Warum tötest du, Zaid?
Ein eindringlicher Bericht über irakische Widerstandskämpfer und deren Sicht auf den Krieg.
Widerstandskämpfer sind gleich Terroristen. Glaubt man bei uns im Westen. Doch die Kämpfer des irakischen Widerstands haben...
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Produktdetails
Produktinformationen zu „Warum tötest du, Zaid? “
Ein eindringlicher Bericht über irakische Widerstandskämpfer und deren Sicht auf den Krieg.
Widerstandskämpfer sind gleich Terroristen. Glaubt man bei uns im Westen. Doch die Kämpfer des irakischen Widerstands haben mit Terroristen nichts gemein. Im Gegenteil: Sie träumen vom Frieden und verabscheuen die Terroranschläge der Al-Quaida, weil dabei auch fast immer ihre eigenen Landsleute sterben. Jürgen Todenhöfer ist in den Irak gereist, um die andere Seite der Medaille zu zeigen. Um Mitglieder des irakischen Widerstandes, gegen die US-Truppen seit Jahren einen erbitterten Kampf führen, zu Wort kommen zu lassen. So zeigt sich ein völlig anderes Bild des Irak, als jenes, das wir kennen.
Klappentext zu „Warum tötest du, Zaid? “
Authentisch und engagiert: Jürgen Todenhöfer hat unter gefährlichsten Bedingungen vor Ort recherchiertIn der Geschichte des jungen Widerstandskämpfers Zaid spiegelt sich die Geschichte eines Volkes wider, das für seine Freiheit und Würde kämpft. Jürgen Todenhöfer begegnet Menschen, die gegen die Besatzungstruppen und den Terror von Al-Qaida kämpfen. Er trifft den 22-jährigen Zaid, der in diesem Krieg fast alles verloren hat, und der sich wie die Mehrheit der irakischen Bevölkerung dem Widerstand angeschlossen hat, und erzählt seine erschütternde Geschichte.
Das Buch tritt an gegen die milliardenschwere Propaganda-Maschinerie der US-Administration, die ein verzerrtes Bild der Lage im Irak zeichnet. Jürgen Todenhöfer will der Wahrheit eine Chance geben und der Gerechtigkeit für ein gequältes Volk.
"Unser Horizont ist nicht das Ende der Welt." -- Jürgen Todenhöfer
Lese-Probe zu „Warum tötest du, Zaid? “
Warum tötest du, Zaid? von Jürgen Todenhöfer LESEPROBE Zaids AngstRamadi, August 2007. »Da kann ich ja gleich nach Guantánamo gehen und meine Familie in Abu Ghraib abliefern! Ich werde Ihnen meine Geschichte nicht erzählen.«
Vor mir, in der milden Abendsonne von Ramadi sitzt Zaid, ein einundzwanzigjähriger Kämpfer des irakischen Widerstands. Zaid ist ein hochgewachsener, gut aussehender Junge mit feinem Oberlippenbart und dichten schwarzen Haaren. Seine leuchtend wachen Augen sind ständig in Bewegung.
Seinem jungenhaften Charme würden wahrscheinlich nicht nur viele irakische Mädchen, sondern auch deren Mütter erliegen. Trotzdem hat Zaid wie die meisten irakischen jungen Männer keine Freundin. So etwas ging vielleicht zu Zeiten Saddam Husseins. Seit dessen Sturz jedoch haben sich die gesellschaftlichen Regeln im Irak verschärft. Aus dem einst säkularen Land ist ein Staat geworden, in dem die Menschen aus Angst vor Al-Qaida und den Todesschwadronen radikal-schiitischer Politiker als Erstes wieder altertümliche Sitten und Bräuche eingeführt haben.
Zaids Blick verdüstert sich, als ich ihn bitte, mir aus seinem Leben zu erzählen, vor allem aber von seiner Tätigkeit als Widerstandskämpfer — vielleicht sogar mit Fotos. Abweisend, aber auch ein wenig müde und traurig schaut er mich an. Ich spüre, dass vor seinem geistigen Auge gerade sein ganzes Leben im Schnelldurchlauf Revue passiert.
... mehr
Zaid fährt sich mit seiner linken Hand über die Augen und schüttelt den Kopf: »Da kann ich mir ja gleich Häftlingskleidung kaufen. Für die USA sind wir alle Terroristen. Die machen keinen Unterschied zwischen Terroristen, die Zivilisten ermorden, und echten Widerstandskämpfern, die für die Freiheit ihres Landes kämpfen. Die kennen weder unsere Träume noch unsere Trauer. Wir sind in ihren Augen nichts wert. Wenn sie mich nicht kriegen, werden sie meine ganze Familie umbringen.
Erzählen Sie, dass ich im Widerstand kämpfe und dass ich mehrere Familienmitglieder verloren habe. Aber mit Einzelheiten und Fotos kann ich Ihnen nicht helfen. Oder gehen Sie für mich nach Guantánamo ?« Zaid ist aufgestanden. Seine Körpersprache ist ein einziges großes NEIN.
Ich versuche ihm zu erklären, dass auch ich mit meinem Besuch im Irak einiges riskiere. Aber das scheint Zaid nicht zu interessieren. »Wir können gerne tauschen«, meint er abweisend und wendet sich zum Ausgang des kleinen Gartens, in dem wir sitzen.
Vor dem Tor dreht er sich noch einmal um und murmelt: »Ich denke heute Nacht darüber nach. Und Sie sollten darüber nachdenken, wie Sie meiner Familie helfen, wenn ihr aufgrund Ihres Buches etwas zustößt.« Dann entschwindet er in der Abenddämmerung von Ramadi.
Fahrt zur Grenze
In der Nacht vor dieser ersten Begegnung mit Zaid klingelt schon um zwei Uhr der Wecker in meinem Hotelzimmer in Damaskus. Schlaftrunken versuche ich, ihn zum Schweigen zu bringen. Aber ich finde ihn nicht. Inzwischen beginnt auch der zweite Wecker, den ich sicherheitshalber weit weg von meinem Bett aufgestellt habe, schrille Töne von sich zu geben.
Ich kapituliere. Ich weiß, ich muss aufstehen. Um drei Uhr will ich zur irakischen Grenze aufbrechen. Zwei Uhr, eine grauenhafte Uhrzeit für einen bekennenden Langschläfer! Zu Hause würde ich mich wieder genüsslich umdrehen, um dann gegen neun Uhr ins Büro zu fahren.
Aber ich weiß, ich muss noch einmal in den Irak. Nicht mit den amerikanischen Besatzungstruppen als »embedded journalist«. Ich will das Land nicht durch die Brille der Besatzer sehen, und auch nicht aus der Perspektive eines in der »Grünen Zone« von Bagdad verschanzten Reporters. Ich will den Irak aus der Sicht der Opfer, aus der Sicht des Widerstands sehen.
Eine Stunde später — nachdem ich eine große Kanne Kaffee in mich hineingeschüttet habe — sitze ich in einem alten gelben Taxi, dessen wie ich etwas zerknittert aussehender syrischer Fahrer kein Wort Englisch spricht. Ich versuche, ihm klarzumachen, dass ich zum syrisch-irakischen Grenzübergang Al-Tanf wolle.
Entgeistert dreht er sich um. »Al-Tanf?«, wiederholt er und macht mit der Innenkante seiner Hand eine Bewegung, mit der er zeigen will, dass man mir dort die Gurgel durchschneiden werde. Ich sage: »Yes, Al-Tanf! Yallah!« — was so viel heißt wie »Auf geht's!«
Kopfschüttelnd gibt der Fahrer Gas. Es ist kurz nach drei. Für die frühe Uhrzeit herrscht erstaunlich viel Verkehr in Damaskus. Erste Straßenhändler beginnen ihre Waren auf den Gehwegen auszubreiten. Metzgereien, die kurz zuvor geschlachtet haben, öffnen bereits ihre Türen. Wir fahren vorbei an einer christlichen Kirche, deren hell erleuchtetes Kreuz das ganze Viertel überstrahlt. Entlang der imposanten, über zweitausend Jahre alten Stadtmauer von Damaskus geht es Richtung Südosten.
Ich öffne mein Handy und nehme die SIM-Karte heraus. Sicher ist sicher! Über nichts ist man heute leichter zu orten als über ein Handy. Während meines Irakaufenthalts muss niemand wissen, wo genau ich mich befinde.
Nach zehn Kilometern erreichen wir die Moschee von Sydena Zainab. Neben ihren prächtigen, olivgrün gekachelten Minaretten müssen wir in einem hässlichen, verlotterten Gebäude eine Reisegenehmigung für die Fahrt zur irakischen Grenze beantragen. Die Syrer tun alles, um Reisen in den Irak zu erschweren. Die Vorwürfe der USAdministration, Syrien unterstütze den irakischen Widerstand, zeigen Wirkung.
Wir müssen die syrischen Staatsdiener, die vor dem Gebäude in dunkle Decken gewickelt auf Holzliegen schlafen, erst aus ihren Träumen reißen, ehe sie uns murrend und knurrend die Genehmigung ausstellen. Als sie in meinem Pass sehen, dass ich Deutscher bin, schütteln sie ungläubig den Kopf. Etwas Unverständliches murmelnd, geben sie mir den Pass zurück und legen sich wieder schlafen. Von der Moschee erschallen die ersten Rufe des Muezzins zum Morgengebet.
Gegen sieben Uhr erreichen wir Al-Schahmma, einen armseligen Ort, siebzig Kilometer von der Grenze entfernt. Hier will ich mich mit Abu Saeed, einem Händler aus Ramadi, treffen, der mich über die Grenze bringen soll. Den Kontakt zu ihm hatten mir meine irakischen Gesprächspartner an Pfingsten in Jordanien vermittelt.
Abu Saeed erwartet mich am Ortseingang in einem dunkelblauen Chevrolet-Geländewagen mit schwarz getönten Scheiben. Bei ihm sind seine Frau Aisha, seine dreizehnjährige Tochter Shala, sein vierjähriger Sohn Ali und sein Fahrer Musa. Sie haben am Vorabend, aus dem Irak kommend, die Grenze kurz vor deren Schließung um 22 Uhr überquert und gemeinsam im Auto übernachtet.
Abu Saeed, der fließend Englisch spricht, und ich verstehen uns vom ersten Augenblick an. Abu Saeed ist vierzig Jahre alt und sieht mit seiner irakischen Kopfbedeckung aus wie Peter O'Toole in »Lawrence von Arabien«. Seine ebenfalls vierzigjährige Frau Aisha hat sanfte, fast europäische Gesichtszüge. Sie ist eine schöne Frau. Irgendwie hat sie es heute Morgen geschafft, sich im Geländewagen dezent zu schminken. Ich sage ihr, sie sehe aus wie die große amerikanische Schauspielerin Rita Hayworth. Sie bedankt sich lächelnd, obwohl sie sicher nicht weiß, wer das ist.
Abu Saeed, der Geschichte studiert hat und eigentlich Diplomat werden wollte, besitzt in Al-Dschasira, einem dörflichen Stadtteil von Ramadi, eine kleine Handelsfirma, die im Dreiländereck Irak-Syrien-Jordanien Baumaterialien und Getränke vertreibt. Seine Geschäfte laufen nicht gut, erzählt er mir, aber seine Familie komme mit dem Geld, das er verdiene, einigermaßen zurecht. »Wir leben«, sagt er, »das ist das Wichtigste — Alhamdulillah — Gott sei Dank!«
Abu Saeed hat noch vier weitere Kinder, aber die hat er in Ramadi zurückgelassen. Seine Frau, Shala und Ali hat er nur zu meinem Schutz mitgenommen. Sie sollen unserer kleinen Reisegruppe etwas Familiäres geben und bei Kontrollen von mir ablenken. Ich habe zwar eine bis zu den Knöcheln reichende weiße irakische Dishdasha an und trage einen schmalen Oberlippenbart, aber trotzdem sehe ich noch immer ziemlich europäisch aus. Wir fahren los, es ist 7.15 Uhr.
Unser dreißigjähriger Fahrer Musa, ein stiller Iraker mit Bürstenhaarschnitt, fährt fast immer Vollgas. Abu Saeed sitzt neben ihm, den kleinen Ali auf dem Schoß. Seine Frau Aisha und seine Tochter Shala haben es sich im Fond des Wagens bequem gemacht. Um nicht einzuschlafen, schiebt Musa ständig neue Kassetten mit Koranrezitationen und feurigen Predigten in das Kassettenradio. Das hält nicht nur ihn, sondern auch mich hellwach. Da ich kein Wort Arabisch verstehe, ist meine Begeisterung jedoch begrenzt. Abu Saeed ist samt Familie sofort eingeschlafen. Sie hatten schließlich eine beschwerliche Nacht.
Nach einer Dreiviertelstunde Fahrt durch die syrische Wüste nähern wir uns Al-Tanf. Der Grenzposten ist in Wirklichkeit eine fünf Kilometer lange Festungsanlage, die an den früheren Zonenübergang Helmstedt zwischen der DDR und der Bundesrepublik Deutschland erinnert, an die Berliner Mauer, an Hochsicherheitstrakte von Gefängnissen — gespenstisch, beängstigend und bedrückend. Nirgendwo im früheren Irak Saddam Husseins habe ich derart geisterhaft anmutende Mauern und Absperrungen gesehen.
Zwei Stunden lang fahren und laufen wir von Kontrollposten zu Kontrollposten. Musa verteilt ständig Schmiergeld — mal heimlich unter der Motorhaube, mal offen aus dem Fenster. Meist fünfzig syrische Lira, das entspricht ungefähr einem Dollar.
Manche der syrischen Grenzbeamten geben sogar Wechselgeld zurück, falls man die passenden Scheine nicht bereit hat. Einer der Grenzbeamten zählt ganz offen und zufrieden sein dickes Bündel an Bestechungsgeldern, bevor er uns auf einen großen Lira-Schein herausgibt. Al-Tanf ist bekannt für seine geldgierigen Grenzbeamten.
Trotz reichlich Bakschisch wird hart kontrolliert. Abu Saeed stellt mich als deutschen Arzt vor, der sich in Ramadi um verwundete Kinder kümmern wolle. Aber niemand glaubt ihm, dass ich als Deutscher freiwillig und ohne den Schutz der amerikanischen Armee nach Ramadi will.
Wir werden deshalb zu einem Beamten gebracht, der für Sonderfälle zuständig ist. Er teilt uns mit ernster Miene mit, dass ich trotz meines syrischen und irakischen Visums
nicht einreisen dürfe. Hierzu benötige man eine Sondergenehmigung des syrischen Innenministeriums.
Wir weisen darauf hin, dass ich eine Sondergenehmigung des irakischen Innenministeriums hätte, die sei ja schließlich viel wichtiger. Ich hatte Monate gebraucht, um sie zu erhalten, und nun sollte sie wertlos sein? Das Gespräch wird heftiger, das Gesicht des Beamten immer abweisender. Geldscheine wechseln ihren Besitzer und werden dankbar angenommen. Aber der Beamte bleibt bei seinem Nein.
Wir bestehen darauf, seinen Vorgesetzten sprechen zu dürfen. Dem Wunsch wird achselzuckend nachgegeben. Abu Saeed schildert dem müde gähnenden Vorgesetzten leidenschaftlich, wie dringend die Kinder von Ramadi meine Hilfe bräuchten. Es sei doch völlig normal, dass ich mir vor Ort ein Bild von der Lage im Irak verschaffen wolle. Abu Saeed redet und redet.
Nach einer Viertelstunde kapituliert der Beamte. Er habe zwar noch nie einen Deutschen erlebt, der nach Kriegsbeginn auf diesem Weg nach Ramadi gefahren sei. Aber sei's drum: »Yallah, fahren Sie mit Gott, aber fahren Sie!« Erschöpft lehnt er sich in seinen Sessel zurück. Er möchte seine Ruhe haben und weiterdösen.
Man kann den Syrern viel vorwerfen, aber nicht, dass sie die Einreise in den Irak leicht machen. Widerstandskämpfer oder Terroristen, die den Irak von Syrien her zu infiltrieren versuchen, dürften es schwer haben, die Grenze legal zu passieren. Angesichts der Lebensfeindlichkeit der Wüste dürfte auch das illegale Einsickern über die sogenannte grüne Grenze, die hier im gelben Sand versinkt, ein nicht ungefährliches Unterfangen sein. Aber wirklich überwachbar ist die mehr als sechshundert Kilometer lange Wüstengrenze zwischen Syrien und dem Irak nicht. (…)
© C. Bertelsmann Verlag
Erzählen Sie, dass ich im Widerstand kämpfe und dass ich mehrere Familienmitglieder verloren habe. Aber mit Einzelheiten und Fotos kann ich Ihnen nicht helfen. Oder gehen Sie für mich nach Guantánamo ?« Zaid ist aufgestanden. Seine Körpersprache ist ein einziges großes NEIN.
Ich versuche ihm zu erklären, dass auch ich mit meinem Besuch im Irak einiges riskiere. Aber das scheint Zaid nicht zu interessieren. »Wir können gerne tauschen«, meint er abweisend und wendet sich zum Ausgang des kleinen Gartens, in dem wir sitzen.
Vor dem Tor dreht er sich noch einmal um und murmelt: »Ich denke heute Nacht darüber nach. Und Sie sollten darüber nachdenken, wie Sie meiner Familie helfen, wenn ihr aufgrund Ihres Buches etwas zustößt.« Dann entschwindet er in der Abenddämmerung von Ramadi.
Fahrt zur Grenze
In der Nacht vor dieser ersten Begegnung mit Zaid klingelt schon um zwei Uhr der Wecker in meinem Hotelzimmer in Damaskus. Schlaftrunken versuche ich, ihn zum Schweigen zu bringen. Aber ich finde ihn nicht. Inzwischen beginnt auch der zweite Wecker, den ich sicherheitshalber weit weg von meinem Bett aufgestellt habe, schrille Töne von sich zu geben.
Ich kapituliere. Ich weiß, ich muss aufstehen. Um drei Uhr will ich zur irakischen Grenze aufbrechen. Zwei Uhr, eine grauenhafte Uhrzeit für einen bekennenden Langschläfer! Zu Hause würde ich mich wieder genüsslich umdrehen, um dann gegen neun Uhr ins Büro zu fahren.
Aber ich weiß, ich muss noch einmal in den Irak. Nicht mit den amerikanischen Besatzungstruppen als »embedded journalist«. Ich will das Land nicht durch die Brille der Besatzer sehen, und auch nicht aus der Perspektive eines in der »Grünen Zone« von Bagdad verschanzten Reporters. Ich will den Irak aus der Sicht der Opfer, aus der Sicht des Widerstands sehen.
Eine Stunde später — nachdem ich eine große Kanne Kaffee in mich hineingeschüttet habe — sitze ich in einem alten gelben Taxi, dessen wie ich etwas zerknittert aussehender syrischer Fahrer kein Wort Englisch spricht. Ich versuche, ihm klarzumachen, dass ich zum syrisch-irakischen Grenzübergang Al-Tanf wolle.
Entgeistert dreht er sich um. »Al-Tanf?«, wiederholt er und macht mit der Innenkante seiner Hand eine Bewegung, mit der er zeigen will, dass man mir dort die Gurgel durchschneiden werde. Ich sage: »Yes, Al-Tanf! Yallah!« — was so viel heißt wie »Auf geht's!«
Kopfschüttelnd gibt der Fahrer Gas. Es ist kurz nach drei. Für die frühe Uhrzeit herrscht erstaunlich viel Verkehr in Damaskus. Erste Straßenhändler beginnen ihre Waren auf den Gehwegen auszubreiten. Metzgereien, die kurz zuvor geschlachtet haben, öffnen bereits ihre Türen. Wir fahren vorbei an einer christlichen Kirche, deren hell erleuchtetes Kreuz das ganze Viertel überstrahlt. Entlang der imposanten, über zweitausend Jahre alten Stadtmauer von Damaskus geht es Richtung Südosten.
Ich öffne mein Handy und nehme die SIM-Karte heraus. Sicher ist sicher! Über nichts ist man heute leichter zu orten als über ein Handy. Während meines Irakaufenthalts muss niemand wissen, wo genau ich mich befinde.
Nach zehn Kilometern erreichen wir die Moschee von Sydena Zainab. Neben ihren prächtigen, olivgrün gekachelten Minaretten müssen wir in einem hässlichen, verlotterten Gebäude eine Reisegenehmigung für die Fahrt zur irakischen Grenze beantragen. Die Syrer tun alles, um Reisen in den Irak zu erschweren. Die Vorwürfe der USAdministration, Syrien unterstütze den irakischen Widerstand, zeigen Wirkung.
Wir müssen die syrischen Staatsdiener, die vor dem Gebäude in dunkle Decken gewickelt auf Holzliegen schlafen, erst aus ihren Träumen reißen, ehe sie uns murrend und knurrend die Genehmigung ausstellen. Als sie in meinem Pass sehen, dass ich Deutscher bin, schütteln sie ungläubig den Kopf. Etwas Unverständliches murmelnd, geben sie mir den Pass zurück und legen sich wieder schlafen. Von der Moschee erschallen die ersten Rufe des Muezzins zum Morgengebet.
Gegen sieben Uhr erreichen wir Al-Schahmma, einen armseligen Ort, siebzig Kilometer von der Grenze entfernt. Hier will ich mich mit Abu Saeed, einem Händler aus Ramadi, treffen, der mich über die Grenze bringen soll. Den Kontakt zu ihm hatten mir meine irakischen Gesprächspartner an Pfingsten in Jordanien vermittelt.
Abu Saeed erwartet mich am Ortseingang in einem dunkelblauen Chevrolet-Geländewagen mit schwarz getönten Scheiben. Bei ihm sind seine Frau Aisha, seine dreizehnjährige Tochter Shala, sein vierjähriger Sohn Ali und sein Fahrer Musa. Sie haben am Vorabend, aus dem Irak kommend, die Grenze kurz vor deren Schließung um 22 Uhr überquert und gemeinsam im Auto übernachtet.
Abu Saeed, der fließend Englisch spricht, und ich verstehen uns vom ersten Augenblick an. Abu Saeed ist vierzig Jahre alt und sieht mit seiner irakischen Kopfbedeckung aus wie Peter O'Toole in »Lawrence von Arabien«. Seine ebenfalls vierzigjährige Frau Aisha hat sanfte, fast europäische Gesichtszüge. Sie ist eine schöne Frau. Irgendwie hat sie es heute Morgen geschafft, sich im Geländewagen dezent zu schminken. Ich sage ihr, sie sehe aus wie die große amerikanische Schauspielerin Rita Hayworth. Sie bedankt sich lächelnd, obwohl sie sicher nicht weiß, wer das ist.
Abu Saeed, der Geschichte studiert hat und eigentlich Diplomat werden wollte, besitzt in Al-Dschasira, einem dörflichen Stadtteil von Ramadi, eine kleine Handelsfirma, die im Dreiländereck Irak-Syrien-Jordanien Baumaterialien und Getränke vertreibt. Seine Geschäfte laufen nicht gut, erzählt er mir, aber seine Familie komme mit dem Geld, das er verdiene, einigermaßen zurecht. »Wir leben«, sagt er, »das ist das Wichtigste — Alhamdulillah — Gott sei Dank!«
Abu Saeed hat noch vier weitere Kinder, aber die hat er in Ramadi zurückgelassen. Seine Frau, Shala und Ali hat er nur zu meinem Schutz mitgenommen. Sie sollen unserer kleinen Reisegruppe etwas Familiäres geben und bei Kontrollen von mir ablenken. Ich habe zwar eine bis zu den Knöcheln reichende weiße irakische Dishdasha an und trage einen schmalen Oberlippenbart, aber trotzdem sehe ich noch immer ziemlich europäisch aus. Wir fahren los, es ist 7.15 Uhr.
Unser dreißigjähriger Fahrer Musa, ein stiller Iraker mit Bürstenhaarschnitt, fährt fast immer Vollgas. Abu Saeed sitzt neben ihm, den kleinen Ali auf dem Schoß. Seine Frau Aisha und seine Tochter Shala haben es sich im Fond des Wagens bequem gemacht. Um nicht einzuschlafen, schiebt Musa ständig neue Kassetten mit Koranrezitationen und feurigen Predigten in das Kassettenradio. Das hält nicht nur ihn, sondern auch mich hellwach. Da ich kein Wort Arabisch verstehe, ist meine Begeisterung jedoch begrenzt. Abu Saeed ist samt Familie sofort eingeschlafen. Sie hatten schließlich eine beschwerliche Nacht.
Nach einer Dreiviertelstunde Fahrt durch die syrische Wüste nähern wir uns Al-Tanf. Der Grenzposten ist in Wirklichkeit eine fünf Kilometer lange Festungsanlage, die an den früheren Zonenübergang Helmstedt zwischen der DDR und der Bundesrepublik Deutschland erinnert, an die Berliner Mauer, an Hochsicherheitstrakte von Gefängnissen — gespenstisch, beängstigend und bedrückend. Nirgendwo im früheren Irak Saddam Husseins habe ich derart geisterhaft anmutende Mauern und Absperrungen gesehen.
Zwei Stunden lang fahren und laufen wir von Kontrollposten zu Kontrollposten. Musa verteilt ständig Schmiergeld — mal heimlich unter der Motorhaube, mal offen aus dem Fenster. Meist fünfzig syrische Lira, das entspricht ungefähr einem Dollar.
Manche der syrischen Grenzbeamten geben sogar Wechselgeld zurück, falls man die passenden Scheine nicht bereit hat. Einer der Grenzbeamten zählt ganz offen und zufrieden sein dickes Bündel an Bestechungsgeldern, bevor er uns auf einen großen Lira-Schein herausgibt. Al-Tanf ist bekannt für seine geldgierigen Grenzbeamten.
Trotz reichlich Bakschisch wird hart kontrolliert. Abu Saeed stellt mich als deutschen Arzt vor, der sich in Ramadi um verwundete Kinder kümmern wolle. Aber niemand glaubt ihm, dass ich als Deutscher freiwillig und ohne den Schutz der amerikanischen Armee nach Ramadi will.
Wir werden deshalb zu einem Beamten gebracht, der für Sonderfälle zuständig ist. Er teilt uns mit ernster Miene mit, dass ich trotz meines syrischen und irakischen Visums
nicht einreisen dürfe. Hierzu benötige man eine Sondergenehmigung des syrischen Innenministeriums.
Wir weisen darauf hin, dass ich eine Sondergenehmigung des irakischen Innenministeriums hätte, die sei ja schließlich viel wichtiger. Ich hatte Monate gebraucht, um sie zu erhalten, und nun sollte sie wertlos sein? Das Gespräch wird heftiger, das Gesicht des Beamten immer abweisender. Geldscheine wechseln ihren Besitzer und werden dankbar angenommen. Aber der Beamte bleibt bei seinem Nein.
Wir bestehen darauf, seinen Vorgesetzten sprechen zu dürfen. Dem Wunsch wird achselzuckend nachgegeben. Abu Saeed schildert dem müde gähnenden Vorgesetzten leidenschaftlich, wie dringend die Kinder von Ramadi meine Hilfe bräuchten. Es sei doch völlig normal, dass ich mir vor Ort ein Bild von der Lage im Irak verschaffen wolle. Abu Saeed redet und redet.
Nach einer Viertelstunde kapituliert der Beamte. Er habe zwar noch nie einen Deutschen erlebt, der nach Kriegsbeginn auf diesem Weg nach Ramadi gefahren sei. Aber sei's drum: »Yallah, fahren Sie mit Gott, aber fahren Sie!« Erschöpft lehnt er sich in seinen Sessel zurück. Er möchte seine Ruhe haben und weiterdösen.
Man kann den Syrern viel vorwerfen, aber nicht, dass sie die Einreise in den Irak leicht machen. Widerstandskämpfer oder Terroristen, die den Irak von Syrien her zu infiltrieren versuchen, dürften es schwer haben, die Grenze legal zu passieren. Angesichts der Lebensfeindlichkeit der Wüste dürfte auch das illegale Einsickern über die sogenannte grüne Grenze, die hier im gelben Sand versinkt, ein nicht ungefährliches Unterfangen sein. Aber wirklich überwachbar ist die mehr als sechshundert Kilometer lange Wüstengrenze zwischen Syrien und dem Irak nicht. (…)
© C. Bertelsmann Verlag
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Autoren-Porträt von Jürgen Todenhöfer
Jürgen Todenhöfer, geboren 1940, war fast zwei Jahrzehnte als Experte für Entwicklungspolitik und später für Fragen der Rüstungskontrolle für die CDU/CSU im Bundestag. Sein Buch "Wer weint schon um Abdul und Tanaya?" wurde zum Bestseller und sorgte für große Medienresonanz. Mit den Honoraren seiner Bücher finanziert er ein Heim für kriegsversehrte Kinder in Kabul sowie ein Ausbildungszentrum für Straßenkinder in Bagdad.
Bibliographische Angaben
- Autor: Jürgen Todenhöfer
- 2008, 4, 336 Seiten, 3 farbige Abbildungen, teilweise Schwarz-Weiß-Abbildungen, Maße: 14 x 21,8 cm, Gebunden, Deutsch
- Verlag: C. Bertelsmann
- ISBN-10: 3570010228
- ISBN-13: 9783570010228
Rezension zu „Warum tötest du, Zaid? “
»Unser Horizont ist nicht das Ende der Welt.«
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