Vater, Mutter, Tod
Thriller
Wenn dir das Liebste genommen wird - was würdest du tun?
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Produktdetails
Produktinformationen zu „Vater, Mutter, Tod “
Wenn dir das Liebste genommen wird - was würdest du tun?
Klappentext zu „Vater, Mutter, Tod “
Ein Vater, der große Schuld auf sich lädt.Eine Mutter, die alles tun würde, um ihren Sohn zurückzubekommen.
Ein Junge, der tot in einer Berliner Wohnung liegt.Eine Frau, deren Erinnerungen sie betrügen.
Kommissar Manthey sucht nach den Zusammenhängen. Er will ein Kind retten - um jeden Preis.
Und stößt auf einen Abgrund aus Verzweiflung und Wahn.
Lese-Probe zu „Vater, Mutter, Tod “
Vater, Mutter, Tod von Siegfried LangerPROLOG
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Die Frau hatte große Angst davor, in die Wohnung zurückzukehren.
Vom U-Bahnhof bis zur Haustür verblieb ihr genau so viel Zeit, wie sie benötigte, um eine Zigarette zu rauchen. Vor dem Haus angekommen, steckte sie sich die zweite an; sie wollte den Augenblick möglichst lange hinauszögern. Unruhig trat sie auf der Stelle.
Ihr Blick fiel auf ihren Oberarm. Obwohl der beginnende Sommer ihre Haut bereits sanft bräunte, traten dort - unterhalb des weißen T-Shirt-Ärmels - deutlich Spuren hervor. Spuren, die eine stark zudrückende Hand hinterlassen hatte.
Sie ahnte, dass er oben in der Küche saß. Und mit jeder Sekunde, die der Zeiger der Küchenuhr weiterwanderte, wurde die Wut des Mannes größer. Er hatte ihr ausdrücklich befohlen, umgehend wieder zurückzukommen.
Je länger sie sich Zeit ließ, desto schlimmer würde es werden. Die Konfrontation weiter vor sich herzuschieben ergab keinen Sinn. Also zog sie ein letztes Mal intensiv an ihrer Zigarette, gerade so, als könne sie Tatkraft und Mut inhalieren.
Dann warf sie den halb zu Ende gerauchten Glimmstengel zu Boden. Ohne die Glut ausgetreten zu haben, drehte sie sich zum Eingang.
In der fleckigen Glasscheibe der Haustür spiegelte sich ihr schulterlanges, blondiertes Haar. Leicht zitternd fischte sie ihren Schlüsselbund aus der Handtasche. Er glitt ihr aus den Fingern und landete leise scheppernd auf dem Gitter, auf dem sich Mieter und Besucher ihre Schuhe abstreifen sollten. Zum Glück rutschte er nicht durch.
Sie bückte sich, hob den Schlüsselbund auf und öffnete die Tür. Zu ihrer Erleichterung streckte ihr die neugierige Alte aus dem Hochparterre heute nicht den Kopf entgegen. Ihr Geschwätz hätte ihr gerade noch gefehlt. Mit dem Fahrstuhl fuhr sie hinauf in den achten Stock.
Als die Aufzugtür zur Seite glitt, dröhnten ihr laute Hip-Hop-Klänge entgegen. An anderen Tagen hämmerte sie wütend an die Wohnungstür der Stereoanlagen-Besitzer. Heute nicht. Sie beachtete weder den Lärm noch die Graffiti an den Wänden des Flurs.
Hinter der eigenen Tür schien Ruhe zu herrschen. Sie erinnerte sich daran, dass er einmal direkt nach dem Eintreten auf sie gelauert hatte. Er hatte sie grob hineingezerrt und ihr ohne Vorwarnung die Rückseite seiner Hand über die Wange gezogen. Sie war gegen die Garderobe geprallt und hatte Schürfwunden und Prellungen an Schulter und Oberarm erlitten. Ein Garderobenhaken hatte eine blutende Wunde verursacht - nur einen Fingerbreit neben dem Auge. Ihrem Hausarzt hatte sie erzählt, sie sei gestolpert.
Sie nahm sich ein Herz und versuchte, die Tür zu öffnen. Erst beim dritten Anlauf fand der Schlüssel sein Ziel.
Vorsichtig trat sie ein. Der Hip-Hop-Beat überlagerte alles. Unmöglich, Geräusche aus den eigenen vier Wänden wahrzunehmen. Sie sah sich um, entdeckte ihn aber nicht.
Ob er schon schlafen gegangen war? Wenn er morgens aufwachte, war er meistens friedfertiger.
Und wenn sie ganz großes Glück hatte, dann waren für ihn die Ereignisse des Vorabends bereits in einem seligmachenden Nebel verschwunden.
Die Luft war rauchgeschwängert und ließ ihre Augen blinzeln. Zu den dröhnenden Klängen von nebenan gesellte sich der Geruch von Bier und Hochprozentigem. Die Atmosphäre in der Wohnung konnte sich mit der jeder Neuköllner Eckkneipe messen.
In Richtung der Wohnküche wurden die Schwaden dichter.
Die Frau glaubte nicht mehr daran, dass er bereits im Bett lag.
Sie hängte den Schlüsselbund an ein Bord und ihre Handtasche an die Garderobe.
Dann gab sie ihr Bestes, sich Selbstsicherheit einzureden und trat in den Türrahmen.
Ganz ruhig saß er da, der Mann, auf einem Stuhl am Esstisch. Vor ihm standen vier leere Flaschen Pilsator und eine angefangene. Eine zerknüllte Packung Marlboro und drei ausgetrunkene Fläschchen Kräuterschnaps lagen daneben, auf einem Schneidebrett ein Brot, dazu ein Brotmesser.
Der Blick des Mannes war auf die eintretende Frau gerichtet, genauso wie der Blick des Jungen, der neben ihm saß.
Der Junge hielt einen Esslöffel in der Hand, sein Teller Cornflakes war beinahe leer gegessen. Am Tellerrand, zwischen einem Tetrapak Milch und dem angebrochenen Cornflakes-Karton, hielt eine handgroße, mit einer Harpune bewaffnete SpongeBob-Figur Wache.
Die Augen des Jungen wurden größer; der Löffel rutschte ihm aus den Fingern und landete klappernd im Teller. Der Junge wollte aufstehen, aber die kräftige Pranke des Mannes drückte ihn zurück auf den Küchenstuhl.
Einen weiteren Versuch unternahm der Junge nicht. Er setzte zum Sprechen an, doch die strengen und gleichzeitig glasigen Augen des Mannes unterbanden auch dies.
»Ich bin zurück«, sagte die Frau überflüssigerweise.
Der Mann sah an ihr hinauf und dann nach oben über den Türrahmen.
Der Frau war klar, dass dort die Zeiger der Küchenuhr dem Mann unbarmherzig Munition lieferten.
»Es ist später geworden als geplant, aber ...«
Der Mann unterbrach sie rüde.
»Es is' später geworden, ja.«
»Ich habe dort noch ...«
Die Frau hielt mitten im Satz inne, obwohl der Mann jetzt sanft und leise und überraschend deutlich sprach: »Was habe ich dir gesagt, als du losgegangen bist?«
»Aber ich habe dort noch ...«
Der Mann erhob leicht seine Stimme: »Ich hab' dich gerade gefragt, was ich dir gesagt hab', als de losgegangen bist.«
Die Frau schluckte. »Dass ich danach sofort wieder nach Hause kommen soll«, antwortete sie leise.
»Wie lange hat die Fahrt gedauert?«
Die Augen des Mannes fixierten die Frau; sie wich seinem Blick aus, sah zu Boden.
»Ich habe nicht auf die Uhr geschaut.«
»Wie lange hat die Fahrt gedauert?«
»Ich weiß es nicht. Eine Stunde? Anderthalb Stunden?« Erneut blickte der Mann auf die Küchenuhr.
»Und wie spät is' es jetzt?«
»Mir ist klar, dass ich spät dran bin, aber ...«
»Ich hab' dir 'ne einfache Frage gestellt.«
Sie nahm all ihren Mut zusammen, hob leicht den Kopf und trat in die Küche. Sie wollte zum Kühlschrank. Vielleicht gelang es ihr, die Situation zu überspielen.
Völlig unvermittelt sprang der Mann auf. Sein Stuhl und der Tisch wackelten.
Der Junge erschrak. Hastig grapschte er nach seiner SpongeBob-Figur, ehe sie umfallen konnte.
Der Alkohol zeigte seine Wirkung. Die rasche Bewegung hatte dem Gleichgewichtssinn des Mannes zu viel abgefordert. Leicht gebückt und seine Hände zu Fäusten geballt, stützte er sich auf dem Küchentisch auf, um neue Kraft zu sammeln. Er schnaubte dabei wie ein wütender Bulle.
Es dauerte nicht lange - die Frau hatte gerade den Griff der Kühlschranktür erreicht -, da hob er erneut seine Stimme.
»Du wirst mir gefälligst antworten, wenn ich dich etwas frage.«
Die Frau wusste nun, dass der Mann nicht lockerlassen würde. Sie ließ den Kühlschrank geschlossen und wandte sich wieder dem Mann zu.
»Weißt du, dass ich das alles hier so was von satthabe?« Der Mann lachte laut auf.
»Du hast das alles hier satt? Du?«
»Ja, ich. Und am meisten habe ich dich satt!«
»Wer kümmert sich denn nicht um seinen Haushalt, hä? Wer kümmert sich denn nicht drum, dass was Ordentliches zu essen auf'm Tisch steht?«
Zum ersten Mal fasste der Junge Mut und mischte sich ein.
»Aber Cornflakes sind doch ...«, wollte er der Frau zur Seite stehen.
Der Mann gab dem Jungen einen heftigen Klaps auf den Hinterkopf: »Du hältst die Schnauze, Kleiner.«
»Lass den Jungen in Ruhe«, sagte die Frau, ohne lange zu überlegen.
»Willste mir schon wieder Befehle geben?«
»Ich habe nur gesagt, dass du den Jungen in Ruhe lassen sollst.«
»Ich behandle ihn so, wie ich's für richtig halte. Das hab' ich dir heut' schon mal gesagt.«
»Wenn du jemanden schlagen willst, dann schlag mich«, erwiderte die Frau, um den Mann von dem Jungen abzulenken.
»Das hatt' ich sowieso vor. Aber wenn de mich nun auch noch so nett drum bittest ...«
Er machte einen Schritt auf sie zu. Doch wieder taumelte er. Seine Hand suchte Halt auf dem Küchentisch. Plötzlich hielt er das Brotmesser in der Hand.
Mit zusammengekniffenen Augen musterte er ihr Gesicht.
»Das letzte Andenken is' ja recht gut verheilt. Zeit für'n neues.«
Wütend stapfte er auf sie zu.
Das Brotmesser näherte sich bedrohlich dem Gesicht der Frau, gleichzeitig rang er um sein Gleichgewicht.
Die Frau griff nach der Hand des Mannes und drückte sie mit ihrer ganzen Kraft nach unten.
Der Mann schien überrascht.
Für einen Augenblick verharrten die beiden Hände und das Messer in Hüfthöhe.
Der Junge nutzte die Gelegenheit. Ungestüm sprang er auf und stieß dabei seinen Cornflakes-Teller vom Tisch. Scheppernd zersprang er in unzählige Scherben. Ohne das Malheur weiter zu beachten, rannte der Junge um den Mann herum und stellte sich schützend vor die Frau. Er streckte dem Mann drohend die Harpune der SpongeBob-Figur entgegen.
Der Mann ignorierte den Jungen. Er spannte seine Muskeln an und stemmte seine Hand nach oben, doch die Frau hielt erfolgreich dagegen. »Dann bekommste dein Andenken eben an 'ner andren Stelle«, drohte der Mann.
Völlig unerwartet stach der Mann nach vorne.
Das Messer ritzte das T-Shirt der Frau auf und schnitt in die darunterliegende Haut.
Blut benetzte den weißen Stoff.
Die Frau achtete nicht auf den Schmerz. Sie erkannte die Gefahr, in der der Junge schwebte. Er musste zur Seite, schnell.
Mit ihrer anderen Hand versuchte sie, den Jungen von sich zu stoßen. Im selben Moment zuckte das Brotmesser erneut nach vorne.
Die Frau schubste den Jungen geradewegs hinein.
Das Brotmesser schlitzte den Hals des Jungen auf, traf genau die Schlagader.
Blut! Sofort brach es in pulsierenden Strömen hervor. Der Junge sah ungläubig zu dem Mann, anschließend ins Gesicht der Frau.
Sein Mund öffnete sich und schloss sich wieder. Kein Laut verließ seine Lippen.
Kraftlos sackte er in sich zusammen. Seine Finger vermochten die SpongeBob-Figur nicht mehr festzuhalten. Sie fiel zu Boden und kam neben den blauweißen Scherben des Cornflakes-Tellers zu liegen.
Immer mehr Blut quoll aus dem Hals des Jungen hervor, auf dem beigefarbenen Teppich erschien ein immer größer werdender Fleck in dunklem Rot.
Die Frau ging in die Knie.
Sie nahm den blutverschmierten Kopf des Jungen in den Schoß. Die Augen des Jungen stierten sie an.
Für einen Sekundenbruchteil dachte sie daran, einen Krankenwagen zu rufen, doch sie wusste, dass es bereits zu spät war.
Die Augen des Jungen waren leer geworden, sie sahen geradewegs durch die Frau hindurch.
Ein markerschütternder Schrei übertönte die dumpfen Hip-Hop-Rhythmen der Nachbarn.
Die Frau hatte große Angst davor, in die Wohnung zurückzukehren.
Vom U-Bahnhof bis zur Haustür verblieb ihr genau so viel Zeit, wie sie benötigte, um eine Zigarette zu rauchen. Vor dem Haus angekommen, steckte sie sich die zweite an; sie wollte den Augenblick möglichst lange hinauszögern. Unruhig trat sie auf der Stelle.
Ihr Blick fiel auf ihren Oberarm. Obwohl der beginnende Sommer ihre Haut bereits sanft bräunte, traten dort - unterhalb des weißen T-Shirt-Ärmels - deutlich Spuren hervor. Spuren, die eine stark zudrückende Hand hinterlassen hatte.
Sie ahnte, dass er oben in der Küche saß. Und mit jeder Sekunde, die der Zeiger der Küchenuhr weiterwanderte, wurde die Wut des Mannes größer. Er hatte ihr ausdrücklich befohlen, umgehend wieder zurückzukommen.
Je länger sie sich Zeit ließ, desto schlimmer würde es werden. Die Konfrontation weiter vor sich herzuschieben ergab keinen Sinn. Also zog sie ein letztes Mal intensiv an ihrer Zigarette, gerade so, als könne sie Tatkraft und Mut inhalieren.
Dann warf sie den halb zu Ende gerauchten Glimmstengel zu Boden. Ohne die Glut ausgetreten zu haben, drehte sie sich zum Eingang.
In der fleckigen Glasscheibe der Haustür spiegelte sich ihr schulterlanges, blondiertes Haar. Leicht zitternd fischte sie ihren Schlüsselbund aus der Handtasche. Er glitt ihr aus den Fingern und landete leise scheppernd auf dem Gitter, auf dem sich Mieter und Besucher ihre Schuhe abstreifen sollten. Zum Glück rutschte er nicht durch.
Sie bückte sich, hob den Schlüsselbund auf und öffnete die Tür. Zu ihrer Erleichterung streckte ihr die neugierige Alte aus dem Hochparterre heute nicht den Kopf entgegen. Ihr Geschwätz hätte ihr gerade noch gefehlt. Mit dem Fahrstuhl fuhr sie hinauf in den achten Stock.
Als die Aufzugtür zur Seite glitt, dröhnten ihr laute Hip-Hop-Klänge entgegen. An anderen Tagen hämmerte sie wütend an die Wohnungstür der Stereoanlagen-Besitzer. Heute nicht. Sie beachtete weder den Lärm noch die Graffiti an den Wänden des Flurs.
Hinter der eigenen Tür schien Ruhe zu herrschen. Sie erinnerte sich daran, dass er einmal direkt nach dem Eintreten auf sie gelauert hatte. Er hatte sie grob hineingezerrt und ihr ohne Vorwarnung die Rückseite seiner Hand über die Wange gezogen. Sie war gegen die Garderobe geprallt und hatte Schürfwunden und Prellungen an Schulter und Oberarm erlitten. Ein Garderobenhaken hatte eine blutende Wunde verursacht - nur einen Fingerbreit neben dem Auge. Ihrem Hausarzt hatte sie erzählt, sie sei gestolpert.
Sie nahm sich ein Herz und versuchte, die Tür zu öffnen. Erst beim dritten Anlauf fand der Schlüssel sein Ziel.
Vorsichtig trat sie ein. Der Hip-Hop-Beat überlagerte alles. Unmöglich, Geräusche aus den eigenen vier Wänden wahrzunehmen. Sie sah sich um, entdeckte ihn aber nicht.
Ob er schon schlafen gegangen war? Wenn er morgens aufwachte, war er meistens friedfertiger.
Und wenn sie ganz großes Glück hatte, dann waren für ihn die Ereignisse des Vorabends bereits in einem seligmachenden Nebel verschwunden.
Die Luft war rauchgeschwängert und ließ ihre Augen blinzeln. Zu den dröhnenden Klängen von nebenan gesellte sich der Geruch von Bier und Hochprozentigem. Die Atmosphäre in der Wohnung konnte sich mit der jeder Neuköllner Eckkneipe messen.
In Richtung der Wohnküche wurden die Schwaden dichter.
Die Frau glaubte nicht mehr daran, dass er bereits im Bett lag.
Sie hängte den Schlüsselbund an ein Bord und ihre Handtasche an die Garderobe.
Dann gab sie ihr Bestes, sich Selbstsicherheit einzureden und trat in den Türrahmen.
Ganz ruhig saß er da, der Mann, auf einem Stuhl am Esstisch. Vor ihm standen vier leere Flaschen Pilsator und eine angefangene. Eine zerknüllte Packung Marlboro und drei ausgetrunkene Fläschchen Kräuterschnaps lagen daneben, auf einem Schneidebrett ein Brot, dazu ein Brotmesser.
Der Blick des Mannes war auf die eintretende Frau gerichtet, genauso wie der Blick des Jungen, der neben ihm saß.
Der Junge hielt einen Esslöffel in der Hand, sein Teller Cornflakes war beinahe leer gegessen. Am Tellerrand, zwischen einem Tetrapak Milch und dem angebrochenen Cornflakes-Karton, hielt eine handgroße, mit einer Harpune bewaffnete SpongeBob-Figur Wache.
Die Augen des Jungen wurden größer; der Löffel rutschte ihm aus den Fingern und landete klappernd im Teller. Der Junge wollte aufstehen, aber die kräftige Pranke des Mannes drückte ihn zurück auf den Küchenstuhl.
Einen weiteren Versuch unternahm der Junge nicht. Er setzte zum Sprechen an, doch die strengen und gleichzeitig glasigen Augen des Mannes unterbanden auch dies.
»Ich bin zurück«, sagte die Frau überflüssigerweise.
Der Mann sah an ihr hinauf und dann nach oben über den Türrahmen.
Der Frau war klar, dass dort die Zeiger der Küchenuhr dem Mann unbarmherzig Munition lieferten.
»Es ist später geworden als geplant, aber ...«
Der Mann unterbrach sie rüde.
»Es is' später geworden, ja.«
»Ich habe dort noch ...«
Die Frau hielt mitten im Satz inne, obwohl der Mann jetzt sanft und leise und überraschend deutlich sprach: »Was habe ich dir gesagt, als du losgegangen bist?«
»Aber ich habe dort noch ...«
Der Mann erhob leicht seine Stimme: »Ich hab' dich gerade gefragt, was ich dir gesagt hab', als de losgegangen bist.«
Die Frau schluckte. »Dass ich danach sofort wieder nach Hause kommen soll«, antwortete sie leise.
»Wie lange hat die Fahrt gedauert?«
Die Augen des Mannes fixierten die Frau; sie wich seinem Blick aus, sah zu Boden.
»Ich habe nicht auf die Uhr geschaut.«
»Wie lange hat die Fahrt gedauert?«
»Ich weiß es nicht. Eine Stunde? Anderthalb Stunden?« Erneut blickte der Mann auf die Küchenuhr.
»Und wie spät is' es jetzt?«
»Mir ist klar, dass ich spät dran bin, aber ...«
»Ich hab' dir 'ne einfache Frage gestellt.«
Sie nahm all ihren Mut zusammen, hob leicht den Kopf und trat in die Küche. Sie wollte zum Kühlschrank. Vielleicht gelang es ihr, die Situation zu überspielen.
Völlig unvermittelt sprang der Mann auf. Sein Stuhl und der Tisch wackelten.
Der Junge erschrak. Hastig grapschte er nach seiner SpongeBob-Figur, ehe sie umfallen konnte.
Der Alkohol zeigte seine Wirkung. Die rasche Bewegung hatte dem Gleichgewichtssinn des Mannes zu viel abgefordert. Leicht gebückt und seine Hände zu Fäusten geballt, stützte er sich auf dem Küchentisch auf, um neue Kraft zu sammeln. Er schnaubte dabei wie ein wütender Bulle.
Es dauerte nicht lange - die Frau hatte gerade den Griff der Kühlschranktür erreicht -, da hob er erneut seine Stimme.
»Du wirst mir gefälligst antworten, wenn ich dich etwas frage.«
Die Frau wusste nun, dass der Mann nicht lockerlassen würde. Sie ließ den Kühlschrank geschlossen und wandte sich wieder dem Mann zu.
»Weißt du, dass ich das alles hier so was von satthabe?« Der Mann lachte laut auf.
»Du hast das alles hier satt? Du?«
»Ja, ich. Und am meisten habe ich dich satt!«
»Wer kümmert sich denn nicht um seinen Haushalt, hä? Wer kümmert sich denn nicht drum, dass was Ordentliches zu essen auf'm Tisch steht?«
Zum ersten Mal fasste der Junge Mut und mischte sich ein.
»Aber Cornflakes sind doch ...«, wollte er der Frau zur Seite stehen.
Der Mann gab dem Jungen einen heftigen Klaps auf den Hinterkopf: »Du hältst die Schnauze, Kleiner.«
»Lass den Jungen in Ruhe«, sagte die Frau, ohne lange zu überlegen.
»Willste mir schon wieder Befehle geben?«
»Ich habe nur gesagt, dass du den Jungen in Ruhe lassen sollst.«
»Ich behandle ihn so, wie ich's für richtig halte. Das hab' ich dir heut' schon mal gesagt.«
»Wenn du jemanden schlagen willst, dann schlag mich«, erwiderte die Frau, um den Mann von dem Jungen abzulenken.
»Das hatt' ich sowieso vor. Aber wenn de mich nun auch noch so nett drum bittest ...«
Er machte einen Schritt auf sie zu. Doch wieder taumelte er. Seine Hand suchte Halt auf dem Küchentisch. Plötzlich hielt er das Brotmesser in der Hand.
Mit zusammengekniffenen Augen musterte er ihr Gesicht.
»Das letzte Andenken is' ja recht gut verheilt. Zeit für'n neues.«
Wütend stapfte er auf sie zu.
Das Brotmesser näherte sich bedrohlich dem Gesicht der Frau, gleichzeitig rang er um sein Gleichgewicht.
Die Frau griff nach der Hand des Mannes und drückte sie mit ihrer ganzen Kraft nach unten.
Der Mann schien überrascht.
Für einen Augenblick verharrten die beiden Hände und das Messer in Hüfthöhe.
Der Junge nutzte die Gelegenheit. Ungestüm sprang er auf und stieß dabei seinen Cornflakes-Teller vom Tisch. Scheppernd zersprang er in unzählige Scherben. Ohne das Malheur weiter zu beachten, rannte der Junge um den Mann herum und stellte sich schützend vor die Frau. Er streckte dem Mann drohend die Harpune der SpongeBob-Figur entgegen.
Der Mann ignorierte den Jungen. Er spannte seine Muskeln an und stemmte seine Hand nach oben, doch die Frau hielt erfolgreich dagegen. »Dann bekommste dein Andenken eben an 'ner andren Stelle«, drohte der Mann.
Völlig unerwartet stach der Mann nach vorne.
Das Messer ritzte das T-Shirt der Frau auf und schnitt in die darunterliegende Haut.
Blut benetzte den weißen Stoff.
Die Frau achtete nicht auf den Schmerz. Sie erkannte die Gefahr, in der der Junge schwebte. Er musste zur Seite, schnell.
Mit ihrer anderen Hand versuchte sie, den Jungen von sich zu stoßen. Im selben Moment zuckte das Brotmesser erneut nach vorne.
Die Frau schubste den Jungen geradewegs hinein.
Das Brotmesser schlitzte den Hals des Jungen auf, traf genau die Schlagader.
Blut! Sofort brach es in pulsierenden Strömen hervor. Der Junge sah ungläubig zu dem Mann, anschließend ins Gesicht der Frau.
Sein Mund öffnete sich und schloss sich wieder. Kein Laut verließ seine Lippen.
Kraftlos sackte er in sich zusammen. Seine Finger vermochten die SpongeBob-Figur nicht mehr festzuhalten. Sie fiel zu Boden und kam neben den blauweißen Scherben des Cornflakes-Tellers zu liegen.
Immer mehr Blut quoll aus dem Hals des Jungen hervor, auf dem beigefarbenen Teppich erschien ein immer größer werdender Fleck in dunklem Rot.
Die Frau ging in die Knie.
Sie nahm den blutverschmierten Kopf des Jungen in den Schoß. Die Augen des Jungen stierten sie an.
Für einen Sekundenbruchteil dachte sie daran, einen Krankenwagen zu rufen, doch sie wusste, dass es bereits zu spät war.
Die Augen des Jungen waren leer geworden, sie sahen geradewegs durch die Frau hindurch.
Ein markerschütternder Schrei übertönte die dumpfen Hip-Hop-Rhythmen der Nachbarn.
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Autoren-Porträt von Siegfried Langer
Langer, SiegfriedSiegfried Langer, geboren 1966, stand unter anderem als Schauspieler auf der Bühne und vor der Kamera. Sterbenswort ist nach dem Erfolg von Vater, Mutter, Tod sein zweiterThriller bei List. www.siegfriedlanger.de
Bibliographische Angaben
- Autor: Siegfried Langer
- 2011, 336 Seiten, Maße: 12,6 x 18,9 cm, Taschenbuch, Deutsch
- Verlag: List TB.
- ISBN-10: 354861051X
- ISBN-13: 9783548610511
Rezension zu „Vater, Mutter, Tod “
"Psycho-Thriller mit Sogwirkung.", ZITTY, Christian Endres
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