Waringham Saga Band 1: Das Lächeln der Fortuna
Historischer Roman
Dies ist die Originalfassung von Rebecca Gablés Roman Das Lächeln der Fortuna. Das Originalmanuskript war lange Zeit verschollen und ist nun wieder aufgetaucht. Es enthält zahlreiche bisher unveröffentlichte Szenen und Figuren und...
lieferbar
versandkostenfrei
Buch (Kartoniert)
18.00 €
Produktdetails
Produktinformationen zu „Waringham Saga Band 1: Das Lächeln der Fortuna “
Dies ist die Originalfassung von Rebecca Gablés Roman Das Lächeln der Fortuna. Das Originalmanuskript war lange Zeit verschollen und ist nun wieder aufgetaucht. Es enthält zahlreiche bisher unveröffentlichte Szenen und Figuren und sowohl das bisher bekannte als auch das ursprünglich entworfene Ende des Buches. Eine besonderes Leseerlebnis und ein Muss für alle echten Gablé-Fans ...
Klappentext zu „Waringham Saga Band 1: Das Lächeln der Fortuna “
Dies ist die Originalfassung von Rebecca Gablés Roman Das Lächeln der Fortuna. Das Originalmanuskript war lange Zeit verschollen und ist nun wieder aufgetaucht. Es enthält zahlreiche bisher unveröffentlichte Szenen und Figuren und sowohl das bisher bekannte als auch das ursprünglich entworfene Ende des Buches. Eine besonderes Leseerlebnis und ein Muss für alle echten Gablé-Fans ...
Lese-Probe zu „Waringham Saga Band 1: Das Lächeln der Fortuna “
Das Lächeln der Fortuna von Rebecca Gablé... mehr
"Wenn sie uns erwischen, wird es sein, als sei das Jüngste Gericht über uns hereingebrochen", prophezeite Lionel düster. Sein rundes Jungengesicht wirkte besorgt, und er schien leicht zu frösteln. Eine schwache Brise bauschte seine Novizenkutte auf.
"Du kannst immer noch umkehren", erwiderte Robin kühl. Er war beinah einen Kopf größer als sein gleichaltriger Schulkamerad, und er nutzte diesen Größenunterschied, um verächtlich auf ihn hinabzublicken.
Lionel war oft der Verzagtere und immer der Vernünftigere von beiden. Doch seine Furcht, vor seinem Freund an Gesicht zu verlieren, war größer als die vor den möglichen Folgen ihres Unterfangens. "Wofür hältst du mich?"
"Das kommt darauf an ..."
Sie grinsten sich zu. Robin konnte das Gesicht seines Freundes schwach erkennen, und er sah seine Zähne aufblitzen. Die Nacht war nicht dunkel, denn in zwei Tagen war Vollmond. Zu ihrer Rechten erahnten sie die Umrisse des Kapitelsaals, wo die Mönche ihre täglichen Versammlungen abhielten. Er bildete die nördliche Begrenzungsmauer des Kreuzganges. Genau vor ihnen lag der schnurgerade Weg zum Haupttor. Die alten Linden, die ihn säumten, standen reglos in der Finsternis, wie eine Reihe Soldaten vor einem Nachtangriff. Robin und Lionel nahmen diesen Weg jedoch nicht. Lautlos überquerten sie den grasbewachsenen Innenhof, umrundeten den Fischteich und glitten schließlich in den schwarzen Schatten der Klostermauer, die sich zu beiden Seiten erstreckte und nach ein paar Ellen mit der Dunkelheit verschmolz.
Lionel ging drei Schritte nach rechts und blieb dann stehen. "Hier ist es am besten", wisperte er. "Auf der anderen Seite steht ein Baum, an dem wir herunterklettern können."
Robin sah an der Mauer hinauf und nickte. "Du zuerst."
Er machte eine Räuberleiter. Lionel legte eine Hand auf seine Schulter, stellte den rechten Fuß in Robins ineinander verschränkte Hände und stieg hoch. Er bekam die Mauerkante zu fassen und zog sich mit seinen kräftigen Armen hinauf. Dann brachte er sich in eine sitzende Haltung, ließ die Beine baumeln und spähte hinunter. "Und jetzt?"
"Leg dich auf den Bauch, laß die Beine zur anderen Seite herunterhängen und zieh mich hoch. Ganz einfach."
"O ja. Wirklich ganz einfach. Warum lasse ich mich nur immer auf deine Torheiten ein, Waringham, kannst du mir das sagen?"
Robin streckte ihm die Hand entgegen. "Wer ist der größere Tor? Der Tor oder der Tor, der ihm folgt?"
Lionel wußte wie so oft keine Anwort. Er packte zu, und schließlich saßen sie beide keuchend oben auf der Mauer. Sie spürten nicht mehr, daß die Septembernacht kühl war. Sie waren sogar ein bißchen ins schwitzen gekommen. Sie verschnauften einen Augenblick.
Der Baum war eine uralte Weide. Sie überragte die Klostermauer ein gutes Stück, und ihre zahlreichen, knorrigen Äste reichten fast bis zum Boden. Man konnte daran hinabklettern wie an einer Leiter. Die Äste ächzten leise, und das Laub raschelte, als die beiden Ausreißer sich an den Abstieg begaben. Ein paar lange, schmale Blätter schwebten lautlos zu Boden.
"Ich hoffe nur, Oswin hat unsere Verabredung nicht verschlafen", raunte Robin. "Dann war die ganze Mühe umsonst."
"Wehe", schnaubte Lionel. "Ich schlag' ihm seine Pferdezähne ein, wenn er uns versetzt!"
"Ho, Mönchlein, große Worte für eine halbe Portion wie dich", ertönte plötzlich eine leise Stimme hinter ihnen. "Hier bin ich schon." Aus dem Schatten löste sich eine dunkle Gestalt und kam auf sie zu.
"Ich wünschte, du würdest mich nicht immer so nennen." Lionel seufzte unglücklich.
"Wie? Mönchlein? Aber das bist du doch, oder etwa nicht?" Er beachtete Lionel nicht weiter und schlug Robin freundschaftlich auf die Schulter. "Waringham, alter Galgenvogel. Laß uns zuerst das Geschäft erledigen, wenn's dir recht ist."
Sein Ton hatte sich leicht verändert. Seit Oswin in den Stimmbruch gekommen war und seine Schultern so breit wie die seines Vaters geworden waren, war er für die Klosterschüler ein gottähnliches Idol, das sie mit unerschütterlicher Hingabe verehrten. Oswin behandelte sie dementsprechend mit gebotener Herablassung. Sein Vater war Stallknecht und kümmerte sich um die kleine Schar Pferde und Maultiere, die die Abtei von St. Thomas besaß. Seit er im Krieg gewesen war, trank er, und es war Oswin, der den Großteil der Arbeit erledigte. Er schuftete von früh bis spät, bereitete für sie beide die Mahlzeiten, wurde nicht selten spät am Abend zum Wirtshaus gerufen, um seinen betrunkenen Vater abzuholen, und erntete gelegentlich zum Dank ein blaues Auge. Niemand dachte im Traum daran, ihn zur Schule zu schicken, ihn lesen zu lehren und all die anderen Dinge, die die Schüler des klösterlichen Internats lernten. Oswin würde immer bleiben, was er war. Und trotzdem beneideten sie ihn, die Söhne von Landadeligen und reichen Kaufleuten. Um seine Freiheit und seine prahlerische Männlichkeit.
Nur auf Robin hatte er weder mit Großspurigkeit noch mit seinen meist gutmütigen Einschüchterungen Eindruck machen können. Vielleicht war das der Grund, warum er ihn von all diesen kleinen Bücherwürmern am liebsten mochte und ihm allein Zugang zum Pferdestall gestattete.
Robin legte einen Farthing in seine ausgestreckte Hand. Oswin ließ die kleine Münze mit einem zufriedenen Grinsen verschwinden. "Ziemlich knauserig für einen reichen Mann."
Robin schüttelte kurz den Kopf. "Bringst du uns dafür hin oder nicht?"
Oswin tat, als zögere er. Als er feststellte, daß Robin nicht noch einmal in die kleine Tasche am Ärmel seiner Kutte greifen würde, brummte er mit gespielter Verstimmtheit. "Meinetwegen. Dann kommt."
Er wandte ihnen seinen breiten Rücken zu, und die beiden Jungen folgten ihm eilig. Sie liefen etwa eine Meile über die feuchten Wiesen, die das Kloster umgaben. Dann gelangten sie an ein kleines Flüßchen, das sie auf einem Holzsteg überquerten. Dahinter erhoben sich die ersten Häuser von Curn, einem kleinen Dorf, kaum mehr als ein Weiler, wo die Bauern lebten, die die klösterlichen Felder bewirtschafteten. Oswin führte sie auf einem staubigen Weg an der armseligen Holzkirche vorbei, am Haus des Dorfpfarrers und dem Wirtshaus. Damit ließen sie den Dorfplatz hinter sich, und die Häuser wurden wieder spärlicher.
Sie sprachen nicht. Es gab auch nichts zu bereden. Das Geschäft mit Oswin war über mehrere Wochen verhandelt worden und vor zwei Tagen zum Abschluß gekommen. Er hatte seinen Lohn und er wußte, was sie dafür wollten. Weder Robin noch Lionel verspürten Neigung, dem anderen einzugestehen, daß sie weiche Knie hatten und kaum genug Spucke im Mund, um zu schlucken.
Plötzlich hielt Oswin an. "Hier ist es", raunte er. "Wartet hier. Und seid um Himmels willen leise!"
Er hatte sie zu einem kleinen Holzhaus gebracht, das noch armseliger schien als die anderen. Das Dach neigte sich in einem verwegenen Winkel, als wolle es jeden Moment abstürzen. Es gab keinen Kamin. Nur ein einziges Fenster neben der Tür gähnte sie schief an wie das Maul eines Ungeheuers. Ein wenig Rauch und zuckendes Licht drangen heraus.
Oswin näherte sich weder Fenster noch Tür. Er trat statt dessen an die Rückwand des Häuschens, beugte sich ein wenig vor und stand dann still. So verharrte er so lange, bis die beiden Jungen ungeduldig wurden. Magisch angezogen traten sie näher.
"Was ist?" flüsterte Robin, heiser vor Aufregung.
Oswin wandte sich zu ihm um und legte einen Finger an die Lippen. "Jungs, ihr kriegt wirklich was geboten für euer Geld", versprach er tonlos. Dann winkte er sie näher und wies mit den Zeigefingern auf zwei Astlöcher in der Wand, nahe nebeneinander, eins höher, eins niedriger. Dann klopfte er Robin die Schulter und schlenderte Richtung Wirtshaus davon, zweifellos, um festzustellen, wie betrunken sein Vater inzwischen war.
Robin überließ Lionel das niedrigere Loch, lehnte behutsam die Stirn an die rohe Holzwand und spähte hinein. Zuerst konnte er nicht viel erkennen. Drinnen schien es dunkler zu sein als hier draußen. Er war enttäuscht und erleichtert zugleich. Gerade, als er sich abwenden und von Oswin sein Geld zurückfordern wollte, erhaschte er eine Bewegung. Und dann erkannte er mit einem Mal Formen. Er hielt den Atem an.
Das Häuschen bestand nur aus einem einzigen Raum. Nahe der Tür befand sich eine kleine Kochstelle. Das Holz war fast heruntergebrannt, nur hier und da züngelten noch Flammen aus der Glut. An der Wand zur linken war ein Bett, ein üppiges Strohlager mit einer Wolldecke darauf. Und auf dem Bett saß Emma, die Witwe des Kuhhirten, der diese jämmerliche Hütte gehörte. Es hieß, sie sei siebzehn gewesen, als ihr Mann vor zwei Jahren von einem wilden Stier aufgespießt wurde, und es hieß weiter, daß Emma sich ihre Witwenschaft nicht sonderlich zu Herzen nahm. Sie war eine lebenslustige junge Frau und sie war wunderschön. Die Schüler von St. Thomas ließen sich keine Gelegenheit entgehen, einen Blick auf sie zu werfen, wenn sie gelegentlich sonntags das Hochamt in der Klosterkirche besuchte, und tagelang schwärmten sie heimlich oder offen von dem, was sie gesehen hatten. Was betet ihr sie aus der Ferne an, hatte Oswin halb verächtlich, halb belustigt gefragt. Für einen halben Penny könnt ihr sie haben.
Sie hatten nicht so recht verstanden, was er meinte, und Bruder Anthony hatte ihre Unterhaltung unterbrochen und Oswin vom Schulgelände gejagt, ehe sie ihn um eine Erklärung bitten konnten. Doch Oswin hatte offenbar recht gehabt. Denn Emma war nicht allein. Und sie war nackt.
Fassungslos starrte Robin auf ihre großen Brüste, riesig erschienen sie ihm, wie Euter. Er dachte an den verstorbenen Kuhhirten und unterdrückte ein nervöses Kichern. Ihre Haut erschien im schwachen Feuerschein kupferfarben, die Höfe und Warzen ihrer großzügigen Brüste schwarz. Nicht zum erstenmal spürte Robin dieses unerklärliche, herrliche und gleichzeitig schreckliche Gefühl irgendwo tief unten in seinem Körper. Aber es war noch nie so heftig gewesen. Er glaubte, das Gefühl wolle ihn in die Knie zwingen, es war, als müsse er sich zusammenkrümmen.
Der Mann, der neben dem Bett stand, war Cuthbert der Schmied. In der schwachen Glut zeichneten sich die mächtigen Muskeln seiner Arme und Schultern deutlich ab, und Robin glaubte zu erkennen, daß Emmas Blick bewundernd darüberstreifte. Cuthbert sah auf sie hinunter, offenbar ebenso gebannt wie Robin. Dann erwachte er zu Leben. Er legte die Hände auf ihre Brüste, und Emma ließ sich zurückfallen, bis sie ausgestreckt auf dem Rücken lag, ihre kastanienfarbenen Locken umgaben ihr Gesicht wie ein dunkler Schleier. Sie schloß die Augen, und ihr wunderbarer, kirschroter Mund lächelte zufrieden, während die rauhen Hände des Schmieds sanft über ihre Haut glitten. Dann ließ er sie plötzlich los, legte die Hände auf ihre angewinkelten Knie und schob sie auseinander. Robin stockte beinah der Atem. Dann verdeckte der breite Körper des Mannes den Anblick. Er legte sich zwischen Emmas Beine, und unmittelbar darauf begannen die beiden Körper, sich in einem langsamen, wunderbar harmonischen Rhythmus zu bewegen. Robin wußte, was sie taten. Der Unterschied zu Kühen oder Schafen oder Pferden war nicht so groß, daß er es nicht verstanden hätte. Aber trotzdem war es völlig anders. Ihm wurde ungeheuer heiß. Der Rhythmus der beiden Körper wurde schneller und schneller, bis sie zuckten und sich wanden und ein bißchen grotesk wirkten. Und dann hörte er einen seltsamen Laut. Er verstand nicht gleich, was es war. Aber dann erklang der Laut wieder, dieses Mal lauter. Sie stöhnte. Und dann stöhnte er auch. Aber es war nicht, als haben sie Schmerzen. Es war, als ob... als ob... er fand kein Wort dafür.
Seine Handflächen, die er links und rechts neben seinen Kopf an die Wand gelegt hatte, waren feucht. Seine Augen brannten. Er wußte nicht, wie lange er schon starrte, ohne zu blinzeln. Und dann lag plötzlich eine energische Hand auf seiner Schulter und riß ihn von seinem Astloch weg.
Robin fuhr entsetzt zusammen und unterdrückte im letzten Moment einen Laut. Erwischt, dachte er wütend. Sie haben uns erwischt!
Aber es war nur Lionel. Er starrte ihn mit riesigen Augen an, und sein Gesicht schien im fahlen Mondlicht kalkweiß. Wortlos zerrte er Robin von der Hauswand weg, bis sie außer Hörweite waren.
"O mein Gott, ist mir schlecht", keuchte Lionel gepreßt.
"Was? Warum?" fragte Robin verständnislos. Er war immer noch benommen, halb dankbar, daß er dem beunruhigenden Schauspiel nicht länger folgen mußte, halb enttäuscht.
Lionel schüttelte sich unwillkürlich. "In meinem ganzen Leben habe ich noch nichts so Widerliches gesehen!"
Robin schwieg betroffen. Er hatte es nicht widerlich gefunden. Keineswegs.
"Jetzt versteh' ich, was die Brüder meinen, wenn sie von der Sünde des Fleisches reden. Wer das tut, muß einfach in die Hölle kommen!"
"Blödsinn. Was glaubst du, haben deine Eltern gemacht, bevor du geboren wurdest?"
Lionel war schockiert. "Bestimmt nicht das!"
Robin grinste vor sich hin. "Also ehrlich, manchmal bist du doch wirklich zu dämlich."
"Was soll das heißen? Was willst du über meine Eltern sagen?"
Robin hörte den deutlich drohenden Unterton. "Gar nichts." Er hob begütigend die Hände. "Nur, daß es natürlich ist. Alles Leben entsteht so. Es ist nicht schmutzig. Das reden sie uns nur ein. Und der Teu... ich meine, ich wüßte zu gerne, warum."
"Es ist nicht natürlich", widersprach Lionel heftig. "Es ist falsch und sündig. Die Frauen sind daran schuld. Sie tragen immer noch die Sünde Evas mit sich. Das sagt Bruder Philippus. Und jetzt glaube ich das auch. Wie sie ihn angesehen hat! So voller... Gier! Und wie kalt sie gelächelt hat. Was für eine Hexe sie doch ist. Ich weiß nicht, wie sie mir je gefallen konnte. Nein, ich glaube, jede Frau ist mit Satan im Bunde."
Was Lionel sagte, hörte Robin nicht zum erstenmal. Bruder Philippus hatte ihnen aus vielen Büchern gelehrter Männer vorgelesen, die alle dasselbe sagten. Aber er konnte das einfach nicht glauben. Er dachte immer an seine Mutter, wenn er hörte, daß alle Frauen sündig seien, daß sie von Natur aus größere Sünder seien als Männer, daß sie überhaupt die Sünde in die Welt gebracht hatten, und daß eigentlich nur Jungfrauen in den Himmel kommen könnten. Dazu zählte seine Mutter eindeutig nicht, denn sie war verheiratet gewesen und hatte fünf Kinder geboren. Aber sie war ihm trotzdem immer als das vollkommenste aller Wesen erschienen, klug und schön und liebevoll. So hatte er sie jedenfalls in Erinnerung. Und als Bruder Philippus ihnen zum erstenmal von der Sünde aller Frauen vorgelesen hatte, hatte er die ganze Nacht wachgelegen und gebetet, Gott möge bei seiner Mutter eine Ausnahme machen. Die Vorstellung, daß sie im ewigen Feuer der Hölle brennen könnte, jetzt und bis in alle Ewigkeit, hatte ihn ganz krank gemacht.
Das war schon über vier Jahre her. Damals war er noch ein kleiner, leichtgläubiger Bengel und seine Mutter gerade tot. Heute glaubte er längst nicht mehr alles, was die Brüder ihnen auftischten. Trotzdem verspürte er ein leichtes Unbehagen. Er hatte den Anblick von Emma und Cuthbert nicht abstoßend gefunden. Im Gegenteil. Er hatte sich ein bißchen geschämt, weil er spionierte, weil er etwas ansah, das ganz gewiß nicht für fremde Augen bestimmt war. Aber was sie taten, erschien ihm nicht sündig. Lag es am Ende daran, daß er selbst sündig war? Sollte Bruder Anthony etwa doch recht haben, der jeden Tag wenigstens einmal behauptete, daß ihm, Robin, ein warmer Platz in der Hölle sicher sei?
Er zog unbehaglich die Schultern hoch. "Und ich denke, Bruder Philippus und seine Gelehrten haben nicht recht. Es kann nicht Sünde sein. Warum sollte Gott es so eingerichtet haben, daß die Menschen in Sünde gezeugt werden? Heißt es nicht, er hat uns nach seinem Ebenbild geschaffen?"
Lionel schüttelte entschieden den Kopf. "Du solltest die Bibelauslegung lieber denen überlassen, die sie verstehen und die das Wort Gottes nicht für ihre Zwecke verdrehen."
Sie waren wieder an der Mauer des Klosters angelangt. Robin kletterte auf den untersten Ast der Weide. "Schön, denk, was du willst. Aber wenn man dich hört, könnte man meinen, Oswin hat recht. Aus dir wird tatsächlich noch ein echter Klosterbruder."
Lionel sah ihn ärgerlich an. "Man muß kein Mönch sein, um gottesfürchtig zu sein und sich von der Sünde fernzuhalten."
Robin seufzte. "Vielleicht nicht. Aber wenn du glaubst, diese Geschichte hier beichten zu müssen, dann laß mich dabei aus dem Spiel, hörst du. Bring mich nicht in Schwierigkeiten mit deiner unbefleckten Heiligkeit."
Lionel preßte die Lippen zusammen. "Manchmal fürchte ich um deine Seele, Robin."
Robin schwang sich über die Mauer. "Dann bete für mich, Mönchlein."
© 1997 by Verlagsgruppe Lübbe GmbH & Co. KG, Bergisch Gladbach - All rights reserved.
"Wenn sie uns erwischen, wird es sein, als sei das Jüngste Gericht über uns hereingebrochen", prophezeite Lionel düster. Sein rundes Jungengesicht wirkte besorgt, und er schien leicht zu frösteln. Eine schwache Brise bauschte seine Novizenkutte auf.
"Du kannst immer noch umkehren", erwiderte Robin kühl. Er war beinah einen Kopf größer als sein gleichaltriger Schulkamerad, und er nutzte diesen Größenunterschied, um verächtlich auf ihn hinabzublicken.
Lionel war oft der Verzagtere und immer der Vernünftigere von beiden. Doch seine Furcht, vor seinem Freund an Gesicht zu verlieren, war größer als die vor den möglichen Folgen ihres Unterfangens. "Wofür hältst du mich?"
"Das kommt darauf an ..."
Sie grinsten sich zu. Robin konnte das Gesicht seines Freundes schwach erkennen, und er sah seine Zähne aufblitzen. Die Nacht war nicht dunkel, denn in zwei Tagen war Vollmond. Zu ihrer Rechten erahnten sie die Umrisse des Kapitelsaals, wo die Mönche ihre täglichen Versammlungen abhielten. Er bildete die nördliche Begrenzungsmauer des Kreuzganges. Genau vor ihnen lag der schnurgerade Weg zum Haupttor. Die alten Linden, die ihn säumten, standen reglos in der Finsternis, wie eine Reihe Soldaten vor einem Nachtangriff. Robin und Lionel nahmen diesen Weg jedoch nicht. Lautlos überquerten sie den grasbewachsenen Innenhof, umrundeten den Fischteich und glitten schließlich in den schwarzen Schatten der Klostermauer, die sich zu beiden Seiten erstreckte und nach ein paar Ellen mit der Dunkelheit verschmolz.
Lionel ging drei Schritte nach rechts und blieb dann stehen. "Hier ist es am besten", wisperte er. "Auf der anderen Seite steht ein Baum, an dem wir herunterklettern können."
Robin sah an der Mauer hinauf und nickte. "Du zuerst."
Er machte eine Räuberleiter. Lionel legte eine Hand auf seine Schulter, stellte den rechten Fuß in Robins ineinander verschränkte Hände und stieg hoch. Er bekam die Mauerkante zu fassen und zog sich mit seinen kräftigen Armen hinauf. Dann brachte er sich in eine sitzende Haltung, ließ die Beine baumeln und spähte hinunter. "Und jetzt?"
"Leg dich auf den Bauch, laß die Beine zur anderen Seite herunterhängen und zieh mich hoch. Ganz einfach."
"O ja. Wirklich ganz einfach. Warum lasse ich mich nur immer auf deine Torheiten ein, Waringham, kannst du mir das sagen?"
Robin streckte ihm die Hand entgegen. "Wer ist der größere Tor? Der Tor oder der Tor, der ihm folgt?"
Lionel wußte wie so oft keine Anwort. Er packte zu, und schließlich saßen sie beide keuchend oben auf der Mauer. Sie spürten nicht mehr, daß die Septembernacht kühl war. Sie waren sogar ein bißchen ins schwitzen gekommen. Sie verschnauften einen Augenblick.
Der Baum war eine uralte Weide. Sie überragte die Klostermauer ein gutes Stück, und ihre zahlreichen, knorrigen Äste reichten fast bis zum Boden. Man konnte daran hinabklettern wie an einer Leiter. Die Äste ächzten leise, und das Laub raschelte, als die beiden Ausreißer sich an den Abstieg begaben. Ein paar lange, schmale Blätter schwebten lautlos zu Boden.
"Ich hoffe nur, Oswin hat unsere Verabredung nicht verschlafen", raunte Robin. "Dann war die ganze Mühe umsonst."
"Wehe", schnaubte Lionel. "Ich schlag' ihm seine Pferdezähne ein, wenn er uns versetzt!"
"Ho, Mönchlein, große Worte für eine halbe Portion wie dich", ertönte plötzlich eine leise Stimme hinter ihnen. "Hier bin ich schon." Aus dem Schatten löste sich eine dunkle Gestalt und kam auf sie zu.
"Ich wünschte, du würdest mich nicht immer so nennen." Lionel seufzte unglücklich.
"Wie? Mönchlein? Aber das bist du doch, oder etwa nicht?" Er beachtete Lionel nicht weiter und schlug Robin freundschaftlich auf die Schulter. "Waringham, alter Galgenvogel. Laß uns zuerst das Geschäft erledigen, wenn's dir recht ist."
Sein Ton hatte sich leicht verändert. Seit Oswin in den Stimmbruch gekommen war und seine Schultern so breit wie die seines Vaters geworden waren, war er für die Klosterschüler ein gottähnliches Idol, das sie mit unerschütterlicher Hingabe verehrten. Oswin behandelte sie dementsprechend mit gebotener Herablassung. Sein Vater war Stallknecht und kümmerte sich um die kleine Schar Pferde und Maultiere, die die Abtei von St. Thomas besaß. Seit er im Krieg gewesen war, trank er, und es war Oswin, der den Großteil der Arbeit erledigte. Er schuftete von früh bis spät, bereitete für sie beide die Mahlzeiten, wurde nicht selten spät am Abend zum Wirtshaus gerufen, um seinen betrunkenen Vater abzuholen, und erntete gelegentlich zum Dank ein blaues Auge. Niemand dachte im Traum daran, ihn zur Schule zu schicken, ihn lesen zu lehren und all die anderen Dinge, die die Schüler des klösterlichen Internats lernten. Oswin würde immer bleiben, was er war. Und trotzdem beneideten sie ihn, die Söhne von Landadeligen und reichen Kaufleuten. Um seine Freiheit und seine prahlerische Männlichkeit.
Nur auf Robin hatte er weder mit Großspurigkeit noch mit seinen meist gutmütigen Einschüchterungen Eindruck machen können. Vielleicht war das der Grund, warum er ihn von all diesen kleinen Bücherwürmern am liebsten mochte und ihm allein Zugang zum Pferdestall gestattete.
Robin legte einen Farthing in seine ausgestreckte Hand. Oswin ließ die kleine Münze mit einem zufriedenen Grinsen verschwinden. "Ziemlich knauserig für einen reichen Mann."
Robin schüttelte kurz den Kopf. "Bringst du uns dafür hin oder nicht?"
Oswin tat, als zögere er. Als er feststellte, daß Robin nicht noch einmal in die kleine Tasche am Ärmel seiner Kutte greifen würde, brummte er mit gespielter Verstimmtheit. "Meinetwegen. Dann kommt."
Er wandte ihnen seinen breiten Rücken zu, und die beiden Jungen folgten ihm eilig. Sie liefen etwa eine Meile über die feuchten Wiesen, die das Kloster umgaben. Dann gelangten sie an ein kleines Flüßchen, das sie auf einem Holzsteg überquerten. Dahinter erhoben sich die ersten Häuser von Curn, einem kleinen Dorf, kaum mehr als ein Weiler, wo die Bauern lebten, die die klösterlichen Felder bewirtschafteten. Oswin führte sie auf einem staubigen Weg an der armseligen Holzkirche vorbei, am Haus des Dorfpfarrers und dem Wirtshaus. Damit ließen sie den Dorfplatz hinter sich, und die Häuser wurden wieder spärlicher.
Sie sprachen nicht. Es gab auch nichts zu bereden. Das Geschäft mit Oswin war über mehrere Wochen verhandelt worden und vor zwei Tagen zum Abschluß gekommen. Er hatte seinen Lohn und er wußte, was sie dafür wollten. Weder Robin noch Lionel verspürten Neigung, dem anderen einzugestehen, daß sie weiche Knie hatten und kaum genug Spucke im Mund, um zu schlucken.
Plötzlich hielt Oswin an. "Hier ist es", raunte er. "Wartet hier. Und seid um Himmels willen leise!"
Er hatte sie zu einem kleinen Holzhaus gebracht, das noch armseliger schien als die anderen. Das Dach neigte sich in einem verwegenen Winkel, als wolle es jeden Moment abstürzen. Es gab keinen Kamin. Nur ein einziges Fenster neben der Tür gähnte sie schief an wie das Maul eines Ungeheuers. Ein wenig Rauch und zuckendes Licht drangen heraus.
Oswin näherte sich weder Fenster noch Tür. Er trat statt dessen an die Rückwand des Häuschens, beugte sich ein wenig vor und stand dann still. So verharrte er so lange, bis die beiden Jungen ungeduldig wurden. Magisch angezogen traten sie näher.
"Was ist?" flüsterte Robin, heiser vor Aufregung.
Oswin wandte sich zu ihm um und legte einen Finger an die Lippen. "Jungs, ihr kriegt wirklich was geboten für euer Geld", versprach er tonlos. Dann winkte er sie näher und wies mit den Zeigefingern auf zwei Astlöcher in der Wand, nahe nebeneinander, eins höher, eins niedriger. Dann klopfte er Robin die Schulter und schlenderte Richtung Wirtshaus davon, zweifellos, um festzustellen, wie betrunken sein Vater inzwischen war.
Robin überließ Lionel das niedrigere Loch, lehnte behutsam die Stirn an die rohe Holzwand und spähte hinein. Zuerst konnte er nicht viel erkennen. Drinnen schien es dunkler zu sein als hier draußen. Er war enttäuscht und erleichtert zugleich. Gerade, als er sich abwenden und von Oswin sein Geld zurückfordern wollte, erhaschte er eine Bewegung. Und dann erkannte er mit einem Mal Formen. Er hielt den Atem an.
Das Häuschen bestand nur aus einem einzigen Raum. Nahe der Tür befand sich eine kleine Kochstelle. Das Holz war fast heruntergebrannt, nur hier und da züngelten noch Flammen aus der Glut. An der Wand zur linken war ein Bett, ein üppiges Strohlager mit einer Wolldecke darauf. Und auf dem Bett saß Emma, die Witwe des Kuhhirten, der diese jämmerliche Hütte gehörte. Es hieß, sie sei siebzehn gewesen, als ihr Mann vor zwei Jahren von einem wilden Stier aufgespießt wurde, und es hieß weiter, daß Emma sich ihre Witwenschaft nicht sonderlich zu Herzen nahm. Sie war eine lebenslustige junge Frau und sie war wunderschön. Die Schüler von St. Thomas ließen sich keine Gelegenheit entgehen, einen Blick auf sie zu werfen, wenn sie gelegentlich sonntags das Hochamt in der Klosterkirche besuchte, und tagelang schwärmten sie heimlich oder offen von dem, was sie gesehen hatten. Was betet ihr sie aus der Ferne an, hatte Oswin halb verächtlich, halb belustigt gefragt. Für einen halben Penny könnt ihr sie haben.
Sie hatten nicht so recht verstanden, was er meinte, und Bruder Anthony hatte ihre Unterhaltung unterbrochen und Oswin vom Schulgelände gejagt, ehe sie ihn um eine Erklärung bitten konnten. Doch Oswin hatte offenbar recht gehabt. Denn Emma war nicht allein. Und sie war nackt.
Fassungslos starrte Robin auf ihre großen Brüste, riesig erschienen sie ihm, wie Euter. Er dachte an den verstorbenen Kuhhirten und unterdrückte ein nervöses Kichern. Ihre Haut erschien im schwachen Feuerschein kupferfarben, die Höfe und Warzen ihrer großzügigen Brüste schwarz. Nicht zum erstenmal spürte Robin dieses unerklärliche, herrliche und gleichzeitig schreckliche Gefühl irgendwo tief unten in seinem Körper. Aber es war noch nie so heftig gewesen. Er glaubte, das Gefühl wolle ihn in die Knie zwingen, es war, als müsse er sich zusammenkrümmen.
Der Mann, der neben dem Bett stand, war Cuthbert der Schmied. In der schwachen Glut zeichneten sich die mächtigen Muskeln seiner Arme und Schultern deutlich ab, und Robin glaubte zu erkennen, daß Emmas Blick bewundernd darüberstreifte. Cuthbert sah auf sie hinunter, offenbar ebenso gebannt wie Robin. Dann erwachte er zu Leben. Er legte die Hände auf ihre Brüste, und Emma ließ sich zurückfallen, bis sie ausgestreckt auf dem Rücken lag, ihre kastanienfarbenen Locken umgaben ihr Gesicht wie ein dunkler Schleier. Sie schloß die Augen, und ihr wunderbarer, kirschroter Mund lächelte zufrieden, während die rauhen Hände des Schmieds sanft über ihre Haut glitten. Dann ließ er sie plötzlich los, legte die Hände auf ihre angewinkelten Knie und schob sie auseinander. Robin stockte beinah der Atem. Dann verdeckte der breite Körper des Mannes den Anblick. Er legte sich zwischen Emmas Beine, und unmittelbar darauf begannen die beiden Körper, sich in einem langsamen, wunderbar harmonischen Rhythmus zu bewegen. Robin wußte, was sie taten. Der Unterschied zu Kühen oder Schafen oder Pferden war nicht so groß, daß er es nicht verstanden hätte. Aber trotzdem war es völlig anders. Ihm wurde ungeheuer heiß. Der Rhythmus der beiden Körper wurde schneller und schneller, bis sie zuckten und sich wanden und ein bißchen grotesk wirkten. Und dann hörte er einen seltsamen Laut. Er verstand nicht gleich, was es war. Aber dann erklang der Laut wieder, dieses Mal lauter. Sie stöhnte. Und dann stöhnte er auch. Aber es war nicht, als haben sie Schmerzen. Es war, als ob... als ob... er fand kein Wort dafür.
Seine Handflächen, die er links und rechts neben seinen Kopf an die Wand gelegt hatte, waren feucht. Seine Augen brannten. Er wußte nicht, wie lange er schon starrte, ohne zu blinzeln. Und dann lag plötzlich eine energische Hand auf seiner Schulter und riß ihn von seinem Astloch weg.
Robin fuhr entsetzt zusammen und unterdrückte im letzten Moment einen Laut. Erwischt, dachte er wütend. Sie haben uns erwischt!
Aber es war nur Lionel. Er starrte ihn mit riesigen Augen an, und sein Gesicht schien im fahlen Mondlicht kalkweiß. Wortlos zerrte er Robin von der Hauswand weg, bis sie außer Hörweite waren.
"O mein Gott, ist mir schlecht", keuchte Lionel gepreßt.
"Was? Warum?" fragte Robin verständnislos. Er war immer noch benommen, halb dankbar, daß er dem beunruhigenden Schauspiel nicht länger folgen mußte, halb enttäuscht.
Lionel schüttelte sich unwillkürlich. "In meinem ganzen Leben habe ich noch nichts so Widerliches gesehen!"
Robin schwieg betroffen. Er hatte es nicht widerlich gefunden. Keineswegs.
"Jetzt versteh' ich, was die Brüder meinen, wenn sie von der Sünde des Fleisches reden. Wer das tut, muß einfach in die Hölle kommen!"
"Blödsinn. Was glaubst du, haben deine Eltern gemacht, bevor du geboren wurdest?"
Lionel war schockiert. "Bestimmt nicht das!"
Robin grinste vor sich hin. "Also ehrlich, manchmal bist du doch wirklich zu dämlich."
"Was soll das heißen? Was willst du über meine Eltern sagen?"
Robin hörte den deutlich drohenden Unterton. "Gar nichts." Er hob begütigend die Hände. "Nur, daß es natürlich ist. Alles Leben entsteht so. Es ist nicht schmutzig. Das reden sie uns nur ein. Und der Teu... ich meine, ich wüßte zu gerne, warum."
"Es ist nicht natürlich", widersprach Lionel heftig. "Es ist falsch und sündig. Die Frauen sind daran schuld. Sie tragen immer noch die Sünde Evas mit sich. Das sagt Bruder Philippus. Und jetzt glaube ich das auch. Wie sie ihn angesehen hat! So voller... Gier! Und wie kalt sie gelächelt hat. Was für eine Hexe sie doch ist. Ich weiß nicht, wie sie mir je gefallen konnte. Nein, ich glaube, jede Frau ist mit Satan im Bunde."
Was Lionel sagte, hörte Robin nicht zum erstenmal. Bruder Philippus hatte ihnen aus vielen Büchern gelehrter Männer vorgelesen, die alle dasselbe sagten. Aber er konnte das einfach nicht glauben. Er dachte immer an seine Mutter, wenn er hörte, daß alle Frauen sündig seien, daß sie von Natur aus größere Sünder seien als Männer, daß sie überhaupt die Sünde in die Welt gebracht hatten, und daß eigentlich nur Jungfrauen in den Himmel kommen könnten. Dazu zählte seine Mutter eindeutig nicht, denn sie war verheiratet gewesen und hatte fünf Kinder geboren. Aber sie war ihm trotzdem immer als das vollkommenste aller Wesen erschienen, klug und schön und liebevoll. So hatte er sie jedenfalls in Erinnerung. Und als Bruder Philippus ihnen zum erstenmal von der Sünde aller Frauen vorgelesen hatte, hatte er die ganze Nacht wachgelegen und gebetet, Gott möge bei seiner Mutter eine Ausnahme machen. Die Vorstellung, daß sie im ewigen Feuer der Hölle brennen könnte, jetzt und bis in alle Ewigkeit, hatte ihn ganz krank gemacht.
Das war schon über vier Jahre her. Damals war er noch ein kleiner, leichtgläubiger Bengel und seine Mutter gerade tot. Heute glaubte er längst nicht mehr alles, was die Brüder ihnen auftischten. Trotzdem verspürte er ein leichtes Unbehagen. Er hatte den Anblick von Emma und Cuthbert nicht abstoßend gefunden. Im Gegenteil. Er hatte sich ein bißchen geschämt, weil er spionierte, weil er etwas ansah, das ganz gewiß nicht für fremde Augen bestimmt war. Aber was sie taten, erschien ihm nicht sündig. Lag es am Ende daran, daß er selbst sündig war? Sollte Bruder Anthony etwa doch recht haben, der jeden Tag wenigstens einmal behauptete, daß ihm, Robin, ein warmer Platz in der Hölle sicher sei?
Er zog unbehaglich die Schultern hoch. "Und ich denke, Bruder Philippus und seine Gelehrten haben nicht recht. Es kann nicht Sünde sein. Warum sollte Gott es so eingerichtet haben, daß die Menschen in Sünde gezeugt werden? Heißt es nicht, er hat uns nach seinem Ebenbild geschaffen?"
Lionel schüttelte entschieden den Kopf. "Du solltest die Bibelauslegung lieber denen überlassen, die sie verstehen und die das Wort Gottes nicht für ihre Zwecke verdrehen."
Sie waren wieder an der Mauer des Klosters angelangt. Robin kletterte auf den untersten Ast der Weide. "Schön, denk, was du willst. Aber wenn man dich hört, könnte man meinen, Oswin hat recht. Aus dir wird tatsächlich noch ein echter Klosterbruder."
Lionel sah ihn ärgerlich an. "Man muß kein Mönch sein, um gottesfürchtig zu sein und sich von der Sünde fernzuhalten."
Robin seufzte. "Vielleicht nicht. Aber wenn du glaubst, diese Geschichte hier beichten zu müssen, dann laß mich dabei aus dem Spiel, hörst du. Bring mich nicht in Schwierigkeiten mit deiner unbefleckten Heiligkeit."
Lionel preßte die Lippen zusammen. "Manchmal fürchte ich um deine Seele, Robin."
Robin schwang sich über die Mauer. "Dann bete für mich, Mönchlein."
© 1997 by Verlagsgruppe Lübbe GmbH & Co. KG, Bergisch Gladbach - All rights reserved.
... weniger
Autoren-Porträt von Rebecca Gablé
Die 1964 geborene Rebecca Gable war nach dem Studium der Literaturwissenschaft, Sprachgeschichte und Mediävistik als Dozentin für mittelalterliche englische Literatur tätig. Heute arbeitet sie als freie Autorin und Literaturübersetzerin.
Bibliographische Angaben
- Autor: Rebecca Gablé
- 2013, 1. Aufl., Maße: 12,8 x 19,5 cm, Kartoniert (TB), Deutsch
- Verlag: Bastei Lübbe
- ISBN-10: 3404169441
- ISBN-13: 9783404169443
- Erscheinungsdatum: 22.11.2013
Rezension zu „Waringham Saga Band 1: Das Lächeln der Fortuna “
"Mitreißend, spannend, bunt." Laura "Rebecca Gablé bietet süchtig machenden Lesestoff." Urner Wochenblatt
Kommentare zu "Waringham Saga Band 1: Das Lächeln der Fortuna"
0 Gebrauchte Artikel zu „Waringham Saga Band 1: Das Lächeln der Fortuna“
Zustand | Preis | Porto | Zahlung | Verkäufer | Rating |
---|
5 von 5 Sternen
5 Sterne 16Schreiben Sie einen Kommentar zu "Waringham Saga Band 1: Das Lächeln der Fortuna".
Kommentar verfassen