Drei Frauen im R4
Roman
Trudi, Nele und Renate feiern gemeinsam ihren 50. Geburtstag. Ihr Geschenk: eine Reise. Der Clou: Es soll das Revival ihrer Italienreise von 1981 werden. Und so machen sich die drei auf den Weg: im R4, mit Latzhosen, Kassetten von Hermann van Veen und einer mickrigen Reisekasse.
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Produktdetails
Produktinformationen zu „Drei Frauen im R4 “
Trudi, Nele und Renate feiern gemeinsam ihren 50. Geburtstag. Ihr Geschenk: eine Reise. Der Clou: Es soll das Revival ihrer Italienreise von 1981 werden. Und so machen sich die drei auf den Weg: im R4, mit Latzhosen, Kassetten von Hermann van Veen und einer mickrigen Reisekasse.
Klappentext zu „Drei Frauen im R4 “
Stell dir vor, es ist wieder 1981 - und wir müssen mitmachenAuf ihrer gemeinsamen Feier zum 50. Geburtstag bekommen die Freundinnen Trudi, Nele und Renate eine Reise geschenkt. Der Clou: Sie sollen ihre geplatzte Italienreise von 1981 nachholen. Mit einem alten R4, Latzhosen, Kassetten von Herman van Veen und einer mickrigen Reisekasse. Als die Damen dann noch Handys, iPods und Kreditkarten abgeben müssen, ist die Stimmung erst mal im Keller. Und schon über die Fahrtroute können sie sich nicht einigen. Doch die Reise in die Vergangenheit birgt noch ganz andere Überraschungen.
"Ich wollte schon immer einen Roman über mich und meine besten Freundinnen schreiben, weil die beiden ganz wunderbar sind, auch wenn es Jahre gab, in denen wir nicht so eng waren. Trotz allem, ob Geburten, Trennungen, Heirat, schlechte Diäten oder gute Kuchenrezepte, wir blieben ein Glücksklee mit drei Blättern. Und auch gereist sind wir gerne, besonders früher, als ich mich noch in ein Zelt zwingen ließ.Heute treffen wir uns lieber bei der einen oder andren, zeigen uns alte Fotos, sprechen von Damals und Heute und zwei trinken dabei den Wein von der Dritten mit, weil die nichts mehr verträgt." Christine Weiner
Lese-Probe zu „Drei Frauen im R4 “
Drei Frauen im R4 von Christine WeinerKapitel 1
Heute hier, morgen dort
-Hannes Wader-
»Trudi, mecker nicht, sondern pack lieber mit an!«, befahl mir Nele mit einem hysterischen Kreischen in der Stimme. Sie war mit dem Kopf schon wieder zwischen Gepäckstücken verschwunden. Ich hatte keine Lust, mit anzupacken, denn ich hatte mit mir genug zu tun. Fliehen oder bleiben, das war die Frage, die ich zu klären hatte. Wenn ich bliebe, dann hätte das Auswirkungen, und diese Auswirkungen stanken mir gerade heftig in die Nase. Das T-Shirt, in das sie mich gequetscht hatten, war nämlich nicht nur zum Kreischen eng, sondern es müffelte derart nach Patschuli, dass ich alle Energie brauchte, damit mir nicht die Sinne schwanden. Ich atmete so wenig wie möglich ein, und wenn doch, dann nur so flach, wie es irgend möglich war. Patschuli war schon anno '81 nicht mein Duft gewesen.
... mehr
Unliebsame Erinnerungen stiegen in mir auf. Schließlich kannten Nele und Renate die Erfahrung meiner Jugendtage, und ich fragte mich, wer von den beiden auf die gehässige Schnapsidee gekommen war, mich in dieses Shirt zu pressen. Sicher Renate, der traute ich den Stinkbombenscherz am ehesten zu. Nele war zu gutmütig und würde so etwas Fieses niemals machen, entschied ich und wedelte mit flacher Hand den Duft vor meiner Nase weg. Quelle odeur! Außerdem wusste Nele, dass mit einundzwanzig mein absoluter Lieblingsduft Cylan gewesen war, eine schwere, süßlich-herbe Mischung aus dem Teeladen, die in einem kleinen Fläschchen mit schwarzem Schraubverschluss angeboten wurde. Knapp vier Mark kostete so ein Fläschchen damals. Seitdem habe ich nie wieder so günstig Parfum erstanden. Auch Patschuli hatte der blasse Teemensch in seinem Sortiment, aber gekauft hätte ich das Zeug mit zwanzig nie, weil es in besseren Ökokreisen als »indisches Nuttendiesel« verschrien war. Kein Mensch roch damals nach dem Kifferparfum, zumindest keiner, der in den politischen und alternativen Kreisen etwas gelten wollte und der feministisch-alternativ-konzeptionell auf dem Laufenden war.
So war das zumindest in Landau gewesen, das in der pfälzischen Pampa lag, wo wir zusammen aufgewachsen waren, Renate, Nele und ich. Mit Beginn der diversen Schwangerschaften rund um '83 hatten wir Landau dann aber hinter uns gelassen, um anderswo unser Glück zu finden. Bis dahin lebten Renate, Nele und ich in einer WG, rochen nach Sauerteig, selbstgerührtem Käse, Apfelshampoo, Karottencreme, Ziegenmilch und eben nach Cylan. Alles Lebensumstände, die ich längst hinter mir gelassen hatte und die nun, mit einem Mal, wie Vampire aus dem Sarg stiegen.
Wie ein Retro-Tannenbaum sah ich aus, mit einem einzelnen Blechohrring im Ohr, weil man Ohrringe damals nur einzeln trug. Grauenhaft! Mein Teil bestand aus einer kleinen bunten Perlenreihe, an der am unteren Ende eine Friedenstaube hing, die, wie es sich gehörte, eine weiße Feder im Schnabel trug. Alternatives Kunsthandwerk vom Feinsten! Und dann diese Latzhose, natürlich in Lila. Wie eine Kuh sah ich darin aus. Ich zog den Kopf zwischen die Schultern und duckte mich zum Wagen hin. Nicht auszudenken, was die Leute dachten, die mich in dieser Maskerade sahen, obwohl ich mich nie um die Leute geschert hatte - jetzt aber eben doch! Nele war ganz anders drauf. Sie trug mit freudigem Stolz ein paar abgeschnittene weiße Malerhosen, darunter ein türkisfarbenes T-Shirt der Marke Fruit of the Loom und Flip- Flops, die man früher Zehenlatschen nannte. Sie roch wenigstens besser als ich, denn ihr T-Shirt strömte Pfirsichblüte im Mai aus, auch diesen Duft hatte es im Teeladen gegeben. Der Typ aus dem Teeladen, so staubig er sonst auch war, mit Musik hatte er sich ausgekannt. Da der Pfirsichduft Neles Lieblingsparfum gewesen war, musste sie also glücklich sein, doch es wehten keine Glückshormone, sondern schweißgetränkter Stressgeruch aus ihrer Richtung her. Nele war sichtbar gereizt vom Umkleiden, der Packerei und meiner Widerspenstigkeit.
»Nun hilf mir doch mal!«, schnauzte sie mich böse an und warf die Taschen nur so hin und her.
Wir standen vor meiner Wohnung in Mannheim, das Unglück meiner nächsten Tage parkte aufmüpfig auf dem Gehsteig, ein R4, dessen Rostrot sich schäbig von dem türkis-gelben Sommerambiente abheben würde, in das wir zusammen fahren wollten. Ein Café, der blaue Himmel, die Sonne, die Wölkchen - das hätte ein Urlaub werden können. Rein und wieder raus, und wieder rein und wieder raus. Nele packte die Taschen hin und her, schimpfend und fluchend, weil nicht alles in den Kofferraum passte. Ein R4 ist leider, leider eben doch nicht der Van, mit dem Nele inzwischen vertraut war, weil sie ihn als Dienstauto des Kindergartens fuhr.
»Soll das da alles noch mit?«, fragte ich naiv und deutete angewidert mit dem Fuß auf einen buntgemischten Haufen aus Rucksäcken, Gaskocher, diversen Plastikschüsseln, Blechkochtöpfchen, Zeltbesen, Sonnenschirm und Isomatten.
»Natürlich!«
Über Neles Kopf bildete sich eine dunkle Wolke der Empörung. Klar, für einen Urlaub zu dritt ist ein R4 halt eine Strafe. Und doch ... Ich war unschuldig, ich hatte nichts verbrochen, dass ich mir in diesem Auto meine Nervenbahnen abquetschen sollte. Mir schliefen doch in meinem saugemütlichen Bett Hände und Füße immer wieder ein. Wie sollte mein armer Rücken also die Fahrt nach Italien in dieser Kiste überstehen? Ich war fünfzig und nicht mehr Anfang zwanzig! Angespannt trippelte ich von einem Bein aufs andere und lächelte gequält den Menschen zu, die vorübergingen und neugierig schauten. Sollten sie doch glotzen und uns umringen! Sollten Sie Fotos machen, um sie auf Facebook zu posten, mit der Botschaft »Schräge Omis unterwegs«. Sollten sie twittern und flashmobben, mir war jeder Kessel und jede Bewegung recht, die diese Reise noch aufhalten konnte. Freiwillig und jauchzend würde ich mich in meine schwarzen Businessanzüge stürzen, die ich zwar auch hasste, die mir jetzt aber hundertmal lieber waren als die gefärbten Malerhosen, die ich trug.
»Aua!« Die seitlichen Klemmen meiner Birkenstockschuhe scheuerten schmerzhaft an meinen Knöcheln. Keine Frage, die Dinger wollten warm gelaufen werden. Und meine Füße waren inzwischen seidige Schläppchen und zartes Kalbsleder gewohnt. Breiter waren meine Füße offenbar auch geworden. Wie ein Hefeteig quollen sie über den erhöhten Rand der Sohle, den Birkenstockfans als so wohltuend und gesund empfinden.
»Gab's die nicht größer?«, beschwerte ich mich, aber Nele winkte ab und wollte keine Reklamationen entgegennehmen. Geschäftig machte sie sich hinter dem Lenkrad breit, und es schien sie nicht im Geringsten zu stören, dass der Platz im Wagen nicht nur sehr beschränkt, sondern sicher auch sehr stickig war.
»Und bis wann sollen wir bei Renate sein?«, rief ich ins Auto, dessen Beifahrertür sich partout nicht öffnen lassen wollte.
Nele ging nicht darauf ein, sondern zerrte und hebelte von innen und gab mir in Gebärdensprache Anweisungen, wie und wo ich zupacken sollte, damit die Tür sich endlich bewegte. Lustlos ließ ich die Klinke schnappen.
»Geht nicht!«, signalisierte ich ihr schulterzuckend und protestierte mit meiner Körperhaltung, meinem Blick und allem, was sie mir zum Protest gelassen hatten.
Auch der R4, der »Fuchur« hieß, nach dem Drachen in der Unendlichen Geschichte, war eine einzige Protestaktion: Neben »Atomkraft? Nein danke« und »Atomkraft? Nee bedankt!« klebten »Frauen nehmen Frauen mit«, »Kein Kriegsspielzeug in Kinderhände «, »Baum ab? Nein danke!« und »Frieden schaffen ohne Waffen«. Es war mir ein Rätsel, auf welchem Flohmarkt Anna und Sarah, die Töchter meiner Freundinnen, all diese Aufkleber und Devotionalien der 80er erstanden hatten. Sogar den rosa Aufkleber mit der frechen kleinen Hexe, die auf einem Besen ritt, hatten sie irgendwo ausgegraben. Auf der Fahrerseite des R4 war eine Halterung an den Kotflügel geschweißt, der für die selbstgebatikte Frauenflagge vorgesehen war. »Am besten lasst ihr sie schon ab Mannheim flattern«, hatte uns Renate am Telefon eindringlich eingeschärft. »Das gibt gleich einen guten Kick.« Genau, besonders dann, wenn ich in diesem Wagen von Kollegen oder jemandem aus der Führungsetage gesichtet wurde. »Hallo, Frau äh ... äh ... sind Sie es, oder sind Sie es nicht? Sie arbeiten doch für uns! Talentmanagement, Human Resources, stimmt's?« Nicht auszudenken, wie diese Verkleidung meinem Image schaden konnte!
Wir waren nicht etwa auf dem Weg zu einem hochsommerlichen Karnevalsumzug. Unser alberner Auftritt war dem fröhlichen Geschenk von Anna und Sarah geschuldet, den Töchtern von Nele und Renate, die ich beide von Geburt an kannte. Sosehr ich auch die beiden Mädchen liebte, in diesem Augenblick kam eher Galle hoch, wenn ich an die Gesichtchen dachte.
»Haaalloooo, Trudi! Wie wär's, wenn du mal nicht pennen, sondern ziehen würdest?« Nele klopfte drängelnd gegen das Blech des Wagens. Es sollte endlich losgehen. Renate wartete auf uns und wurde gerne ungeduldig. Typisch Lehrerin: sich selbst auf dem Gang verquatschen, aber kommt ein Schüler zu spät, setzt es was mit der roten Tinte. Ich konnte meinen Klassenbucheintrag kaum erwarten.
»Was soll ich machen, ich komm nicht rein!«, erklärte ich ihr von außen und bewegte mich keinen Strich. Es war unschwer zu erkennen, Nele hatte bereits angefangen zu transpirieren, während sie verzweifelt versuchte, die Tür zu öffnen und den Fahrersitz ein bisschen bequemer einzustellen. Ihre Wangen waren gerötet, und unter den Armen zeigte das T-Shirt erste feuchte Ränder. Zum Glück durften wir Deo benutzen und mussten nicht irgendeine Paste aus Bärlauch in die Achselhöhlen schmieren. Wir brachen nämlich nicht zu einem sanften Urlaub, einer Wellnessreise auf, es handelte sich hier vielmehr um einen Trip in die Vergangenheit. Hallo, 80er, nicht erschrecken, wir sind wieder da!
»Trudi!«
»Himmel, ja!«
Während ich unmotiviert an der Tür zog, versuchte ich mich so zu drehen, dass der Spruch auf der Jutetasche über meiner Schulter nicht erkennbar war. Jute statt Plastik. Welch ein Hohn, wenn man die dunkelgrünen Isomatten sah, die neben den Schlafsäcken im Auto steckten. Aus welchem Material waren die denn wohl? An meinem Schlafsack baumelte immerhin das Prädikatszeichen Echte Daunen. Aber echte Daunen aus den 80ern waren bei weiterem Nachdenken doch wieder bedenklich, stellte man sich die Massen an Filzläusen, Milben und Ungeziefer vor, die über die Jahrzehnte in den Federn ungestört Familiendynastien gegründet hatten. Im Stillen beschloss ich, die uns aufgezwungenen 80er-Jahre-Regeln, sooft es ging, zu brechen. Überhaupt, das waren doch die wahren 80er! Dagegen sein und Opposition sein, alles verweigern, wozu man von der Gesellschaft gezwungen wurde - und wenn die Gesellschaft auch nur aus den beiden besten Freundinnen bestand. Demonstrativ griff ich in die Hosentasche und zerknüllte mit verschwitzten Fingern den Zettel mit Regeln, den Anna und Sarah uns mitgegeben hatten. Allein diese Vorschriften machten diese Reise zu meinem persönlichen Alptraum:
Eure Regeln:
Kein Handy!
Kein Computer!
Kein Navi!
Keine Kosmetik
Nur Klamotten von damals
Keine Schecks, Karten, heimliche Karten
Keine Hotels, Pensionen, Gästezimmer
Essen, was ihr als Vorrat dabei habt
Keine Täschchen, sondern Beutel
Kontakt nach Hause nur über Telefonzellen!
Viel Spaß!
Kein, kein, kein. Alle geselligen und freudvollen Buchstaben waren den Mädels offensichtlich aus dem Alphabet gefallen.
Zumindest durften wir abends Rotwein trinken, wenn unsere Kasse das denn erlaubte. Die hatten sie uns auch schon abgezählt. Irgendwas von fünfundzwanzig Euro pro Tag hatte Nele mir zugenuschelt, weil wir früher immer mit fünfzig Mark pro Tag ausgekommen waren. Zu DRITT! Dabei durfte ich im Grunde gar nicht entrüstet motzen, denn schließlich war es meine Schuld, dass wir diesen schrottigen R4 beluden. Beim letzten Weihnachtsfest hatte ich naiv und angeschickert diese unheilvolle Geschichte angestoßen. Wie bei einem Trauma stiegen die Bilder jetzt in mir hoch, so dass ich erschöpft meine Hände sinken ließ und dem gespenstischen Spektakel in meinem Inneren folgte.
Wie jedes Jahr hatten wir auch im letzten Weihnachten zusammen gefeiert. Nele, Renate und ich, zusammen mit Kindern und Familien. Schön war es gewesen. Der Baum, die Kerzen und der Tisch voll mit allem, was ganz schnell auf all die Hüften will. Als ich mein Geschenk von Anna auspackte, konnte mich nichts mehr halten, denn Tannenbaum-Sentimentalität, Sekt, Rotwein und zu viele Schnäpse hatten mich übermütig gemacht. Ihr Geschenk, ein wunderschönes Tagebuch, erinnerte mich an die hundert anderen Tagebücher, die ich in meiner Jugend vollgeschrieben hatte. Natürlich hatte ich alle aufbewahrt. Still ruhten sie mit ihren Geschichten in einer Holzkiste, und ich hatte sie seit Jahren nicht mehr aufgeschlagen. Aber alle am Tisch wussten von den Büchern, denn in ihnen war die gesamte Freundschaftsgeschichte dokumentiert und mit Fotos und Bleistiftzeichnungen zusätzlich geschmückt. Jahr für Jahr konnte man sich durch die einzelnen Phasen unseres Lebens lesen, den Lieben, den Trennungen. Eintragungen, die von Umzügen, Neuanfängen erzählten, Schwangerschaften, Geburten, dass Anna als Kind am liebsten Frischkäse gegessen hatte und dass Sarah bei der Einschulung krank geworden war. Die Bücher waren das Archiv unserer Freundinnen- Wahlfamilie.
»Ich zeig euch was!«, hörte ich mich jetzt noch sagen und stöhnte dabei leise auf. Im Sektdämmer hatte ich nämlich gesucht, und schließlich holte ich die alte Holzkiste hervor, klappte sie auf und: »Da sind sie ja! Schaut mal, das ist das Tagebuch von 1981, als ich mit euren Müttern Urlaub machte! Südfrankreich, wir drei unterwegs in einer roten Sardinenbüchse. Schaut nur mal, der klapprige R4! Das Motorenlämpchen stand permanent auf Rot.« Alte Fotos flogen zusammen mit Bleistiftzeichnungen und gepressten Blumen aus dem Buch. »Himmel, und all diese politischen Statements auf dem Wagen! Wer sich nicht wehrt, der lebt verkehrt! Frauen nehmen Frauen mit ... und da«, ich brüllte fast vor Lachen. »Da seht ihr, wie alt die Kiste war ...«, mein Finger tippte amüsiert auf ein Foto, das Nele überhitzt im Wagen zeigte.
© Copyright: 2013 by Ullstein Buchverlage GmbH, Berlin.
Unliebsame Erinnerungen stiegen in mir auf. Schließlich kannten Nele und Renate die Erfahrung meiner Jugendtage, und ich fragte mich, wer von den beiden auf die gehässige Schnapsidee gekommen war, mich in dieses Shirt zu pressen. Sicher Renate, der traute ich den Stinkbombenscherz am ehesten zu. Nele war zu gutmütig und würde so etwas Fieses niemals machen, entschied ich und wedelte mit flacher Hand den Duft vor meiner Nase weg. Quelle odeur! Außerdem wusste Nele, dass mit einundzwanzig mein absoluter Lieblingsduft Cylan gewesen war, eine schwere, süßlich-herbe Mischung aus dem Teeladen, die in einem kleinen Fläschchen mit schwarzem Schraubverschluss angeboten wurde. Knapp vier Mark kostete so ein Fläschchen damals. Seitdem habe ich nie wieder so günstig Parfum erstanden. Auch Patschuli hatte der blasse Teemensch in seinem Sortiment, aber gekauft hätte ich das Zeug mit zwanzig nie, weil es in besseren Ökokreisen als »indisches Nuttendiesel« verschrien war. Kein Mensch roch damals nach dem Kifferparfum, zumindest keiner, der in den politischen und alternativen Kreisen etwas gelten wollte und der feministisch-alternativ-konzeptionell auf dem Laufenden war.
So war das zumindest in Landau gewesen, das in der pfälzischen Pampa lag, wo wir zusammen aufgewachsen waren, Renate, Nele und ich. Mit Beginn der diversen Schwangerschaften rund um '83 hatten wir Landau dann aber hinter uns gelassen, um anderswo unser Glück zu finden. Bis dahin lebten Renate, Nele und ich in einer WG, rochen nach Sauerteig, selbstgerührtem Käse, Apfelshampoo, Karottencreme, Ziegenmilch und eben nach Cylan. Alles Lebensumstände, die ich längst hinter mir gelassen hatte und die nun, mit einem Mal, wie Vampire aus dem Sarg stiegen.
Wie ein Retro-Tannenbaum sah ich aus, mit einem einzelnen Blechohrring im Ohr, weil man Ohrringe damals nur einzeln trug. Grauenhaft! Mein Teil bestand aus einer kleinen bunten Perlenreihe, an der am unteren Ende eine Friedenstaube hing, die, wie es sich gehörte, eine weiße Feder im Schnabel trug. Alternatives Kunsthandwerk vom Feinsten! Und dann diese Latzhose, natürlich in Lila. Wie eine Kuh sah ich darin aus. Ich zog den Kopf zwischen die Schultern und duckte mich zum Wagen hin. Nicht auszudenken, was die Leute dachten, die mich in dieser Maskerade sahen, obwohl ich mich nie um die Leute geschert hatte - jetzt aber eben doch! Nele war ganz anders drauf. Sie trug mit freudigem Stolz ein paar abgeschnittene weiße Malerhosen, darunter ein türkisfarbenes T-Shirt der Marke Fruit of the Loom und Flip- Flops, die man früher Zehenlatschen nannte. Sie roch wenigstens besser als ich, denn ihr T-Shirt strömte Pfirsichblüte im Mai aus, auch diesen Duft hatte es im Teeladen gegeben. Der Typ aus dem Teeladen, so staubig er sonst auch war, mit Musik hatte er sich ausgekannt. Da der Pfirsichduft Neles Lieblingsparfum gewesen war, musste sie also glücklich sein, doch es wehten keine Glückshormone, sondern schweißgetränkter Stressgeruch aus ihrer Richtung her. Nele war sichtbar gereizt vom Umkleiden, der Packerei und meiner Widerspenstigkeit.
»Nun hilf mir doch mal!«, schnauzte sie mich böse an und warf die Taschen nur so hin und her.
Wir standen vor meiner Wohnung in Mannheim, das Unglück meiner nächsten Tage parkte aufmüpfig auf dem Gehsteig, ein R4, dessen Rostrot sich schäbig von dem türkis-gelben Sommerambiente abheben würde, in das wir zusammen fahren wollten. Ein Café, der blaue Himmel, die Sonne, die Wölkchen - das hätte ein Urlaub werden können. Rein und wieder raus, und wieder rein und wieder raus. Nele packte die Taschen hin und her, schimpfend und fluchend, weil nicht alles in den Kofferraum passte. Ein R4 ist leider, leider eben doch nicht der Van, mit dem Nele inzwischen vertraut war, weil sie ihn als Dienstauto des Kindergartens fuhr.
»Soll das da alles noch mit?«, fragte ich naiv und deutete angewidert mit dem Fuß auf einen buntgemischten Haufen aus Rucksäcken, Gaskocher, diversen Plastikschüsseln, Blechkochtöpfchen, Zeltbesen, Sonnenschirm und Isomatten.
»Natürlich!«
Über Neles Kopf bildete sich eine dunkle Wolke der Empörung. Klar, für einen Urlaub zu dritt ist ein R4 halt eine Strafe. Und doch ... Ich war unschuldig, ich hatte nichts verbrochen, dass ich mir in diesem Auto meine Nervenbahnen abquetschen sollte. Mir schliefen doch in meinem saugemütlichen Bett Hände und Füße immer wieder ein. Wie sollte mein armer Rücken also die Fahrt nach Italien in dieser Kiste überstehen? Ich war fünfzig und nicht mehr Anfang zwanzig! Angespannt trippelte ich von einem Bein aufs andere und lächelte gequält den Menschen zu, die vorübergingen und neugierig schauten. Sollten sie doch glotzen und uns umringen! Sollten Sie Fotos machen, um sie auf Facebook zu posten, mit der Botschaft »Schräge Omis unterwegs«. Sollten sie twittern und flashmobben, mir war jeder Kessel und jede Bewegung recht, die diese Reise noch aufhalten konnte. Freiwillig und jauchzend würde ich mich in meine schwarzen Businessanzüge stürzen, die ich zwar auch hasste, die mir jetzt aber hundertmal lieber waren als die gefärbten Malerhosen, die ich trug.
»Aua!« Die seitlichen Klemmen meiner Birkenstockschuhe scheuerten schmerzhaft an meinen Knöcheln. Keine Frage, die Dinger wollten warm gelaufen werden. Und meine Füße waren inzwischen seidige Schläppchen und zartes Kalbsleder gewohnt. Breiter waren meine Füße offenbar auch geworden. Wie ein Hefeteig quollen sie über den erhöhten Rand der Sohle, den Birkenstockfans als so wohltuend und gesund empfinden.
»Gab's die nicht größer?«, beschwerte ich mich, aber Nele winkte ab und wollte keine Reklamationen entgegennehmen. Geschäftig machte sie sich hinter dem Lenkrad breit, und es schien sie nicht im Geringsten zu stören, dass der Platz im Wagen nicht nur sehr beschränkt, sondern sicher auch sehr stickig war.
»Und bis wann sollen wir bei Renate sein?«, rief ich ins Auto, dessen Beifahrertür sich partout nicht öffnen lassen wollte.
Nele ging nicht darauf ein, sondern zerrte und hebelte von innen und gab mir in Gebärdensprache Anweisungen, wie und wo ich zupacken sollte, damit die Tür sich endlich bewegte. Lustlos ließ ich die Klinke schnappen.
»Geht nicht!«, signalisierte ich ihr schulterzuckend und protestierte mit meiner Körperhaltung, meinem Blick und allem, was sie mir zum Protest gelassen hatten.
Auch der R4, der »Fuchur« hieß, nach dem Drachen in der Unendlichen Geschichte, war eine einzige Protestaktion: Neben »Atomkraft? Nein danke« und »Atomkraft? Nee bedankt!« klebten »Frauen nehmen Frauen mit«, »Kein Kriegsspielzeug in Kinderhände «, »Baum ab? Nein danke!« und »Frieden schaffen ohne Waffen«. Es war mir ein Rätsel, auf welchem Flohmarkt Anna und Sarah, die Töchter meiner Freundinnen, all diese Aufkleber und Devotionalien der 80er erstanden hatten. Sogar den rosa Aufkleber mit der frechen kleinen Hexe, die auf einem Besen ritt, hatten sie irgendwo ausgegraben. Auf der Fahrerseite des R4 war eine Halterung an den Kotflügel geschweißt, der für die selbstgebatikte Frauenflagge vorgesehen war. »Am besten lasst ihr sie schon ab Mannheim flattern«, hatte uns Renate am Telefon eindringlich eingeschärft. »Das gibt gleich einen guten Kick.« Genau, besonders dann, wenn ich in diesem Wagen von Kollegen oder jemandem aus der Führungsetage gesichtet wurde. »Hallo, Frau äh ... äh ... sind Sie es, oder sind Sie es nicht? Sie arbeiten doch für uns! Talentmanagement, Human Resources, stimmt's?« Nicht auszudenken, wie diese Verkleidung meinem Image schaden konnte!
Wir waren nicht etwa auf dem Weg zu einem hochsommerlichen Karnevalsumzug. Unser alberner Auftritt war dem fröhlichen Geschenk von Anna und Sarah geschuldet, den Töchtern von Nele und Renate, die ich beide von Geburt an kannte. Sosehr ich auch die beiden Mädchen liebte, in diesem Augenblick kam eher Galle hoch, wenn ich an die Gesichtchen dachte.
»Haaalloooo, Trudi! Wie wär's, wenn du mal nicht pennen, sondern ziehen würdest?« Nele klopfte drängelnd gegen das Blech des Wagens. Es sollte endlich losgehen. Renate wartete auf uns und wurde gerne ungeduldig. Typisch Lehrerin: sich selbst auf dem Gang verquatschen, aber kommt ein Schüler zu spät, setzt es was mit der roten Tinte. Ich konnte meinen Klassenbucheintrag kaum erwarten.
»Was soll ich machen, ich komm nicht rein!«, erklärte ich ihr von außen und bewegte mich keinen Strich. Es war unschwer zu erkennen, Nele hatte bereits angefangen zu transpirieren, während sie verzweifelt versuchte, die Tür zu öffnen und den Fahrersitz ein bisschen bequemer einzustellen. Ihre Wangen waren gerötet, und unter den Armen zeigte das T-Shirt erste feuchte Ränder. Zum Glück durften wir Deo benutzen und mussten nicht irgendeine Paste aus Bärlauch in die Achselhöhlen schmieren. Wir brachen nämlich nicht zu einem sanften Urlaub, einer Wellnessreise auf, es handelte sich hier vielmehr um einen Trip in die Vergangenheit. Hallo, 80er, nicht erschrecken, wir sind wieder da!
»Trudi!«
»Himmel, ja!«
Während ich unmotiviert an der Tür zog, versuchte ich mich so zu drehen, dass der Spruch auf der Jutetasche über meiner Schulter nicht erkennbar war. Jute statt Plastik. Welch ein Hohn, wenn man die dunkelgrünen Isomatten sah, die neben den Schlafsäcken im Auto steckten. Aus welchem Material waren die denn wohl? An meinem Schlafsack baumelte immerhin das Prädikatszeichen Echte Daunen. Aber echte Daunen aus den 80ern waren bei weiterem Nachdenken doch wieder bedenklich, stellte man sich die Massen an Filzläusen, Milben und Ungeziefer vor, die über die Jahrzehnte in den Federn ungestört Familiendynastien gegründet hatten. Im Stillen beschloss ich, die uns aufgezwungenen 80er-Jahre-Regeln, sooft es ging, zu brechen. Überhaupt, das waren doch die wahren 80er! Dagegen sein und Opposition sein, alles verweigern, wozu man von der Gesellschaft gezwungen wurde - und wenn die Gesellschaft auch nur aus den beiden besten Freundinnen bestand. Demonstrativ griff ich in die Hosentasche und zerknüllte mit verschwitzten Fingern den Zettel mit Regeln, den Anna und Sarah uns mitgegeben hatten. Allein diese Vorschriften machten diese Reise zu meinem persönlichen Alptraum:
Eure Regeln:
Kein Handy!
Kein Computer!
Kein Navi!
Keine Kosmetik
Nur Klamotten von damals
Keine Schecks, Karten, heimliche Karten
Keine Hotels, Pensionen, Gästezimmer
Essen, was ihr als Vorrat dabei habt
Keine Täschchen, sondern Beutel
Kontakt nach Hause nur über Telefonzellen!
Viel Spaß!
Kein, kein, kein. Alle geselligen und freudvollen Buchstaben waren den Mädels offensichtlich aus dem Alphabet gefallen.
Zumindest durften wir abends Rotwein trinken, wenn unsere Kasse das denn erlaubte. Die hatten sie uns auch schon abgezählt. Irgendwas von fünfundzwanzig Euro pro Tag hatte Nele mir zugenuschelt, weil wir früher immer mit fünfzig Mark pro Tag ausgekommen waren. Zu DRITT! Dabei durfte ich im Grunde gar nicht entrüstet motzen, denn schließlich war es meine Schuld, dass wir diesen schrottigen R4 beluden. Beim letzten Weihnachtsfest hatte ich naiv und angeschickert diese unheilvolle Geschichte angestoßen. Wie bei einem Trauma stiegen die Bilder jetzt in mir hoch, so dass ich erschöpft meine Hände sinken ließ und dem gespenstischen Spektakel in meinem Inneren folgte.
Wie jedes Jahr hatten wir auch im letzten Weihnachten zusammen gefeiert. Nele, Renate und ich, zusammen mit Kindern und Familien. Schön war es gewesen. Der Baum, die Kerzen und der Tisch voll mit allem, was ganz schnell auf all die Hüften will. Als ich mein Geschenk von Anna auspackte, konnte mich nichts mehr halten, denn Tannenbaum-Sentimentalität, Sekt, Rotwein und zu viele Schnäpse hatten mich übermütig gemacht. Ihr Geschenk, ein wunderschönes Tagebuch, erinnerte mich an die hundert anderen Tagebücher, die ich in meiner Jugend vollgeschrieben hatte. Natürlich hatte ich alle aufbewahrt. Still ruhten sie mit ihren Geschichten in einer Holzkiste, und ich hatte sie seit Jahren nicht mehr aufgeschlagen. Aber alle am Tisch wussten von den Büchern, denn in ihnen war die gesamte Freundschaftsgeschichte dokumentiert und mit Fotos und Bleistiftzeichnungen zusätzlich geschmückt. Jahr für Jahr konnte man sich durch die einzelnen Phasen unseres Lebens lesen, den Lieben, den Trennungen. Eintragungen, die von Umzügen, Neuanfängen erzählten, Schwangerschaften, Geburten, dass Anna als Kind am liebsten Frischkäse gegessen hatte und dass Sarah bei der Einschulung krank geworden war. Die Bücher waren das Archiv unserer Freundinnen- Wahlfamilie.
»Ich zeig euch was!«, hörte ich mich jetzt noch sagen und stöhnte dabei leise auf. Im Sektdämmer hatte ich nämlich gesucht, und schließlich holte ich die alte Holzkiste hervor, klappte sie auf und: »Da sind sie ja! Schaut mal, das ist das Tagebuch von 1981, als ich mit euren Müttern Urlaub machte! Südfrankreich, wir drei unterwegs in einer roten Sardinenbüchse. Schaut nur mal, der klapprige R4! Das Motorenlämpchen stand permanent auf Rot.« Alte Fotos flogen zusammen mit Bleistiftzeichnungen und gepressten Blumen aus dem Buch. »Himmel, und all diese politischen Statements auf dem Wagen! Wer sich nicht wehrt, der lebt verkehrt! Frauen nehmen Frauen mit ... und da«, ich brüllte fast vor Lachen. »Da seht ihr, wie alt die Kiste war ...«, mein Finger tippte amüsiert auf ein Foto, das Nele überhitzt im Wagen zeigte.
© Copyright: 2013 by Ullstein Buchverlage GmbH, Berlin.
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Autoren-Porträt von Christine Weiner
Christine Weiner, geboren 1960, Ausbildung zur Heilpädagogin, später BWL-Studium und noch später Volontariat und Tätigkeit als Rundfunk- und Fernsehredakteurin. Master in Management für Gesundheits- und Sozialeinrichtungen. Sie arbeitet als Rednerin, Autorin, systemische Beraterin und Coach und lebt in Mannheim. Zahlreiche Publikationen.
Autoren-Interview mit Christine Weiner
Renate, Nele und Trudi kennen sich seit der Jugend. Auch Sie haben zwei enge, beste Freundinnen. Wie kam Ihnen die Idee zu Ihrem Roman? Christine Weiner: Ich bin mit meinen Freundinnen tatsächlich 1981 nach Frankreich gereist und die eine, die in Wirklichkeit Annette heißt, war dann etwas später in der italienischen Kooperative. Wir fanden das megacool, obwohl es ja damals das Wort noch gar nicht gab. Also es war stark, bzw. bock- oder saustark. Wie im Buch feiern wir immer Weihnachten zusammen, und die Kiste mit den Tagebüchern gibt es auch. Ich stellte mir also vor, wie es wäre, wenn wir nochmal so „wie damals" reisen würden und bin dem Himmel dankbar, dass ich nur im Roman wieder auf Isomatten schlafen muss.
Was bedeutet für Sie Freundschaft?
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Christine Weiner: Freundschaft ist Familie. Ich habe keine Kinder und habe dennoch welche, denn die Kinder meiner Freundinnen sind meine Wahl-Nichten und Wahl-Neffen geworden. Ich war bei den Geburten der Mädchen dabei (weil ich mit 20 Hebamme werden wollte) und bin ihre „Tante". Übrigens bestehe ich auch darauf, so gerufen zu werden, denn ich finde, es gibt viel zu wenige Tanten heutzutage. Sie wissen schon, die, die 20 Euro zustecken und dafür schmatzende Küsse kassieren. Meine Freundinnen und ich, wir sind Komplizinnen, Verbündete, auch wenn es in den fast 50 Jahren Freundschaft zwischen uns Zerwürfnisse und lange Pausen gab. Eine lange Trennung von Annette ist nun etwa 7 Jahre her. Das Schweigen zwischen uns war damals unglaublich schrecklich. Ich habe damals ein Ratgeber Buch verfasst „Blöde Kuh - über den Bruch in der Frauenfreundschaft". Darin heißt Annette auch Renate. Den Namen „Renate" hatte ihr in unseren Jugendtagen mein Vater verpasst, ich wusste, sollte Annette das Buch je in die Hände bekommen, dann würde sie sofort wissen, dass sie gemeint war. So kam es dann auch. Das Buch fand Annette über ihre Eltern, die es ganz schrecklich fanden „... dass die Mädchen nicht mehr zusammen sind".
Die erste Reise nach Frankreich 1981 haben Sie mit ihren beiden Freundinnen tatsächlich so wie im Roman beschrieben gemacht. Wie war es für Sie, die zweite, fiktive Reise in Gedanken zu durchleben?
Christine Weiner: Na ja, bei der ersten Reise bekamen wir noch Connys jüngere Schwester mit ins Gepäck, wir waren also zu viert in unserem Fuchur unterwegs. Wir waren vollgepackt bis unters Dach, und die schrecklichste Erinnerung ist eine Steige überreifer Honigmelonen, die Annette für uns billig erstand und die uns das ganze Auto geruchsmäßig verklebte. Und das, ob wohl eigentlich nur sie Honigmelonen mag. Aber die waren halt so billig ;-) Die Romanreise war sehr spannend, besonders deswegen, weil ich ja durch das Schreiben ständig mit beiden in Kontakt war. Wenn dann abends eine von beiden anrief, dann dachte ich: Was ist denn jetzt schon wieder! Dabei hatten wir uns eigentlich ein paar Tage nicht gesprochen. Ich konnte uns in dem Zelt förmlich fühlen, musste lachen und auch weinen, verstand Annette und ihr Lachen, liebte Conny einmal mehr für ihre praktische Natur und fand die Nacht in den Schweizer Bergen grandios. Als ich vor wenigen Tagen mit beiden zusammen war, da empfand ich unsere Zeit so natürlich und harmonisch, als wenn wären wir wirklich aus einem gemeinsamen Urlaub gekommen. Der Höhepunkt war dann das Cosy-Konzert (Crosby, Stils & Nash), das wir an meinem Geburtstag in Mannheim besuchten. Conny flüsterte mir ins Ohr „Die Akustik ist schlecht, oder?" und nickte glücklich. „Ja, aber wir werden es Annette nicht sagen!"
Ein wichtiges Thema im Buch ist auch das der Entschleunigung: Wie gehen wir damit um, ohne Handy, Internet zu leben? Könnten Sie sich vorstellen, auf Ihr Smartphone und Ihren Laptop zu verzichten?
Christine Weiner: Ja, das war ein Genuss in dem Buch und ich erschrak selber über mich, als die Trudi an einer Stelle denkt, „Wenn ich mal heirate, dann sollte dazu die Musik von Windows spielen und zwar dann, wenn der Computer hochfährt." In der ersten Fassung hatte ich sogar an Begräbnis und symbolisch, wenn der Computer runterfährt gedacht, das war mir dann aber doch zu orakelhaft gewesen. Mir wurde beim Schreiben klar, dass es die mangelnde Technik und das fehlende Geld sind, die drei zueinander brachte. Wenn man ständig smst und mailt, dann ist die Gefahr groß, permanent über andere zu reden. (Weißt du, wer geschrieben, wann was gesagt hat.) Auch Facebook finde ich eigentlich eine Qual, obwohl ich jetzt eine Seite aufmachen möchte, auf welche die Leserinnen ihre Geschichten schreiben können, denn immer wenn ich von dem Buch erzähle, fangen die die Menschen sofort mit ihren Geschichten an. Da braucht es eigentlich nur das Wort R4. Irgendwie sitzen schon jetzt nicht mehr 3 Frauen im R4, sondern 3000.
Im Alltag merke ich, dass ich mit der Technik bewusster umgehe. Manche Menschen antworten nicht mehr auf Mails, weil sie einfach überfordert sind. Der gute alte Anruf tut dann gut und zwar der mit einem Telefon mit Schnur, denn mobile Telefone, Smartphones sind zwar grandios, aber die Verbindung so oft grottenmäßig. Der Hörgenuss ist verloren gegangen. Anrufe aus dem Auto finde ich so oder so ganz schrecklich... aber das ist eine andere Geschichte.
Gibt es eine Vision?
Christine Weiner: Ich glaube nicht, dass Annette, Conny und ich in eine Alters-WG passen, es sei denn, es sind genügend Küchenmesser da, und in dem Fall wäre es mit der WG ganz schnell vorbei. Je länger wir uns kennen, desto fürsorglicher und nachsichtiger werden wir miteinander. Wir lassen uns gegenseitig Raum, die Persönlichkeiten dürfen sich zeigen, verändern, weiter wachsen und auch Fragezeichen haben. Es ist ein stilles sich aufeinander verlassen, und wir wissen, dass unter diesem Mantel auch unsere Familien, die alten Eltern, die Kinder, die Partner und andere Freunde wohlbehütet sind. Dass wir uns haben, macht uns dankbar, aber wir wissen auch, Freundschaft ist ein Geschenk, das man sich selbst machen muss, denn Freundschaften sind wie Beziehungen, du bekommst das zurück, was du hinein gibst. Wenn du dich selbst liebst und dir selbst verzeihst, dann kannst du auch deine Freundin lieben und ihr verzeihen. In Krisen fordern dich Freundschaften auf, nicht aufzugeben und immer wieder den eigenen Schatten zu überspringen und das genau so lange, bis die Freundschaft wieder fließt und das Lachen wieder klingt. Und das kommt wieder. Versprochen!
Christine Weiner: Freundschaft ist Familie. Ich habe keine Kinder und habe dennoch welche, denn die Kinder meiner Freundinnen sind meine Wahl-Nichten und Wahl-Neffen geworden. Ich war bei den Geburten der Mädchen dabei (weil ich mit 20 Hebamme werden wollte) und bin ihre „Tante". Übrigens bestehe ich auch darauf, so gerufen zu werden, denn ich finde, es gibt viel zu wenige Tanten heutzutage. Sie wissen schon, die, die 20 Euro zustecken und dafür schmatzende Küsse kassieren. Meine Freundinnen und ich, wir sind Komplizinnen, Verbündete, auch wenn es in den fast 50 Jahren Freundschaft zwischen uns Zerwürfnisse und lange Pausen gab. Eine lange Trennung von Annette ist nun etwa 7 Jahre her. Das Schweigen zwischen uns war damals unglaublich schrecklich. Ich habe damals ein Ratgeber Buch verfasst „Blöde Kuh - über den Bruch in der Frauenfreundschaft". Darin heißt Annette auch Renate. Den Namen „Renate" hatte ihr in unseren Jugendtagen mein Vater verpasst, ich wusste, sollte Annette das Buch je in die Hände bekommen, dann würde sie sofort wissen, dass sie gemeint war. So kam es dann auch. Das Buch fand Annette über ihre Eltern, die es ganz schrecklich fanden „... dass die Mädchen nicht mehr zusammen sind".
Die erste Reise nach Frankreich 1981 haben Sie mit ihren beiden Freundinnen tatsächlich so wie im Roman beschrieben gemacht. Wie war es für Sie, die zweite, fiktive Reise in Gedanken zu durchleben?
Christine Weiner: Na ja, bei der ersten Reise bekamen wir noch Connys jüngere Schwester mit ins Gepäck, wir waren also zu viert in unserem Fuchur unterwegs. Wir waren vollgepackt bis unters Dach, und die schrecklichste Erinnerung ist eine Steige überreifer Honigmelonen, die Annette für uns billig erstand und die uns das ganze Auto geruchsmäßig verklebte. Und das, ob wohl eigentlich nur sie Honigmelonen mag. Aber die waren halt so billig ;-) Die Romanreise war sehr spannend, besonders deswegen, weil ich ja durch das Schreiben ständig mit beiden in Kontakt war. Wenn dann abends eine von beiden anrief, dann dachte ich: Was ist denn jetzt schon wieder! Dabei hatten wir uns eigentlich ein paar Tage nicht gesprochen. Ich konnte uns in dem Zelt förmlich fühlen, musste lachen und auch weinen, verstand Annette und ihr Lachen, liebte Conny einmal mehr für ihre praktische Natur und fand die Nacht in den Schweizer Bergen grandios. Als ich vor wenigen Tagen mit beiden zusammen war, da empfand ich unsere Zeit so natürlich und harmonisch, als wenn wären wir wirklich aus einem gemeinsamen Urlaub gekommen. Der Höhepunkt war dann das Cosy-Konzert (Crosby, Stils & Nash), das wir an meinem Geburtstag in Mannheim besuchten. Conny flüsterte mir ins Ohr „Die Akustik ist schlecht, oder?" und nickte glücklich. „Ja, aber wir werden es Annette nicht sagen!"
Ein wichtiges Thema im Buch ist auch das der Entschleunigung: Wie gehen wir damit um, ohne Handy, Internet zu leben? Könnten Sie sich vorstellen, auf Ihr Smartphone und Ihren Laptop zu verzichten?
Christine Weiner: Ja, das war ein Genuss in dem Buch und ich erschrak selber über mich, als die Trudi an einer Stelle denkt, „Wenn ich mal heirate, dann sollte dazu die Musik von Windows spielen und zwar dann, wenn der Computer hochfährt." In der ersten Fassung hatte ich sogar an Begräbnis und symbolisch, wenn der Computer runterfährt gedacht, das war mir dann aber doch zu orakelhaft gewesen. Mir wurde beim Schreiben klar, dass es die mangelnde Technik und das fehlende Geld sind, die drei zueinander brachte. Wenn man ständig smst und mailt, dann ist die Gefahr groß, permanent über andere zu reden. (Weißt du, wer geschrieben, wann was gesagt hat.) Auch Facebook finde ich eigentlich eine Qual, obwohl ich jetzt eine Seite aufmachen möchte, auf welche die Leserinnen ihre Geschichten schreiben können, denn immer wenn ich von dem Buch erzähle, fangen die die Menschen sofort mit ihren Geschichten an. Da braucht es eigentlich nur das Wort R4. Irgendwie sitzen schon jetzt nicht mehr 3 Frauen im R4, sondern 3000.
Im Alltag merke ich, dass ich mit der Technik bewusster umgehe. Manche Menschen antworten nicht mehr auf Mails, weil sie einfach überfordert sind. Der gute alte Anruf tut dann gut und zwar der mit einem Telefon mit Schnur, denn mobile Telefone, Smartphones sind zwar grandios, aber die Verbindung so oft grottenmäßig. Der Hörgenuss ist verloren gegangen. Anrufe aus dem Auto finde ich so oder so ganz schrecklich... aber das ist eine andere Geschichte.
Gibt es eine Vision?
Christine Weiner: Ich glaube nicht, dass Annette, Conny und ich in eine Alters-WG passen, es sei denn, es sind genügend Küchenmesser da, und in dem Fall wäre es mit der WG ganz schnell vorbei. Je länger wir uns kennen, desto fürsorglicher und nachsichtiger werden wir miteinander. Wir lassen uns gegenseitig Raum, die Persönlichkeiten dürfen sich zeigen, verändern, weiter wachsen und auch Fragezeichen haben. Es ist ein stilles sich aufeinander verlassen, und wir wissen, dass unter diesem Mantel auch unsere Familien, die alten Eltern, die Kinder, die Partner und andere Freunde wohlbehütet sind. Dass wir uns haben, macht uns dankbar, aber wir wissen auch, Freundschaft ist ein Geschenk, das man sich selbst machen muss, denn Freundschaften sind wie Beziehungen, du bekommst das zurück, was du hinein gibst. Wenn du dich selbst liebst und dir selbst verzeihst, dann kannst du auch deine Freundin lieben und ihr verzeihen. In Krisen fordern dich Freundschaften auf, nicht aufzugeben und immer wieder den eigenen Schatten zu überspringen und das genau so lange, bis die Freundschaft wieder fließt und das Lachen wieder klingt. Und das kommt wieder. Versprochen!
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Bibliographische Angaben
- Autor: Christine Weiner
- 2013, 288 Seiten, Maße: 13,6 x 20,5 cm, Gebunden, Deutsch
- Verlag: MARION VON SCHRÖDER
- ISBN-10: 3547711940
- ISBN-13: 9783547711943
- Erscheinungsdatum: 09.08.2013
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