Verräter wie wir
Roman
Dima ist die Seele der russischen Mafia. Seit seiner Zeit als Gefangener im Gulag hat er sich an ihre Spitze hochgearbeitet. Sein Spezialgebiet: die Geldwäsche. Doch seine Tage sind gezählt. Er hat Feinde unter den mächtigen...
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Produktinformationen zu „Verräter wie wir “
Dima ist die Seele der russischen Mafia. Seit seiner Zeit als Gefangener im Gulag hat er sich an ihre Spitze hochgearbeitet. Sein Spezialgebiet: die Geldwäsche. Doch seine Tage sind gezählt. Er hat Feinde unter den mächtigen Weggefährten. Um das Überleben seiner Familie zu sichern, geht er einen Pakt mit dem Westen ein. Er bietet sein Wissen im Tausch gegen ein Leben in England. Eine Sensation für den britischen Geheimdienst, der einwilligt. Aber die Agenten stoßen auf einen bedrohlichen Widerstand. Der lange Arm der Mafia reicht bis weit in den Westen. Wie lange wird Dima seine russischen Freunde täuschen können? Verräter wie wir ist ein leidenschaftlicher Roman über die Korrumpierbarkeit des Westens und über die Zerbrechlichkeit der Demokratie.
Lese-Probe zu „Verräter wie wir “
Verräter wie wir von John le Carré1
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An einem Karibikmorgen um sieben spielte auf der Insel Antigua ein gewisser Peregrine Makepiece, kurz Perry, Universalsportler und Noch-Anglistikdozent an einem renommierten Oxforder College, drei Sätze Tennis gegen einen muskulösen Mittfünfziger, einen braunäugigen Russen mit kahlem Kopf und hoheitsvoller Haltung, der Dima hieß. Die Ereignisse rund um das Match gerieten schon bald ins Fadenkreuz britischer Agenten, die von Berufs wegen nicht an Zufälle glaubten. Dabei war der Hergang, soweit es Perry betraf, über jeden Vorwurf erhaben.
Sein nahender dreißigster Geburtstag drei Monate zuvor hatte bei ihm eine Sinnkrise ausgelöst, die sich, von ihm unbemerkt, schon ein Jahr oder länger angebahnt hatte. Den Kopf in den Händen vergraben, hatte er morgens um acht in seiner bescheidenen Oxforder Wohnung gehockt, nachdem auch ein Sieben-Meilen-Lauf keine Linderung gebracht hatte, und sich mit der Frage gequält, was zum Henker er nach dem ersten Drittel seines Erdendaseins vorweisen konnte außer einem Freibrief dafür, sich um die Welt jenseits der träumenden Türme Oxfords nicht weiter zu kümmern.
Warum?
Jedem Außenstehenden musste seine akademische Laufbahn als Erfolgsgeschichte sondergleichen erscheinen. Der Sohn eines Lehrerehepaars, der nie eine Privatschule von innen gesehen hat, kommt mit einem Abschluss von der London University und bergeweise akademischen Auszeichnungen nach Oxford und tritt eine Dreijahresstelle in einem altehrwürdigen, reichen, erfolgsorientierten College an. Seinen Taufnamen, traditionsgemäß der englischen Oberschicht vorbehalten, verdankt er einem aufrührerischen methodistischen Prälaten des neunzehnten Jahrhunderts, Arthur Peregrine von Huddersfield.
In seiner Freizeit während des Semesters tut er sich als Querfeldeinläufer und Sportsmann hervor. Wenn er einen Abend erübrigen kann, hilft er in einem Oxforder Jugendclub aus. In den Ferien bezwingt er schwierigste Gipfel und beweist sich im extremen Fels. Aber als ihm sein College eine Dauerstelle anbietet - oder, wie es sich seiner angesäuerten Wahrnehmung darstellt, die lebenslange Gefangenschaft -, stemmt er die Fersen ein.
Nochmals: Warum?
Letztes Semester hat er seine Vorlesung über George Orwell »England in Ketten?« betitelt, und seine eigene Rhetorik hat ihn erschreckt. Hätte Orwell sich träumen lassen, dass die gleichen saturierten Stimmen, die ihm die dreißiger Jahre vergällt hatten, die gleiche lähmende Inkompetenz, die gleiche koloniale Kriegswut, die gleichen Vormachtallüren auch 2009 noch fröhliche Urständ feiern?
Und als sich auf den Gesichtern der Studenten, die dasaßen und zu ihm hochstarrten, keinerlei Reaktion abzeichnete, hat er sie selbst geliefert: Nein, nie im Leben hätte Orwell sich das träumen lassen. Und wenn doch, dann wäre er auf die Straße gegangen. Dann hätte er Krawall geschlagen, aber wie.
Gegenüber Gail, seiner langjährigen Freundin, hatte er seinem Groll noch gründlicher Luft gemacht, als sie nach dem Geburtstagsessen für ihn zusammen in Gails Bett lagen, in Gails Wohnung in Primrose Hill, die sie von ihrem ansonsten mittellosen Vater geerbt hatte.
»Collegedozenten kotzen mich an, und dass ich selbst einer bin, kotzt mich auch an. Der ganze Unibetrieb kotzt mich an, und je eher ich diesen Scheißtalar in die Ecke pfeffern kann, desto eher fühle ich mich wieder als freier Mann«, hatte er in das goldbraune Haar geschimpft, das sich sanft um seine Schulter ergoss.
Und als er nur ein anteilnehmendes Schnurren zur Antwort erhielt: »Was soll ich Byron oder Keats oder Wordsworth irgendwelchen jungen Schnöseln andienen, die nichts anderes wollen als rauskommen, rumvögeln und reich werden? War da. Hab mitgemacht. Drecksbande.« Und indem er noch eins draufsetzte: »So ziemlich das Einzige, was mich in diesem Scheißland noch halten könnte, ist eine Revolution.«
Worauf ihm Gail, eine aufgeweckte, ambitionierte junge Rechtsanwältin, die sowohl mit Schönheit als auch einem losen Mundwerk gesegnet war - manchmal loser, als ihr oder Perry lieb sein konnte -, versicherte, keine Revolution wäre vollständig ohne ihn.
Auch Gail war praktisch elternlos. Aber während Perrys Eltern ein Muster an hochgesinnter christlich-sozialer Askese gewesen waren, waren ihre das glatte Gegenteil. Ihren Vater, einen liebenswert-unbegabten Schauspieler, hatten Alkohol, sechzig Zigaretten täglich sowie eine verfehlte Passion für seine launenhafte Frau vorzeitig dahingerafft. Ihre Mutter, ebenfalls Schauspielerin, nur weniger liebenswert, hatte sich vom Acker gemacht, als Gail dreizehn war, und huldigte nun Gerüchten zufolge an der Seite eines zweiten Kameramannes an der Costa Brava dem einfachen Leben.
Perrys Entschluss, den Staub der Gelehrsamkeit von seinen Füßen abzuschütteln - unwiderruflich, wie alle Entschlüsse bei Perry -, sollte gekoppelt sein mit einer Rückkehr zu seinen Wurzeln. Der einzige Sohn von Dora und Alfred Makepiece würde ihre sämtlichen Überzeugungen in die Tat umsetzen. Er würde seine pädagogische Laufbahn an dem Punkt neu beginnen, an dem sie gezwungen gewesen waren, die ihrige aufzugeben.
Er würde nicht länger den intellektuellen Überflieger spielen, sondern die ganz normale, prosaische Lehrerausbildung nachmachen und, getreu dem elterlichen Vorbild, Oberschullehrer in einer der sozial schwächsten Regionen des Landes werden.
Er würde Standardfächer unterrichten und dazu die einschlägigen Sportarten, bei Kindern, die ihn als Retter aus der absoluten Chancenlosigkeit brauchten, nicht als Freifahrschein zu bürgerlicher Betuchtheit.
Aber Gail fühlte sich durch diese Pläne nicht so beunruhigt wie vielleicht von ihm beabsichtigt. Bei all seiner Entschlossenheit, sich den Brennpunkten der Realität zu stellen, blieben doch Seiten an ihm, die nicht ins Bild passten, und mit den meisten war Gail mehr als vertraut:
Da war Perry, der verhinderte T. E. Lawrence, der als Student an der London University, wo die beiden sich kennengelernt hatten, zum Zwecke der Selbstkasteiung mit dem Fahrrad durch Frankreich gestrampelt war, bis er vor Erschöpfung umkippte.
Da war Perry, der Gipfelstürmer, der Perry, der keinen Lauf mitlaufen und kein Spiel mitspielen konnte, ob 7erRugby oder die Weihnachtsscharaden mit Gails Nichten und Neffen, ohne zwanghaft gewinnen zu wollen.
Doch da war auch noch Perry, der heimliche Bacchant, der sich vereinzelte unvorhersehbare Ausbrüche von Genusssucht gönnte, bevor er zurückeilte in seine Dachstube. Und das war der Perry, der an diesem frühen Maimorgen auf dem besten Tennisplatz der besten rezessionsgebeutelten Hotelanlage Antiguas gegen den Russen Dima antrat, solange es noch kühl genug war zum Spielen, während Gail in Badeanzug, breitkrempigem Sonnenhut und einem seidenen Überwurf; der mehr freiließ als verhüllte, von der Tribüne aus zusah, um sie herum ein Sammelsurium stumpfblickender Zuschauer - nicht alle in Schwarz zwar, aber offenbar alle miteinander grimmig entschlossen, nicht zu lächeln, nicht zu sprechen und um Gottes willen kein Interesse an dem Match zu zeigen, dem sie hier beiwohnen mussten.
Gail dankte dem Himmel, dass das Karibik-Abenteuer noch in der Zeit vor Perrys impulsiver Lebensentscheidung beschlossen worden war. Seine Ursprünge reichten zurück bis in den tristesten November, als Perrys Vater an dem gleichen Krebs gestorben war wie zwei Jahre zuvor seine Mutter, wodurch sich Perry plötzlich als leidlich gutsituierter Mann wiederfand. Ererbter Reichtum gehört einem nicht. Perry schwankte ernsthaft, ob er nicht alles, was er hatte, den Armen geben sollte. Aber nach einer von Gail inszenierten Zermürbungskampagne einigten sie sich stattdessen auf einen Tennisurlaub in der Sonne, ein Schnäppchen, wie es im Leben nicht wiederkam.
Und kein Zeitpunkt hätte besser gewählt sein können, wie sich zeigte, denn als sie losfuhren, gab es für sie beide noch weit schwerwiegendere Entscheidungen zu treffen:
Was sollte Perry mit seinem Leben anfangen, und sollten sie es gemeinsam anfangen?
Sollte Gail die Juristerei an den Nagel hängen und ihm blindlings hinausfolgen in die blaue Ferne, oder blieb sie besser London und ihrem kometenhaften Aufstieg dort treu?
Oder wurde es vielleicht langsam Zeit, sich einzugestehen, dass ihr Aufstieg nicht kometenhafter war als der der meisten Junganwälte, und einfach schwanger zu werden, womit Perry ihr ohnehin schon ständig in den Ohren lag?
Und auch wenn Gail, sei es aus Eigensinn, sei es zum Selbstschutz, große Fragen gern als kleine abtat, standen sie doch unzweifelhaft beide, jeder für sich wie auch als Paar, an einem Scheideweg und mussten erst mal ordentlich in sich gehen, und ein Urlaub auf Antigua schien dafür die ideale Gelegenheit.
An einem Karibikmorgen um sieben spielte auf der Insel Antigua ein gewisser Peregrine Makepiece, kurz Perry, Universalsportler und Noch-Anglistikdozent an einem renommierten Oxforder College, drei Sätze Tennis gegen einen muskulösen Mittfünfziger, einen braunäugigen Russen mit kahlem Kopf und hoheitsvoller Haltung, der Dima hieß. Die Ereignisse rund um das Match gerieten schon bald ins Fadenkreuz britischer Agenten, die von Berufs wegen nicht an Zufälle glaubten. Dabei war der Hergang, soweit es Perry betraf, über jeden Vorwurf erhaben.
Sein nahender dreißigster Geburtstag drei Monate zuvor hatte bei ihm eine Sinnkrise ausgelöst, die sich, von ihm unbemerkt, schon ein Jahr oder länger angebahnt hatte. Den Kopf in den Händen vergraben, hatte er morgens um acht in seiner bescheidenen Oxforder Wohnung gehockt, nachdem auch ein Sieben-Meilen-Lauf keine Linderung gebracht hatte, und sich mit der Frage gequält, was zum Henker er nach dem ersten Drittel seines Erdendaseins vorweisen konnte außer einem Freibrief dafür, sich um die Welt jenseits der träumenden Türme Oxfords nicht weiter zu kümmern.
Warum?
Jedem Außenstehenden musste seine akademische Laufbahn als Erfolgsgeschichte sondergleichen erscheinen. Der Sohn eines Lehrerehepaars, der nie eine Privatschule von innen gesehen hat, kommt mit einem Abschluss von der London University und bergeweise akademischen Auszeichnungen nach Oxford und tritt eine Dreijahresstelle in einem altehrwürdigen, reichen, erfolgsorientierten College an. Seinen Taufnamen, traditionsgemäß der englischen Oberschicht vorbehalten, verdankt er einem aufrührerischen methodistischen Prälaten des neunzehnten Jahrhunderts, Arthur Peregrine von Huddersfield.
In seiner Freizeit während des Semesters tut er sich als Querfeldeinläufer und Sportsmann hervor. Wenn er einen Abend erübrigen kann, hilft er in einem Oxforder Jugendclub aus. In den Ferien bezwingt er schwierigste Gipfel und beweist sich im extremen Fels. Aber als ihm sein College eine Dauerstelle anbietet - oder, wie es sich seiner angesäuerten Wahrnehmung darstellt, die lebenslange Gefangenschaft -, stemmt er die Fersen ein.
Nochmals: Warum?
Letztes Semester hat er seine Vorlesung über George Orwell »England in Ketten?« betitelt, und seine eigene Rhetorik hat ihn erschreckt. Hätte Orwell sich träumen lassen, dass die gleichen saturierten Stimmen, die ihm die dreißiger Jahre vergällt hatten, die gleiche lähmende Inkompetenz, die gleiche koloniale Kriegswut, die gleichen Vormachtallüren auch 2009 noch fröhliche Urständ feiern?
Und als sich auf den Gesichtern der Studenten, die dasaßen und zu ihm hochstarrten, keinerlei Reaktion abzeichnete, hat er sie selbst geliefert: Nein, nie im Leben hätte Orwell sich das träumen lassen. Und wenn doch, dann wäre er auf die Straße gegangen. Dann hätte er Krawall geschlagen, aber wie.
Gegenüber Gail, seiner langjährigen Freundin, hatte er seinem Groll noch gründlicher Luft gemacht, als sie nach dem Geburtstagsessen für ihn zusammen in Gails Bett lagen, in Gails Wohnung in Primrose Hill, die sie von ihrem ansonsten mittellosen Vater geerbt hatte.
»Collegedozenten kotzen mich an, und dass ich selbst einer bin, kotzt mich auch an. Der ganze Unibetrieb kotzt mich an, und je eher ich diesen Scheißtalar in die Ecke pfeffern kann, desto eher fühle ich mich wieder als freier Mann«, hatte er in das goldbraune Haar geschimpft, das sich sanft um seine Schulter ergoss.
Und als er nur ein anteilnehmendes Schnurren zur Antwort erhielt: »Was soll ich Byron oder Keats oder Wordsworth irgendwelchen jungen Schnöseln andienen, die nichts anderes wollen als rauskommen, rumvögeln und reich werden? War da. Hab mitgemacht. Drecksbande.« Und indem er noch eins draufsetzte: »So ziemlich das Einzige, was mich in diesem Scheißland noch halten könnte, ist eine Revolution.«
Worauf ihm Gail, eine aufgeweckte, ambitionierte junge Rechtsanwältin, die sowohl mit Schönheit als auch einem losen Mundwerk gesegnet war - manchmal loser, als ihr oder Perry lieb sein konnte -, versicherte, keine Revolution wäre vollständig ohne ihn.
Auch Gail war praktisch elternlos. Aber während Perrys Eltern ein Muster an hochgesinnter christlich-sozialer Askese gewesen waren, waren ihre das glatte Gegenteil. Ihren Vater, einen liebenswert-unbegabten Schauspieler, hatten Alkohol, sechzig Zigaretten täglich sowie eine verfehlte Passion für seine launenhafte Frau vorzeitig dahingerafft. Ihre Mutter, ebenfalls Schauspielerin, nur weniger liebenswert, hatte sich vom Acker gemacht, als Gail dreizehn war, und huldigte nun Gerüchten zufolge an der Seite eines zweiten Kameramannes an der Costa Brava dem einfachen Leben.
Perrys Entschluss, den Staub der Gelehrsamkeit von seinen Füßen abzuschütteln - unwiderruflich, wie alle Entschlüsse bei Perry -, sollte gekoppelt sein mit einer Rückkehr zu seinen Wurzeln. Der einzige Sohn von Dora und Alfred Makepiece würde ihre sämtlichen Überzeugungen in die Tat umsetzen. Er würde seine pädagogische Laufbahn an dem Punkt neu beginnen, an dem sie gezwungen gewesen waren, die ihrige aufzugeben.
Er würde nicht länger den intellektuellen Überflieger spielen, sondern die ganz normale, prosaische Lehrerausbildung nachmachen und, getreu dem elterlichen Vorbild, Oberschullehrer in einer der sozial schwächsten Regionen des Landes werden.
Er würde Standardfächer unterrichten und dazu die einschlägigen Sportarten, bei Kindern, die ihn als Retter aus der absoluten Chancenlosigkeit brauchten, nicht als Freifahrschein zu bürgerlicher Betuchtheit.
Aber Gail fühlte sich durch diese Pläne nicht so beunruhigt wie vielleicht von ihm beabsichtigt. Bei all seiner Entschlossenheit, sich den Brennpunkten der Realität zu stellen, blieben doch Seiten an ihm, die nicht ins Bild passten, und mit den meisten war Gail mehr als vertraut:
Da war Perry, der verhinderte T. E. Lawrence, der als Student an der London University, wo die beiden sich kennengelernt hatten, zum Zwecke der Selbstkasteiung mit dem Fahrrad durch Frankreich gestrampelt war, bis er vor Erschöpfung umkippte.
Da war Perry, der Gipfelstürmer, der Perry, der keinen Lauf mitlaufen und kein Spiel mitspielen konnte, ob 7erRugby oder die Weihnachtsscharaden mit Gails Nichten und Neffen, ohne zwanghaft gewinnen zu wollen.
Doch da war auch noch Perry, der heimliche Bacchant, der sich vereinzelte unvorhersehbare Ausbrüche von Genusssucht gönnte, bevor er zurückeilte in seine Dachstube. Und das war der Perry, der an diesem frühen Maimorgen auf dem besten Tennisplatz der besten rezessionsgebeutelten Hotelanlage Antiguas gegen den Russen Dima antrat, solange es noch kühl genug war zum Spielen, während Gail in Badeanzug, breitkrempigem Sonnenhut und einem seidenen Überwurf; der mehr freiließ als verhüllte, von der Tribüne aus zusah, um sie herum ein Sammelsurium stumpfblickender Zuschauer - nicht alle in Schwarz zwar, aber offenbar alle miteinander grimmig entschlossen, nicht zu lächeln, nicht zu sprechen und um Gottes willen kein Interesse an dem Match zu zeigen, dem sie hier beiwohnen mussten.
Gail dankte dem Himmel, dass das Karibik-Abenteuer noch in der Zeit vor Perrys impulsiver Lebensentscheidung beschlossen worden war. Seine Ursprünge reichten zurück bis in den tristesten November, als Perrys Vater an dem gleichen Krebs gestorben war wie zwei Jahre zuvor seine Mutter, wodurch sich Perry plötzlich als leidlich gutsituierter Mann wiederfand. Ererbter Reichtum gehört einem nicht. Perry schwankte ernsthaft, ob er nicht alles, was er hatte, den Armen geben sollte. Aber nach einer von Gail inszenierten Zermürbungskampagne einigten sie sich stattdessen auf einen Tennisurlaub in der Sonne, ein Schnäppchen, wie es im Leben nicht wiederkam.
Und kein Zeitpunkt hätte besser gewählt sein können, wie sich zeigte, denn als sie losfuhren, gab es für sie beide noch weit schwerwiegendere Entscheidungen zu treffen:
Was sollte Perry mit seinem Leben anfangen, und sollten sie es gemeinsam anfangen?
Sollte Gail die Juristerei an den Nagel hängen und ihm blindlings hinausfolgen in die blaue Ferne, oder blieb sie besser London und ihrem kometenhaften Aufstieg dort treu?
Oder wurde es vielleicht langsam Zeit, sich einzugestehen, dass ihr Aufstieg nicht kometenhafter war als der der meisten Junganwälte, und einfach schwanger zu werden, womit Perry ihr ohnehin schon ständig in den Ohren lag?
Und auch wenn Gail, sei es aus Eigensinn, sei es zum Selbstschutz, große Fragen gern als kleine abtat, standen sie doch unzweifelhaft beide, jeder für sich wie auch als Paar, an einem Scheideweg und mussten erst mal ordentlich in sich gehen, und ein Urlaub auf Antigua schien dafür die ideale Gelegenheit.
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Autoren-Porträt von John le Carré
John le Carré, geboren 1931 in Poole, Dorset, studierte in Bern und Oxford Germanistik, bevor er in diplomatischen Diensten u. a. in Bonn und Hamburg tätig war. Er lebt mit seiner Frau in Cornwall und London. 2011 wurde John le Carré mit der "Goethe-Medaille" für sein "eindrucksvolles humanistisches Plädoyer" in seinem Lebenswerk ausgezeichnet.
Bibliographische Angaben
- Autor: John le Carré
- 2010, 413 Seiten, Maße: 14,3 x 22 cm, Gebunden, Deutsch
- Übersetzung: Roth, Sabine
- Übersetzer: Sabine Roth
- Verlag: Ullstein HC
- ISBN-10: 3550088337
- ISBN-13: 9783550088339
Rezension zu „Verräter wie wir “
»Das Herzschlag-Tempo der Erzählung, die Art, wie Figuren und Details nach Art eines Fotoabzugs allmählich hervortreten - Fans dürften alles wiederfinden, was ein le-Carré-Buch ausmacht.« dpa, Andrej Sokolow, 26.10.10 »John le Carré beschreibt könnerhaft und gewitzt, wie aus dem Kalten Krieg ein warmer Händedruck unter Geschäftsmännern wurde.« NDR Kultur, Eva-Maria Lemke, 27.10.10 »Was macht einen erstklassigen Roman aus? Welthaftigkeit, gut geschilderte Charaktere, eine Story ohne Leerlauf sowie - deutschen Autoren sei`s gedonnert und gepfiffen - ein ausgefeilter Plot.« Prisma, 10.11.10 »(Alles) ist in die feine, die zart giftige Ironie Le Carrés gehüllt. « Frankfurter Rundschau, Sylvia Staude, 02.11.10
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