Venus
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Venus von Else Buschheuer
LESEPROBE
Verliebung
Eine halbeStunde später ist die Protagonistin unserer Sommergeschichte schonfünfundzwanzig Blocks downtown gelaufen, und unsberuhigt die Vorstellung, dass kein Mensch Manhattan zu Fuß verlassen kann,weil das Wasser ihn früher oder später aufhalten wird, in welcheHimmelsrichtung er auch immer zu fliehen versucht. Die Venus wird über kurzoder lang den Südzipfel der Insel erreichen, und dann ist nämlich Sense. Aberdas scheint sie nicht zu stören. Sie läuft. Sie läuft. Sie läuft wie jemand,dessen Ziel es ist, zu laufen, den steinharten Boden Manhattans mit sorgsammanikürten Zehen abzumessen, wie jemand, der kapriziös ist oder wütend oderganz und gar gedankenversunken. Wir sind fest davonüberzeugt, dass es nicht zum Tagesgeschäft dieser Frau gehört, mit nacktenFüßen über New Yorks heißen Asphalt zu laufen, dazu sieht sie zu elegant ausund die Füße zu verhätschelt, aber wir begegnen ihr ja im Moment ihrerLebenswende, das allein macht sie für uns interessant, also folgen wir ihr weiter.Doch weil dieser New Yorker Sommer sich besonders schwül anfühlt, so wie jedesJahr, weil sie erschöpft ist, weil sie keinen Hitzschlag erleiden soll,schicken wir ihr Angebote entgegen. Wir schicken einen Polizisten, einen Feuerwehrmann,einen Soldaten, einen Bodybuilder, einen Skilehrer, starke, potente Männer. Siekommen in kurzen Abständen auf sie zugelaufen, lächeln, sagen hi, suchen ihren Blick, aber sie sieht sie nicht, sie siehtsie nicht, sie läuft weiter. Also schicken wir ihr einen Akademiker, einenDichter, einen Studenten, aber auch diese Männer sind offenbar unsichtbar fürsie. Etwa zehn Blocks vor der Houston Street biegt sie urplötzlich nach linksab, läuft ostwärts, zwei Blocks weiter, dann wieder downtown,vorbei an Paolo s Deli, LaptopRepair, Dolphin Gym, Ugly Coyote Thrift Shop, King s Pharmacy, Theodoro Grocery, Dry Cleanerand Laundromat, Hairdresserunisex. Vor Paolo s Car Repair jedoch strauchelt sie und fällt. Wir sehen, dass ihre Fußsohlenbluten. Wir sehen, wie ein kahl rasierter Riese in einer orangenKutte sie aufhebt, auf sie einredet. Wir sehen, wie sie kurz Gegenwehr leistet,wie ihr Gesicht sich höhnisch verzieht, wie sie aber dann aufgibt und nachgibtund sich auf seine starken Arme heben und wegtragen lässt. Wir frohlocken. Einegefallene Prinzessin und ein Bettelmönch. Eine Mörderin und ein Heiliger. IhrAnblick und wie sie gemeinsam in einer kleinen Barockkirche auf der Avenue Bverschwinden, hat unsere Phantasie angeregt, so sehr angeregt, dass wir alle Termineabsagen, dass wir es als unumstößlich betrachten, diesem Paar weiter zu folgen,in ein Treppenhaus, in einen Fahrstuhl, in ein mit Goldbrokat und rotem Samt ausgeschlagenesZimmer mit niedriger Decke, voll gestopft mit Buddhastatuen, Kruzifixen undkitschigen indischen Göttergemälden. Schon sitzt sie auf einem Stuhl, der Kopfhängt nach unten, das weißblonde Spaghettihaar hat sich wie ein Schleier vorihrem Gesicht geschlossen. Sie bietet ein Bild des Jammers, das muss man schonsagen, aber selbst im Jammer ist sie noch anmutig. Jetzt, langsam, hebt sie denKopf, der etwas Gläsernes hat, der Vorhang öffnet sich, mit flaschengrünenAugen unter dichten weißen Wimpern sieht sie sich unwillig um. Was soll mansagen, wenn man aufwacht und sich alles wie ein Traum anfühlt, in diesen Dingenist selten einer originell. »Wo bin ich?«, fragt sieda auch schon. »In God s Motel«, säuselt einStimmchen. »Willkommen!« Wir werfen nun einen Blick hinter ihre helle Stirn, indas Chaos in ihrem Kopf. Eben denkt sie, sie sei tot und im Himmel. EineVorstellung, die ihr gefällt. »Was ist passiert?« Siekräuselt ihre perfekte Nase und findet sich umringt von Aschenputteln. Das istja ekelhaft, denkt sie. Das kann unmöglich der Himmel sein. Man kann sichvorstellen, wie fremd sich jemand fühlt, der sonst auf der schicken Upper EastSide verkehrt, in Penthäusern mit spiegelblanken Fenstern, die diese Menschenvermutlich niemals betreten werden, es sei denn, sie putzen sie, die Fensterund die Penthäuser. Neben ihr sitzt ein indisch aussehendes Mädchen, das fastaus seinem Sari platzt, mit hüftlangem schwarzem Haar, glänzend wieRabengefieder. Sie tätschelt Venus Wangen, knetet ihre zarten hellen Hände,stellt ihr mit schwarzem Mund irgendeine Frage, die sie aber nicht beantwortet.Eine Asiatin mit Kopftuch ums ungeschminkte Gesicht bringt eine Tasse Tee, diedie Venus aber nicht trinkt. Das wäre ja noch schöner. »Ich trinke einendoppelten Espresso«, lässt sie die Anwesenden wissen, da sie ein verwöhntesZicklein ist. Die Asiatin schüttelt stumm den Kopf, geht wieder weg, kommt miteinem Glas Wasser zurück. Ein feister Indianer mit einer dicken dunklen Hornbrillewäscht Venus Füße und reinigt sie mit Jod. »Aua!«,schreit sie und zieht die Füße weg. Die Sätze des Indianers beginnen mit »Anyway«. Er macht aufmunternde Scherze, über die nur erselbst lacht, im Falsett, während er geziert abwinkt. Ein Orientale mit einem hohenKorkhut und einem bunten Flickenmantel steht an derTür, die schmutzigen Hände über der Brust gekreuzt, unwirklich wie eineMärchenfigur. Oder ist das ein Traum, denkt unsere Venus. Bin ich etwa auf Drogen?( )
© HeyneVerlag
- Autor: Else Buschheuer
- 2006, 319 Seiten, Maße: 19 cm, Taschenbuch, Deutsch
- Verlag: Diana
- ISBN-10: 3453351290
- ISBN-13: 9783453351295
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