Weiße Finsternis
Captain Oates, tragischer Held der Antarktis, ist seit fast einem Jahrhundert tot. Doch für die 15-jährige Symone lebt er weiter: Am Tag, als ihr Vater starb, tauchte Captain Oates bei ihr auf und ist seither der Mann in ihrem Kopf: Er ist Ratgeber,...
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Produktinformationen zu „Weiße Finsternis “
Captain Oates, tragischer Held der Antarktis, ist seit fast einem Jahrhundert tot. Doch für die 15-jährige Symone lebt er weiter: Am Tag, als ihr Vater starb, tauchte Captain Oates bei ihr auf und ist seither der Mann in ihrem Kopf: Er ist Ratgeber, Vertrauter, Tröster. Als ihr Onkel sie mit auf eine Forschungsexpedition in die Antarktis nimmt, ist Symone begeistert. Sie ahnt nicht, dass er einen wahnwitzigen Plan verfolgt. Die Wanderung durchs ewige Eis entwickelt sich bald zu einem Albtraum. Für Symone aber wird ihr eingebildeter Freund zur lebensrettenden Kraft, die sie aus der weißen Hölle befreit. Ein mitreißender Roman über die Kraft der Imagination. Ab 12 Jahren.
Captain Oates, tragischer Held der Antarktis, ist seit fast einem Jahrhundert tot. Doch f die 15jrige Symone lebt er weiter: Am Tag, als ihr Vater starb, tauchte Captain Oates bei ihr auf und ist seither der Mann in ihrem Kopf - er ist Ratgeber, Vertrauter, Trter. Als ihr Onkel sie mit auf eine Forschungsexpedition in die Antarktis nimmt, ist Symone begeistert. Sie ahnt nicht, dass er einen wahnwitzigen Plan verfolgt, f den er er Leichen geht. Die Wanderung durchs ewige Eis entwickelt sich bald zu einem Albtraum, den der Onkel nicht erlebt. F Symone aber wird ihr imaginierter Freund zur lebensrettenden Kraft, die sie aus der wein Hle befreit.
Ein mitreinder Antarktis-Roman und eine herausragende Geschichte er die Kraft der Imagination.
Ein mitreinder Antarktis-Roman und eine herausragende Geschichte er die Kraft der Imagination.
Lese-Probe zu „Weiße Finsternis “
Ich bin schon eine ganze Weile in Titus Oates verliebt - was nat rlich albern ist, denn er ist seit neunzig Jahren tot. Aber sieh es mal so: In neunzig Jahren werde ich auch tot sein und dann spielt der Altersunterschied keine Rolle mehr.Au erdem, in meinem Kopf lebt er. Wir unterhalten uns ber alles M gliche. Angefangen von der Frage, ob sich die Haarfarbe schlagartig ndern kann, oder dar ber, was besser ist, Freunde oder Familie, bis hin zu dem Problem, in welchem Alter man am besten heiraten sollte: mit 14 oder mit 125. Meistens wei er mehr als ich, aber was dieses spezielle Thema angeht, sind wir auf dem gleichen Stand. Er war auch nicht verheiratet - wenigstens damals nicht, als er starb - was seine Chancen rapide verschlechtert haben d rfte.
Onkel Victor sagt, ich sollte gar nicht heiraten. Onkel Victor kennt sich damit aus, und er sagt' heiraten ist ein "bourgeoises berbleibsel aus der gef hlsduseligen viktorianischen Zeit". Das gef llt mir. Ohnehin k nnte niemand Titus das Wasser reichen. Wir verstehen uns einfach, Titus und ich.
Onkel Victor ist wunderbar: Er hat so viel f r uns getan - f r Mum und mich, meine ich. Und berhaupt, er ist so furchtbar klug. Es ist unglaublich, was Onkel Victor alles wei . Er wei , bei welcher Temperatur Glas schmilzt und wo sich der Kommunismus geirrt hat, wie die H ngebr cke in Clifton gebaut wurde und was die Regierung tun sollte: Man kann ihm einfach nichts vormachen. Er hat B cher ber alles gelesen: ber Geschichte, Geografie, Politik, Astrologie, ber Tiere ... Der Quell allen Wissens, so nannte ihn Dad.
Wenn ich mit meinen Hausaufgaben nicht weiterkam, dann sagte Dad immer: "Frag den Quell allen Wissens." Und dann rief ich Victor an und er half mir weiter. Nicht selten wusste er mehr als die Lehrer, sodass diese dachten, meine Hausaufgaben w ren falsch, aber Victor pflegte zu sagen: "Die Lehrer begreifen nicht, dass die Menge des Wissens immer weiterw chst. Sie glauben, sie h rte an dem Tag zu wachsen auf, als
... mehr
sie das College verlie en. Oder aber sie sind Schei ignoranten. Es gibt heutzutage so viel Dummheit in den Schulen."
Es stimmt, keiner meiner Lehrer wei besonders viel ber die Antarktis. Als Dad, Victor und ich nach Island fuhren, stellte sich heraus, dass einer meiner Lehrer auch schon da gewesen war, und er wusste alles ber Dettifoss und die hei en Quellen dort und dass die Leute stinkige Saunas hinter ihren H usern haben. Aber keiner von den Lehrern an unserer Schule war jemals in der Antarktis. Einige von ihnen wussten, dass Scott zum S dpol aufgebrochen war und niemals zur ckgekehrt ist. Aber meistens meinten sie den Film mit John Mills. Ich nicht.
Im Grunde genommen gibt es nicht viel, womit ich mich gut auskenne. Onkel Victor sagt, ich sei "das Opfer eines lausigen Bildungssystems". Aber mit den Polarregionen kenne ich mich aus. Die B cherregale ber meinem Bett sind voll mit B chern ber den Nord- und den S dpol. Richtiggehend festgefroren. Eine Gletscherklippe direkt ber meinem Bett. Ich kann mich noch daran erinnern: In der Nacht, als sie Dad ins Krankenhaus gebracht haben, kam eines der Regalbretter ins Rutschen und fiel auf mich herab. Ich wachte auf und dachte, das ganze Haus st rzt ein - B cher prasselten mir auf den Kopf, prallten von der Bettkante ab, blieben aufgeschlagen auf dem Fu boden liegen. Ich schaute mir das Loch in der Wand an und die D bel auf meiner Bettdecke, und ich wusste nicht, was ich machen sollte.
Mit dem B cherbrett und berhaupt.
Deshalb habe ich weitergeschlafen und getr umt, ich f hre zur Ross-Barriere und dass Eisw nde aus ihrer Front herausbrechen, ins Meer st rzen und untergehen, riesig wie Ozeandampfer.
Wenn ich es recht bedenke, dann hat mir Onkel Victor die meisten B cher ber das Eis geschenkt. An jedem Geburtstag und an jedem Weihnachtsfest. B cher ber die Antarktis und den Nordpol, ber Shackleton und Scott, Laurence Gould und Vivian Fuchs, ber Nansen und Barents, ber Franklin und Peary, ber Pinguine und Eisb ren, Wale und Seehunde und Nordlichter ... und ber Captain Lawrence Oates, genannt Titus. Onkel Victor wei , wie es ist, wenn eine Idee von einem Besitz ergreift, wenn sie immer st rker wird, sich wie Packeis gegen die Stirn schiebt, dann die Sch deldecke eindr ckt und den ganzen Kopf berschwemmt. Wenn wir jemals in der Schule ein Projekt ber die Antarktis machen, k nnte ich gl nzen. So wie der Mount Erebus zur Sommersonnenwende, oh ja, dann k nnte ich wirklich gl nzen!
Abgesehen davon, dass ich das eigentlich gar nicht will. Denn es hat alles mit Titus zu tun, und ich werde mich h ten, in der Schule ein Wort ber Titus zu verlieren. Das wei ich jetzt. Diesen Fehler habe ich einmal gemacht. Ein zweites Mal wird mir das nicht passieren.
"Symone bildet sich einen Freund ein! Symone bildet sich einen Freund ein!"
Es war eines dieser Gespr che, die sich nur ums Knutschen drehten. Das ist wie mit den Ameisen in der Speisekammer: Du denkst, du hast alles getan, um sie auf immer und ewig loszuwerden - ja es ist ganz ausgeschlossen, dass sie jemals zur ckkommen -, und pl tzlich sind sie wieder da. "Mit wie vielen Jungs hast du schon geknutscht?" Auf diese Frage gibt es keine Antwort. Sagst du "Mit keinem", dann bist du ein Trauerklo und ein Eiszapfen, oder sie kennen eine, deren Bruder f r 'nen Apfel und ein Ei mit dir knutschen w rde. Wenn du gar nichts sagst, dann bist du ein noch viel gr erer Trauerklo , oder du verheimlichst etwas oder stehst auf M dchen oder ...
Nicht dass es sie wirklich interessieren w rde, sie suchen nur eine Gelegenheit, dir zu sagen, mit wie vielen Jungs sie schon geknutscht haben - haupts chlich weil sie das Wort so gern in den Mund nehmen. Es gibt ihnen ein Gef hl, als ob sie rote Unterw sche tr gen. Deshalb geht es immer so weiter. "Wie viele Jungs, Sym? Mit wie vielen Jungs hast du geknutscht?"
Woran liegt es nur, dass alle W rter, die mit Sex zu tun haben, sich so schmutzig anh ren? W rter, die etwas mit Liebe zu tun haben, sind anders. Kein Wunder, dass Titus immer der Meinung war, Frauen seien eine Last. Kein Wunder, dass er starb, ohne jemals ... irgendetwas mit alldem zu tun gehabt zu haben.
Wie auch immer, ich erwiderte, dass ich auch gut ohne auskommen k nnte (wenigstens habe ich versucht, das zu tun. Ich bin nicht sehr gut, wenn es darum geht, anderen etwas freiweg von der Leber zu erkl ren). Ich wollte sagen, dass mir im Moment jedenfalls meine Fantasie vollkommen ausreicht. Was alles andere angeht: nein danke. Sp ter vielleicht. Wenn ich jemanden kennenlernen w rde, der so ist wie Titus ...
Danach war ich das M dchen mit der Macke - der Trauerklo , der Eiszapfen, die Verr ckte, alles auf einmal, der Sp tz nder mit dem eingebildeten Freund. "Wie die kleinen Kinder, tsch! Wie die kleinen Kinder."
An dem Tag, an dem ich in die Schule kam und sagte, mein Vater sei gestorben, h rte ich, wie Maxine Nats zufl sterte: "Keine Sorge. Vermutlich bildet sie sich das auch nur ein."
Damals habe ich angefangen, mich in mich selbst zur ckzuziehen. Ich habe den Rei verschluss meines Zelts zugezogen, sozusagen. Wasser in die Schl sser gesch ttet, damit sie zufrieren. Damals war es auch, als Titus und ich uns in die Augen schauten und beschlossen, dass wir ohne die anderen zurechtk men, solange wir uns hatten. "Von jetzt an gibt es nur noch dich und mich, Sym."
"Nur noch dich und mich, Titus."
"Es ist warm, findest du nicht auch?"
"Wer hat Lust auf einen Ausflug nach Paris?", fragte Onkel Victor.
Mum war berrascht, denn in letzter Zeit waren wir ziemlich knapp bei Kasse.
"Eine von diesen Werbeaktionen aus der Zeitung", erkl rte Victor. "Freifahrkarten f r den Eurostar und zwei bernachtungen in einem Zweisternehotel."
Ich h tte mir so gew nscht, dass Mum l chelt, dass sie mit gro en Augen sagt: "Wie sch n!", einfach weil das ein sch ner Gedanke war. Es schien falsch, dass sie die Stirn in Falten zog und gequ lt und verwirrt dreinsah. Immerhin, es ist nicht der schlechteste Ort, den man sich f r eine Reise aussuchen konnte, oder? Paris. Aber Mum war nicht wohl bei der Sache. "Sym hat demn chst Pr fungen."
"Was hast du gesagt?"
"Sym hat Pr fungen."
"Das Kind verplempert sein ganzes Leben mit diesen Pr fungen! Pr fungen wor ber? Was wollen sie damit messen? Ihre Begabung? Ihre N tzlichkeit? Doch nur, wie gut sie Pr fungen schreiben kann, mehr nicht! Du w rdest gerne nach Paris fahren, M dchen, nicht wahr? An die Wiege der K nste und der Stadtplanung?"
"Ich w rde gerne auf den Eiffelturm steigen", gab ich zur Antwort.
In Mums Gesicht konnte ich lesen, dass sie mich f r eine Verr terin hielt; sie hatte die Pr fungen nur erw hnt, um mir einen dezenten Hinweis zu geben, und ich hatte alles vermasselt. Warum kann sie die Dinge nicht einfach beim Namen nennen? Warum nennt niemand in diesem Haus die Dinge einfach beim Namen? Und berhaupt, was hat sie eigentlich gegen Paris? Onkel Victor versuchte doch nur, sie ein wenig aufzuheitern. "K nnten wir nicht nach den Pr fungen fahren?", fragte ich, um beide zufriedenzustellen.
"Lillian wird dir eine Entschuldigung schreiben, nicht wahr, Lillian: Bedauern, Ihnen mitteilen zu m ssen, etwas in dieser Art. Die Schule des Lebens ist die einzig wahre Schule!"
Das war einer von Victors Lieblingss tzen.
Es gefiel mir. Von welchem Standpunkt aus ich es auch betrachtete, es gefiel mir. Keine Chemiearbeit hie , dass ich nicht lernen musste. Vergn gt stellte ich mir vor, wie ich Nikki sagte, dass ich die Chemiearbeit leider nicht mitschreiben k nnte, weil ich nach Paris f hre. Ich w rde ihr eine Ansichtskarte schreiben, damit sie nicht dachte, ich w rde nur angeben. Das Wetter war scheu lich, aber selbst in str mendem Regen war Paris sehr wahrscheinlich besser als Schule und Pr fungen.
Deshalb holte ich unser kleines Reisek fferchen vom Speicher. Mum packte, sagte den Zahnarzttermin ab, schrieb eine Mitteilung an die Schule, hob ein paar Euros vom Postsparbuch ab, suchte einige Reisef hrer in der Bibliothek, kramte die P sse hervor und saugte im ganzen Haus Staub (vermutlich f r den Fall, dass wir alle im rmelkanal ertrinken w rden und dann die Nachbarn, die das Haus aufbrechen mussten, nicht entsetzt dar ber waren, wie unsere Teppiche aussahen).
In der Zwischenzeit hatte sich Victor eine Panoramaansicht vom Eiffelturm auf seinen Computer geholt. Sein Reisepass steckte in seiner Jackentasche - er behauptete, er habe ihn immer bei sich. Und dabei klang er wie ein Spion, der auf seinen n chsten Einsatz wartet.
"Kann Chemie in der n chsten Woche nicht mitschreiben", erz hlte ich Nikki so beil ufig wie nur m glich. "Bin in Paris."
"Hast du ein Gl ck", gab sie zur Antwort, ohne von ihrem Magazin aufzuschauen. Sie f llte gerade einen Pers nlichkeitstest aus, um herauszufinden, mit welchem Jungen sie sich verabreden sollte.
"Zwei N chte und drei Tage", fuhr ich fort.
"Oh, l l ", sagte sie abwesend.
Der Artikel, den sie las, trug die berschrift Foto-Test: Der Boy, der zu mir passt!!! In Nikkis Magazinen wimmelt es nur so von Ausrufezeichen. Wie bei Kopfl usen. Wenn man bedenkt, wie viel Zeit Nikki mit diesen Magazinen vertut, k nnte man meinen, sie h tte sich angesteckt. Seltsam, wenn sie etwas sagt, klingt es nie nach Ausrufezeichen.
"Onkel Victor nimmt Mum und mich mit."
"Eine ganze Woche kann er sich wohl nicht leisten?"
Neben jeder Frage war eine Reihe von Fotos abgebildet: Gesichter von Jungen, Beine von Jungen, Kleidung von Jungen ... KREUZ DEN ANGESAGTESTEN JUNGEN AN!!, forderte die berschrift auf.
"Der Eiffelturm, einfach alles."
"Beine wie eine Schnecke", sagte Nikki und verzog das Gesicht.
Sogar Titus kam nicht umhin, sich f r den Artikel zu interessieren.
"Angesagt? Wie bei der Zeitansage?", wollte er wissen.
"Nein, Titus."
"Wie beim Kartenspiel?"
"Nein, Titus."
"Oder mehr wie: Ich sage euch an den lieben Advent?"
"Ich glaube nicht ..."
"Ansage als Gegenteil von Absage?"
"Captain!"
"Schon gut, tut mir leid."
"Angesagt ist so hnlich wie fit", erkl rte ich.
"Ah", sagte Titus und schaute mich zweifelnd an.
Deshalb versicherte ich ihm: "Du bist fit. Du bist wirklich topfit!"
Und er gab mir recht. "Bis zu einem bestimmten Punkt war ich sehr fit. Bis ich starb. Der Tod wirkt sich gew hnlich nachteilig auf die Fitness aus."
"Nein, nein. Nicht diese Art von fit. Ich meinte fit eher im Sinne von gut aussehend."
Aber nun kannte er sich gar nicht mehr aus. W rter sollten wenigstens etwas von ihrer Bedeutung von einem Jahrhundert ins n chste hin berretten, wenn man eine Unterhaltung nicht v llig unm glich machen will.
Tats chlich habe ich noch nie einen Jungen angeschaut und mir dabei gedacht: Ist der fit!, oder: Schweig still, mein pochendes Herz.
Wie sie uns immer dumm anrempeln, obsz ne Gesten machen. Auf den hinteren Sitzen im Bus versuchen sie, sich gegenseitig mit schmutzigen W rtern zu bertrumpfen; nichts davon erregt meine Neugierde - es erregt eigentlich gar nichts, au er vielleicht den leisen Wunsch, sie aus dem Bus auf die Stra e genau vor ein entgegenkommendes Auto fallen zu sehen.
"Wir fahren mit dem Eurostar", erz hlte ich Nikki, aber sie war mit ihren Gedanken ganz woanders. Nat rlich h tte ich es besser meiner Lehrerin erz hlen sollen und nicht Nikki. Der Entschuldigungsbrief meiner Mutter steckte noch immer in meiner Rocktasche; ich wollte so lange damit warten, meine Lehrerin zu fragen, bis es zu sp t war und Mrs Floyd nicht mehr Nein sagen konnte.
Die Lehrer in der Schule m gen mich nicht. Das sagt Onkel Victor und er muss es wissen; seit Dad gestorben ist, besteht er darauf, zu den Elternabenden zu gehen. Onkel Victor sagt, die Lehrer st nden der Vernunft im Wege, deshalb verbringt er jede Menge Zeit in der Schule und versucht, die Lehrer vern nftiger zu machen. Besonders die Erdkundelehrerin machte ihn ganz verr ckt. "Sie studieren Ihr Fach", so sagte er einmal zu ihr, "dann w rgen Sie den Stoff Jahr f r Jahr wieder hoch. Immer und immer wieder und er wird schaler und schaler. Wie Astronauten, die ihre eigene Pisse trinken." Ich glaube nicht, dass Mrs Cox das verstanden hat. Sie hat gar nichts verstanden au er dem Wort mit P.
Die n chste Reihe mit Fotos in Nikkis Magazin zeigte keine Jungen, sondern ihre jeweiligen Hobbys - einen Computer, ein Auto, einen Walkman, einen Fu ball, ein Buch. So als ob Jungen nur ein Hobby haben k nnten.
"Wo sind die Pferde?", fragte Titus. "Ich bin ein Pferdenarr."
"Ich glaube, das l uft unter Autos. Oder Sport. Wie h ltst du es mit Sport?"
"Na ja, da ist nat rlich Polo. In gypten habe ich oft Tennis gespielt. Und ich bin Kamelrennen geritten. In Indien habe ich geboxt. In Hut Point haben wir Fu ball gespielt, um uns ... h ... fit zu halten. Und Eishockey. Z hlen Motorschlitten zu den Autos? Motorschlitten sind reine Zeit- und Geldverschwendung. F r tausend auf die Hand k nnte ich eine ganze Polomannschaft mit Ponys ausr sten."
"Heutzutage nicht mehr. Wie steht's mit Musik?"
"Solange ich nicht dazu tanzen muss."
"Und B cher?"
"Nun ja. Vielleicht die B cher, die ich f r meine Majorspr fung brauchte."
Du hast kalte H nde, Titus. Kalte H nde. Am Tag, an dem er zum Pol aufgebrochen war, hatte er seiner Mutter geschrieben und sie gebeten, sie ihm zu schicken, die B cher f r sein Examen. Er werde sie brauchen, hatte er geschrieben, nach seiner R ckkehr.
Manchmal sagt Titus etwas ganz ungefragt, und dann ist es, als w rde er mir seine eiskalten H nde auf den Nacken legen. Aber warum nur mussten sich, gerade jetzt in diesem Augenblick, noch andere Worte in meinem Kopf verklumpen, Worte wie: Lieber Chemie als Paris.
Maxine rauschte vorbei.
"Sym f hrt mit ihrem Onkel nach Paris", sagte Nikki, und eine Welle des Gl cks durchstr mte mich, denn sie schien trotz allem zugeh rt zu haben.
"Was, f r ein lausiges Wochenende?", fragte Maxine. Das w re eine gemeine Frage gewesen, wenn sich Maxine irgendetwas dabei gedacht h tte. Aber Maxine denkt sich nichts. Sie hat so viel Jauche im Kopf, es braucht nur eine heftige Bewegung und schon schwappt sie aus ihrem Mund.
"Urlaub", murmelte ich vor mich hin.
"Ich, ich w rde ins Moulin Rouge gehen und mich mit den reichen M nnern vergn gen", sagte sie, verschr nkte die Arme hinter dem Kopf, schloss die Augen und wackelte mit den H ften. "Aber mach dir keine Sorgen, Sym", sie schaute mich unter ver chtlich gesenkten Lidern hervor an, "du brauchst dich bestimmt nicht zu verschenken."
Ich sp rte, wie mir das Blut in die Wangen schoss und in mir die Wut hochkochte. Was ist los mit mir? Stimmt etwas nicht? Was stimmt denn nicht mit mir? Wir sind erst vierzehn. Es ist verboten. "Nur f r Erwachsene" steht auf der Packung. Trotzdem tun in der Schule alle so, als k nnten sie es kaum erwarten. Zumindest sprechen sie st ndig dar ber. Immer geht es nur um das eine. Was ist, wenn ich nicht dar ber spreche und es auch nicht will ...
Nikki fing an, auf die Gesichter der Jungen im Magazin B rte und Brillen zu kritzeln. "Ich wette, dein Onkel schleppt dich in jede Menge langweiliger Museen, Sym", sagte sie und beendete damit die peinliche Stille und zog mich aus Maxines Jauche. Ich war ihr dankbar daf r, nickte kurz und l chelte gequ lt.
"Wahrscheinlich."
"Im str menden Regen."
"Wahrscheinlich."
"Ich bin dabei. Ich komme mit", sagte Titus vergn gt. "Als ich jung war, fuhren wir immer in die Ferien. Meine ber alles geliebte Mutter floh vor dem englischen Winter." Und er lie sein tiefes, ironisches Lachen h ren. "Sie glaubte, die K lte w rde mich umbringen." Gut so, Titus. R ck die Dinge nur zurecht.
Augenblicklich besserte sich meine Laune, denn ich wusste, dass er auch in Paris sein w rde und Maxine nicht.Die Z ge in Waterloo Station waren alle so blitzblank und schnittig wie Interkontinentalraketen. Es schien unter ihrer W rde zu sein, einfach nur so auf die andere Seite des Kanals zu fahren - sie waren wie Schauspieler, die am Strand mit Eimerchen und Schaufel spielten, w hrend sie eigentlich in Cannes beim Filmfest sein sollten.
Es stimmt, keiner meiner Lehrer wei besonders viel ber die Antarktis. Als Dad, Victor und ich nach Island fuhren, stellte sich heraus, dass einer meiner Lehrer auch schon da gewesen war, und er wusste alles ber Dettifoss und die hei en Quellen dort und dass die Leute stinkige Saunas hinter ihren H usern haben. Aber keiner von den Lehrern an unserer Schule war jemals in der Antarktis. Einige von ihnen wussten, dass Scott zum S dpol aufgebrochen war und niemals zur ckgekehrt ist. Aber meistens meinten sie den Film mit John Mills. Ich nicht.
Im Grunde genommen gibt es nicht viel, womit ich mich gut auskenne. Onkel Victor sagt, ich sei "das Opfer eines lausigen Bildungssystems". Aber mit den Polarregionen kenne ich mich aus. Die B cherregale ber meinem Bett sind voll mit B chern ber den Nord- und den S dpol. Richtiggehend festgefroren. Eine Gletscherklippe direkt ber meinem Bett. Ich kann mich noch daran erinnern: In der Nacht, als sie Dad ins Krankenhaus gebracht haben, kam eines der Regalbretter ins Rutschen und fiel auf mich herab. Ich wachte auf und dachte, das ganze Haus st rzt ein - B cher prasselten mir auf den Kopf, prallten von der Bettkante ab, blieben aufgeschlagen auf dem Fu boden liegen. Ich schaute mir das Loch in der Wand an und die D bel auf meiner Bettdecke, und ich wusste nicht, was ich machen sollte.
Mit dem B cherbrett und berhaupt.
Deshalb habe ich weitergeschlafen und getr umt, ich f hre zur Ross-Barriere und dass Eisw nde aus ihrer Front herausbrechen, ins Meer st rzen und untergehen, riesig wie Ozeandampfer.
Wenn ich es recht bedenke, dann hat mir Onkel Victor die meisten B cher ber das Eis geschenkt. An jedem Geburtstag und an jedem Weihnachtsfest. B cher ber die Antarktis und den Nordpol, ber Shackleton und Scott, Laurence Gould und Vivian Fuchs, ber Nansen und Barents, ber Franklin und Peary, ber Pinguine und Eisb ren, Wale und Seehunde und Nordlichter ... und ber Captain Lawrence Oates, genannt Titus. Onkel Victor wei , wie es ist, wenn eine Idee von einem Besitz ergreift, wenn sie immer st rker wird, sich wie Packeis gegen die Stirn schiebt, dann die Sch deldecke eindr ckt und den ganzen Kopf berschwemmt. Wenn wir jemals in der Schule ein Projekt ber die Antarktis machen, k nnte ich gl nzen. So wie der Mount Erebus zur Sommersonnenwende, oh ja, dann k nnte ich wirklich gl nzen!
Abgesehen davon, dass ich das eigentlich gar nicht will. Denn es hat alles mit Titus zu tun, und ich werde mich h ten, in der Schule ein Wort ber Titus zu verlieren. Das wei ich jetzt. Diesen Fehler habe ich einmal gemacht. Ein zweites Mal wird mir das nicht passieren.
"Symone bildet sich einen Freund ein! Symone bildet sich einen Freund ein!"
Es war eines dieser Gespr che, die sich nur ums Knutschen drehten. Das ist wie mit den Ameisen in der Speisekammer: Du denkst, du hast alles getan, um sie auf immer und ewig loszuwerden - ja es ist ganz ausgeschlossen, dass sie jemals zur ckkommen -, und pl tzlich sind sie wieder da. "Mit wie vielen Jungs hast du schon geknutscht?" Auf diese Frage gibt es keine Antwort. Sagst du "Mit keinem", dann bist du ein Trauerklo und ein Eiszapfen, oder sie kennen eine, deren Bruder f r 'nen Apfel und ein Ei mit dir knutschen w rde. Wenn du gar nichts sagst, dann bist du ein noch viel gr erer Trauerklo , oder du verheimlichst etwas oder stehst auf M dchen oder ...
Nicht dass es sie wirklich interessieren w rde, sie suchen nur eine Gelegenheit, dir zu sagen, mit wie vielen Jungs sie schon geknutscht haben - haupts chlich weil sie das Wort so gern in den Mund nehmen. Es gibt ihnen ein Gef hl, als ob sie rote Unterw sche tr gen. Deshalb geht es immer so weiter. "Wie viele Jungs, Sym? Mit wie vielen Jungs hast du geknutscht?"
Woran liegt es nur, dass alle W rter, die mit Sex zu tun haben, sich so schmutzig anh ren? W rter, die etwas mit Liebe zu tun haben, sind anders. Kein Wunder, dass Titus immer der Meinung war, Frauen seien eine Last. Kein Wunder, dass er starb, ohne jemals ... irgendetwas mit alldem zu tun gehabt zu haben.
Wie auch immer, ich erwiderte, dass ich auch gut ohne auskommen k nnte (wenigstens habe ich versucht, das zu tun. Ich bin nicht sehr gut, wenn es darum geht, anderen etwas freiweg von der Leber zu erkl ren). Ich wollte sagen, dass mir im Moment jedenfalls meine Fantasie vollkommen ausreicht. Was alles andere angeht: nein danke. Sp ter vielleicht. Wenn ich jemanden kennenlernen w rde, der so ist wie Titus ...
Danach war ich das M dchen mit der Macke - der Trauerklo , der Eiszapfen, die Verr ckte, alles auf einmal, der Sp tz nder mit dem eingebildeten Freund. "Wie die kleinen Kinder, tsch! Wie die kleinen Kinder."
An dem Tag, an dem ich in die Schule kam und sagte, mein Vater sei gestorben, h rte ich, wie Maxine Nats zufl sterte: "Keine Sorge. Vermutlich bildet sie sich das auch nur ein."
Damals habe ich angefangen, mich in mich selbst zur ckzuziehen. Ich habe den Rei verschluss meines Zelts zugezogen, sozusagen. Wasser in die Schl sser gesch ttet, damit sie zufrieren. Damals war es auch, als Titus und ich uns in die Augen schauten und beschlossen, dass wir ohne die anderen zurechtk men, solange wir uns hatten. "Von jetzt an gibt es nur noch dich und mich, Sym."
"Nur noch dich und mich, Titus."
"Es ist warm, findest du nicht auch?"
"Wer hat Lust auf einen Ausflug nach Paris?", fragte Onkel Victor.
Mum war berrascht, denn in letzter Zeit waren wir ziemlich knapp bei Kasse.
"Eine von diesen Werbeaktionen aus der Zeitung", erkl rte Victor. "Freifahrkarten f r den Eurostar und zwei bernachtungen in einem Zweisternehotel."
Ich h tte mir so gew nscht, dass Mum l chelt, dass sie mit gro en Augen sagt: "Wie sch n!", einfach weil das ein sch ner Gedanke war. Es schien falsch, dass sie die Stirn in Falten zog und gequ lt und verwirrt dreinsah. Immerhin, es ist nicht der schlechteste Ort, den man sich f r eine Reise aussuchen konnte, oder? Paris. Aber Mum war nicht wohl bei der Sache. "Sym hat demn chst Pr fungen."
"Was hast du gesagt?"
"Sym hat Pr fungen."
"Das Kind verplempert sein ganzes Leben mit diesen Pr fungen! Pr fungen wor ber? Was wollen sie damit messen? Ihre Begabung? Ihre N tzlichkeit? Doch nur, wie gut sie Pr fungen schreiben kann, mehr nicht! Du w rdest gerne nach Paris fahren, M dchen, nicht wahr? An die Wiege der K nste und der Stadtplanung?"
"Ich w rde gerne auf den Eiffelturm steigen", gab ich zur Antwort.
In Mums Gesicht konnte ich lesen, dass sie mich f r eine Verr terin hielt; sie hatte die Pr fungen nur erw hnt, um mir einen dezenten Hinweis zu geben, und ich hatte alles vermasselt. Warum kann sie die Dinge nicht einfach beim Namen nennen? Warum nennt niemand in diesem Haus die Dinge einfach beim Namen? Und berhaupt, was hat sie eigentlich gegen Paris? Onkel Victor versuchte doch nur, sie ein wenig aufzuheitern. "K nnten wir nicht nach den Pr fungen fahren?", fragte ich, um beide zufriedenzustellen.
"Lillian wird dir eine Entschuldigung schreiben, nicht wahr, Lillian: Bedauern, Ihnen mitteilen zu m ssen, etwas in dieser Art. Die Schule des Lebens ist die einzig wahre Schule!"
Das war einer von Victors Lieblingss tzen.
Es gefiel mir. Von welchem Standpunkt aus ich es auch betrachtete, es gefiel mir. Keine Chemiearbeit hie , dass ich nicht lernen musste. Vergn gt stellte ich mir vor, wie ich Nikki sagte, dass ich die Chemiearbeit leider nicht mitschreiben k nnte, weil ich nach Paris f hre. Ich w rde ihr eine Ansichtskarte schreiben, damit sie nicht dachte, ich w rde nur angeben. Das Wetter war scheu lich, aber selbst in str mendem Regen war Paris sehr wahrscheinlich besser als Schule und Pr fungen.
Deshalb holte ich unser kleines Reisek fferchen vom Speicher. Mum packte, sagte den Zahnarzttermin ab, schrieb eine Mitteilung an die Schule, hob ein paar Euros vom Postsparbuch ab, suchte einige Reisef hrer in der Bibliothek, kramte die P sse hervor und saugte im ganzen Haus Staub (vermutlich f r den Fall, dass wir alle im rmelkanal ertrinken w rden und dann die Nachbarn, die das Haus aufbrechen mussten, nicht entsetzt dar ber waren, wie unsere Teppiche aussahen).
In der Zwischenzeit hatte sich Victor eine Panoramaansicht vom Eiffelturm auf seinen Computer geholt. Sein Reisepass steckte in seiner Jackentasche - er behauptete, er habe ihn immer bei sich. Und dabei klang er wie ein Spion, der auf seinen n chsten Einsatz wartet.
"Kann Chemie in der n chsten Woche nicht mitschreiben", erz hlte ich Nikki so beil ufig wie nur m glich. "Bin in Paris."
"Hast du ein Gl ck", gab sie zur Antwort, ohne von ihrem Magazin aufzuschauen. Sie f llte gerade einen Pers nlichkeitstest aus, um herauszufinden, mit welchem Jungen sie sich verabreden sollte.
"Zwei N chte und drei Tage", fuhr ich fort.
"Oh, l l ", sagte sie abwesend.
Der Artikel, den sie las, trug die berschrift Foto-Test: Der Boy, der zu mir passt!!! In Nikkis Magazinen wimmelt es nur so von Ausrufezeichen. Wie bei Kopfl usen. Wenn man bedenkt, wie viel Zeit Nikki mit diesen Magazinen vertut, k nnte man meinen, sie h tte sich angesteckt. Seltsam, wenn sie etwas sagt, klingt es nie nach Ausrufezeichen.
"Onkel Victor nimmt Mum und mich mit."
"Eine ganze Woche kann er sich wohl nicht leisten?"
Neben jeder Frage war eine Reihe von Fotos abgebildet: Gesichter von Jungen, Beine von Jungen, Kleidung von Jungen ... KREUZ DEN ANGESAGTESTEN JUNGEN AN!!, forderte die berschrift auf.
"Der Eiffelturm, einfach alles."
"Beine wie eine Schnecke", sagte Nikki und verzog das Gesicht.
Sogar Titus kam nicht umhin, sich f r den Artikel zu interessieren.
"Angesagt? Wie bei der Zeitansage?", wollte er wissen.
"Nein, Titus."
"Wie beim Kartenspiel?"
"Nein, Titus."
"Oder mehr wie: Ich sage euch an den lieben Advent?"
"Ich glaube nicht ..."
"Ansage als Gegenteil von Absage?"
"Captain!"
"Schon gut, tut mir leid."
"Angesagt ist so hnlich wie fit", erkl rte ich.
"Ah", sagte Titus und schaute mich zweifelnd an.
Deshalb versicherte ich ihm: "Du bist fit. Du bist wirklich topfit!"
Und er gab mir recht. "Bis zu einem bestimmten Punkt war ich sehr fit. Bis ich starb. Der Tod wirkt sich gew hnlich nachteilig auf die Fitness aus."
"Nein, nein. Nicht diese Art von fit. Ich meinte fit eher im Sinne von gut aussehend."
Aber nun kannte er sich gar nicht mehr aus. W rter sollten wenigstens etwas von ihrer Bedeutung von einem Jahrhundert ins n chste hin berretten, wenn man eine Unterhaltung nicht v llig unm glich machen will.
Tats chlich habe ich noch nie einen Jungen angeschaut und mir dabei gedacht: Ist der fit!, oder: Schweig still, mein pochendes Herz.
Wie sie uns immer dumm anrempeln, obsz ne Gesten machen. Auf den hinteren Sitzen im Bus versuchen sie, sich gegenseitig mit schmutzigen W rtern zu bertrumpfen; nichts davon erregt meine Neugierde - es erregt eigentlich gar nichts, au er vielleicht den leisen Wunsch, sie aus dem Bus auf die Stra e genau vor ein entgegenkommendes Auto fallen zu sehen.
"Wir fahren mit dem Eurostar", erz hlte ich Nikki, aber sie war mit ihren Gedanken ganz woanders. Nat rlich h tte ich es besser meiner Lehrerin erz hlen sollen und nicht Nikki. Der Entschuldigungsbrief meiner Mutter steckte noch immer in meiner Rocktasche; ich wollte so lange damit warten, meine Lehrerin zu fragen, bis es zu sp t war und Mrs Floyd nicht mehr Nein sagen konnte.
Die Lehrer in der Schule m gen mich nicht. Das sagt Onkel Victor und er muss es wissen; seit Dad gestorben ist, besteht er darauf, zu den Elternabenden zu gehen. Onkel Victor sagt, die Lehrer st nden der Vernunft im Wege, deshalb verbringt er jede Menge Zeit in der Schule und versucht, die Lehrer vern nftiger zu machen. Besonders die Erdkundelehrerin machte ihn ganz verr ckt. "Sie studieren Ihr Fach", so sagte er einmal zu ihr, "dann w rgen Sie den Stoff Jahr f r Jahr wieder hoch. Immer und immer wieder und er wird schaler und schaler. Wie Astronauten, die ihre eigene Pisse trinken." Ich glaube nicht, dass Mrs Cox das verstanden hat. Sie hat gar nichts verstanden au er dem Wort mit P.
Die n chste Reihe mit Fotos in Nikkis Magazin zeigte keine Jungen, sondern ihre jeweiligen Hobbys - einen Computer, ein Auto, einen Walkman, einen Fu ball, ein Buch. So als ob Jungen nur ein Hobby haben k nnten.
"Wo sind die Pferde?", fragte Titus. "Ich bin ein Pferdenarr."
"Ich glaube, das l uft unter Autos. Oder Sport. Wie h ltst du es mit Sport?"
"Na ja, da ist nat rlich Polo. In gypten habe ich oft Tennis gespielt. Und ich bin Kamelrennen geritten. In Indien habe ich geboxt. In Hut Point haben wir Fu ball gespielt, um uns ... h ... fit zu halten. Und Eishockey. Z hlen Motorschlitten zu den Autos? Motorschlitten sind reine Zeit- und Geldverschwendung. F r tausend auf die Hand k nnte ich eine ganze Polomannschaft mit Ponys ausr sten."
"Heutzutage nicht mehr. Wie steht's mit Musik?"
"Solange ich nicht dazu tanzen muss."
"Und B cher?"
"Nun ja. Vielleicht die B cher, die ich f r meine Majorspr fung brauchte."
Du hast kalte H nde, Titus. Kalte H nde. Am Tag, an dem er zum Pol aufgebrochen war, hatte er seiner Mutter geschrieben und sie gebeten, sie ihm zu schicken, die B cher f r sein Examen. Er werde sie brauchen, hatte er geschrieben, nach seiner R ckkehr.
Manchmal sagt Titus etwas ganz ungefragt, und dann ist es, als w rde er mir seine eiskalten H nde auf den Nacken legen. Aber warum nur mussten sich, gerade jetzt in diesem Augenblick, noch andere Worte in meinem Kopf verklumpen, Worte wie: Lieber Chemie als Paris.
Maxine rauschte vorbei.
"Sym f hrt mit ihrem Onkel nach Paris", sagte Nikki, und eine Welle des Gl cks durchstr mte mich, denn sie schien trotz allem zugeh rt zu haben.
"Was, f r ein lausiges Wochenende?", fragte Maxine. Das w re eine gemeine Frage gewesen, wenn sich Maxine irgendetwas dabei gedacht h tte. Aber Maxine denkt sich nichts. Sie hat so viel Jauche im Kopf, es braucht nur eine heftige Bewegung und schon schwappt sie aus ihrem Mund.
"Urlaub", murmelte ich vor mich hin.
"Ich, ich w rde ins Moulin Rouge gehen und mich mit den reichen M nnern vergn gen", sagte sie, verschr nkte die Arme hinter dem Kopf, schloss die Augen und wackelte mit den H ften. "Aber mach dir keine Sorgen, Sym", sie schaute mich unter ver chtlich gesenkten Lidern hervor an, "du brauchst dich bestimmt nicht zu verschenken."
Ich sp rte, wie mir das Blut in die Wangen schoss und in mir die Wut hochkochte. Was ist los mit mir? Stimmt etwas nicht? Was stimmt denn nicht mit mir? Wir sind erst vierzehn. Es ist verboten. "Nur f r Erwachsene" steht auf der Packung. Trotzdem tun in der Schule alle so, als k nnten sie es kaum erwarten. Zumindest sprechen sie st ndig dar ber. Immer geht es nur um das eine. Was ist, wenn ich nicht dar ber spreche und es auch nicht will ...
Nikki fing an, auf die Gesichter der Jungen im Magazin B rte und Brillen zu kritzeln. "Ich wette, dein Onkel schleppt dich in jede Menge langweiliger Museen, Sym", sagte sie und beendete damit die peinliche Stille und zog mich aus Maxines Jauche. Ich war ihr dankbar daf r, nickte kurz und l chelte gequ lt.
"Wahrscheinlich."
"Im str menden Regen."
"Wahrscheinlich."
"Ich bin dabei. Ich komme mit", sagte Titus vergn gt. "Als ich jung war, fuhren wir immer in die Ferien. Meine ber alles geliebte Mutter floh vor dem englischen Winter." Und er lie sein tiefes, ironisches Lachen h ren. "Sie glaubte, die K lte w rde mich umbringen." Gut so, Titus. R ck die Dinge nur zurecht.
Augenblicklich besserte sich meine Laune, denn ich wusste, dass er auch in Paris sein w rde und Maxine nicht.Die Z ge in Waterloo Station waren alle so blitzblank und schnittig wie Interkontinentalraketen. Es schien unter ihrer W rde zu sein, einfach nur so auf die andere Seite des Kanals zu fahren - sie waren wie Schauspieler, die am Strand mit Eimerchen und Schaufel spielten, w hrend sie eigentlich in Cannes beim Filmfest sein sollten.
... weniger
Autoren-Porträt von Geraldine Mccaughrean
Geraldine McCaughrean, geboren 1951, lebt in Berkshire. Sie hat zahlreiche Bücher für Jugendliche und Erwachsene veröffentlicht, für die sie mit renommierten Preisen ausgezeichnet wurde. Ihr Buch "Der Drachenflieger" wurde 2004 für den Deutschen Jugendliteraturpreis nominiert und für "Nicht das Ende der Welt" erhielt sie - zum insgesamt dritten Mal - den Whitbread Award 2004 und wurde für den BBC Book club Award 2004 nominiert.
Bibliographische Angaben
- Autor: Geraldine Mccaughrean
- Altersempfehlung: 12 - 15 Jahre
- 2007, 1, 335 Seiten, Maße: 14,4 x 22 cm, Gebunden, Deutsch
- Übersetzer: Petra Koob-Pawis
- Verlag: cbj
- ISBN-10: 3570132706
- ISBN-13: 9783570132708
Rezension zu „Weiße Finsternis “
»Ein atemberaubender Thriller mit einem fantastischen Einschlag, der einen nicht nur wegen des frostigen Handlungsortes schaudern lässt.«
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