Wäre ich du, würde ich mich lieben
Warum erfindet der Mensch elektrische Zahnbürsten, aber keinen Mülleimer, der selbständig in den Hof runtergeht und sich ausleert? Horst Evers hat zwar nicht immer eine Lösung parat, kann aber so lustig und liebevoll davon erzählen,...
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Produktdetails
Produktinformationen zu „Wäre ich du, würde ich mich lieben “
Warum erfindet der Mensch elektrische Zahnbürsten, aber keinen Mülleimer, der selbständig in den Hof runtergeht und sich ausleert? Horst Evers hat zwar nicht immer eine Lösung parat, kann aber so lustig und liebevoll davon erzählen, dass man schon wieder froh ist, dass es die Probleme gibt.
Wär doch gelacht! Horst Evers grandios komische Geschichten über Unbill und Tücken des Alltags.
Wär doch gelacht! Horst Evers grandios komische Geschichten über Unbill und Tücken des Alltags.
Klappentext zu „Wäre ich du, würde ich mich lieben “
Warum erfindet der Mensch elektrische Zahnbürsten, aber keinen Mülleimer, der selbständig in den Hof runtergeht und sich ausleert? Gibt es eine Altersvorsorge, die auch schon in jungen Jahren glücklich und zufrieden macht? Wie hält man vor einem Kater dessen Kastration geheim? Wie die Tücken des Hier und Jetzt auch aussehen mögen: Horst Evers hat zwar nicht immer eine Lösung parat, kann aber so lustig und liebevoll davon erzählen, dass man schon wieder froh ist, dass es die Probleme gibt. Darüber hinaus absolviert Evers eine Ausbildung zum Wikinger, entdeckt mit seiner Tochter eklige Wörter («Currywurstsmoothie») und bringt die wahren Gründe ans Licht, warum der Berliner Flughafen einfach nicht fertig wird. Seine Exkursionen treiben ihn in einen Riss des Raum-Zeit-Kontinuums am Hauptbahnhof Witten, führen ihn zu existenziellen Fragen in Cottbus («Was nützt dem Wolf die Freiheit, wenn er das Schaf nicht fressen darf?») und natürlich auch in die unendlichen Weiten der zwischenmenschlichen Beziehungen: «Wäre ich du, würde ich mich lieben.» In seinem neuen Geschichtenband ist Horst Evers weit davon entfernt, auch nur einen einzigen Ratschlag zu erteilen, hilft aber trotzdem!
Lese-Probe zu „Wäre ich du, würde ich mich lieben “
Wäre ich du, würde ich mich lieben von Horst Everu JEDEM ANFANG WOHNT EIN ENDE INNE
Wäre ich du, würde ich mich lieben
«Kennen Sie dieses Gefühl, wenn Sie die ganze Zeit total müde sind und trotzdem einfach nicht einschlafen können? So erging es mir im Prinzip während der Pubertät mit meiner Sexualität.»
Die Ärztin schaut mich lange und fragend an.
«Warum genau haben Sie mir das jetzt erzählt?»
«Na ja, ich bin nun Mitte vierzig. Die zweite Lebenshälfte beginnt. Es spricht einiges dafür, dass wir in den nächsten Jahren viel Zeit miteinander verbringen werden. Wohl auch manche Gespräche führen. Zudem sind Sie die erste Ärztin, die deutlich jünger ist als ich. Daher wahrscheinlich die letzte Ärztin meines Lebens. Sie werden mich begleiten, wenn das Alter Besitz von mir ergreift. Mich durch lustige Krankheiten und entwürdigende Metamorphosen schiebt. Wenn ich mich an sämtliche Bremer Torschützen des Meisterjahres 1988 erinnere, aber nicht mehr an den Beginn des Satzes, den ich gerade spreche. Wenn die Kraft nachlässt und das Gewebe erschlafft, Schließmuskeln schlampig zu arbeiten beginnen und für große persönliche Enttäuschungen sorgen ...»
«Halt! Halt!», unterbricht sie mich. «Wenn Sie jetzt schon alles verraten, nehmen Sie ja die ganze Spannung raus. Lassen Sie mir und sich selbst doch ein bisschen Vorfreude.»
... mehr
«Also gut, natürlich. Ich dachte nur, es wäre vielleicht ganz klug, Ihnen frühzeitig ein wenig von mir zu erzählen. Von meiner Kindheit, meinem Leben. Damit ich Ihnen etwas ans Herz wachse. Damit Sie mich, wenn bei mir Selbstbild und Körperwirklichkeit immer weiter auseinanderklaffen, trotzdem bereitwillig, freundlich und anteilnehmend dorthin begleiten, von wo noch nie ein Mensch zurückgekehrt ist: ins Alter.»
Die Miene der Medizinerin verzieht sich keine Sekunde.
«Haben Sie sich das selbst ausgedacht, oder ist das ein Zitat? »
«Ich habe ehrlich gesagt keine Ahnung. Ich zitiere häufig aus dem Kopf, und wenn ich dann google, wer das ursprünglich gesagt hat, stelle ich fest: niemand. Niemand hat das bislang gesagt. Wissen Sie, dass es eine Studie gibt, nach der mehr als die Hälfte aller berühmten Zitate gar nicht von den Leuten erdacht wurden, denen sie zugeschrieben werden? Manchmal haben die berühmten Leute diese Sätze sogar nicht einmal gesagt. Also häufiger, als man meint.»
Sie nickt. «Das kenne ich. Sie würden staunen, wie viele Menschen an Krankheiten leiden, die sie eigentlich gar nicht haben. Manchmal sterben sie sogar daran. Sie sollten nicht so viel über das Alter nachdenken. Aber wenn Sie einen Rat wollen, kann ich Ihnen nur dringend empfehlen, Ihren Körper und alle Veränderungen ...»
«Ich weiß schon, anzunehmen und zu respektieren. Meinen Körper zu mögen, auch wenn es mir schwerfällt. Dieses ganze Zeug.»
«Nee, mit Mögen kommen Sie da nicht weit. Reicht nicht. Um glimpflich durchs Alter zu kommen, müssen Sie Ihren Körper bedingungslos lieben. Ihm alles vergeben, alles verzeihen, auch wenn er sich noch so enttäuschend verhält. Nur wenn Sie blind vor Liebe sind, wird Ihnen das alles nichts oder zumindest wenig ausmachen.»
Vor meinem inneren Auge erscheint ein Bild aus der Vergangenheit. Ich kannte mal eine Katja. Mit Anfang zwanzig war ich einige Wochen mit ihr zusammen. Sie war sprunghaft, extrem temperamentvoll und wirklich anstrengend. «Wäre ich du, würde ich mich lieben», hatte sie irgendwann gesagt, «weil sonst hält man das mit mir nicht lange aus.» Das stimmte. Obwohl ich es trotzdem nicht lange ertragen habe, hat mir ihr Rat später oft geholfen. Wenn etwas wirklich nicht mehr auszuhalten ist, hilft nur noch Liebe. Nun soll das also auch noch fürs Altwerden gelten.
«Ich kenne übrigens teilweise Ihre Bücher», beendet meine neue Ärztin den Vorsorgetermin. «Falls ich darin demnächst vorkommen sollte, würde ich mich sehr freuen, wenn Sie auf Beschreibungen meiner starken Kurzsichtigkeit verzichten, auch auf Witze darüber und erst recht auf irgendwelche Formulierungen wie ‹ungläubiges Staunen durch dicke Brillengläser› oder so.»
«Selbstverständlich, vielleicht fängt das nächste Buch sogar mit unserem ersten gemeinsamen Infekt an. Sie werden gut aussehen», verspreche ich ihr und bekomme zur Belohnung einen warmen, liebevollen Blick aus ihren funkelnden grünen Augen.
Grippe ist noch viel schlimmer
Als ich am Morgen ins Badezimmer komme, stelle ich fest, dass der Spiegel kaputt ist. Das, was er mir als mein Gesicht andrehen will, ist nun wirklich eine bodenlose Frechheit. Erkenne mich quasi nur am Pyjama und am Badezimmerregal im Hintergrund.
Der lustlose Spiegel wirkt, als hätte ich ihn überrascht, als wäre er mit der Darstellung meines Gesichts nicht einmal halbfertig geworden. Es sieht maximal so aus, als hätte jemand mit einem ganz feinen, dünnen Bleistift eine Skizze vom Kopf gemacht, die Skizze durch Butterbrotpapier durchgepaust und dann einen Becher Kaffee darauf verschüttet. Obwohl, wie Kaffee sieht es nicht aus, eher wie verdünnte Himbeermarmelade. Ja, jetzt erkennt man es gut. Als hätte jemand auf das Butterbrotpapier mit dem durchgepausten Kopf noch mit Kaffee und Graupensuppe verdünnte Himbeermarmelade geschüttet.
Frage: «Spieglein, Spieglein an der Wand - wer ist der Schönste im ganzen Land?»
Der Spiegel versteht die Frage nicht.
Die Freundin meint, ich sähe schlimm aus. Quasi wie ein farbloser Schnapsmatrizenabzug meiner selbst.
Antworte: «Ich weiß, habe schon mit dem Spiegel gesprochen. »
Sie meint, der Spiegel sei kaputt. Die Tochter habe für ein Naturwissenschaftsprojekt im Bad einen Pappmaché-Planeten mit einem Gemisch aus Himbeermarmelade, Kaffee und Graupensuppe besprüht und dabei versehentlich den ganzen Spiegel gleich mit.
Murmle: «Ach.»
Die Freundin ärgert mich fröhlich. «Hätte man's gewusst, hätte sie sich die ganze Arbeit sparen und stattdessen einfach deinen Kopf zur Projektstunde mitnehmen können. Der würde zurzeit auch ohne weiteres als Eins-a-Marsoberfläche durchgehen.»
Stöhne: «Ich hab Grippe.»
Sie meint: «Das ist höchstens ein grippaler Infekt. Richtige Grippe ist noch viel, viel schlimmer.»
«Schlimmer als das, was ich habe, ist tot. Mindestens. Fühle mich wie lebendig ausgestopft. Als hätte mich der schlechteste Tierpräparator der Welt mit achtzig Kilo Schleim gefüllt. Nachdem er mich vorher esoterisch betäubt hat. Also diese Betäubung, wo einem nur so eine große Metallklangschale über den Kopf gestülpt wird, und dann schlägt eine sehr kräftige Person mit einem riesigen Klöppel mal ordentlich dagegen. Diese Art Betäubung. Hallt rund eine Woche nach.»
Rufe bei der Ärztin an. Die Sprechstundenhilfe fragt, was ich habe.
Sage: «Uaahhhwwwlallwahlallaschwuaschgmpfflwhaa ... äää ääähhhh.»
Sie meint: «Hm, das haben ja im Moment praktisch alle.» Röchle: «Genau. So Grippe eben.»
«Neenee, das ist nur ein grippaler Infekt. Richtige Grippe ist noch viel, viel schlimmer.»
Na toll. Teile ihr mit, keinen Wert auf ihre Vordiagnosen zu legen. Das wollen wir doch mal lieber der Ärztin überlassen, und überhaupt sei so was am Telefon ja wohl nicht seriös zu beurteilen.
Die Sprechstundenhilfe entschuldigt sich für ihre Vorwitzigkeit. Es gebe aber einen Schnelltest, mit dem man mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit feststellen könne, ob es Grippe oder grippaler Infekt sei. Ich solle mich doch einmal nach vorne beugen, meinen Kopf durch die gespreizten Beine stecken und versuchen, mir selbst in die linke Hacke zu beißen.
Lege den Hörer zur Seite. Bewege den Kopf langsam nach vorn, Richtung Beine. Verliere das Gleichgewicht, stürze ins Altpapier und rocke dann mit meinem Hintern scheppernd das Altglas. Höre aus dem Hörer ein lautes und fröhliches Lachen. Ziehe mich zum Telefon, stöhne: «Ich hab's leider nicht geschafft. Heißt das, ich habe doch die richtige Grippe?»
Sie lacht immer noch. «Nein, nein. Für den Grippe-Schnelltest bräuchten wir selbstverständlich eine Speichelprobe. Das war nur der Schnelltest, ob Sie eine miese Körperbeherrschung haben und ein Idiot sind. Glückwunsch, beides trifft zu. Ist aber nur vorläufig, eine genaue, seriöse, endgültige Diagnose kann natürlich nur die Ärztin stellen.» Dann gibt sie mir einen ganz schnellen Termin. Ich glaube, sie mag mich.
Mir wird schwindlig, als hätte erneut jemand mit einem riesigen Klöppel auf diesen großen Klangeimer auf meinem Kopf geschlagen. Sinke zurück ins Altglas. Lächle. Rufe mit letzter Kraft zur Freundin: «Mein Plan ist es, innerhalb der nächsten zwei Stunden wieder aufzustehen und zur Ärztin zu gehen. Würdest du, wenn ich die Wohnung verlasse, bitte kontrollieren, ob ich Kleidung trage?»
Sie sagt irgendwas, was ich wegen des Dröhnens der Klangschale nicht verstehe.
Rufe zurück: «Ach ja, und falls ich innerhalb von vierundzwanzig Stunden nicht zurück bin, habe ich die Sprechstundenhilfe geheiratet und bin mit ihr durchgebrannt.»
Die Freundin meint: «Alles klar, vergiss aber deinen Reisepass nicht!»
Dann schlägt der Klöppel wieder zu.
Unbestimmte Zeit später sitze ich mit meinem grippalen Infekt im Wartezimmer. Um mich herum nur Menschen, die sich offensichtlich mindestens genauso elend fühlen wie ich. Niemand sagt etwas, und doch hört man im Raum so eine Art Summen. Als würden sich all unsere Viren angeregt miteinander unterhalten:
- Und wie geht's dir so?
- Ach, ich kann nicht klagen. Seit ich beim Evers untergekommen bin, ist alles geschmeidig. Ich kleistere ihn mit Schleim zu, verpasse ihm Fieberphantasien und lasse ihn nachts nicht schlafen. Das Übliche eben. Routinejob.
- Ja, muss ja, ne. Ich mach hier auch nichts groß anderes.
- Genau, das übliche Tagesgeschäft. Wenn du willst, komm doch mal vorbei. Für so einen kernigen Nebenvirus ist hier beim Evers immer Open House.
- Gern, klingt nett.
- Ja, kannst ruhig eine Weile bleiben. Hier lässt sich's leben.
- Neenee, ich bleib ja nie lange. Wenn du einen Virus mit richtig Sitzfleisch suchst, dahinten ist ein Influenza A / H3N2. Der Buddha unter den Grippeviren. Wenn der erst mal irgendwo sitzt, dann sitzt er. Den kriegste so schnell nicht wieder weg. Es gibt Kollegen, die behaupten, so ganz geht der überhaupt nie wieder ...
Fühle mich unwohl. Versuche Sudokus zu lösen. Die Zahlen verschwimmen mir vor den Augen. Meine Nachbarin meint: «Ich habe die Zeitschrift zu Hause. Das Sudoku habe ich schon gemacht. Die Lösungszahlen sind null, eins, zwei, drei, vier, fünf, sechs, sieben, acht und neun.» Bedanke mich und setze mich um. Ihren grippalen Infekt möchte ich mir nun wirklich nicht einfangen.
Copyright © 2013 by Rowohlt Verlag GmbH, Reinbek bei Hamburg.
«Also gut, natürlich. Ich dachte nur, es wäre vielleicht ganz klug, Ihnen frühzeitig ein wenig von mir zu erzählen. Von meiner Kindheit, meinem Leben. Damit ich Ihnen etwas ans Herz wachse. Damit Sie mich, wenn bei mir Selbstbild und Körperwirklichkeit immer weiter auseinanderklaffen, trotzdem bereitwillig, freundlich und anteilnehmend dorthin begleiten, von wo noch nie ein Mensch zurückgekehrt ist: ins Alter.»
Die Miene der Medizinerin verzieht sich keine Sekunde.
«Haben Sie sich das selbst ausgedacht, oder ist das ein Zitat? »
«Ich habe ehrlich gesagt keine Ahnung. Ich zitiere häufig aus dem Kopf, und wenn ich dann google, wer das ursprünglich gesagt hat, stelle ich fest: niemand. Niemand hat das bislang gesagt. Wissen Sie, dass es eine Studie gibt, nach der mehr als die Hälfte aller berühmten Zitate gar nicht von den Leuten erdacht wurden, denen sie zugeschrieben werden? Manchmal haben die berühmten Leute diese Sätze sogar nicht einmal gesagt. Also häufiger, als man meint.»
Sie nickt. «Das kenne ich. Sie würden staunen, wie viele Menschen an Krankheiten leiden, die sie eigentlich gar nicht haben. Manchmal sterben sie sogar daran. Sie sollten nicht so viel über das Alter nachdenken. Aber wenn Sie einen Rat wollen, kann ich Ihnen nur dringend empfehlen, Ihren Körper und alle Veränderungen ...»
«Ich weiß schon, anzunehmen und zu respektieren. Meinen Körper zu mögen, auch wenn es mir schwerfällt. Dieses ganze Zeug.»
«Nee, mit Mögen kommen Sie da nicht weit. Reicht nicht. Um glimpflich durchs Alter zu kommen, müssen Sie Ihren Körper bedingungslos lieben. Ihm alles vergeben, alles verzeihen, auch wenn er sich noch so enttäuschend verhält. Nur wenn Sie blind vor Liebe sind, wird Ihnen das alles nichts oder zumindest wenig ausmachen.»
Vor meinem inneren Auge erscheint ein Bild aus der Vergangenheit. Ich kannte mal eine Katja. Mit Anfang zwanzig war ich einige Wochen mit ihr zusammen. Sie war sprunghaft, extrem temperamentvoll und wirklich anstrengend. «Wäre ich du, würde ich mich lieben», hatte sie irgendwann gesagt, «weil sonst hält man das mit mir nicht lange aus.» Das stimmte. Obwohl ich es trotzdem nicht lange ertragen habe, hat mir ihr Rat später oft geholfen. Wenn etwas wirklich nicht mehr auszuhalten ist, hilft nur noch Liebe. Nun soll das also auch noch fürs Altwerden gelten.
«Ich kenne übrigens teilweise Ihre Bücher», beendet meine neue Ärztin den Vorsorgetermin. «Falls ich darin demnächst vorkommen sollte, würde ich mich sehr freuen, wenn Sie auf Beschreibungen meiner starken Kurzsichtigkeit verzichten, auch auf Witze darüber und erst recht auf irgendwelche Formulierungen wie ‹ungläubiges Staunen durch dicke Brillengläser› oder so.»
«Selbstverständlich, vielleicht fängt das nächste Buch sogar mit unserem ersten gemeinsamen Infekt an. Sie werden gut aussehen», verspreche ich ihr und bekomme zur Belohnung einen warmen, liebevollen Blick aus ihren funkelnden grünen Augen.
Grippe ist noch viel schlimmer
Als ich am Morgen ins Badezimmer komme, stelle ich fest, dass der Spiegel kaputt ist. Das, was er mir als mein Gesicht andrehen will, ist nun wirklich eine bodenlose Frechheit. Erkenne mich quasi nur am Pyjama und am Badezimmerregal im Hintergrund.
Der lustlose Spiegel wirkt, als hätte ich ihn überrascht, als wäre er mit der Darstellung meines Gesichts nicht einmal halbfertig geworden. Es sieht maximal so aus, als hätte jemand mit einem ganz feinen, dünnen Bleistift eine Skizze vom Kopf gemacht, die Skizze durch Butterbrotpapier durchgepaust und dann einen Becher Kaffee darauf verschüttet. Obwohl, wie Kaffee sieht es nicht aus, eher wie verdünnte Himbeermarmelade. Ja, jetzt erkennt man es gut. Als hätte jemand auf das Butterbrotpapier mit dem durchgepausten Kopf noch mit Kaffee und Graupensuppe verdünnte Himbeermarmelade geschüttet.
Frage: «Spieglein, Spieglein an der Wand - wer ist der Schönste im ganzen Land?»
Der Spiegel versteht die Frage nicht.
Die Freundin meint, ich sähe schlimm aus. Quasi wie ein farbloser Schnapsmatrizenabzug meiner selbst.
Antworte: «Ich weiß, habe schon mit dem Spiegel gesprochen. »
Sie meint, der Spiegel sei kaputt. Die Tochter habe für ein Naturwissenschaftsprojekt im Bad einen Pappmaché-Planeten mit einem Gemisch aus Himbeermarmelade, Kaffee und Graupensuppe besprüht und dabei versehentlich den ganzen Spiegel gleich mit.
Murmle: «Ach.»
Die Freundin ärgert mich fröhlich. «Hätte man's gewusst, hätte sie sich die ganze Arbeit sparen und stattdessen einfach deinen Kopf zur Projektstunde mitnehmen können. Der würde zurzeit auch ohne weiteres als Eins-a-Marsoberfläche durchgehen.»
Stöhne: «Ich hab Grippe.»
Sie meint: «Das ist höchstens ein grippaler Infekt. Richtige Grippe ist noch viel, viel schlimmer.»
«Schlimmer als das, was ich habe, ist tot. Mindestens. Fühle mich wie lebendig ausgestopft. Als hätte mich der schlechteste Tierpräparator der Welt mit achtzig Kilo Schleim gefüllt. Nachdem er mich vorher esoterisch betäubt hat. Also diese Betäubung, wo einem nur so eine große Metallklangschale über den Kopf gestülpt wird, und dann schlägt eine sehr kräftige Person mit einem riesigen Klöppel mal ordentlich dagegen. Diese Art Betäubung. Hallt rund eine Woche nach.»
Rufe bei der Ärztin an. Die Sprechstundenhilfe fragt, was ich habe.
Sage: «Uaahhhwwwlallwahlallaschwuaschgmpfflwhaa ... äää ääähhhh.»
Sie meint: «Hm, das haben ja im Moment praktisch alle.» Röchle: «Genau. So Grippe eben.»
«Neenee, das ist nur ein grippaler Infekt. Richtige Grippe ist noch viel, viel schlimmer.»
Na toll. Teile ihr mit, keinen Wert auf ihre Vordiagnosen zu legen. Das wollen wir doch mal lieber der Ärztin überlassen, und überhaupt sei so was am Telefon ja wohl nicht seriös zu beurteilen.
Die Sprechstundenhilfe entschuldigt sich für ihre Vorwitzigkeit. Es gebe aber einen Schnelltest, mit dem man mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit feststellen könne, ob es Grippe oder grippaler Infekt sei. Ich solle mich doch einmal nach vorne beugen, meinen Kopf durch die gespreizten Beine stecken und versuchen, mir selbst in die linke Hacke zu beißen.
Lege den Hörer zur Seite. Bewege den Kopf langsam nach vorn, Richtung Beine. Verliere das Gleichgewicht, stürze ins Altpapier und rocke dann mit meinem Hintern scheppernd das Altglas. Höre aus dem Hörer ein lautes und fröhliches Lachen. Ziehe mich zum Telefon, stöhne: «Ich hab's leider nicht geschafft. Heißt das, ich habe doch die richtige Grippe?»
Sie lacht immer noch. «Nein, nein. Für den Grippe-Schnelltest bräuchten wir selbstverständlich eine Speichelprobe. Das war nur der Schnelltest, ob Sie eine miese Körperbeherrschung haben und ein Idiot sind. Glückwunsch, beides trifft zu. Ist aber nur vorläufig, eine genaue, seriöse, endgültige Diagnose kann natürlich nur die Ärztin stellen.» Dann gibt sie mir einen ganz schnellen Termin. Ich glaube, sie mag mich.
Mir wird schwindlig, als hätte erneut jemand mit einem riesigen Klöppel auf diesen großen Klangeimer auf meinem Kopf geschlagen. Sinke zurück ins Altglas. Lächle. Rufe mit letzter Kraft zur Freundin: «Mein Plan ist es, innerhalb der nächsten zwei Stunden wieder aufzustehen und zur Ärztin zu gehen. Würdest du, wenn ich die Wohnung verlasse, bitte kontrollieren, ob ich Kleidung trage?»
Sie sagt irgendwas, was ich wegen des Dröhnens der Klangschale nicht verstehe.
Rufe zurück: «Ach ja, und falls ich innerhalb von vierundzwanzig Stunden nicht zurück bin, habe ich die Sprechstundenhilfe geheiratet und bin mit ihr durchgebrannt.»
Die Freundin meint: «Alles klar, vergiss aber deinen Reisepass nicht!»
Dann schlägt der Klöppel wieder zu.
Unbestimmte Zeit später sitze ich mit meinem grippalen Infekt im Wartezimmer. Um mich herum nur Menschen, die sich offensichtlich mindestens genauso elend fühlen wie ich. Niemand sagt etwas, und doch hört man im Raum so eine Art Summen. Als würden sich all unsere Viren angeregt miteinander unterhalten:
- Und wie geht's dir so?
- Ach, ich kann nicht klagen. Seit ich beim Evers untergekommen bin, ist alles geschmeidig. Ich kleistere ihn mit Schleim zu, verpasse ihm Fieberphantasien und lasse ihn nachts nicht schlafen. Das Übliche eben. Routinejob.
- Ja, muss ja, ne. Ich mach hier auch nichts groß anderes.
- Genau, das übliche Tagesgeschäft. Wenn du willst, komm doch mal vorbei. Für so einen kernigen Nebenvirus ist hier beim Evers immer Open House.
- Gern, klingt nett.
- Ja, kannst ruhig eine Weile bleiben. Hier lässt sich's leben.
- Neenee, ich bleib ja nie lange. Wenn du einen Virus mit richtig Sitzfleisch suchst, dahinten ist ein Influenza A / H3N2. Der Buddha unter den Grippeviren. Wenn der erst mal irgendwo sitzt, dann sitzt er. Den kriegste so schnell nicht wieder weg. Es gibt Kollegen, die behaupten, so ganz geht der überhaupt nie wieder ...
Fühle mich unwohl. Versuche Sudokus zu lösen. Die Zahlen verschwimmen mir vor den Augen. Meine Nachbarin meint: «Ich habe die Zeitschrift zu Hause. Das Sudoku habe ich schon gemacht. Die Lösungszahlen sind null, eins, zwei, drei, vier, fünf, sechs, sieben, acht und neun.» Bedanke mich und setze mich um. Ihren grippalen Infekt möchte ich mir nun wirklich nicht einfangen.
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Autoren-Porträt von Horst Evers
Horst Evers, geboren 1967 in der Nähe von Diepholz und dort im ländlichen Niedersachsen aufgewachsen, studierte Germanistik und Publizistik in Berlin. Er jobbte als Taxifahrer und Eilzusteller bei der Post und gründete 1990 zusammen mit Freunden die Textleseshow «Dr. Seltsams Frühschoppen», die bald zur erfolgreichsten Lesebühne der Stadt wurde. Horst Evers erhielt u.a. den Deutschen Kabarettpreis und den Deutschen Kleinkunstpreis. Jeden Sonntag ist er auf radioeins zu hören. Seine Geschichtenbände und Romane sind Bestseller. Horst Evers lebt mit seiner Familie in Berlin.
Bibliographische Angaben
- Autor: Horst Evers
- 2014, 4. Aufl., 224 Seiten, Maße: 13,3 x 21 cm, Gebunden, Deutsch
- Verlag: Rowohlt, Berlin
- ISBN-10: 3871347620
- ISBN-13: 9783871347627
- Erscheinungsdatum: 22.10.2013
Rezension zu „Wäre ich du, würde ich mich lieben “
Extrem witzige Kurzgeschichten aus einem fast völlig normalen Leben. WDR
Pressezitat
Extrem witzige Kurzgeschichten aus einem fast völlig normalen Leben. WDR
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