Unsichtbare Spuren / Sören Henning Bd.1
- Lastschrift, Kreditkarte, Paypal, Rechnung
- Kostenlose Rücksendung
Unsichtbare Spurenvon Andreas Franz
LESEPROBE
SONNTAG, 17.30 UHR
»Ich habe Sabinenicht umgebracht«, beteuerte Georg Nissen zum wiederholten Male und schüttelteden Kopf. Schweiß hatte sich auf seiner Stirn, in den Handflächen und unter denAchseln seines Hemdes gebildet, auf dem sich zwei große Flecken abzeichneten.Seit über zwei Stunden wurde er abwechselnd von Sören Henning und Lisa Santosverhört, wobei die Fragen zunehmend schärfer wurden. Henning, der allmählichungeduldig wurde, stützte sich auf den Tisch, während Lisa Santos an die Wandgelehnt dastand, die Arme über der Brust verschränkt und die Vernehmungaufmerksam verfolgte. Besonders aber beobachtete sie die Reaktionen von GeorgNissen auf die Fragen, seine Mimik, seine Gestik, wie er sprach.
»Herr Nissen, Siehaben vor sechzehn Jahren schon einmal eine Frau vergewaltigt und sind dafürverurteilt worden. Was Sie in der Zwischenzeit getrieben haben, entzieht sichunserer Kenntnis, aber eines wissen wir, Sie hatten Geschlechtsverkehr mitSabine Körner. Ich wiederhole mich ungern, aber der Todeszeitpunkt wurde aufdie Zeit zwischen halb sieben und acht Uhr am Freitagmorgen festgelegt. Wielange wollen Sie eigentlich noch leugnen, wo doch alles gegen Sie spricht? Siehaben sie mitgenommen, Sie haben sie gevögelt und sich dann wie ein Stück Dreckihrer entledigt. Und Sie sind mit einer Brutalität und Grausamkeit vorgegangen,wie ich es in meiner Dienstzeit bisher nicht erlebt habe.«
Nissen fuhr sichverzweifelt durchs Haar und verschränkte schließlich die Hände im Nacken, denKopf gesenkt. »Das stimmt alles nicht, ich habe sie nicht umgebracht, ichkönnte so was überhaupt nicht. Verdammt noch mal, ich habe ja schon zugegeben,mit ihr geschlafen zu haben, aber ich habe
sie bei Ahrensbergan der B 76 wieder abgesetzt und bin zu rück nach Eckernförde gefahren, weilich meinen Koffer vergessen hatte. Wie oft soll ich das noch sagen?! Prüfen Siedas doch nach. Woher soll ich denn wissen, wer sie danach mitgenommen hat.«
»Niemand, weil Sieder Letzte waren, der sie lebend gesehen hat. Es gibt keinen anderen, schon garnicht diesen ominösen großen Unbekannten. Sagen Sie uns nur, wie sich allesabgespielt hat. Hat sie sich gewehrt, oder hat sie mehr Geld verlangt, als siebereit waren ihr zu geben? War es so?«, sagte Henning hart und stützte sich mitbeiden Händen auf den Tisch und sah Nissen durchdringend an. »Nein, nein,nein!«, schrie Nissen und sprang auf. »Ich habe ihr zweihundert Mark gegeben,damit sie mit mir schläft. Ich weiß, ich weiß, das war ein Fehler, aber sie war Verdammt, sie hat mich einfach angetörnt. Sie wollte nach Flensburg zu einerFreundin, weil sie es zu Hause nicht mehr ausgehalten hat. Ich konnte sie abernicht nach Flensburg bringen, weil ich nach Eckernförde gleich einen Termin inBöklund hatte.«
»Setzen Sie sichwieder«, herrschte Henning ihn an. »Wieso fahren Sie nach Böklund über Schleswig? Gibt es keinen kürzeren Weg? Fürmich ist das ein ziemlicher Umweg.«
»Nein, es gibtkeinen schnelleren Weg als über Schleswig. Man kann natürlich auch die Fährebei Missunde nehmen, aber das dauert. Ich habe es nicht getan, ich habe Sabinenicht umgebracht!«
Henning griff sichans Kinn und sah Nissen an. »Seltsam, wir haben bei ihr kein Geld gefunden,nicht einen Pfennig. Dafür haben wir aber einen Regenschirm gefunden, der Ihnengehört «
»Auch das habe ichIhnen doch schon ausführlich erklärt «
»Ja, ja, die alteGeschichte, dass Sie Mitleid mit ihr hatten und ihr den Regenschirm schenkten.Mir bricht es fast das Herz.«
Henning ging zuSantos und flüsterte ihr etwas ins Ohr. Daraufhin löste sie sich von der Wandund setzte das Verhör fort.
»Herr Nissen, wieist Ihre Ehe? Glücklich?«, fragte sie. Nissen sah Santos erschöpft undhilfesuchend an und antwortete nach einer Weile: »Was spielt das für eineRolle? Für Sie bin ich doch sowieso der Täter. Sie haben meine DNA, Sie wissen,dass ich Sabine mitgenommen und mit ihr geschlafen habe, und Sie meinen auch zuwissen, dass ich sie umgebracht habe. Was sollen also diese Fragen noch?«
»Von Ahrensbergbeziehungsweise Louisenlund bis nach Haddeby sind es morgens um die von Ihnenangegebene Zeit maximal zehn Minuten. Und es war noch dunkel, sodass Sie mit anSicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit davon ausgehen konnten, von niemandemgesehen zu werden. Warum haben Sie es getan? Erleichtern Sie doch endlich Ihr Gewissen«
»Halten Sie denMund! Ich habe ein reines Gewissen, da gibt es nichts zu erleichtern. Das istalles ein verdammter Zufall, nichts als ein großer, gottverdammter Zufall. Abereinmal Verbrecher, immer Verbrecher, was? So denkt ihr Bullen doch, oder?«
»Beweisen Sie unsIhre Unschuld, und Sie können als freier Mann dieses Gebäude verlassen«, sagteHenning kalt und hart, mit einer Spur Zynismus in der Stimme, denn er wusste, Nissenwürde nichts vorbringen können, das ihn entlastete.
»Wie soll ichIhnen meine Unschuld beweisen? Sie haben sich doch schon alles sozurechtgelegt, dass ich da gar nicht mehr rauskomme. Und das nur, weil ichSabine mitgenommen und mit ihr eine schnelle Nummer geschoben habe. Ist das einVerbrechen?«
»Nein, aber derMord. Was für ein Gefühl ist das, wenn man einem jungen Mädchen immer und immerwieder einen Pflasterstein ins Gesicht schlägt, bis dieses Gesicht nicht mehrzu erkennen ist? Oder wie ist das, wenn man diesem Mädchen am Ende noch dieAugen aussticht? Ist das ein zusätzlicher Kick, noch ein Orgasmus obendrauf?«,fragte Henning noch einen Tick zynischer und deutete auf die Fotos der Toten,die er bewusst vor Nissen ausgebreitet hatte. »Hm, wie ist das?
Schauen Sie sichnoch mal an, was Sie angerichtet haben! Hier, hübsches Gesicht, was?!«
Georg Nissenatmete tief durch und erwiderte: »Egal, was ich sage, Sie glauben mir sowiesonicht. Ich möchte mit meinem Anwalt sprechen.«
»Der ist nochnicht aufgetaucht. Leider«, sagte Henning kalt lächelnd. »Und es stimmt, ichglaube Ihnen nicht. Ich glaube nämlich nicht an diese berühmten Zufälle. Es istdumm gelaufen für Sie, Sie hätten alles, zumindest fast alles mit ihr machen dürfen,nur das mit dem Umbringen, das war ein saudummer Fehler.«
(...)
© Droemer KnaurVerlag
Es hat lange gedauert, ehe ein Buch von Ihnen von einem Verlag angenommen wurde und Sie zu einem erfolgreichen Krimiautor wurden. Schreiben Sie gerne, oder ist Schreiben vor allem harte Arbeit für Sie? Wie empfinden Sie es, nun ein Bestsellerautor zu sein?
Ich schreibe sogar sehr gerne, aber es ist auch harte Arbeit, verdammt harte Arbeit. Doch wie empfinde ich es, nun ein Bestsellerautor zu sein?! Bin ich überhaupt einer, nur weil ich ein paar tausend Bücher mehr als ein paar andere verkaufe? Ich denke, das Problem ist, dass die meisten glauben, Bestsellerautor müsste gleichbedeutend sein mit Bestverdiener. Das ist jedoch ein Riesenirrtum. Es gibt überall, auch hierzulande, Bestsellerautoren, die Millionen verdienen, ich hingegen bin froh, dass ich meine Familie einigermaßen über die Runden bringen kann. Ein weiteres Problem ist, dass z.B. ein Grisham oder Crichton oder eine Walters oder Cornwell oder George und viele andere schon Monate vor Erscheinen ihres neuen Werks - ganz gleich wie gut oder miserabel es auch ist - medienwirksam von den Verlagen promotet werden, dazu erhalten sie Vorschüsse, von denen ich und auch andere Autoren jahrelang sorglos leben könnten. Für die oben genannten wird automatisch ein Platz in der Bestsellerliste reserviert, doch wenn ich mir zu vielen derer Bücher die Leserrezensionen anschaue, dann weichen diese doch sehr häufig von der Meinung der Medienrezensenten ab. Seltsam, oder? Meine Leserschaft hat sich im Laufe der Jahre fast ausschließlich durch Mund-zu-Mund Propaganda aufgebaut, und durch die Empfehlungen von Buchhändlern, denen ich sehr, sehr dankbar bin. Das heißt aber auch, dass ich noch lange Zeit hart weiterarbeiten muss, bevor ich mir mal einen Burnout oder einen richtig langen Urlaub leisten kann, von einem schicken Haus ganz zu schweigen. Aber schau mer mal, was die Zukunft bringt. Ich lebe nach dem Motto -
1970 haben Sie das Gymnasium verlassen und eine Sprachschule besucht, um "etwas Ordentliches aus meinem Leben zu machen." Ist Ihnen das gelungen?
Ich denke schon. Schreiben war ein lang gehegter Traum, der Wirklichkeit wurde. Was kann es Schöneres und Erfüllteres geben?!
Es gibt immer wieder Polizisten, die an dem, was sie über Jahre sehen, seelisch zerbrechen. Wie wird innerhalb der Polizei mit psychischen Problemen umgegangen? Welche Art von Hilfe ist hier überhaupt möglich?
Es gibt Polizeipsychologen, die sich um z.B. traumatisierte Beamte kümmern, die mit schrecklichen Bildern konfrontiert wurden. Allerdings reden viele Beamte nicht über ihre Probleme, sondern fangen etwa an zu trinken, häusliche Gewalt findet man in dieser Berufsgruppe auch nicht selten, die Scheidungsrate ist relativ hoch. Welche Hilfe überhaupt möglich ist ich weiß es nicht.
In Ihren Krimis geht es häufig um verschiedene Formen des Missbrauchs. Was bedeutet Ihnen dieses Thema?
Missbrauch jedweder Form ist für mich verabscheuungswürdig, weil er nicht nur häufig den Körper verletzt, sondern vor allem die Seele tötet. Und ich gebe zu, es macht mich unendlich wütend, wenn ich wieder einmal von einem besonders gravierenden Fall höre. In meinen Büchern spielt Missbrauch eine große Rolle, denn ich möchte meine Leser auch zum Nachdenken anregen. Kinder können sich nicht wehren, sie schreien ihren Schmerz nach innen und haben nur sehr selten eine Chance, ihrem Peiniger zu entkommen. Und ich spreche auch aus eigener Erfahrung, da ich in meiner Kindheit fast vierzehn Jahre miterleben musste, wie meine Mutter beinahe täglich misshandelt und missbraucht wurde. Deshalb an alle Männer: Finger weg von Kindern und Frauen, es gibt andere Möglichkeiten, seine inneren und äußeren Konflikte zu lösen! Über das Vorwort meines ersten Romans "Jung, blond, tot" habe ich geschrieben: Wenn die Seele verbrennt, bleibt nicht einmal Asche. Missbrauch wird jedenfalls immer wieder mal in einem meiner Bücher vorkommen, es wird allerdings kein Dauerthema sein.
Fast alle von Ihnen beschriebenen Fälle beruhen auf wahren Begebenheiten. Sie haben gute Kontakte zur Frankfurter Polizei. Gleichzeitig sagen Sie - wie mit ähnlichen Worten übrigens auch Henning Mankell: "Die Wirklichkeit sieht allemal düsterer aus, als meine Phantasie es zulässt." Wie passt das zusammen? Welche Wirklichkeiten verschließen sich Ihnen beim Schreiben?
Es ist richtig, dass ich das gesagt habe. Jedes Mal, wenn ich mit Kripobeamten spreche, erfahre ich, wie skrupellos manche Menschen vorgehen, so skrupellos, dass meine Phantasie nicht ausreicht, um mir dies auszudenken. Allerdings erhalte ich so nach und nach Einblick in Abgründe, die die wenigsten sehen oder sehen wollen. Dabei handelt es sich nicht nur um "einfache" Mörder oder Serientäter, sondern auch um die kriminellen Machenschaften in Politik und Wirtschaft. Es ist ein dichtes und immer dichter werdendes Netz der organisierten Kriminalität, die mittlerweile alle Bereiche des politischen, wirtschaftlichen und kulturellen Lebens infiltriert oder sogar unter Kontrolle hat. Und das ist erschreckend, aber nicht mehr zu ändern.
Die Personen in Ihren Romanen sind psychologisch sehr einfühlsam gezeichnet. Dabei fällt auf, dass insbesondere das Verhalten der Täter erklärt, ja manchmal geradezu "entschuldigt" wird. Glauben Sie, dass sich jede kriminelle Tat psychologisch erklären lässt?
Dass ich Täterverhalten entschuldige, ist schlichtweg falsch. Ich versuche lediglich zu ergründen, was einen Menschen zum Beispiel zu einem Mörder hat werden lassen. Und da gibt es unzählige Gründe, doch einer der häufigsten - gerade bei Serienkillern - ist persönlich erlebter Missbrauch. Wie ich oben bereits erwähnte, verletzt Missbrauch nicht nur den Körper, sondern tötet die Seele, vor allem, wenn dieser Missbrauch über einen längeren Zeitraum hinweg geschieht. Da ich selbst im Alter von fünfzehn Jahren mit einem Serienkiller befreundet war und seine Kindheitsgeschichte fast zwanzig Jahre später erfuhr (darauf beruht übrigens "Jung, blond, tot"), begann ich mich intensiver mit dem Phänomen Serienkiller zu beschäftigen. Ich entschuldige nicht einen einzigen Mord, ich entschuldige aber auch nicht das, was diese Menschen letztlich dazu getrieben hat, diese schrecklichen Taten zu begehen. Nur in dem Buch "Das achte Opfer" versuche ich, Verständnis für das Verhalten des Täters zu wecken, denn dieses Buch beruht ebenfalls auf einer wahren Geschichte, die mir von einem höchst resignierten Hauptkommissar, der seit beinahe fünfunddreißig Jahren bei der Kripo ist, erzählt wurde. In besagtem Buch lege ich den Finger in eine Wunde und prangere unser Justizsystem an, was dazu führte, dass ich mehrere wütende Briefe und Mails von Staatsanwälten und Richtern erhalten habe, in denen ich bezichtigt wurde, Selbstjustiz gutzuheißen. Diese werten Damen und Herren sollten das Buch einmal nicht aus der juristischen, sondern der menschlichen Warte lesen. Außerdem sehe ich mich weniger als Roman-, denn als Berichtautor, da fast alle von mir niedergeschriebenen Fälle auf wahren Begebenheiten beruhen - und ich merke an den Reaktionen meiner LeserInnen, dass genau dies an meinen Büchern geschätzt wird. Und nein, ich glaube nicht, dass sich jede kriminelle Tat psychologisch erklären lässt, da manche Taten im Affekt oder in einem Zustand geistiger Verwirrung geschehen und somit nicht erklärbar sind, nicht einmal von den Tätern. Eigentlich lassen sich die wenigsten Taten, ganz gleich welcher Art, psychologisch erklären, auch wenn manche sogenannte Gutachter und Psychologen das zu können meinen. Der menschliche Geist, die Psyche und die Emotionen sind dazu noch viel zu wenig erforscht.
Die Fragen stellte Ulrike Künnecke, Literaturtest.
- Autor: Andreas Franz
- 2007, 17. Aufl., 461 Seiten, Maße: 11,5 x 18 cm, Taschenbuch, Deutsch
- Verlag: DROEMER KNAUR
- ISBN-10: 3426635070
- ISBN-13: 9783426635070
Zustand | Preis | Porto | Zahlung | Verkäufer | Rating |
---|
4.5 von 5 Sternen
5 Sterne 9Schreiben Sie einen Kommentar zu "Unsichtbare Spuren / Sören Henning Bd.1".
Kommentar verfassen