Unheilvolle Leidenschaft
Nur widerwillig übernimmt Miles Cavanagh seine Pflichten als Vormund der eigenwilligen Felicity. Doch als er der schönen Erbin erst einmal begegnet, ist es um ihn geschehen: Die beiden verlieben sich heftig ineinander - wohl wissend, dass ihre...
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Produktinformationen zu „Unheilvolle Leidenschaft “
Nur widerwillig übernimmt Miles Cavanagh seine Pflichten als Vormund der eigenwilligen Felicity. Doch als er der schönen Erbin erst einmal begegnet, ist es um ihn geschehen: Die beiden verlieben sich heftig ineinander - wohl wissend, dass ihre Leidenschaft nicht rechtens ist. Und Miles hat einen skrupellosen Rivalen, der vor nichts zurückschreckt, um ihm Felicity zu entreißen.
Lese-Probe zu „Unheilvolle Leidenschaft “
Unheilvolle Leidenschaft von Jo Beverley 1
Irland, Januar 1816
Miles Cavanagh blickte von der Gerichtsurkunde auf, die er in der Hand hielt, und krauste die Stirn. »Es scheint, dein Vater war nicht mehr klar bei Verstand, Colum. Du müsstest Vormund des Mädchens sein!«
Sein neuer Stiefvater setzte eine feierliche Miene auf. »Einem Mann, der sich anschickt, diese Welt zu verlassen, mein Junge, sei es erlaubt, sich zuerst von seinem gesunden Menschenverstand zu verabschieden.«
»Um sich stattdessen einen Floh ins Ohr setzen zu lassen, meinst du?«
Colum Monahan war ein Mann mittleren Alters. Er trug immer noch seine Reisegarderobe und drohte schalkhaft mit dem fleischigen Zeigefinger. »Versuche nicht, mir die Schuld zu geben, Miles. Vater war bereits Stunden, bevor ich in Foy angekommen bin, tot und das Testament besiegelt.«
Miles nahm an, dass dies der Wahrheit entsprach, doch es war typisch für Colum, sich vor einer unbequemen Pflicht zu drücken.
Er war ein charmanter, aber träger Mann, der es sich gut gehen ließ und stets das Beste vom Leben erwartete. Erstaunlicherweise wurde ihm das meiste vom Schicksal gewährt, einschließlich der hübschen Mutter von Miles.
Und nun auch noch der glückliche Umstand, von einem lästigen Mündel verschont zu bleiben.
Er stand offenbar mit Kobolden im Bunde.
»Was, zum Teufel, mag bloß in ihn gefahren sein?«, fragte Miles. »Wie kann jemand, der noch im Vollbesitz seiner geistigen Kräfte ist, einem Fünfundzwanzigjährigen, den er kaum kennt, die Vormundschaft über seine Enkelin anvertrauen? «
»Ich weiß es nicht ...«
»Über seine zwanzigjährige Enkelin!«
... mehr
»Mein lieber Junge, Vater ist außer Reichweite, und es hat keinen Zweck, deine Wut an mir auszulassen.«
Miles raufte sich die Haare. »Entschuldige, aber dass mir eine solche Bürde auferlegt wird, ist kaum zu ertragen.«
»Ruhig Blut. Es trifft dich am Ende noch selbst der Schlag, wenn du deine cholerische Art nicht im Zaum hältst.«
»Ich bin nicht cholerisch.«
Colum füllte zwei Gläser mit Weinbrand und reichte Miles eines davon. »Alle Rothaarigen neigen zu Wutausbrüchen. «
»Meine Haare sind nicht rot, und ich bin der Ruhigsten einer. « Miles öffnete die aufeinandergepressten Lippen, um einen Schluck aus seinem Glas zu nehmen. »Es passt mir nicht, für eine junge Frau Verantwortung zu tragen, schon gar nicht für Felicity, die du, wie ich mich erinnere, als einen ›wahren Teufelsbraten‹ bezeichnet hast.«
Colum machte es sich in seinem Lieblingssessel bequem. »Das gute Kind wird mit den Jahren schon noch ruhiger werden. Während der Trauerfeierlichkeiten hat sie sich ausgesprochen anständig betragen.« Er zwinkerte Miles auf eine Weise zu, die ihm selbst Ähnlichkeit mit einem stämmigen Kobold verlieh. »Und hübsch ist sie allemal geworden. Dunkle Haare, dunkle Augen und eine sehr vorteilhafte Figur. «
»Zum Teufel damit! Wenn ich mich schon um ein Mündel zu kümmern habe, wär's mir lieber, es sähe hausbacken aus. Ich weiß schließlich, wie junge Männer sind.«
»Kein Zweifel, das weißt du, mein Junge.« Colum schaute empor zu der prächtigen Stuckdecke und lächelte. »Übrigens, ihr fällt ein stattliches Erbe zu.«
Miles starrte ihn an. »Ein Erbe? Dein Vater wird ihr gewiss nicht viel hinterlassen haben.«
Colum senkte seine hellen Augen. »Du vergisst ihren Großvater mütterlicherseits, Miles.«
In der Tat.
Miles war der Ansicht gewesen, dieser Familienzweig der Nichte seines Stiefvaters ginge ihn nichts an.
Im vergangenen Sommer, kurz nach der Trauung seiner Mutter mit Colum, war Miles mit dem glücklichen Paar nach Foy Hall gefahren, dem Familiensitz seines Stiefvaters. Felicity Monahan hatte sich damals bei der Familie ihrer Mutter in England aufgehalten, um über ein unverhofftes Erbe vonseiten ihres Großvaters zu verhandeln.
»Ist dieses Erbe denn überhaupt der Rede wert?«
Colum kicherte vergnügt. »Wenn ich daran denke, wie sich Vater aufgeregt hat über Patricks Brautwahl ... Es passte ihm ganz und gar nicht, dass er die Tochter ›dieses Bergknappen aus Cumberland‹ zur Frau wollte. Doch dann erschloss sich dieser Knappe seine eigenen Gruben und schürfte ein Vermögen daraus.« Er hob sein Glas und prostete Miles zu. »Zwanzigtausend im Jahr, mein Junge.«
»Zwanzigtausend!«
»Du könntest die kleine Felicity vielleicht als gute Partie betrachten.«
»Teufelsbraten«, erinnerte ihn Miles und nahm einen stärkenden Schluck Weinbrand zu sich. Zwanzigtausend. Sein eigenes Einkommen war deutlich geringer. Hölle und Verdammnis. Sämtliche Erbschleicher Europas würden diesem Mädchen nachstellen.
Wäre seine Mutter nicht auf den abwegigen Einfall gekommen, noch einmal zu heiraten, hätte er die Monahans nie kennengelernt, und der ganze Ärger wäre ihm erspart geblieben.
»Beruhige dich, mein Junge. Wer Pferde liebt wie du, sollte es doch zu schätzen wissen, wenn ein Füllen Feuer hat.«
»Zum Henker, Colum, wir sprechen über eine Frau, nicht über eine Stute.«
»Am Ende sind sich alle gleich«, antwortete Colum und zwinkerte verschmitzt mit den Augen.
Miles schenkte sich neu ein. Es behagte ihm nicht, einen Stiefvater zu haben, und dass dieser an seiner Mutter ganz offenbar ein recht sinnliches Vergnügen fand, stellte seine Duldsamkeit auf eine allzu große Probe.
Die beiden berührten sich ständig und warfen einander Blicke zu, die Bände sprachen. Selbst am helllichten Tag, und nicht selten zogen sie sich dann unter irgendeinem Vorwand zurück.
Anständig war ein solches Verhalten wahrhaftig nicht.
Seine Mutter aber schien glücklich zu sein, und darum behielt Miles seine Meinung für sich. Er war froh, bald aufbrechen und nach England reisen zu können, und hoffte, dass sich der Überschwang des frisch verheirateten Paares bei seiner Rückkehr gelegt haben würde und die beiden ein Verhalten an den Tag legten, das ihrem Alter angemessen war.
Falls es denn zu der Reise tatsächlich noch kommen sollte. Unglückseligerweise hatte er sich im Oktober, ausgerechnet kurz vor Eröffnung der Jagdsaison, das Schultergelenk ausgekugelt, woran er immer noch laborierte. Es stieß ihm bitter auf, nicht in den Shires jagen zu können, doch er hatte sich dem Wunsch seiner Mutter gefügt und war zu Hause geblieben, um seine Genesung nicht dadurch zu gefährden, dass er eines seiner Rassepferde zu bändigen versuchte.
Dann war auch schon die Weihnachtszeit angebrochen, und weil er seit Jahren die Festtage nicht zu Hause verbracht hatte, nutzte er die Gelegenheit.
Doch nun, da er endlich abreisen wollte, wurde ihm dies in den Schoß gelegt.
»Zu dumm, dass du noch nicht verheiratet bist, mein Junge«, sagte Colum. »Wenn du eine Frau hättest, würde sie sich um das Mädchen kümmern können.«
»Ich habe aber keine Frau und im Moment auch nicht die Absicht, mir eine zu suchen. Ich bin noch nicht bereit, mich häuslich niederzulassen.«
»Aber, aber«, sagte Colum, »du bist der Erbe der Kilgoran und trägst als solcher Verantwortung.«
Miles hob seine Schultern wie unter einer schweren Last, dabei hatte er an dieser Bürde schon zeit seines Lebens zu tragen gehabt, denn sein Vater war Cousin und Nachfolger des Grafen von Kilgoran gewesen. Durch den Tod des Vaters und die zunehmende Hinfälligkeit des alten Grafen drohte der Ernstfall von heute auf morgen einzutreten und seinem unbekümmerten Leben ein Ende zu machen.
»Wenn mein verehrter Onkel diese Verantwortung ernst genommen und beizeiten geheiratet hätte, wäre mir dieses Problem erspart geblieben.«
»Zugegeben, aber nun stellt sich die Frage deiner Vermählung umso dringlicher. Du bist der letzte Stammhalter, Miles. Es wäre doch allzu traurig, wenn ein ehrwürdiger, alter irischer Adelstitel in Vergessenheit geriete.«
»Ich habe einen Bruder.«
»Der als Offizier der Marine dient. Unter einer gesicherten Existenz stelle ich mir etwas anderes vor.«
Miles musterte seinen Stiefvater mit nachdenklichem Blick. »Es sieht dir nicht ähnlich, mir den Pfad der Tugend weisen zu wollen, Colum.«
Colums übertriebene Unschuldsmiene bestätigte Miles' Verdacht, dass dieser etwas im Schilde führte. »Deine Mutter sähe es gern, wenn du dir eine Frau nehmen würdest, und was meiner Aideen gefällt, gefällt auch mir.«
»Gut so, denn ich bin mir sicher, dass es meiner Mutter nicht gefiele, wenn ich diese Vormundschaft antreten würde. Darum werde ich Leonard in Hinblick auf seine letzten Stunden für nicht mehr zurechnungsfähig erklären lassen. Und wenn der Nachtrag des Testaments gestrichen ist, wirst du das Mädchen in deine Obhut nehmen müssen.«
Colum schüttelte den Kopf. »Ach, Miles, dazu wird es wohl nicht kommen. Der Nachtrag wurde von Leonards Leibarzt und Kammerdiener mitunterzeichnet, und beide bezeugen, dass er im Vollbesitz seiner geistigen Kräfte war.«
»Verflucht. Es muss trotzdem einen Ausweg für mich geben. «
»Nicht auf die Schnelle.« Colum sah sehr ernst aus, was ihm nur selten gelang. »Ich kenne die Dubliner Gerichte zur Genüge, Miles, und kann nur jedem raten, ihnen unbedingt aus dem Weg zu gehen. In gut sechs Wochen wird Felicity volljährig sein. Ein Gerichtsverfahren nähme mindestens ebenso viel Zeit in Anspruch, und am Ende hättest du damit allenfalls erreicht, dass sich die Beutelschneider in den Kanzleien die Hände reiben. Nein. Es wäre leichter für dich, die Bürde auf dich zu nehmen und zu tragen.«
Miles schaute sich in dem behaglich eingerichteten Zimmer hektisch um. »Ich wittere eine Verschwörung, Colum. Es muss ein Haken an dieser Sache sein, aus der du dich so eifrig herauszuhalten versuchst.«
»Ein Haken? Ach was ...«
»Ich musste bereits auf zwei Monate der Jagdsaison verzichten, und diese Angelegenheit raubt mir noch mehr davon. «
»Es war nicht meine Schuld, dass du dir fast den Arm abgerissen hättest, Miles. Im Gegenteil. Habe ich dir nicht schon vor Monaten geraten, dieses störrische Pferd zum Schlachter zu bringen?«
»Banshee hat Qualitäten, die ich nicht verschwendet wissen möchte. Doch leider sind meine Pferde in Melton, während ich hier festsitze. Wie dem auch sei, falls ich wider Erwarten doch noch dazu bereit sein sollte, die Vormundschaft zu übernehmen, will ich das Mädchen vorher wenigstens gesehen haben.«
»Gewiss. Mehr wird auch nicht von dir verlangt werden. Es scheint, sie fühlt sich wohl in Foy Hall, und sie versteht sich gut mit meiner Schwester Annie. Felicity lässt sich durch einen Dubliner Anwalt vertreten und hat zwei Treuhänder, die ihr Vermögen verwalten ...«
In diesem Moment betrat Miles Mutter, Lady Aideen Monahan, das Zimmer - wie immer mit strahlenden Augen, heiterem Lächeln und sprühend vor Energie.
Obwohl sie der hochherrschaftlichen Familie der Fitzgeralds entstammte, machte sie sich nicht viel aus Pomp und Etikette. Auf ihren Titel jedoch legte sie Wert, zumal der bürgerlichen Bezeichnung »Mrs«, wie sie sagte, etwas allzu Hausfrauliches anhaftete.
Drall und hübsch in ihrem blauen Wollgewand anzusehen, die sandfarbenen Locken unter einem Spitzentuch hochgesteckt, das kaum als Haube zu bezeichnen war, gab sie ihrem Mann einen herzhaften Willkommenskuss.
»Wer hat hier ein Vermögen, um das sich Treuhänder kümmern? «, fragte sie interessiert.
Sie war es, die den Clonnagh'schen Besitz verwaltete und so ihrem Sohn Miles ermöglichte, ein ganz und gar sorgloses Leben zu führen.
»Colums Nichte Felicity«, antwortete Miles.
»Ah ja! Sie hat es von ihrem Großvater mütterlicherseits geerbt. Gibt es ein Problem damit?« Wären ihre Ohren dazu imstande gewesen, hätten sie wohl zwei neugierige Spitzen ausgebildet. »Jetzt erinnere ich mich. Du bist ihr Vormund, Colum.«
»Nein«, entgegnete Miles. »Ich bin es. Der alte Leonard Monahan hat seinen letzten Willen entsprechend abgeändert. «
Aideen fuhr herum; ihre blauen Augen funkelten. »Was du nicht sagst! Warum?«
»Das weiß allein der Teufel.«
»Im Ernst«, bemerkte Colum, »es war davon die Rede, dass Felicity in Gefahr schwebt ...«
»In Gefahr?«, fragte Miles. »Durch wen oder was?«
»Dazu hat Leonard nichts gesagt. Vielleicht wusste er es selber nicht. Vermutlich konnte er aber nicht mehr richtig sprechen. Zweifellos fürchtete er, dass es manche Männer nur auf ihre Mitgift abgesehen haben könnten.«
»Mag sein, aber gleich von Gefahr zu reden zeugt doch davon, dass er ernstlich verwirrt war.«
Aideen nahm ihren Sohn eingehend ins Visier. »Du bist arg verstimmt, mein Lieber, nicht wahr?«
»Was wohl meinen Haaren anzusehen ist, die zweifellos zu Berge stehen.« Er schmunzelte.
Sie streckte den Arm aus, um ihm die Haare zu glätten. »Es wird schon nicht so schlimm sein, sie zum Mündel zu haben. Und solange du weg bist, werden wir uns um deine Angelegenheiten kümmern. Die Wünsche eines Sterbenden sollten respektiert werden, Miles.«
Die Worte seiner Mutter hatten das Gewicht eines Befehls. Miles seufzte.
»Na schön. Ich werde morgen nach Foy reiten und mich dem Mädchen vorstellen. Vielleicht bleibe ich sogar ein paar Tage. Aber dann muss ich weiter nach Melton.«
Am darauffolgenden Nachmittag trieb Miles sein Pferd Argonaut im Galopp über eine saftig grüne Wiese. Die schweren Hufe schleuderten Schmutz auf Stulpstiefel und Lederhose.
Es war ein herrlicher Ritt, der ihn fast schon mit der jungen Frau versöhnte, der seine Reise galt.
Er lenkte den Hengst auf eine lang gezogene Anhöhe. Obwohl es schon an die dreißig Meilen zurückgelegt hatte, schien das Pferd völlig unbeeindruckt von der Steigung zu sein und sprengte unvermindert schnell voran.
Auf dem Hügelkamm angekommen, zügelte Miles das Pferd und tätschelte lachend den schweißnassen Hals. »Mein Prachtstück, du bist unübertrefflich. Es wird mir das Herz brechen, wenn ich von dir Abschied nehmen muss.«
Der große Rotbraune warf den Kopf zurück und schnaubte, als wolle er das Lob angemessen quittieren.
»Aber ich werde dich jemandem überlassen, der dich zu schätzen weiß, mein Freund. Keine Sorge.«
Im leichten Trab ritt er zur Straße hinunter und dankte dem Himmel, dass er nicht des Geldes wegen Pferde züchten musste wie allzu viele irische Landsleute. Sie mussten ihre Herzen stählen und an den Meistbietenden verkaufen, sogar an grobes Gesindel oder ungeschickte Tölpel, die keinerlei Rücksicht auf ein Pferd nahmen.
Miles dagegen konnte sich seine Kunden aussuchen. Meist führte er, wenn die Jagdsaison begonnen hatte, eine kleine Auswahl geeigneter Pferde nach Melton Mowbray, wo er sie entweder selbst ritt oder einem vertrauten Freund lieh, ehe er sie schließlich auf privatem Weg verkaufte.
Die Meltonier - allesamt begeisterte Jäger - wussten um den guten Ruf der Clonnagh'schen Jagdpferde; sie würden sich jederzeit auch unbesehen für eines entscheiden, hatten aber wie alle Männer ihr Vergnügen daran, die Tiere in Aktion zu sehen.
Im Verlauf einer Jagdsaison nahm Miles mehr Anträge entgegen als der Vater einer reichen Erbin aus der Familie der Almacks.
Der Gedanke erinnerte ihn an eine ganz bestimmte reiche Erbin, die näher an seinem Zuhause wohnte, und er betete im Stillen, dass es ihm erspart bleiben möge, über Bewerber, die um Miss Monahans zarte und vermögende Hand anhielten, entscheiden zu müssen.
Mit dem Druck seiner Knie trieb er Argonaut voran und orientierte sich an der untergehenden Sonne. Die Landschaft bot ihm zwar keine Anhaltspunkte, doch war er allem Anschein nach auf dem richtigen Weg und wohl nur noch wenige Meilen von Foy entfernt.
Schade, dass das Mädchen bei seinem letzten Besuch in Foy Hall nicht zu Hause gewesen war und er darum keine Vorstellung davon hatte, was ihn erwartete. Colums Bemerkungen nach war sie ein schlecht erzogenes Gör, das wie ein Mann im Sattel saß und kam und ging, wie es ihm beliebte.
Ihr wildes Wesen konnte kaum überraschen. Schon mit zehn Jahren zur Vollwaise geworden - ihre Eltern waren auf der Schiffsreise nach England ums Leben gekommen -, hatte man sie der Obhut ihres Großvaters anvertraut. Miles schätzte den alten Leonard Monahan als ebenso charmant ein wie seinen Sohn Colum, aber auch als doppelt so träge und müßig.
Ein nachlässiger Verwalter kümmerte sich mehr schlecht als recht um Leonards Ländereien, während in seinem Haus seine nicht minder müßige Tochter Annie herrschte, für die das Wichtigste im Leben ihre Katzen waren. Für etwas anderes setzte sie sich kaum in Bewegung.
Ja, es konnte nicht verwundern, dass Felicity verwildert war, doch Miles hatte kein Interesse daran, sie zu zähmen. Er hoffte lediglich, dass sich sein unerwünschtes Mündel während der nächsten ein, zwei Wochen halbwegs gesittet aufführte.
An einer Weggabelung zeigte ein Wegweiser an, dass Foy in zwei Meilen erreicht sein würde.
Als Miles sein Pferd in die angegebene Richtung lenkte, galoppierte ein anderer Reiter um die Biegung und schloss grüßend zu ihm auf.
»Rupert Dunsmore von Loughcarrick«, stellte sich der gut aussehende Fremde vor und hob die mit einem Silberknauf veredelte Gerte an seine glänzende Biberfellkappe, die er gewollt verwegen auf den glänzenden hellblonden Haaren trug. Sein auffälliger Grauschimmel konnte Miles nicht sehr beeindrucken, wohl aber seine Kleidung, die ihn als Gentleman auswies, zum Reiten aber viel zu elegant war. Miles kam um eine Erwiderung des Grußes nicht umhin.
»Miles Cavanagh of Clonnagh.«
Er konnte sich selbst nicht erklären, warum ihm dieser Mr. Dunsmore auf Anhieb unsympathisch war. Vielleicht lag es an der verächtlichen Miene, die sein bleiches, schmales Gesicht zur Schau trug, oder auch an dem extrem englischen Tonfall, den er anschlug. Entweder er war Engländer, oder aber er gab sich auf übertriebene Weise als solcher aus; möglich auch, dass er als Ire die Eindringlinge nachzuäffen versuchte.
»Ihr seid einen weiten Weg geritten von zu Hause, Mr Cavanagh. « Dunsmore musterte ihn, als argwöhnte er unlautere Absichten aufseiten von Miles. Pferdediebstahl etwa?
In England ausgebildet, konnte Miles, wenn ihm der Sinn danach stand, so englisch auftreten wie ein Mitglied der königlichen Familie, doch er wählte bewusst den Akzent seiner Heimat. »Soweit ich weiß, Mr Dunsmore, gibt es kein englisches Gesetz, das mich daran hindern könnte. Noch nicht.«
Die beiden ritten im Schritttempo Seite an Seite, aber alles andere als einvernehmlich, denn Dunsmore schien der Überzeugung zu sein, dass Miles seiner Gesellschaft unwürdig sei. Miles hätte den Mann hinter sich zurücklassen können, wollte Argonaut aber eine Verschnaufpause gönnen. Außerdem wurde es allmählich dunkel.
»Ich bin auf dem Weg nach Foy, Sir. Und Ihr?«, fragte er in der Hoffnung, dass Dunsmore einen anderen Weg einzuschlagen gedachte.
»Loughcarrick liegt ganz in der Nähe von Foy.«
Verflucht. »Ein schöner Landstrich.«
»Allerdings.«
Womöglich hätten sie die Unterhaltung auf diese Weise fortgesetzt, bis einer von ihnen an Langeweile gestorben wäre, doch plötzlich kam Leben in Dunsmore. Er warf Miles einen scharfen Blick zu und sagte: »Cavanagh! Ihr seid doch nicht etwa ...? Ausgeschlossen, der Enkel des alten Leonard Monahan of Foy könnt Ihr doch wohl nicht sein, oder?«
»Nein, der bin ich nicht.« Und noch bevor sich Erleichterung auf Dunsmores Gesicht breitmachen konnte, fügte Miles hinzu: »Ich bin sein Stiefenkel, falls es einen solchen Verwandtschaftsgrad überhaupt gibt.«
»Aber ... aber dann seid Ihr ja der Erbe von Kilgoran!« Sichtlich verdutzt musterte Dunsmore Miles' hirschlederne Reithose und den abgewetzten braunen Rock.
»Für einen weiten Ausritt ziehe ich mir keine feinen Kleider an, Mr Dunsmore«, erklärte Miles und betrachtete mit ähnlich abschätziger Miene die stutzerhafte Aufmachung des anderen.
Dunsmore fasste sich und setzte ein leutseliges Lächeln auf. »Dann wollt Ihr wohl Euer Mündel Miss Monahan besuchen. «
Miles hatte für Leute nichts übrig, die nur höhergestellten Personen gegenüber freundlich sein konnten, doch es erschien ihm zwecklos, einen Streit anzufangen.
»So ist es«, antwortete er. »Seid Ihr mit Miss Monahan bekannt? «
»Sehr gut sogar. Wir sind Nachbarn. Sie und meine verstorbene Gattin standen sich sehr nahe.«
Ein Prickeln im Nacken warnte Miles, dass hinter diesen Worten mehr stecken mochte. »Mir ist das Mädchen noch nie zu Gesicht gekommen.«
»Sie ist eine vortreffliche junge Frau. Verzeiht, wenn ich darauf hinweise, Sir, aber dass ein solch junger Mann, wie Ihr seid, als ihr Vormund eingesetzt wurde, muss doch sonderbar erscheinen. Sie ist eine Erbin. Ihre Freunde müssen also besorgt sein.«
Du betrachtest dich also als ein Freund von ihr. Oder ist es mehr als nur Freundschaft? Der Mann war offenbar Witwer.
Hatte er womöglich die Absicht, wieder zu heiraten? Eine reiche Frau?
»Ihre Freunde haben keinen Grund zur Sorge, Mr Dunsmore «, entgegnete Miles. »Wenn sich Miss Monahan bis zum kommenden März alle Mitgiftjäger vom Hals hält, werden wir gut miteinander zurechtkommen.«
Das ohnehin schmale Gesicht von Dunsmore wirkte noch eine Spur verkniffener. »Verzeiht, wenn ich indiskret erscheine, Mr Cavanagh, aber mir drängt sich der Eindruck auf, als ...«
Bevor er den Satz zu Ende brachte, wurde er plötzlich von einem riesigen Hahn aus dem Sattel gezerrt. Tatsächlich waren unversehens aus einem nahen Gebüsch mehrere Tiere hervorgebrochen. Gans, Widder, Pferd, Bulle ...
Miles nahm all seinen Verstand zusammen und erkannte, dass es sich um eine Gruppe von Männern in Masken und Umhängen handelte.
Plötzlich hatte sich ein Schwein hinter ihm aufs Pferd geschwungen, stieß wüste Flüche auf Gälisch aus und versuchte, ihn aus dem Sattel zu stoßen.
Miles rammte ihm einen Ellbogen vor die Brust und brachte Argonaut zum Aufbäumen, sodass der Mann hinter ihm zu Boden stürzte. Er riss das Pferd herum und sah, wie sich vier Männer über Dunsmore hermachten und erbarmungslos mit den Fäusten auf ihn einprügelten. Miles sprengte hinzu, um sie zu vertreiben.
Zwei Angreifer aber bekamen rechts und links je ein Hosenbein von ihm zu fassen und hielten daran fest, was Argonaut in Panik versetzte. Er riss die Augen auf, bockte und schlug mit den Hinterläufen aus.
Miles hieb mit der Gerte auf einen der Kerle ein, doch dem anderen gelang es, ihn vom Pferde zu reißen und auf den Boden zu werfen.
Zwei weitere Männer stürzten sich auf ihn und fesselten ihn im Handumdrehen. Argonaut bäumte sich auf, und Miles musste mit ansehen, wie einer sein Pferd mit der Keule traktierte.
»Verdammtes Pack!«, wütete Miles und wehrte sich erneut nach Kräften, musste aber hinnehmen, dass ihm ein Knebel in den Mund gezwängt wurde. Argonaut stürmte mit lahmender Hinterhand auf der Straße davon.
An Händen und Füßen gebunden, wand sich Miles am Boden und schwor, sich an jedem Einzelnen dafür zu rächen, dass sie sein Pferd verletzt hatten.
Fürs Erste aber war er schachmatt gesetzt. Die vier Männer eilten den dreien zur Hilfe, die auf Dunsmore eindroschen. Weshalb?, fragte sich Miles und zerrte vergeblich an den Fesseln. Hatten sie persönliche Gründe oder politische? Derzeit war in Irland das eine ebenso wahrscheinlich wie das andere.
Malträtiert und voller Wut sah er die Gans mit einem klobigen Knüppel auf Dunsmore einprügeln, der am Boden kauerte. Die Hiebe sollten offenbar wehtun, aber keinen dauerhaften Schaden anrichten. Anscheinend wollten ihm die Kerle eine Lektion erteilen, doch wer einen Engländer so behandelte, konnte nicht recht bei Trost sein.
Schon morgen würde es in der ganzen Gegend von Soldaten wimmeln.
Die Männer hievten den Geprügelten, nachdem sie ihm die Biberfellkappe schief auf den Kopf gedrückt hatten, in den Sattel zurück und versetzten seinem Pferd einen Schlag auf die Flanke, worauf es die Straße entlangpreschte. Vornüber- gebeugt klammerte sich Dunsmore krampfhaft an der Mähne fest.
Miles fand nun Gelegenheit, sich Gedanken darüber zu machen, welches Schicksal ihm wohl blühen mochte. Ein Großteil der seltsamen Tiergestalten machte sich aus dem Staub. Nur das Pferd und die Gans blieben zurück.
Die Gans hielt immer noch den Knüppel in der Faust.
»Was zum Teufel machen wir jetzt mit dem?«, fragte sie das Pferd auf Gälisch.
»Wir lassen ihn liegen. Früher oder später kommt irgendjemand vorbei.«
»Es wird gleich regnen.«
»Was soll's? Er wird schon nicht einlaufen.« - »Conners Cottage ist gleich da drüben.«
»Jesus und Maria, du willst doch wohl nicht, dass ich ihn dorthin trage? Er ist ein kräftiger Bursche. Wenn du Mitleid mit ihm hast, schlage ich vor, wir binden ihn los. Dann kann er wieder auf eigenen Füßen stehen.«
»Er ist bestimmt einer, der leicht aufbraust. Schau dir seine roten Haare an. Aber wenn man ihm Zeit zum Abkühlen lässt, wird er vielleicht zur Vernunft kommen.«
Verrechne dich nicht, dachte Miles voller Rachsucht.
Er versuchte, genau hinzusehen, um die Männer später wiedererkennen zu können, doch es war schon recht dunkel geworden.
Das Pferd hatte eine stämmige Statur und überragte die Gans um Haupteslänge, obwohl diese selbst durchaus groß gewachsen war. Die Umhänge verhüllten fast gänzlich, was sie am Leib trugen, und was darunter zu erkennen war, hatte keinerlei besondere Merkmale. Die Tierköpfe maskierten ihre Gesichter und dämpften die Stimmen.
Das Pferd kam näher. »Ich werde dir die Fessel von den Füßen nehmen, damit du dich aus eigener Kraft fortbewegen kannst. Solltest du aber Ärger machen, Knabe, werde ich dir eins drüberziehen und dich hinter mir herschleifen.«
Miles glaubte ihm aufs Wort. Das Pferd half ihm auf die Beine und führte ihn durch ein Gatter auf einen altersschwachen Verschlag zu. Das Nieseln ging gerade in unablässigen Regen über, als sie die Hütte erreichten, die weder Glas in den Fenstern noch Läden davor hatte und deren ramponierte Tür aus den Angeln zu kippen drohte. Im Innern aber war es trocken. Miles wurde zu Boden gestoßen und wieder an den Füßen gefesselt.
»Es wird bald jemand kommen, der dich freilässt. Wenn du klug bist, machst uns weder jetzt noch später irgendwelche Schwierigkeiten.«
Im Moment hätte Miles jedem, der ihm in die Nähe kam, mit bloßen Händen die Kehle zugedrückt, wenn es ihm möglich gewesen wäre. Dass die Kerle vorsichtig waren, verstand er nur zu gut. Womöglich würde er sich mit der Zeit tatsächlich ein wenig abkühlen, jetzt aber schickte er ihnen stumme Flüche nach, als sie ihn auf dem verdreckten Lehmboden zurückließen und das Weite suchten.
Er lehnte sich neben der leeren Feuerstelle an die gemauerte Wand und zählte seine blauen Flecken. Allzu viele waren es nicht. Wahrscheinlich hatte er nur das Pech gehabt in Begleitung dieses Dunsmore zu sein, denn die Kerle waren vergleichsweise schonend mit ihm umgegangen.
Er nahm an, dass es sich um Mitglieder der sogenannten Farmyard Boys handelte, die seit einigen Jahren in den östlichen Grafschaften für Unruhe sorgten und heftige Vergeltung an Gutsherren übten, die ihre Pächter unterdrückten, oder an Landsleuten, die sich mit den Engländern gemein- machten.
Das englische Joch mit seinen harschen Gesetzen und den fünfundzwanzigtausend Soldaten, die deren Durchsetzung erzwangen, lastete tatsächlich schwer auf der irischen Insel, doch mit Selbstjustiz erreichte man gar nichts.
Wie dem auch sei, Miles war geneigt, den Zwischenfall auf sich beruhen zu lassen, wenn es nur Argonaut gut ging.
Die Dämmerung ging in dunkle Nacht über, und Miles' Nachsicht verwandelte sich wieder in zunehmenden Groll. Die Fesseln scheuerten an den Gelenken. Während sich in manchen Gliedern Taubheit breitmachte, verkrampften andere. Der Knebel spannte die Lippen und ließ den Mund austrocknen. Er fing zu zittern an, denn es war eine kalte Januarnacht.
Miles verfluchte ihre schwarzen Seelen und versuchte unter großen Schmerzen, die Fesseln zu lockern und seine Hände zu befreien.
Als er Geräusche von draußen vernahm, hielt er inne. Höchste Zeit, verdammt noch mal, dachte er.
Sogleich aber stellten sich Zweifel ein. Konnte er wirklich Hilfe erwarten? Immerhin war er Zeuge einer verbrecherischen Tat ...
Knarrend öffnete sich die aus den Angeln geratene Tür. Eine schwarze Gestalt zeigte sich im Ausschnitt vor dem Hintergrund der dunkelgrauen, nebelverhangenen Nacht. Langsam schlich sie näher, und es war nur zu hören, wie der Saum des Umhangs über den Boden streifte.
Es wurde etwas hingelegt, das ein Klicken verursachte.
Eine Waffe?
Obwohl wehrlos und ohnmächtig, machte sich Miles auf einen Kampf gefasst.
2
Es war eine Laterne. Als eine der Blenden geöffnet wurde, strömte Kerzenlicht durch die Hütte und umspielte die verhüllte Gestalt, die die Laterne nun auf ein wurmstichiges Bord an der Wand stellte.
Die Silhouette und die Form der Hände verrieten Miles, dass sich unter dem Umhang eine Frau verbarg.
Erleichtert atmete er auf. Ganz schön schlau, dachte er, ihn auf diese Weise zu befreien, denn wenn er auch noch so wütend war, würde er sich doch nie an einer Frau vergreifen. Wetten, dass sie auch noch hübsch und gefällig war?
Sie streifte die Kapuze zurück, und es zeigte sich, dass er richtig geraten hatte. Üppige rötliche Locken, ein schmales Gesicht und wunderschöne dunkle Augen voll warmherziger Besorgnis.
»Oh, Ihr Armer!«, rief sie aus und schlug die Hände vor der fülligen Brust zusammen, was ihr den Anschein einer barmherzigen Madonnenfigur verlieh.
Ihre Stimme war die einer Magd, aber darum nicht weniger angenehm.
Er wollte etwas Höfliches sagen, woran ihn aber der Knebel im Mund hinderte.
War sie etwa schwachsinnig? Sie stand reglos da und betrachtete ihn mitleidsvoll.
Als er sich mit kehligen Lauten bemerkbar machte, schnappte sie nach Luft und sagte: »Oh, Euer Mund, Sir! Herrje. Gleich werdet Ihr befreit sein, Sir. Macht Euch nur keine Sorgen.«
Sie eilte herbei, um ihm den Knebel aus dem Mund zu nehmen, doch anstatt sich von hinten zu nähern - was nur vernünftig gewesen wäre, da der Knebel im Nacken verknotet war -, trat sie vor ihn hin und beugte sich so tief herab, dass sich ihr Busen bis auf wenige Zoll seinem Gesicht näherte. Er war geradezu begraben unter weichem, warmem Fleisch, das den süßen Duft von Rosen verströmte.
»Oh, das Tuch ist schrecklich fest verknotet. Diese Bestien! Wie kann man nur so grausam sein?«
Sie beugte sich noch tiefer.
Gütiger Himmel, was ihm da entgegendrängte, war wahrhaft stattlich. Sie trug ein altmodisch geschnürtes Mieder, das allein den unteren Teil der Brüste schürzte und diese nach oben drückte. Darüber lag nur der Stoff des Unterkleids, das vom häufigen Waschen dünn und fadenscheinig geworden war.
Miles war zwar nicht in Stimmung für amouröse Gefühle, doch sein Körper reagierte ganz von allein auf diese Pracht.
Für eine Magd duftete sie bemerkenswert angenehm, in einer warmen, weiblichen Note, die an Rosen erinnerte. Allerdings schien sie wirklich recht einfältig zu sein, denn noch immer machte sie sich an dem Knoten des Knebels zu schaffen und griff umständlich mit den Händen um seinen Kopf herum.
Warum zum Teufel, versuchte sie es nicht einfach von hinten?
Er wollte ihr einen Tipp geben, stieß aber nur würgende, unverständliche Laute hervor.
Sie nestelte an dem Knoten im Nacken und schaute aus wunderschönen Augen auf ihn herab. Die langen Wimpern waren so dunkel und dick, als seien sie mit Ruß geschwärzt worden.
Welche Farbe ihre Augen hatten, ließ sich im schwachen Kerzenlicht nicht erkennen, aber auch sie schienen pechschwarz zu sein, was ihnen den Ausdruck innigen Mitgefühls verlieh.
Ach was, dachte er, das ist nur Einbildung. Sie schien ja nicht genug Verstand zu besitzen, um vor dem Regen hier herzufliehen.
Er murmelte wieder, herrschte sie im Grunde an.
»Ach je. Armer, armer Mann. Tut es so weh? Oh, ich hab da eine Idee. Mal sehen, ob ich von hinten besser an den Knoten herankomme.«
Sie ging um ihn herum und drückte seinen Oberkörper nach vorn. Wenig später war Miles vom Knebel befreit.
Er bewegte den schmerzenden Kiefer und sammelte Speichel, um den Mund zu befeuchten.
»Zu trinken?«, ächzte er.
»Oh ja. Natürlich, Sir!« Aus einer Tasche ihres altmodischen, weiten Überrocks zog sie eine Flasche hervor und öffnete sie. »Das wird Euch im Nu wieder zu Kräften bringen, Sir«, sagte sie und führte ihm die Flasche an die Lippen.
Gierig trank er daraus, fuhr aber plötzlich mit dem Kopf zurück, sodass sich das meiste über seinen Rock ergoss.
»Was habt Ihr, Sir? Es ist bester irischer Whiskey. Ich schwör's beim Grab meiner Mutter.«
Miles hustete. »Keine Frage, gute Frau. Aber es ist nicht das, was mir gegen den Durst hilft. Gibt es kein Wasser?«
Sie sprang auf und drückte die Flasche mit beiden Händen an den Busen.
»Wie dumm von mir! Augenblick, ich bin gleich wieder zurück, Sir.«
Sie stürzte zur Tür, blieb aber nach wenigen Schritten jählings stehen und erstarrte, als befinde sie sich in einem schrecklichen Dilemma. Ihr nachdenklicher Blick ging zwischen der Flasche und Miles, der immer noch am Boden kauerte, hin und her. Dann ging sie hinaus und schüttete dabei den Whiskey auf den Boden.
Miles sah sich bestätigt. Sie war einfältig, daran konnte kein Zweifel bestehen. Vielleicht hatte sie tatsächlich kein anderes Behältnis für Wasser zur Hand, aber warum zum Teufel hatte sie ihm nicht einfach die Fesseln abgenommen, sodass er sich selbst auf den Weg zum Bach hätte machen können.
Er seufzte und wähnte wiederum jemanden im Hintergrund, der geschickt die Fäden hielt. Denn noch viel unwahrscheinlicher als im Fall einer Frau war es, dass er, Miles, sich an einer Schwachsinnigen vergreifen würde. Andere dagegen mochten nicht lange zögern, wenn sich ihnen ein solch verlockender Anblick bot.
Hatten die Hintermänner auch daran gedacht?
Vielleicht war es Teil des Plans.
Wenig später war sie wieder zur Stelle und ließ ihn aus der Flasche trinken, diesmal frisches, kühles Wasser, wonach sein ausgetrockneter Mund lechzte.
»Vielen Dank, gute Frau«, sagte er so ruhig wie möglich, denn er wollte sie nicht erschrecken. »Vielleicht könntest du mir jetzt Hände und Füße losbinden.«
Sie ging in die Hocke und legte wie ein Kind einen Finger an die Lippen.
»Nun ja, Sir, ich will offen sein. Man hat mir geraten, dass ich mich vor Euch in Acht nehmen soll. Ihr könntet womöglich gewalttätig werden.«
»Dann hätte dich vielleicht einer dieser kräftigen Lümmel begleiten sollen.«
»Darüber hat man tatsächlich nachgedacht «, gestand sie und knabberte dabei an den Fingerknöcheln. »Dass auch Ihr verletzt wurdet, war nicht beabsichtigt, Sir.«
Miles schmerzte der Kiefer, so sehr presste er die Zähne aufeinander, doch er ahnte, dass dieses arme Mädchen Reißaus nähme, wenn er seine Wut auch nur im Geringsten erkennen ließe. »Verstehe«, sagte er, um sie zu beruhigen. »Ich verspreche, dich in Frieden zu lassen. Binde mich bitte los. Diese Stricke tun mir sehr weh.«
Sie kaute immer noch an einem der Knöchel, stand dann aber auf und hob die Röcke. Darunter zeigten sich weiße Strümpfe und feste Schuhe, die zu einem einfachen Bauernmädchen, für das er sie gehalten hatte, nicht passten, sondern einen etwas höheren Stand zu verraten schienen. Und was zum Teufel tat sie da?
Der Saum der Röcke rutschte langsam höher, und seine Augen folgten ihm über wohlgeformte, in Baumwollstrümpfe gehüllte Waden, an einem einfachen Strumpfband unterm Knie vorbei und bis hinauf zum cremefarbenen, nackten Schenkel. Verwundert fragte er sich, wie weit diese Reise noch gehen mochte, als sie über einem Ledergurt endete, an dem ein Messer in einer Scheide steckte. Sie zog die Klinge, die so lang und gefährlich aussah, dass er unwillkürlich zurückschrak.
Lächelnd und das im Kerzenlicht blinkende Messer fest im Griff sprang sie auf ihn zu.
Miles fluchte und versuchte, ihr auszuweichen, doch sie langte nach dem Strick zwischen seinen Füßen und hielt ihn zurück.
»Rührt Euch nicht!«, sagte sie heiter und setzte die Klinge an. Er spürte, wie sie den Strick durchtrennte, und zwar mit einer Leichtigkeit, die ihm bestätigte, dass die Schneide so scharf war wie vermutet.
Sie stellte sich hinter ihn. »Oh, Eure armen Handgelenke, die sind ja ganz aufgescheuert! Moment, gleich seid Ihr frei.«
Die Fessel fiel von ihm ab. Er brachte die Hände nach vorn und massierte, vor Schmerzen zusammenzuckend, die wunden Stellen.
Er versuchte aufzustehen, war aber so steif in den Beinen, dass er sich auf die Knie wälzte und an den rauen Steinen der Feuerstelle hochhangelte. Mit wüsten Flüchen auf alle Sorten von Stallvieh hinkte er durch den kleinen Raum und versuchte, Steifheit und schmerzendes Prickeln von sich abzuschütteln.
Schließlich erregte das Mädchen seine Aufmerksamkeit. Es kniete noch immer am Boden und hielt das Messer an den Busen gedrückt. Die nach oben gerichtete Spitze forderte den Gedanken an ein bestimmtes männliches Körperteil geradezu heraus.
Miles' Schmerzen waren wie weggeblasen ...
»Wollt Ihr, dass ich Euch die Beine massiere, Sir?« Sie streckte eine Hand nach seinem Schenkel aus, doch es war die Hand, die das Messer hielt.
Miles sprang entsetzt zurück, knickte im linken Bein ein und landete unsanft auf dem harten Boden. »Um Himmels willen, Mädchen, steck das Ding weg!«
Mit betroffener Miene stand sie auf, hob wieder die Röcke bis über den Schenkel an und ließ die Klinge langsam und andeutungsvoll in der Scheide verschwinden. Sie hatte mit Sicherheit mehr im Sinn als seine Befreiung von den Fesseln. Was Miles zu Gesicht bekam, wirkte mit Macht auf gewisse Körperteile, doch er fühlte sich nicht imstande, deren Wünschen zu entsprechen.
Er mühte sich auf und stellte zu seiner Erleichterung fest, dass die Steifheit und die Schmerzen in den Beinen spürbar nachgelassen hatten. »Wo ist mein Pferd, Mädchen?«
»Der prächtige rotbraune Hengst, Sir? Vorm Shamrock. Das ist die Schenke im Dorf Foy.«
»Geht es ihm gut?«
»Oh ja, Sir. Er strotzt vor Kraft.«
Von der größten Sorge befreit, reckte Miles seinen Körper und betrachtete das Bauernmädchen mit wachem Blick. Bei Gott, sie war ein wahrhaft ansehnliches Wesen, recht groß für eine Frau, mit diesen üppigen Rundungen ausgestattet und einem lieblichen, vollwangigen Gesicht.
Und wunderschönen, langen Beinen.
Allerdings nicht ganz klar im Kopf.
Schimpf und Schande über diese Lümmel, dass sie ein so einfältiges Mädchen vorgeschickt hatten, um deren schmutzige Arbeit zu tun.
Er berührte ihre Wange. »Was hast du mit diesen seltsamen Viechern zu schaffen? Sprich!«
Sie senkte die langen Wimpern. »Erwartet Ihr wirklich eine Antwort darauf, Sir?«, fragte sie und schmiegte sich wie ein Kätzchen in seine Hand. Die dunklen Augen richteten sich auf ihn, doch zweifelte er daran, dass sie in diesem schummrigen Licht etwas erkennen konnte. »Ihr werdet doch hoffentlich keine Klage einreichen, oder, Sir?«
Himmel. Deutlicher konnte es kaum gesagt sein. Sie bot sich ihm an, damit er Stillschweigen bewahrte.
Es war verlockend, sehr verlockend ...
Er tippte mit dem Daumen an ihre Unterlippe und wünschte, dass sie den weichen Mund ein wenig für ihn öffnen würde. »Ich soll also auf eine Klage verzichten, Schätzchen? Dir zuliebe sage ich vielleicht nichts. Allerdings wird Mr Dunsmore inzwischen das Militär verständigt haben. Es sei denn, ihr habt ihn umgebracht.«
Sie sah ihn mit großen Augen voller Unschuld an. »Umgebracht, Sir? Bei den Heiligen Patrick und Bridget, er ist längst zu Hause und in Sicherheit. Ein bisschen gerupft vielleicht, aber beileibe nicht tot. Oh nein.«
»Dann wird er spätestens morgen die Soldaten auf deine Freunde hetzen. Hast du irgendwo ein Versteck?«
Sie senkte den Kopf und zuckte mit den Lippen. »Das wird nicht nötig sein, Sir. Mr Dunsmore ist zwar ein Engländer und hat ein dunkles Herz, doch er wird sich hüten, die Soldaten in unsere Gegend zu schicken. Wenn Ihr keinen Ärger macht, wird es ruhig bleiben.«
Er hob ihr Kinn mit einem Finger an und suchte in ihren entwaffnenden Augen nach der Wahrheit.
»Du scheinst dir bemerkenswert sicher zu sein, dass er schweigt. Warum? Und ich frage mich auch, wie ihr, du und deine Freunde, erreichen wollt, dass ich keine Klage einreichen werde.«
»Wir haben Euch doch kein Haar gekrümmt, Sir. Außerdem seid Ihr ein Ire. Und ich sehe Eurem lieben Gesicht an, dass Ihr von dem englischen Tyrannen nichts haltet.«
Erst jetzt bemerkte Miles, dass das Mädchen ihm etwas vorspielte und dabei ihre Rolle übertrieb. Er trat einen Schritt zurück, um sie in Augenschein zu nehmen.
»Ich halte nichts von Rohlingen, egal, ob sie irisch oder englisch sind.«
Sie krauste die Stirn und legte ihm eine Hand auf die Brust. »Würdet Ihr denn zulassen, dass man mich verhaftet und deportiert, Sir? Ich bin zu Euch gekommen, ohne Maske.«
Er ergriff ihre Hand, nicht nur, um sie zu kontrollieren, sondern auch, weil er sie an sich drücken und nicht wieder freigeben wollte.
»Vielleicht war das ein Fehler von dir.«
»Wirklich?« Sie berührte sein Gesicht mit der anderen Hand und gab ihm, die Lippen verführerisch geöffnet, einen flüchtigen Kuss auf die Wange, führte dann die Hand, die er mit der seinen umschloss, an ihre Brust, rieb sie über den Busen und sprach mit lächelnden Blicken eine Einladung aus.
Vielleicht aus Erleichterung darüber, dass er nicht länger in Gefahr schwebte, war ihm mit einem Male nach einer Frau zumute, besonders nach dieser. Er schlang ihr den Arm um die Taille. »Erstaunlich, wie du dir Sicherheit erkaufst, mein Schatz. Ich bin bereit, den Handel einzugehen, würde es aber vorziehen, mein Liebchen beim Namen nennen zu können. Wie heißt du?«
Sie fuhr ein wenig zusammen. »Wäre es nicht töricht, Sir, Euch meinen Namen zu nennen?«
Mit seinen Lippen streifte er die ihm zugekehrte Wange. »Nur zu. Es würde mir ohnehin nicht schwerfallen, dich zu finden.«
Ihre Lippen suchten seinen Mund, und nach kurzem Zögern flüsterte sie: »Joy. Ich heiße Joy.«
Er schmunzelte. »Das bezweifle ich, aber der Name passt zu dir. Ich bin sicher, dass du vielen Männern Freude bereitest. «
Sie versteifte sich plötzlich. »Was? Wie könnt Ihr ...?«
»Hast du nicht erst vorhin Dunsmore auf ähnliche Weise bezirzt?«
»Ihr seid ein Schuft! Das habe ich nicht!«
Er widerstand ihrem halbherzigen Ringen. »Aber vermutlich ist er dazu noch nicht in der Lage.«
Miles küsste sie sanft, schmeckte ihre Haut und erspürte mit der Hand ihren freizügigen Körper, was ein Gefühl von heißer Erwartung in ihm aufleben ließ. Sie entspannte sich wieder und hieß ihn mit ihren Lippen willkommen. Gleichwohl glaubte er spüren zu können, dass sie sich nicht aus freien Stücken hingab, sondern ein schon vorher geplantes Opfer zu bringen bereit war.
Seufzend und voller Bedauern rückte er von ihr ab. Als Vormund von Felicity Monahan hatte er in der hiesigen Gesellschaft einen besonderen Stand, und es würde ihn nur in Verruf bringen, wenn er von Joy annähme, was sie ihm anbot, ohne es wirklich selbst geben zu wollen.
Joy wusste nichts von seinen familiären Verpflichtungen und glaubte gewiss, er sei nur auf der Durchreise, sodass sie ihn bestechen könnte und danach nie wiedersehen würde. Wenn er sich auf ein Geplänkel mit ihr einließe, erntete er damit womöglich die Feindschaft einer Familie, wenn nicht sogar des ganzen Dorfes. Und die konnte in Irland, was Dunsmore am eigenen Leib zu spüren bekommen hatte, sehr gefährlich werden.
Er gab Joy einen Kuss auf die Hand. Mit einer solchen Geste ließen sich fast alle Frauen beschwichtigen, vor allem die der unteren Stände.
Falls sie tatsächlich zu den leichteren Mädchen der Ortschaft zählte, würde er vielleicht später noch einmal auf ihr Angebot zurückkommen, denn sie war so betörend wie kaum eine andere.
»Ich fürchte, ich bin ebenso wenig wie Dunsmore imstande, dir gerecht zu werden, jedenfalls nicht heute Nacht, mein Schatz. Vielleicht ein anderes Mal.«
Sie protestierte nicht, hielt aber seine Hand fest. »Und Ihr werdet die Sache nicht zur Anzeige bringen, Sir?«
»Wenn Dunsmore nichts sagt, will auch ich schweigen.«
Sie küsste seine Hand mit fast religiöser Inbrunst. »Ah, danke, Sir, vielen Dank! Jesus und Maria mögen Euch beschützen. «
Sie übertrieb wieder.
»Jesus, Maria und Joseph mögen Euch beschützen«, antwortete er, wie es üblich war. »Wenn du mich jetzt bitte zu meinem Pferd führen würdest, süße Joy, könnte ich meinen Weg fortsetzen.«
»Ihr wollt weiter? Es ist schon spät, Sir. Ihr solltet in der Herberge übernachten. Dort ist auch Euer Pferd.«
»Ich dachte, es würde dir nicht gefallen, wenn ich länger in der Gegend bliebe.«
Der Blick, den sie ihm zuwarf, war alles andere als einfältig und zeugte davon, dass sie die Situation sehr genau einzuschätzen wusste.
»Unsere Gesetzeshüter verfahren nicht gerade freundlich mit denen, die nachts unterwegs sind, Sir.«
Interessant. Wahrscheinlich fürchteten Joy und ihre Freunde, dass er, sollte er den Soldaten in die Hände fallen, ausplaudern könnte, was ihm widerfahren war. Sie konnten natürlich nicht wissen, dass seine Reise schon bald zu Ende sein würde, denn Foy Hall lag, entsprechend früherer Bauweise, gleich außerhalb der Ortschaft.
Spontan beschloss er, dieses Spiel mitzuspielen, neugierig darauf, was sonst noch zu erfahren sein mochte.
»Nun denn, süße Joy, bring mich zum Shamrock Inn.«
Sie nahm die Laterne vom Bord und klappte die Blende wieder zu, ehe sie ihn den Pfad zur Straße nach Foy hinunterführte. Möglicherweise fürchtete sie, einer Patrouille zu begegnen. Für Licht sorgte nur eine dünne Mondsichel, und Miles musste achtgeben, wohin er seine Füße setzte.
»Womit hat Dunsmore seine Abreibung eigentlich verdient?«, fragte er, als sie auf die vergleichsweise ebene Straße einbogen.
»Womit hätte er verdient, dass er ungeschoren bliebe?«, entgegnete sie.
»Damit bin ich überfragt. Ich kenne ihn nicht. Er scheint ein Ehrenmann zu sein, vielleicht ein bisschen hochmütig.«
»Hochmütig. Ja, das trifft auf ihn zu. Bevor er Kathleen Craig geheiratet hat, war er ein kleiner, unbedeutender Hauptmann der englischen Streitkräfte.«
»Er hat also Geld geheiratet? Und ist englischer Herkunft. Nun, das sind wahrhaftig schlimme Verfehlungen.«
Sie warf ihm einen verärgerten Blick zu. »Der Kerl hat sich gierig am Geld seiner Frau vergriffen, bis nichts mehr übrig war, und jetzt, wo sie tot ist, bereichert er sich am Grundbesitz seines Sohnes und quetscht aus den Pächtern den letzten Penny heraus, ohne Rücksicht und Erbarmen.«
Das kleine Dorf war erreicht.
»Es soll häufiger vorkommen, dass Gutsherren das einfache Landvolk bluten lassen, mein Schatz. Aber vielleicht hat er wirklich eine Tracht Prügel dafür verdient. Ich würde allerdings gern erfahren, warum du dir so sicher bist, dass er den Vorfall nicht meldet.«
Sie blieb unter dem Schild der Herberge stehen, das quietschend im Wind schaukelte. In der Schankstube fiedelte jemand. Die Fensterläden waren zugezogen, sodass nur ein Lichtschimmer nach draußen drang. »Er hat Geheimnisse, die nicht gelüftet werden sollen.«
Miles bemerkte voller Interesse, dass sie sich wieder die Kapuze über den Kopf zog. Womöglich war sie doch nicht das leichte Mädchen der Ortschaft.
Es setzte sich auf den Rand einer steinernen Pferdetränke. »Wenn es dir gelingt, ihn an der Meldung eines Verbrechens zu hindern, könntest du ihn doch auch von seinen erpresserischen Machenschaften abhalten, oder?«
»Er setzt zunehmend alles auf eine Karte. Er ist ein Spieler. Das von heute Abend war nur eine Warnung.« Sie legte ihre Hand auf seinen Unterarm. »Glaubt mir, er ist ein schlechter Mensch. Bitte, verratet uns nicht.«
Sie war ein wahrhaft bezauberndes Wesen, und sein Körper erholte sich rasch. Er ergriff ihre Hand und erschreckte sie damit, doch sie wehrte sich nicht. »Du hast mir für mein Schweigen eine Belohnung versprochen, süße Joy.«
Er hob ihre Hand und führte die Kuppe des Zeigefingers an seine Lippen.
»Es ist spät geworden, Sir«, sagte sie und versuchte zaghaft, ihre Hand zurückzuziehen. »Ich müsste längst zu Hause sein.«
Er liebkoste den nächsten Finger und saugte daran. »Wissen deine Eltern nicht, was du treibst? Oder lebst du im Haus deines Dienstherrn? Sag mir, wo ich dich erreichen kann ...«, er steckte den Finger tief in den Mund und ließ ihn dann langsam wieder herausgleiten, »... wenn ich wieder zu Kräften gekommen bin.«
Sie wehrte sich, doch er ließ sie nicht los. »Wollt Ihr damit sagen, dass Ihr nur dann Stillschweigen bewahrt, wenn ich mit Euch schlafe?«
Ihre Empörung ließ erkennen, dass sie nie daran gedacht hatte, ihn mit der Hingabe ihres Körpers zu bestechen. Vielleicht hatte sie geglaubt, dass er ihr in seinem zusammengestauchten Zustand nicht gefährlich werden konnte. Was für eine sonderbar naive Vorstellung für ein so tolldreistes Weibsstück! Es reizte ihn zu erfahren, wie weit sie gehen würde und was dahintersteckte.
Er umfasste sie mit dem freien Arm und zog sie zwischen seine Beine. »Mit dir zu schlafen war nicht meine Absicht, alannah. Ich will dich schließlich nicht die ganze Nacht in Beschlag nehmen.«
Er hörte, dass ihr Atem stockte, denn ihr Gesicht war nur wenige Fingerbreit von dem seinen entfernt. »Nicht hier, Sir. Es würde sich herumsprechen ...«
»Hast du noch einen guten Ruf zu verteidigen?« Er gab ihre Hand frei und tat, wozu es ihn schon vom ersten Augenblick an gedrängt hatte, er berührte eine ihrer Brüste. Wie köstlich - so voll, warm und fest. Er beugte sich über sie und küsste die anschwellende Wölbung. »Ich werde dir nicht schaden. Mein Wort darauf, Joy. Bist du einem dieser Tiere versprochen? Ist er einverstanden damit, dass du für ihn und seine Kumpane diesen Preis zahlst? Oder wird er mir nachstellen, um Rache zu üben?« Sein Daumen fand und streichelte ihre Brustwarze, die sich bereits aufgerichtet hatte.
Zitternd wich sie zurück. »Ich bin keinem Mann versprochen. « Einen Augenblick später gab sie ihren Widerstand auf. »Aber ich werde tun, was nötig ist, um ihnen zu helfen.«
Eine wahre aufopferungsbereite Patriotin. Und sehr verführerisch dazu. Wie sie auf seine Berührungen reagierte, ließ keinen Zweifel, dass da mehr als nur Opferbereitschaft war. Es sei denn, er redete sich dies in seiner Verzückung nur ein.
»Voller Freude, Joy?« Er reizte ihre empfindliche Haut.
Sie hielt seine Hand fest. »Sir, bitte! Nicht hier vor aller Augen.«
Er schaute sich auf der Straße um. »Vor aller Augen? Es ist keine Menschenseele zu sehen und außerdem stockdunkel. Wir könnten es hier miteinander treiben, ohne dass irgendjemand etwas davon mitbekäme. Gönn uns wenigstens einen Kuss.«
Diesmal zeigte sie sich weniger anschmiegsam, doch er hob ihr Kinn an und küsste sie. Dabei brachte er all seine Erfahrungen ins Spiel, in der Hoffnung, sie für sich zu gewinnen.
Zum Teufel mit allen Fragen und mutmaßlichen Geheimnissen. Eine Nacht mit Joy, eine Nacht voller Freude, schien ihm unwiderstehlich verlockend.
Endlich lösten sich ihre Lippen und öffneten sich für ihn. Er flüsterte ihr aufmunternde Worte zu und erkundete streichelnd die wundervollen Kurven, während er ein wenig nachhalf, damit sie den Mund weiter öffnete. Er küsste sie innig, fand das Versprechen der süßen Kost bestätigt und spürte, dass sie auf sein Verlangen ansprach.
Dass seine Hand unter ihren Rock glitt, wurde ihm selbst erst bewusst, als sie einen Schrei ausstieß und sich von ihm löste.
Daran erinnert, dass er an diesem Ort kein Aufsehen erregen wollte, legte er ihr rasch die Hand auf den Mund. »Um Himmels willen, süße Joy, sei still!«
Als er sicher sein konnte, dass sie nicht schreien würde, zog er seine Hand zurück. »Zeig mir, wo mein Pferd steht, meine Liebe. Wenn ich nach ihm gesehen habe, bin ich zufrieden und erhole mich allein von meinen blauen Flecken.«
Sie aber ergriff seine Hand, drückte fest zu und hinderte ihn daran zu gehen.
»Ihr braucht nicht nach Eurem Pferd zu sehen, Sir. Michael Flaherty kümmert sich darum, und er ist der beste Stallknecht weit und breit.«
Er riss sich von ihr los. »Um meine Pferde kümmere ich mich grundsätzlich selbst, vor allem, wenn es sich um ein so kostbares Pferd handelt wie Argonaut. Ich nehme an, der Stall ist hinten im Hof.«
Miles hielt auf die Gasse neben dem niedrigen Gebäude zu, doch sie hielt ihn an seiner Jacke zurück. »Sir, bitte. Lasst mich jetzt nicht allein!«, flehte sie und warf sich ihm in die Arme. »So grausam könnt Ihr doch nicht sein. Ihr habt mich verrückt nach Euch gemacht.«
Sie hatte ihn mit dem Gewicht ihres Körpers an den Rand der Pferdetränke zurückgeschoben, so wuchtig, dass ihm der Rücken schmerzte. »Liebchen, ich habe noch nie eine Lady verzweifelt zurückgelassen. Lass mich nur schnell einen Blick auf Argonaut werfen. Danach will ich dir gern gefällig sein.«
»Ich kann nicht warten. Nach Eurem Pferd könnt Ihr auch morgen sehen.«
Er ergriff ihre Hände und befreite sich aus der Umklammerung, was ihm schwerer fiel als gedacht, denn sie war für ihre Größe überraschend stark. »Genug«, herrschte er sie an. »Oder ich werfe dich zur Abkühlung in den Trog - was allerdings jammerschade wäre.«
Ihr Atem ging so schwer, dass es schien, als schluchzte sie. »Bitte ...«
Ihr Flehen hätte ihn fast die Selbstbeherrschung gekostet, aber Argonaut ... Er musste nach ihm sehen.
Tröstend legte er ihr einen Arm um die Schulter und lenkte sie auf den Weg, der um die Schenke herumführte. »Geduld, a muirnín, gleich erfülle ich dir alle deine Wünsche. Komm jetzt. Leuchte mit der Laterne, damit wir den prächtigen Burschen finden.«
Sie schien sich ein wenig beruhigt zu haben und öffnete die Blende vor der brennenden Kerze, damit er die Boxen durchsuchen konnte. In zweien standen schwere Kaltblüter. Gleich daneben fand er Argonaut.
Das Pferd wieherte zum Gruß und drückte seinen Kopf an Miles' Brust. Er tätschelte es liebevoll. »Dir ist es offenbar besser ergangen als mir, nicht wahr?« Dann sah er, dass der Hinterlauf verbunden war, nicht etwa mit einer Bandage, sondern mit einem feuchten Umschlag ...
Seine körperliche Erregung war wie weggeblasen. Er sprang in die Box und untersuchte den Schaden, bewegte das Pferd ein wenig und sah, dass es lahmte. »Zum Teufel mit diesem Pack!«
Wütend raste er in den Hof und packte die Frau bei den Schultern. »Du und deine Vasallen, ihr habt mein bestes Pferd ruiniert.«
»Wir wollten ihm kein Leid zufügen.«
»Kein Leid zufügen? Ich habe gesehen, wie einer von euch mit einer Keule draufgeschlagen hat. Falls Argonaut einen bleibenden Schaden davonträgt, werde ich dafür sorgen, dass ihr alle nach Botany Bay kommt.«
Brüskiert richtete sie sich zur vollen Größe auf. »Verstehe. Menschen zählen hier nicht. Euch geht es nur um Pferde, und zwar um den Preis, den sie in England einbringen«, sagte sie mit verächtlicher Miene, die einer irischen Königin des Altertums gut zu Gesicht gestanden hätte.
Er stieß sie von sich. »Die meisten Pferde sind in der Tat wertvoller als die meisten Menschen. Wertvoller als Huren allemal.«
»Huren! Verflucht sei Eure schwarze Seele! Ich bin keine Hure.«
»Du hättest doch ohne zu zögern die Beine breit gemacht, um zu verhindern, dass ich das hier sehe. Damit ich eure Possen nicht zur Anzeige bringe. Für mich ist das nichts anderes als Hurerei.«
Sie stieß ein zorniges Lachen aus. »Ihr hattet keine Bedenken, ein solches Angebot anzunehmen. Ist das etwa nobler, mein edler Herr?«
Er wandte sich dem Stall zu. »Bete, dass mein Pferd wieder gesund wird, süße Joy. Wenn nicht, wird jemand dafür büßen.«
»Mick sagt, dass es nichts Ernstes ist und morgen schon alles viel besser aussieht. Wenn Ihr doch nur so lange gewartet hättet, dann wäre Euch viel Ärger erspart geblieben. Warum zum Teufel seid Ihr auf mein Angebot nicht eingegangen? «
Als er sich wieder zu ihr umdrehte, war er von ihrem Anblick überwältigt. Das vom Kerzenlicht beschienene rote Haar schien Feuer gefangen zu haben, und der zornige Stolz machte sie groß und erhaben. Verflucht, er begehrte sie immer noch.
»Es tut weh, nicht wahr? Mein Schatz, du hättest mich nicht davon abhalten können, nach Argonaut zu sehen, auch nicht als Helena von Troja, als die keltische Deirdre oder die Schwestern Gunning in einer Person. Zugegeben, mir sind meine Pferde wichtiger als die meisten Menschen, insbesondere diejenigen, die wehrlose Männer auf der Straße überfallen.«
Bevor sie darauf antworten konnte, ging er an ihr vorbei zu seinem Pferd in die Box. In diesem Moment öffnete sich die Tür zur Schenke. Licht und Gesang fluteten über den Hof. »Wer da? Oh, Ihr seid es, Miss Felicity. Wo ist der Fremde?«
Miles erstarrte und trat ins Licht der Laterne. »Hier ist er.« Und an die junge Frau gewandt: »Felicity?«
Sie zuckte mit den Achseln. »Ein anderes Wort für Joy.«
»Ich bin sicher, du bist allen, die dich kennen, eine große Freude. Felicity Monahan, wenn ich mich nicht irre.«
Sie sagte nichts, aber in ihren dunklen Augen schimmerte Unbehagen.
»Du bist wahrhaftig eine sehr interessante junge Frau. Gestatte, dass ich mich vorstelle. Ich bin Miles Cavanagh, dein rechtmäßiger Vormund.«
Mund, was Miles begrüßte, weil er dann leichter von den weiblichen Rundungen in den engen Lederkleidern absehen konnte. Die Figur war beileibe nicht das, was man als jungenhaft hätte bezeichnen können.
Abends, nach dem Diner, saßen sie meist noch zusammen. Er fand heraus, dass sie, wie erwartet, vorzüglich Schach spielte. Sie suchte stets die Offensive, während er vorsichtiger taktierte, doch keiner war dem anderen überlegen.
Auch in der Wahl ihrer Lektüre stimmten sie überein; beide schätzten die modernen Philosophen und humorvolle Romane. Manchmal lasen sie einander vor oder rezitierten Dialoge im Wechsel. Überdies liebten sie beide Musik. Sie spielte Klavichord, und er begleitete sie dazu auf der Flöte.
Doch so viel Nähe war gefährlich, denn Annie war als Anstandsdame alles andere als gewissenhaft und aufmerksam. Sie nickte häufig vor dem Kamin ein oder zog sich schon früh auf ihr Zimmer zurück. Eine oder zwei Katzen hielten im Allgemeinen die Stellung, so die kleine Gardeen, die Miles ständig um die Beine streifte. Trotz der Tatsache, dass Gardeen wachsam war, konnte von einer Katze schlechterdings nicht erwartet werden, dass sie über Felicitys Tugendhaftigkeit wachte.
Dazu war der Vormund einer jungen Lady bestimmt, doch wenn dieser Vormund nur wenige Jahre älter war als sein Mündel und der Liebreiz dieses Mündels ihm mächtig ins Auge sprang, dann war dies nicht eben schicklich.
Miles liebte Frauen in jeder Hinsicht, konnte sich aber nicht erinnern, jemals so auf eine Frau reagiert zu haben wie auf Felicity.
Er genoss ihre Gesellschaft und vermisste sie, wenn sie fort war. War sie jedoch in der Nähe, störte ihn zugleich ihre körperliche Gegenwart.
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»Mein lieber Junge, Vater ist außer Reichweite, und es hat keinen Zweck, deine Wut an mir auszulassen.«
Miles raufte sich die Haare. »Entschuldige, aber dass mir eine solche Bürde auferlegt wird, ist kaum zu ertragen.«
»Ruhig Blut. Es trifft dich am Ende noch selbst der Schlag, wenn du deine cholerische Art nicht im Zaum hältst.«
»Ich bin nicht cholerisch.«
Colum füllte zwei Gläser mit Weinbrand und reichte Miles eines davon. »Alle Rothaarigen neigen zu Wutausbrüchen. «
»Meine Haare sind nicht rot, und ich bin der Ruhigsten einer. « Miles öffnete die aufeinandergepressten Lippen, um einen Schluck aus seinem Glas zu nehmen. »Es passt mir nicht, für eine junge Frau Verantwortung zu tragen, schon gar nicht für Felicity, die du, wie ich mich erinnere, als einen ›wahren Teufelsbraten‹ bezeichnet hast.«
Colum machte es sich in seinem Lieblingssessel bequem. »Das gute Kind wird mit den Jahren schon noch ruhiger werden. Während der Trauerfeierlichkeiten hat sie sich ausgesprochen anständig betragen.« Er zwinkerte Miles auf eine Weise zu, die ihm selbst Ähnlichkeit mit einem stämmigen Kobold verlieh. »Und hübsch ist sie allemal geworden. Dunkle Haare, dunkle Augen und eine sehr vorteilhafte Figur. «
»Zum Teufel damit! Wenn ich mich schon um ein Mündel zu kümmern habe, wär's mir lieber, es sähe hausbacken aus. Ich weiß schließlich, wie junge Männer sind.«
»Kein Zweifel, das weißt du, mein Junge.« Colum schaute empor zu der prächtigen Stuckdecke und lächelte. »Übrigens, ihr fällt ein stattliches Erbe zu.«
Miles starrte ihn an. »Ein Erbe? Dein Vater wird ihr gewiss nicht viel hinterlassen haben.«
Colum senkte seine hellen Augen. »Du vergisst ihren Großvater mütterlicherseits, Miles.«
In der Tat.
Miles war der Ansicht gewesen, dieser Familienzweig der Nichte seines Stiefvaters ginge ihn nichts an.
Im vergangenen Sommer, kurz nach der Trauung seiner Mutter mit Colum, war Miles mit dem glücklichen Paar nach Foy Hall gefahren, dem Familiensitz seines Stiefvaters. Felicity Monahan hatte sich damals bei der Familie ihrer Mutter in England aufgehalten, um über ein unverhofftes Erbe vonseiten ihres Großvaters zu verhandeln.
»Ist dieses Erbe denn überhaupt der Rede wert?«
Colum kicherte vergnügt. »Wenn ich daran denke, wie sich Vater aufgeregt hat über Patricks Brautwahl ... Es passte ihm ganz und gar nicht, dass er die Tochter ›dieses Bergknappen aus Cumberland‹ zur Frau wollte. Doch dann erschloss sich dieser Knappe seine eigenen Gruben und schürfte ein Vermögen daraus.« Er hob sein Glas und prostete Miles zu. »Zwanzigtausend im Jahr, mein Junge.«
»Zwanzigtausend!«
»Du könntest die kleine Felicity vielleicht als gute Partie betrachten.«
»Teufelsbraten«, erinnerte ihn Miles und nahm einen stärkenden Schluck Weinbrand zu sich. Zwanzigtausend. Sein eigenes Einkommen war deutlich geringer. Hölle und Verdammnis. Sämtliche Erbschleicher Europas würden diesem Mädchen nachstellen.
Wäre seine Mutter nicht auf den abwegigen Einfall gekommen, noch einmal zu heiraten, hätte er die Monahans nie kennengelernt, und der ganze Ärger wäre ihm erspart geblieben.
»Beruhige dich, mein Junge. Wer Pferde liebt wie du, sollte es doch zu schätzen wissen, wenn ein Füllen Feuer hat.«
»Zum Henker, Colum, wir sprechen über eine Frau, nicht über eine Stute.«
»Am Ende sind sich alle gleich«, antwortete Colum und zwinkerte verschmitzt mit den Augen.
Miles schenkte sich neu ein. Es behagte ihm nicht, einen Stiefvater zu haben, und dass dieser an seiner Mutter ganz offenbar ein recht sinnliches Vergnügen fand, stellte seine Duldsamkeit auf eine allzu große Probe.
Die beiden berührten sich ständig und warfen einander Blicke zu, die Bände sprachen. Selbst am helllichten Tag, und nicht selten zogen sie sich dann unter irgendeinem Vorwand zurück.
Anständig war ein solches Verhalten wahrhaftig nicht.
Seine Mutter aber schien glücklich zu sein, und darum behielt Miles seine Meinung für sich. Er war froh, bald aufbrechen und nach England reisen zu können, und hoffte, dass sich der Überschwang des frisch verheirateten Paares bei seiner Rückkehr gelegt haben würde und die beiden ein Verhalten an den Tag legten, das ihrem Alter angemessen war.
Falls es denn zu der Reise tatsächlich noch kommen sollte. Unglückseligerweise hatte er sich im Oktober, ausgerechnet kurz vor Eröffnung der Jagdsaison, das Schultergelenk ausgekugelt, woran er immer noch laborierte. Es stieß ihm bitter auf, nicht in den Shires jagen zu können, doch er hatte sich dem Wunsch seiner Mutter gefügt und war zu Hause geblieben, um seine Genesung nicht dadurch zu gefährden, dass er eines seiner Rassepferde zu bändigen versuchte.
Dann war auch schon die Weihnachtszeit angebrochen, und weil er seit Jahren die Festtage nicht zu Hause verbracht hatte, nutzte er die Gelegenheit.
Doch nun, da er endlich abreisen wollte, wurde ihm dies in den Schoß gelegt.
»Zu dumm, dass du noch nicht verheiratet bist, mein Junge«, sagte Colum. »Wenn du eine Frau hättest, würde sie sich um das Mädchen kümmern können.«
»Ich habe aber keine Frau und im Moment auch nicht die Absicht, mir eine zu suchen. Ich bin noch nicht bereit, mich häuslich niederzulassen.«
»Aber, aber«, sagte Colum, »du bist der Erbe der Kilgoran und trägst als solcher Verantwortung.«
Miles hob seine Schultern wie unter einer schweren Last, dabei hatte er an dieser Bürde schon zeit seines Lebens zu tragen gehabt, denn sein Vater war Cousin und Nachfolger des Grafen von Kilgoran gewesen. Durch den Tod des Vaters und die zunehmende Hinfälligkeit des alten Grafen drohte der Ernstfall von heute auf morgen einzutreten und seinem unbekümmerten Leben ein Ende zu machen.
»Wenn mein verehrter Onkel diese Verantwortung ernst genommen und beizeiten geheiratet hätte, wäre mir dieses Problem erspart geblieben.«
»Zugegeben, aber nun stellt sich die Frage deiner Vermählung umso dringlicher. Du bist der letzte Stammhalter, Miles. Es wäre doch allzu traurig, wenn ein ehrwürdiger, alter irischer Adelstitel in Vergessenheit geriete.«
»Ich habe einen Bruder.«
»Der als Offizier der Marine dient. Unter einer gesicherten Existenz stelle ich mir etwas anderes vor.«
Miles musterte seinen Stiefvater mit nachdenklichem Blick. »Es sieht dir nicht ähnlich, mir den Pfad der Tugend weisen zu wollen, Colum.«
Colums übertriebene Unschuldsmiene bestätigte Miles' Verdacht, dass dieser etwas im Schilde führte. »Deine Mutter sähe es gern, wenn du dir eine Frau nehmen würdest, und was meiner Aideen gefällt, gefällt auch mir.«
»Gut so, denn ich bin mir sicher, dass es meiner Mutter nicht gefiele, wenn ich diese Vormundschaft antreten würde. Darum werde ich Leonard in Hinblick auf seine letzten Stunden für nicht mehr zurechnungsfähig erklären lassen. Und wenn der Nachtrag des Testaments gestrichen ist, wirst du das Mädchen in deine Obhut nehmen müssen.«
Colum schüttelte den Kopf. »Ach, Miles, dazu wird es wohl nicht kommen. Der Nachtrag wurde von Leonards Leibarzt und Kammerdiener mitunterzeichnet, und beide bezeugen, dass er im Vollbesitz seiner geistigen Kräfte war.«
»Verflucht. Es muss trotzdem einen Ausweg für mich geben. «
»Nicht auf die Schnelle.« Colum sah sehr ernst aus, was ihm nur selten gelang. »Ich kenne die Dubliner Gerichte zur Genüge, Miles, und kann nur jedem raten, ihnen unbedingt aus dem Weg zu gehen. In gut sechs Wochen wird Felicity volljährig sein. Ein Gerichtsverfahren nähme mindestens ebenso viel Zeit in Anspruch, und am Ende hättest du damit allenfalls erreicht, dass sich die Beutelschneider in den Kanzleien die Hände reiben. Nein. Es wäre leichter für dich, die Bürde auf dich zu nehmen und zu tragen.«
Miles schaute sich in dem behaglich eingerichteten Zimmer hektisch um. »Ich wittere eine Verschwörung, Colum. Es muss ein Haken an dieser Sache sein, aus der du dich so eifrig herauszuhalten versuchst.«
»Ein Haken? Ach was ...«
»Ich musste bereits auf zwei Monate der Jagdsaison verzichten, und diese Angelegenheit raubt mir noch mehr davon. «
»Es war nicht meine Schuld, dass du dir fast den Arm abgerissen hättest, Miles. Im Gegenteil. Habe ich dir nicht schon vor Monaten geraten, dieses störrische Pferd zum Schlachter zu bringen?«
»Banshee hat Qualitäten, die ich nicht verschwendet wissen möchte. Doch leider sind meine Pferde in Melton, während ich hier festsitze. Wie dem auch sei, falls ich wider Erwarten doch noch dazu bereit sein sollte, die Vormundschaft zu übernehmen, will ich das Mädchen vorher wenigstens gesehen haben.«
»Gewiss. Mehr wird auch nicht von dir verlangt werden. Es scheint, sie fühlt sich wohl in Foy Hall, und sie versteht sich gut mit meiner Schwester Annie. Felicity lässt sich durch einen Dubliner Anwalt vertreten und hat zwei Treuhänder, die ihr Vermögen verwalten ...«
In diesem Moment betrat Miles Mutter, Lady Aideen Monahan, das Zimmer - wie immer mit strahlenden Augen, heiterem Lächeln und sprühend vor Energie.
Obwohl sie der hochherrschaftlichen Familie der Fitzgeralds entstammte, machte sie sich nicht viel aus Pomp und Etikette. Auf ihren Titel jedoch legte sie Wert, zumal der bürgerlichen Bezeichnung »Mrs«, wie sie sagte, etwas allzu Hausfrauliches anhaftete.
Drall und hübsch in ihrem blauen Wollgewand anzusehen, die sandfarbenen Locken unter einem Spitzentuch hochgesteckt, das kaum als Haube zu bezeichnen war, gab sie ihrem Mann einen herzhaften Willkommenskuss.
»Wer hat hier ein Vermögen, um das sich Treuhänder kümmern? «, fragte sie interessiert.
Sie war es, die den Clonnagh'schen Besitz verwaltete und so ihrem Sohn Miles ermöglichte, ein ganz und gar sorgloses Leben zu führen.
»Colums Nichte Felicity«, antwortete Miles.
»Ah ja! Sie hat es von ihrem Großvater mütterlicherseits geerbt. Gibt es ein Problem damit?« Wären ihre Ohren dazu imstande gewesen, hätten sie wohl zwei neugierige Spitzen ausgebildet. »Jetzt erinnere ich mich. Du bist ihr Vormund, Colum.«
»Nein«, entgegnete Miles. »Ich bin es. Der alte Leonard Monahan hat seinen letzten Willen entsprechend abgeändert. «
Aideen fuhr herum; ihre blauen Augen funkelten. »Was du nicht sagst! Warum?«
»Das weiß allein der Teufel.«
»Im Ernst«, bemerkte Colum, »es war davon die Rede, dass Felicity in Gefahr schwebt ...«
»In Gefahr?«, fragte Miles. »Durch wen oder was?«
»Dazu hat Leonard nichts gesagt. Vielleicht wusste er es selber nicht. Vermutlich konnte er aber nicht mehr richtig sprechen. Zweifellos fürchtete er, dass es manche Männer nur auf ihre Mitgift abgesehen haben könnten.«
»Mag sein, aber gleich von Gefahr zu reden zeugt doch davon, dass er ernstlich verwirrt war.«
Aideen nahm ihren Sohn eingehend ins Visier. »Du bist arg verstimmt, mein Lieber, nicht wahr?«
»Was wohl meinen Haaren anzusehen ist, die zweifellos zu Berge stehen.« Er schmunzelte.
Sie streckte den Arm aus, um ihm die Haare zu glätten. »Es wird schon nicht so schlimm sein, sie zum Mündel zu haben. Und solange du weg bist, werden wir uns um deine Angelegenheiten kümmern. Die Wünsche eines Sterbenden sollten respektiert werden, Miles.«
Die Worte seiner Mutter hatten das Gewicht eines Befehls. Miles seufzte.
»Na schön. Ich werde morgen nach Foy reiten und mich dem Mädchen vorstellen. Vielleicht bleibe ich sogar ein paar Tage. Aber dann muss ich weiter nach Melton.«
Am darauffolgenden Nachmittag trieb Miles sein Pferd Argonaut im Galopp über eine saftig grüne Wiese. Die schweren Hufe schleuderten Schmutz auf Stulpstiefel und Lederhose.
Es war ein herrlicher Ritt, der ihn fast schon mit der jungen Frau versöhnte, der seine Reise galt.
Er lenkte den Hengst auf eine lang gezogene Anhöhe. Obwohl es schon an die dreißig Meilen zurückgelegt hatte, schien das Pferd völlig unbeeindruckt von der Steigung zu sein und sprengte unvermindert schnell voran.
Auf dem Hügelkamm angekommen, zügelte Miles das Pferd und tätschelte lachend den schweißnassen Hals. »Mein Prachtstück, du bist unübertrefflich. Es wird mir das Herz brechen, wenn ich von dir Abschied nehmen muss.«
Der große Rotbraune warf den Kopf zurück und schnaubte, als wolle er das Lob angemessen quittieren.
»Aber ich werde dich jemandem überlassen, der dich zu schätzen weiß, mein Freund. Keine Sorge.«
Im leichten Trab ritt er zur Straße hinunter und dankte dem Himmel, dass er nicht des Geldes wegen Pferde züchten musste wie allzu viele irische Landsleute. Sie mussten ihre Herzen stählen und an den Meistbietenden verkaufen, sogar an grobes Gesindel oder ungeschickte Tölpel, die keinerlei Rücksicht auf ein Pferd nahmen.
Miles dagegen konnte sich seine Kunden aussuchen. Meist führte er, wenn die Jagdsaison begonnen hatte, eine kleine Auswahl geeigneter Pferde nach Melton Mowbray, wo er sie entweder selbst ritt oder einem vertrauten Freund lieh, ehe er sie schließlich auf privatem Weg verkaufte.
Die Meltonier - allesamt begeisterte Jäger - wussten um den guten Ruf der Clonnagh'schen Jagdpferde; sie würden sich jederzeit auch unbesehen für eines entscheiden, hatten aber wie alle Männer ihr Vergnügen daran, die Tiere in Aktion zu sehen.
Im Verlauf einer Jagdsaison nahm Miles mehr Anträge entgegen als der Vater einer reichen Erbin aus der Familie der Almacks.
Der Gedanke erinnerte ihn an eine ganz bestimmte reiche Erbin, die näher an seinem Zuhause wohnte, und er betete im Stillen, dass es ihm erspart bleiben möge, über Bewerber, die um Miss Monahans zarte und vermögende Hand anhielten, entscheiden zu müssen.
Mit dem Druck seiner Knie trieb er Argonaut voran und orientierte sich an der untergehenden Sonne. Die Landschaft bot ihm zwar keine Anhaltspunkte, doch war er allem Anschein nach auf dem richtigen Weg und wohl nur noch wenige Meilen von Foy entfernt.
Schade, dass das Mädchen bei seinem letzten Besuch in Foy Hall nicht zu Hause gewesen war und er darum keine Vorstellung davon hatte, was ihn erwartete. Colums Bemerkungen nach war sie ein schlecht erzogenes Gör, das wie ein Mann im Sattel saß und kam und ging, wie es ihm beliebte.
Ihr wildes Wesen konnte kaum überraschen. Schon mit zehn Jahren zur Vollwaise geworden - ihre Eltern waren auf der Schiffsreise nach England ums Leben gekommen -, hatte man sie der Obhut ihres Großvaters anvertraut. Miles schätzte den alten Leonard Monahan als ebenso charmant ein wie seinen Sohn Colum, aber auch als doppelt so träge und müßig.
Ein nachlässiger Verwalter kümmerte sich mehr schlecht als recht um Leonards Ländereien, während in seinem Haus seine nicht minder müßige Tochter Annie herrschte, für die das Wichtigste im Leben ihre Katzen waren. Für etwas anderes setzte sie sich kaum in Bewegung.
Ja, es konnte nicht verwundern, dass Felicity verwildert war, doch Miles hatte kein Interesse daran, sie zu zähmen. Er hoffte lediglich, dass sich sein unerwünschtes Mündel während der nächsten ein, zwei Wochen halbwegs gesittet aufführte.
An einer Weggabelung zeigte ein Wegweiser an, dass Foy in zwei Meilen erreicht sein würde.
Als Miles sein Pferd in die angegebene Richtung lenkte, galoppierte ein anderer Reiter um die Biegung und schloss grüßend zu ihm auf.
»Rupert Dunsmore von Loughcarrick«, stellte sich der gut aussehende Fremde vor und hob die mit einem Silberknauf veredelte Gerte an seine glänzende Biberfellkappe, die er gewollt verwegen auf den glänzenden hellblonden Haaren trug. Sein auffälliger Grauschimmel konnte Miles nicht sehr beeindrucken, wohl aber seine Kleidung, die ihn als Gentleman auswies, zum Reiten aber viel zu elegant war. Miles kam um eine Erwiderung des Grußes nicht umhin.
»Miles Cavanagh of Clonnagh.«
Er konnte sich selbst nicht erklären, warum ihm dieser Mr. Dunsmore auf Anhieb unsympathisch war. Vielleicht lag es an der verächtlichen Miene, die sein bleiches, schmales Gesicht zur Schau trug, oder auch an dem extrem englischen Tonfall, den er anschlug. Entweder er war Engländer, oder aber er gab sich auf übertriebene Weise als solcher aus; möglich auch, dass er als Ire die Eindringlinge nachzuäffen versuchte.
»Ihr seid einen weiten Weg geritten von zu Hause, Mr Cavanagh. « Dunsmore musterte ihn, als argwöhnte er unlautere Absichten aufseiten von Miles. Pferdediebstahl etwa?
In England ausgebildet, konnte Miles, wenn ihm der Sinn danach stand, so englisch auftreten wie ein Mitglied der königlichen Familie, doch er wählte bewusst den Akzent seiner Heimat. »Soweit ich weiß, Mr Dunsmore, gibt es kein englisches Gesetz, das mich daran hindern könnte. Noch nicht.«
Die beiden ritten im Schritttempo Seite an Seite, aber alles andere als einvernehmlich, denn Dunsmore schien der Überzeugung zu sein, dass Miles seiner Gesellschaft unwürdig sei. Miles hätte den Mann hinter sich zurücklassen können, wollte Argonaut aber eine Verschnaufpause gönnen. Außerdem wurde es allmählich dunkel.
»Ich bin auf dem Weg nach Foy, Sir. Und Ihr?«, fragte er in der Hoffnung, dass Dunsmore einen anderen Weg einzuschlagen gedachte.
»Loughcarrick liegt ganz in der Nähe von Foy.«
Verflucht. »Ein schöner Landstrich.«
»Allerdings.«
Womöglich hätten sie die Unterhaltung auf diese Weise fortgesetzt, bis einer von ihnen an Langeweile gestorben wäre, doch plötzlich kam Leben in Dunsmore. Er warf Miles einen scharfen Blick zu und sagte: »Cavanagh! Ihr seid doch nicht etwa ...? Ausgeschlossen, der Enkel des alten Leonard Monahan of Foy könnt Ihr doch wohl nicht sein, oder?«
»Nein, der bin ich nicht.« Und noch bevor sich Erleichterung auf Dunsmores Gesicht breitmachen konnte, fügte Miles hinzu: »Ich bin sein Stiefenkel, falls es einen solchen Verwandtschaftsgrad überhaupt gibt.«
»Aber ... aber dann seid Ihr ja der Erbe von Kilgoran!« Sichtlich verdutzt musterte Dunsmore Miles' hirschlederne Reithose und den abgewetzten braunen Rock.
»Für einen weiten Ausritt ziehe ich mir keine feinen Kleider an, Mr Dunsmore«, erklärte Miles und betrachtete mit ähnlich abschätziger Miene die stutzerhafte Aufmachung des anderen.
Dunsmore fasste sich und setzte ein leutseliges Lächeln auf. »Dann wollt Ihr wohl Euer Mündel Miss Monahan besuchen. «
Miles hatte für Leute nichts übrig, die nur höhergestellten Personen gegenüber freundlich sein konnten, doch es erschien ihm zwecklos, einen Streit anzufangen.
»So ist es«, antwortete er. »Seid Ihr mit Miss Monahan bekannt? «
»Sehr gut sogar. Wir sind Nachbarn. Sie und meine verstorbene Gattin standen sich sehr nahe.«
Ein Prickeln im Nacken warnte Miles, dass hinter diesen Worten mehr stecken mochte. »Mir ist das Mädchen noch nie zu Gesicht gekommen.«
»Sie ist eine vortreffliche junge Frau. Verzeiht, wenn ich darauf hinweise, Sir, aber dass ein solch junger Mann, wie Ihr seid, als ihr Vormund eingesetzt wurde, muss doch sonderbar erscheinen. Sie ist eine Erbin. Ihre Freunde müssen also besorgt sein.«
Du betrachtest dich also als ein Freund von ihr. Oder ist es mehr als nur Freundschaft? Der Mann war offenbar Witwer.
Hatte er womöglich die Absicht, wieder zu heiraten? Eine reiche Frau?
»Ihre Freunde haben keinen Grund zur Sorge, Mr Dunsmore «, entgegnete Miles. »Wenn sich Miss Monahan bis zum kommenden März alle Mitgiftjäger vom Hals hält, werden wir gut miteinander zurechtkommen.«
Das ohnehin schmale Gesicht von Dunsmore wirkte noch eine Spur verkniffener. »Verzeiht, wenn ich indiskret erscheine, Mr Cavanagh, aber mir drängt sich der Eindruck auf, als ...«
Bevor er den Satz zu Ende brachte, wurde er plötzlich von einem riesigen Hahn aus dem Sattel gezerrt. Tatsächlich waren unversehens aus einem nahen Gebüsch mehrere Tiere hervorgebrochen. Gans, Widder, Pferd, Bulle ...
Miles nahm all seinen Verstand zusammen und erkannte, dass es sich um eine Gruppe von Männern in Masken und Umhängen handelte.
Plötzlich hatte sich ein Schwein hinter ihm aufs Pferd geschwungen, stieß wüste Flüche auf Gälisch aus und versuchte, ihn aus dem Sattel zu stoßen.
Miles rammte ihm einen Ellbogen vor die Brust und brachte Argonaut zum Aufbäumen, sodass der Mann hinter ihm zu Boden stürzte. Er riss das Pferd herum und sah, wie sich vier Männer über Dunsmore hermachten und erbarmungslos mit den Fäusten auf ihn einprügelten. Miles sprengte hinzu, um sie zu vertreiben.
Zwei Angreifer aber bekamen rechts und links je ein Hosenbein von ihm zu fassen und hielten daran fest, was Argonaut in Panik versetzte. Er riss die Augen auf, bockte und schlug mit den Hinterläufen aus.
Miles hieb mit der Gerte auf einen der Kerle ein, doch dem anderen gelang es, ihn vom Pferde zu reißen und auf den Boden zu werfen.
Zwei weitere Männer stürzten sich auf ihn und fesselten ihn im Handumdrehen. Argonaut bäumte sich auf, und Miles musste mit ansehen, wie einer sein Pferd mit der Keule traktierte.
»Verdammtes Pack!«, wütete Miles und wehrte sich erneut nach Kräften, musste aber hinnehmen, dass ihm ein Knebel in den Mund gezwängt wurde. Argonaut stürmte mit lahmender Hinterhand auf der Straße davon.
An Händen und Füßen gebunden, wand sich Miles am Boden und schwor, sich an jedem Einzelnen dafür zu rächen, dass sie sein Pferd verletzt hatten.
Fürs Erste aber war er schachmatt gesetzt. Die vier Männer eilten den dreien zur Hilfe, die auf Dunsmore eindroschen. Weshalb?, fragte sich Miles und zerrte vergeblich an den Fesseln. Hatten sie persönliche Gründe oder politische? Derzeit war in Irland das eine ebenso wahrscheinlich wie das andere.
Malträtiert und voller Wut sah er die Gans mit einem klobigen Knüppel auf Dunsmore einprügeln, der am Boden kauerte. Die Hiebe sollten offenbar wehtun, aber keinen dauerhaften Schaden anrichten. Anscheinend wollten ihm die Kerle eine Lektion erteilen, doch wer einen Engländer so behandelte, konnte nicht recht bei Trost sein.
Schon morgen würde es in der ganzen Gegend von Soldaten wimmeln.
Die Männer hievten den Geprügelten, nachdem sie ihm die Biberfellkappe schief auf den Kopf gedrückt hatten, in den Sattel zurück und versetzten seinem Pferd einen Schlag auf die Flanke, worauf es die Straße entlangpreschte. Vornüber- gebeugt klammerte sich Dunsmore krampfhaft an der Mähne fest.
Miles fand nun Gelegenheit, sich Gedanken darüber zu machen, welches Schicksal ihm wohl blühen mochte. Ein Großteil der seltsamen Tiergestalten machte sich aus dem Staub. Nur das Pferd und die Gans blieben zurück.
Die Gans hielt immer noch den Knüppel in der Faust.
»Was zum Teufel machen wir jetzt mit dem?«, fragte sie das Pferd auf Gälisch.
»Wir lassen ihn liegen. Früher oder später kommt irgendjemand vorbei.«
»Es wird gleich regnen.«
»Was soll's? Er wird schon nicht einlaufen.« - »Conners Cottage ist gleich da drüben.«
»Jesus und Maria, du willst doch wohl nicht, dass ich ihn dorthin trage? Er ist ein kräftiger Bursche. Wenn du Mitleid mit ihm hast, schlage ich vor, wir binden ihn los. Dann kann er wieder auf eigenen Füßen stehen.«
»Er ist bestimmt einer, der leicht aufbraust. Schau dir seine roten Haare an. Aber wenn man ihm Zeit zum Abkühlen lässt, wird er vielleicht zur Vernunft kommen.«
Verrechne dich nicht, dachte Miles voller Rachsucht.
Er versuchte, genau hinzusehen, um die Männer später wiedererkennen zu können, doch es war schon recht dunkel geworden.
Das Pferd hatte eine stämmige Statur und überragte die Gans um Haupteslänge, obwohl diese selbst durchaus groß gewachsen war. Die Umhänge verhüllten fast gänzlich, was sie am Leib trugen, und was darunter zu erkennen war, hatte keinerlei besondere Merkmale. Die Tierköpfe maskierten ihre Gesichter und dämpften die Stimmen.
Das Pferd kam näher. »Ich werde dir die Fessel von den Füßen nehmen, damit du dich aus eigener Kraft fortbewegen kannst. Solltest du aber Ärger machen, Knabe, werde ich dir eins drüberziehen und dich hinter mir herschleifen.«
Miles glaubte ihm aufs Wort. Das Pferd half ihm auf die Beine und führte ihn durch ein Gatter auf einen altersschwachen Verschlag zu. Das Nieseln ging gerade in unablässigen Regen über, als sie die Hütte erreichten, die weder Glas in den Fenstern noch Läden davor hatte und deren ramponierte Tür aus den Angeln zu kippen drohte. Im Innern aber war es trocken. Miles wurde zu Boden gestoßen und wieder an den Füßen gefesselt.
»Es wird bald jemand kommen, der dich freilässt. Wenn du klug bist, machst uns weder jetzt noch später irgendwelche Schwierigkeiten.«
Im Moment hätte Miles jedem, der ihm in die Nähe kam, mit bloßen Händen die Kehle zugedrückt, wenn es ihm möglich gewesen wäre. Dass die Kerle vorsichtig waren, verstand er nur zu gut. Womöglich würde er sich mit der Zeit tatsächlich ein wenig abkühlen, jetzt aber schickte er ihnen stumme Flüche nach, als sie ihn auf dem verdreckten Lehmboden zurückließen und das Weite suchten.
Er lehnte sich neben der leeren Feuerstelle an die gemauerte Wand und zählte seine blauen Flecken. Allzu viele waren es nicht. Wahrscheinlich hatte er nur das Pech gehabt in Begleitung dieses Dunsmore zu sein, denn die Kerle waren vergleichsweise schonend mit ihm umgegangen.
Er nahm an, dass es sich um Mitglieder der sogenannten Farmyard Boys handelte, die seit einigen Jahren in den östlichen Grafschaften für Unruhe sorgten und heftige Vergeltung an Gutsherren übten, die ihre Pächter unterdrückten, oder an Landsleuten, die sich mit den Engländern gemein- machten.
Das englische Joch mit seinen harschen Gesetzen und den fünfundzwanzigtausend Soldaten, die deren Durchsetzung erzwangen, lastete tatsächlich schwer auf der irischen Insel, doch mit Selbstjustiz erreichte man gar nichts.
Wie dem auch sei, Miles war geneigt, den Zwischenfall auf sich beruhen zu lassen, wenn es nur Argonaut gut ging.
Die Dämmerung ging in dunkle Nacht über, und Miles' Nachsicht verwandelte sich wieder in zunehmenden Groll. Die Fesseln scheuerten an den Gelenken. Während sich in manchen Gliedern Taubheit breitmachte, verkrampften andere. Der Knebel spannte die Lippen und ließ den Mund austrocknen. Er fing zu zittern an, denn es war eine kalte Januarnacht.
Miles verfluchte ihre schwarzen Seelen und versuchte unter großen Schmerzen, die Fesseln zu lockern und seine Hände zu befreien.
Als er Geräusche von draußen vernahm, hielt er inne. Höchste Zeit, verdammt noch mal, dachte er.
Sogleich aber stellten sich Zweifel ein. Konnte er wirklich Hilfe erwarten? Immerhin war er Zeuge einer verbrecherischen Tat ...
Knarrend öffnete sich die aus den Angeln geratene Tür. Eine schwarze Gestalt zeigte sich im Ausschnitt vor dem Hintergrund der dunkelgrauen, nebelverhangenen Nacht. Langsam schlich sie näher, und es war nur zu hören, wie der Saum des Umhangs über den Boden streifte.
Es wurde etwas hingelegt, das ein Klicken verursachte.
Eine Waffe?
Obwohl wehrlos und ohnmächtig, machte sich Miles auf einen Kampf gefasst.
2
Es war eine Laterne. Als eine der Blenden geöffnet wurde, strömte Kerzenlicht durch die Hütte und umspielte die verhüllte Gestalt, die die Laterne nun auf ein wurmstichiges Bord an der Wand stellte.
Die Silhouette und die Form der Hände verrieten Miles, dass sich unter dem Umhang eine Frau verbarg.
Erleichtert atmete er auf. Ganz schön schlau, dachte er, ihn auf diese Weise zu befreien, denn wenn er auch noch so wütend war, würde er sich doch nie an einer Frau vergreifen. Wetten, dass sie auch noch hübsch und gefällig war?
Sie streifte die Kapuze zurück, und es zeigte sich, dass er richtig geraten hatte. Üppige rötliche Locken, ein schmales Gesicht und wunderschöne dunkle Augen voll warmherziger Besorgnis.
»Oh, Ihr Armer!«, rief sie aus und schlug die Hände vor der fülligen Brust zusammen, was ihr den Anschein einer barmherzigen Madonnenfigur verlieh.
Ihre Stimme war die einer Magd, aber darum nicht weniger angenehm.
Er wollte etwas Höfliches sagen, woran ihn aber der Knebel im Mund hinderte.
War sie etwa schwachsinnig? Sie stand reglos da und betrachtete ihn mitleidsvoll.
Als er sich mit kehligen Lauten bemerkbar machte, schnappte sie nach Luft und sagte: »Oh, Euer Mund, Sir! Herrje. Gleich werdet Ihr befreit sein, Sir. Macht Euch nur keine Sorgen.«
Sie eilte herbei, um ihm den Knebel aus dem Mund zu nehmen, doch anstatt sich von hinten zu nähern - was nur vernünftig gewesen wäre, da der Knebel im Nacken verknotet war -, trat sie vor ihn hin und beugte sich so tief herab, dass sich ihr Busen bis auf wenige Zoll seinem Gesicht näherte. Er war geradezu begraben unter weichem, warmem Fleisch, das den süßen Duft von Rosen verströmte.
»Oh, das Tuch ist schrecklich fest verknotet. Diese Bestien! Wie kann man nur so grausam sein?«
Sie beugte sich noch tiefer.
Gütiger Himmel, was ihm da entgegendrängte, war wahrhaft stattlich. Sie trug ein altmodisch geschnürtes Mieder, das allein den unteren Teil der Brüste schürzte und diese nach oben drückte. Darüber lag nur der Stoff des Unterkleids, das vom häufigen Waschen dünn und fadenscheinig geworden war.
Miles war zwar nicht in Stimmung für amouröse Gefühle, doch sein Körper reagierte ganz von allein auf diese Pracht.
Für eine Magd duftete sie bemerkenswert angenehm, in einer warmen, weiblichen Note, die an Rosen erinnerte. Allerdings schien sie wirklich recht einfältig zu sein, denn noch immer machte sie sich an dem Knoten des Knebels zu schaffen und griff umständlich mit den Händen um seinen Kopf herum.
Warum zum Teufel, versuchte sie es nicht einfach von hinten?
Er wollte ihr einen Tipp geben, stieß aber nur würgende, unverständliche Laute hervor.
Sie nestelte an dem Knoten im Nacken und schaute aus wunderschönen Augen auf ihn herab. Die langen Wimpern waren so dunkel und dick, als seien sie mit Ruß geschwärzt worden.
Welche Farbe ihre Augen hatten, ließ sich im schwachen Kerzenlicht nicht erkennen, aber auch sie schienen pechschwarz zu sein, was ihnen den Ausdruck innigen Mitgefühls verlieh.
Ach was, dachte er, das ist nur Einbildung. Sie schien ja nicht genug Verstand zu besitzen, um vor dem Regen hier herzufliehen.
Er murmelte wieder, herrschte sie im Grunde an.
»Ach je. Armer, armer Mann. Tut es so weh? Oh, ich hab da eine Idee. Mal sehen, ob ich von hinten besser an den Knoten herankomme.«
Sie ging um ihn herum und drückte seinen Oberkörper nach vorn. Wenig später war Miles vom Knebel befreit.
Er bewegte den schmerzenden Kiefer und sammelte Speichel, um den Mund zu befeuchten.
»Zu trinken?«, ächzte er.
»Oh ja. Natürlich, Sir!« Aus einer Tasche ihres altmodischen, weiten Überrocks zog sie eine Flasche hervor und öffnete sie. »Das wird Euch im Nu wieder zu Kräften bringen, Sir«, sagte sie und führte ihm die Flasche an die Lippen.
Gierig trank er daraus, fuhr aber plötzlich mit dem Kopf zurück, sodass sich das meiste über seinen Rock ergoss.
»Was habt Ihr, Sir? Es ist bester irischer Whiskey. Ich schwör's beim Grab meiner Mutter.«
Miles hustete. »Keine Frage, gute Frau. Aber es ist nicht das, was mir gegen den Durst hilft. Gibt es kein Wasser?«
Sie sprang auf und drückte die Flasche mit beiden Händen an den Busen.
»Wie dumm von mir! Augenblick, ich bin gleich wieder zurück, Sir.«
Sie stürzte zur Tür, blieb aber nach wenigen Schritten jählings stehen und erstarrte, als befinde sie sich in einem schrecklichen Dilemma. Ihr nachdenklicher Blick ging zwischen der Flasche und Miles, der immer noch am Boden kauerte, hin und her. Dann ging sie hinaus und schüttete dabei den Whiskey auf den Boden.
Miles sah sich bestätigt. Sie war einfältig, daran konnte kein Zweifel bestehen. Vielleicht hatte sie tatsächlich kein anderes Behältnis für Wasser zur Hand, aber warum zum Teufel hatte sie ihm nicht einfach die Fesseln abgenommen, sodass er sich selbst auf den Weg zum Bach hätte machen können.
Er seufzte und wähnte wiederum jemanden im Hintergrund, der geschickt die Fäden hielt. Denn noch viel unwahrscheinlicher als im Fall einer Frau war es, dass er, Miles, sich an einer Schwachsinnigen vergreifen würde. Andere dagegen mochten nicht lange zögern, wenn sich ihnen ein solch verlockender Anblick bot.
Hatten die Hintermänner auch daran gedacht?
Vielleicht war es Teil des Plans.
Wenig später war sie wieder zur Stelle und ließ ihn aus der Flasche trinken, diesmal frisches, kühles Wasser, wonach sein ausgetrockneter Mund lechzte.
»Vielen Dank, gute Frau«, sagte er so ruhig wie möglich, denn er wollte sie nicht erschrecken. »Vielleicht könntest du mir jetzt Hände und Füße losbinden.«
Sie ging in die Hocke und legte wie ein Kind einen Finger an die Lippen.
»Nun ja, Sir, ich will offen sein. Man hat mir geraten, dass ich mich vor Euch in Acht nehmen soll. Ihr könntet womöglich gewalttätig werden.«
»Dann hätte dich vielleicht einer dieser kräftigen Lümmel begleiten sollen.«
»Darüber hat man tatsächlich nachgedacht «, gestand sie und knabberte dabei an den Fingerknöcheln. »Dass auch Ihr verletzt wurdet, war nicht beabsichtigt, Sir.«
Miles schmerzte der Kiefer, so sehr presste er die Zähne aufeinander, doch er ahnte, dass dieses arme Mädchen Reißaus nähme, wenn er seine Wut auch nur im Geringsten erkennen ließe. »Verstehe«, sagte er, um sie zu beruhigen. »Ich verspreche, dich in Frieden zu lassen. Binde mich bitte los. Diese Stricke tun mir sehr weh.«
Sie kaute immer noch an einem der Knöchel, stand dann aber auf und hob die Röcke. Darunter zeigten sich weiße Strümpfe und feste Schuhe, die zu einem einfachen Bauernmädchen, für das er sie gehalten hatte, nicht passten, sondern einen etwas höheren Stand zu verraten schienen. Und was zum Teufel tat sie da?
Der Saum der Röcke rutschte langsam höher, und seine Augen folgten ihm über wohlgeformte, in Baumwollstrümpfe gehüllte Waden, an einem einfachen Strumpfband unterm Knie vorbei und bis hinauf zum cremefarbenen, nackten Schenkel. Verwundert fragte er sich, wie weit diese Reise noch gehen mochte, als sie über einem Ledergurt endete, an dem ein Messer in einer Scheide steckte. Sie zog die Klinge, die so lang und gefährlich aussah, dass er unwillkürlich zurückschrak.
Lächelnd und das im Kerzenlicht blinkende Messer fest im Griff sprang sie auf ihn zu.
Miles fluchte und versuchte, ihr auszuweichen, doch sie langte nach dem Strick zwischen seinen Füßen und hielt ihn zurück.
»Rührt Euch nicht!«, sagte sie heiter und setzte die Klinge an. Er spürte, wie sie den Strick durchtrennte, und zwar mit einer Leichtigkeit, die ihm bestätigte, dass die Schneide so scharf war wie vermutet.
Sie stellte sich hinter ihn. »Oh, Eure armen Handgelenke, die sind ja ganz aufgescheuert! Moment, gleich seid Ihr frei.«
Die Fessel fiel von ihm ab. Er brachte die Hände nach vorn und massierte, vor Schmerzen zusammenzuckend, die wunden Stellen.
Er versuchte aufzustehen, war aber so steif in den Beinen, dass er sich auf die Knie wälzte und an den rauen Steinen der Feuerstelle hochhangelte. Mit wüsten Flüchen auf alle Sorten von Stallvieh hinkte er durch den kleinen Raum und versuchte, Steifheit und schmerzendes Prickeln von sich abzuschütteln.
Schließlich erregte das Mädchen seine Aufmerksamkeit. Es kniete noch immer am Boden und hielt das Messer an den Busen gedrückt. Die nach oben gerichtete Spitze forderte den Gedanken an ein bestimmtes männliches Körperteil geradezu heraus.
Miles' Schmerzen waren wie weggeblasen ...
»Wollt Ihr, dass ich Euch die Beine massiere, Sir?« Sie streckte eine Hand nach seinem Schenkel aus, doch es war die Hand, die das Messer hielt.
Miles sprang entsetzt zurück, knickte im linken Bein ein und landete unsanft auf dem harten Boden. »Um Himmels willen, Mädchen, steck das Ding weg!«
Mit betroffener Miene stand sie auf, hob wieder die Röcke bis über den Schenkel an und ließ die Klinge langsam und andeutungsvoll in der Scheide verschwinden. Sie hatte mit Sicherheit mehr im Sinn als seine Befreiung von den Fesseln. Was Miles zu Gesicht bekam, wirkte mit Macht auf gewisse Körperteile, doch er fühlte sich nicht imstande, deren Wünschen zu entsprechen.
Er mühte sich auf und stellte zu seiner Erleichterung fest, dass die Steifheit und die Schmerzen in den Beinen spürbar nachgelassen hatten. »Wo ist mein Pferd, Mädchen?«
»Der prächtige rotbraune Hengst, Sir? Vorm Shamrock. Das ist die Schenke im Dorf Foy.«
»Geht es ihm gut?«
»Oh ja, Sir. Er strotzt vor Kraft.«
Von der größten Sorge befreit, reckte Miles seinen Körper und betrachtete das Bauernmädchen mit wachem Blick. Bei Gott, sie war ein wahrhaft ansehnliches Wesen, recht groß für eine Frau, mit diesen üppigen Rundungen ausgestattet und einem lieblichen, vollwangigen Gesicht.
Und wunderschönen, langen Beinen.
Allerdings nicht ganz klar im Kopf.
Schimpf und Schande über diese Lümmel, dass sie ein so einfältiges Mädchen vorgeschickt hatten, um deren schmutzige Arbeit zu tun.
Er berührte ihre Wange. »Was hast du mit diesen seltsamen Viechern zu schaffen? Sprich!«
Sie senkte die langen Wimpern. »Erwartet Ihr wirklich eine Antwort darauf, Sir?«, fragte sie und schmiegte sich wie ein Kätzchen in seine Hand. Die dunklen Augen richteten sich auf ihn, doch zweifelte er daran, dass sie in diesem schummrigen Licht etwas erkennen konnte. »Ihr werdet doch hoffentlich keine Klage einreichen, oder, Sir?«
Himmel. Deutlicher konnte es kaum gesagt sein. Sie bot sich ihm an, damit er Stillschweigen bewahrte.
Es war verlockend, sehr verlockend ...
Er tippte mit dem Daumen an ihre Unterlippe und wünschte, dass sie den weichen Mund ein wenig für ihn öffnen würde. »Ich soll also auf eine Klage verzichten, Schätzchen? Dir zuliebe sage ich vielleicht nichts. Allerdings wird Mr Dunsmore inzwischen das Militär verständigt haben. Es sei denn, ihr habt ihn umgebracht.«
Sie sah ihn mit großen Augen voller Unschuld an. »Umgebracht, Sir? Bei den Heiligen Patrick und Bridget, er ist längst zu Hause und in Sicherheit. Ein bisschen gerupft vielleicht, aber beileibe nicht tot. Oh nein.«
»Dann wird er spätestens morgen die Soldaten auf deine Freunde hetzen. Hast du irgendwo ein Versteck?«
Sie senkte den Kopf und zuckte mit den Lippen. »Das wird nicht nötig sein, Sir. Mr Dunsmore ist zwar ein Engländer und hat ein dunkles Herz, doch er wird sich hüten, die Soldaten in unsere Gegend zu schicken. Wenn Ihr keinen Ärger macht, wird es ruhig bleiben.«
Er hob ihr Kinn mit einem Finger an und suchte in ihren entwaffnenden Augen nach der Wahrheit.
»Du scheinst dir bemerkenswert sicher zu sein, dass er schweigt. Warum? Und ich frage mich auch, wie ihr, du und deine Freunde, erreichen wollt, dass ich keine Klage einreichen werde.«
»Wir haben Euch doch kein Haar gekrümmt, Sir. Außerdem seid Ihr ein Ire. Und ich sehe Eurem lieben Gesicht an, dass Ihr von dem englischen Tyrannen nichts haltet.«
Erst jetzt bemerkte Miles, dass das Mädchen ihm etwas vorspielte und dabei ihre Rolle übertrieb. Er trat einen Schritt zurück, um sie in Augenschein zu nehmen.
»Ich halte nichts von Rohlingen, egal, ob sie irisch oder englisch sind.«
Sie krauste die Stirn und legte ihm eine Hand auf die Brust. »Würdet Ihr denn zulassen, dass man mich verhaftet und deportiert, Sir? Ich bin zu Euch gekommen, ohne Maske.«
Er ergriff ihre Hand, nicht nur, um sie zu kontrollieren, sondern auch, weil er sie an sich drücken und nicht wieder freigeben wollte.
»Vielleicht war das ein Fehler von dir.«
»Wirklich?« Sie berührte sein Gesicht mit der anderen Hand und gab ihm, die Lippen verführerisch geöffnet, einen flüchtigen Kuss auf die Wange, führte dann die Hand, die er mit der seinen umschloss, an ihre Brust, rieb sie über den Busen und sprach mit lächelnden Blicken eine Einladung aus.
Vielleicht aus Erleichterung darüber, dass er nicht länger in Gefahr schwebte, war ihm mit einem Male nach einer Frau zumute, besonders nach dieser. Er schlang ihr den Arm um die Taille. »Erstaunlich, wie du dir Sicherheit erkaufst, mein Schatz. Ich bin bereit, den Handel einzugehen, würde es aber vorziehen, mein Liebchen beim Namen nennen zu können. Wie heißt du?«
Sie fuhr ein wenig zusammen. »Wäre es nicht töricht, Sir, Euch meinen Namen zu nennen?«
Mit seinen Lippen streifte er die ihm zugekehrte Wange. »Nur zu. Es würde mir ohnehin nicht schwerfallen, dich zu finden.«
Ihre Lippen suchten seinen Mund, und nach kurzem Zögern flüsterte sie: »Joy. Ich heiße Joy.«
Er schmunzelte. »Das bezweifle ich, aber der Name passt zu dir. Ich bin sicher, dass du vielen Männern Freude bereitest. «
Sie versteifte sich plötzlich. »Was? Wie könnt Ihr ...?«
»Hast du nicht erst vorhin Dunsmore auf ähnliche Weise bezirzt?«
»Ihr seid ein Schuft! Das habe ich nicht!«
Er widerstand ihrem halbherzigen Ringen. »Aber vermutlich ist er dazu noch nicht in der Lage.«
Miles küsste sie sanft, schmeckte ihre Haut und erspürte mit der Hand ihren freizügigen Körper, was ein Gefühl von heißer Erwartung in ihm aufleben ließ. Sie entspannte sich wieder und hieß ihn mit ihren Lippen willkommen. Gleichwohl glaubte er spüren zu können, dass sie sich nicht aus freien Stücken hingab, sondern ein schon vorher geplantes Opfer zu bringen bereit war.
Seufzend und voller Bedauern rückte er von ihr ab. Als Vormund von Felicity Monahan hatte er in der hiesigen Gesellschaft einen besonderen Stand, und es würde ihn nur in Verruf bringen, wenn er von Joy annähme, was sie ihm anbot, ohne es wirklich selbst geben zu wollen.
Joy wusste nichts von seinen familiären Verpflichtungen und glaubte gewiss, er sei nur auf der Durchreise, sodass sie ihn bestechen könnte und danach nie wiedersehen würde. Wenn er sich auf ein Geplänkel mit ihr einließe, erntete er damit womöglich die Feindschaft einer Familie, wenn nicht sogar des ganzen Dorfes. Und die konnte in Irland, was Dunsmore am eigenen Leib zu spüren bekommen hatte, sehr gefährlich werden.
Er gab Joy einen Kuss auf die Hand. Mit einer solchen Geste ließen sich fast alle Frauen beschwichtigen, vor allem die der unteren Stände.
Falls sie tatsächlich zu den leichteren Mädchen der Ortschaft zählte, würde er vielleicht später noch einmal auf ihr Angebot zurückkommen, denn sie war so betörend wie kaum eine andere.
»Ich fürchte, ich bin ebenso wenig wie Dunsmore imstande, dir gerecht zu werden, jedenfalls nicht heute Nacht, mein Schatz. Vielleicht ein anderes Mal.«
Sie protestierte nicht, hielt aber seine Hand fest. »Und Ihr werdet die Sache nicht zur Anzeige bringen, Sir?«
»Wenn Dunsmore nichts sagt, will auch ich schweigen.«
Sie küsste seine Hand mit fast religiöser Inbrunst. »Ah, danke, Sir, vielen Dank! Jesus und Maria mögen Euch beschützen. «
Sie übertrieb wieder.
»Jesus, Maria und Joseph mögen Euch beschützen«, antwortete er, wie es üblich war. »Wenn du mich jetzt bitte zu meinem Pferd führen würdest, süße Joy, könnte ich meinen Weg fortsetzen.«
»Ihr wollt weiter? Es ist schon spät, Sir. Ihr solltet in der Herberge übernachten. Dort ist auch Euer Pferd.«
»Ich dachte, es würde dir nicht gefallen, wenn ich länger in der Gegend bliebe.«
Der Blick, den sie ihm zuwarf, war alles andere als einfältig und zeugte davon, dass sie die Situation sehr genau einzuschätzen wusste.
»Unsere Gesetzeshüter verfahren nicht gerade freundlich mit denen, die nachts unterwegs sind, Sir.«
Interessant. Wahrscheinlich fürchteten Joy und ihre Freunde, dass er, sollte er den Soldaten in die Hände fallen, ausplaudern könnte, was ihm widerfahren war. Sie konnten natürlich nicht wissen, dass seine Reise schon bald zu Ende sein würde, denn Foy Hall lag, entsprechend früherer Bauweise, gleich außerhalb der Ortschaft.
Spontan beschloss er, dieses Spiel mitzuspielen, neugierig darauf, was sonst noch zu erfahren sein mochte.
»Nun denn, süße Joy, bring mich zum Shamrock Inn.«
Sie nahm die Laterne vom Bord und klappte die Blende wieder zu, ehe sie ihn den Pfad zur Straße nach Foy hinunterführte. Möglicherweise fürchtete sie, einer Patrouille zu begegnen. Für Licht sorgte nur eine dünne Mondsichel, und Miles musste achtgeben, wohin er seine Füße setzte.
»Womit hat Dunsmore seine Abreibung eigentlich verdient?«, fragte er, als sie auf die vergleichsweise ebene Straße einbogen.
»Womit hätte er verdient, dass er ungeschoren bliebe?«, entgegnete sie.
»Damit bin ich überfragt. Ich kenne ihn nicht. Er scheint ein Ehrenmann zu sein, vielleicht ein bisschen hochmütig.«
»Hochmütig. Ja, das trifft auf ihn zu. Bevor er Kathleen Craig geheiratet hat, war er ein kleiner, unbedeutender Hauptmann der englischen Streitkräfte.«
»Er hat also Geld geheiratet? Und ist englischer Herkunft. Nun, das sind wahrhaftig schlimme Verfehlungen.«
Sie warf ihm einen verärgerten Blick zu. »Der Kerl hat sich gierig am Geld seiner Frau vergriffen, bis nichts mehr übrig war, und jetzt, wo sie tot ist, bereichert er sich am Grundbesitz seines Sohnes und quetscht aus den Pächtern den letzten Penny heraus, ohne Rücksicht und Erbarmen.«
Das kleine Dorf war erreicht.
»Es soll häufiger vorkommen, dass Gutsherren das einfache Landvolk bluten lassen, mein Schatz. Aber vielleicht hat er wirklich eine Tracht Prügel dafür verdient. Ich würde allerdings gern erfahren, warum du dir so sicher bist, dass er den Vorfall nicht meldet.«
Sie blieb unter dem Schild der Herberge stehen, das quietschend im Wind schaukelte. In der Schankstube fiedelte jemand. Die Fensterläden waren zugezogen, sodass nur ein Lichtschimmer nach draußen drang. »Er hat Geheimnisse, die nicht gelüftet werden sollen.«
Miles bemerkte voller Interesse, dass sie sich wieder die Kapuze über den Kopf zog. Womöglich war sie doch nicht das leichte Mädchen der Ortschaft.
Es setzte sich auf den Rand einer steinernen Pferdetränke. »Wenn es dir gelingt, ihn an der Meldung eines Verbrechens zu hindern, könntest du ihn doch auch von seinen erpresserischen Machenschaften abhalten, oder?«
»Er setzt zunehmend alles auf eine Karte. Er ist ein Spieler. Das von heute Abend war nur eine Warnung.« Sie legte ihre Hand auf seinen Unterarm. »Glaubt mir, er ist ein schlechter Mensch. Bitte, verratet uns nicht.«
Sie war ein wahrhaft bezauberndes Wesen, und sein Körper erholte sich rasch. Er ergriff ihre Hand und erschreckte sie damit, doch sie wehrte sich nicht. »Du hast mir für mein Schweigen eine Belohnung versprochen, süße Joy.«
Er hob ihre Hand und führte die Kuppe des Zeigefingers an seine Lippen.
»Es ist spät geworden, Sir«, sagte sie und versuchte zaghaft, ihre Hand zurückzuziehen. »Ich müsste längst zu Hause sein.«
Er liebkoste den nächsten Finger und saugte daran. »Wissen deine Eltern nicht, was du treibst? Oder lebst du im Haus deines Dienstherrn? Sag mir, wo ich dich erreichen kann ...«, er steckte den Finger tief in den Mund und ließ ihn dann langsam wieder herausgleiten, »... wenn ich wieder zu Kräften gekommen bin.«
Sie wehrte sich, doch er ließ sie nicht los. »Wollt Ihr damit sagen, dass Ihr nur dann Stillschweigen bewahrt, wenn ich mit Euch schlafe?«
Ihre Empörung ließ erkennen, dass sie nie daran gedacht hatte, ihn mit der Hingabe ihres Körpers zu bestechen. Vielleicht hatte sie geglaubt, dass er ihr in seinem zusammengestauchten Zustand nicht gefährlich werden konnte. Was für eine sonderbar naive Vorstellung für ein so tolldreistes Weibsstück! Es reizte ihn zu erfahren, wie weit sie gehen würde und was dahintersteckte.
Er umfasste sie mit dem freien Arm und zog sie zwischen seine Beine. »Mit dir zu schlafen war nicht meine Absicht, alannah. Ich will dich schließlich nicht die ganze Nacht in Beschlag nehmen.«
Er hörte, dass ihr Atem stockte, denn ihr Gesicht war nur wenige Fingerbreit von dem seinen entfernt. »Nicht hier, Sir. Es würde sich herumsprechen ...«
»Hast du noch einen guten Ruf zu verteidigen?« Er gab ihre Hand frei und tat, wozu es ihn schon vom ersten Augenblick an gedrängt hatte, er berührte eine ihrer Brüste. Wie köstlich - so voll, warm und fest. Er beugte sich über sie und küsste die anschwellende Wölbung. »Ich werde dir nicht schaden. Mein Wort darauf, Joy. Bist du einem dieser Tiere versprochen? Ist er einverstanden damit, dass du für ihn und seine Kumpane diesen Preis zahlst? Oder wird er mir nachstellen, um Rache zu üben?« Sein Daumen fand und streichelte ihre Brustwarze, die sich bereits aufgerichtet hatte.
Zitternd wich sie zurück. »Ich bin keinem Mann versprochen. « Einen Augenblick später gab sie ihren Widerstand auf. »Aber ich werde tun, was nötig ist, um ihnen zu helfen.«
Eine wahre aufopferungsbereite Patriotin. Und sehr verführerisch dazu. Wie sie auf seine Berührungen reagierte, ließ keinen Zweifel, dass da mehr als nur Opferbereitschaft war. Es sei denn, er redete sich dies in seiner Verzückung nur ein.
»Voller Freude, Joy?« Er reizte ihre empfindliche Haut.
Sie hielt seine Hand fest. »Sir, bitte! Nicht hier vor aller Augen.«
Er schaute sich auf der Straße um. »Vor aller Augen? Es ist keine Menschenseele zu sehen und außerdem stockdunkel. Wir könnten es hier miteinander treiben, ohne dass irgendjemand etwas davon mitbekäme. Gönn uns wenigstens einen Kuss.«
Diesmal zeigte sie sich weniger anschmiegsam, doch er hob ihr Kinn an und küsste sie. Dabei brachte er all seine Erfahrungen ins Spiel, in der Hoffnung, sie für sich zu gewinnen.
Zum Teufel mit allen Fragen und mutmaßlichen Geheimnissen. Eine Nacht mit Joy, eine Nacht voller Freude, schien ihm unwiderstehlich verlockend.
Endlich lösten sich ihre Lippen und öffneten sich für ihn. Er flüsterte ihr aufmunternde Worte zu und erkundete streichelnd die wundervollen Kurven, während er ein wenig nachhalf, damit sie den Mund weiter öffnete. Er küsste sie innig, fand das Versprechen der süßen Kost bestätigt und spürte, dass sie auf sein Verlangen ansprach.
Dass seine Hand unter ihren Rock glitt, wurde ihm selbst erst bewusst, als sie einen Schrei ausstieß und sich von ihm löste.
Daran erinnert, dass er an diesem Ort kein Aufsehen erregen wollte, legte er ihr rasch die Hand auf den Mund. »Um Himmels willen, süße Joy, sei still!«
Als er sicher sein konnte, dass sie nicht schreien würde, zog er seine Hand zurück. »Zeig mir, wo mein Pferd steht, meine Liebe. Wenn ich nach ihm gesehen habe, bin ich zufrieden und erhole mich allein von meinen blauen Flecken.«
Sie aber ergriff seine Hand, drückte fest zu und hinderte ihn daran zu gehen.
»Ihr braucht nicht nach Eurem Pferd zu sehen, Sir. Michael Flaherty kümmert sich darum, und er ist der beste Stallknecht weit und breit.«
Er riss sich von ihr los. »Um meine Pferde kümmere ich mich grundsätzlich selbst, vor allem, wenn es sich um ein so kostbares Pferd handelt wie Argonaut. Ich nehme an, der Stall ist hinten im Hof.«
Miles hielt auf die Gasse neben dem niedrigen Gebäude zu, doch sie hielt ihn an seiner Jacke zurück. »Sir, bitte. Lasst mich jetzt nicht allein!«, flehte sie und warf sich ihm in die Arme. »So grausam könnt Ihr doch nicht sein. Ihr habt mich verrückt nach Euch gemacht.«
Sie hatte ihn mit dem Gewicht ihres Körpers an den Rand der Pferdetränke zurückgeschoben, so wuchtig, dass ihm der Rücken schmerzte. »Liebchen, ich habe noch nie eine Lady verzweifelt zurückgelassen. Lass mich nur schnell einen Blick auf Argonaut werfen. Danach will ich dir gern gefällig sein.«
»Ich kann nicht warten. Nach Eurem Pferd könnt Ihr auch morgen sehen.«
Er ergriff ihre Hände und befreite sich aus der Umklammerung, was ihm schwerer fiel als gedacht, denn sie war für ihre Größe überraschend stark. »Genug«, herrschte er sie an. »Oder ich werfe dich zur Abkühlung in den Trog - was allerdings jammerschade wäre.«
Ihr Atem ging so schwer, dass es schien, als schluchzte sie. »Bitte ...«
Ihr Flehen hätte ihn fast die Selbstbeherrschung gekostet, aber Argonaut ... Er musste nach ihm sehen.
Tröstend legte er ihr einen Arm um die Schulter und lenkte sie auf den Weg, der um die Schenke herumführte. »Geduld, a muirnín, gleich erfülle ich dir alle deine Wünsche. Komm jetzt. Leuchte mit der Laterne, damit wir den prächtigen Burschen finden.«
Sie schien sich ein wenig beruhigt zu haben und öffnete die Blende vor der brennenden Kerze, damit er die Boxen durchsuchen konnte. In zweien standen schwere Kaltblüter. Gleich daneben fand er Argonaut.
Das Pferd wieherte zum Gruß und drückte seinen Kopf an Miles' Brust. Er tätschelte es liebevoll. »Dir ist es offenbar besser ergangen als mir, nicht wahr?« Dann sah er, dass der Hinterlauf verbunden war, nicht etwa mit einer Bandage, sondern mit einem feuchten Umschlag ...
Seine körperliche Erregung war wie weggeblasen. Er sprang in die Box und untersuchte den Schaden, bewegte das Pferd ein wenig und sah, dass es lahmte. »Zum Teufel mit diesem Pack!«
Wütend raste er in den Hof und packte die Frau bei den Schultern. »Du und deine Vasallen, ihr habt mein bestes Pferd ruiniert.«
»Wir wollten ihm kein Leid zufügen.«
»Kein Leid zufügen? Ich habe gesehen, wie einer von euch mit einer Keule draufgeschlagen hat. Falls Argonaut einen bleibenden Schaden davonträgt, werde ich dafür sorgen, dass ihr alle nach Botany Bay kommt.«
Brüskiert richtete sie sich zur vollen Größe auf. »Verstehe. Menschen zählen hier nicht. Euch geht es nur um Pferde, und zwar um den Preis, den sie in England einbringen«, sagte sie mit verächtlicher Miene, die einer irischen Königin des Altertums gut zu Gesicht gestanden hätte.
Er stieß sie von sich. »Die meisten Pferde sind in der Tat wertvoller als die meisten Menschen. Wertvoller als Huren allemal.«
»Huren! Verflucht sei Eure schwarze Seele! Ich bin keine Hure.«
»Du hättest doch ohne zu zögern die Beine breit gemacht, um zu verhindern, dass ich das hier sehe. Damit ich eure Possen nicht zur Anzeige bringe. Für mich ist das nichts anderes als Hurerei.«
Sie stieß ein zorniges Lachen aus. »Ihr hattet keine Bedenken, ein solches Angebot anzunehmen. Ist das etwa nobler, mein edler Herr?«
Er wandte sich dem Stall zu. »Bete, dass mein Pferd wieder gesund wird, süße Joy. Wenn nicht, wird jemand dafür büßen.«
»Mick sagt, dass es nichts Ernstes ist und morgen schon alles viel besser aussieht. Wenn Ihr doch nur so lange gewartet hättet, dann wäre Euch viel Ärger erspart geblieben. Warum zum Teufel seid Ihr auf mein Angebot nicht eingegangen? «
Als er sich wieder zu ihr umdrehte, war er von ihrem Anblick überwältigt. Das vom Kerzenlicht beschienene rote Haar schien Feuer gefangen zu haben, und der zornige Stolz machte sie groß und erhaben. Verflucht, er begehrte sie immer noch.
»Es tut weh, nicht wahr? Mein Schatz, du hättest mich nicht davon abhalten können, nach Argonaut zu sehen, auch nicht als Helena von Troja, als die keltische Deirdre oder die Schwestern Gunning in einer Person. Zugegeben, mir sind meine Pferde wichtiger als die meisten Menschen, insbesondere diejenigen, die wehrlose Männer auf der Straße überfallen.«
Bevor sie darauf antworten konnte, ging er an ihr vorbei zu seinem Pferd in die Box. In diesem Moment öffnete sich die Tür zur Schenke. Licht und Gesang fluteten über den Hof. »Wer da? Oh, Ihr seid es, Miss Felicity. Wo ist der Fremde?«
Miles erstarrte und trat ins Licht der Laterne. »Hier ist er.« Und an die junge Frau gewandt: »Felicity?«
Sie zuckte mit den Achseln. »Ein anderes Wort für Joy.«
»Ich bin sicher, du bist allen, die dich kennen, eine große Freude. Felicity Monahan, wenn ich mich nicht irre.«
Sie sagte nichts, aber in ihren dunklen Augen schimmerte Unbehagen.
»Du bist wahrhaftig eine sehr interessante junge Frau. Gestatte, dass ich mich vorstelle. Ich bin Miles Cavanagh, dein rechtmäßiger Vormund.«
Mund, was Miles begrüßte, weil er dann leichter von den weiblichen Rundungen in den engen Lederkleidern absehen konnte. Die Figur war beileibe nicht das, was man als jungenhaft hätte bezeichnen können.
Abends, nach dem Diner, saßen sie meist noch zusammen. Er fand heraus, dass sie, wie erwartet, vorzüglich Schach spielte. Sie suchte stets die Offensive, während er vorsichtiger taktierte, doch keiner war dem anderen überlegen.
Auch in der Wahl ihrer Lektüre stimmten sie überein; beide schätzten die modernen Philosophen und humorvolle Romane. Manchmal lasen sie einander vor oder rezitierten Dialoge im Wechsel. Überdies liebten sie beide Musik. Sie spielte Klavichord, und er begleitete sie dazu auf der Flöte.
Doch so viel Nähe war gefährlich, denn Annie war als Anstandsdame alles andere als gewissenhaft und aufmerksam. Sie nickte häufig vor dem Kamin ein oder zog sich schon früh auf ihr Zimmer zurück. Eine oder zwei Katzen hielten im Allgemeinen die Stellung, so die kleine Gardeen, die Miles ständig um die Beine streifte. Trotz der Tatsache, dass Gardeen wachsam war, konnte von einer Katze schlechterdings nicht erwartet werden, dass sie über Felicitys Tugendhaftigkeit wachte.
Dazu war der Vormund einer jungen Lady bestimmt, doch wenn dieser Vormund nur wenige Jahre älter war als sein Mündel und der Liebreiz dieses Mündels ihm mächtig ins Auge sprang, dann war dies nicht eben schicklich.
Miles liebte Frauen in jeder Hinsicht, konnte sich aber nicht erinnern, jemals so auf eine Frau reagiert zu haben wie auf Felicity.
Er genoss ihre Gesellschaft und vermisste sie, wenn sie fort war. War sie jedoch in der Nähe, störte ihn zugleich ihre körperliche Gegenwart.
Copyright © 1995 by Jo Beverley Publishing, Inc. Published by Arrangement with KENSINGTON PUBLISHING GROUP CORP., New York, NY, USA
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Bibliographische Angaben
- Autor: Jo Beverley
- 2007, 1, 462 Seiten, Maße: 12,4 x 18,5 cm, Hochwertige Broschur
- Verlag: Weltbild
- ISBN-10: 3898978044
- ISBN-13: 9783898978040
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