem Tod das klei-ne Stadthaus und etwas Geld hinterlassen hatte.
»Ada, steh nicht so dumm rum, sondern sieh im Esszimmer nach, ob es dort noch etwas zu tun gibt«, murrte die schwarze Köchin, während sie in ihren Töpfen rührte. »Und vergiss nicht, den Staubwedel mitzunehmen.«
Die etwas einfältige junge Sklavin grinste respektlos und sah zu, dass sie aus Mattys Sichtfeld kam. Die Köchin war zwar genauso warmherzig, wie sie dick war, aber wenn sie ein ganzes Menü zubereiten sollte, war sie gereizt und übellaunig.
»Und du, Debby«, Mattys hölzerner Kochlöffel richtete sich drohend auf das Mädchen, das sich mit seiner hellen Haut und dem üppigen honigblonden Haar seltsam unter den bei-den Sklavinnen ausmachte, »du putzt mir noch mal das Silber. Der junge Master Johnson soll nicht glauben, dass seine alte Tante ihr Personal nicht im Griff hat. «
Deborah Brown nickte pflichtbewusst, obwohl sie das für das Mahl benötigte Silberbesteck an diesem Tag bereits zweimal geputzt hatte. Sie raffte ihre Röcke und eilte leichtfüßig hinüber ins Speisezimmer, in dem sie Ada träumend am Fenster stehend erwischte.
Ada dachte gar nicht daran, den Staubwedel zu benutzen; sie lächelte Debby mit ihren gelben, riesigen Zähnen verschwörerisch zu und wisperte: »Hat sie dich auch aus der Küche verscheucht ?«
Seufzend nickte Debby, zog das Silbertuch aus der Schürzentasche und nahm eines der schweren Messer in die Hand. »Du weißt doch, dass Matty glaubt, es fällt auf sie zurück, wenn nicht alles tipptopp ist.«
»Aber es ist doch alles sauber«, schmollte Ada, die im Gegensatz zu Debby in der Tracht eines Dienstmädchens gekleidet war, mit weißer Schürze und Spitzenhäubchen. Halbherzig nahm sie den Staubwedel auf und fuhr damit flüchtig über die vergoldeten Bilderrahmen.
»Debby, Ada !« Mattys Stimme aus der Küche klang ungeduldig. »Kommt sofort hierher!«
Die beiden jungen Frauen warfen sich einen amüsierten Blick zu, bevor sie sich in Bewegung setzten. Matty war unausstehlich, und die Mädchen waren froh, dass sich nicht häufiger Besuch zum Essen anmeldete.
»Ada, bring mir die Suppenterrine, aber sei vorsichtig, sie ist ein altes Erbstück. Und danach holst du den Blumenschmuck bei Mr Nigel ab. Und du, Debby, hackst die Petersilie, damit ich sie frisch auf die Suppe streuen kann.«
Wie zwei aufgescheuchte Hühner stoben die Mädchen auseinander ; nie wäre ihnen in den Sinn gekommen, Matty zu widersprechen. Während Ada die riesige Suppenterrine heran-schleppte, nahm Debby den Petersilienstrauß aus dem Wasser und bemühte sich, das Kraut so fein wie möglich zu hacken, damit die Köchin zufrieden war.
Im Gegensatz zu Matty und Ada war Debby keine Sklavin, sondern bei der Suche nach Arbeit auf Mrs Johnson gestoßen. Die gütige alte Dame hatte das mittellose weiße Mädchen aus Mitleid eingestellt -Debby verdiente zwar kaum etwas, hatte aber ein Dach über dem Kopf und bekam täglich drei Mahl-zeiten. Das war in diesen Zeiten mehr, als eine arme Weiße sich erhoffen konnte, denn die meisten Bürger in Charleston hielten sich Haussklaven.
Debby arbeitete gern bei Mrs Johnson, und es störte sie überhaupt nicht, dass sie lediglich eine winzige Kammer unter dem Dach bewohnte, in der es im Sommer unerträglich heiß war. Bis sie Mrs Johnson traf und in ihre Dienste trat, hatte sie sich mit Gelegenheitsarbeiten herumgeschlagen, und das schon seit Jahren. Die Mutter war bereits bei Debbys Geburt gestorben, einen Vater gab es nicht. So hatte das Mädchen sei-ne Kindheit im Waisenhaus und bei diversen Pflegeeltern verbracht, die es allerdings lediglich als billige Arbeitskraft benutzt hatten.
Doch Debby war nicht verbittert ob ihres bisherigen Lebens - im Gegenteil, sie war dankbar, dass sie trotz ihrer harten Kindheit noch lebte. Im Haus von Mrs Johnson spürte sie zum ersten Mal in ihrem Leben einen Hauch von Geborgenheit. Sie stellte keinerlei Ansprüche oder kam sich als etwas Besseres gegenüber den beiden anderen Dienstboten vor, denn sie wusste, dass selbst Sklaven ott die Nase über das »arme weiße Pack« rümpften.
»Schlaf nicht ein!« Mattys ungeduldige Stimme riss Debby aus ihren Tagträumen. Das Wiegemesser wippte so schnell über das Holzbrett, dass Debby achtgeben musste, die Petersilie nicht zu einem grünen Brei zu verarbeiten.
Endlich war Matty zufrieden und grunzte zustimmend, als Debby ihr das Resultat vorlegte. »Und nun sieh nach, wo Ada mit den Blumen bleibt. Der junge Master kann jeden Augen-blick eintreffen.«
Debby eilte zur Hintertür und riss sie auf, denn es war den Bediensteten ausdrücklich verboten, den Vordereingang zu benutzen. Aber da nahte auch schon Ada, ganz gemächlich, wie es ihre Art war. Debby nahm ihr schnell die Blumengebinde aus der Hand, bevor Matty wegen der Trödelei schimpfen konnte.
Ausnahmsweise gelang es Ada zu servieren, ohne etwas zu verschütten oder zu stolpern. Dabei spähte sie immer wieder verstohlen zu Matthew Johnson, der seiner Tante gegenübersaß und in den Augen der jungen Sklavin der bestaussehende Mann von South Carolina war. Er trug sein rötlich-blondes Haar nach der neuesten Mode, und sein Anzug war aus feinstem Tuch gewebt; dennoch war er alles andere als ein versnobter Dandy.
Matthew führte eine große Reisplantage etwa dreißig Meilen von Charleston entfernt, die sich bereits in der dritten Generation im Familienbesitz befand.
»Wie geht es Abigail und den Kindern - und vor allem deiner Mutter ?«, erkundigte sich Sophie, während Ada zartes Rinderfilet mit Butterkartoffeln und gemischtem Gemüse servierte. »Und wie haltet ihr es nur bei der großen Hitze da draußen aus ?«
»Wir sind das feuchtwarme Klima gewohnt, Tantchen«, entgegnete Matthew schmunzelnd. »Mutter kränkelt ein wenig - du kennst sie ja, sie ist sehr wehleidig.«
»Oh, hoffentlich ist es nichts Ernstes!« Sophie mochte zwar Leticia Johnson, die Schwester ihres verstorbenen Mannes, nicht sonderlich, war aber trotzdem stets höflich darum bemüht, sich nach deren Gesundheitszustand zu erkundigen.
»Nein, nein. Es ist immer dasselbe mit Mutter. Wenn sie nicht im Mittelpunkt steht, wird sie zänkisch und unausstehlich. Abigail hat ihre liebe Not mit ihr, aber so sind alte Leute nun mal. Verzeih, Tante Sophie, du bist natürlich die große Ausnahme.«
Sie lächelte sanft, widersprach jedoch nicht. Seit dem frühen Tod ihres Gatten trug sie Schwarz, das mit ihrem schlohweißen Haar reizvoll harmonierte.
»Die Kinder sind anstrengend wie immer«, fuhr Matthew mit gerunzelter Stirn fort. »Sie scheuchen die Haussklaven den ganzen Tag herum und sind schadenfroh, wenn diese ihre eigentliche Arbeit nicht schaffen und dafür Schläge bekommen.«
Sophie hob ihr Weinglas. »Du solltest deine Frau darauf hinweisen, dass die Kinder die reinsten Flegel sind - auch Sklaven sollten menschlich behandelt werden.«
»Aber Sklaven sind natürlich keine richtigen Menschen, Tantchen.« Matthew prostete ihr zu. »Sie sind Kapital, nichts anderes - geboren, um den Weißen zu dienen.«
Sophie teilte diese Meinung keineswegs, doch ihr war daran gelegen, keinen unnötigen Streit vom Zaun zu brechen. Ihr Neffe war der einzige Verwandte, den sie hatte, und sie würde es jammerschade finden, wenn er seine seltenen Besuche ein-stellen würde, weil sie sich zänkisch und rechthaberisch gab. Und so galt ihre nächste Frage der Plantage.
»Du solltest wieder einmal zu uns kommen«, schlug Matthew gut gelaunt vor, während er das Filet auf seinem Teller in mundgerechte Happen schnitt. »Im Herbst sind die Tage trockener und die Nächte angenehm kühl. Mutter würde sich freuen, wenn sie etwas Abwechslung hätte. Ihr habt euch doch immer gut verstanden.«
»Danke für die Einladung, mein Junge.« Sophie wandte sich der Sklavin zu, die - wie sie es gelernt hatte - mit ausdrucksloser Miene neben der Tür stand, um auf weitere Anweisungen zu warten. »Ada, du kannst gehen. Wenn ich dich brauche, läute ich.«
Ada versank in einen tiefen Knicks, bevor sie wortlos das Speisezimmer verließ.
»Meine Dienstboten haben bei den Mahlzeiten immer bei Fuß zu stehen«, bemerkte Matthew beiläufig. »Sie sind ohnehin viel zu dumm, um etwas zu begreifen, was bei Tisch geplaudert wird.«
Leichter Ärger stieg in Sophie auf; sie mochte ihren Neffen zwar gern, nicht aber seine abwertenden Reden. Dennoch lächelte sie nachsichtig über den Tisch hinweg. »Du solltest die Schwarzen nicht unterschätzen, Matthew. Ada mag zwar etwas einfältig sein, aber sie ist leicht zu lenken - und eine bessere Köchin als Matty wirst du in ganz Charleston nicht finden. «
»In der Tat, das Filet zergeht auf der Zunge«, musste er zu-geben und ließ sich von seiner Tante eine weitere hauchzarte Fleischscheibe auf den Teller legen. »Und hast du über einen Besuch auf Five Oaks nachgedacht?«
»Allerdings. Aber sei mir nicht böse, die Reise wäre mir zu anstrengend - auch wenn ich Leticia gern noch einmal sehen würde.« Der letzte Teil des Satzes war gelogen, denn Sophie verspürte nicht die geringste Lust, ihrer bärbeißigen Schwägerin zu begegnen.
Unterdessen berichtete Ada in der Küche, was sie soeben er-fahren hatte. »Die Frau des jungen Masters heißt Abigail. Sicher ist sie eine wahre Schönheit.«
»Woher willst du Grünschnabel das denn wissen?« Matty garnierte unbeeindruckt den Inhalt der Dessertschüsselchen akkurat mit Rosenblättern. »Wie oft soll ich dir noch sagen, dass dich alles, was die Herrschaften betrifft, nichts angeht.«
Trotzig reckte Ada das Kinn; ihre Finger spielten dabei ununterbrochen mit einem Zipfel der Spitzenschürze. »Ich glaube zumindest, dass die junge Mrs Johnson schön ist, weil der Master auch so ein gut aussehender Gentleman ist. Aber die alte Missis scheint ein wahrer Teufel zu sein ... mit der würde ich nicht gern zu tun haben.«
Entrüstet stemmte die Köchin ihre Fäuste in die ausladen-den Hütten. »Niemand fragt ein Sklavenmädchen danach, mit wem es zu tun haben möchte. Merk dir eins, du vorlautes Gör: Du kannst dankbar für unsere gütige Missis sein, denn nicht alle haben so ein großes Glück.«
Ada nahm eines der Rosenblätter von der Anrichte und drehte es spielerisch in ihrer Hand, bis Matty es ihr mit unwirscher Miene wieder wegnahm und zu den anderen zurücklegte. »Der junge Master schlug vorhin vor, dass unsere Missis ihn auf seiner Plantage besuchen solle. Bevor sie antworten konnte, wurde ich aus dem Zimmer geschickt. Aber stellt euch doch mal vor, wir würden eine Zeit lang dort leben - wäre das nicht herrlich?«
»Wieso wir ?« Die Köchin stellte die Schälchen mit dem Sahnedessert vorsichtig auf das Tablett. »Wer sagt denn, dass die Missis uns mitnehmen würde ?«
Vage hob Ada die Schultern und erklärte, dass Mrs Johnson sicher nicht ohne Personal reisen würde, was Matty zu einem Naserümpfen veranlasste - und zu der Bemerkung, dass es auf der Plantage genügend Haussklaven gab, sodass man dort keinen Bedarf an naiven Charlestoner Dienstmädchen hatte.
Debby hielt sich bei dieser Debatte zurück, innerlich schmunzelnd. So ging es beinahe jeden Tag ; Ada teilte der Köchin ihre Tagträume mit, und diese wusch dem Mädchen da-nach gehörig den Kopf.
Mit der Kaffeemühle zwischen den Knien, saß Debby auf einem Holzschemel. Natürlich hätte sie sich jederzeit einmischen können, doch sie meldete sich stets nur zu Wort, wenn nach ihrer Meinung gefragt wurde - was relativ selten geschah. Oft ging es um den Status, dem man angehörte. Und da Debby weiße Haut hatte und in Freiheit geboren war, konnte sie nicht mitreden, wenn es um Dinge wie Leibeigenschat und Sklavenverkauf ging.
Vorsichtig nahm Debby die Schublade der Kaffeemühle he-raus und atmete tief den Duft des fein gemahlenen Kaffees ein. Wenn die Herrschaften etwas übrig ließen, konnten sich die Dienstboten mit den Resten bedienen; allein der Gedanke an das heutige Mahl ließ Debby das Wasser im Munde zusammenlaufen.
Ohne Aufforderung setzte sie den Kessel auf die Kochstelle und polierte danach die Porzellankanne, die mit demselben breiten Goldrand und dem blassblauen Veilchenmuster versehen war wie das übrige Geschirr.
»Gefällt dir der junge Master Johnson auch so gut?«, fragte Ada, nachdem sie das Dessert serviert und das schmutzige Geschirr vom Hauptgang auf die Küchenanrichte gestellt hatte. »Matty sagt, das ginge mich nichts an, aber dich mit deiner lilienweißen Haut geht es schon etwas an.«
Debby krempelte die Ärmel hoch und nahm sich des schmutzigen Essgeschirrs an. »Ich bin nur ein armes Küchen-mädchen, deshalb steht auch mir keine Meinung zu ; außer-dem hab ich Mr Johnson bisher nur einmal flüchtig zu Gesicht bekommen.«
Da Ada nicht nur für das Servieren, sondern auch für das Öffnen der Haustür zuständig war, kannte sie Matthew natürlich näher, auch wenn der noch nie einen Blick auf das Sklavenmädchen mit den großen schiefen Zähnen geworfen hatte. Debbys Platz hingegen war größtenteils in der Küche - vor allem, wenn die Missis Besuch bekam.
»Das Kaffeewasser ist fertig!«, rief Matty im Hintergrund. »Nimm es vom Feuer, Debby. Ada, hilf mir, die Plätzchen aus dem Ofen zu holen.«
Die kurze Anweisung genügte, um die Mädchen für die nächsten Minuten ausschließlich mit ihren Pflichten zu beschäftigen, bis Matty wieder gnädig gestimmt war.
Abends kam Mrs Johnson in die Küche und bedankte sich persönlich bei Matty für das gelungene Mahl. Ihr gütiger Blick streifte auch Debby und Ada, die sich schüchtern im Abseits hielten.
»Sie machen uns sehr stolz, Madam«, sagte Matty so unterwürfig, wie sie es nur bei der Missis tat. »Die beiden Mädchen sind mir eine große Hilfe dabei.«
Sophie blickte sich in der nun wieder blitzsauberen Küche um; nur der leichte Geruch von Braten, Backwerk und Kaffee erinnerte noch an das opulente Mahl.
»Ja, ich bin auch sehr froh, dass ich die richtige Wahl bei meinen Dienstboten getroffen habe«, sagte sie. Die schwarze Seide ihres Kleides raschelte leise, als sie sich auf ihren Geh-stock mit dem Elfenbeingriff stützte. »Ada, bring mich jetzt bitte in mein Schlafzimmer, der heutige Tag war sehr anstrengend. Gute Nacht.«
Matty und Debby knicksten gehorsam, denn auch sie waren erleichtert, dass dieser Tag zu Ende war. Normalerweise ging es in Mrs Johnsons Haus recht gemächlich zu; jeder hatte seine Pflichten, denen er gewissenhaft nachging. Während Matty ausschließlich für die Mahlzeiten zuständig war - Sophie begnügte sich meistens mit einfachen, rasch zubereiteten Speisen, wenn sie allein aß - teilten sich Ada und Debby alle im Haus anfallen-den Arbeiten. In erster Linie wurde sie von Matty für den Küchendienst eingeteilt; alle niederen Arbeiten fielen Debby zu. Doch sie beklagte sich nie, blieb bescheiden und demütig. Es machte ihr nichts aus, einer Sklavin unterstellt zu sein.
Dennoch hatte auch sie ihre geheimen Träume. Irgendwann wollte sie heiraten und Kinder bekommen, doch ihr war bewusst, dass dieser Wunschtraum noch in weiter Ferne lag. Gerade achtzehn Jahre alt, kam ihr noch nicht in den Sinn, sich nach einem geeigneten Heiratskandidaten umzusehen, auch wenn viele Mädchen in ihrem Alter bereits unter der Haube waren. Aber welcher Mann sollte schon Interesse an einem armen Mädchen haben, das man ihr vielleicht nicht auf den ersten, jedoch spätestens nach dem zweiten Blick ansah?
Debby war klein und zierlich, und das Auffallendste war ihr üppiges honigfarbenes Haar, das sie allerdings meistens unter einer schmucklosen Haube verbarg. Ihre Garderobe war schlicht, sie besaß lediglich zwei Kleider - ein hellbraunes Baumwollkleid für die Arbeit und ein blaues für besondere Anlässe, die größten-teils aus sonntäglichen Kirchgängen bestanden. Natürlich gefielen Debby die feinen Kleider der jungen Damen, denen man unterwegs ständig begegnete, aber sie empfand keinen Neid deswegen. Sie kannte ihre Stellung in der Gesellschaft, war arm geboren und würde arm sterben und nahm diese Tatsache ergeben hin.
Von dem wenigen Geld, das Debby für ihre Arbeit bekam, sparte sie so lange, bis sie sich ein paar Handschuhe kaufen konnte; freilich keine feinen Handschuhe aus Spitze oder Safranleder, sondern ganz einfache aus dünner Wolle, in denen sie ihre roten rissigen Hände verstecken konnte. Die scharfe Wäschelauge und der tägliche Kontakt mit Abwaschwasser hatten längst ihren Tribut gefordert. Manchmal schmerzten die Hände so arg, dass Debby die Zähne zusammenbeißen musste; doch sie weinte nicht. Die anderen sollten nicht denken, dass sie wehleidig war.
»Du kannst jetzt auch schlafen gehen«, bestimmte Matty großzügig, nachdem Debby das Herdfeuer geschürft und den Steinfußboden gefegt hatte.
Wortlos nickte Debby und unterdrückte ein Gähnen. Viel Zeit zum Schlafen blieb eigentlich nie, denn um fünf Uhr morgens musste sie schon wieder auf den Beinen sein, damit alles sauber war, wenn Mrs Johnson aufstand.
Über die Hintertreppe gelangte Debby zu ihrer bescheidenen Kammer, in der nicht mehr Platz war als für ein schmales Bett, einen Stuhl und eine wurmstichige Wäschekommode - doch für Debby war sie das reinste Paradies ; bei ihren früheren Herrschaften hatte ihre Schlafstatt oft genug aus einer Ecke neben dem Küchenherd bestanden.
Obwohl sich Debby vor Müdigkeit kaum noch auf den Beinen halten konnte, wusch sie sich gründlich über der Waschschüssel auf der Kommode, bevor sie auf das knarrende Bett fiel und augenblicklich einschlief.
...
Genehmigte Lizenzausgabe für Verlagsgruppe Weltbild GmbH, Augsburg
... weniger
Autoren-Porträt von Sarah Lee Hawkins
Sarah Lee Hawkins wurde 1955 in Oregon geboren. Die Enkeltochter deutscher Einwanderer stammt aus einer Farmerfamilie und konnte bereits in jungen Jahren erste schriftstellerische Erfolge verbuchen. Seit zehn Jahren lebt sie als freie Autorin mit ihrer Familie in New York.
Bibliographische Angaben
- Autor: Sarah Lee Hawkins
- 2012, 1, 304 Seiten, Maße: 12,5 x 18,7 cm, Taschenbuch
- Verlag: Weltbild
- ISBN-10: 386365188X
- ISBN-13: 9783863651886
Kommentare zu "Tränen des Südens"
0 Gebrauchte Artikel zu „Tränen des Südens“
Zustand | Preis | Porto | Zahlung | Verkäufer | Rating |
---|
4.5 von 5 Sternen
5 Sterne 16Schreiben Sie einen Kommentar zu "Tränen des Südens".
Kommentar verfassen