Und plötzlich guckst du bis zum lieben Gott
Eine spannende Biografie eines Mannes mit vielen Talenten: Wie er wurde, was er ist. Erkenntnisse mit Tiefgang, erzählt in seiner typisch augenzwinkernden Art und Weise
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Eine spannende Biografie eines Mannes mit vielen Talenten: Wie er wurde, was er ist. Erkenntnisse mit Tiefgang, erzählt in seiner typisch augenzwinkernden Art und Weise
Die Lebensgeschichte einer schillernden Persönlichkeit: Horst Lichter - ein medial-geniales Original: der Rheinländer ist Koch, Kabarettist, Sammler, Herd-Humorist und Gastro-Philosoph. Nach zwei Hirnschlägen, einem Herzinfarkt und anderen "Nackenschlägen" beschließt Horst Lichter, mit dem Leben zu beginnen: dem wahren Leben.
''Ich bin wie ein altes Haus: bemitleidenswerter Zustand, aber voller Geschichten'', so sieht er sich selbst heute, der Mann, der mit 14 Jahren eine Kochlehre in der Bergheimer ''Alten Post'' begann. Heute, gut 30 Jahre später, ist er ein gefeierter Medienstar. Dazwischen liegen Jahrzehnte voller Hochs und Tiefs, die ihn vor allem zu einer Erkenntnis gebracht haben: Wir alle stehen unserem Schöpfer näher als wir denken.
Ein Mutmach-Buch.
Und plötzlich guckst du bis zumlieben Gott von Markus Lanz
LESEPROBE
Da mussteman mit Untertiteln sprechen
Es ist dieWelt des Richard Lenzen, des inoffiziellen Schrottplatz-Paten von Köln-Bocklemünd. Ein Patriarch, einer von der alten Schule,für den ein Handschlag mehr zählt als eineUnterschrift. "Der kam immer mit seinem 12-Zylinder Mercedes vorgefahren, gingmit seinem Stock über den Platz, und jeder hatte Respekt, weil er wusste, derkennt dort jedes einzelne Teil. Selbst die, die schon da waren, als Jesus inNazareth in die dritte Klasse ging." Lenzen macht seine Geschäfte amSchreibtisch, ohne Computer, ein paar Leitz-Ordner genügen ihm. Und wenn ereinen so anguckt, mit seinen wässerigen, blauen Augen, so ernst und durchdringlich, dann sieht er ein bisschen aus wie derCharles Bronson vom Schrott. Mindestens einmal proTag wird Lichter Zeuge sehr spezieller Dialoge: "Hörens Jupp, wat kost misch dat, wenn isch dat dun?" Selbst er muss da genau hinhören. "Da musste manmit Untertiteln sprechen."
Zwei Jahregeht er hin, jeden Tag, schuftet acht Stunden zusätzlich. "Es kam öfter vor,dass ich morgens, direkt nach der Nachtschicht in der Fabrik, zum Schrottplatz gefahrenbin. Dann habe ich da ein paar Stunden gearbeitet, fuhr gegen Mittag nachHause, um wenigstens ein paar Stunden zu schlafen, und machte mich dann wiederauf den Weg zur Nachtschicht." Lichter ist ungeheuerfleißig. Bis heute ist Lenzen beeindruckt davon, wie er damals die Hanomag-Motorenzerlegt hat: "Wir hatten ganz viele davon auf dem Platz, und ich hab Horstabgestellt, um sie auseinanderzunehmen. Wir dachtenalle, der beißt sich daran die Zähne aus. Aber er hat es tatsächlichgeschafft!"
DerSchrottplatz hat seine eigenen Regeln, und Lichter kriegt es zu spüren. "AmAnfang haben sie versucht, mich so richtig zu verarschen, weil ich derMilchbubi war." Einmal geben sie ihm LKW-Reifen. Die soll er mit ner Eisenstange von den Felgen abziehen. "Gott sei Dank hatdas nicht geklappt - ich hätte mich umgebracht!" Drei Stunden lassen sie ihnwühlen. "Dann kam Charles Bronson um die Ecke und hat
einen Riesenbrüll losgelassen: Was ich da für n Scheiß machenwürde? Und dann hat er die anderen gefaltet vom Allerfeinsten. Sie mussten mirdann zeigen, wie das an der Maschine geht."
Später darfer Gabelstapler fahren. Jetzt sitzt er an der Quelle! Jedes Mal, wenn wiederein schrottreifes Motorrad angeliefert wird, schleppt er das olle Ding mit nachHause. "Unser Haus war noch nicht fertig, da standen im Rohbaukeller schon 15oder 16 Mopeds. Christine war total begeistert! Denn dadurch konnten wirmonatelang keinen Estrich gießen." Als sie immer unentspannter wird, greift ertief in die psychologische Trickkiste. Das kann er gut. Dann streicht er sichzuerst mit dem Zeigefinger von rechts nach links über den Schnäuzer- das soll devote Verlegenheit vortäuschen -, neigt den Kopf schräg nach untenund schaut dann mit Dackelblick über den Goldrand seiner Nickelbrille hinwegtief in die Augen seines Gegenübers. Und dabei sieht er so unschuldig aus, als seier Mahatma Gandhi - nur mit Schnurre. "Ich sammle ja keinen Müll", fängt er an.Reaktion abwarten. "Ich sammle doch nur Geschichten." Aha. Natürlich fällt Christinenicht drauf rein. Auch "Geschichten" können Keller verstopfen. Sie triezt ihnso lange, bis er endlich eine alte Scheune anmietet. "Zu meiner Glanz- und Gloriazeithatte ich irgendwann sechs gemietete Schuppen rund um Rommerskirchen, in denenlauter alter Prüll lag: alte Türen, alte Fenster, alteMopeds, alte Bücher, alte Schreibmaschinen." Aus diesem ganzen Krempel wird erspäter seinen irren Laden bauen. Seine ganz persönliche Dreifaltigkeit bestehtaus Scheunen, Schrott und Schreierei zu Hause. Es sind seine Gründerjahre, under ist - ohne es zu ahnen - gerade dabei, die Kunstfigur Horst Lichter zu erfinden.Zwei Jahre zieht er das durch: Doppelschicht für eine Handvoll Mark. Sie sindinzwischen wieder Eltern geworden. Der kleine Christopher läuft ihm überallhinnach. "Das war von Anfang an mein Kind, und ich glaube, Christine hatte schwerdaran zu knabbern, als sie merkte, dass der kleine Junge kein Ersatz für unsertotes Mädchen war." Sie hatten beide gespürt, dass sie nach dem Drama um ihreKleine eine Entscheidung treffen mussten: entweder nie wieder ein Kind.
Odersofort. "Meine Frau hatte unheimliche Angst vor der zweiten Schwangerschaft. Deshalbhatte das Baby nach der Geburt einen nervösen Magen. Ich bin jede Apothekeabgefahren, um Lefax-Tropfen zu holen." Manchmalpackt auch ihn die nackte Angst - Existenzangst! Wie soll er das alles bloßschaffen? Die Raten fürs Haus?
Die Familieernähren? Vielleicht hatte seine Mutter doch Recht, als sie Bedenken anmeldete:"Ihr solltet nicht sofort ein zweites Kind kriegen. Kümmert euch erst mal umeuch selbst." Trotzdem sind sie Eltern wie aus dem Bilderbuch: sie eine gute Mutter,er ein guter Vater. Trotz allem.
DennLichter wird zu der Zeit immer seltener satt. Leidetimmer öfter richtig Hunger. Und fängt in seiner Not an zu klauen. Lenzen, diegraue Eminenz vom Schrottplatz, züchtet am Rand des weitläufigen GeländesSchweine. Sein Hobby: "Ich hatte Hausschweine, Wildschweine und vietnamesischeHängebauchschweine. Sie können sich gar nicht vorstellen, was wir zu Hause füredle Würste hatten! Heute landen Schweine nach spätestens vier, fünf Monatenbeim Metzger. Ich hab meine mehr als ein Jahr lang gefüttert. Und zwar vomAllerfeinsten." Zum Beispiel mit Müllermilch. Ganz in der Nähe hat EDEKA einZentrallager. Lichter fährt regelmäßig mit einemkleinen Laster dorthin, um abgelaufene Lebensmittel für die Schweine abzuholen."Dann gehst du da rein und hast - Scheiße noch mal! - richtig Hunger. Du lädstein paar Paletten Müllermilch Schoko ein, die seit einem Tag abgelaufen ist. Unddu hast unglaublich Bock auf diese Müllermilch! Und dann klaust du den Schweinendas Fressen. Du nimmst es mit nach Hause und denkst, boah,geil, wat für ne leckere Milch! Und du zockst Bananen, die weggeworfen werden,nur weil sie ein bisschen braun geworden sind. Und du denkst, Mann, dannschmecken die doch erst richtig gut ..." Von allen Schweinen auf demSchrottplatz ist er damals das ärmste. Lenzen bekommt von alledem nichts mit. Vonder Doppelschicht nicht, von der Müllermilch nicht. "Ich wusste, dass er gebauthatte. Aber ich hatte keine Ahnung davon, dass er so knapp bei Kasse war. Dasgeht einen ja auch nichts an."
Auf demSchrottplatz bekommt der Koch Horst Lichter ein anderes Verhältnis zu Lebensmitteln."An diese Schweinenummer muss ich oft denken, wenn ich im Fernsehen neben alldiesen Superköchen stehe. Ich glaube, die hatten nie mal wirklich Hunger."Auch seine Familie, Christine und der kleine Christopher, kriegen nichts davonmit. Dafür sorgt er schon. "Ich werde eine Frühstücksszene aus meiner Kindheitnie vergessen. Wir saßen am Tisch und hatten nur noch so nkleines Stückchen Leberwurst. Und Papa sagte:
Gib demJungen das Stück Wurst, ich mag das Brot sowieso lieber nur mit Butter!
Ich hab dasals kleiner Junge geglaubt. Ich war fest davon überzeugt, dass mein Papa garkeine Leberwurst mag und stattdessen lieber Brot, dick geschnitten, mit Butter isst."( )
©Gütersloher Verlagshaus
- Autor: Markus Lanz
- 2007, 2, 239 Seiten, mit zahlreichen farbigen Abbildungen, Maße: 20,5 x 25,5 cm, Gebunden, Deutsch
- Verlag: Gütersloher Verlagshaus
- ISBN-10: 3579064592
- ISBN-13: 9783579064598
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