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Roman
Ein Politiker zwischen Exzess und totaler Selbstkontrolle, auf der lebensgefährlichen Suche nach Hingabe und Intensität, im freien Fall durch die Zeit: Lukas Hammersteins virtuos erzählter Roman ist die höchst intime Geschichte des Politischen in den...
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Produktinformationen zu „Video “
Ein Politiker zwischen Exzess und totaler Selbstkontrolle, auf der lebensgefährlichen Suche nach Hingabe und Intensität, im freien Fall durch die Zeit: Lukas Hammersteins virtuos erzählter Roman ist die höchst intime Geschichte des Politischen in den letzten 25 Jahren glühend romantisch und kühl bis ins Herz.
Piet Escher, einst einer der erfolgreichsten Politiker der jüngeren Generation, hat seinem Leben ein Ende gesetzt - auf einem Flugzeugfriedhof in der Wüste von Arizona. Sein einziges Vermächtnis ist ein Videofilm von seinem Sterben, aber was zeigt dieses Video wirklich? Wer war dieser charismatische Piet Escher - ein geborener Politiker oder nur ein Showtalent und kalter Stratege? Ein Frauenheld, der die Macht der Eroberung genoss wie die Eroberung der Macht? Ein Sehnsüchtiger, der seine Träume an die Wirklichkeit verlor?
Lukas Hammersteins Roman führt uns von einer Zeit des Aufbruchs in eine der enttäuschten Hoffnungen: Von der Studentenszene im Freiburg der späten 70er Jahre und den Demonstrationen gegen NATO-Raketendepots Anfang der 80er bis zu den Wahlveranstaltungen im wiedervereinigten Deutschland, dem Regierungswechsel 1998 und einem Parteitag, der zum Endpunkt einer deutschen Karriere wird. Es sind die Scheidepunkte eines radikalen Lebens, die zugleich die Wendepunkte in der Biographie unseres Landes sind.
Replay, erinnere dich. 12.07.00, Berlin: In Piets altem Diplomat durch die Stadt. An was glauben wir eigentlich? 01.08.96, Weimar, Hotel Elephant. Tagsüber Parteiveranstaltung mit Piet, die Nacht mit Catherine. 13.09.01, München, Maximilianstraße: Ich arbeite jetzt als Angsttherapeut, aber ich nehme meinen Klienten nicht die Angst, ich gebe sie ihnen zurück, nur schöner. 11.04.79, Turm des Freiburger Münsters: Warum ist Monika damals gesprungen? 07.12.02, Hannover, Mehrzweckhalle, Parteitag: War das für Piet der Anfang vom Ende? 30.09.98, der Rhein bei Bonn. Katharina und ich heiraten, und in Berlin kommen die Sozis ran. 04.05.05, Tucson, Arizona: Ich soll ...
Piet Escher, einst einer der erfolgreichsten Politiker der jüngeren Generation, hat seinem Leben ein Ende gesetzt - auf einem Flugzeugfriedhof in der Wüste von Arizona. Sein einziges Vermächtnis ist ein Videofilm von seinem Sterben, aber was zeigt dieses Video wirklich? Wer war dieser charismatische Piet Escher - ein geborener Politiker oder nur ein Showtalent und kalter Stratege? Ein Frauenheld, der die Macht der Eroberung genoss wie die Eroberung der Macht? Ein Sehnsüchtiger, der seine Träume an die Wirklichkeit verlor?
Lukas Hammersteins Roman führt uns von einer Zeit des Aufbruchs in eine der enttäuschten Hoffnungen: Von der Studentenszene im Freiburg der späten 70er Jahre und den Demonstrationen gegen NATO-Raketendepots Anfang der 80er bis zu den Wahlveranstaltungen im wiedervereinigten Deutschland, dem Regierungswechsel 1998 und einem Parteitag, der zum Endpunkt einer deutschen Karriere wird. Es sind die Scheidepunkte eines radikalen Lebens, die zugleich die Wendepunkte in der Biographie unseres Landes sind.
Replay, erinnere dich. 12.07.00, Berlin: In Piets altem Diplomat durch die Stadt. An was glauben wir eigentlich? 01.08.96, Weimar, Hotel Elephant. Tagsüber Parteiveranstaltung mit Piet, die Nacht mit Catherine. 13.09.01, München, Maximilianstraße: Ich arbeite jetzt als Angsttherapeut, aber ich nehme meinen Klienten nicht die Angst, ich gebe sie ihnen zurück, nur schöner. 11.04.79, Turm des Freiburger Münsters: Warum ist Monika damals gesprungen? 07.12.02, Hannover, Mehrzweckhalle, Parteitag: War das für Piet der Anfang vom Ende? 30.09.98, der Rhein bei Bonn. Katharina und ich heiraten, und in Berlin kommen die Sozis ran. 04.05.05, Tucson, Arizona: Ich soll ...
Klappentext zu „Video “
Piet Escher, einst einer der erfolgreichsten Politiker der jüngeren Generation, hat seinem Leben ein Ende gesetzt - auf einem Flugzeugfriedhof in der Wüste von Arizona. Sein einziges Vermächtnis ist ein Videofilm von seinem Sterben, aber was zeigt dieses Video wirklich? Wer war dieser charismatische Piet Escher - ein geborener Politiker oder nur ein Showtalent und kalter Stratege? Ein Frauenheld, der die Macht der Eroberung genoss wie die Eroberung der Macht? Ein Sehnsüchtiger, der seine Träume an die Wirklichkeit verlor?Lukas Hammersteins Roman führt uns von einer Zeit des Aufbruchs in eine der enttäuschten Hoffnungen: Von der Studentenszene im Freiburg der späten 70er Jahre und den Demonstrationen gegen NATO-Raketendepots Anfang der 80er bis zu den Wahlveranstaltungen im wiedervereinigten Deutschland, dem Regierungswechsel 1998 und einem Parteitag, der zum Endpunkt einer deutschen Karriere wird. Es sind die Scheidepunkte eines radikalen Lebens, die zugleich die Wendepunkte in der Biographie unseres Landes sind.
Replay, erinnere dich. 12.07.00, Berlin: In Piets altem Diplomat durch die Stadt. An was glauben wir eigentlich? 01.08.96, Weimar, Hotel Elephant. Tagsüber Parteiveranstaltung mit Piet, die Nacht mit Catherine. 13.09.01, München, Maximilianstraße: Ich arbeite jetzt als Angsttherapeut, aber ich nehme meinen Klienten nicht die Angst, ich gebe sie ihnen zurück, nur schöner. 11.04.79, Turm des Freiburger Münsters: Warum ist Monika damals gesprungen? 07.12.02, Hannover, Mehrzweckhalle, Parteitag: War das für Piet der Anfang vom Ende? 30.09.98, der Rhein bei Bonn. Katharina und ich heiraten, und in Berlin kommen die Sozis ran. 04.05.05, Tucson, Arizona: Ich soll Piet nicht beim Sterben helfen. Nur die Kamera einrichten und da sein.
Lese-Probe zu „Video “
Die Halle war fast leer, weiter hinten saßen ein paar Leute. Ich ließ mich in einen Sessel fallen und bestellte ein Tonic. Erst als der Kellner das Bestellte brachte, sah ich in der Gruppe vor dem Fenster die Frau sitzen, mit der ich vor dem Gartenhaus gesprochen hatte. Sie blickte nicht herüber, ich hatte den Eindruck, daß sie bewußt wegsah. Ich bestellte mir gleich noch ein Glas Wein hinterher und ließ mir das Telefon an den Tisch bringen, um noch ein paar Gespräche zu führen. Unter anderem stimmte ich den Text zum Paper ab, mit der Kollegin von Hutch & Loo. Jetzt, eine Stunde vor Mitternacht, fing sie doch noch an, mit mir zu flirten, ich ging nicht darauf ein. Ich hatte den Cordanzug von Dolce & Gabbana an, den ich in Rom gekauft habe, gleich bei der spanischen Treppe. Das Jackett eng geschnitten, mit zwei Knöpfen, die Hosen schmal, ich fühlte mich verkleidet, sexy im besten Sinn, das Selbstwertgefühl wächst, sobald ich den festen Stoff auf der Haut spüre. Piet würde lachen, er findet immer, daß ich ein Snob bin. Er braucht sich nie zu verkleiden, er trägt, was ihm steht, und was er anzieht, paßt ihm, Anzug oder Jeans, selbst im Sweatshirt macht er eine gute Figur. Er kann sich leiden, und das überträgt sich auf alles, was ihn umgibt.
Dann schaute sie doch herüber, und ich war mir sicher, daß sie mich musterte, daß ihr mein Gesicht oder mein Anzug gefiel. Jemand aus der Gruppe stand auf und verabschiedete sich. Ich bestellte mir noch ein Glas Wein und blieb einfach so lange sitzen, bis der letzte am Fenstertisch gegangen war.
Sie stand auf und kam zu mir herüber. In einigem Abstand blieb sie stehen und sah mich vage an.
Erlauben Sie, daß ich mich einen Moment zu Ihnen setze?
Ich nickte und stellte mich vor. Sie nannte ihren Namen, während sie sich setzte, Gruber, Katharina Gruber, aber nennen Sie mich doch bitte Catherine. Sie werden, sagte sie, keine Freude haben, wenn Sie sich mit mir befreunden wollen. Wir schwiegen eine Weile, weil ich
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nicht wußte, was sie mir hatte sagen wollen. Ich bereute plötzlich, so viel getrunken zu haben. Irgendwann brach sie das Schweigen, das sich zwischen uns ausgebreitet hatte. Sie sei nicht meinetwegen hier, sie habe ein Zimmer im Hotel. Aber ja, sagte ich, das war eine dumme Idee heute nachmittag. Sie nickte nur. Der Kellner kam, und sie bestellte einen Whisky Sour. Dann fiel die Nervosität von mir ab, und ich sprach auf sie ein, als ginge es darum, einen Preis im Schnellsprechen zu gewinnen. Sie wirkte stolz und etwas spröde. Irgendwann hatte ich das Gefühl, daß sie sich über mich amüsierte.
Ich sagte ihr, welchen Eindruck ich von Weimar habe. Ich erzählte ihr von München und Berlin. Ich berichtete von dem wirtschaftspolitischen Symposion am Morgen. Ich ließ mich über Bündnis 90/Die Grünen aus. Ich sagte, Benchmarks und Revolution. Ich erfand eine Geschichte von meinen Großeltern in Ungarn. Eine Musikerfamilie, Juden, die Überlebenden in alle Welt verstreut. Das mache ich manchmal, um zu testen, ob jemand mir auch dann noch Glauben schenken würde, wenn ich die Wahrheit sagte. Ich bekam nicht heraus, ob sie mir vertraute. Ich vermied zu sagen, welchen Beruf ich habe, aus der Erfahrung, daß die Gespräche öde werden, wenn man erst einmal erwähnt hat, womit man seinen Lebensunterhalt verdient. Ich sagte, daß ich nach dem Frühstück nach Leipzig fahren würde.
Auch sie mußte dorthin, mit dem IC kurz vor zehn. Von dort würde sie am Abend zurück nach Bonn fliegen. Sie hatte eine Reservierung für denselben Zug.
Was habe ich eigentlich mit Ihnen zu tun?, wollte sie mit einem Mal wissen. Was Sie wollen. Mit der Zeit schien sie sich zu öffnen, wirkte weniger stolz oder jetzt doch etwas befangen. Ihr Lachen war ansteckend, ich sagte es ihr, ein wenig feierlich, wie ein schiefes Kompliment. Was ich nicht sagte, war, wie kapriziös sie wirkte. Als wir ausgetrunken hatten, bezahlte sie meinen Wein, was ich erst nicht annehmen wollte.
Wir hatten den gleichen Weg, und ich begleitete sie bis vor ihr Zimmer. Sie wirkte abweisend und neugierig, beides auf einmal. Ich sagte gute Nacht und ging weiter zu meinem Zimmer ein paar Türen weiter. Als ich mich noch einmal umdrehte, stand sie noch immer am Gang und nickte mir zu. Ich winkte zurück.
Kaum war ich in meinem Zimmer, warf ich mich aufs Bett und schaltete den Fernseher ein. Das Begrüßungsmenü erschien, und ich brauchte eine Weile, bis ich einen Kanal gefunden hatte, den ich laufen lassen konnte, ohne hinzusehen. Ein Fernsehkrimi, ich erkannte erst nicht, daß es "Der Alte" war.
Jetzt habe ich den Fernseher wieder ausgeschaltet und für ein paar Minuten die Augen geschlossen.
Wieder dringt Lachen vom Platz herauf, Stimmen, die mir sympathisch sind.
Ich schlage das Buch auf, in dem ich seit Wochen lese.
"Ihr, die ihr hier eintretet, lasset alle Hoffnung fahren", ich habe den ersten Satz schon hundert Mal gelesen, weil ich immer wieder mit der ersten Seite beginne.
"Ihr, die ihr hier eintretet, lasset alle Hoffnung fahren, ist in blutroten Lettern auf die Wand der Chemical Bank an der Ecke Eleventh und First geschmiert, so groß, daß man es auch vom Rücksitz des Taxis aus erkennen kann, das sich im Verkehr aus der Wall Street vorarbeitet."
Ein Telefon klingelt, und jetzt begreife ich sofort, daß es das Gerät auf dem Nachttisch ist. Katharina ruft mich von ihrem Zimmer aus an. Catherine, sagt sie. Und: Ob ich schon geschlafen habe.
Nein, nein.
Während sie spricht, lese ich weiter.
Es sei keine dumme Idee von mir gewesen.
Ich verstehe erst nicht, worauf sie anspielt, bis mir wieder die Situation vor dem Gartenhaus einfällt.
Es war ein schöner Abend.
Oh ja, sage ich und warte ab, bis sie wieder etwas sagt. Schweigen, ein leises Knacken in der Leitung.
Ob ich noch da sei. Sie habe meine Stimme hören wollen.
Ich sage noch immer nichts.
Ich hätte eine angenehme Stimme.
Ich betrachte mich im Spiegel, der dem Bett gegenüber an der Wand hängt, und stelle fest, daß ich mit dem Bild gut leben kann.
Sie sei sonst nicht so, meint sie. Sie lasse sich nicht so schnell auf Menschen ein, die sie nicht kenne.
Die oberen Armmuskeln sind stärker geworden, die Partie um die Schlüsselbeine hat mehr Struktur als vor ein paar Wochen, alles scheint wieder fester zu werden.
Sind Sie noch da?
Ja.
Ob das nicht Escher gewesen sei, mit dem ich im Park spazieren war.
Ja, sage ich, Piet.
Es geht wohl jedem so, sagt sie, er sieht ein Gesicht, das er vom Fernsehen kennt und fühlt sich gleich mit ihm vertraut.
Ich bin einfallsreich, denke ich. Ich bin kreativ, ich bin jung, ich bin skrupellos, hoch motiviert, hoch qualifiziert. Will sagen, die Gesellschaft kann es sich nicht leisten, mich zu verlieren. Ich bin ein echter Aktivposten.
Ich liege im Bett, sagt sie dann, und sehe mich im Spiegel an der Wand gegenüber an, ich staune, es irritiert mich, daß ich nicht alleine bin. Ihre Telefonstimme tastet sich immer wieder heran und läßt mich hochschrecken, zerteilt die Nacht in leuchtende Momente, hindert mich am Einschlafen.
Sie fragt sich, ob sie jetzt gerne bei mir wäre, und ich registriere, wie sehr mir ihre Stimme gefällt, der amüsierte, scheue Unterton.
Ich bin moralisch gefestigt, tolerant, also ich bin mit meinem Leben wirklich hochzufrieden, ich blicke optimistisch in die Zukunft.
Ob wir uns zum Frühstück sehen. Oder jetzt gleich, auf ein Glas aus der Minibar, aber vielleicht doch besser nicht.
Gut, sage ich, besser nicht.
Ob ich auch hellwach sei.
Darauf antworte ich nicht, weil sich mir die Müdigkeit bleiern auf die Zunge, die Schläfen, die Atmung legt.
Die Gedanken laufen einfach weiter.
Sie haben Erfolg, sagt sie. Jeder hat Erfolg, sage ich. Sie sehen gut aus, meint sie. Jeder sieht gut aus, sage ich. Sie haben eine tolle Figur, sagt sie. Jeder hat heutzutage eine tolle Figur, sage ich.
Erst nach einigen Minuten fragt sie wieder, ob ich eingeschlafen sei.
Ich bin so müde, daß mir der Hörer aus der Hand fällt.
Als ich ihn wieder am Ohr habe, müssen wir beide lachen, weil wir in einem Hotel, nur zwei Zimmer auseinander, in unseren Betten liegen und reden.
Veltliner, geht mir durch den Kopf, ein Glas Veltliner in meiner Hand, denke ich. Hand, denke ich. Boss. Hemd von Hugo Boss.
Ich höre ihren Atem durchs Telefon.
Eiernudeln, denke ich. Catherine Gruber, denke ich. Ich würde mit Catherine Gruber schlafen, denke ich. Porsche 928. Prada, denke ich. Ich hätte gerne Prada-Schlangenlederschuhe. Ich bin zweiunddreißig Jahre alt, denke ich. Nächstes Jahr werde ich dreiunddreißig sein. Ein Aspirin. Ich hätte gern ein Aspirin. Nein, zwei Aspirin. Hoteltelefon, denke ich.
Wieder herrscht Schweigen. Ich dämmere langsam weg. Catherine sagt, der Osten schlage ihr schwer auf die Stimmung. Es klingt wie eine Frage, aber ich kann nicht antworten, weil ich gähnen muß.
Sie sagt, wir fühlen uns so fremd, weil uns hier alles so wahnsinnig vertraut ist.
Mir rutscht schon wieder der Hörer aus der Hand, und ich schrecke davon hoch, als hätte ich etwas Verbotenes getan.
Ich komme jetzt zu Ihnen rüber, sagt sie, nur ganz kurz, und legt auf. Nichts geschieht. Eine Minute später klingelt das Telefon. Ich stehe auf, um den Hörer abzuheben, wobei ich kurz die Sterne sehe, wie Blitze. Ich halte mich am Stuhl fest und ziehe mir das weiße Hemd an, das darüber lag. Ich will schon zur Tür gehen, als ich begreife, daß sie durch das Telefon zu mir spricht.
Sehr helle Augen, sagt sie.
Was?, denke ich.
Ich habe helle Augen, sagt sie, ist es Ihnen aufgefallen?
Sie habe herüberkommen wollen und dann doch lieber nicht. Sie senkt die Stimme und streicht mit dem Atem durch die Leitung, als wollte sie sagen, daß ich jetzt bitte nichts sagen soll.
Ich bin still.
Bis morgen, wir sehen uns zum Frühstück.
Ich höre ihr zu, wie sie schweigt.
Ich sehe komisch aus, sagt sie dann, in meinem Seidenpyjama, altmodisch, anziehend, Sie müßten es sehen.
Plötzlich hat sie aufgelegt.
Ich gehe eine Weile vor dem Bett auf und ab, die Müdigkeit läßt die Farben tanzen, nur ganz träge.
Ich liege wieder auf dem Bett, jetzt greife ich zum Telefon.
Ich werde jetzt schlafen, sage ich und wünsche ihr eine gute Nacht.
Ich muß ihr versprechen, nichts Böses zu träumen.
Ich verspreche es ihr.
Dann, sagt sie schnell, bis morgen früh.
Ich sage, bis morgen, und lege auf.
Ich habe das Licht gelöscht. Ich denke an diese Frau, die mich seit fünf Minuten duzt, ihr Geruch hat sich ins Zimmer geschlichen und breitet sich langsam aus. Im Fernseher läuft eine Reportage über deutsche Swingerclubs, ein Journalistenpaar führt durch Etablissements im Osten des Landes, sie sehen aus wie eine billige Hure und ihr Zuhälter, sonnenstudiobraun, in den Clubs hängen Leute herum, die alt und fertig sind. Ich schließe die Augen.
Das Telefon klingelt.
Sie entschuldigt sich, aber sie wolle unbedingt wissen, ob ich Geschwister habe. Ich sei bestimmt ein Einzelkind, sie würde drauf wetten.
Plötzlich bin ich wieder wach. Ich packe dich an den Schultern, sage ich. Es fühlt sich gut an. Ja, sagt sie. Ich greife nach ihren Händen, die sie mir schnell wieder entzieht. Ja, sagt sie. Ich lege eine Hand auf ihren Bauch und lasse sie dort liegen, so lange, bis sie wieder Ja sagt. Ich streiche ihr eine Strähne Haar hinters Ohr. Ja, sagt sie. Sie hat viel zu große Ohren, ob mir das aufgefallen ist. Die Hand wird schwer.
Und dann, ihre Stimme ist jetzt weiter weg.
Was sie möchte.
Sie sagt, daß ich sie aufs Bett werfe, wo sie so zu liegen kommt, wie ich es will. Ich ziehe ihr den Pyjama aus, plötzlich reißt ein Knopf ab. Sie ist noch schöner, als ich erwartet habe. Ich biege ihre Arme nach hinten.
Sie haben schöne Augen, sagt sie.
Ich antworte nicht mehr, weil der Schlaf wieder nach mir greift.
Sie will, daß ich weiterspreche.
Ich bin so leise, daß sie es nicht versteht.
Sie haben schöne Hände, sagt sie.
Ich schweige.
Sie sagt nichts mehr, ich wage dennoch nicht, den Hörer wegzulegen. Auch so, denke ich, fängt etwas an.
Leg nicht auf, sagt Catherine.
Ich lege nicht auf.
Ab und zu stelle ich mir vor, wie sie in ihrem Zimmer Rauchkringel von sich stößt, die langsam zum Fenster ziehen.
Sie schweigt und füllt mit diesem Schweigen mein Zimmer.
Ich frage mich nicht mehr, was geschieht. Ich versuche sie vor mir zu sehen, doch jedesmal verschwindet das Bild gleich wieder.
Ich höre sie atmen.
Ich brumme etwas, als sie wieder sagt, daß ich nicht einschlafen soll.
Bevor ich weg bin, höre ich noch einmal das Knistern der Glut, so tief zieht sie an ihrer Zigarette.
Ich sagte ihr, welchen Eindruck ich von Weimar habe. Ich erzählte ihr von München und Berlin. Ich berichtete von dem wirtschaftspolitischen Symposion am Morgen. Ich ließ mich über Bündnis 90/Die Grünen aus. Ich sagte, Benchmarks und Revolution. Ich erfand eine Geschichte von meinen Großeltern in Ungarn. Eine Musikerfamilie, Juden, die Überlebenden in alle Welt verstreut. Das mache ich manchmal, um zu testen, ob jemand mir auch dann noch Glauben schenken würde, wenn ich die Wahrheit sagte. Ich bekam nicht heraus, ob sie mir vertraute. Ich vermied zu sagen, welchen Beruf ich habe, aus der Erfahrung, daß die Gespräche öde werden, wenn man erst einmal erwähnt hat, womit man seinen Lebensunterhalt verdient. Ich sagte, daß ich nach dem Frühstück nach Leipzig fahren würde.
Auch sie mußte dorthin, mit dem IC kurz vor zehn. Von dort würde sie am Abend zurück nach Bonn fliegen. Sie hatte eine Reservierung für denselben Zug.
Was habe ich eigentlich mit Ihnen zu tun?, wollte sie mit einem Mal wissen. Was Sie wollen. Mit der Zeit schien sie sich zu öffnen, wirkte weniger stolz oder jetzt doch etwas befangen. Ihr Lachen war ansteckend, ich sagte es ihr, ein wenig feierlich, wie ein schiefes Kompliment. Was ich nicht sagte, war, wie kapriziös sie wirkte. Als wir ausgetrunken hatten, bezahlte sie meinen Wein, was ich erst nicht annehmen wollte.
Wir hatten den gleichen Weg, und ich begleitete sie bis vor ihr Zimmer. Sie wirkte abweisend und neugierig, beides auf einmal. Ich sagte gute Nacht und ging weiter zu meinem Zimmer ein paar Türen weiter. Als ich mich noch einmal umdrehte, stand sie noch immer am Gang und nickte mir zu. Ich winkte zurück.
Kaum war ich in meinem Zimmer, warf ich mich aufs Bett und schaltete den Fernseher ein. Das Begrüßungsmenü erschien, und ich brauchte eine Weile, bis ich einen Kanal gefunden hatte, den ich laufen lassen konnte, ohne hinzusehen. Ein Fernsehkrimi, ich erkannte erst nicht, daß es "Der Alte" war.
Jetzt habe ich den Fernseher wieder ausgeschaltet und für ein paar Minuten die Augen geschlossen.
Wieder dringt Lachen vom Platz herauf, Stimmen, die mir sympathisch sind.
Ich schlage das Buch auf, in dem ich seit Wochen lese.
"Ihr, die ihr hier eintretet, lasset alle Hoffnung fahren", ich habe den ersten Satz schon hundert Mal gelesen, weil ich immer wieder mit der ersten Seite beginne.
"Ihr, die ihr hier eintretet, lasset alle Hoffnung fahren, ist in blutroten Lettern auf die Wand der Chemical Bank an der Ecke Eleventh und First geschmiert, so groß, daß man es auch vom Rücksitz des Taxis aus erkennen kann, das sich im Verkehr aus der Wall Street vorarbeitet."
Ein Telefon klingelt, und jetzt begreife ich sofort, daß es das Gerät auf dem Nachttisch ist. Katharina ruft mich von ihrem Zimmer aus an. Catherine, sagt sie. Und: Ob ich schon geschlafen habe.
Nein, nein.
Während sie spricht, lese ich weiter.
Es sei keine dumme Idee von mir gewesen.
Ich verstehe erst nicht, worauf sie anspielt, bis mir wieder die Situation vor dem Gartenhaus einfällt.
Es war ein schöner Abend.
Oh ja, sage ich und warte ab, bis sie wieder etwas sagt. Schweigen, ein leises Knacken in der Leitung.
Ob ich noch da sei. Sie habe meine Stimme hören wollen.
Ich sage noch immer nichts.
Ich hätte eine angenehme Stimme.
Ich betrachte mich im Spiegel, der dem Bett gegenüber an der Wand hängt, und stelle fest, daß ich mit dem Bild gut leben kann.
Sie sei sonst nicht so, meint sie. Sie lasse sich nicht so schnell auf Menschen ein, die sie nicht kenne.
Die oberen Armmuskeln sind stärker geworden, die Partie um die Schlüsselbeine hat mehr Struktur als vor ein paar Wochen, alles scheint wieder fester zu werden.
Sind Sie noch da?
Ja.
Ob das nicht Escher gewesen sei, mit dem ich im Park spazieren war.
Ja, sage ich, Piet.
Es geht wohl jedem so, sagt sie, er sieht ein Gesicht, das er vom Fernsehen kennt und fühlt sich gleich mit ihm vertraut.
Ich bin einfallsreich, denke ich. Ich bin kreativ, ich bin jung, ich bin skrupellos, hoch motiviert, hoch qualifiziert. Will sagen, die Gesellschaft kann es sich nicht leisten, mich zu verlieren. Ich bin ein echter Aktivposten.
Ich liege im Bett, sagt sie dann, und sehe mich im Spiegel an der Wand gegenüber an, ich staune, es irritiert mich, daß ich nicht alleine bin. Ihre Telefonstimme tastet sich immer wieder heran und läßt mich hochschrecken, zerteilt die Nacht in leuchtende Momente, hindert mich am Einschlafen.
Sie fragt sich, ob sie jetzt gerne bei mir wäre, und ich registriere, wie sehr mir ihre Stimme gefällt, der amüsierte, scheue Unterton.
Ich bin moralisch gefestigt, tolerant, also ich bin mit meinem Leben wirklich hochzufrieden, ich blicke optimistisch in die Zukunft.
Ob wir uns zum Frühstück sehen. Oder jetzt gleich, auf ein Glas aus der Minibar, aber vielleicht doch besser nicht.
Gut, sage ich, besser nicht.
Ob ich auch hellwach sei.
Darauf antworte ich nicht, weil sich mir die Müdigkeit bleiern auf die Zunge, die Schläfen, die Atmung legt.
Die Gedanken laufen einfach weiter.
Sie haben Erfolg, sagt sie. Jeder hat Erfolg, sage ich. Sie sehen gut aus, meint sie. Jeder sieht gut aus, sage ich. Sie haben eine tolle Figur, sagt sie. Jeder hat heutzutage eine tolle Figur, sage ich.
Erst nach einigen Minuten fragt sie wieder, ob ich eingeschlafen sei.
Ich bin so müde, daß mir der Hörer aus der Hand fällt.
Als ich ihn wieder am Ohr habe, müssen wir beide lachen, weil wir in einem Hotel, nur zwei Zimmer auseinander, in unseren Betten liegen und reden.
Veltliner, geht mir durch den Kopf, ein Glas Veltliner in meiner Hand, denke ich. Hand, denke ich. Boss. Hemd von Hugo Boss.
Ich höre ihren Atem durchs Telefon.
Eiernudeln, denke ich. Catherine Gruber, denke ich. Ich würde mit Catherine Gruber schlafen, denke ich. Porsche 928. Prada, denke ich. Ich hätte gerne Prada-Schlangenlederschuhe. Ich bin zweiunddreißig Jahre alt, denke ich. Nächstes Jahr werde ich dreiunddreißig sein. Ein Aspirin. Ich hätte gern ein Aspirin. Nein, zwei Aspirin. Hoteltelefon, denke ich.
Wieder herrscht Schweigen. Ich dämmere langsam weg. Catherine sagt, der Osten schlage ihr schwer auf die Stimmung. Es klingt wie eine Frage, aber ich kann nicht antworten, weil ich gähnen muß.
Sie sagt, wir fühlen uns so fremd, weil uns hier alles so wahnsinnig vertraut ist.
Mir rutscht schon wieder der Hörer aus der Hand, und ich schrecke davon hoch, als hätte ich etwas Verbotenes getan.
Ich komme jetzt zu Ihnen rüber, sagt sie, nur ganz kurz, und legt auf. Nichts geschieht. Eine Minute später klingelt das Telefon. Ich stehe auf, um den Hörer abzuheben, wobei ich kurz die Sterne sehe, wie Blitze. Ich halte mich am Stuhl fest und ziehe mir das weiße Hemd an, das darüber lag. Ich will schon zur Tür gehen, als ich begreife, daß sie durch das Telefon zu mir spricht.
Sehr helle Augen, sagt sie.
Was?, denke ich.
Ich habe helle Augen, sagt sie, ist es Ihnen aufgefallen?
Sie habe herüberkommen wollen und dann doch lieber nicht. Sie senkt die Stimme und streicht mit dem Atem durch die Leitung, als wollte sie sagen, daß ich jetzt bitte nichts sagen soll.
Ich bin still.
Bis morgen, wir sehen uns zum Frühstück.
Ich höre ihr zu, wie sie schweigt.
Ich sehe komisch aus, sagt sie dann, in meinem Seidenpyjama, altmodisch, anziehend, Sie müßten es sehen.
Plötzlich hat sie aufgelegt.
Ich gehe eine Weile vor dem Bett auf und ab, die Müdigkeit läßt die Farben tanzen, nur ganz träge.
Ich liege wieder auf dem Bett, jetzt greife ich zum Telefon.
Ich werde jetzt schlafen, sage ich und wünsche ihr eine gute Nacht.
Ich muß ihr versprechen, nichts Böses zu träumen.
Ich verspreche es ihr.
Dann, sagt sie schnell, bis morgen früh.
Ich sage, bis morgen, und lege auf.
Ich habe das Licht gelöscht. Ich denke an diese Frau, die mich seit fünf Minuten duzt, ihr Geruch hat sich ins Zimmer geschlichen und breitet sich langsam aus. Im Fernseher läuft eine Reportage über deutsche Swingerclubs, ein Journalistenpaar führt durch Etablissements im Osten des Landes, sie sehen aus wie eine billige Hure und ihr Zuhälter, sonnenstudiobraun, in den Clubs hängen Leute herum, die alt und fertig sind. Ich schließe die Augen.
Das Telefon klingelt.
Sie entschuldigt sich, aber sie wolle unbedingt wissen, ob ich Geschwister habe. Ich sei bestimmt ein Einzelkind, sie würde drauf wetten.
Plötzlich bin ich wieder wach. Ich packe dich an den Schultern, sage ich. Es fühlt sich gut an. Ja, sagt sie. Ich greife nach ihren Händen, die sie mir schnell wieder entzieht. Ja, sagt sie. Ich lege eine Hand auf ihren Bauch und lasse sie dort liegen, so lange, bis sie wieder Ja sagt. Ich streiche ihr eine Strähne Haar hinters Ohr. Ja, sagt sie. Sie hat viel zu große Ohren, ob mir das aufgefallen ist. Die Hand wird schwer.
Und dann, ihre Stimme ist jetzt weiter weg.
Was sie möchte.
Sie sagt, daß ich sie aufs Bett werfe, wo sie so zu liegen kommt, wie ich es will. Ich ziehe ihr den Pyjama aus, plötzlich reißt ein Knopf ab. Sie ist noch schöner, als ich erwartet habe. Ich biege ihre Arme nach hinten.
Sie haben schöne Augen, sagt sie.
Ich antworte nicht mehr, weil der Schlaf wieder nach mir greift.
Sie will, daß ich weiterspreche.
Ich bin so leise, daß sie es nicht versteht.
Sie haben schöne Hände, sagt sie.
Ich schweige.
Sie sagt nichts mehr, ich wage dennoch nicht, den Hörer wegzulegen. Auch so, denke ich, fängt etwas an.
Leg nicht auf, sagt Catherine.
Ich lege nicht auf.
Ab und zu stelle ich mir vor, wie sie in ihrem Zimmer Rauchkringel von sich stößt, die langsam zum Fenster ziehen.
Sie schweigt und füllt mit diesem Schweigen mein Zimmer.
Ich frage mich nicht mehr, was geschieht. Ich versuche sie vor mir zu sehen, doch jedesmal verschwindet das Bild gleich wieder.
Ich höre sie atmen.
Ich brumme etwas, als sie wieder sagt, daß ich nicht einschlafen soll.
Bevor ich weg bin, höre ich noch einmal das Knistern der Glut, so tief zieht sie an ihrer Zigarette.
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Autoren-Porträt von Lukas Hammerstein
Lukas Hammerstein, geboren 1958 in Freiburg, studierte Jura und Philosophie. Romanveröffentlichungen. Darüber hinaus zahlreiche Radiofeatures und Essays zu Ästhetik und Politik. Er ist Träger des "Staatlichen Förderungspreises für junge Schriftsteller, Bayern" und erhielt das Förderstipendium Baden-Württemberg.
Bibliographische Angaben
- Autor: Lukas Hammerstein
- 2006, 1, 239 Seiten, Maße: 13 x 21 cm, Gebunden, Deutsch
- Verlag: S. Fischer Verlag GmbH
- ISBN-10: 3100297032
- ISBN-13: 9783100297037
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