Wenn die Liebe dich findet
Roman. Deutsche Erstausgabe
Der charismatische Devin Baldwin ist ein angesehener Pferdezüchter - fast noch berühmter und berüchtigter ist er allerdings als Kuppler. Wenn die Damen der besseren Londoner Gesellschaft den für sie bestimmten Traummann nicht finden...
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Produktinformationen zu „Wenn die Liebe dich findet “
Der charismatische Devin Baldwin ist ein angesehener Pferdezüchter - fast noch berühmter und berüchtigter ist er allerdings als Kuppler. Wenn die Damen der besseren Londoner Gesellschaft den für sie bestimmten Traummann nicht finden wollen, betätigt sich Devin als Amors Helfer. Seine nächste Klientin: die bezaubernde Amanda Locke, für die ein pferdenärrischer Earl ausersehen wurde. Und da Amanda Reitstunden benötigt, springt Devin auch da gern ein. Was er jedoch nicht geplant hat: Amanda verliebt sich tatsächlich auf der Stelle - in ihn.
Klappentext zu „Wenn die Liebe dich findet “
Weiblich, ledig - und unsterblich in den Falschen verliebtDer charismatische Devin Baldwin ist ein angesehener Pferdezüchter - fast noch berühmter und berüchtigter ist er allerdings als Kuppler. Wenn die Damen der besseren Londoner Gesellschaft den für sie bestimmten Traummann nicht finden wollen, betätigt sich Devin als Amors Helfer. Seine nächste Klientin: die bezaubernde Amanda Locke, für die ein pferdenärrischer Earl ausersehen wurde. Und da Amanda Reitstunden benötigt, springt Devin auch da gern ein. Was er jedoch nicht geplant hat: Amanda verliebt sich tatsächlich auf der Stelle - in ihn ...
Lese-Probe zu „Wenn die Liebe dich findet “
Wenn die Liebe dich findet von Johanna LindseyProlog
Der Junge stand am Fenster seines Schlafzimmers und betrachtete den fallenden Schnee. Die Schneeflocken rieselten auf die Straße herab. Diesmal würden sie wohl auch liegen bleiben, kalt genug war es jedenfalls. Er liebte Schnee. Er ließ die Straße so strahlend und sauber erscheinen, vor allem nachts, wenn sie von den Straßenlampen erhellt wurde. Das Schlafzimmerfenster ging auf die Straße hinaus. Hier stand er oft - am Tag, um die schicken vorbeifahrenden Kutschen zu beobachten, oder auch in der Nacht, wenn er nicht gleich einschlafen konnte oder aus irgendeinem Grund wach geworden war. In einer solchen Nacht hatte er zum ersten Mal diese Kutsche gesehen, die vor dem Haus anhielt, in dem er mit seiner Mutter Elaine lebte, und nun tat sie es wieder. Sie kam nie tagsüber, sondern immer nur spätnachts. Der große Mann stieg aus, sein langer Überzieher wirbelte herum, als er sich umdrehte, um die Tür zu schließen. Er sagte etwas zu seinem Fahrer, und die Kutsche fuhr davon. Der Mann eilte ins Haus. Er hatte einen Schlüssel. Seit der Junge sich erinnern konnte, kam dieser Mann in ihr Haus.
Bei diesem Haus, in dem er aufgewachsen war, schien es sich um einen ganz normalen Londoner Haushalt zu handeln. Sie hatten ein paar Hausangestellte. Seine Mutter war den ganzen Tag über für ihn da. Und lange Zeit war er so früh ins Bett gegangen, dass er nicht wissen konnte, dass sie nachts nicht für ihn da war.
Er war gerade sechs Jahre alt geworden, aber er konnte sich nicht erinnern, wann er seine Mutter zum ersten Mal gefragt hatte, wer dieser Mann war. Er wusste nur, dass es schon lange her war. An jenem Tag hatte sie überrascht gewirkt, dass er überhaupt von dem Mann wusste.
... mehr
»Lord Wolseley ist unser Vermieter, das ist alles. Er kommt nur vorbei, um nach dem Rechten zu sehen.
»So oft ?«
»Nun, wir sind mit der Zeit Freunde geworden. Gute Freunde. Er ist kein glücklicher Mann, und ich leihe ihm meine Schulter zum Ausweinen.« Sie klopfte sich mit einem Grinsen auf die Schulter. »Du kennst sie ja auch, du hast dich immer an ihr ausgeweint, oder nicht?«
Er erinnerte sich, dass er an jenem Tag verlegen gewesen war. Sie hatte von all seinem Kummer und seinen Verletzungen gesprochen, über die er gar nicht hätte weinen müssen, wenn sie ihn nicht ständig an sich ziehen würde, um ihn zu trösten. Er versuchte, sich vorzustellen, dass der große Mann an ihrer Schulter lehnte und schluchzte, aber es gelang ihm nicht.
Man hatte ihm erklärt, dass sein Vater gestorben war, als er noch ein Baby war, aber seine Mutter hatte sich stets geweigert, ausführlicher über ihn zu reden. »Diese Erinnerungen bringen mich nur zum Weinen«, behauptete sie jedes Mal. »Eines Tages werde ich dir alles über ihn erzählen, aber nicht jetzt.«
Aber sie erzählte ihm niemals mehr. Das einzige Mal, an das er sich erinnern konnte, als seine Mutter in scharfem Ton mit ihm gesprochen hatte, war, als er sie mit Fragen über seinen Vater löcherte. Und beim letzten Mal, als er sie nach ihm gefragt hatte, waren ihr Tränen in die Augen gestiegen. Danach fragte er nie wieder.
Aber der Vermieter machte weiterhin seine nächtlichen Besuche, und der Junge hörte, wie die Tür seiner Mutter leise auf- und zuging. Manchmal trat er in den Korridor hinaus und hörte ihr leises Lachen aus dem Schlafzimmer. Wenn der Mann sie so glücklich machte, warum konnten sie dann nicht einfach heiraten und ihn ebenfalls an ihrem Glück teilhaben lassen?
Irgendwann in diesem Jahr hatte seine Neugier ihn erneut überwältigt, und er wollte von seiner Mutter wissen: »Wird er mein neuer Vater?«
Sie zog ihn an sich und antwortete: »Was denkst du dir nur, mein Liebling? Lawrence hat eine eigene Familie, Frau und Kinder. Er ist nur ein Freund. Ich fühle mich oft einsam. Es ist schön, jemanden wie ihn zum Reden zu haben.«
Kurz darauf begann der Junge zu überlegen, ob wohl Lord Lawrence Wolseley sein richtiger Vater wäre. Sobald ihm dieser Gedanke gekommen war, ließ er ihn nicht mehr los. Und dennoch traute er sich nicht, seine Mutter zu fragen. Sie wollte nun einmal partout nicht über ihren Vermieter sprechen, und über seinen »toten Vater« ebenfalls nicht. Die Vorstellung, dass sie ihn anlog, verletzte ihn sehr. Er hofft e nur, dass er sich irrte, aber er musste es endgültig herausfinden.
Deshalb ging er heute auf den Flur hinaus. Die Tür zum Schlafzimmer seiner Mutter war wie immer geschlossen. Er klopfte nicht an. Er hörte Gelächter, dann Stimmen - so leise, dass er nicht verstehen konnte, was geredet wurde. Er hielt sein Ohr nicht an die Tür, sondern setzte sich einfach nur auf den Boden und wartete.
Er wartete sehr lange. Beinahe wäre er eingeschlafen. Doch endlich ging die Tür auf. Er sprang hoch, damit man nicht über ihn stolperte. Den Mann hatte er noch nie aus der Nähe gesehen. Er war größer, als er gedacht hatte, attraktiv, gut gekleidet, das Haar so dunkel wie sein eigenes. Den Überzieher hatte er sich über einen Arm geworfen, ein juwelenbesetzter Ring blitzte an seiner Hand auf.
Der Junge platzte sofort mit seiner Frage heraus, bevor er vollends die Nerven verlor: »Sind Sie mein Vater?«
Der Mann, der ihn zuerst gar nicht bemerkt hatte, blickte missmutig auf ihn hinunter. »Solltest du nicht im Bett sein? Los, verschwinde!«
Er war so erschrocken über den harschen Ton, dass er sich nicht bewegen konnte, aber der Mann eilte schnellen Schrittes den Korridor entlang und verschwand. Die Tür zum Zimmer seiner Mutter stand noch immer offen. Der Junge blickte hinein, um zu sehen, ob mit ihr alles in Ordnung war. Sie saß an ihrem Schminktisch, um den Hals eine Kette, die er noch nie zuvor an ihr gesehen hatte.
Der Junge eilte zurück in sein Zimmer, verwirrt und verängstigt. Er hoffte, dass der Mann seiner Mutter nicht von der Frage erzählen würde, die er ihm gestellt hatte - und auf die er keine Antwort erhalten hatte.
Einige Tage später in dieser Woche rief seine Mutter ihn nach unten in die Diele. In der Eingangstür stand ein Mann, den er noch nie gesehen hatte. Er hielt einen Hut in der Hand, hatte blonde Haare und blaue Augen, genau wie die Mutter des Jungen. Sie wirkte wütend. Auf ihn? Oder auf den Fremden, den sie so verärgert anstarrte?
Sie sah zu ihrem Sohn herab und sagte: »Das ist dein Onkel Donald, mein Bruder. Wir hatten einige Jahre keinen Kontakt ... Donald hätte es gern, dass du für einige Zeit bei ihm auf seinem Gestüt draußen auf dem Land wohnst. Du wirst sehen, es wird dir gefallen.«
Die Augen des Jungen weiteten sich. Er hatte nicht gewusst, dass seine Mutter einen Bruder hatte! Ihn überkam die größte Angst, die er in seinem Leben je verspürt hatte. Er drehte sich um und klammerte sich fest an seine Mutter. Sie wollte ihn wegschicken? Er konnte es nicht begreifen.
»Nein, bitte nicht!«, schluchzte er. »Ich werde auch nie wieder Fragen stellen, das verspreche ich!«
Sie drückte ihn fest an sich.
»Schhht, Liebling, ganz ruhig, ich komme dich auch bald besuchen. Du wirst so viel Spaß auf dem Land haben, dass du mich gar nicht vermissen wirst.«
»Nein! Ich will hier bei dir bleiben!«
Sie schob ihn zu seinem Onkel hinüber. »Los, bevor ich anfange zu weinen!«, rief sie verzweifelt aus.
Und so wurde der schreiende Junge aus dem einzigen Heim gezerrt, das er jemals gehabt hatte. Er versuchte, sich aus der wartenden Kutsche zu befreien. Da sein Onkel ihn davon abhielt, hängte er sich aus dem Fenster und rief nach seiner Mutter, die Tränen liefen seine Wangen hinab. Er sah, wie sie auf der Veranda stand und ihm nachwinkte.
Aber seine Mutter sollte recht behalten. Auch wenn er sie anfangs schrecklich vermisste, fand er im Laufe der Monate doch Gefallen an dem Leben bei seinem Onkel und seiner Tante auf ihrem großen Landgut in Lancashire. Wegen des kleinen Welpen, den sie ihm geschenkt hatten, und der vielen anderen Hunde, die überall auf dem großen Anwesen herumtollten. Weil er zum ersten Mal im Leben einen richtigen Freund gefunden hatte - den Sohn eines der Landarbeiter - und sie unzertrennlich geworden waren. Weil es hier so viel mehr zu tun gab als in der Stadt. Aber vor allem wegen der Pferde. Es waren so viele! Man erlaubte ihm, bei der Pfl ege zu helfen. Schon bald beherrschte er es hervorragend, sie zu striegeln und zu füttern, und er durfte sogar bei der Ausbildung der Jungpferde behilflich sein.
Seine Mutter sah er nie wieder. Zumindest nicht lebend. An dem Tag, an dem sein Onkel und seine Tante ihm mitteilten, sie wäre an einer Lungenentzündung gestorben, kam all der Schmerz des Verlassenseins wieder in ihm hoch. In diesem Jahr stand sein achter Geburtstag bevor, und er war noch zu jung, um zu wissen, wie man die Tränen zurückhält, die ihm seine Wangen hinunterliefen.
»Sie wollte, dass du das hier bekommst.«
Er blickte hinab auf das Porzellanpferdchen, das Donald in seine Hand gelegt hatte. Seine Mutter hatte ihm ihre Liebe entzogen, hatte ihn verlassen, ihn weggeschickt und nicht ein einziges Mal in dieser ganzen Zeit besucht. Jetzt brauchte er nichts mehr von ihr, und in einem Ausbruch von wütendem Schmerz hob er den Arm, um die Porzellanfigur an der Wand zu zerschmettern, so wie sie seine Hoffnungen zerschmettert hatte, dass sie eines Tages wieder zusammen sein könnten. Stattdessen war sie gestorben und hatte somit dafür gesorgt, dass dieser Tag niemals kommen würde.
Aber Donald hielt ihn ab. »Tu das nicht, Junge! Sie wollte, dass du es behältst. Sie sagte, eines Tages würdest du alles verstehen und begreifen, wie sehr sie dich geliebt hat.«
Nichts als Lügen! Sie war fort. Er würde sie nie wiedersehen, nie wieder ihre Umarmung spüren. Die Tränen versiegten nicht an jenem Tag und auch nicht am nächsten und am übernächsten, als man die Leiche seiner Mutter nach Lancashire brachte, um sie an dem Ort zu beerdigen, an dem sie aufgewachsen war. Sein Schmerz war überwältigend, als er sah, wie der Sarg in die Erde herabgelassen wurde. Es tat so weh, dass er auf die Knie sank. Seine Tante kniete sich neben ihn und hielt seine Hand.
In jener Nacht stahl er sich aus dem Haus und rannte auf den kleinen Friedhof. Das Porzellanpferd hatte er bei sich. Er hätte es vorher am liebsten zusammen mit seiner Mutter beerdigt, aber er dachte, dass sein Onkel ihn bestimmt davon abgehalten hätte. Jetzt verbuddelte er es direkt neben ihrem Grab, aber irgendwie war der Schmerz jetzt noch schlimmer, er konnte vor lauter Tränen kaum aus den Augen schauen. Er wollte das dumme Pferd nicht behalten! Er wollte gar nichts von ihr, nichts, das ihn daran erinnerte, dass seine eigene Mutter ihn von sich fortgestoßen hatte.
In dieser Nacht schwor er sich, nie wieder zu weinen ... oder jemanden zu lieben. Es tat einfach zu weh.
Kapitel 1
Lady Amanda Locke seufzte, während sie ihr Gesicht in dem ovalen Spiegel betrachtete. Sie saß an ihrem Schminktisch in dem komfortablen Zimmer, das man im Haus ihres Cousins Rupert für sie hergerichtet hatte, und bildete sich ein, sie hätte eine Falte in ihrem Augenwinkel entdeckt. War das möglich? Sie beugte sich weiter vor. Nein, es lag nur an ihrer Einbildungskraft und an der Beleuchtung, aber lange würde es nicht mehr dauern. Sie war schließlich schon zwanzig geworden! Die feine Gesellschaft würde sie bald als alte Jungfer bezeichnen - wenn sie es nicht schon längst tat.
Sie seufzte wieder. Alice, ihre Zofe, tat so, als würde sie es nicht bemerken, und befestigte die letzte ihrer blond gelockten Haarsträhnen an ihrer kunstvollen Hochsteckfrisur. Das hätte Amanda nicht abgehalten, wenn sie denn das Bedürfnis gehabt hätte, über ihre Melancholie zu sprechen, aber heute Abend war ihr nicht danach. Alice hatte das alles schon gehört, und sogar ziemlich oft. Amandas ganze Familie hatte es schon gehört, und sie hatte eine große Familie. Ja, sie selbst war es leid, über ihr Elend zu klagen, aber manchmal konnte sie einfach nicht anders.
Ihre erste Saison in der Londoner Gesellschaft war ein Fiasko gewesen, obwohl es eigentlich ein durchschlagender Erfolg hätte sein sollen. Nicht weniger hatte sie erwartet. Auch ihre Familie hatte nicht weniger erwartet. Sie war immerhin eine Schönheit, sehr attraktiv mit ihrem blonden Haar und den türkisblauen Augen, und sie besaß den aristokratischen Knochenbau ihrer Familie. Außerdem war sie die Tochter von Preston Locke, dem zehnten Herzog von Norford. Das allein hätte schon zu einer Flut von Heiratsanträgen führen müssen. Und niemand hatte daran gezweifelt, dass sie in der Saison vor zwei Jahren all die anderen Debütantinnen ausstechen würde, auch nicht sie selbst. Aber damals hatte auch niemand damit gerechnet, dass die unsägliche Ophelia Reid im selben Jahr ebenfalls ihr gesellschaftliches Debüt beging - und niemand, nicht einmal Amanda, konnte es mit ihrer betörenden Schönheit aufnehmen.
Es war fast schon komisch, dachte Amanda, wie eifersüchtig sie damals auf Ophelia gewesen war. So eifersüchtig, dass sie beinahe ihre ganze erste Saison damit zugebracht hätte, vor sich hinzuschmollen, und deshalb all die jungen Männer ignorierte, die versuchten, ihre Bekanntschaft zu machen. In diesem Punkt war das ganze Desaster ihre eigene Schuld. Aber ihre Gefühle kochten schließlich vollends über, als sie feststellen musste, dass auch ihr eigener Bruder, Raphael, von der Eiskönigin in den Bann gezogen wurde.
Und das, obwohl Ophelia damals nicht einmal im Ansatz liebenswürdig war! Amanda hatte sich gefragt, wie ihr Bruder so dämlich sein konnte, nur weil Ophelia eine solche Schönheit war. Sie war manipulativ, eine Lügnerin und gehässig bis dorthinaus. Jeder, der Augen im Kopf hatte, konnte es sehen, was bedeutete, dass die Männer in London in jenem Jahr ihre Augen nicht benutzt hatten, nicht einmal Amandas eigener Bruder!
Rafe verliebte sich in Ophelia, heiratete sie, und es gelang ihm, das Monster zu zähmen. Es gab wirklich nichts mehr, was man an Ophelia nicht hätte mögen können.
Das alles war Teil ihrer desaströsen ersten Saison in London gewesen. Letztes Jahr hatte Amanda sich den Rat ihres Bruders zu Herzen genommen und gewartet, dass die Liebe zu ihr fand. Und sie hatte Spaß dabei gehabt, vielleicht zu viel Spaß. Sie hatte ein entspanntes Leben geführt, viele Zerstreuungen genossen und festgestellt, dass sie einige ihrer Verehrer gernhatte, vielleicht sogar als Freunde bezeichnen konnte. Aber niemand von ihnen hatte ihr Herz berührt. Und so kam es, dass auch ihre zweite Londoner Saison vergangen war und sie noch immer keinen Ehemann vorweisen konnte.
Jetzt, zu Beginn ihrer dritten Saison, war sie ziemlich verzweifelt. Irgendetwas musste dieses Jahr anders werden, denn ganz offensichtlich machte sie bei der Jagd nach einem Ehemann etwas falsch. Sie war gar nicht so albern und oberflächlich, wie die Leute dachten, aber sie wusste selbst, dass sie manchmal so wirkte.
»Sie sind jetzt schon gelangweilt von dieser Saison, oder?«, fragte Alice, die hinter ihr stand.
Amanda runzelte die Stirn, als ihre Blicke sich im Spiegel begegneten. War das Problem so einfach? Weil sie sich den ganzen Tag langweilte und sich dann so freute, wenn sie am Abend etwas vorhatte, dass sie weit über das Ziel hinausschoss und sich etwas übertrieben benahm?
Sie versuchte gar nicht, es abzustreiten. »Es ist alles anders hier, nicht so wie zu Hause auf dem Land, wo es so viele Dinge gibt, mit denen ich mich beschäftigen kann.«
»Ihre Tante hat Ihnen neulich einen Vorschlag gemacht. Warum nehmen Sie das Angebot nicht an?«
Amanda verdrehte die Augen. »Bei dem Nähkurs zu helfen, den ihre Freundin anbietet? Ich liebe Handarbeit, aber nicht genug, um es kleinen Mädchen beizubringen, die lieber draußen beim Angeln wären.«
Alice konnte ein Lachen nicht zurückhalten. »Ich glaube nicht, dass die meisten Mädchen so gern angeln gehen wie Sie damals. Aber Sie sollten sich eine Beschäftigung suchen, solange Sie hier in London sind, statt die Minuten bis zur nächsten Party zu zählen. Zwischen extremer Langeweile und extremer Aufregung hin und her zu schwanken, stellt nicht gerade ein gesundes Gleichgewicht dar.«
Es gelang Amanda, nicht noch einmal zu seufzen, aber natürlich würde sie gleich das Haus verlassen und spürte schon, wie die Erregung in ihr aufstieg. Heute könnte die Nacht sein, in der sie ihren zukünftigen Bräutigam kennenlernte. Nun ja, das könnte auf jeden Fall passieren. Also nickte sie nur und beschloss, dass das Projekt, sich eine sinnvolle Beschäftigung zu suchen, bis morgen warten konnte, wenn sie sich tagsüber wieder langweilte.
Amanda musste zugeben, dass sie sehr schön herausgeputzt war, nicht nur für eine, sondern für zwei Partys heute Abend. Sie drehte sich ein letztes Mal vor dem Spiegel, um zu prüfen, ob alles an seinem Platz war. Und so war es. In dieser Hinsicht war ihre Zofe einfach hervorragend. Das blasse Rosa ihres neuen Abendkleids stand ihr prächtig und passte perfekt zu den Rubinen ihrer Mutter, die ihren Hals und die Ohren schmückten.
Sie sah nicht anders aus als damals in ihrer ersten Saison, als sie noch gedacht hatte, dass sie von all ihren Freundinnen die erste wäre, die sich verloben würde, und am Ende ohne jede Verlobung dagestanden hatte. Lass die Liebe dich finden - sie wird es, ganz bestimmt!, hatte Ophelia zu ihr gesagt. Ja, aber wann? Wie lange musste sie noch auf diesen magischen Moment warten?
Amanda ging nach unten, um nachzusehen, ob ihr Cousin Avery schon angekommen war. Avery, der mittlere von Tante Julies drei Söhnen, lebte inzwischen in seiner eigenen Wohnung in London, aber Amanda hatte ihm am Nachmittag eine Nachricht geschickt, dass sie für den heutigen Abend einen Begleiter brauchte, da Tante Julies ältester Sohn Rupert und seine neue Braut Rebecca noch nicht aus Norford zurück waren. Und der jüngste Sohn, Oscar, war mit seinen sechzehn Jahren noch zu jung, um irgendjemanden zu begleiten.
Amanda hatte die letzte Saison ebenfalls im Haushalt der St. Johns verbracht, da ihr Vater kein Stadthaus in London besaß. Sie konnte stets die Begleitung sowohl der beiden Cousins als auch die ihrer Tante in Anspruch nehmen, auch wenn alle drei nicht ideal waren. Aber jetzt gehörte auch ihre Freundin Rebecca Marshall zum Haushalt, da sie kürzlich Rupert St. John geheiratet hatte, und sie eignete sich ideal.
Amanda war entzückt über die Nachricht über die Hochzeit von Rebecca und Rupert gewesen. Rebecca gab die perfekte »Anstandsdame« ab, denn mit ihr konnte sie richtig Spaß haben. Becky hatte Amanda jedoch zunächst überrascht, indem sie rundweg ablehnte und behauptete, es wäre nicht richtig, weil sie einige Jahre jünger war als Amanda. Aber Amandas Starrköpfigkeit hatte gesiegt - sie konnte überaus hartnäckig sein, ohne es selbst zu bemerken -, und sie konnte Becky schließlich doch überzeugen. Dann jedoch war Becky ohne jedes Wort aufs Land verschwunden, und Amanda stand wieder am Ausgangspunkt, mit ihrer alten Auswahl an Begleitern.
Deshalb hoffte sie nun, dass ihre alte Freundin endlich zurückgekehrt war. Sie machte sich keine Sorgen, dass Rupert sich ihnen anschließen würde. Er war der Bälle und Partys überdrüssig. Früher hatte er jedes Mal als Amandas Begleiter Aufsehen erregt, so gut aussehend und charmant, wie er war. Seine Gegenwart hatte alle anderen Männer eifersüchtig gemacht, und eifersüchtige Männer wollen nicht tanzen. Deshalb würde sie Rupert nun nur im äußersten Notfall fragen, ob er mit ihr ausginge.
Seine Mutter Julie war mindestens genauso wenig als Begleitung geeignet! Sie hatte ihre drei Söhne nach dem Tod ihres Mannes, dem letzten Marquis von Rochwood, allein großgezogen und dabei versucht, ihnen Mutter und Vater zugleich zu sein, was sie leider in eine ziemlich ungehobelte Person verwandelt hatte. Wie Amanda zu ihrer Freundin Rebecca gesagt hatte, als sie sie dazu überreden wollte, ihre Begleitung zu übernehmen: »Wenn Tante Julie mich auf eine Party begleitet, schimpft sie den ganzen Abend vor sich hin. Und glaub mir, es gibt nur sehr wenige Männer, die sich nicht aus dem Staub machen, nachdem sie eine von ihren Rüffeln abbekommen haben! «
Rebecca hatte allerdings mit einem guten Argument entgegnet: Wenn ihre Verehrer sich von Tante Julie so leicht abschrecken ließen, dann wären sie auch nicht die Richtigen. Und Amanda musste in der Tat zugeben, dass sie hie und da erleichtert gewesen war, als ihre Tante einige unansehnliche Exemplare vergrault hatte.
Amanda war beinahe schon unten an der Treppe angekommen, als sie ihre Schritte verlangsamte. Sie fragte sich, ob Avery wohl schon angekommen war. Obwohl es ihm nie etwas ausmachte, sie zu begleiten - zumindest beklagte er sich nie -, musste er für gewöhnlich seine eigenen Pläne dafür ändern, was ihr wiederum äußerst unangenehm war. Und manchmal konnte er auch nicht kommen, weil er gar nicht in der Stadt weilte.
Amanda dachte, dass es wohl besser gewesen wäre, sich erst für den Abend anzukleiden, nachdem sie seine Zusage hatte. Jetzt wurde sie panisch. Tante Julie würde fuchsteufelswild werden, wenn sie sich in letzter Minute umziehen müsste, um mit ihr auszugehen. Aber Amanda hatte aufgrund von Beckys Abwesenheit schon zwei Einladungen ausgeschlagen. Die beiden heutigen konnte sie einfach nicht absagen, zumal die eine Party von einer engeren Freundin und die andere von ihrer Schwägerin gegeben wurde. Und so hatte sie beschlossen hinzugehen - allerdings nicht ohne Begleitung!
Es war zwar nicht Avery, der da im Flur zum Salon auftauchte, angelockt von ihrem lauten Seufzen, aber der Mann, der vor ihr stand, ließ sie allen Kummer sofort vergessen.
»Vater!« Sie stürzte sich in Preston Lockes offene Arme. »Was machst du denn hier? Du kommst doch nie nach London, außer fürs Geschäft !«
Er drückte sie kurz an sich, dann schob er sie ein Stück weit von sich und erklärte: »Ich betrachte das als Geschäft, als Familiengeschäft. Ich bin gekommen, um herauszufinden, was dein Cousin Rupert hier gemacht hat, während seine neue Braut in Norford war. Wusstest du, dass sie mich nicht einmal über ihre Hochzeit informiert haben?«
Amanda zuckte zusammen. Ihr Bruder Rafe hatte dasselbe getan, hatte Ophelia vom Fleck weg geheiratet, ohne der Familie Bescheid zu geben, und ihr Vater war darüber sehr verärgert gewesen.
»Das würde erklären, warum Rue heute so plötzlich aufgebrochen ist«, sagte sie mit wissendem Lächeln. Sie konnte sich schon vorstellen, wie das Gespräch zwischen verärgertem Onkel und gerüffeltem Neff en abgelaufen war. »Meinst du also, er bringt Becky zurück nach London?«
»Das könnte gut sein.«
»Schon bald, hoffentlich? Vielleicht sogar heute?«
»Das bezweifle ich.«
Amanda seufzte.
Preston gab ihr einen Stupser unter das Kinn. »Was ist los?«
»Ich hatte mich schon gefreut, heute mit Becky als meiner Anstandsdame auszugehen. Jetzt muss ich doch mit Avery vorliebnehmen.«
Preston runzelte die Stirn. »Ist Becky nicht etwas zu jung für ...?«
»Nein, nein«, unterbrach Amanda ihn hastig, »sie ist doch verheiratet. Und du weißt, dass es deshalb durchaus akzeptabel ist.«
Prestons nachdenklicher Blick machte sie verlegen. Er war ein großer Mann, breitschultrig und kräftig. Sie und ihr Bruder Rafe hatten ihr blondes Haar und die blauen Augen von ihm geerbt. Preston war an den Schläfen allerdings schon etwas ergraut, was ihn äußerst ärgerlich machte. Aber er geriet nur selten aus der Fassung - im Gegenteil: Er konnte auf Freund und Feind einen solch beruhigenden Einfluss ausüben, dass es ziemlich schwierig war, sich in seiner Gegenwart aufzuregen. Er stritt nicht für seine Ansichten, sondern trug sie in vernünftigem Ton vor, und wenn sich einmal herausstellte, dass er sich irrte, lachte er nur und nahm es an. Es gab nur eine einzige Ausnahme, und zwar, wie er mit seinen Geschwistern umging. Wenn es um seine Schwestern ging, so genoss er geradezu, sie aufzuziehen, und war ein rechter Quälgeist. Ihr eigener Bruder hatte auch das von ihm geerbt, sehr zu ihrem Verdruss.
Noch bevor ihr Vater ihr verbieten konnte, auf Rebecca als Anstandsdame zurückzugreifen, nur weil sie ein paar Jahre jünger war, fragte Amanda: »Wusstest du, dass Rebecca eine Ehrendame der Königin war, bevor sie Rue geheiratet hat?
Dort im Palast lernte ich sie auch kennen. Da sie am Königshof gedient hat, ist sie peinlichst auf Etikette bedacht, mehr als alle anderen, die ich kenne.«
»Nein, das wusste ich nicht. Aber deine Tante Julie ist immer noch die beste ...«
»Sie geht nicht gern auf Partys. Sie macht es natürlich, aber du weißt doch, wie sie ist, wenn ihr etwas nicht gefällt«, murmelte Amanda.
Preston räusperte sich. »Es wäre besser gewesen, sie hätte wieder geheiratet, statt sich als ewige Nörglern zu üben.«
»Dasselbe sagt sie über dich«, entfuhr es Amanda. Dann stotterte sie: »Also, natürlich nicht den Teil mit der Nörglerin.«
War das etwa ein Anflug von Rot auf den Wangen ihres Vaters? Sicherlich nicht. Schließlich wusste die Familie durchaus, warum er sich nach dem Tod seiner Frau dafür entschieden hatte, allein zu bleiben. Er hatte sie zu sehr geliebt. Er versuchte, diese Liebe zu ehren und nicht durch etwas Neues zu ersetzen. Amanda und Rafe vermuteten, dass ihr Vater nicht von einer zweiten Gattin enttäuscht werden wollte, nachdem er mit seiner ersten so glücklich gewesen war. Und sie konnten auch kaum widersprechen, denn auch sie wollten nicht, dass ihre Mutter ersetzt würde. Aber sie wünschten sich, dass ihr Vater glücklich war. Wenn er also jemanden finden würde, der ihn glücklich machte, hätten sie nichts dagegen einzuwenden. Er hingegen suchte überhaupt nicht. Er kannte bereits alle ungebundenen Damen zu Hause auf dem Land und interessierte sich für keine von ihnen, und nach London, wo er vielleicht jemand Neues kennenlernen könnte, kam er nur selten.
Aber jetzt war er hier. Sie fragte sich ...
»Übrigens, ich habe Avery nach Hause geschickt«, eröffnete Preston ihr sachlich. »Heute werde ich deine Begleitung sein, meine Liebe. Ich will mich mit eigenen Augen vom Angebot überzeugen und verstehen, was es dir so schwer macht, dich zu entscheiden.«
Auch wenn es schwer war, ein begeistertes Quietschen und ein ärgerliches Stöhnen in einem Atemzug unterzubringen, gelang es Amanda ganz gut.
Kapitel 2
Zwei Partys an einem Abend, ist das heutzutage normal?«, fragte Preston neugierig.
Raphael sah seinen Vater an und lachte. »Seid ihr deshalb so spät dran, Mandy und du? Wart ihr vorher noch auf einer anderen Party?«
Preston schnitt eine Grimasse. »Ja, deine Schwester behauptet, sie könne keine von beiden verpassen. Die andere Party war bei einer alten Schulfreundin ein paar Häuser weiter. Wobei man es kaum eine Party nennen konnte, bei so wenigen Leuten.«
Raphael leistete seinem Vater am Rand des großen Ballsaals Gesellschaft, in dem Ophelias Gäste heute zusammengekommen waren. Zum Glück war fast niemand hier, der Preston erkennen würde. Er kam nur sehr selten nach London, und schon gar nicht für gesellschaftliche Anlässe - außer, die Queen persönlich lud ihn ein. Deshalb ahnte niemand, dass der Herzog von Norford anwesend war. Ansonsten wären die Gäste Spalier gestanden, um seine Bekanntschaft zu machen.
Immerhin hatte Amandas Vater sich dank Ophelia schon an gesellschaftliche Zusammenkünfte auf dem Lande gewöhnt. Prestons fünf Schwestern hatten früher oft Gesellschaft en in Norford Hall abgehalten, aber das lag sehr lange zurück, Mandy war damals noch gar nicht geboren gewesen. Nachdem auch die letzte seiner fünf Schwestern geheiratet hatte und weggezogen war, blieb es ruhig in Norford Hall. Amandas Mutter war es so lieber gewesen, und nach ihrem Tod war Preston so etwas wie ein Einsiedler geworden. Er hatte nicht einmal das gesellschaftliche Debüt seiner Tochter ausrichten wollen, sondern schickte sie einfach nur nach London, wo sie garantiert die größte Auswahl hatte - die Crème de la Crème der Junggesellen des ganzen Königreichs. Es lag wie ein Fluch auf der Familie, dass sie noch immer keinen auserwählt hatte.
Auf die neugierige Frage seines Vaters antwortete Rafe: »Nein, zwei Partys an einem Abend sind überhaupt nicht normal. Wahrscheinlich ist das Phelias Schuld. Diese Party war eher spontan. Sie hat die Einladungen erst heute früh verschickt. «
Preston war erstaunt. »Und trotzdem sind so viele Leute gekommen?«
Raphael schmunzelte. »Die erste Gastgeberin im ganzen Königreich zu sein, war immer Ophelias Herzenswunsch. Die Idee stammte von ihrer Mutter. Gesellschaften zu veranstalten, war ihr ein und alles.«
»Wie belanglos!«
»Nein, für die Damen ist es das ganz und gar nicht«, widersprach Raphael lachend. »Aber Ophelia gab dieses Ziel nach unserer Hochzeit auf. Es war ihr überhaupt nicht mehr wichtig, nachdem Chandra auf die Welt gekommen ist.«
»Und trotzdem macht sie es noch?«
»Natürlich, es liegt einfach daran, wer sie ist. Sie ist zu schön, zu diskussionsfreudig, bis zum heutigen Tag reden die Leute viel mehr über sie, als sie sollten, und außerdem ist sie inzwischen die Schwiegertochter des einsiedlerischen Herzogs von Norford.«
Preston schnaubte. »Wie könnte ich ein Einsiedler sein, wo Ophelia doch jedes Mal so viele Leute einlädt, wenn ihr beiden bei mir seid?!«
»Ja, aber sie lädt doch nur die Nachbarn ein, niemanden, den du nicht bereits kennst. Hier in London ist das etwas ganz anderes. Ich kann gar nicht zählen, wie viele Fremde hier auftauchen, nur weil sie nicht nur Freunde und Bekannte einlädt, sondern alle, die sie interessant findet. Jeden, den die feine Gesellschaft interessant findet. Und natürlich die aktuellen Debütanten und Debütantinnen, um ihnen bei ihrer Angelegenheit zu helfen.«
»Betätigt sie sich etwa auch noch als Kupplerin?«
»Nein, natürlich nicht, das überlässt sie den älteren Damen - wie den beiden dort, Gertrude Allen und Mabel Collicott.« Raphael deutete mit einem Nicken auf die beiden ältesten Damen im Saal, die schräg gegenüberstanden. »Sieh sie dir nur an! Man hört geradezu, wie es in ihren Köpfen rattert. Sie versuchen, jede unverheiratete Person, die ihnen vor die Augen tritt, unter die Haube zu bringen.« Um seinen Vater ein wenig aufzuziehen, fügte er hinzu: »Pass bloß auf, dass sie nicht in deine Richtung blicken!«
Preston musste lachen. »Ich glaube, in dieser Hinsicht bin ich sicher. Ich kenne Gertrude. Süße alte Lady. Vor einigen Jahren drängte sie mich schon einmal in die Ecke, um zu fragen, ob ich an einer neuen Ehe interessiert wäre. Ich habe ein ernstes Wörtchen mit ihr geredet.«
»Auf jeden Fall dürften die beiden Kupplerinnen heute Abend in ihrem Element sein. Ophelia ist es immer wichtig herauszufinden, wer die neuen Debütanten sind, und zu jeder Party einige davon einzuladen.«
»Dir bedeuten diese Partys wenig, oder?«
»Ja, aber ihr machen sie Spaß. Und es ist wirklich schwer, sie nicht glücklich machen zu wollen, so sehr, wie ich sie liebe.«
»Mandy hat gar nicht erwähnt, dass das hier ein Ball ist«, bemerkte Preston und ließ seinen Blick durch den Saal schweifen.
Raphael lachte. »Ist es nicht. Ophelia wollte im Salon empfangen, nur eine kleine Soiree, aber wie es bei ihren Partys so oft passiert, sind doppelt so viele Gäste erschienen wie erwartet. «
»Klingt, als würdet ihr einen strengeren Butler an der Tür benötigen«, erwiderte Preston missbilligend.
»Es handelt sich doch nicht um Störenfriede. Es sind Freunde und Begleiter der geladenen Gäste, und Phelia hasst es, jemanden abzuweisen. Also richtet sie sich darauf ein und sorgt dafür, dass immer noch etwas mehr zu essen da ist. Es ist einfach Tatsache, dass niemand auch nur einen ihrer Empfänge verpassen will, und viele sagen sogar andere Einladungen ab, nur um zu ihr zu kommen. Das ist wahrscheinlich auch der Grund, warum auf der anderen Party heute Abend so wenige Gäste waren. Die meisten Gastgeberinnen achten darauf, dass sie keinen Abend auswählen, an dem Phelia bereits geladen hat. Sie fragen sogar extra vorher nach. Aber manchmal steht ihr eben spontan der Sinn nach einer Party, so wie heute, vor allem, wenn wir gerade erst in die Stadt gekommen sind.«
Prestons Blick heftete sich an Amanda, die in der Mitte des Raums stand. Raphael folgte seinem Blick. Seine Schwester lachte, umringt von vier jungen Herren, die allesamt versuchten, sie zu unterhalten, und einem davon schien es auch gelungen zu sein. Das war ermutigend.
Preston schien das anders zu sehen. Er seufzte und bemerkte: »Sie umzingeln sie, aber ich sehe schon, warum sie es so schwer bei dieser Jagd hat, wenn das hier das Beste dieser Saison darstellen soll.«
Sie scharten sich auch immer noch um Ophelia, zu Raphaels großem Kummer, obwohl sie inzwischen verheiratet war! Aber er blickte zu den vier Kandidaten, die Amanda umgaben, und musste seinem Vater recht geben. Sie sahen ziemlich unscheinbar aus. Nicht dass Amanda jemandem die kalte Schulter zeigen würde, nur weil er nicht gut aussah, aber sie würde sich wohl kaum in jemanden verlieben, der nicht das geringste bisschen interessant war. Und sie war auf der Suche nach Liebe. Nicht nach Wohlstand oder nach Titeln, sondern nach Liebe. Er hatte es so oft gehört, dass Liebe das Einzige war, was eine glückliche Ehe ausmachte. Früher hatte er darüber gespottet, aber wie könnte er das heute, wo doch seine Ehe so glücklich war, weil er liebte?
»Was ist mit deinen Freunden?«, fuhr Preston fort. »Hat Amanda sie schon alle kennengelernt? Ist niemand dabei, den du empfehlen könntest?«
Raphael hätte sich fast verschluckt. »Oh Gott, nein! Die wenigen, die überhaupt heiraten wollten, haben es schon getan, noch bevor Mandy volljährig war. Und den Rest würde ich nicht einmal in die Nähe meiner Schwester lassen, allesamt Windhunde. Aber ich bezweifle, dass das hier eine repräsentative Auswahl an jungen Männern bildet, die dieses Jahr auf Brautschau sind. Es sollte auch nicht so eine Veranstaltung werden. Über die Hälfte der Gäste sind verheiratet. Leider habe ich gesehen, dass zwei dieser Ehepaare alte Freunde von Mandy sind.«
»Leider?«
»Sie wird sicher gleich wieder melancholisch, wenn sie sie bemerkt«, vermutete Raphael. »Aber sie hat sich vor ein paar Tagen bei meiner Frau beschwert, dass all ihre Freundinnen inzwischen entweder verheiratet oder verlobt sind und deshalb wohl kaum auf den entsprechenden Veranstaltungen auftauchen. Deshalb hat Phelia heute Abend einige ihrer Freundinnen eingeladen, nur Mandy zuliebe. Ich wünschte, sie hätte mich vorher gefragt, dann hätte ich ihr davon abgeraten, ebenfalls Mandy zuliebe.«
»Unsinn! Ich weiß zwar, dass mein Mädchen nicht glücklich darüber ist, dass sie immer noch nicht verheiratet ist - aber ich schon, musst du wissen.« Als Raphael eine Augenbraue hochzog, erklärte Preston: »Ich werde sie schrecklich vermissen, wenn sie einmal auszieht, um ihren eigenen Haushalt zu gründen. Erzähl ihr das aber bloß nicht! Ich will nicht, dass sie sich noch mehr Sorgen macht. Sie wird sich doch wohl kaum aufregen, nur weil ihre Freundinnen schneller heiraten als sie.«
»Ach nein? Niemand ist eben gern der Letzte in der Schlange. Mir gegenüber hat sie es jedenfalls erwähnt.«
»Wie dem auch sei, zumindest scheint sie den Abend zu genießen. Sie ist so überschäumend wie immer. Ich finde nur, sie schnattert etwas zu viel.«
»Wann tut sie das nicht?«, entgegnete Raphael mit einem Lachen und sah dann wieder seine Schwester an. Sie sorgte für die Unterhaltung und gab den jungen Männern keine Chance, irgendwie zu Wort zu kommen. »Sie quatscht ihnen die Ohren voll, aber sie ist zu schön, um sie damit abzuschrecken. Mir scheint, der heutige Abend ist wieder einmal vergebliche Liebesmüh. Ich werde mit Phelia reden. Sie soll dafür sorgen, dass auf allen anderen Partys dieser Saison wirklich sämtliche begehrten Junggesellen erscheinen. Wenn das hier wirklich das ganze Angebot sein soll, wird Mandys Alte-Jungfern-Gejammer nie ein Ende haben!«
Preston schnaubte empört. »Sie ist keine alte Jungfer, nicht im Entferntesten!«
»Dann versuch du doch, sie davon zu überzeugen! Du weißt doch, wenn sie einmal etwas aufschnappt, ist es schwer, ihr das wieder auszureden.«
»Hat sie es denn so gesagt?«
»Nein, aber wenn sie nicht in den nächsten Wochen ihren zukünftigen Bräutigam kennenlernt, wird das auch noch passieren«, meinte Raphael. »Ich bin sowieso überrascht, dass ihr Misserfolg in Sachen Partnerwahl nicht schon längst das Klatschthema Nummer eins ist. Wobei es durchaus so sein könnte, nur dass sich niemand traut, es mir gegenüber zu erwähnen. «
»Vielleicht wird es Zeit, dass ich etwas unternehme«, überlegte Preston.
»Willst du ihr etwa einen Mann kaufen? Oh Gott, nein, versuch es nicht einmal! Ihr geht es nur um Liebe. Ich verspreche dir, etwas anderes kommt für sie nicht infrage!«
Preston schnalzte missbilligend mit der Zunge. »Nein, ich dachte nicht an etwas so Altmodisches, wie eine Ehe für Mandy zu arrangieren. Ich weiß sehr gut, wie sehr sie das verletzen würde. Aber es war wohl sehr selbstsüchtig von mir zu hoff en, dass sie sich bei der Partnerwahl Zeit lässt, wenn das nach drei Jahren schon solche Konsequenzen hat, wie du gesagt hast.«
»Du meinst den Titel alte Jungfer?«
»Gewiss. Es ist zwar mehr als lächerlich, aber für sie wäre es das bestimmt nicht. Nein, ich dachte eher daran, mich einmal mit meiner alten Freundin Gertrude Allen zu unterhalten.«
Raphael lachte in sich hinein und sah zu den beiden Kupplerinnen hinüber. »Das könnte in diesem Stadium auf jeden Fall nicht schaden. Darauf hätte ich auch selbst kommen können.«
»Genau. Dann habe ich wenigstens irgendetwas getan, um ihr bei der Suche nach einem Mann zu helfen, die ihr so wichtig ist.«
Ein leichter Aufruhr an der Tür zog ihre Aufmerksamkeit auf sich, wie auch die der anderen Gäste. Zwei Neuankömmlinge betraten den Ballsaal. Der kleinere der beiden kam Raphael irgendwie bekannt vor. Der andere, wahrscheinlich Mitte zwanzig, war groß und gut aussehend, von kräftigem Körperbau, sein schwarzes Haar etwas länger, als die aktuelle Mode vorgab. Er hatte etwas Gefährliches an sich, das ihn hier auf den ersten Blick irgendwie fehl am Platz wirken ließ, auch wenn er korrekt gekleidet war. Er war ein bisschen zu muskulös und erinnerte Raphael an einen Schläger oder Schlimmeres.
»Wer ist das?«, wollte Preston wissen. »Ist er auch Teil der aktuellen Auswahl an begehrten Junggesellen?«
Raphaels Beschützerinstinkt machte sich bemerkbar. »Ich weiß nicht, wer das ist, aber ich werde dafür sorgen, dass er nicht in die Nähe meiner Schwester kommt.«
Preston hob eine Augenbraue. »Warum?«
Raphael stöhnte innerlich auf. Dein Instinkt hatte ihn das aussprechen lassen, und dieser war so stark, dass er ihn nicht ignorieren konnte. War er der Einzige, der spürte, dass dieser Neuankömmling gefährlich war?
»Ihm fehlt irgendwie der letzte Schliff«, sagte er beschwichtigend.
»Ist das bei deinem Freund Duncan MacTavish nicht auch der Fall?«
»Er hat eine Entschuldigung. Er ist im schottischen Hochland aufgewachsen.«
»Vielleicht solltest du erst herausfinden, wer dieser große Mann ist, bevor du ihn herabwürdigst, nur weil er hier ein bisschen fehl am Platz wirkt.«
Das zumindest war seinem Vater aufgefallen? Aber der Typ war der feinen Gesellschaft zumindest nicht gänzlich unbekannt. Einige der Gäste kannten ihn, ein junges verlobtes Pärchen lief auf ihn zu und begrüßte ihn überschwänglich. Vielleicht täuschte Raphael sich. Womöglich war der Mann völlig harmlos und wirkte nur deshalb gefährlich, weil er so groß war.
»Seine Hoheit, der Herzog?«
Preston verschluckte sich fast, als er diese Anrede vernahm, und Raphael drehte sich um und sah einen Herrn mittleren Alters, der seinem Vater die Hand hinstreckte. Man hatte ihn entdeckt! Das lenkte Raphael von dem Neuankömmling ab, und er musste fast lachen, als er sich die Schlange an Gästen vorstellte, die sich gleich vor dem einsiedlerischen Herzog von Norford bilden würde.
»Streite es ab!«, flüsterte er seinem Vater mit einem Grinsen zu.
»Sei nicht albern!«, gab Preston zurück und drückte dem anderen die Hand.
Raphael sah ein Pärchen, das ebenfalls auf seinen Vater zuging, und kommentierte amüsiert: »Du hast es nicht anders gewollt.«
Er hörte Preston noch seufzen, dann machte er sich auf die Suche nach Ophelia. Sie wusste bestimmt, wer dieser Schlägertyp war.
Kapitel 3
Ich habe keine Ahnung, wer das ist, und hatte auch noch keine Zeit, es herauszufinden«, sagte Ophelia. »Wir sind gerade erst in die Stadt zurückgekommen, ich bin also noch nicht auf dem Laufenden, was den neuesten Klatsch betrifft. Aber ich habe gehört, dass ein paar Leute ihn Cupido genannt haben. Sehr interessant!«
Raphael bezwang den Anflug von Eifersucht angesichts der Tatsache, dass Ophelia diesen Kerl interessant fand. Er wartete dennoch, bis sie dem Butler ihre Instruktionen für den Koch gegeben hatte. Natürlich wollte sie wissen, wer sich auf ihrer Party eingefunden hatte. Sie versuchte immer, in Erfahrung zu bringen, wer die ungeladenen Gäste waren, bevor diese die Party verließen, für den Fall, dass sie sie beim nächsten Mal einladen wollte.
»Also, wo waren wir stehen geblieben?«, fragte sie und drehte sich zu Raphael, um ihm ein umwerfendes Lächeln zu schenken.
Gott, wie schön sie doch war, dachte er. Weißblondes Haar, blaue Augen, Alabasterhaut und so feine, edle Gesichtszüge, dass jeder, der sie ansah, einfach überwältigt war. Die kleine Narbe oberhalb ihres Kinns, die davon stammte, dass ein Pferd sie getreten hatte, tat ihrer Schönheit keinen Abbruch, nicht im Geringsten. Er wünschte manchmal, es wäre so. Niemand sollte so schön sein. Manchmal wünschte er wirklich, es würde ihn nicht immer wieder eifersüchtig machen, wenn sie mit anderen Männern sprach. Er hatte es überhaupt nicht unter Kontrolle, es überkam ihn einfach, auch wenn er wusste, dass es keinen Grund dafür gab. Aber bisher hatte auch niemand sich mit ihrer Schönheit vergleichen können, und so würde es wohl auch bleiben.
»Wir sprachen über deinen gut aussehenden ungeladenen Gast«, antwortete er.
»Ach ja. Ich habe seinen Freund eingeladen, William Pace. Seine Schwester hat dieses Jahr ihre erste Saison, und ich konnte mich an ihren Namen nicht mehr erinnern. Ich hoff te, dass er sie mitbringt, aber sie hatte wohl anderweitige Verpflichtungen.«
»Pace, natürlich, jetzt erinnere ich mich. Ein netter Kerl. Der Ärmste verlor vor Kurzem beide Eltern. Aber seine Schwester habe ich auch nicht gesehen ... Cupido also, ja?« Er musterte die beiden jungen Männer und verdrehte die Augen. Genau so wurden Gerüchte in die Welt gesetzt, wenn die Leute eigentlich nichts wussten und unausgegorener Klatsch und deshalb begannen, sich die Details auszumalen. »Wahrscheinlich ist das nur ein Gerücht, denn sonst würde ich annehmen, er sei ein Kuppler.«
Ophelia kicherte. »Wahrscheinlich, denn mit so etwas beschäftigen sich nur Frauen. Aber irgendwie scheint er eine Sensation zu sein. Ich hörte den Namen Cupido bestimmt drei Mal, noch bevor er ankam, und seit er hier ist, noch einige Male. Aber als ich nachfragen wollte, belagerten mich alle wegen deines Vaters. Jemand hat ihn erkannt, und jetzt wollen alle wissen, warum er aus seinem Winterschlaf erwacht ist.«
»Wegen Mandy natürlich. Man sollte doch meinen, dass die Leute selbst darauf kommen und es dabei belassen.«
Sie widersprach: »Nein, wie auch, wo er sie doch zwei Jahre ohne seine Begleitung ausgehen ließ!«
Beide sahen zu Amanda hinüber, und Raphael runzelte die Stirn, als er bemerkte, dass ein weiterer Mann sich zu der Gruppe um seine Schwester gesellt hatte. »Was zum Teufel macht Exter hier? Der Kerl ist in der ganzen Stadt dafür bekannt, dass er nur auf vermögende Frauen aus ist.«
»Er wohnt bei Lord und Lady Durrant. Ich wusste das nicht, bis sie mit ihm im Schlepptau auftauchten. Aber Mandy würde nie auf jemanden wie ihn hereinfallen. Auch wenn sie manchmal nicht so wirkt - sie ist ein kluges Mädchen.«
»Ich liebe sie über alles, aber wir reden hier über meine Schwester. Sie ist manchmal völlig zerstreut und ...«
Ophelia bohrte ihm ihren Zeigefinger in die Brust. »Nichts da! Sie ist nur sehr leicht erregbar. Daran ist nichts verkehrt. Ich bin sicher, dass sie genau weiß, welche ihrer Verehrer in sie verliebt sind und welche in ihren Vater ...« Sie legte eine Pause ein, die genau so lang war, dass Raphael in Lachen ausbrechen konnte. »Also, ich meine natürlich, in den Adelstitel ihres Vaters.«
Raphael legte seinen Arm um die Schultern seiner Frau. »Ich weiß, ich mache mir wahrscheinlich ganz umsonst Sorgen. « Er klopfte sich auf die Brust. »Aber ich spüre es hier drin, Mandys Unglück. Sie sollte es sich nicht so schwer machen. Sieh sie dir an, sie ist bezaubernd, sie ist eine erstklassige Partie. Was zum Teufel ist los, dass es keinem dieser Männer gelingt, sie für sich zu gewinnen?«
»Weil einfach noch nicht der Richtige für sie dabei war. Liebe kann man nicht erzwingen. Ihre Liebe ist einfach noch nicht gekommen. Dieses Jahr suchen wieder neue junge Männer die Stadt auf. Neues Spiel, neues Glück. Wir können nur hoffen, dass die Liebe sie heuer findet.«
Beide starrten wieder zu dem Neuankömmling, dem großen gut aussehenden Mann. Als Raphael ihn mit dem jungen verlobten Pärchen hatte lachen sehen, wirkte er gar nicht mehr so bedrohlich wie auf den ersten Blick. Raphael überlegte, ob er nicht einfach seine Bekanntschaft machen sollte, um herauszufinden, ob sein erster Eindruck ihn getäuscht hatte.
Ophelia dachte währenddessen an etwas ganz anderes. Cupido? Nur jemand, der erfolgreich beim Kuppeln war, konnte einen solchen Spitznamen verdient haben. Außer natürlich, es handelte sich um einen Scherz, was ebenfalls möglich war. Kein Mann wurde gern mit einem Cherub verglichen, oder? Sie musste es auf jeden Fall herausfinden.
Auf der anderen Seite des Raumes sagte Pace zu seinem besten Freund, nachdem Sir Henry und Elizabeth Malcort das Gespräch beendet und sich entfernt hatten: »Ich habe dir doch gesagt, dass du dich hier gut einfügen und Leute treffen wirst, die du kennst.«
Devin Baldwin lachte, denn er wusste, dass der erste Teil dieser Aussage nicht im Geringsten zutraf. Er war zu groß, zu stark gebräunt, weil er sich so viel im Freien aufhielt, und zu ungeschliffen, da er seine Worte nie auf die Goldwaage legte, egal, in welcher Gesellschaft er sich befand. Er hätte es lernen können, wie man sich als perfekter Gentleman verhielt, aber er fand diesen Unterricht nutzlos, entweder auf absurde Weise amüsant - oder auch nur heuchlerisch.
William versuchte seit Jahren, ihn auf solche Veranstaltungen mitzuschleppen, aber erst in letzter Zeit hatte er befunden, dass es für ihn vorteilhaft sein könnte. Nicht dass er dieses Jahr nicht auch selbst unter Leute gegangen wäre, wenn er denn einmal Zeit hatte. Doch bei den Einladungen, die er von seinen Kunden bekommen hatte, handelte es sich um weit geringere Anlässe, die er als geschäftlich betrachtete, nicht um solche piekfeinen Partys wie diese hier, wo jeder Gast irgendeinen Adelstitel trug. Und jetzt erhielt er Einladungen von irgendwelchen Adligen, die er überhaupt nicht kannte, nur weil er ein paar Kunden in Angelegenheiten geholfen hatte, die überhaupt nichts mit der Pferdezucht zu tun hatten, mit der er sich sonst beschäftigte.
Solche Einladungen hatte er immer ignoriert - bis zum heutigen Abend. Er mochte die reichen Londoner Lackaffen nicht - außer, sie waren seine Kunden. Und selbst dann befand er sie immer noch für alberne, oberflächliche Leute, die nichts anderes im Kopf hatten als ihre lächerlichen Vergnügungen und die vom wirklichen Leben überhaupt nichts wussten. Sie erinnerten ihn viel zu sehr an seinen Vater, den er hasste. Sie erinnerten ihn an seine Mutter, die ihre Familie im Stich gelassen hatte, um sich ganz dem Sündenpfuhl Londons hinzugeben. Er war sowieso mehr an Leute vom Land gewöhnt, Gutsherren, die ihre Landgüter selbst führten, statt sie einem Verwalter zu überlassen. Männer, die er respektieren konnte, weil sie nicht davor zurückschreckten, sich selbst die Hände schmutzig zu machen.
»Ist sie nicht faszinierend?«, fragte William.
Devin ließ zuerst seinen Blick über den reich verzierten Kamin im Ballsaal gleiten, bevor er beiläufig zurückgab: »Welche? «
William lachte. »Na ja, unsere Gastgeberin ist verheiratet, und das auch noch glücklich. Du weißt ganz genau, dass ich von unserer Little Miss Sunshine spreche.«
»Ich versuche, sie nicht zu beachten.«
»Warum?«
»Du bist derjenige, der nach einer reichen Frau Ausschau hält, nicht ich«, antwortete Devin. Und die kleine Schnattergans, von der sein Blick immer wieder angezogen wurde, war einfach zu hübsch. Das Letzte, was er brauchen konnte, war, sich von einer Frau angezogen zu fühlen, die er niemals haben konnte.
»Nett von dir, dass du sie mir überlassen willst. Aber ich bin auch kein Idiot«, entgegnete William. »Bei so einer Premium- Braut habe ich keine Chance.«
»Unsinn ...«
William unterbrach ihn mit einem trockenen Lachen. »Glaub mir, ich habe es letztes Jahr nach besten Kräften versucht! Damals wusste ich nicht, dass ihr Vater ein Herzog ist. Es war mir auch egal, als ich es erfahren hatte. Aber sie konnte sich nicht einmal an meinen Namen erinnern! Ein harter Schlag für mein Ego, also habe ich es aufgegeben. Aber du, du bist groß und gut aussehend, den Leuten ist es sogar egal, dass du ein bisschen ... ungehobelt bist.«
Das bewirkte das Lachen, auf das William gewartet hatte, auch wenn seine Bemerkung durchaus der Wahrheit entsprach.
»Ich habe vielleicht die Farm meiner Vorfahren wieder auf Vordermann gebracht, aber das betrachte ich nicht als mein Verdienst. Und der Adelstitel, den unsere Familie einmal besaß, ging schon vor Jahrhunderten durch die Heirat einer Tochter flöten. Meinst du nicht, dass die Familie von Little Miss Sunshine zumindest auf eines davon Wert legen würde, wenn nicht gar auf beides?«
»Das könnte man meinen«, sagte William nachdenklich. »Ja, ja, das könnte sein, aber manche Familien sind so reich und stehen so weit über den Dingen, dass es ihnen gar nicht mehr auf so etwas ankommt.«
»Oder gerade erst recht.«
William zuckte mit den Achseln. »Wer weiß? Ich sage nichts mehr - aber nur weil du darauf bestehst, dass du nicht an einer Ehefrau interessiert bist. Ich finde nur, du solltest für alles offen sein - nur für den Fall, dass dir etwas in den Schoß fällt ...«
»Ich dachte, du wolltest nichts mehr sagen?«
William grinste, doch dann blitzten seine Augen auf, und er warnte seinen Freund plötzlich: »Oh, oh, sei auf der Hut, deine Konkurrentinnen haben es auf dich abgesehen!«
»Meine was?«
Devin drehte sich um und sah zwei alte Damen auf sich zukommen. Die erste war füllig und grauhaarig und wirkte so wütend, als wollte sie ihn gleich anspucken. Die andere war schlanker, hatte noch blonde Strähnen in ihrem grauen Haar und wirkte verlegen, wie sie so hinter der Kräftigeren herstapfte.
»Junger Mann, ich habe ein Hühnchen mit Ihnen zu rupfen! «, fuhr diese ihn an.
»Madam, mäßigen Sie Ihren Ton, oder rupfen Sie Ihr Hühnchen woanders!«, gab er ohne Zögern zurück.
Die Dame war einen Moment lang sprachlos. William nutzte eilig die Gelegenheit und stellte die Runde einander vor. Die zweite Dame, Gertrude Allen, war überrascht, als sie Devins vollen Namen hörte.
»Sie sind nicht zufällig mit Lydia Baldwin verwandt?«, fragte sie.
Devin schenkte der freundlichen Lady ein Lächeln. »Doch, in der Tat, sie ist meine Tante.«
»Ach nein, ich kenne Ihre Familie sehr gut! Mein verstorbener Ehemann reiste immer bis nach Lancashire, nur um seinen Pferdebestand aufzufüllen. Wunderbare Pferdezüchter! Eine alte Familientradition, oder? Ihre Großeltern waren damals noch am Leben, wenn ich mich richtig erinnere. Und später half Ihre Tante meinem Fluffy, nachdem sie und Ihr Onkel nach London gezogen waren. Sie ist eine fantastische Hundetrainerin! Nach nur einer Woche mit ihr kam mein Fluffy nach Hause und hat nie wieder ein Tischbein angenagt. Mabel, ich habe dir doch erzählt ...«
Die ältere Dame hatte sich inzwischen wieder erholt und unterbrach sie: »Er kann von mir aus so viele Pferde züchten, wie er will, aber er soll seine Nase aus Dingen heraushalten, von denen er nichts versteht! Hören Sie gut zu, Cupido«, Mabel sprach den Spitznamen verächtlich aus, »im Moment sind Sie vielleicht eine kleine Sensation, weil Sie ein bisschen Glück beim Kuppeln hatten, aber es ist eine absurde Anmaßung, sich auf diesem Feld zu betätigen, wo Sie doch erst neu in der Stadt sind und ...«
»Ich bin nicht neu hier in London«, widersprach Devin.
»Natürlich sind Sie das! Wer hat vor dieser Saison je von Ihnen gehört?«
William versuchte, die alte Dame zu beschwichtigen, klang jetzt aber ebenfalls leicht verärgert über den Ton, den sie seinem Freund gegenüber anschlug. »Ich würde mich selbst nicht unbedingt als Niemand bezeichnen, Lady Mabel. Und Devin ist zufällig mein bester Freund. Wir beide sind gemeinsam zur Schule gegangen. Er ist sogar in London geboren, sollten Sie wissen. Nach der Schule ging er nach Norden, um die Farm seiner Familie wieder auf Vordermann zu bringen. Deshalb war er viel zu beschäftigt, um zu gesellschaftlichen Anlässen in London zu erscheinen. Aber er hat ein Anwesen in der Nähe von London gekauft, um näher bei seinen Kunden zu sein, also wird man ihn in Zukunft öfter sehen.«
Die Alte war nicht im Ansatz besänftigt, im Gegenteil. Mit einem zornigen Blick auf William zischte sie: »Das sind keine guten Nachrichten, William Pace!« Dann fuchtelte sie mit dem Zeigefinger vor Devin herum. »Sie haben bis jetzt Glück gehabt. Aber es ist ein ernsthaft es Geschäft, mit dem Sie hier Schindluder treiben! Menschen werden ins Unglück gestürzt, wenn Sie einen Fehler machen. Aber für Sie ist das nur Spielerei, ein amüsanter Zeitvertreib, nicht wahr?«
Devin zuckte mit den Achseln. »Ich kann nicht bestreiten, dass es amüsant ist. Aber ich habe mich nicht darum bemüht. Es ist mir einfach in den Schoß gefallen. Mit Glück hat es nichts zu tun, es ist schlicht der tierische Magnetismus, der für eine gelungene Verbindung sorgt. Ein Mann und eine Frau müssen einander körperlich begehren, wenn die erste Brunftzeit jedoch vorbei ist, müssen sie auch etwas gemeinsam haben, sonst wird es nichts mit dem Glück bis ans Ende aller Tage.«
»Wie ... wie können Sie es wagen!«, stammelte Mabel.
»Denken Sie darüber nach, altes Mädchen, und Sie werden feststellen, dass ich recht habe. Wie viele Ihrer glücklichen Ehen sind noch glücklich? Oder haben die Männer schon ihre Geliebten nebenbei?«
William hustete, weil er gleichzeitig lachen und aufstöhnen musste. Gertrude starrte noch immer nach unten auf ihre Füße. Mabel war wieder einmal sprachlos, und mit ihrem roten Gesicht wirkte sie, als würde sie gleich platzen. Selbst Devin wusste, dass er sich unmöglich benommen hatte, aber es war ihm egal. Die eifersüchtige alte Schachtel hatte ihn nicht zu kritisieren für seine Methode, die nun einmal einfach funktionierte.
Die Gastgeberin nutzte den Moment, um auf ihre Anwesenheit aufmerksam zu machen, und ihrem Gesichtsausdruck nach zu urteilen, war sie äußerst amüsiert über das, was sie gerade gehört hatte. Und jetzt war es an Devin zu erröten. Verdammt!
Ophelia legte ihre Hand sanft auf Mabels Arm. »Es gibt keinen Grund, sich aufzuregen, meine Liebe. Ein bisschen Offenheit ist von Zeit zu Zeit doch herzerfrischend. Stellen Sie sich nur vor, was wäre, wenn alle Künstler das Gleiche malen würden! Unsere Wände wären einfach nur langweilig.«
»Völlig irrelevant«, murmelte Mabel. Ihre Wangen begannen langsam, sich abzukühlen.
»Mag sein, aber niemand hier versucht, Ihnen die Schau zu stehlen. Die altbewährten Methoden funktionieren immer, es gibt jedoch auch noch ein wenig Raum für Innovationen, oder? Ach, du meine Güte, ich habe diesen neuen Gast noch gar nicht richtig begrüßt!« Sie schenkte den beiden jungen Männern ein strahlendes Lächeln. »Ich bin Ophelia Locke. Es freut mich, dass Sie heute gekommen sind. Oh, und William, wie immer schön, dich zu sehen!«
Mabel lachte trocken. »Das solltest du nicht tun, Phelia!«
»Was?«, fragte diese mit unschuldigem Grinsen.
»Du weißt genau, dass es den beiden die Sprache verschlägt, wenn du sie so ansiehst. Aber geschieht ihnen ganz recht«, sagte Mabel spöttisch. Sie ging von dannen und zog Gertrude mit sich.
»Ich denke, Sie werden es überleben, meine Herren. Aber mal im Ernst, Devin Baldwin: Gefällt es Ihnen, mit einem Cherub verglichen zu werden, oder finden Sie es einfach nur amüsant?«, wollte Ophelia wissen.
William starrte sie immer noch fasziniert an. Devin brauchte einen Moment, um die Frage überhaupt wahrzunehmen. Er hatte zuvor schon gedacht, dass diese Frau die schönste war, die er in seinem Leben gesehen hatte, aber ihr Lächeln war einfach tödlich. Ihr Ehemann tat ihm leid - zur Hölle, und wie er ihn bemitleidete, dachte er und musste beinahe lachen.
»Dem Mythos zufolge ist Cupido der Gott der Liebe und der Sohn von Venus.«
»Herr im Himmel, ich hatte ja keine Ahnung, dass man Sie einen Gott nennt!«
Er lachte. »Das Ganze ist ziemlich albern, und ja, ich finde es amüsant.«
»Die Kuppelmethoden, über die Sie gesprochen haben, klingen sehr interessant. Hat die Methode funktioniert, haben Sie damit eine Ehefrau gefunden?«
»Ich habe keine Zeit für eine Ehefrau.«
William schaltete sich ein. »Dev gründet gerade eine Pferdezucht auf seiner neuen Farm in der Nähe von London, gleich im Norden hinter der Rennbahn.«
»Ja«, bestätigte Devin, »ich will neue Schwerpunkte setzen, nicht das wiederholen, was meine Familie seit Jahrhunderten tut. Es ist ein langer Prozess, aber nächstes Frühjahr weiß ich, ob es funktioniert oder nicht.«
»Haben Sie ein paar schnelle Pferde zu verkaufen? Mein Mann hat bald Geburtstag, und ich überlege, ihm ein neues Pferd zu schenken.«
Devin grinste. »Wahrscheinlich schnellere, als er gewohnt ist.«
»Wundervoll! Das wird eine herrliche Überraschung! Es wird mir ein Vergnügen sein, mit Ihnen Geschäft e zu machen! «
© 2013 der deutschen Ausgabe by Wilhelm Heyne Verlag, München
»Lord Wolseley ist unser Vermieter, das ist alles. Er kommt nur vorbei, um nach dem Rechten zu sehen.
»So oft ?«
»Nun, wir sind mit der Zeit Freunde geworden. Gute Freunde. Er ist kein glücklicher Mann, und ich leihe ihm meine Schulter zum Ausweinen.« Sie klopfte sich mit einem Grinsen auf die Schulter. »Du kennst sie ja auch, du hast dich immer an ihr ausgeweint, oder nicht?«
Er erinnerte sich, dass er an jenem Tag verlegen gewesen war. Sie hatte von all seinem Kummer und seinen Verletzungen gesprochen, über die er gar nicht hätte weinen müssen, wenn sie ihn nicht ständig an sich ziehen würde, um ihn zu trösten. Er versuchte, sich vorzustellen, dass der große Mann an ihrer Schulter lehnte und schluchzte, aber es gelang ihm nicht.
Man hatte ihm erklärt, dass sein Vater gestorben war, als er noch ein Baby war, aber seine Mutter hatte sich stets geweigert, ausführlicher über ihn zu reden. »Diese Erinnerungen bringen mich nur zum Weinen«, behauptete sie jedes Mal. »Eines Tages werde ich dir alles über ihn erzählen, aber nicht jetzt.«
Aber sie erzählte ihm niemals mehr. Das einzige Mal, an das er sich erinnern konnte, als seine Mutter in scharfem Ton mit ihm gesprochen hatte, war, als er sie mit Fragen über seinen Vater löcherte. Und beim letzten Mal, als er sie nach ihm gefragt hatte, waren ihr Tränen in die Augen gestiegen. Danach fragte er nie wieder.
Aber der Vermieter machte weiterhin seine nächtlichen Besuche, und der Junge hörte, wie die Tür seiner Mutter leise auf- und zuging. Manchmal trat er in den Korridor hinaus und hörte ihr leises Lachen aus dem Schlafzimmer. Wenn der Mann sie so glücklich machte, warum konnten sie dann nicht einfach heiraten und ihn ebenfalls an ihrem Glück teilhaben lassen?
Irgendwann in diesem Jahr hatte seine Neugier ihn erneut überwältigt, und er wollte von seiner Mutter wissen: »Wird er mein neuer Vater?«
Sie zog ihn an sich und antwortete: »Was denkst du dir nur, mein Liebling? Lawrence hat eine eigene Familie, Frau und Kinder. Er ist nur ein Freund. Ich fühle mich oft einsam. Es ist schön, jemanden wie ihn zum Reden zu haben.«
Kurz darauf begann der Junge zu überlegen, ob wohl Lord Lawrence Wolseley sein richtiger Vater wäre. Sobald ihm dieser Gedanke gekommen war, ließ er ihn nicht mehr los. Und dennoch traute er sich nicht, seine Mutter zu fragen. Sie wollte nun einmal partout nicht über ihren Vermieter sprechen, und über seinen »toten Vater« ebenfalls nicht. Die Vorstellung, dass sie ihn anlog, verletzte ihn sehr. Er hofft e nur, dass er sich irrte, aber er musste es endgültig herausfinden.
Deshalb ging er heute auf den Flur hinaus. Die Tür zum Schlafzimmer seiner Mutter war wie immer geschlossen. Er klopfte nicht an. Er hörte Gelächter, dann Stimmen - so leise, dass er nicht verstehen konnte, was geredet wurde. Er hielt sein Ohr nicht an die Tür, sondern setzte sich einfach nur auf den Boden und wartete.
Er wartete sehr lange. Beinahe wäre er eingeschlafen. Doch endlich ging die Tür auf. Er sprang hoch, damit man nicht über ihn stolperte. Den Mann hatte er noch nie aus der Nähe gesehen. Er war größer, als er gedacht hatte, attraktiv, gut gekleidet, das Haar so dunkel wie sein eigenes. Den Überzieher hatte er sich über einen Arm geworfen, ein juwelenbesetzter Ring blitzte an seiner Hand auf.
Der Junge platzte sofort mit seiner Frage heraus, bevor er vollends die Nerven verlor: »Sind Sie mein Vater?«
Der Mann, der ihn zuerst gar nicht bemerkt hatte, blickte missmutig auf ihn hinunter. »Solltest du nicht im Bett sein? Los, verschwinde!«
Er war so erschrocken über den harschen Ton, dass er sich nicht bewegen konnte, aber der Mann eilte schnellen Schrittes den Korridor entlang und verschwand. Die Tür zum Zimmer seiner Mutter stand noch immer offen. Der Junge blickte hinein, um zu sehen, ob mit ihr alles in Ordnung war. Sie saß an ihrem Schminktisch, um den Hals eine Kette, die er noch nie zuvor an ihr gesehen hatte.
Der Junge eilte zurück in sein Zimmer, verwirrt und verängstigt. Er hoffte, dass der Mann seiner Mutter nicht von der Frage erzählen würde, die er ihm gestellt hatte - und auf die er keine Antwort erhalten hatte.
Einige Tage später in dieser Woche rief seine Mutter ihn nach unten in die Diele. In der Eingangstür stand ein Mann, den er noch nie gesehen hatte. Er hielt einen Hut in der Hand, hatte blonde Haare und blaue Augen, genau wie die Mutter des Jungen. Sie wirkte wütend. Auf ihn? Oder auf den Fremden, den sie so verärgert anstarrte?
Sie sah zu ihrem Sohn herab und sagte: »Das ist dein Onkel Donald, mein Bruder. Wir hatten einige Jahre keinen Kontakt ... Donald hätte es gern, dass du für einige Zeit bei ihm auf seinem Gestüt draußen auf dem Land wohnst. Du wirst sehen, es wird dir gefallen.«
Die Augen des Jungen weiteten sich. Er hatte nicht gewusst, dass seine Mutter einen Bruder hatte! Ihn überkam die größte Angst, die er in seinem Leben je verspürt hatte. Er drehte sich um und klammerte sich fest an seine Mutter. Sie wollte ihn wegschicken? Er konnte es nicht begreifen.
»Nein, bitte nicht!«, schluchzte er. »Ich werde auch nie wieder Fragen stellen, das verspreche ich!«
Sie drückte ihn fest an sich.
»Schhht, Liebling, ganz ruhig, ich komme dich auch bald besuchen. Du wirst so viel Spaß auf dem Land haben, dass du mich gar nicht vermissen wirst.«
»Nein! Ich will hier bei dir bleiben!«
Sie schob ihn zu seinem Onkel hinüber. »Los, bevor ich anfange zu weinen!«, rief sie verzweifelt aus.
Und so wurde der schreiende Junge aus dem einzigen Heim gezerrt, das er jemals gehabt hatte. Er versuchte, sich aus der wartenden Kutsche zu befreien. Da sein Onkel ihn davon abhielt, hängte er sich aus dem Fenster und rief nach seiner Mutter, die Tränen liefen seine Wangen hinab. Er sah, wie sie auf der Veranda stand und ihm nachwinkte.
Aber seine Mutter sollte recht behalten. Auch wenn er sie anfangs schrecklich vermisste, fand er im Laufe der Monate doch Gefallen an dem Leben bei seinem Onkel und seiner Tante auf ihrem großen Landgut in Lancashire. Wegen des kleinen Welpen, den sie ihm geschenkt hatten, und der vielen anderen Hunde, die überall auf dem großen Anwesen herumtollten. Weil er zum ersten Mal im Leben einen richtigen Freund gefunden hatte - den Sohn eines der Landarbeiter - und sie unzertrennlich geworden waren. Weil es hier so viel mehr zu tun gab als in der Stadt. Aber vor allem wegen der Pferde. Es waren so viele! Man erlaubte ihm, bei der Pfl ege zu helfen. Schon bald beherrschte er es hervorragend, sie zu striegeln und zu füttern, und er durfte sogar bei der Ausbildung der Jungpferde behilflich sein.
Seine Mutter sah er nie wieder. Zumindest nicht lebend. An dem Tag, an dem sein Onkel und seine Tante ihm mitteilten, sie wäre an einer Lungenentzündung gestorben, kam all der Schmerz des Verlassenseins wieder in ihm hoch. In diesem Jahr stand sein achter Geburtstag bevor, und er war noch zu jung, um zu wissen, wie man die Tränen zurückhält, die ihm seine Wangen hinunterliefen.
»Sie wollte, dass du das hier bekommst.«
Er blickte hinab auf das Porzellanpferdchen, das Donald in seine Hand gelegt hatte. Seine Mutter hatte ihm ihre Liebe entzogen, hatte ihn verlassen, ihn weggeschickt und nicht ein einziges Mal in dieser ganzen Zeit besucht. Jetzt brauchte er nichts mehr von ihr, und in einem Ausbruch von wütendem Schmerz hob er den Arm, um die Porzellanfigur an der Wand zu zerschmettern, so wie sie seine Hoffnungen zerschmettert hatte, dass sie eines Tages wieder zusammen sein könnten. Stattdessen war sie gestorben und hatte somit dafür gesorgt, dass dieser Tag niemals kommen würde.
Aber Donald hielt ihn ab. »Tu das nicht, Junge! Sie wollte, dass du es behältst. Sie sagte, eines Tages würdest du alles verstehen und begreifen, wie sehr sie dich geliebt hat.«
Nichts als Lügen! Sie war fort. Er würde sie nie wiedersehen, nie wieder ihre Umarmung spüren. Die Tränen versiegten nicht an jenem Tag und auch nicht am nächsten und am übernächsten, als man die Leiche seiner Mutter nach Lancashire brachte, um sie an dem Ort zu beerdigen, an dem sie aufgewachsen war. Sein Schmerz war überwältigend, als er sah, wie der Sarg in die Erde herabgelassen wurde. Es tat so weh, dass er auf die Knie sank. Seine Tante kniete sich neben ihn und hielt seine Hand.
In jener Nacht stahl er sich aus dem Haus und rannte auf den kleinen Friedhof. Das Porzellanpferd hatte er bei sich. Er hätte es vorher am liebsten zusammen mit seiner Mutter beerdigt, aber er dachte, dass sein Onkel ihn bestimmt davon abgehalten hätte. Jetzt verbuddelte er es direkt neben ihrem Grab, aber irgendwie war der Schmerz jetzt noch schlimmer, er konnte vor lauter Tränen kaum aus den Augen schauen. Er wollte das dumme Pferd nicht behalten! Er wollte gar nichts von ihr, nichts, das ihn daran erinnerte, dass seine eigene Mutter ihn von sich fortgestoßen hatte.
In dieser Nacht schwor er sich, nie wieder zu weinen ... oder jemanden zu lieben. Es tat einfach zu weh.
Kapitel 1
Lady Amanda Locke seufzte, während sie ihr Gesicht in dem ovalen Spiegel betrachtete. Sie saß an ihrem Schminktisch in dem komfortablen Zimmer, das man im Haus ihres Cousins Rupert für sie hergerichtet hatte, und bildete sich ein, sie hätte eine Falte in ihrem Augenwinkel entdeckt. War das möglich? Sie beugte sich weiter vor. Nein, es lag nur an ihrer Einbildungskraft und an der Beleuchtung, aber lange würde es nicht mehr dauern. Sie war schließlich schon zwanzig geworden! Die feine Gesellschaft würde sie bald als alte Jungfer bezeichnen - wenn sie es nicht schon längst tat.
Sie seufzte wieder. Alice, ihre Zofe, tat so, als würde sie es nicht bemerken, und befestigte die letzte ihrer blond gelockten Haarsträhnen an ihrer kunstvollen Hochsteckfrisur. Das hätte Amanda nicht abgehalten, wenn sie denn das Bedürfnis gehabt hätte, über ihre Melancholie zu sprechen, aber heute Abend war ihr nicht danach. Alice hatte das alles schon gehört, und sogar ziemlich oft. Amandas ganze Familie hatte es schon gehört, und sie hatte eine große Familie. Ja, sie selbst war es leid, über ihr Elend zu klagen, aber manchmal konnte sie einfach nicht anders.
Ihre erste Saison in der Londoner Gesellschaft war ein Fiasko gewesen, obwohl es eigentlich ein durchschlagender Erfolg hätte sein sollen. Nicht weniger hatte sie erwartet. Auch ihre Familie hatte nicht weniger erwartet. Sie war immerhin eine Schönheit, sehr attraktiv mit ihrem blonden Haar und den türkisblauen Augen, und sie besaß den aristokratischen Knochenbau ihrer Familie. Außerdem war sie die Tochter von Preston Locke, dem zehnten Herzog von Norford. Das allein hätte schon zu einer Flut von Heiratsanträgen führen müssen. Und niemand hatte daran gezweifelt, dass sie in der Saison vor zwei Jahren all die anderen Debütantinnen ausstechen würde, auch nicht sie selbst. Aber damals hatte auch niemand damit gerechnet, dass die unsägliche Ophelia Reid im selben Jahr ebenfalls ihr gesellschaftliches Debüt beging - und niemand, nicht einmal Amanda, konnte es mit ihrer betörenden Schönheit aufnehmen.
Es war fast schon komisch, dachte Amanda, wie eifersüchtig sie damals auf Ophelia gewesen war. So eifersüchtig, dass sie beinahe ihre ganze erste Saison damit zugebracht hätte, vor sich hinzuschmollen, und deshalb all die jungen Männer ignorierte, die versuchten, ihre Bekanntschaft zu machen. In diesem Punkt war das ganze Desaster ihre eigene Schuld. Aber ihre Gefühle kochten schließlich vollends über, als sie feststellen musste, dass auch ihr eigener Bruder, Raphael, von der Eiskönigin in den Bann gezogen wurde.
Und das, obwohl Ophelia damals nicht einmal im Ansatz liebenswürdig war! Amanda hatte sich gefragt, wie ihr Bruder so dämlich sein konnte, nur weil Ophelia eine solche Schönheit war. Sie war manipulativ, eine Lügnerin und gehässig bis dorthinaus. Jeder, der Augen im Kopf hatte, konnte es sehen, was bedeutete, dass die Männer in London in jenem Jahr ihre Augen nicht benutzt hatten, nicht einmal Amandas eigener Bruder!
Rafe verliebte sich in Ophelia, heiratete sie, und es gelang ihm, das Monster zu zähmen. Es gab wirklich nichts mehr, was man an Ophelia nicht hätte mögen können.
Das alles war Teil ihrer desaströsen ersten Saison in London gewesen. Letztes Jahr hatte Amanda sich den Rat ihres Bruders zu Herzen genommen und gewartet, dass die Liebe zu ihr fand. Und sie hatte Spaß dabei gehabt, vielleicht zu viel Spaß. Sie hatte ein entspanntes Leben geführt, viele Zerstreuungen genossen und festgestellt, dass sie einige ihrer Verehrer gernhatte, vielleicht sogar als Freunde bezeichnen konnte. Aber niemand von ihnen hatte ihr Herz berührt. Und so kam es, dass auch ihre zweite Londoner Saison vergangen war und sie noch immer keinen Ehemann vorweisen konnte.
Jetzt, zu Beginn ihrer dritten Saison, war sie ziemlich verzweifelt. Irgendetwas musste dieses Jahr anders werden, denn ganz offensichtlich machte sie bei der Jagd nach einem Ehemann etwas falsch. Sie war gar nicht so albern und oberflächlich, wie die Leute dachten, aber sie wusste selbst, dass sie manchmal so wirkte.
»Sie sind jetzt schon gelangweilt von dieser Saison, oder?«, fragte Alice, die hinter ihr stand.
Amanda runzelte die Stirn, als ihre Blicke sich im Spiegel begegneten. War das Problem so einfach? Weil sie sich den ganzen Tag langweilte und sich dann so freute, wenn sie am Abend etwas vorhatte, dass sie weit über das Ziel hinausschoss und sich etwas übertrieben benahm?
Sie versuchte gar nicht, es abzustreiten. »Es ist alles anders hier, nicht so wie zu Hause auf dem Land, wo es so viele Dinge gibt, mit denen ich mich beschäftigen kann.«
»Ihre Tante hat Ihnen neulich einen Vorschlag gemacht. Warum nehmen Sie das Angebot nicht an?«
Amanda verdrehte die Augen. »Bei dem Nähkurs zu helfen, den ihre Freundin anbietet? Ich liebe Handarbeit, aber nicht genug, um es kleinen Mädchen beizubringen, die lieber draußen beim Angeln wären.«
Alice konnte ein Lachen nicht zurückhalten. »Ich glaube nicht, dass die meisten Mädchen so gern angeln gehen wie Sie damals. Aber Sie sollten sich eine Beschäftigung suchen, solange Sie hier in London sind, statt die Minuten bis zur nächsten Party zu zählen. Zwischen extremer Langeweile und extremer Aufregung hin und her zu schwanken, stellt nicht gerade ein gesundes Gleichgewicht dar.«
Es gelang Amanda, nicht noch einmal zu seufzen, aber natürlich würde sie gleich das Haus verlassen und spürte schon, wie die Erregung in ihr aufstieg. Heute könnte die Nacht sein, in der sie ihren zukünftigen Bräutigam kennenlernte. Nun ja, das könnte auf jeden Fall passieren. Also nickte sie nur und beschloss, dass das Projekt, sich eine sinnvolle Beschäftigung zu suchen, bis morgen warten konnte, wenn sie sich tagsüber wieder langweilte.
Amanda musste zugeben, dass sie sehr schön herausgeputzt war, nicht nur für eine, sondern für zwei Partys heute Abend. Sie drehte sich ein letztes Mal vor dem Spiegel, um zu prüfen, ob alles an seinem Platz war. Und so war es. In dieser Hinsicht war ihre Zofe einfach hervorragend. Das blasse Rosa ihres neuen Abendkleids stand ihr prächtig und passte perfekt zu den Rubinen ihrer Mutter, die ihren Hals und die Ohren schmückten.
Sie sah nicht anders aus als damals in ihrer ersten Saison, als sie noch gedacht hatte, dass sie von all ihren Freundinnen die erste wäre, die sich verloben würde, und am Ende ohne jede Verlobung dagestanden hatte. Lass die Liebe dich finden - sie wird es, ganz bestimmt!, hatte Ophelia zu ihr gesagt. Ja, aber wann? Wie lange musste sie noch auf diesen magischen Moment warten?
Amanda ging nach unten, um nachzusehen, ob ihr Cousin Avery schon angekommen war. Avery, der mittlere von Tante Julies drei Söhnen, lebte inzwischen in seiner eigenen Wohnung in London, aber Amanda hatte ihm am Nachmittag eine Nachricht geschickt, dass sie für den heutigen Abend einen Begleiter brauchte, da Tante Julies ältester Sohn Rupert und seine neue Braut Rebecca noch nicht aus Norford zurück waren. Und der jüngste Sohn, Oscar, war mit seinen sechzehn Jahren noch zu jung, um irgendjemanden zu begleiten.
Amanda hatte die letzte Saison ebenfalls im Haushalt der St. Johns verbracht, da ihr Vater kein Stadthaus in London besaß. Sie konnte stets die Begleitung sowohl der beiden Cousins als auch die ihrer Tante in Anspruch nehmen, auch wenn alle drei nicht ideal waren. Aber jetzt gehörte auch ihre Freundin Rebecca Marshall zum Haushalt, da sie kürzlich Rupert St. John geheiratet hatte, und sie eignete sich ideal.
Amanda war entzückt über die Nachricht über die Hochzeit von Rebecca und Rupert gewesen. Rebecca gab die perfekte »Anstandsdame« ab, denn mit ihr konnte sie richtig Spaß haben. Becky hatte Amanda jedoch zunächst überrascht, indem sie rundweg ablehnte und behauptete, es wäre nicht richtig, weil sie einige Jahre jünger war als Amanda. Aber Amandas Starrköpfigkeit hatte gesiegt - sie konnte überaus hartnäckig sein, ohne es selbst zu bemerken -, und sie konnte Becky schließlich doch überzeugen. Dann jedoch war Becky ohne jedes Wort aufs Land verschwunden, und Amanda stand wieder am Ausgangspunkt, mit ihrer alten Auswahl an Begleitern.
Deshalb hoffte sie nun, dass ihre alte Freundin endlich zurückgekehrt war. Sie machte sich keine Sorgen, dass Rupert sich ihnen anschließen würde. Er war der Bälle und Partys überdrüssig. Früher hatte er jedes Mal als Amandas Begleiter Aufsehen erregt, so gut aussehend und charmant, wie er war. Seine Gegenwart hatte alle anderen Männer eifersüchtig gemacht, und eifersüchtige Männer wollen nicht tanzen. Deshalb würde sie Rupert nun nur im äußersten Notfall fragen, ob er mit ihr ausginge.
Seine Mutter Julie war mindestens genauso wenig als Begleitung geeignet! Sie hatte ihre drei Söhne nach dem Tod ihres Mannes, dem letzten Marquis von Rochwood, allein großgezogen und dabei versucht, ihnen Mutter und Vater zugleich zu sein, was sie leider in eine ziemlich ungehobelte Person verwandelt hatte. Wie Amanda zu ihrer Freundin Rebecca gesagt hatte, als sie sie dazu überreden wollte, ihre Begleitung zu übernehmen: »Wenn Tante Julie mich auf eine Party begleitet, schimpft sie den ganzen Abend vor sich hin. Und glaub mir, es gibt nur sehr wenige Männer, die sich nicht aus dem Staub machen, nachdem sie eine von ihren Rüffeln abbekommen haben! «
Rebecca hatte allerdings mit einem guten Argument entgegnet: Wenn ihre Verehrer sich von Tante Julie so leicht abschrecken ließen, dann wären sie auch nicht die Richtigen. Und Amanda musste in der Tat zugeben, dass sie hie und da erleichtert gewesen war, als ihre Tante einige unansehnliche Exemplare vergrault hatte.
Amanda war beinahe schon unten an der Treppe angekommen, als sie ihre Schritte verlangsamte. Sie fragte sich, ob Avery wohl schon angekommen war. Obwohl es ihm nie etwas ausmachte, sie zu begleiten - zumindest beklagte er sich nie -, musste er für gewöhnlich seine eigenen Pläne dafür ändern, was ihr wiederum äußerst unangenehm war. Und manchmal konnte er auch nicht kommen, weil er gar nicht in der Stadt weilte.
Amanda dachte, dass es wohl besser gewesen wäre, sich erst für den Abend anzukleiden, nachdem sie seine Zusage hatte. Jetzt wurde sie panisch. Tante Julie würde fuchsteufelswild werden, wenn sie sich in letzter Minute umziehen müsste, um mit ihr auszugehen. Aber Amanda hatte aufgrund von Beckys Abwesenheit schon zwei Einladungen ausgeschlagen. Die beiden heutigen konnte sie einfach nicht absagen, zumal die eine Party von einer engeren Freundin und die andere von ihrer Schwägerin gegeben wurde. Und so hatte sie beschlossen hinzugehen - allerdings nicht ohne Begleitung!
Es war zwar nicht Avery, der da im Flur zum Salon auftauchte, angelockt von ihrem lauten Seufzen, aber der Mann, der vor ihr stand, ließ sie allen Kummer sofort vergessen.
»Vater!« Sie stürzte sich in Preston Lockes offene Arme. »Was machst du denn hier? Du kommst doch nie nach London, außer fürs Geschäft !«
Er drückte sie kurz an sich, dann schob er sie ein Stück weit von sich und erklärte: »Ich betrachte das als Geschäft, als Familiengeschäft. Ich bin gekommen, um herauszufinden, was dein Cousin Rupert hier gemacht hat, während seine neue Braut in Norford war. Wusstest du, dass sie mich nicht einmal über ihre Hochzeit informiert haben?«
Amanda zuckte zusammen. Ihr Bruder Rafe hatte dasselbe getan, hatte Ophelia vom Fleck weg geheiratet, ohne der Familie Bescheid zu geben, und ihr Vater war darüber sehr verärgert gewesen.
»Das würde erklären, warum Rue heute so plötzlich aufgebrochen ist«, sagte sie mit wissendem Lächeln. Sie konnte sich schon vorstellen, wie das Gespräch zwischen verärgertem Onkel und gerüffeltem Neff en abgelaufen war. »Meinst du also, er bringt Becky zurück nach London?«
»Das könnte gut sein.«
»Schon bald, hoffentlich? Vielleicht sogar heute?«
»Das bezweifle ich.«
Amanda seufzte.
Preston gab ihr einen Stupser unter das Kinn. »Was ist los?«
»Ich hatte mich schon gefreut, heute mit Becky als meiner Anstandsdame auszugehen. Jetzt muss ich doch mit Avery vorliebnehmen.«
Preston runzelte die Stirn. »Ist Becky nicht etwas zu jung für ...?«
»Nein, nein«, unterbrach Amanda ihn hastig, »sie ist doch verheiratet. Und du weißt, dass es deshalb durchaus akzeptabel ist.«
Prestons nachdenklicher Blick machte sie verlegen. Er war ein großer Mann, breitschultrig und kräftig. Sie und ihr Bruder Rafe hatten ihr blondes Haar und die blauen Augen von ihm geerbt. Preston war an den Schläfen allerdings schon etwas ergraut, was ihn äußerst ärgerlich machte. Aber er geriet nur selten aus der Fassung - im Gegenteil: Er konnte auf Freund und Feind einen solch beruhigenden Einfluss ausüben, dass es ziemlich schwierig war, sich in seiner Gegenwart aufzuregen. Er stritt nicht für seine Ansichten, sondern trug sie in vernünftigem Ton vor, und wenn sich einmal herausstellte, dass er sich irrte, lachte er nur und nahm es an. Es gab nur eine einzige Ausnahme, und zwar, wie er mit seinen Geschwistern umging. Wenn es um seine Schwestern ging, so genoss er geradezu, sie aufzuziehen, und war ein rechter Quälgeist. Ihr eigener Bruder hatte auch das von ihm geerbt, sehr zu ihrem Verdruss.
Noch bevor ihr Vater ihr verbieten konnte, auf Rebecca als Anstandsdame zurückzugreifen, nur weil sie ein paar Jahre jünger war, fragte Amanda: »Wusstest du, dass Rebecca eine Ehrendame der Königin war, bevor sie Rue geheiratet hat?
Dort im Palast lernte ich sie auch kennen. Da sie am Königshof gedient hat, ist sie peinlichst auf Etikette bedacht, mehr als alle anderen, die ich kenne.«
»Nein, das wusste ich nicht. Aber deine Tante Julie ist immer noch die beste ...«
»Sie geht nicht gern auf Partys. Sie macht es natürlich, aber du weißt doch, wie sie ist, wenn ihr etwas nicht gefällt«, murmelte Amanda.
Preston räusperte sich. »Es wäre besser gewesen, sie hätte wieder geheiratet, statt sich als ewige Nörglern zu üben.«
»Dasselbe sagt sie über dich«, entfuhr es Amanda. Dann stotterte sie: »Also, natürlich nicht den Teil mit der Nörglerin.«
War das etwa ein Anflug von Rot auf den Wangen ihres Vaters? Sicherlich nicht. Schließlich wusste die Familie durchaus, warum er sich nach dem Tod seiner Frau dafür entschieden hatte, allein zu bleiben. Er hatte sie zu sehr geliebt. Er versuchte, diese Liebe zu ehren und nicht durch etwas Neues zu ersetzen. Amanda und Rafe vermuteten, dass ihr Vater nicht von einer zweiten Gattin enttäuscht werden wollte, nachdem er mit seiner ersten so glücklich gewesen war. Und sie konnten auch kaum widersprechen, denn auch sie wollten nicht, dass ihre Mutter ersetzt würde. Aber sie wünschten sich, dass ihr Vater glücklich war. Wenn er also jemanden finden würde, der ihn glücklich machte, hätten sie nichts dagegen einzuwenden. Er hingegen suchte überhaupt nicht. Er kannte bereits alle ungebundenen Damen zu Hause auf dem Land und interessierte sich für keine von ihnen, und nach London, wo er vielleicht jemand Neues kennenlernen könnte, kam er nur selten.
Aber jetzt war er hier. Sie fragte sich ...
»Übrigens, ich habe Avery nach Hause geschickt«, eröffnete Preston ihr sachlich. »Heute werde ich deine Begleitung sein, meine Liebe. Ich will mich mit eigenen Augen vom Angebot überzeugen und verstehen, was es dir so schwer macht, dich zu entscheiden.«
Auch wenn es schwer war, ein begeistertes Quietschen und ein ärgerliches Stöhnen in einem Atemzug unterzubringen, gelang es Amanda ganz gut.
Kapitel 2
Zwei Partys an einem Abend, ist das heutzutage normal?«, fragte Preston neugierig.
Raphael sah seinen Vater an und lachte. »Seid ihr deshalb so spät dran, Mandy und du? Wart ihr vorher noch auf einer anderen Party?«
Preston schnitt eine Grimasse. »Ja, deine Schwester behauptet, sie könne keine von beiden verpassen. Die andere Party war bei einer alten Schulfreundin ein paar Häuser weiter. Wobei man es kaum eine Party nennen konnte, bei so wenigen Leuten.«
Raphael leistete seinem Vater am Rand des großen Ballsaals Gesellschaft, in dem Ophelias Gäste heute zusammengekommen waren. Zum Glück war fast niemand hier, der Preston erkennen würde. Er kam nur sehr selten nach London, und schon gar nicht für gesellschaftliche Anlässe - außer, die Queen persönlich lud ihn ein. Deshalb ahnte niemand, dass der Herzog von Norford anwesend war. Ansonsten wären die Gäste Spalier gestanden, um seine Bekanntschaft zu machen.
Immerhin hatte Amandas Vater sich dank Ophelia schon an gesellschaftliche Zusammenkünfte auf dem Lande gewöhnt. Prestons fünf Schwestern hatten früher oft Gesellschaft en in Norford Hall abgehalten, aber das lag sehr lange zurück, Mandy war damals noch gar nicht geboren gewesen. Nachdem auch die letzte seiner fünf Schwestern geheiratet hatte und weggezogen war, blieb es ruhig in Norford Hall. Amandas Mutter war es so lieber gewesen, und nach ihrem Tod war Preston so etwas wie ein Einsiedler geworden. Er hatte nicht einmal das gesellschaftliche Debüt seiner Tochter ausrichten wollen, sondern schickte sie einfach nur nach London, wo sie garantiert die größte Auswahl hatte - die Crème de la Crème der Junggesellen des ganzen Königreichs. Es lag wie ein Fluch auf der Familie, dass sie noch immer keinen auserwählt hatte.
Auf die neugierige Frage seines Vaters antwortete Rafe: »Nein, zwei Partys an einem Abend sind überhaupt nicht normal. Wahrscheinlich ist das Phelias Schuld. Diese Party war eher spontan. Sie hat die Einladungen erst heute früh verschickt. «
Preston war erstaunt. »Und trotzdem sind so viele Leute gekommen?«
Raphael schmunzelte. »Die erste Gastgeberin im ganzen Königreich zu sein, war immer Ophelias Herzenswunsch. Die Idee stammte von ihrer Mutter. Gesellschaften zu veranstalten, war ihr ein und alles.«
»Wie belanglos!«
»Nein, für die Damen ist es das ganz und gar nicht«, widersprach Raphael lachend. »Aber Ophelia gab dieses Ziel nach unserer Hochzeit auf. Es war ihr überhaupt nicht mehr wichtig, nachdem Chandra auf die Welt gekommen ist.«
»Und trotzdem macht sie es noch?«
»Natürlich, es liegt einfach daran, wer sie ist. Sie ist zu schön, zu diskussionsfreudig, bis zum heutigen Tag reden die Leute viel mehr über sie, als sie sollten, und außerdem ist sie inzwischen die Schwiegertochter des einsiedlerischen Herzogs von Norford.«
Preston schnaubte. »Wie könnte ich ein Einsiedler sein, wo Ophelia doch jedes Mal so viele Leute einlädt, wenn ihr beiden bei mir seid?!«
»Ja, aber sie lädt doch nur die Nachbarn ein, niemanden, den du nicht bereits kennst. Hier in London ist das etwas ganz anderes. Ich kann gar nicht zählen, wie viele Fremde hier auftauchen, nur weil sie nicht nur Freunde und Bekannte einlädt, sondern alle, die sie interessant findet. Jeden, den die feine Gesellschaft interessant findet. Und natürlich die aktuellen Debütanten und Debütantinnen, um ihnen bei ihrer Angelegenheit zu helfen.«
»Betätigt sie sich etwa auch noch als Kupplerin?«
»Nein, natürlich nicht, das überlässt sie den älteren Damen - wie den beiden dort, Gertrude Allen und Mabel Collicott.« Raphael deutete mit einem Nicken auf die beiden ältesten Damen im Saal, die schräg gegenüberstanden. »Sieh sie dir nur an! Man hört geradezu, wie es in ihren Köpfen rattert. Sie versuchen, jede unverheiratete Person, die ihnen vor die Augen tritt, unter die Haube zu bringen.« Um seinen Vater ein wenig aufzuziehen, fügte er hinzu: »Pass bloß auf, dass sie nicht in deine Richtung blicken!«
Preston musste lachen. »Ich glaube, in dieser Hinsicht bin ich sicher. Ich kenne Gertrude. Süße alte Lady. Vor einigen Jahren drängte sie mich schon einmal in die Ecke, um zu fragen, ob ich an einer neuen Ehe interessiert wäre. Ich habe ein ernstes Wörtchen mit ihr geredet.«
»Auf jeden Fall dürften die beiden Kupplerinnen heute Abend in ihrem Element sein. Ophelia ist es immer wichtig herauszufinden, wer die neuen Debütanten sind, und zu jeder Party einige davon einzuladen.«
»Dir bedeuten diese Partys wenig, oder?«
»Ja, aber ihr machen sie Spaß. Und es ist wirklich schwer, sie nicht glücklich machen zu wollen, so sehr, wie ich sie liebe.«
»Mandy hat gar nicht erwähnt, dass das hier ein Ball ist«, bemerkte Preston und ließ seinen Blick durch den Saal schweifen.
Raphael lachte. »Ist es nicht. Ophelia wollte im Salon empfangen, nur eine kleine Soiree, aber wie es bei ihren Partys so oft passiert, sind doppelt so viele Gäste erschienen wie erwartet. «
»Klingt, als würdet ihr einen strengeren Butler an der Tür benötigen«, erwiderte Preston missbilligend.
»Es handelt sich doch nicht um Störenfriede. Es sind Freunde und Begleiter der geladenen Gäste, und Phelia hasst es, jemanden abzuweisen. Also richtet sie sich darauf ein und sorgt dafür, dass immer noch etwas mehr zu essen da ist. Es ist einfach Tatsache, dass niemand auch nur einen ihrer Empfänge verpassen will, und viele sagen sogar andere Einladungen ab, nur um zu ihr zu kommen. Das ist wahrscheinlich auch der Grund, warum auf der anderen Party heute Abend so wenige Gäste waren. Die meisten Gastgeberinnen achten darauf, dass sie keinen Abend auswählen, an dem Phelia bereits geladen hat. Sie fragen sogar extra vorher nach. Aber manchmal steht ihr eben spontan der Sinn nach einer Party, so wie heute, vor allem, wenn wir gerade erst in die Stadt gekommen sind.«
Prestons Blick heftete sich an Amanda, die in der Mitte des Raums stand. Raphael folgte seinem Blick. Seine Schwester lachte, umringt von vier jungen Herren, die allesamt versuchten, sie zu unterhalten, und einem davon schien es auch gelungen zu sein. Das war ermutigend.
Preston schien das anders zu sehen. Er seufzte und bemerkte: »Sie umzingeln sie, aber ich sehe schon, warum sie es so schwer bei dieser Jagd hat, wenn das hier das Beste dieser Saison darstellen soll.«
Sie scharten sich auch immer noch um Ophelia, zu Raphaels großem Kummer, obwohl sie inzwischen verheiratet war! Aber er blickte zu den vier Kandidaten, die Amanda umgaben, und musste seinem Vater recht geben. Sie sahen ziemlich unscheinbar aus. Nicht dass Amanda jemandem die kalte Schulter zeigen würde, nur weil er nicht gut aussah, aber sie würde sich wohl kaum in jemanden verlieben, der nicht das geringste bisschen interessant war. Und sie war auf der Suche nach Liebe. Nicht nach Wohlstand oder nach Titeln, sondern nach Liebe. Er hatte es so oft gehört, dass Liebe das Einzige war, was eine glückliche Ehe ausmachte. Früher hatte er darüber gespottet, aber wie könnte er das heute, wo doch seine Ehe so glücklich war, weil er liebte?
»Was ist mit deinen Freunden?«, fuhr Preston fort. »Hat Amanda sie schon alle kennengelernt? Ist niemand dabei, den du empfehlen könntest?«
Raphael hätte sich fast verschluckt. »Oh Gott, nein! Die wenigen, die überhaupt heiraten wollten, haben es schon getan, noch bevor Mandy volljährig war. Und den Rest würde ich nicht einmal in die Nähe meiner Schwester lassen, allesamt Windhunde. Aber ich bezweifle, dass das hier eine repräsentative Auswahl an jungen Männern bildet, die dieses Jahr auf Brautschau sind. Es sollte auch nicht so eine Veranstaltung werden. Über die Hälfte der Gäste sind verheiratet. Leider habe ich gesehen, dass zwei dieser Ehepaare alte Freunde von Mandy sind.«
»Leider?«
»Sie wird sicher gleich wieder melancholisch, wenn sie sie bemerkt«, vermutete Raphael. »Aber sie hat sich vor ein paar Tagen bei meiner Frau beschwert, dass all ihre Freundinnen inzwischen entweder verheiratet oder verlobt sind und deshalb wohl kaum auf den entsprechenden Veranstaltungen auftauchen. Deshalb hat Phelia heute Abend einige ihrer Freundinnen eingeladen, nur Mandy zuliebe. Ich wünschte, sie hätte mich vorher gefragt, dann hätte ich ihr davon abgeraten, ebenfalls Mandy zuliebe.«
»Unsinn! Ich weiß zwar, dass mein Mädchen nicht glücklich darüber ist, dass sie immer noch nicht verheiratet ist - aber ich schon, musst du wissen.« Als Raphael eine Augenbraue hochzog, erklärte Preston: »Ich werde sie schrecklich vermissen, wenn sie einmal auszieht, um ihren eigenen Haushalt zu gründen. Erzähl ihr das aber bloß nicht! Ich will nicht, dass sie sich noch mehr Sorgen macht. Sie wird sich doch wohl kaum aufregen, nur weil ihre Freundinnen schneller heiraten als sie.«
»Ach nein? Niemand ist eben gern der Letzte in der Schlange. Mir gegenüber hat sie es jedenfalls erwähnt.«
»Wie dem auch sei, zumindest scheint sie den Abend zu genießen. Sie ist so überschäumend wie immer. Ich finde nur, sie schnattert etwas zu viel.«
»Wann tut sie das nicht?«, entgegnete Raphael mit einem Lachen und sah dann wieder seine Schwester an. Sie sorgte für die Unterhaltung und gab den jungen Männern keine Chance, irgendwie zu Wort zu kommen. »Sie quatscht ihnen die Ohren voll, aber sie ist zu schön, um sie damit abzuschrecken. Mir scheint, der heutige Abend ist wieder einmal vergebliche Liebesmüh. Ich werde mit Phelia reden. Sie soll dafür sorgen, dass auf allen anderen Partys dieser Saison wirklich sämtliche begehrten Junggesellen erscheinen. Wenn das hier wirklich das ganze Angebot sein soll, wird Mandys Alte-Jungfern-Gejammer nie ein Ende haben!«
Preston schnaubte empört. »Sie ist keine alte Jungfer, nicht im Entferntesten!«
»Dann versuch du doch, sie davon zu überzeugen! Du weißt doch, wenn sie einmal etwas aufschnappt, ist es schwer, ihr das wieder auszureden.«
»Hat sie es denn so gesagt?«
»Nein, aber wenn sie nicht in den nächsten Wochen ihren zukünftigen Bräutigam kennenlernt, wird das auch noch passieren«, meinte Raphael. »Ich bin sowieso überrascht, dass ihr Misserfolg in Sachen Partnerwahl nicht schon längst das Klatschthema Nummer eins ist. Wobei es durchaus so sein könnte, nur dass sich niemand traut, es mir gegenüber zu erwähnen. «
»Vielleicht wird es Zeit, dass ich etwas unternehme«, überlegte Preston.
»Willst du ihr etwa einen Mann kaufen? Oh Gott, nein, versuch es nicht einmal! Ihr geht es nur um Liebe. Ich verspreche dir, etwas anderes kommt für sie nicht infrage!«
Preston schnalzte missbilligend mit der Zunge. »Nein, ich dachte nicht an etwas so Altmodisches, wie eine Ehe für Mandy zu arrangieren. Ich weiß sehr gut, wie sehr sie das verletzen würde. Aber es war wohl sehr selbstsüchtig von mir zu hoff en, dass sie sich bei der Partnerwahl Zeit lässt, wenn das nach drei Jahren schon solche Konsequenzen hat, wie du gesagt hast.«
»Du meinst den Titel alte Jungfer?«
»Gewiss. Es ist zwar mehr als lächerlich, aber für sie wäre es das bestimmt nicht. Nein, ich dachte eher daran, mich einmal mit meiner alten Freundin Gertrude Allen zu unterhalten.«
Raphael lachte in sich hinein und sah zu den beiden Kupplerinnen hinüber. »Das könnte in diesem Stadium auf jeden Fall nicht schaden. Darauf hätte ich auch selbst kommen können.«
»Genau. Dann habe ich wenigstens irgendetwas getan, um ihr bei der Suche nach einem Mann zu helfen, die ihr so wichtig ist.«
Ein leichter Aufruhr an der Tür zog ihre Aufmerksamkeit auf sich, wie auch die der anderen Gäste. Zwei Neuankömmlinge betraten den Ballsaal. Der kleinere der beiden kam Raphael irgendwie bekannt vor. Der andere, wahrscheinlich Mitte zwanzig, war groß und gut aussehend, von kräftigem Körperbau, sein schwarzes Haar etwas länger, als die aktuelle Mode vorgab. Er hatte etwas Gefährliches an sich, das ihn hier auf den ersten Blick irgendwie fehl am Platz wirken ließ, auch wenn er korrekt gekleidet war. Er war ein bisschen zu muskulös und erinnerte Raphael an einen Schläger oder Schlimmeres.
»Wer ist das?«, wollte Preston wissen. »Ist er auch Teil der aktuellen Auswahl an begehrten Junggesellen?«
Raphaels Beschützerinstinkt machte sich bemerkbar. »Ich weiß nicht, wer das ist, aber ich werde dafür sorgen, dass er nicht in die Nähe meiner Schwester kommt.«
Preston hob eine Augenbraue. »Warum?«
Raphael stöhnte innerlich auf. Dein Instinkt hatte ihn das aussprechen lassen, und dieser war so stark, dass er ihn nicht ignorieren konnte. War er der Einzige, der spürte, dass dieser Neuankömmling gefährlich war?
»Ihm fehlt irgendwie der letzte Schliff«, sagte er beschwichtigend.
»Ist das bei deinem Freund Duncan MacTavish nicht auch der Fall?«
»Er hat eine Entschuldigung. Er ist im schottischen Hochland aufgewachsen.«
»Vielleicht solltest du erst herausfinden, wer dieser große Mann ist, bevor du ihn herabwürdigst, nur weil er hier ein bisschen fehl am Platz wirkt.«
Das zumindest war seinem Vater aufgefallen? Aber der Typ war der feinen Gesellschaft zumindest nicht gänzlich unbekannt. Einige der Gäste kannten ihn, ein junges verlobtes Pärchen lief auf ihn zu und begrüßte ihn überschwänglich. Vielleicht täuschte Raphael sich. Womöglich war der Mann völlig harmlos und wirkte nur deshalb gefährlich, weil er so groß war.
»Seine Hoheit, der Herzog?«
Preston verschluckte sich fast, als er diese Anrede vernahm, und Raphael drehte sich um und sah einen Herrn mittleren Alters, der seinem Vater die Hand hinstreckte. Man hatte ihn entdeckt! Das lenkte Raphael von dem Neuankömmling ab, und er musste fast lachen, als er sich die Schlange an Gästen vorstellte, die sich gleich vor dem einsiedlerischen Herzog von Norford bilden würde.
»Streite es ab!«, flüsterte er seinem Vater mit einem Grinsen zu.
»Sei nicht albern!«, gab Preston zurück und drückte dem anderen die Hand.
Raphael sah ein Pärchen, das ebenfalls auf seinen Vater zuging, und kommentierte amüsiert: »Du hast es nicht anders gewollt.«
Er hörte Preston noch seufzen, dann machte er sich auf die Suche nach Ophelia. Sie wusste bestimmt, wer dieser Schlägertyp war.
Kapitel 3
Ich habe keine Ahnung, wer das ist, und hatte auch noch keine Zeit, es herauszufinden«, sagte Ophelia. »Wir sind gerade erst in die Stadt zurückgekommen, ich bin also noch nicht auf dem Laufenden, was den neuesten Klatsch betrifft. Aber ich habe gehört, dass ein paar Leute ihn Cupido genannt haben. Sehr interessant!«
Raphael bezwang den Anflug von Eifersucht angesichts der Tatsache, dass Ophelia diesen Kerl interessant fand. Er wartete dennoch, bis sie dem Butler ihre Instruktionen für den Koch gegeben hatte. Natürlich wollte sie wissen, wer sich auf ihrer Party eingefunden hatte. Sie versuchte immer, in Erfahrung zu bringen, wer die ungeladenen Gäste waren, bevor diese die Party verließen, für den Fall, dass sie sie beim nächsten Mal einladen wollte.
»Also, wo waren wir stehen geblieben?«, fragte sie und drehte sich zu Raphael, um ihm ein umwerfendes Lächeln zu schenken.
Gott, wie schön sie doch war, dachte er. Weißblondes Haar, blaue Augen, Alabasterhaut und so feine, edle Gesichtszüge, dass jeder, der sie ansah, einfach überwältigt war. Die kleine Narbe oberhalb ihres Kinns, die davon stammte, dass ein Pferd sie getreten hatte, tat ihrer Schönheit keinen Abbruch, nicht im Geringsten. Er wünschte manchmal, es wäre so. Niemand sollte so schön sein. Manchmal wünschte er wirklich, es würde ihn nicht immer wieder eifersüchtig machen, wenn sie mit anderen Männern sprach. Er hatte es überhaupt nicht unter Kontrolle, es überkam ihn einfach, auch wenn er wusste, dass es keinen Grund dafür gab. Aber bisher hatte auch niemand sich mit ihrer Schönheit vergleichen können, und so würde es wohl auch bleiben.
»Wir sprachen über deinen gut aussehenden ungeladenen Gast«, antwortete er.
»Ach ja. Ich habe seinen Freund eingeladen, William Pace. Seine Schwester hat dieses Jahr ihre erste Saison, und ich konnte mich an ihren Namen nicht mehr erinnern. Ich hoff te, dass er sie mitbringt, aber sie hatte wohl anderweitige Verpflichtungen.«
»Pace, natürlich, jetzt erinnere ich mich. Ein netter Kerl. Der Ärmste verlor vor Kurzem beide Eltern. Aber seine Schwester habe ich auch nicht gesehen ... Cupido also, ja?« Er musterte die beiden jungen Männer und verdrehte die Augen. Genau so wurden Gerüchte in die Welt gesetzt, wenn die Leute eigentlich nichts wussten und unausgegorener Klatsch und deshalb begannen, sich die Details auszumalen. »Wahrscheinlich ist das nur ein Gerücht, denn sonst würde ich annehmen, er sei ein Kuppler.«
Ophelia kicherte. »Wahrscheinlich, denn mit so etwas beschäftigen sich nur Frauen. Aber irgendwie scheint er eine Sensation zu sein. Ich hörte den Namen Cupido bestimmt drei Mal, noch bevor er ankam, und seit er hier ist, noch einige Male. Aber als ich nachfragen wollte, belagerten mich alle wegen deines Vaters. Jemand hat ihn erkannt, und jetzt wollen alle wissen, warum er aus seinem Winterschlaf erwacht ist.«
»Wegen Mandy natürlich. Man sollte doch meinen, dass die Leute selbst darauf kommen und es dabei belassen.«
Sie widersprach: »Nein, wie auch, wo er sie doch zwei Jahre ohne seine Begleitung ausgehen ließ!«
Beide sahen zu Amanda hinüber, und Raphael runzelte die Stirn, als er bemerkte, dass ein weiterer Mann sich zu der Gruppe um seine Schwester gesellt hatte. »Was zum Teufel macht Exter hier? Der Kerl ist in der ganzen Stadt dafür bekannt, dass er nur auf vermögende Frauen aus ist.«
»Er wohnt bei Lord und Lady Durrant. Ich wusste das nicht, bis sie mit ihm im Schlepptau auftauchten. Aber Mandy würde nie auf jemanden wie ihn hereinfallen. Auch wenn sie manchmal nicht so wirkt - sie ist ein kluges Mädchen.«
»Ich liebe sie über alles, aber wir reden hier über meine Schwester. Sie ist manchmal völlig zerstreut und ...«
Ophelia bohrte ihm ihren Zeigefinger in die Brust. »Nichts da! Sie ist nur sehr leicht erregbar. Daran ist nichts verkehrt. Ich bin sicher, dass sie genau weiß, welche ihrer Verehrer in sie verliebt sind und welche in ihren Vater ...« Sie legte eine Pause ein, die genau so lang war, dass Raphael in Lachen ausbrechen konnte. »Also, ich meine natürlich, in den Adelstitel ihres Vaters.«
Raphael legte seinen Arm um die Schultern seiner Frau. »Ich weiß, ich mache mir wahrscheinlich ganz umsonst Sorgen. « Er klopfte sich auf die Brust. »Aber ich spüre es hier drin, Mandys Unglück. Sie sollte es sich nicht so schwer machen. Sieh sie dir an, sie ist bezaubernd, sie ist eine erstklassige Partie. Was zum Teufel ist los, dass es keinem dieser Männer gelingt, sie für sich zu gewinnen?«
»Weil einfach noch nicht der Richtige für sie dabei war. Liebe kann man nicht erzwingen. Ihre Liebe ist einfach noch nicht gekommen. Dieses Jahr suchen wieder neue junge Männer die Stadt auf. Neues Spiel, neues Glück. Wir können nur hoffen, dass die Liebe sie heuer findet.«
Beide starrten wieder zu dem Neuankömmling, dem großen gut aussehenden Mann. Als Raphael ihn mit dem jungen verlobten Pärchen hatte lachen sehen, wirkte er gar nicht mehr so bedrohlich wie auf den ersten Blick. Raphael überlegte, ob er nicht einfach seine Bekanntschaft machen sollte, um herauszufinden, ob sein erster Eindruck ihn getäuscht hatte.
Ophelia dachte währenddessen an etwas ganz anderes. Cupido? Nur jemand, der erfolgreich beim Kuppeln war, konnte einen solchen Spitznamen verdient haben. Außer natürlich, es handelte sich um einen Scherz, was ebenfalls möglich war. Kein Mann wurde gern mit einem Cherub verglichen, oder? Sie musste es auf jeden Fall herausfinden.
Auf der anderen Seite des Raumes sagte Pace zu seinem besten Freund, nachdem Sir Henry und Elizabeth Malcort das Gespräch beendet und sich entfernt hatten: »Ich habe dir doch gesagt, dass du dich hier gut einfügen und Leute treffen wirst, die du kennst.«
Devin Baldwin lachte, denn er wusste, dass der erste Teil dieser Aussage nicht im Geringsten zutraf. Er war zu groß, zu stark gebräunt, weil er sich so viel im Freien aufhielt, und zu ungeschliffen, da er seine Worte nie auf die Goldwaage legte, egal, in welcher Gesellschaft er sich befand. Er hätte es lernen können, wie man sich als perfekter Gentleman verhielt, aber er fand diesen Unterricht nutzlos, entweder auf absurde Weise amüsant - oder auch nur heuchlerisch.
William versuchte seit Jahren, ihn auf solche Veranstaltungen mitzuschleppen, aber erst in letzter Zeit hatte er befunden, dass es für ihn vorteilhaft sein könnte. Nicht dass er dieses Jahr nicht auch selbst unter Leute gegangen wäre, wenn er denn einmal Zeit hatte. Doch bei den Einladungen, die er von seinen Kunden bekommen hatte, handelte es sich um weit geringere Anlässe, die er als geschäftlich betrachtete, nicht um solche piekfeinen Partys wie diese hier, wo jeder Gast irgendeinen Adelstitel trug. Und jetzt erhielt er Einladungen von irgendwelchen Adligen, die er überhaupt nicht kannte, nur weil er ein paar Kunden in Angelegenheiten geholfen hatte, die überhaupt nichts mit der Pferdezucht zu tun hatten, mit der er sich sonst beschäftigte.
Solche Einladungen hatte er immer ignoriert - bis zum heutigen Abend. Er mochte die reichen Londoner Lackaffen nicht - außer, sie waren seine Kunden. Und selbst dann befand er sie immer noch für alberne, oberflächliche Leute, die nichts anderes im Kopf hatten als ihre lächerlichen Vergnügungen und die vom wirklichen Leben überhaupt nichts wussten. Sie erinnerten ihn viel zu sehr an seinen Vater, den er hasste. Sie erinnerten ihn an seine Mutter, die ihre Familie im Stich gelassen hatte, um sich ganz dem Sündenpfuhl Londons hinzugeben. Er war sowieso mehr an Leute vom Land gewöhnt, Gutsherren, die ihre Landgüter selbst führten, statt sie einem Verwalter zu überlassen. Männer, die er respektieren konnte, weil sie nicht davor zurückschreckten, sich selbst die Hände schmutzig zu machen.
»Ist sie nicht faszinierend?«, fragte William.
Devin ließ zuerst seinen Blick über den reich verzierten Kamin im Ballsaal gleiten, bevor er beiläufig zurückgab: »Welche? «
William lachte. »Na ja, unsere Gastgeberin ist verheiratet, und das auch noch glücklich. Du weißt ganz genau, dass ich von unserer Little Miss Sunshine spreche.«
»Ich versuche, sie nicht zu beachten.«
»Warum?«
»Du bist derjenige, der nach einer reichen Frau Ausschau hält, nicht ich«, antwortete Devin. Und die kleine Schnattergans, von der sein Blick immer wieder angezogen wurde, war einfach zu hübsch. Das Letzte, was er brauchen konnte, war, sich von einer Frau angezogen zu fühlen, die er niemals haben konnte.
»Nett von dir, dass du sie mir überlassen willst. Aber ich bin auch kein Idiot«, entgegnete William. »Bei so einer Premium- Braut habe ich keine Chance.«
»Unsinn ...«
William unterbrach ihn mit einem trockenen Lachen. »Glaub mir, ich habe es letztes Jahr nach besten Kräften versucht! Damals wusste ich nicht, dass ihr Vater ein Herzog ist. Es war mir auch egal, als ich es erfahren hatte. Aber sie konnte sich nicht einmal an meinen Namen erinnern! Ein harter Schlag für mein Ego, also habe ich es aufgegeben. Aber du, du bist groß und gut aussehend, den Leuten ist es sogar egal, dass du ein bisschen ... ungehobelt bist.«
Das bewirkte das Lachen, auf das William gewartet hatte, auch wenn seine Bemerkung durchaus der Wahrheit entsprach.
»Ich habe vielleicht die Farm meiner Vorfahren wieder auf Vordermann gebracht, aber das betrachte ich nicht als mein Verdienst. Und der Adelstitel, den unsere Familie einmal besaß, ging schon vor Jahrhunderten durch die Heirat einer Tochter flöten. Meinst du nicht, dass die Familie von Little Miss Sunshine zumindest auf eines davon Wert legen würde, wenn nicht gar auf beides?«
»Das könnte man meinen«, sagte William nachdenklich. »Ja, ja, das könnte sein, aber manche Familien sind so reich und stehen so weit über den Dingen, dass es ihnen gar nicht mehr auf so etwas ankommt.«
»Oder gerade erst recht.«
William zuckte mit den Achseln. »Wer weiß? Ich sage nichts mehr - aber nur weil du darauf bestehst, dass du nicht an einer Ehefrau interessiert bist. Ich finde nur, du solltest für alles offen sein - nur für den Fall, dass dir etwas in den Schoß fällt ...«
»Ich dachte, du wolltest nichts mehr sagen?«
William grinste, doch dann blitzten seine Augen auf, und er warnte seinen Freund plötzlich: »Oh, oh, sei auf der Hut, deine Konkurrentinnen haben es auf dich abgesehen!«
»Meine was?«
Devin drehte sich um und sah zwei alte Damen auf sich zukommen. Die erste war füllig und grauhaarig und wirkte so wütend, als wollte sie ihn gleich anspucken. Die andere war schlanker, hatte noch blonde Strähnen in ihrem grauen Haar und wirkte verlegen, wie sie so hinter der Kräftigeren herstapfte.
»Junger Mann, ich habe ein Hühnchen mit Ihnen zu rupfen! «, fuhr diese ihn an.
»Madam, mäßigen Sie Ihren Ton, oder rupfen Sie Ihr Hühnchen woanders!«, gab er ohne Zögern zurück.
Die Dame war einen Moment lang sprachlos. William nutzte eilig die Gelegenheit und stellte die Runde einander vor. Die zweite Dame, Gertrude Allen, war überrascht, als sie Devins vollen Namen hörte.
»Sie sind nicht zufällig mit Lydia Baldwin verwandt?«, fragte sie.
Devin schenkte der freundlichen Lady ein Lächeln. »Doch, in der Tat, sie ist meine Tante.«
»Ach nein, ich kenne Ihre Familie sehr gut! Mein verstorbener Ehemann reiste immer bis nach Lancashire, nur um seinen Pferdebestand aufzufüllen. Wunderbare Pferdezüchter! Eine alte Familientradition, oder? Ihre Großeltern waren damals noch am Leben, wenn ich mich richtig erinnere. Und später half Ihre Tante meinem Fluffy, nachdem sie und Ihr Onkel nach London gezogen waren. Sie ist eine fantastische Hundetrainerin! Nach nur einer Woche mit ihr kam mein Fluffy nach Hause und hat nie wieder ein Tischbein angenagt. Mabel, ich habe dir doch erzählt ...«
Die ältere Dame hatte sich inzwischen wieder erholt und unterbrach sie: »Er kann von mir aus so viele Pferde züchten, wie er will, aber er soll seine Nase aus Dingen heraushalten, von denen er nichts versteht! Hören Sie gut zu, Cupido«, Mabel sprach den Spitznamen verächtlich aus, »im Moment sind Sie vielleicht eine kleine Sensation, weil Sie ein bisschen Glück beim Kuppeln hatten, aber es ist eine absurde Anmaßung, sich auf diesem Feld zu betätigen, wo Sie doch erst neu in der Stadt sind und ...«
»Ich bin nicht neu hier in London«, widersprach Devin.
»Natürlich sind Sie das! Wer hat vor dieser Saison je von Ihnen gehört?«
William versuchte, die alte Dame zu beschwichtigen, klang jetzt aber ebenfalls leicht verärgert über den Ton, den sie seinem Freund gegenüber anschlug. »Ich würde mich selbst nicht unbedingt als Niemand bezeichnen, Lady Mabel. Und Devin ist zufällig mein bester Freund. Wir beide sind gemeinsam zur Schule gegangen. Er ist sogar in London geboren, sollten Sie wissen. Nach der Schule ging er nach Norden, um die Farm seiner Familie wieder auf Vordermann zu bringen. Deshalb war er viel zu beschäftigt, um zu gesellschaftlichen Anlässen in London zu erscheinen. Aber er hat ein Anwesen in der Nähe von London gekauft, um näher bei seinen Kunden zu sein, also wird man ihn in Zukunft öfter sehen.«
Die Alte war nicht im Ansatz besänftigt, im Gegenteil. Mit einem zornigen Blick auf William zischte sie: »Das sind keine guten Nachrichten, William Pace!« Dann fuchtelte sie mit dem Zeigefinger vor Devin herum. »Sie haben bis jetzt Glück gehabt. Aber es ist ein ernsthaft es Geschäft, mit dem Sie hier Schindluder treiben! Menschen werden ins Unglück gestürzt, wenn Sie einen Fehler machen. Aber für Sie ist das nur Spielerei, ein amüsanter Zeitvertreib, nicht wahr?«
Devin zuckte mit den Achseln. »Ich kann nicht bestreiten, dass es amüsant ist. Aber ich habe mich nicht darum bemüht. Es ist mir einfach in den Schoß gefallen. Mit Glück hat es nichts zu tun, es ist schlicht der tierische Magnetismus, der für eine gelungene Verbindung sorgt. Ein Mann und eine Frau müssen einander körperlich begehren, wenn die erste Brunftzeit jedoch vorbei ist, müssen sie auch etwas gemeinsam haben, sonst wird es nichts mit dem Glück bis ans Ende aller Tage.«
»Wie ... wie können Sie es wagen!«, stammelte Mabel.
»Denken Sie darüber nach, altes Mädchen, und Sie werden feststellen, dass ich recht habe. Wie viele Ihrer glücklichen Ehen sind noch glücklich? Oder haben die Männer schon ihre Geliebten nebenbei?«
William hustete, weil er gleichzeitig lachen und aufstöhnen musste. Gertrude starrte noch immer nach unten auf ihre Füße. Mabel war wieder einmal sprachlos, und mit ihrem roten Gesicht wirkte sie, als würde sie gleich platzen. Selbst Devin wusste, dass er sich unmöglich benommen hatte, aber es war ihm egal. Die eifersüchtige alte Schachtel hatte ihn nicht zu kritisieren für seine Methode, die nun einmal einfach funktionierte.
Die Gastgeberin nutzte den Moment, um auf ihre Anwesenheit aufmerksam zu machen, und ihrem Gesichtsausdruck nach zu urteilen, war sie äußerst amüsiert über das, was sie gerade gehört hatte. Und jetzt war es an Devin zu erröten. Verdammt!
Ophelia legte ihre Hand sanft auf Mabels Arm. »Es gibt keinen Grund, sich aufzuregen, meine Liebe. Ein bisschen Offenheit ist von Zeit zu Zeit doch herzerfrischend. Stellen Sie sich nur vor, was wäre, wenn alle Künstler das Gleiche malen würden! Unsere Wände wären einfach nur langweilig.«
»Völlig irrelevant«, murmelte Mabel. Ihre Wangen begannen langsam, sich abzukühlen.
»Mag sein, aber niemand hier versucht, Ihnen die Schau zu stehlen. Die altbewährten Methoden funktionieren immer, es gibt jedoch auch noch ein wenig Raum für Innovationen, oder? Ach, du meine Güte, ich habe diesen neuen Gast noch gar nicht richtig begrüßt!« Sie schenkte den beiden jungen Männern ein strahlendes Lächeln. »Ich bin Ophelia Locke. Es freut mich, dass Sie heute gekommen sind. Oh, und William, wie immer schön, dich zu sehen!«
Mabel lachte trocken. »Das solltest du nicht tun, Phelia!«
»Was?«, fragte diese mit unschuldigem Grinsen.
»Du weißt genau, dass es den beiden die Sprache verschlägt, wenn du sie so ansiehst. Aber geschieht ihnen ganz recht«, sagte Mabel spöttisch. Sie ging von dannen und zog Gertrude mit sich.
»Ich denke, Sie werden es überleben, meine Herren. Aber mal im Ernst, Devin Baldwin: Gefällt es Ihnen, mit einem Cherub verglichen zu werden, oder finden Sie es einfach nur amüsant?«, wollte Ophelia wissen.
William starrte sie immer noch fasziniert an. Devin brauchte einen Moment, um die Frage überhaupt wahrzunehmen. Er hatte zuvor schon gedacht, dass diese Frau die schönste war, die er in seinem Leben gesehen hatte, aber ihr Lächeln war einfach tödlich. Ihr Ehemann tat ihm leid - zur Hölle, und wie er ihn bemitleidete, dachte er und musste beinahe lachen.
»Dem Mythos zufolge ist Cupido der Gott der Liebe und der Sohn von Venus.«
»Herr im Himmel, ich hatte ja keine Ahnung, dass man Sie einen Gott nennt!«
Er lachte. »Das Ganze ist ziemlich albern, und ja, ich finde es amüsant.«
»Die Kuppelmethoden, über die Sie gesprochen haben, klingen sehr interessant. Hat die Methode funktioniert, haben Sie damit eine Ehefrau gefunden?«
»Ich habe keine Zeit für eine Ehefrau.«
William schaltete sich ein. »Dev gründet gerade eine Pferdezucht auf seiner neuen Farm in der Nähe von London, gleich im Norden hinter der Rennbahn.«
»Ja«, bestätigte Devin, »ich will neue Schwerpunkte setzen, nicht das wiederholen, was meine Familie seit Jahrhunderten tut. Es ist ein langer Prozess, aber nächstes Frühjahr weiß ich, ob es funktioniert oder nicht.«
»Haben Sie ein paar schnelle Pferde zu verkaufen? Mein Mann hat bald Geburtstag, und ich überlege, ihm ein neues Pferd zu schenken.«
Devin grinste. »Wahrscheinlich schnellere, als er gewohnt ist.«
»Wundervoll! Das wird eine herrliche Überraschung! Es wird mir ein Vergnügen sein, mit Ihnen Geschäft e zu machen! «
© 2013 der deutschen Ausgabe by Wilhelm Heyne Verlag, München
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Autoren-Porträt von Johanna Lindsey
Johanna Lindsey wächst auf Hawaii auf. Sie heiratet nach der Highschool und hat bereits zwei kleine Kinder zu versorgen, als sie sich zum Schreiben gedrängt fühlt.1976 veröffentlicht sie ihren ersten Roman. Heute ist sie eine der erfolgreichsten Autorinnen historischer Liebesromane. Weltweit hat sie über 60 Millionen Exemplare ihrer Bücher verkauft, die nicht selten die ersten Plätze der Bestsellerliste der New York Times erreichen. Johanna Lindsey schreibt und lebt mit ihrer Familie in New Hampshire.
Bibliographische Angaben
- Autor: Johanna Lindsey
- 2014, Erstmals im TB, 416 Seiten, Maße: 11,8 x 18,7 cm, Taschenbuch, Deutsch
- Übersetzer: Julia Paiva Nunes
- Verlag: Heyne
- ISBN-10: 3453410467
- ISBN-13: 9783453410466
- Erscheinungsdatum: 08.01.2014
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