Vier minus drei
Wie ich nach dem Verlust meiner Familie zu einem neuen Leben fand
Ein Schicksal, das erschüttert. Ein Buch, das Mut macht
Es gibt wohl nichts Tragischeres, als von einem Moment auf den anderen seine Familie zu verlieren. Barbara Pachl-Eberhart hat es erlebt: Im März 2008 starben ihr Mann und...
Es gibt wohl nichts Tragischeres, als von einem Moment auf den anderen seine Familie zu verlieren. Barbara Pachl-Eberhart hat es erlebt: Im März 2008 starben ihr Mann und...
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Produktinformationen zu „Vier minus drei “
Ein Schicksal, das erschüttert. Ein Buch, das Mut macht
Es gibt wohl nichts Tragischeres, als von einem Moment auf den anderen seine Familie zu verlieren. Barbara Pachl-Eberhart hat es erlebt: Im März 2008 starben ihr Mann und ihre beiden kleinen Kinder durch einen Verkehrsunfall. In diesem Buch schildert die Autorin, wie sie sich ihrem Schicksal stellte. Wie sie mit Mut und bedingungsloser Offenheit den Weg in ein neues Leben fand. Und wie das starke innere Band zu ihren verstorbenen Lieben ihr dazu die Kraft gab. Ihr ergreifender Bericht zeugt von menschlicher Größe und einem unerschütterlichen Glauben an den Sinn des Lebens.
"Ein sehr intimes Buch, das lange nachklingt."
HAMBURGER MORGENPOST
Es gibt wohl nichts Tragischeres, als von einem Moment auf den anderen seine Familie zu verlieren. Barbara Pachl-Eberhart hat es erlebt: Im März 2008 starben ihr Mann und ihre beiden kleinen Kinder durch einen Verkehrsunfall. In diesem Buch schildert die Autorin, wie sie sich ihrem Schicksal stellte. Wie sie mit Mut und bedingungsloser Offenheit den Weg in ein neues Leben fand. Und wie das starke innere Band zu ihren verstorbenen Lieben ihr dazu die Kraft gab. Ihr ergreifender Bericht zeugt von menschlicher Größe und einem unerschütterlichen Glauben an den Sinn des Lebens.
"Ein sehr intimes Buch, das lange nachklingt."
HAMBURGER MORGENPOST
Lese-Probe zu „Vier minus drei “
Vier minus drei von Barbara Pachl-EberhartVier
Womit soll ich beginnen?
Mit dem Tag, an dem plötzlich alles anders war?
Mit dem Moment, an dem plötzlich, so schien es mir, nichts mehr war? Anfangen mit dem Unfall, der meinen Mann in eine andere Welt, meine Kinder schwer verletzt ins Krankenhaus und mich in ein neues Leben katapultierte.
Oder im Hier und Jetzt, in meiner neuen Zeit?
An meinem neuen Schreibtisch, der mir im letzten Jahr so sehr vertraut geworden ist, der jedoch die drei Menschen, deren Fotos ihn zieren, nie kennenlernte. Soll ich irgendwo dazwischen beginnen?
Zum Beispiel mit dem Moment, als mir der Gedanke kam, meine Geschichte aufzuschreiben - mit dem einzigen Ziel, sie aus meinem Kopf herauszubringen, um sie nicht mehr abhängig zu machen von meiner Fähigkeit, mich zu erinnern.
Meine Geschichte. Meine Vergangenheit. Es war einmal.
... mehr
Wo will ich beginnen?
Am liebsten dort, wo es nicht mehr von Bedeutung ist, womit man beginnt. Beim ausgebeulten, abgegriffenen, wohlig duftenden Koffer meiner Erinnerung. Seinen Inhalt hat das Leben in seinem schnellen Lauf kräftig durcheinandergewürfelt. Vorsichtig klappe ich den Deckel auf und bemerke, dass alles, was ich einmal als Vorher und Nachher, als Heute, Morgen und Irgendwann erlebte, nun vermischt nebeneinanderliegt.
Die Vergangenheit schwingt ihren Zauberstab und stellt die Zeit auf den Kopf.
Ein neugeborenes Kind. Zwei Geschwister beim Spiel. Eine Schneeballschlacht. Ein Liebespaar. Ein Ehepaar. Ein Streit. Ein Lachen. Ein Theatervorhang. Ein Urlaubstag am Meer. Ein dicker Bauch.
Wo soll die Betrachtung beginnen? Meine Laune nimmt mich an der Hand. Gemeinsam wollen wir eintauchen, in die vielfarbige Welt der Erinnerung. Als Pforte wählen wir das Foto eines lachenden Mannes in einer grünen Regentonne. Aufgenommen an einem Sommertag. In einer Zeit, von der ich glaubte, sie sei mein ganzes Leben.
Mein Mund hat gelernt, diese Zeit Vergangenheit zu nennen. Auch wenn mein Herz das vielleicht niemals begreifen wird.
Szenen aus unserem gemeinsamen Leben schweben durch meinen Geist wie Seifenblasen. Schillernd in tausend Farben, fröhlich vor meinen Augen tanzend. In ihrem flüchtigen Glanz zeigen sie mir mein eigenes, vergangenes Spiegelbild.
Sie entziehen sich der Berührung.
Lassen sich nicht fangen. Nicht greifen. Nicht halten. Nicht mehr.
Ich liebte sie schon als Kind, die Seifenblasen. Und ich liebe sie noch heute, als Clown, bei meiner Arbeit im Krankenhaus. Ich habe noch kein Kind getroffen, das nicht angezogen wurde von den schimmernden Bällen und ihrem leisen Flug durch die Luft. Kein Kind, das nicht nach kurzem Staunen die Ärmchen ausgestreckt hätte, sie zu fangen. Und dann: minutenlang dasselbe Spiel. Der Versuch, den Ball zu greifen, die Verwunderung über sein plötzliches Verschwinden. Ein neuer Versuch, wieder und wieder. Lachen. Staunen.
Sind die Seifenblasen vielleicht die ersten Boten, auserkoren, die Nachricht von der Vergänglichkeit der Dinge in das Leben eines Kindes zu tragen? Wo auf unserem Weg geht uns das kindliche Lachen verloren, darüber, dass alles irgendwann verschwindet und zerplatzt?
Zerplatzt.
Was eigentlich geschieht mit einer Seifenblase, die zerplatzt? Verschwindet sie? Löst sie sich in Luft auf?
Ja. In der Luft aufgelöst finden wir sie wieder. Winzige Seifentröpfchen schweben, beinahe unsichtbar, durch den Raum. Sinken langsam zu Boden, auf unsere Kleidung, in unser Haar. Eine Zeit lang tragen wir sie noch mit uns herum. Das ist das eine, was bleibt.
Doch noch etwas anderes hat Bestand: das Bild der Seifenblase in unserem Kopf. Die Freude, die sie uns brachte. Der Nachhall des sanften Tons in dem Moment, da sie ihre Form aufgab.
Es sind nur Seifenblasenbilder, die ich mit meinen Worten malen kann. Das Leben meiner Familie ist vor geraumer Zeit zerplatzt. Übrig bleiben Eindrücke. Fröhliche Geschichten von jenem unschätzbaren Wert, den nur das Unwiederbringliche uns zu offenbaren vermag.
Einzelne Bilder drängen hervor, halten sich für wichtiger als die anderen, leuchten intensiver. Haben es eilig, festgehalten zu werden, bevor sie zu Boden fallen und der Erinnerung entgleiten. Ich picke mir das erstbeste Bild heraus. Nicht zufällig ist es der Anfang der Geschichte zweier Liebender, die Mann und Frau werden sollten.
Unser Leben. Es währte acht Jahre.
»Ein Leben lang«, so hatten mein Mann und ich versprochen, würden wir einander lieben, ehren, achten. Ein Leben lang wollten wir einander treu sein und gemeinsam durch dick und dünn gehen. Wir wussten nicht, wie kurz unser gemeinsames Leben dauern sollte.
Mein Mann Heli. Ich ehre, achte, liebe ihn heute genauso wie am ersten Tag. Und er? Er geht mit mir durch dick und dünn, wo immer ich bin. Wie versprochen, ja, mehr als das: ein Leben lang und über den Tod hinaus.
Ein heißer Julitag. Ich stehe am Bahnhof, bin gerade heimgekommen von einem sehr bewegenden Theaterkurs. »Finde deinen inneren Clown.«
Oh, ja! Ich habe ihn tatsächlich gefunden.
Ich, die angehende Volksschullehrerin, die schon mit siebzehn in der Lateinstunde ihrer Sitznachbarin eine plötzliche Eingebung zugeflüstert hat:
»Ich will Clown werden!«
Lange wusste ich nicht, wie dieser spontan geäußerte Wunsch Realität werden könnte. Immer wieder habe ich auf Kursen in die Welt der roten Nase hineingeschnuppert. Jetzt, endlich, ist es so weit. Die Gewissheit ist da, hat mich irgendwo auf der Zugfahrt erfasst und sich in jeder Zelle meines Körpers mit wohligem Kribbeln ausgebreitet.
Ich bin Clown.
Ein Stück will ich machen, damit auftreten. Ich muss dazu nur noch einen Partner finden. Zu zweit geht alles leichter.
Ich packe meinen alten Flohmarktkoffer aufs Rad und mache mich, in Träumereien versunken, auf den Heimweg. Zehn Minuten später finde ich mich in einer Menschenmenge in der Grazer Innenstadt wieder. Stadtfest.
Wie bin ich hierhergekommen? Die Fußgängerzone liegt doch gar nicht auf meiner Strecke.
Ich steige ab, zwänge mich im Schneckentempo an all den Leuten vorbei, die mir im Weg stehen. Ich frage mich, warum ich nicht einfach umdrehe. Ich weiß es nicht.
Da sehe ich ihn. Auf einer kleinen Bühne steht ein Clown. Er macht sich gerade daran, über einen Besen zu balancieren. Die Zuschauer lachen, klatschen. Ich höre sie kaum. Sehe nichts anderes mehr als nur das Gesicht des feinen, zarten Mannes mit der roten Nase. Ich dränge mich in die erste Reihe, und unsere Blicke treffen sich. Ja, es ist kitschig, es ist romantisch. Es ist Liebe auf den ersten Blick.
Der Clown braucht eine Freiwillige, holt mich auf die Bühne. Später noch einmal. Und ein drittes Mal. Ich kenne mich aus im Straßentheater - drei Mal denselben Freiwilligen, so etwas tut man doch nicht!
Außer ...
Nach der Vorstellung laufe ich mit meinem Koffer, der gut auf seine Bühne passen würde, zu ihm, und die Worte sprudeln nur so aus mir heraus.
»Ich bin auch Clown! Ich will ein Stück machen! Ich habe da so eine Idee für eine Geschichte.«
Heli hat seine rote Nase abgenommen. Er grinst. »Ich ... ich brauche nur noch einen Partner.« »Ja, das merkt man! «
Oh Gott!
Ich versinke nicht im Erdboden. Weil sich der Erdboden ja nie auftut, wenn man es gerade dringend braucht. Stattdessen nehme ich stumm Helis Flyer entgegen.
»Da steht meine Nummer. Ruf mich ruhig einmal an.«
Ich schaffe gerade noch ein Nicken, ehe ich mich mit rotem Kopf verdrücke. Zu Hause angekommen lege ich vor mir selbst und meinen vier Wänden einen feierlichen Eid ab:
Ich werde nicht anrufen. Oder wenn, dann frühestens in drei Tagen.
Mein Herz lächelt milde. Es weiß bereits, dass der Mann auf dem farbenfrohen Prospekt nicht nur auf der Bühne mein Partner werden soll.
Wie oft haben wir später gelacht, bei der Erinnerung an unser erstes Zusammentreffen! Heli erzählte die Geschichte so:
»Das merkt man.«
Nach seiner Bemerkung hätte er sich am liebsten die Zunge abgebissen. Drei Tage lang war er daraufhin um sein Telefon herumgeschlichen. Hatte kaum gewagt, das Haus zu verlassen. So lange, bis ich endlich, endlich anrief.
Drei Monate später. Wir sitzen nach einem gemeinsamen Clownauftritt in Helis Wohnung und stärken uns mit Spaghetti al Pesto.
»À la Geheimrezept.«
Heli spricht diese Worte verschwörerisch aus und fixiert mich dabei mit seinen meerblauen Augen. Ich meine, in diesem Blau zu versinken, und höre mir selbst beim Denken zu.
Wow! Er kann sogar kochen!
Wir füttern einander mit Nudeln. Lachen, wenn eine hinunterfällt. Wutzl, Helis dicker Kater, kümmert sich um die Abfälle. Ich schnurre mit ihm um die Wette. Ausgelassen unterhalten wir uns darüber, ob wir eigentlich Kinder wollen. Oh ja, und ob wir das wollen!
»Wie viele?«
Die Preisfrage. Ich will es genau wissen.
Er liebt mich, er liebt mich nicht ... Wenn er drei Kinder von mir will, liebt er mich wirklich sehr.
»Fünf.«
Das kam wie aus der Pistole geschossen.
»Und du? «
Ich auch. Schon immer. Seit ich vier Jahre alt war und im Supermarkt eine Frau mit fünf Kindern angestarrt habe, bis mich meine Mutter zum Ausgang zog. Aber woher weiß Heli das nur?
»Ja, das ist gut. Fünf Kinder.«
Nun stellt Heli seine Preisfrage.
»Wann fangen wir denn an?«
Sofort, möchte ich schreien.
Aber ich kenne ihn ja noch kaum, diesen Mann. Ich muss mich schnell von seinen blauen Augen losreißen, sonst bekommen wir noch Fünf inge, und zwar in der nächsten Minute.
Der Himmel vor dem Fenster sieht auch nicht anders aus als Helis Augen. Ich kneife trotzdem. Sicher ist sicher.
»Ähm, jetzt noch nicht. Aber bald. Sagen wir ... in drei Jahren?«
»Fein, in drei Jahren. Schlag ein.«
Abgemacht.
Am nächsten Morgen bleiben wir länger im Bett und machen, was Frischverliebte eben so machen. Mit einem Mal fühle ich, wie in meinem Bauch etwas »explodiert« - ein warmes, helles Licht breitet sich dort aus, nach allen Richtungen hin, wie eine Supernova. Was ist passiert?
»Du bist schwanger. Du leuchtest wie ein Stern!«
Heli und seine Vorahnungen! Mein Mund klappt weit auf und bringt doch nur ein leises »Ja« hervor. Sekunden später tanzen wir jubelnd durchs Zimmer. Wir hüpfen, bis wir nicht mehr können, dann fallen wir wieder aufs Bett.
»Du musst dich jetzt schonen«, flüstert er lächelnd. Er, Heli, der Vater des Kindes in meinem Bauch.
...
Copyright © 2010 by Integral Verlag, München, in der Verlagsgruppe Random House GmbH
Copyright © 2012 dieser Ausgabe by Wilhelm Heyne Verlag, München, in der Verlagsgruppe Random House GmbH
Wo will ich beginnen?
Am liebsten dort, wo es nicht mehr von Bedeutung ist, womit man beginnt. Beim ausgebeulten, abgegriffenen, wohlig duftenden Koffer meiner Erinnerung. Seinen Inhalt hat das Leben in seinem schnellen Lauf kräftig durcheinandergewürfelt. Vorsichtig klappe ich den Deckel auf und bemerke, dass alles, was ich einmal als Vorher und Nachher, als Heute, Morgen und Irgendwann erlebte, nun vermischt nebeneinanderliegt.
Die Vergangenheit schwingt ihren Zauberstab und stellt die Zeit auf den Kopf.
Ein neugeborenes Kind. Zwei Geschwister beim Spiel. Eine Schneeballschlacht. Ein Liebespaar. Ein Ehepaar. Ein Streit. Ein Lachen. Ein Theatervorhang. Ein Urlaubstag am Meer. Ein dicker Bauch.
Wo soll die Betrachtung beginnen? Meine Laune nimmt mich an der Hand. Gemeinsam wollen wir eintauchen, in die vielfarbige Welt der Erinnerung. Als Pforte wählen wir das Foto eines lachenden Mannes in einer grünen Regentonne. Aufgenommen an einem Sommertag. In einer Zeit, von der ich glaubte, sie sei mein ganzes Leben.
Mein Mund hat gelernt, diese Zeit Vergangenheit zu nennen. Auch wenn mein Herz das vielleicht niemals begreifen wird.
Szenen aus unserem gemeinsamen Leben schweben durch meinen Geist wie Seifenblasen. Schillernd in tausend Farben, fröhlich vor meinen Augen tanzend. In ihrem flüchtigen Glanz zeigen sie mir mein eigenes, vergangenes Spiegelbild.
Sie entziehen sich der Berührung.
Lassen sich nicht fangen. Nicht greifen. Nicht halten. Nicht mehr.
Ich liebte sie schon als Kind, die Seifenblasen. Und ich liebe sie noch heute, als Clown, bei meiner Arbeit im Krankenhaus. Ich habe noch kein Kind getroffen, das nicht angezogen wurde von den schimmernden Bällen und ihrem leisen Flug durch die Luft. Kein Kind, das nicht nach kurzem Staunen die Ärmchen ausgestreckt hätte, sie zu fangen. Und dann: minutenlang dasselbe Spiel. Der Versuch, den Ball zu greifen, die Verwunderung über sein plötzliches Verschwinden. Ein neuer Versuch, wieder und wieder. Lachen. Staunen.
Sind die Seifenblasen vielleicht die ersten Boten, auserkoren, die Nachricht von der Vergänglichkeit der Dinge in das Leben eines Kindes zu tragen? Wo auf unserem Weg geht uns das kindliche Lachen verloren, darüber, dass alles irgendwann verschwindet und zerplatzt?
Zerplatzt.
Was eigentlich geschieht mit einer Seifenblase, die zerplatzt? Verschwindet sie? Löst sie sich in Luft auf?
Ja. In der Luft aufgelöst finden wir sie wieder. Winzige Seifentröpfchen schweben, beinahe unsichtbar, durch den Raum. Sinken langsam zu Boden, auf unsere Kleidung, in unser Haar. Eine Zeit lang tragen wir sie noch mit uns herum. Das ist das eine, was bleibt.
Doch noch etwas anderes hat Bestand: das Bild der Seifenblase in unserem Kopf. Die Freude, die sie uns brachte. Der Nachhall des sanften Tons in dem Moment, da sie ihre Form aufgab.
Es sind nur Seifenblasenbilder, die ich mit meinen Worten malen kann. Das Leben meiner Familie ist vor geraumer Zeit zerplatzt. Übrig bleiben Eindrücke. Fröhliche Geschichten von jenem unschätzbaren Wert, den nur das Unwiederbringliche uns zu offenbaren vermag.
Einzelne Bilder drängen hervor, halten sich für wichtiger als die anderen, leuchten intensiver. Haben es eilig, festgehalten zu werden, bevor sie zu Boden fallen und der Erinnerung entgleiten. Ich picke mir das erstbeste Bild heraus. Nicht zufällig ist es der Anfang der Geschichte zweier Liebender, die Mann und Frau werden sollten.
Unser Leben. Es währte acht Jahre.
»Ein Leben lang«, so hatten mein Mann und ich versprochen, würden wir einander lieben, ehren, achten. Ein Leben lang wollten wir einander treu sein und gemeinsam durch dick und dünn gehen. Wir wussten nicht, wie kurz unser gemeinsames Leben dauern sollte.
Mein Mann Heli. Ich ehre, achte, liebe ihn heute genauso wie am ersten Tag. Und er? Er geht mit mir durch dick und dünn, wo immer ich bin. Wie versprochen, ja, mehr als das: ein Leben lang und über den Tod hinaus.
Ein heißer Julitag. Ich stehe am Bahnhof, bin gerade heimgekommen von einem sehr bewegenden Theaterkurs. »Finde deinen inneren Clown.«
Oh, ja! Ich habe ihn tatsächlich gefunden.
Ich, die angehende Volksschullehrerin, die schon mit siebzehn in der Lateinstunde ihrer Sitznachbarin eine plötzliche Eingebung zugeflüstert hat:
»Ich will Clown werden!«
Lange wusste ich nicht, wie dieser spontan geäußerte Wunsch Realität werden könnte. Immer wieder habe ich auf Kursen in die Welt der roten Nase hineingeschnuppert. Jetzt, endlich, ist es so weit. Die Gewissheit ist da, hat mich irgendwo auf der Zugfahrt erfasst und sich in jeder Zelle meines Körpers mit wohligem Kribbeln ausgebreitet.
Ich bin Clown.
Ein Stück will ich machen, damit auftreten. Ich muss dazu nur noch einen Partner finden. Zu zweit geht alles leichter.
Ich packe meinen alten Flohmarktkoffer aufs Rad und mache mich, in Träumereien versunken, auf den Heimweg. Zehn Minuten später finde ich mich in einer Menschenmenge in der Grazer Innenstadt wieder. Stadtfest.
Wie bin ich hierhergekommen? Die Fußgängerzone liegt doch gar nicht auf meiner Strecke.
Ich steige ab, zwänge mich im Schneckentempo an all den Leuten vorbei, die mir im Weg stehen. Ich frage mich, warum ich nicht einfach umdrehe. Ich weiß es nicht.
Da sehe ich ihn. Auf einer kleinen Bühne steht ein Clown. Er macht sich gerade daran, über einen Besen zu balancieren. Die Zuschauer lachen, klatschen. Ich höre sie kaum. Sehe nichts anderes mehr als nur das Gesicht des feinen, zarten Mannes mit der roten Nase. Ich dränge mich in die erste Reihe, und unsere Blicke treffen sich. Ja, es ist kitschig, es ist romantisch. Es ist Liebe auf den ersten Blick.
Der Clown braucht eine Freiwillige, holt mich auf die Bühne. Später noch einmal. Und ein drittes Mal. Ich kenne mich aus im Straßentheater - drei Mal denselben Freiwilligen, so etwas tut man doch nicht!
Außer ...
Nach der Vorstellung laufe ich mit meinem Koffer, der gut auf seine Bühne passen würde, zu ihm, und die Worte sprudeln nur so aus mir heraus.
»Ich bin auch Clown! Ich will ein Stück machen! Ich habe da so eine Idee für eine Geschichte.«
Heli hat seine rote Nase abgenommen. Er grinst. »Ich ... ich brauche nur noch einen Partner.« »Ja, das merkt man! «
Oh Gott!
Ich versinke nicht im Erdboden. Weil sich der Erdboden ja nie auftut, wenn man es gerade dringend braucht. Stattdessen nehme ich stumm Helis Flyer entgegen.
»Da steht meine Nummer. Ruf mich ruhig einmal an.«
Ich schaffe gerade noch ein Nicken, ehe ich mich mit rotem Kopf verdrücke. Zu Hause angekommen lege ich vor mir selbst und meinen vier Wänden einen feierlichen Eid ab:
Ich werde nicht anrufen. Oder wenn, dann frühestens in drei Tagen.
Mein Herz lächelt milde. Es weiß bereits, dass der Mann auf dem farbenfrohen Prospekt nicht nur auf der Bühne mein Partner werden soll.
Wie oft haben wir später gelacht, bei der Erinnerung an unser erstes Zusammentreffen! Heli erzählte die Geschichte so:
»Das merkt man.«
Nach seiner Bemerkung hätte er sich am liebsten die Zunge abgebissen. Drei Tage lang war er daraufhin um sein Telefon herumgeschlichen. Hatte kaum gewagt, das Haus zu verlassen. So lange, bis ich endlich, endlich anrief.
Drei Monate später. Wir sitzen nach einem gemeinsamen Clownauftritt in Helis Wohnung und stärken uns mit Spaghetti al Pesto.
»À la Geheimrezept.«
Heli spricht diese Worte verschwörerisch aus und fixiert mich dabei mit seinen meerblauen Augen. Ich meine, in diesem Blau zu versinken, und höre mir selbst beim Denken zu.
Wow! Er kann sogar kochen!
Wir füttern einander mit Nudeln. Lachen, wenn eine hinunterfällt. Wutzl, Helis dicker Kater, kümmert sich um die Abfälle. Ich schnurre mit ihm um die Wette. Ausgelassen unterhalten wir uns darüber, ob wir eigentlich Kinder wollen. Oh ja, und ob wir das wollen!
»Wie viele?«
Die Preisfrage. Ich will es genau wissen.
Er liebt mich, er liebt mich nicht ... Wenn er drei Kinder von mir will, liebt er mich wirklich sehr.
»Fünf.«
Das kam wie aus der Pistole geschossen.
»Und du? «
Ich auch. Schon immer. Seit ich vier Jahre alt war und im Supermarkt eine Frau mit fünf Kindern angestarrt habe, bis mich meine Mutter zum Ausgang zog. Aber woher weiß Heli das nur?
»Ja, das ist gut. Fünf Kinder.«
Nun stellt Heli seine Preisfrage.
»Wann fangen wir denn an?«
Sofort, möchte ich schreien.
Aber ich kenne ihn ja noch kaum, diesen Mann. Ich muss mich schnell von seinen blauen Augen losreißen, sonst bekommen wir noch Fünf inge, und zwar in der nächsten Minute.
Der Himmel vor dem Fenster sieht auch nicht anders aus als Helis Augen. Ich kneife trotzdem. Sicher ist sicher.
»Ähm, jetzt noch nicht. Aber bald. Sagen wir ... in drei Jahren?«
»Fein, in drei Jahren. Schlag ein.«
Abgemacht.
Am nächsten Morgen bleiben wir länger im Bett und machen, was Frischverliebte eben so machen. Mit einem Mal fühle ich, wie in meinem Bauch etwas »explodiert« - ein warmes, helles Licht breitet sich dort aus, nach allen Richtungen hin, wie eine Supernova. Was ist passiert?
»Du bist schwanger. Du leuchtest wie ein Stern!«
Heli und seine Vorahnungen! Mein Mund klappt weit auf und bringt doch nur ein leises »Ja« hervor. Sekunden später tanzen wir jubelnd durchs Zimmer. Wir hüpfen, bis wir nicht mehr können, dann fallen wir wieder aufs Bett.
»Du musst dich jetzt schonen«, flüstert er lächelnd. Er, Heli, der Vater des Kindes in meinem Bauch.
...
Copyright © 2010 by Integral Verlag, München, in der Verlagsgruppe Random House GmbH
Copyright © 2012 dieser Ausgabe by Wilhelm Heyne Verlag, München, in der Verlagsgruppe Random House GmbH
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Autoren-Porträt von Barbara Pachl-Eberhart
Die gebürtige Wienerin studierte Querflöte an der Hochschule für Musik und darstellende Kunst in Wien, ehe sie neun Jahre lang als Rote-Nasen-Clowndoctor Kinder durch den Krankenhausalltag begleitete. Heute leitet sie Seminare und Fortbildungen im Bereich der Dialogkreisarbeit, der Trauer- und Sterbebegleitung und der kreativ-konstruktiven Lebensgestaltung.
Bibliographische Angaben
- Autor: Barbara Pachl-Eberhart
- 2012, Erstmals im TB, 351 Seiten, 14 Schwarz-Weiß-Abbildungen, 14 Abbildungen, Maße: 11,8 x 18,7 cm, Taschenbuch, Deutsch
- Verlag: Heyne
- ISBN-10: 3453702034
- ISBN-13: 9783453702035
- Erscheinungsdatum: 04.04.2012
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