Wilder Retter meines Herzens
Kein Lese-Tipp - ein Lese-Muss!
In einer dunklen Strandnacht im Jahre 1818: Mitten in den Dünen drohen Faith die Kräfte zu verlassen. Alles hat sie verloren. Und die Stimmen ihrer lüsternen Verfolger kommen immer näher. Ob sie mit ihrer Flucht doch zu...
In einer dunklen Strandnacht im Jahre 1818: Mitten in den Dünen drohen Faith die Kräfte zu verlassen. Alles hat sie verloren. Und die Stimmen ihrer lüsternen Verfolger kommen immer näher. Ob sie mit ihrer Flucht doch zu...
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Produktinformationen zu „Wilder Retter meines Herzens “
Klappentext zu „Wilder Retter meines Herzens “
Kein Lese-Tipp - ein Lese-Muss!In einer dunklen Strandnacht im Jahre 1818: Mitten in den Dünen drohen Faith die Kräfte zu verlassen. Alles hat sie verloren. Und die Stimmen ihrer lüsternen Verfolger kommen immer näher. Ob sie mit ihrer Flucht doch zu viel wagte? Entsetzt erkennt die junge Schönheit, wie schutzlos sie ist. Da tritt ein gut aussehender Fremder aus dem Schatten, zieht Faith in seine starken Arme und tut etwas, was noch kein Mann für sie getan hat: Er kämpft für sie. Endlich scheint das Glück in Faiths Leben zurückgekehrt zu sein. Sie ahnt nicht, dass ihr heldenhafter Retter ein schreckliches Geheimnis vor ihr verbirgt ...
Lese-Probe zu „Wilder Retter meines Herzens “
Wilder Retter meines Herzens von Anne GracieÜbersetzung von Andrea Schwinn
1. KAPITEL
Lang und beschwerlich ist der Weg, der aus der Hölle zum Licht führt.
John Milton
In der Nähe von Calais, Frankreich, September 1818
... mehr
Stimmen. Da waren Stimmen in der Dunkelheit, irgendwo in den Dünen. Männerstimmen.
Faith Merridew setzte sich auf. Ein Licht tanzte oberhalb von ihr über den Sand.
Es bewegte sich langsam und stockend auf ihr Versteck zu.
"Où es-tu, ma jolie poulette? Wo bist du, mein hübsches Schätzchen?" Der Mann, wer immer er auch sein mochte, klang betrunken.
Sie hörte, wie eine andere Person im Dunkeln stolperte und in einen der niedrigen Sträucher stürzte, die auf den Dünen wuchsen. Er fluchte. "Bist du sicher, dass sie dort ist?", fragte er auf Französisch.
"Oui. Ich habe sie hineingehen und nicht wieder herauskommen sehen. Sie wartet in ihrem gemütlichen Nest auf uns." Der Sprecher lachte heiser auf, zwei andere Männer stimmten in sein Gelächter ein. Drei Männer also, wenn nicht noch mehr.
Faith wollte nicht abwarten, bis sie darüber Gewissheit hatte. Sie packte ihren handgewebten Wollumhang und ihr Retikül, duckte sich und fing an zu laufen, so schnell sie konnte.
Hinter ihr lag die Stadt und vor ihr - wer wusste das schon? Sie hatte jedoch nicht vor, in die Stadt zurückzukehren, schon gar nicht bei Nacht. Die Stadt bot ihr auch keine Zuflucht, das hatte sie auf unangenehme Weise bereits zu spüren bekommen. Die Stadt war voll von Männern wie diesen hier. Männer, die sie überhaupt erst dazu gebracht hatten, sich in den Dünen zu verstecken.
Es gab keine Alternative. Sie lief auf den Strand zu.
"Là-bas! Da unten!" Sie hatten sie entdeckt und nahmen die Verfolgung auf.
Es gab keinen Grund mehr, sich möglichst lautlos zu verhalten. Sie fing an zu rennen, quer durch die struppigen Büsche und das Dünengras. Ihr Rock blieb an kleinen Ästen und spitzen Dornen hängen. Faith zerrte ihn frei, raffte ihn hoch und rannte weiter. Die Dornen zerkratzten ihre Beine, doch sie merkte es nicht. Hinter ihr trampelten die Männer durch das Gestrüpp, der Abstand zwischen ihnen und Faith verringerte sich.
In diesem Moment stolperte sie über eine Wurzel und stürzte. Ein greller Schmerz durchzuckte ihr Gesicht. Einen Moment lang versuchte sie vergeblich Atem zu holen, doch dann strömte die Luft wieder in ihre Lungen, und Faith richtete sich mühsam auf. Sie lauschte in die Richtung, wo sie ihre Verfolger vermutete, und in dem Moment hörte sie etwas anderes. Musik. Leise, aber ganz in der Nähe.
Wo Musik war, waren auch Menschen. Menschen, die ihr vielleicht helfen würden. Oder auch nicht. Vielleicht waren sie ja wie die Männer in der Stadt oder wie die, die sie jetzt verfolgten.
Ihr blieb keine andere Wahl. Sie konnte sich nicht einfach wie ein Hase von der Meute jagen lassen. Sie musste es riskieren. Sie würde weiterrennen, geradewegs auf die Musik zu, und beten, dass sie dort Rettung fand.
In der Musik hatte sie schon einmal Zuflucht gesucht. Und letztlich war sie ihr Untergang gewesen.
Um noch schneller laufen zu können, rannte sie jetzt über den offenen Strand auf das Meer zu, dorthin, wo der Sand am festesten war. Bei jedem Schritt schmerzte ihr Knöchel unerträglich. Sie hörte Schreie hinter sich, als ihre Verfolger sie entdeckten. Faith rannte, rannte um ihr Leben, immer weiter in die Richtung, aus der die Musik ertönte.
Ihre schweren Stiefel behinderten sie. Im dornigen Gestrüpp hatten sie ihre Füße geschützt - ihre eigenen dünnen Schuhe hätten das nie vermocht -, aber jetzt sog der Sand förmlich an ihnen. Faith hatte keine Zeit, stehen zu bleiben und die Stiefel auszuziehen. Ihr Atem ging keuchend, sie verspürte Stiche in der Seite, aber sie achtete nicht darauf.
Sie umrundete eine kleine Landzunge. Ein Feuer flackerte am Fuß der Dünen. Schwer atmend rannte sie darauf zu. Ein Lagerfeuer mit einem Kessel darüber. Fischer?
Eine einsame Gestalt saß am Feuer und spielte leise auf der Gitarre - eine spanisch anmutende Weise, die in die Nacht hinausströmte wie perlendes Wasser oder Wein. Ein Mann. Ein Zigeuner? Ein riesiger Hund erhob sich aus dem Schatten. Faith erstarrte. In der vergangenen Woche waren bereits zweimal Hunde auf sie gehetzt worden. Dieser hier war so groß, dass er ihr sicher mühelos die Kehle durchbeißen konnte.
"Là-bas!" Ihre Verfolger stürmten um die Landzunge herum. Nichts, nicht einmal ein Höllenhund, konnte schlimmer sein als das, was diese Männer vorhatten. Das schiere Entsetzen trieb sie weiter voran.
"Aidez-moi!", keuchte sie, als sie auf den Mann zustolperte. "Aidez-moi, je vous implore! Helfen Sie mir, ich flehe Sie an!"
Die Musik verstummte. Aus dem leisen Knurren des Hundes wurde wütendes Gebell.
"Aus, Wulf!" Das tiefe Bellen hörte augenblicklich auf, obwohl der Hund weiter knurrte.
"Aidez-moi!", wiederholte sie mit letzter Kraft, kaum lauter als ein Flüstern.
Doch der Mann hatte sie gehört. Er streckte die Hand nach ihr aus. Ein Rettungsanker! "Viens ici, petite", war alles, was er sagte. "Komm her, Kleine."
Seine Stimme klang tief, ruhig und sicher, und sie schien irgendetwas tief in Faiths Innern anzusprechen. Und so, trotz der Tatsache, dass sie sein Gesicht nicht sehen konnte, trotz des knurrenden Ungeheuers an seiner Seite, nahm sie ihre letzte Kraft zusammen und schwankte auf ihn zu. Er war so groß und stark, und sie fand, dass seine Stimme fest und zuversichtlich klang. Er konnte kaum grausamer sein als die, die hinter ihr her waren, und außerdem war sie mit ihren Kräften am Ende.
Wieder verfing sich ihre Stiefelspitze im Gestrüpp. Sie knickte mit ihrem verletzten Knöchel um und prallte gegen den Mann. Er hielt sie zwar fest an seine Brust gedrückt, aber durch die Wucht des Aufpralls verlor er das Gleichgewicht und fiel rücklings in den Sand.
Einen Moment lang lag sie erschöpft und nach Luft ringend auf seiner breiten, festen Brust. Der Mann rührte sich nicht, als hätte ihm der Sturz ebenfalls den Atem verschlagen. Er hatte die Arme um sie geschlungen, und sie spürte seine harten, kräftigen Muskeln. Er roch frisch und sauber, nach Salz, Rauch und Seife.
Während Faith sich mühsam aufrichtete, suchte sie nach den richtigen französischen Worten, um ihm alles erklären und ihn um Hilfe bitten zu können. Aber nicht ein einziges Wort wollte ihr einfallen. Sie kniete sich neben ihn in den Sand und versuchte angestrengt, sich zu konzentrieren.
Seine Gesichtszüge lagen im Schatten. "Mademoiselle?", fragte er beinahe schroff.
Sie öffnete hilflos den Mund - und schloss ihn wieder. "Es tut mir leid, es tut mir so leid", flüsterte sie auf Englisch. "Mir fallen die Worte einfach nicht ein. O Gott!"
"Sie sind Engländerin!", entfuhr es ihm, und er stand abrupt auf. Er kam ihr unglaublich groß vor.
Faith nickte. "Ja. Ja, das bin ich. Und Sie ...?" Seine Worte durchdrangen endlich den Nebel in ihrem Gehirn. Er war ebenfalls Engländer. "Gott sei Dank. Gott sei Dank!", hauchte sie, obwohl ihr schleierhaft war, warum sie sich bei ihm sicherer fühlen sollte, nur weil er sauber und noch dazu Engländer war. Und doch war es irgendwie so.
Der Hund fing erneut wütend zu bellen an, und Faith riss sich zusammen. "Diese Männer werden jeden Moment hier sein ..."
Er wandte den Blick nicht von ihr ab, bückte sich und streckte die Hand nach ihr aus. "Können Sie aufstehen?"
Ganz am Rande nahm sie wahr, dass er ohne jeglichen Akzent sprach, genau wie ein Gentleman. Sie nickte, obwohl sie am ganzen Leib zitterte, und er half ihr mit festem Griff, auf die Beine zu kommen. Ängstlich starrte sie in die Dunkelheit. Der Hund knurrte und fletschte die Zähne. Er spürte eindeutig ihre Verfolger, obwohl die sehr leise geworden waren.
"Genug, Wulf!" Der Hund gehorchte, und Stille breitete sich aus.
Vor dem schimmernden Hintergrund des Meeres zeichneten sich undeutlich drei Gestalten ab.
"Sie sind hinter mir her."
"Das habe ich bereits vermutet. Aber warum? Haben Sie ihnen etwas gestohlen?"
"Nein!", widersprach sie empört. "Sie wollen ... Sie glauben ... Sie denken, ich wäre ..."
Er betrachtete sie mit einem kühlen, abschätzenden Blick. "Ich verstehe", erwiderte er knapp.
Er dachte das Gleiche wie die Männer, das hörte sie seinem Tonfall an. Sie senkte den Kopf, zu gedemütigt, um sprechen zu können.
"Setzen Sie sich dorthin, ans Feuer. Ich kümmere mich um sie."
"Aber es sind drei Männer! Vielleicht sogar noch mehr!"
Er lächelte beinahe grausam und entblößte dabei schimmernde Zähne. "Gut."
Gut? Faith wünschte, sie hätte seine Gesichtszüge deutlicher sehen können. Was meinte er bloß damit - gut?
Aus der Dunkelheit ertönte eine raue Männerstimme auf Französisch. "He, Sie da! Die Frau gehört uns."
"Oui, geben Sie sie uns zurück, dann machen wir auch keine Schwierigkeiten", fügte ein anderer hinzu.
Der große Mann antwortete ebenfalls auf Französisch. "Die Frau gehört mir." Der Hund knurrte, als wollte er diese Worte noch unterstreichen.
Die Frau gehört mir. Das unerbittliche Feststellen einer Tatsache. Faith erschauerte. Musste sie jetzt vor vier Männern fliehen, anstatt vor drei? Sie sah zu ihm auf, eine große, gesichtslose Silhouette vor dem Feuer. Ihr Zorn regte sich. Sie gehörte keinem Mann. Seit sie Felix verlassen hatte, dachten alle möglichen Männer anscheinend, sie könnten sich einfach bedienen. War das wirklich erst zehn Tage her? Ihr erschien es eher wie ein nicht enden wollender Albtraum, der von Mal zu Mal schlimmer wurde.
Der erste Mann fluchte. "Das Flittchen gehört uns, wir haben es zuerst gefunden." Er spuckte aus. "Sie können die Frau haben, wenn wir mit ihr fertig sind."
Sie hatten vor, sie sich zu teilen? Großer Gott! Faith fing wieder an zu zittern. Sie sah sich nach einer Waffe um, einem Messer vielleicht oder einem dicken Stock, aber sie konnte nichts Nützliches entdecken. Die dicksten Äste waren ins Feuer geworfen worden. Sie würde fliehen müssen. Wieder einmal. Ihr Seitenstechen hatte aufgehört und ihr Atem ging - fast - wieder regelmäßig. Das Gesicht tat ihr weh und der Knöchel schmerzte, aber alles in allem war sie besser imstande zu rennen als noch vor kurzer Zeit. Sie beugte sich unauffällig nach vorn und begann, ihre schweren Stiefel aufzuschnüren. Im Sand würde sie barfuß schneller sein.
Der Hüne bückte sich und packte ihr Handgelenk. "Lassen Sie das", forderte er sie sanft auf und zog sie wieder zu sich hoch. "Sie werden nicht weglaufen müssen. Sie haben mein Wort, dass Sie in Sicherheit sind." Lauter und mit einem drohenden Unterton rief er den Männern zu: "Dieses Mädchen gehört zu mir, und ich werde es mit niemandem teilen. Es bleibt bei mir." Er wandte sich leise an Faith. "Sehen Sie die Satteltaschen dort drüben auf der Decke neben der Gitarre? In ihnen befinden sich zwei Pistolen. Holen Sie sie mir, seien Sie ein braves Mädchen. Ich will diese Schurken nicht aus den Augen lassen."
Seien Sie ein braves Mädchen? Das klang nicht gerade so, als wollte er ihr Gewalt antun.
"Wir haben sie zuerst entdeckt!", rief einer der Männer wütend.
"Sie wollen sie haben? Dann kommen Sie und holen sie sich. Aber vorher werden Sie mich umbringen müssen." Zu Faiths Erstaunen lächelte er erneut. Doch an diesem Lächeln war nichts Freundliches oder Belustigtes. Es war eher wie eine zähnefletschende Vorfreude auf einen Kampf.
Hämisches Gelächter ertönte. "Pah, wir sind drei gegen einen, Engländer! Wir werden Sie an die Fische verfüttern!"
Wieder lächelte Faiths Engländer dieses schreckliche Lächeln, als wollte er sagen: Wir werden ja sehen.
Faith fand die Pistolen, eilte zu ihm zurück und drückte sie ihm in die Hände. Die Männer im Schatten murmelten etwas, als diskutierten sie miteinander. Oder schmiedeten einen Plan.
Er prüfte die Pistolen ohne Eile. Faith starrte ihn an und bewunderte seine Ruhe. Einer gegen drei! Er war groß und breitschultrig, aber nicht so stämmig wie die drei anderen. Wahrscheinlich waren sie die Sorte von Rohlingen, die bis an die Zähne mit Messern bewaffnet waren, und obwohl der Engländer zwei Pistolen hatte, konnte er damit bestenfalls auch nur zwei der Angreifer unschädlich machen. Diese schrecklich ungleich verteilten Chancen schienen ihn nicht im Geringsten zu beunruhigen.
Plötzlich empfand sie so etwas wie Selbstverachtung. Dieser Mann, ein Fremder, dessen Namen sie nicht einmal kannte, setzte für sie sein Leben aufs Spiel. Sie sollte sich nicht hinter ihm verschanzen und es ihm und seinem Hund überlassen, sie vor den Angreifern zu beschützen. In der letzten Woche hatte sie den Vorsatz gefasst, endlich zu lernen, auf sich selbst aufzupassen und nicht mehr von anderen abhängig zu sein - um nichts auf der Welt! Jetzt war der Zeitpunkt gekommen, ihren Vorsatz zu beherzigen.
Sie lief zum Feuer, wählte einen dicken, langen Ast aus, der an einem Ende noch brannte, und zog ihn aus den Flammen. Sie bemühte sich, ihr Zittern unter Kontrolle zu bringen und trat neben ihren unbekannten Helden.
"Ich werde ebenfalls kämpfen", rief sie und schüttelte den brennenden Ast in die Richtung der nur schemenhaft zu erkennenden Franzosen.
Ihr Beschützer lachte schallend auf, dieses Mal mit echter Belustigung. "Recht so!" Er hob die Stimme. "Ein Mann, ein Mädchen und ein Hund! Drei gegen drei! Also kommt schon, ihr Schurken, und zeigt, aus welchem Holz ihr geschnitzt seid!"
Faith schwenkte den Ast und hoffte, dabei Furcht einflößend zu wirken. Der Feuerschein des brennenden Endes fiel auf die Züge ihres Beschützers, und zum ersten Mal konnte sie sein Gesicht sehen. Der Eindruck von Stärke drängte sich auf. Eine kühne Nase. Dunkles Haar, dicht und zerzaust, das einen Haarschnitt gebrauchen konnte. Hohe Wangenknochen. Ein energisches, unrasiertes Kinn mit dunklen Bartstoppeln. Seine Augen glänzten im Flammenlicht, fast, als freute er sich auf einen Kampf. Was natürlich absurd war.
Er hob erst eine Pistole an, dann die andere. Silberne Zwillingsläufe blinkten auf. Er schwenkte sie mit einer erfahrenen Gelassenheit, die sogar Faith auffiel. Die drei Männer im Dunkeln waren auf einmal ganz still.
"Nicht mehr ganz so mutig, was, ihr Helden?" Seine Miene wurde grimmig. "Dann verkriecht euch wieder in die Gosse, aus der ihr gekommen seid, oder ihr lernt englisches Metall kennen!"
Faith wartete, den Atem anhaltend, ab. Natürlich bluffte er nur. Auf die Entfernung und im Dunkeln konnte er unmöglich treffen. Wenn jemand eine offene Zielscheibe darbot, dann er, vor dem Hintergrund der lodernden Flammen.
Das Schweigen zog sich in die Länge. "Also gut, Monsieur, Sie haben gewonnen", rief schließlich einer. Schwere Schritte zermalmten das Gestrüpp und entfernten sich. Faith atmete erleichtert auf.
"Bewegen Sie sich nicht", flüsterte der hochgewachsene Mann an ihrer Seite. Er stand genauso angespannt da wie sein Hund, den Kopf konzentriert zur Seite geneigt.
Faith erstarrte.
"Werfen Sie den Ast weg und kauern Sie sich tief auf den Boden", befahl er ihr leise. "Ich will Sie aus der Schusslinie haben."
Sie schleuderte den Ast in den Sand und duckte sich ganz tief, während sie angestrengt in die Dunkelheit starrte. Der Engländer schloss die Augen und lauschte in die Nacht hinaus. Faith hörte nichts.
Umso heftiger schrak sie zusammen, als er plötzlich über ihren Kopf hinweg ins Dunkel feuerte. Ein Schmerzensschrei ertönte, gefolgt von wüsten Verwünschungen.
"Guter Schuss, aber kannst du auch an drei Fronten kämpfen?", höhnte einer der Männer.
"Es ist mir ein Vergnügen", erwiderte er und schoss in die Richtung, aus der die Stimme ertönt war. Ein neuerlicher Schwall von Flüchen.
"Zum Teufel, Engländer, wie kann man so genau zielen? Es ist stockfinster!"
"Der Teufel ist in der Tat auf meiner Seite, und ich kann im Dunkeln sehen", gab er ruhig zurück. Er warf eine der Pistolen auf die Decke und wandte sich an Faith. "Holen Sie mir auch einen brennenden Ast."
Sie beeilte sich, ihm zu gehorchen, und als sie ihm den Ast reichte, sah sie im Feuerschein eine bösartig wirkende Klinge aufblitzen. Die Franzosen waren also nicht die Einzigen, die Messer bei sich hatten. Er hob den Ast hoch und schwenkte ihn so mühelos über seinem Kopf, als wäre es nur ein Grashalm. Funken sprühten, aber er achtete nicht darauf. "Kommt her, ihr Feiglinge, zeigt euch!" Er tat einen Schritt nach vorn. Faith bückte sich nach ihrem eigenen Ast, um ihm zu folgen. "Sie bleiben hier", forderte er sie auf. "Sie würden mir nur im Weg sein."
Er ging weiter und schwenkte den Ast, schneller und immer schneller. Seine grimmige Entschlossenheit war faszinierend - ein mythischer Krieger, umgeben von Flammen und mit einem Hund an seiner Seite, der direkt der Hölle entsprungen zu sein schien.
Der Engländer sah über alle Maßen furchterregend aus. Und über alle Maßen prachtvoll.
Plötzlich schleuderte er den Ast auf eine schemenhafte Gestalt, und schon stürzten sich die beiden anderen auf ihn. Den einen wehrte er mit einem Tritt ab, den anderen mit einem Fausthieb ins Gesicht. Faith konnte kaum erkennen, was sich abspielte; da waren nur Schatten und schreckliche Geräusche - Fausthiebe, brechende Knochen und das Keuchen der kämpfenden Männer.
Es war unglaublich, aber ihr Engländer schien zu gewinnen. Dem größten der Männer verpasste er zwei furchtbare Schläge, hob ihn dann scheinbar mühelos auf und schleuderte ihn ins Gestrüpp. Der Rohling schrie auf, als er in einem Dornbusch landete.
Während ihr Beschützer mit dem anderen Mann kämpfte, schlich sich der dritte von hinten an ihn an. Ein Messer blinkte auf. Faith gab einen Warnschrei von sich. Der Engländer packte seinen Gegner, fuhr mit ihm zusammen herum und stieß ihn in das gezückte Messer des anderen Angreifers. Ein weiterer Aufschrei und neuerliche Flüche.
Und dann herrschte plötzlich Stille. "Dann behalte sie doch, Engländer", stöhnte einer der Männer. "Ich hoffe, sie steckt dich mit den Pocken an!" Die drei Angreifer verschwanden schwankend in der Dunkelheit.
Mann, Frau und Hund warteten, bis keinerlei Rückzugsgeräusche mehr zu vernehmen waren. Der Hund hörte auf zu knurren, seine gesträubten Nackenhaare legten sich, und schon bald waren nur noch das Knistern des Feuers und das entfernte Rauschen der Brandung zu hören.
"Sie sind fort", stellte der Mann knapp fest.
"S...sind Sie sicher?"
"Ja. Beowulf wäre nicht so entspannt, wenn noch irgendjemand in der Nähe wäre, nicht wahr, Wulf?" Der Hund sah erst zu ihm auf, dann zu Faith. Er knurrte leise und fletschte die beeindruckenden Zähne. Faith erschauerte. Das furchterregende Geschöpf war riesig, fast so groß wie ein kleines Pferd, und struppig. Beowulf? Er sah eher aus wie eines der legendären Ungeheuer, die der angelsächsische Held gleichen Namens bekämpft hatte.
"Keine Angst. Er mag Frauen nicht, aber er wird Ihnen nichts zuleide tun. Und? Ist alles in Ordnung mit Ihnen?"
"Ja, vielen Dank. Doch was ist mit Ihnen, sind Sie verletzt?"
"Ich? Natürlich nicht." Er sagte das, als wäre allein der Gedanke völlig absurd.
Als ihr klar wurde, dass sie in Sicherheit war, begann sie plötzlich wieder am ganzen Leib zu zittern. "D...danke, dass Sie mich g...gerettet haben." Vollkommen unzulängliche Worte angesichts dessen, was er für sie getan hatte.
"Nicholas Blacklock, zu Ihren Diensten." Er streckte die Hand aus, und Faith legte ihre in seine. Auch ihre Hand zitterte wie Espenlaub.
Als er es merkte, runzelte er die Stirn und drückte ihre Hand fester. "Es ist vorbei, Ihnen kann nichts mehr passieren." Bei ihm klang das fast wie ein Befehl.
"Ja." Sie biss sich auf die Unterlippe. "Ich weiß."
Er begutachtete ihr Gesicht, und seine Miene verfinsterte sich. "Kommen Sie mit ans Feuer, Ihr Gesicht muss behandelt werden. Können Sie laufen?"
"Ja, natürlich." Sie machte Anstalten, aufs Feuer zuzugehen, aber aus irgendeinem unerfindlichen Grund schienen ihre Beine sie nicht zu tragen. Ein Schreckenslaut entfuhr ihr, als sie stolperte und beinahe hingefallen wäre.
Er fluchte leise, und ehe Faith sich versah, hatte er sie auf die Arme gehoben und trug sie ans Feuer. Nick nahm ein Aufflackern in ihrem Blick war - Angst? Überraschung? Sie erstarrte in seinen Armen, als bereitete sie sich zur Flucht vor. Er umfasste sie fester. "Kleine Närrin!", grollte er. "Warum haben Sie mir nicht gesagt, dass Sie verletzt sind? Ihrem Gesicht kann ich das ansehen, aber nicht Ihren Beinen!"
Sie warf ihm einen unsicheren Blick zu, entspannte sich aber ein wenig. Sie ließ die Arme hängen, als wüsste sie nicht, was sie mit ihnen tun sollte. Doch dann legte sie einen Arm um seinen Nacken - und sah Nick dabei argwöhnisch an. Als er keinen Einwand erhob, wurde sie mutiger und hielt sich mit der anderen Hand krampfhaft an seiner Hemdbrust fest, aus Furcht, er könnte sie fallen lassen. Sie ist es nicht gewohnt, von einem Mann getragen zu werden, dachte er.
Und das überraschte ihn. Ihr grünes Kleid war tief genug ausgeschnitten, um zierliche, aber durch und durch weibliche Rundungen erkennen zu lassen. Es war aus Seide oder irgendeinem anderen edlen Stoff, auch wenn es fleckig und an einigen Stellen eingerissen war. Ihr Umhang hingegen war dick, kratzig und schwer; handgesponnene Wolle, vermutete er. Eine völlig unpassende Zusammenstellung.
Wie sie sich so an seine Brust schmiegte, konnte er nicht umhin, ihren Duft einzuatmen. Sein Körper reagierte genau wie beim ersten Mal, als sie ihn hintenüber in den Sand geworfen hatte. Erregt. Spontan und heftig. Unwillkürlich blähten sich seine Nasenflügel auf, als er ihren Duft einsog wie ein witterndes Tier.
Ein Glück, dass es so dunkel war; er hatte keine Macht über seinen Körper. Nick zwang sich, sich auf dieses Rätsel zu konzentrieren. Sie duftete frisch, weiblich. Nicht ein Hauch von Parfum, nur ihr ganz eigener Duft, der ihn so erregte. Sie sah aus wie ein zerlumptes Straßenmädchen, ihre Kleidung war schmutzig und zerrissen, und doch roch sie frischer als eine ganze Reihe von feinen Damen, die ihm in den Sinn kamen. Zu viele Leute, die er kannte, überschütteten sich mit Parfum, anstatt sich zu waschen. Dennoch war es diesem verwahrlosten kleinen Geschöpf gelungen, sich selbst in dieser Ausnahmesituation sauber zu halten.
Törichte Frau! Was zum Teufel hatte sie überhaupt in diesen französischen Dünen zu suchen? Ein missratenes Stelldichein? Das bezweifelte er. Trotz ihrer grotesken Kleidung kam sie ihm nicht wie ein Straßenmädchen vor. Aber was war sie dann?
Sie klang, als wäre sie von vornehmer Abstammung. Ihre Sprache war frei von jedwedem Dialekt, selbst in Augenblicken größten Entsetzens. Nicks Erfahrung nach fielen alle affektierten Angewohnheiten von den Menschen ab, sobald sie Todesangst verspürten. Also war ihre gewählte Ausdrucksweise etwas ganz Natürliches für sie.
Allerdings gingen wohlerzogene englische junge Damen nirgendwohin ohne Begleitung, und schon gar nicht trieben sie sich nach Anbruch der Nacht allein in französischen Dünen herum.
Mit dem Fuß schob er die Gitarre zur Seite, die er bei ihrem ersten Hilferuf fallengelassen hatte, und setzte die Unbekannte auf die Decke am Lagerfeuer. Eine Weile beobachtete er sie, während sie mit zitternden Händen versuchte, ihre Kleidung zu ordnen, ihr Haar nach hinten zu streichen und wieder einigermaßen Haltung anzunehmen. Sie war zierlich und sah ziemlich ramponiert aus. Ihre Nase schälte sich, ihre Haut war fleckig und voller Kratzer, und ihr ganzes Gesicht wirkte irgendwie schief. Durch eine erhebliche Schwellung, wie er bei genauerem Hinsehen feststellte. Ihr Haar war zu einem straffen Knoten zusammengefasst, aus dem sich ein paar Strähnen gelöst hatten.
Sie wog nicht viel. Sie ist auch nicht gerade eine Augenweide, dachte er, und wieder wunderte er sich über die Reaktion seines Körpers. Das einzig wirklich Schöne an ihr waren diese großen Augen mit den langen, dunklen Wimpern. Klar wie Quellwasser und jeden einzelnen ihrer Gedanken widerspiegelnd. Es waren Augen, in denen ein Mann sich verlieren konnte - wenn er das denn wollte. Nick hatte nicht vor, sich in den Augen irgendeiner Frau zu verlieren.
Und dann war da noch ihr Mund. Ihren Mund konnte er kaum ansehen. So weich, so verführerisch, so verletzlich ... Er hatte noch nie einen Mund gesehen, der mehr zum Küssen einlud. Aber auch das hatte er natürlich nicht vor.
"D...danke. Es tut mir leid, ich wollte nicht ..." Ihre Stimme brach, und Nick bereitete sich im Stillen auf einen hysterischen Anfall vor.
Sie überraschte ihn damit, dass sie tief durchatmete und sich zusammennahm. Mit bebender Stimme sagte sie: "Es tut mir sehr leid, dass ich Sie in meine Schwierigkeiten mit hineingezogen habe, aber ich wusste mir nicht anders zu helfen. Ich bin Ihnen so dankbar, dass Sie mir beigestanden haben. Sie waren so mutig und haben so viel aufs Spiel gesetzt für ..."
"Unsinn", unterbrach er sie schroff. "Ich bin ... war Soldat. Ich habe nichts gegen einen Kampf, und diese drei waren wohl kaum eine ernsthafte Bedrohung." Ihre Unterlippe zitterte. Nick fasste in seine Manteltasche und zog eine kleine Flasche heraus. "Hier, trinken Sie. Das wird Ihre Nerven beruhigen."
"Aber ich ..."
"Selbst abgehärtete Soldaten fangen manchmal nach einer Schlacht zu zittern an." Er drückte ihr die flache, silberne Flasche in die Hand. "Widersprechen Sie nicht, trinken Sie."
Sie warf ihm einen misstrauischen Blick zu.
Er verdrehte ungeduldig die Augen. "Ich habe nicht vor, Sie betrunken zu machen, Mädchen! Tun Sie einfach, was ich Ihnen gesagt habe, und trinken Sie einen Schluck oder zwei. Es wird Ihnen guttun. Es beruhigt die Nerven und wärmt Sie auf."
"Mir ist nicht kalt", widersprach sie, nahm die Flasche aber trotzdem an.
Er kauerte sich vor sie und griff nach ihrem Rocksaum.
"Aufhören! Was machen Sie da?", rief sie und versuchte, seine Hand wegzuschieben.
Er hielt ihre Hände fest und sah sie streng an. "Seien Sie nicht albern! Wie, zum Teufel, soll ich mir Ihren Knöchel ansehen, wenn ich den Rock nicht etwas anhebe?"
Sie bedachte ihn mit einem aufgebrachten Blick. "Warum wollen Sie sich meinen Knöchel ansehen?"
"Weil er verletzt ist natürlich!"
Sie sah zweifelnd auf ihren Knöchel. "Er schmerzt tatsächlich, ziemlich stark sogar", gab sie zu und klang dabei fast überrascht.
Er kam zu dem Schluss, dass sie wahrscheinlich zu große Angst gehabt hatte, um den Schmerz spüren zu können. Das war nicht ungewöhnlich. Die Leute bemerkten ihre Verletzungen erst, wenn der Kampf vorbei war. Er ließ ihre Hände los und griff nach der Flasche, die sie vor Schreck hatte fallen lassen. "Ich habe Ihnen doch gesagt, Sie sollen trinken! Das hilft auch gegen die Schmerzen."
Die Flasche war aus Silber, zerkratzt, zerbeult und noch warm, weil er sie an seinem Körper getragen hatte. Faith schraubte den Verschluss auf und führte das Glasgefäß an die Lippen. Flüssiges Feuer rann durch ihre Kehle, und sie fing prompt zu würgen und zu husten an, bis es sich in ihrem leeren Magen ausbreitete. "W...was war das?", keuchte sie, sobald sie wieder Luft bekam. "Das habe ich noch nie getr..."
"Brandy. Nicht gerade ein Getränk für eine Dame, aber Sie brauchten das nach dem Schock, den Sie erlitten haben."
Sie wischte sich über ihre tränenden Augen. "Sie meinen, Sie ersetzen einen Schock durch einen anderen." Ihre Stimme klang heiser vom Husten, aber Nick entging dennoch nicht ihr tapferer Versuch, einen Scherz zu machen.
"Sie werden das schon überstehen", erwiderte er sanft.
Die ruhigen, fast anerkennend klingenden Worte taten ihr gut. Irgendetwas war an der Art, wie er sprach - etwas Bezwingendes. Er hatte gesagt, er wäre Soldat gewesen. Ein Offizier, vermutete sie. Er strahlte sie aus, diese natürliche Gewohnheit, Befehle zu erteilen.
Jetzt, nachdem das erste Brennen des Brandys verflogen war, breitete sich eine wohlige Wärme in ihr aus. Sie konnte spüren, wie ihre Nerven sich beruhigten. "Ich danke Ihnen." Als sie ihm die Flasche zurückgab, sah sie seine aufgeschrammten Fingerknöchel, Folgen des vorangegangenen Kampfes. "Ihre Hände ...", begann sie.
Er zuckte die Achseln. "Das ist nichts." Er setzte die Flasche an die Lippen - genau dort, wo ihre eigenen Lippen die Flasche noch vor wenigen Augenblicken berührt hatten - und nahm einen kräftigen Schluck, ohne auch nur ein einziges Mal zu husten. "Wie heißen Sie?"
Faith zögerte.
"Ich habe Ihnen meinen Namen bereits genannt, Nicholas Blacklock", erinnerte er sie.
"Faith Merrid ... Merrit", korrigierte sie sich rasch. Es war nicht gut, ihren wirklichen Namen zu nennen. Schlimm genug, dass sie Schande über sich selbst gebracht hatte, aber den guten Ruf ihrer Schwestern wollte sie nicht auch noch schädigen.
"Sehr erfreut, Miss ... Merrit." Die bewusste Pause verriet ihr, dass er ihre Korrektur bemerkt hatte, aber er sagte nichts weiter dazu. "So, und nun lassen Sie mich Ihren Knöchel untersuchen."
Faith zuckte zusammen, als er seine sehnigen Hände unter ihren Rock schob und die zarte Haut ihrer Kniekehlen berührte. "Was ...?"
"Ich wollte Ihr Strumpfband lösen und Ihnen den Strumpf ausziehen."
Er sagte das ganz gelassen, obwohl er sofort gespürt haben musste, dass sie gar keine Strümpfe trug. Faith ließ den Kopf hängen. Keine anständige Frau würde ohne Strümpfe herumlaufen. "Meine Strümpfe waren voller Löcher. Ich habe sie benutzt, um die Stiefel auszupolstern."
"Ich verstehe." Er hob ihren Rock an und legte ihn über ihre Knie. Tödlich verlegen versuchte Faith, den Rock wieder hinunterzuziehen, doch Blacklock hielt sie mit einem einzigen Blick davon ab. Wie schaffte er das bloß?
Der Feuerschein fiel auf ihre Beine, und um Blacklocks Lippen trat ein angespannter Zug, als er anfing, ihr die Stiefel aufzubinden. Sie wusste sofort, was er dachte. Keine Dame würde so grobes Schuhwerk tragen. "Meine eigenen Schuhe waren viel zu dünn und leicht. Ich habe sie gegen die Stiefel eingetauscht", murmelte sie.
Er antwortete nicht. Behutsam legte er eine Hand unter ihre Wade und zog ihr vorsichtig erst den einen, dann den anderen Stiefel aus. Faith hörte, wie er geräuschvoll den Atem einsog. Langsam löste er die Strümpfe, die sie sich um die Füße gewickelt hatte, und hielt sofort inne, als sie zusammenzuckte.
Er richtete sich auf und sah sie aufgebracht an. "Wie um alles in der Welt sind Sie in diesen Zustand geraten?" Er sprach vollkommen ruhig, dennoch spürte sie den Zorn tief in seinem Innern.
Sie wandte den Blick ab. "Schlechte Menschenkenntnis."
"Wer kümmert sich um Sie?"
"Niemand."
Er brummte etwas Unverständliches vor sich hin, zog seine eigenen Stiefel aus und legte seinen Mantel ab. Als sie sich gerade nervös fragte, was er wohl als Nächstes ausziehen würde, bückte er sich und hob sie wieder auf seine Arme.
"Was ...?" Sie klammerte sich an ihn.
"Ich bringe Sie hinunter zum Meer." Er klang wütend. "Das Salzwasser wird höllisch brennen, aber es wird ihre Füße und Beine besser säubern als alles andere."
"Ich weiß, dass sie schmutzig sind, aber das ist kein Grund, so verärgert zu sein. Ich habe Sie schließlich nicht darum gebeten, mir die Schuhe auszuziehen."
"Schmutzig! Nur wenn man Ihre Füße in Wasser einweicht, bekommt man diese verdammten Lumpen ab. Sie kleben an Ihrer Haut fest vor lauter Blut!"
"Ach."
"Und Ihre Beine sind übersät von Kratzern und Schnitten."
"Ich habe beim Laufen meinen Rock gerafft. Der Stoff blieb ständig an den Dornen hängen. So ist es wahrscheinlich passiert."
"Aber ja!", stieß er empört hervor. "Gott bewahre, dass ein schäbiger alter Rock an ein paar Dornen hängen bleibt! Da ist es doch viel vernünftiger, sich die Haut in Fetzen reißen zu lassen!"
"Das war nicht der Grund", antwortete sie, mit aller Würde, die sie aufzubringen vermochte. "Mein Rock behinderte mich, ich konnte nicht schnell genug rennen."
Er schnaubte. "Und was ist mit den Stiefeln? Ihre Füße sind voller Blasen!"
"Ich hatte einen langen Weg vor mir", begann sie, verstummte dann aber. Das ging ihn nichts an. Er hatte keinen Grund, böse auf sie zu sein. Das waren ihre Füße, ihre Beine und ihre Stiefel. Wenn ihm ihr Zustand nicht gefiel, sollte er ihn einfach ignorieren. Sie musste niemandem Rechenschaft ablegen. Niemandem außer ihrer Familie.
Er legte den Rest des Weges zum Meer schweigend zurück. Am Wasser angekommen, blieb er jedoch nicht stehen, sondern watete hinein, bis es ihm bis zu den Knien reichte. "Machen Sie sich auf etwas gefasst. Es wird schrecklich wehtun." Seine Stimme klang zornig und sanft zugleich.
Faith schnappte nach Luft, als ihre Haut an den Beinen und Füßen, die mit Hunderten von Kratzern, Schnittwunden und Blasen übersät war, mit dem Salzwasser in Berührung kam. Am liebsten hätte sie geschrien, doch sie biss die Zähne zusammen und zwang sich, den Schmerz zu ertragen.
Alle Merridew-Mädchen konnten Schmerzen ertragen, ohne zu weinen. Ein Vermächtnis von Großvater und seiner Erziehung.
Ohne ein Wort zu sagen, stand Blacklock neben ihr. Erst nach einer geraumen Weile fiel ihr auf, dass er sie stützte und dass sie sich mit aller Kraft an ihm festklammerte. Allmählich ließen die schlimmsten Schmerzen nach. Sie schlug die Augen auf und sah, dass er sie mit grimmiger Miene betrachtete.
"Besser?"
Sie brachte noch immer kein Wort heraus und nickte nur.
"Braves Mädchen. Ich trage Sie jetzt zu dem Felsen dort drüben und werde versuchen, diese Lumpen von Ihren Füßen zu lösen." Er setzte sie behutsam auf den flachen Gesteinsbrocken. "Lassen Sie die Knöchel im Wasser. Ich weiß, es ist kalt, aber dadurch geht die Schwellung zurück."
Er hob den ersten Fuß aus dem Meer und entfernte den zerrissenen Strumpf mit einem für so kräftige Hände erstaunlichen Zartgefühl, danach wiederholte er dies bei ihrem zweiten Bein. Faith beobachtete sein Tun. Ihre Füße waren tatsächlich in einem schrecklichen Zustand, überall waren Blasen aufgegangen und bluteten. Kein Wunder, dass das Salz so gebrannt hatte. Vorher war ihr gar nicht bewusst gewesen, dass sie dermaßen wund waren.
Endlich war er mit seiner Arbeit fertig und richtete sich auf. "Lassen Sie die Füße im Wasser, solange Sie es aushalten. Aufwärmen können Sie sich später am Feuer. Ich weiß, dass es wehtut, aber Meerwasser heilt." Er betrachtete sie eine Weile stumm. "Ich bin gleich wieder bei Ihnen. Bleiben Sie hier." Er machte sich auf den Rückweg zum Strand, und Faith blieb zusammengesunken auf ihrem Felsen sitzen wie eine kleine Meerjungfrau, die sich schmutzig fühlte.
Copyright © 2006 by Anne Gracie.
Stimmen. Da waren Stimmen in der Dunkelheit, irgendwo in den Dünen. Männerstimmen.
Faith Merridew setzte sich auf. Ein Licht tanzte oberhalb von ihr über den Sand.
Es bewegte sich langsam und stockend auf ihr Versteck zu.
"Où es-tu, ma jolie poulette? Wo bist du, mein hübsches Schätzchen?" Der Mann, wer immer er auch sein mochte, klang betrunken.
Sie hörte, wie eine andere Person im Dunkeln stolperte und in einen der niedrigen Sträucher stürzte, die auf den Dünen wuchsen. Er fluchte. "Bist du sicher, dass sie dort ist?", fragte er auf Französisch.
"Oui. Ich habe sie hineingehen und nicht wieder herauskommen sehen. Sie wartet in ihrem gemütlichen Nest auf uns." Der Sprecher lachte heiser auf, zwei andere Männer stimmten in sein Gelächter ein. Drei Männer also, wenn nicht noch mehr.
Faith wollte nicht abwarten, bis sie darüber Gewissheit hatte. Sie packte ihren handgewebten Wollumhang und ihr Retikül, duckte sich und fing an zu laufen, so schnell sie konnte.
Hinter ihr lag die Stadt und vor ihr - wer wusste das schon? Sie hatte jedoch nicht vor, in die Stadt zurückzukehren, schon gar nicht bei Nacht. Die Stadt bot ihr auch keine Zuflucht, das hatte sie auf unangenehme Weise bereits zu spüren bekommen. Die Stadt war voll von Männern wie diesen hier. Männer, die sie überhaupt erst dazu gebracht hatten, sich in den Dünen zu verstecken.
Es gab keine Alternative. Sie lief auf den Strand zu.
"Là-bas! Da unten!" Sie hatten sie entdeckt und nahmen die Verfolgung auf.
Es gab keinen Grund mehr, sich möglichst lautlos zu verhalten. Sie fing an zu rennen, quer durch die struppigen Büsche und das Dünengras. Ihr Rock blieb an kleinen Ästen und spitzen Dornen hängen. Faith zerrte ihn frei, raffte ihn hoch und rannte weiter. Die Dornen zerkratzten ihre Beine, doch sie merkte es nicht. Hinter ihr trampelten die Männer durch das Gestrüpp, der Abstand zwischen ihnen und Faith verringerte sich.
In diesem Moment stolperte sie über eine Wurzel und stürzte. Ein greller Schmerz durchzuckte ihr Gesicht. Einen Moment lang versuchte sie vergeblich Atem zu holen, doch dann strömte die Luft wieder in ihre Lungen, und Faith richtete sich mühsam auf. Sie lauschte in die Richtung, wo sie ihre Verfolger vermutete, und in dem Moment hörte sie etwas anderes. Musik. Leise, aber ganz in der Nähe.
Wo Musik war, waren auch Menschen. Menschen, die ihr vielleicht helfen würden. Oder auch nicht. Vielleicht waren sie ja wie die Männer in der Stadt oder wie die, die sie jetzt verfolgten.
Ihr blieb keine andere Wahl. Sie konnte sich nicht einfach wie ein Hase von der Meute jagen lassen. Sie musste es riskieren. Sie würde weiterrennen, geradewegs auf die Musik zu, und beten, dass sie dort Rettung fand.
In der Musik hatte sie schon einmal Zuflucht gesucht. Und letztlich war sie ihr Untergang gewesen.
Um noch schneller laufen zu können, rannte sie jetzt über den offenen Strand auf das Meer zu, dorthin, wo der Sand am festesten war. Bei jedem Schritt schmerzte ihr Knöchel unerträglich. Sie hörte Schreie hinter sich, als ihre Verfolger sie entdeckten. Faith rannte, rannte um ihr Leben, immer weiter in die Richtung, aus der die Musik ertönte.
Ihre schweren Stiefel behinderten sie. Im dornigen Gestrüpp hatten sie ihre Füße geschützt - ihre eigenen dünnen Schuhe hätten das nie vermocht -, aber jetzt sog der Sand förmlich an ihnen. Faith hatte keine Zeit, stehen zu bleiben und die Stiefel auszuziehen. Ihr Atem ging keuchend, sie verspürte Stiche in der Seite, aber sie achtete nicht darauf.
Sie umrundete eine kleine Landzunge. Ein Feuer flackerte am Fuß der Dünen. Schwer atmend rannte sie darauf zu. Ein Lagerfeuer mit einem Kessel darüber. Fischer?
Eine einsame Gestalt saß am Feuer und spielte leise auf der Gitarre - eine spanisch anmutende Weise, die in die Nacht hinausströmte wie perlendes Wasser oder Wein. Ein Mann. Ein Zigeuner? Ein riesiger Hund erhob sich aus dem Schatten. Faith erstarrte. In der vergangenen Woche waren bereits zweimal Hunde auf sie gehetzt worden. Dieser hier war so groß, dass er ihr sicher mühelos die Kehle durchbeißen konnte.
"Là-bas!" Ihre Verfolger stürmten um die Landzunge herum. Nichts, nicht einmal ein Höllenhund, konnte schlimmer sein als das, was diese Männer vorhatten. Das schiere Entsetzen trieb sie weiter voran.
"Aidez-moi!", keuchte sie, als sie auf den Mann zustolperte. "Aidez-moi, je vous implore! Helfen Sie mir, ich flehe Sie an!"
Die Musik verstummte. Aus dem leisen Knurren des Hundes wurde wütendes Gebell.
"Aus, Wulf!" Das tiefe Bellen hörte augenblicklich auf, obwohl der Hund weiter knurrte.
"Aidez-moi!", wiederholte sie mit letzter Kraft, kaum lauter als ein Flüstern.
Doch der Mann hatte sie gehört. Er streckte die Hand nach ihr aus. Ein Rettungsanker! "Viens ici, petite", war alles, was er sagte. "Komm her, Kleine."
Seine Stimme klang tief, ruhig und sicher, und sie schien irgendetwas tief in Faiths Innern anzusprechen. Und so, trotz der Tatsache, dass sie sein Gesicht nicht sehen konnte, trotz des knurrenden Ungeheuers an seiner Seite, nahm sie ihre letzte Kraft zusammen und schwankte auf ihn zu. Er war so groß und stark, und sie fand, dass seine Stimme fest und zuversichtlich klang. Er konnte kaum grausamer sein als die, die hinter ihr her waren, und außerdem war sie mit ihren Kräften am Ende.
Wieder verfing sich ihre Stiefelspitze im Gestrüpp. Sie knickte mit ihrem verletzten Knöchel um und prallte gegen den Mann. Er hielt sie zwar fest an seine Brust gedrückt, aber durch die Wucht des Aufpralls verlor er das Gleichgewicht und fiel rücklings in den Sand.
Einen Moment lang lag sie erschöpft und nach Luft ringend auf seiner breiten, festen Brust. Der Mann rührte sich nicht, als hätte ihm der Sturz ebenfalls den Atem verschlagen. Er hatte die Arme um sie geschlungen, und sie spürte seine harten, kräftigen Muskeln. Er roch frisch und sauber, nach Salz, Rauch und Seife.
Während Faith sich mühsam aufrichtete, suchte sie nach den richtigen französischen Worten, um ihm alles erklären und ihn um Hilfe bitten zu können. Aber nicht ein einziges Wort wollte ihr einfallen. Sie kniete sich neben ihn in den Sand und versuchte angestrengt, sich zu konzentrieren.
Seine Gesichtszüge lagen im Schatten. "Mademoiselle?", fragte er beinahe schroff.
Sie öffnete hilflos den Mund - und schloss ihn wieder. "Es tut mir leid, es tut mir so leid", flüsterte sie auf Englisch. "Mir fallen die Worte einfach nicht ein. O Gott!"
"Sie sind Engländerin!", entfuhr es ihm, und er stand abrupt auf. Er kam ihr unglaublich groß vor.
Faith nickte. "Ja. Ja, das bin ich. Und Sie ...?" Seine Worte durchdrangen endlich den Nebel in ihrem Gehirn. Er war ebenfalls Engländer. "Gott sei Dank. Gott sei Dank!", hauchte sie, obwohl ihr schleierhaft war, warum sie sich bei ihm sicherer fühlen sollte, nur weil er sauber und noch dazu Engländer war. Und doch war es irgendwie so.
Der Hund fing erneut wütend zu bellen an, und Faith riss sich zusammen. "Diese Männer werden jeden Moment hier sein ..."
Er wandte den Blick nicht von ihr ab, bückte sich und streckte die Hand nach ihr aus. "Können Sie aufstehen?"
Ganz am Rande nahm sie wahr, dass er ohne jeglichen Akzent sprach, genau wie ein Gentleman. Sie nickte, obwohl sie am ganzen Leib zitterte, und er half ihr mit festem Griff, auf die Beine zu kommen. Ängstlich starrte sie in die Dunkelheit. Der Hund knurrte und fletschte die Zähne. Er spürte eindeutig ihre Verfolger, obwohl die sehr leise geworden waren.
"Genug, Wulf!" Der Hund gehorchte, und Stille breitete sich aus.
Vor dem schimmernden Hintergrund des Meeres zeichneten sich undeutlich drei Gestalten ab.
"Sie sind hinter mir her."
"Das habe ich bereits vermutet. Aber warum? Haben Sie ihnen etwas gestohlen?"
"Nein!", widersprach sie empört. "Sie wollen ... Sie glauben ... Sie denken, ich wäre ..."
Er betrachtete sie mit einem kühlen, abschätzenden Blick. "Ich verstehe", erwiderte er knapp.
Er dachte das Gleiche wie die Männer, das hörte sie seinem Tonfall an. Sie senkte den Kopf, zu gedemütigt, um sprechen zu können.
"Setzen Sie sich dorthin, ans Feuer. Ich kümmere mich um sie."
"Aber es sind drei Männer! Vielleicht sogar noch mehr!"
Er lächelte beinahe grausam und entblößte dabei schimmernde Zähne. "Gut."
Gut? Faith wünschte, sie hätte seine Gesichtszüge deutlicher sehen können. Was meinte er bloß damit - gut?
Aus der Dunkelheit ertönte eine raue Männerstimme auf Französisch. "He, Sie da! Die Frau gehört uns."
"Oui, geben Sie sie uns zurück, dann machen wir auch keine Schwierigkeiten", fügte ein anderer hinzu.
Der große Mann antwortete ebenfalls auf Französisch. "Die Frau gehört mir." Der Hund knurrte, als wollte er diese Worte noch unterstreichen.
Die Frau gehört mir. Das unerbittliche Feststellen einer Tatsache. Faith erschauerte. Musste sie jetzt vor vier Männern fliehen, anstatt vor drei? Sie sah zu ihm auf, eine große, gesichtslose Silhouette vor dem Feuer. Ihr Zorn regte sich. Sie gehörte keinem Mann. Seit sie Felix verlassen hatte, dachten alle möglichen Männer anscheinend, sie könnten sich einfach bedienen. War das wirklich erst zehn Tage her? Ihr erschien es eher wie ein nicht enden wollender Albtraum, der von Mal zu Mal schlimmer wurde.
Der erste Mann fluchte. "Das Flittchen gehört uns, wir haben es zuerst gefunden." Er spuckte aus. "Sie können die Frau haben, wenn wir mit ihr fertig sind."
Sie hatten vor, sie sich zu teilen? Großer Gott! Faith fing wieder an zu zittern. Sie sah sich nach einer Waffe um, einem Messer vielleicht oder einem dicken Stock, aber sie konnte nichts Nützliches entdecken. Die dicksten Äste waren ins Feuer geworfen worden. Sie würde fliehen müssen. Wieder einmal. Ihr Seitenstechen hatte aufgehört und ihr Atem ging - fast - wieder regelmäßig. Das Gesicht tat ihr weh und der Knöchel schmerzte, aber alles in allem war sie besser imstande zu rennen als noch vor kurzer Zeit. Sie beugte sich unauffällig nach vorn und begann, ihre schweren Stiefel aufzuschnüren. Im Sand würde sie barfuß schneller sein.
Der Hüne bückte sich und packte ihr Handgelenk. "Lassen Sie das", forderte er sie sanft auf und zog sie wieder zu sich hoch. "Sie werden nicht weglaufen müssen. Sie haben mein Wort, dass Sie in Sicherheit sind." Lauter und mit einem drohenden Unterton rief er den Männern zu: "Dieses Mädchen gehört zu mir, und ich werde es mit niemandem teilen. Es bleibt bei mir." Er wandte sich leise an Faith. "Sehen Sie die Satteltaschen dort drüben auf der Decke neben der Gitarre? In ihnen befinden sich zwei Pistolen. Holen Sie sie mir, seien Sie ein braves Mädchen. Ich will diese Schurken nicht aus den Augen lassen."
Seien Sie ein braves Mädchen? Das klang nicht gerade so, als wollte er ihr Gewalt antun.
"Wir haben sie zuerst entdeckt!", rief einer der Männer wütend.
"Sie wollen sie haben? Dann kommen Sie und holen sie sich. Aber vorher werden Sie mich umbringen müssen." Zu Faiths Erstaunen lächelte er erneut. Doch an diesem Lächeln war nichts Freundliches oder Belustigtes. Es war eher wie eine zähnefletschende Vorfreude auf einen Kampf.
Hämisches Gelächter ertönte. "Pah, wir sind drei gegen einen, Engländer! Wir werden Sie an die Fische verfüttern!"
Wieder lächelte Faiths Engländer dieses schreckliche Lächeln, als wollte er sagen: Wir werden ja sehen.
Faith fand die Pistolen, eilte zu ihm zurück und drückte sie ihm in die Hände. Die Männer im Schatten murmelten etwas, als diskutierten sie miteinander. Oder schmiedeten einen Plan.
Er prüfte die Pistolen ohne Eile. Faith starrte ihn an und bewunderte seine Ruhe. Einer gegen drei! Er war groß und breitschultrig, aber nicht so stämmig wie die drei anderen. Wahrscheinlich waren sie die Sorte von Rohlingen, die bis an die Zähne mit Messern bewaffnet waren, und obwohl der Engländer zwei Pistolen hatte, konnte er damit bestenfalls auch nur zwei der Angreifer unschädlich machen. Diese schrecklich ungleich verteilten Chancen schienen ihn nicht im Geringsten zu beunruhigen.
Plötzlich empfand sie so etwas wie Selbstverachtung. Dieser Mann, ein Fremder, dessen Namen sie nicht einmal kannte, setzte für sie sein Leben aufs Spiel. Sie sollte sich nicht hinter ihm verschanzen und es ihm und seinem Hund überlassen, sie vor den Angreifern zu beschützen. In der letzten Woche hatte sie den Vorsatz gefasst, endlich zu lernen, auf sich selbst aufzupassen und nicht mehr von anderen abhängig zu sein - um nichts auf der Welt! Jetzt war der Zeitpunkt gekommen, ihren Vorsatz zu beherzigen.
Sie lief zum Feuer, wählte einen dicken, langen Ast aus, der an einem Ende noch brannte, und zog ihn aus den Flammen. Sie bemühte sich, ihr Zittern unter Kontrolle zu bringen und trat neben ihren unbekannten Helden.
"Ich werde ebenfalls kämpfen", rief sie und schüttelte den brennenden Ast in die Richtung der nur schemenhaft zu erkennenden Franzosen.
Ihr Beschützer lachte schallend auf, dieses Mal mit echter Belustigung. "Recht so!" Er hob die Stimme. "Ein Mann, ein Mädchen und ein Hund! Drei gegen drei! Also kommt schon, ihr Schurken, und zeigt, aus welchem Holz ihr geschnitzt seid!"
Faith schwenkte den Ast und hoffte, dabei Furcht einflößend zu wirken. Der Feuerschein des brennenden Endes fiel auf die Züge ihres Beschützers, und zum ersten Mal konnte sie sein Gesicht sehen. Der Eindruck von Stärke drängte sich auf. Eine kühne Nase. Dunkles Haar, dicht und zerzaust, das einen Haarschnitt gebrauchen konnte. Hohe Wangenknochen. Ein energisches, unrasiertes Kinn mit dunklen Bartstoppeln. Seine Augen glänzten im Flammenlicht, fast, als freute er sich auf einen Kampf. Was natürlich absurd war.
Er hob erst eine Pistole an, dann die andere. Silberne Zwillingsläufe blinkten auf. Er schwenkte sie mit einer erfahrenen Gelassenheit, die sogar Faith auffiel. Die drei Männer im Dunkeln waren auf einmal ganz still.
"Nicht mehr ganz so mutig, was, ihr Helden?" Seine Miene wurde grimmig. "Dann verkriecht euch wieder in die Gosse, aus der ihr gekommen seid, oder ihr lernt englisches Metall kennen!"
Faith wartete, den Atem anhaltend, ab. Natürlich bluffte er nur. Auf die Entfernung und im Dunkeln konnte er unmöglich treffen. Wenn jemand eine offene Zielscheibe darbot, dann er, vor dem Hintergrund der lodernden Flammen.
Das Schweigen zog sich in die Länge. "Also gut, Monsieur, Sie haben gewonnen", rief schließlich einer. Schwere Schritte zermalmten das Gestrüpp und entfernten sich. Faith atmete erleichtert auf.
"Bewegen Sie sich nicht", flüsterte der hochgewachsene Mann an ihrer Seite. Er stand genauso angespannt da wie sein Hund, den Kopf konzentriert zur Seite geneigt.
Faith erstarrte.
"Werfen Sie den Ast weg und kauern Sie sich tief auf den Boden", befahl er ihr leise. "Ich will Sie aus der Schusslinie haben."
Sie schleuderte den Ast in den Sand und duckte sich ganz tief, während sie angestrengt in die Dunkelheit starrte. Der Engländer schloss die Augen und lauschte in die Nacht hinaus. Faith hörte nichts.
Umso heftiger schrak sie zusammen, als er plötzlich über ihren Kopf hinweg ins Dunkel feuerte. Ein Schmerzensschrei ertönte, gefolgt von wüsten Verwünschungen.
"Guter Schuss, aber kannst du auch an drei Fronten kämpfen?", höhnte einer der Männer.
"Es ist mir ein Vergnügen", erwiderte er und schoss in die Richtung, aus der die Stimme ertönt war. Ein neuerlicher Schwall von Flüchen.
"Zum Teufel, Engländer, wie kann man so genau zielen? Es ist stockfinster!"
"Der Teufel ist in der Tat auf meiner Seite, und ich kann im Dunkeln sehen", gab er ruhig zurück. Er warf eine der Pistolen auf die Decke und wandte sich an Faith. "Holen Sie mir auch einen brennenden Ast."
Sie beeilte sich, ihm zu gehorchen, und als sie ihm den Ast reichte, sah sie im Feuerschein eine bösartig wirkende Klinge aufblitzen. Die Franzosen waren also nicht die Einzigen, die Messer bei sich hatten. Er hob den Ast hoch und schwenkte ihn so mühelos über seinem Kopf, als wäre es nur ein Grashalm. Funken sprühten, aber er achtete nicht darauf. "Kommt her, ihr Feiglinge, zeigt euch!" Er tat einen Schritt nach vorn. Faith bückte sich nach ihrem eigenen Ast, um ihm zu folgen. "Sie bleiben hier", forderte er sie auf. "Sie würden mir nur im Weg sein."
Er ging weiter und schwenkte den Ast, schneller und immer schneller. Seine grimmige Entschlossenheit war faszinierend - ein mythischer Krieger, umgeben von Flammen und mit einem Hund an seiner Seite, der direkt der Hölle entsprungen zu sein schien.
Der Engländer sah über alle Maßen furchterregend aus. Und über alle Maßen prachtvoll.
Plötzlich schleuderte er den Ast auf eine schemenhafte Gestalt, und schon stürzten sich die beiden anderen auf ihn. Den einen wehrte er mit einem Tritt ab, den anderen mit einem Fausthieb ins Gesicht. Faith konnte kaum erkennen, was sich abspielte; da waren nur Schatten und schreckliche Geräusche - Fausthiebe, brechende Knochen und das Keuchen der kämpfenden Männer.
Es war unglaublich, aber ihr Engländer schien zu gewinnen. Dem größten der Männer verpasste er zwei furchtbare Schläge, hob ihn dann scheinbar mühelos auf und schleuderte ihn ins Gestrüpp. Der Rohling schrie auf, als er in einem Dornbusch landete.
Während ihr Beschützer mit dem anderen Mann kämpfte, schlich sich der dritte von hinten an ihn an. Ein Messer blinkte auf. Faith gab einen Warnschrei von sich. Der Engländer packte seinen Gegner, fuhr mit ihm zusammen herum und stieß ihn in das gezückte Messer des anderen Angreifers. Ein weiterer Aufschrei und neuerliche Flüche.
Und dann herrschte plötzlich Stille. "Dann behalte sie doch, Engländer", stöhnte einer der Männer. "Ich hoffe, sie steckt dich mit den Pocken an!" Die drei Angreifer verschwanden schwankend in der Dunkelheit.
Mann, Frau und Hund warteten, bis keinerlei Rückzugsgeräusche mehr zu vernehmen waren. Der Hund hörte auf zu knurren, seine gesträubten Nackenhaare legten sich, und schon bald waren nur noch das Knistern des Feuers und das entfernte Rauschen der Brandung zu hören.
"Sie sind fort", stellte der Mann knapp fest.
"S...sind Sie sicher?"
"Ja. Beowulf wäre nicht so entspannt, wenn noch irgendjemand in der Nähe wäre, nicht wahr, Wulf?" Der Hund sah erst zu ihm auf, dann zu Faith. Er knurrte leise und fletschte die beeindruckenden Zähne. Faith erschauerte. Das furchterregende Geschöpf war riesig, fast so groß wie ein kleines Pferd, und struppig. Beowulf? Er sah eher aus wie eines der legendären Ungeheuer, die der angelsächsische Held gleichen Namens bekämpft hatte.
"Keine Angst. Er mag Frauen nicht, aber er wird Ihnen nichts zuleide tun. Und? Ist alles in Ordnung mit Ihnen?"
"Ja, vielen Dank. Doch was ist mit Ihnen, sind Sie verletzt?"
"Ich? Natürlich nicht." Er sagte das, als wäre allein der Gedanke völlig absurd.
Als ihr klar wurde, dass sie in Sicherheit war, begann sie plötzlich wieder am ganzen Leib zu zittern. "D...danke, dass Sie mich g...gerettet haben." Vollkommen unzulängliche Worte angesichts dessen, was er für sie getan hatte.
"Nicholas Blacklock, zu Ihren Diensten." Er streckte die Hand aus, und Faith legte ihre in seine. Auch ihre Hand zitterte wie Espenlaub.
Als er es merkte, runzelte er die Stirn und drückte ihre Hand fester. "Es ist vorbei, Ihnen kann nichts mehr passieren." Bei ihm klang das fast wie ein Befehl.
"Ja." Sie biss sich auf die Unterlippe. "Ich weiß."
Er begutachtete ihr Gesicht, und seine Miene verfinsterte sich. "Kommen Sie mit ans Feuer, Ihr Gesicht muss behandelt werden. Können Sie laufen?"
"Ja, natürlich." Sie machte Anstalten, aufs Feuer zuzugehen, aber aus irgendeinem unerfindlichen Grund schienen ihre Beine sie nicht zu tragen. Ein Schreckenslaut entfuhr ihr, als sie stolperte und beinahe hingefallen wäre.
Er fluchte leise, und ehe Faith sich versah, hatte er sie auf die Arme gehoben und trug sie ans Feuer. Nick nahm ein Aufflackern in ihrem Blick war - Angst? Überraschung? Sie erstarrte in seinen Armen, als bereitete sie sich zur Flucht vor. Er umfasste sie fester. "Kleine Närrin!", grollte er. "Warum haben Sie mir nicht gesagt, dass Sie verletzt sind? Ihrem Gesicht kann ich das ansehen, aber nicht Ihren Beinen!"
Sie warf ihm einen unsicheren Blick zu, entspannte sich aber ein wenig. Sie ließ die Arme hängen, als wüsste sie nicht, was sie mit ihnen tun sollte. Doch dann legte sie einen Arm um seinen Nacken - und sah Nick dabei argwöhnisch an. Als er keinen Einwand erhob, wurde sie mutiger und hielt sich mit der anderen Hand krampfhaft an seiner Hemdbrust fest, aus Furcht, er könnte sie fallen lassen. Sie ist es nicht gewohnt, von einem Mann getragen zu werden, dachte er.
Und das überraschte ihn. Ihr grünes Kleid war tief genug ausgeschnitten, um zierliche, aber durch und durch weibliche Rundungen erkennen zu lassen. Es war aus Seide oder irgendeinem anderen edlen Stoff, auch wenn es fleckig und an einigen Stellen eingerissen war. Ihr Umhang hingegen war dick, kratzig und schwer; handgesponnene Wolle, vermutete er. Eine völlig unpassende Zusammenstellung.
Wie sie sich so an seine Brust schmiegte, konnte er nicht umhin, ihren Duft einzuatmen. Sein Körper reagierte genau wie beim ersten Mal, als sie ihn hintenüber in den Sand geworfen hatte. Erregt. Spontan und heftig. Unwillkürlich blähten sich seine Nasenflügel auf, als er ihren Duft einsog wie ein witterndes Tier.
Ein Glück, dass es so dunkel war; er hatte keine Macht über seinen Körper. Nick zwang sich, sich auf dieses Rätsel zu konzentrieren. Sie duftete frisch, weiblich. Nicht ein Hauch von Parfum, nur ihr ganz eigener Duft, der ihn so erregte. Sie sah aus wie ein zerlumptes Straßenmädchen, ihre Kleidung war schmutzig und zerrissen, und doch roch sie frischer als eine ganze Reihe von feinen Damen, die ihm in den Sinn kamen. Zu viele Leute, die er kannte, überschütteten sich mit Parfum, anstatt sich zu waschen. Dennoch war es diesem verwahrlosten kleinen Geschöpf gelungen, sich selbst in dieser Ausnahmesituation sauber zu halten.
Törichte Frau! Was zum Teufel hatte sie überhaupt in diesen französischen Dünen zu suchen? Ein missratenes Stelldichein? Das bezweifelte er. Trotz ihrer grotesken Kleidung kam sie ihm nicht wie ein Straßenmädchen vor. Aber was war sie dann?
Sie klang, als wäre sie von vornehmer Abstammung. Ihre Sprache war frei von jedwedem Dialekt, selbst in Augenblicken größten Entsetzens. Nicks Erfahrung nach fielen alle affektierten Angewohnheiten von den Menschen ab, sobald sie Todesangst verspürten. Also war ihre gewählte Ausdrucksweise etwas ganz Natürliches für sie.
Allerdings gingen wohlerzogene englische junge Damen nirgendwohin ohne Begleitung, und schon gar nicht trieben sie sich nach Anbruch der Nacht allein in französischen Dünen herum.
Mit dem Fuß schob er die Gitarre zur Seite, die er bei ihrem ersten Hilferuf fallengelassen hatte, und setzte die Unbekannte auf die Decke am Lagerfeuer. Eine Weile beobachtete er sie, während sie mit zitternden Händen versuchte, ihre Kleidung zu ordnen, ihr Haar nach hinten zu streichen und wieder einigermaßen Haltung anzunehmen. Sie war zierlich und sah ziemlich ramponiert aus. Ihre Nase schälte sich, ihre Haut war fleckig und voller Kratzer, und ihr ganzes Gesicht wirkte irgendwie schief. Durch eine erhebliche Schwellung, wie er bei genauerem Hinsehen feststellte. Ihr Haar war zu einem straffen Knoten zusammengefasst, aus dem sich ein paar Strähnen gelöst hatten.
Sie wog nicht viel. Sie ist auch nicht gerade eine Augenweide, dachte er, und wieder wunderte er sich über die Reaktion seines Körpers. Das einzig wirklich Schöne an ihr waren diese großen Augen mit den langen, dunklen Wimpern. Klar wie Quellwasser und jeden einzelnen ihrer Gedanken widerspiegelnd. Es waren Augen, in denen ein Mann sich verlieren konnte - wenn er das denn wollte. Nick hatte nicht vor, sich in den Augen irgendeiner Frau zu verlieren.
Und dann war da noch ihr Mund. Ihren Mund konnte er kaum ansehen. So weich, so verführerisch, so verletzlich ... Er hatte noch nie einen Mund gesehen, der mehr zum Küssen einlud. Aber auch das hatte er natürlich nicht vor.
"D...danke. Es tut mir leid, ich wollte nicht ..." Ihre Stimme brach, und Nick bereitete sich im Stillen auf einen hysterischen Anfall vor.
Sie überraschte ihn damit, dass sie tief durchatmete und sich zusammennahm. Mit bebender Stimme sagte sie: "Es tut mir sehr leid, dass ich Sie in meine Schwierigkeiten mit hineingezogen habe, aber ich wusste mir nicht anders zu helfen. Ich bin Ihnen so dankbar, dass Sie mir beigestanden haben. Sie waren so mutig und haben so viel aufs Spiel gesetzt für ..."
"Unsinn", unterbrach er sie schroff. "Ich bin ... war Soldat. Ich habe nichts gegen einen Kampf, und diese drei waren wohl kaum eine ernsthafte Bedrohung." Ihre Unterlippe zitterte. Nick fasste in seine Manteltasche und zog eine kleine Flasche heraus. "Hier, trinken Sie. Das wird Ihre Nerven beruhigen."
"Aber ich ..."
"Selbst abgehärtete Soldaten fangen manchmal nach einer Schlacht zu zittern an." Er drückte ihr die flache, silberne Flasche in die Hand. "Widersprechen Sie nicht, trinken Sie."
Sie warf ihm einen misstrauischen Blick zu.
Er verdrehte ungeduldig die Augen. "Ich habe nicht vor, Sie betrunken zu machen, Mädchen! Tun Sie einfach, was ich Ihnen gesagt habe, und trinken Sie einen Schluck oder zwei. Es wird Ihnen guttun. Es beruhigt die Nerven und wärmt Sie auf."
"Mir ist nicht kalt", widersprach sie, nahm die Flasche aber trotzdem an.
Er kauerte sich vor sie und griff nach ihrem Rocksaum.
"Aufhören! Was machen Sie da?", rief sie und versuchte, seine Hand wegzuschieben.
Er hielt ihre Hände fest und sah sie streng an. "Seien Sie nicht albern! Wie, zum Teufel, soll ich mir Ihren Knöchel ansehen, wenn ich den Rock nicht etwas anhebe?"
Sie bedachte ihn mit einem aufgebrachten Blick. "Warum wollen Sie sich meinen Knöchel ansehen?"
"Weil er verletzt ist natürlich!"
Sie sah zweifelnd auf ihren Knöchel. "Er schmerzt tatsächlich, ziemlich stark sogar", gab sie zu und klang dabei fast überrascht.
Er kam zu dem Schluss, dass sie wahrscheinlich zu große Angst gehabt hatte, um den Schmerz spüren zu können. Das war nicht ungewöhnlich. Die Leute bemerkten ihre Verletzungen erst, wenn der Kampf vorbei war. Er ließ ihre Hände los und griff nach der Flasche, die sie vor Schreck hatte fallen lassen. "Ich habe Ihnen doch gesagt, Sie sollen trinken! Das hilft auch gegen die Schmerzen."
Die Flasche war aus Silber, zerkratzt, zerbeult und noch warm, weil er sie an seinem Körper getragen hatte. Faith schraubte den Verschluss auf und führte das Glasgefäß an die Lippen. Flüssiges Feuer rann durch ihre Kehle, und sie fing prompt zu würgen und zu husten an, bis es sich in ihrem leeren Magen ausbreitete. "W...was war das?", keuchte sie, sobald sie wieder Luft bekam. "Das habe ich noch nie getr..."
"Brandy. Nicht gerade ein Getränk für eine Dame, aber Sie brauchten das nach dem Schock, den Sie erlitten haben."
Sie wischte sich über ihre tränenden Augen. "Sie meinen, Sie ersetzen einen Schock durch einen anderen." Ihre Stimme klang heiser vom Husten, aber Nick entging dennoch nicht ihr tapferer Versuch, einen Scherz zu machen.
"Sie werden das schon überstehen", erwiderte er sanft.
Die ruhigen, fast anerkennend klingenden Worte taten ihr gut. Irgendetwas war an der Art, wie er sprach - etwas Bezwingendes. Er hatte gesagt, er wäre Soldat gewesen. Ein Offizier, vermutete sie. Er strahlte sie aus, diese natürliche Gewohnheit, Befehle zu erteilen.
Jetzt, nachdem das erste Brennen des Brandys verflogen war, breitete sich eine wohlige Wärme in ihr aus. Sie konnte spüren, wie ihre Nerven sich beruhigten. "Ich danke Ihnen." Als sie ihm die Flasche zurückgab, sah sie seine aufgeschrammten Fingerknöchel, Folgen des vorangegangenen Kampfes. "Ihre Hände ...", begann sie.
Er zuckte die Achseln. "Das ist nichts." Er setzte die Flasche an die Lippen - genau dort, wo ihre eigenen Lippen die Flasche noch vor wenigen Augenblicken berührt hatten - und nahm einen kräftigen Schluck, ohne auch nur ein einziges Mal zu husten. "Wie heißen Sie?"
Faith zögerte.
"Ich habe Ihnen meinen Namen bereits genannt, Nicholas Blacklock", erinnerte er sie.
"Faith Merrid ... Merrit", korrigierte sie sich rasch. Es war nicht gut, ihren wirklichen Namen zu nennen. Schlimm genug, dass sie Schande über sich selbst gebracht hatte, aber den guten Ruf ihrer Schwestern wollte sie nicht auch noch schädigen.
"Sehr erfreut, Miss ... Merrit." Die bewusste Pause verriet ihr, dass er ihre Korrektur bemerkt hatte, aber er sagte nichts weiter dazu. "So, und nun lassen Sie mich Ihren Knöchel untersuchen."
Faith zuckte zusammen, als er seine sehnigen Hände unter ihren Rock schob und die zarte Haut ihrer Kniekehlen berührte. "Was ...?"
"Ich wollte Ihr Strumpfband lösen und Ihnen den Strumpf ausziehen."
Er sagte das ganz gelassen, obwohl er sofort gespürt haben musste, dass sie gar keine Strümpfe trug. Faith ließ den Kopf hängen. Keine anständige Frau würde ohne Strümpfe herumlaufen. "Meine Strümpfe waren voller Löcher. Ich habe sie benutzt, um die Stiefel auszupolstern."
"Ich verstehe." Er hob ihren Rock an und legte ihn über ihre Knie. Tödlich verlegen versuchte Faith, den Rock wieder hinunterzuziehen, doch Blacklock hielt sie mit einem einzigen Blick davon ab. Wie schaffte er das bloß?
Der Feuerschein fiel auf ihre Beine, und um Blacklocks Lippen trat ein angespannter Zug, als er anfing, ihr die Stiefel aufzubinden. Sie wusste sofort, was er dachte. Keine Dame würde so grobes Schuhwerk tragen. "Meine eigenen Schuhe waren viel zu dünn und leicht. Ich habe sie gegen die Stiefel eingetauscht", murmelte sie.
Er antwortete nicht. Behutsam legte er eine Hand unter ihre Wade und zog ihr vorsichtig erst den einen, dann den anderen Stiefel aus. Faith hörte, wie er geräuschvoll den Atem einsog. Langsam löste er die Strümpfe, die sie sich um die Füße gewickelt hatte, und hielt sofort inne, als sie zusammenzuckte.
Er richtete sich auf und sah sie aufgebracht an. "Wie um alles in der Welt sind Sie in diesen Zustand geraten?" Er sprach vollkommen ruhig, dennoch spürte sie den Zorn tief in seinem Innern.
Sie wandte den Blick ab. "Schlechte Menschenkenntnis."
"Wer kümmert sich um Sie?"
"Niemand."
Er brummte etwas Unverständliches vor sich hin, zog seine eigenen Stiefel aus und legte seinen Mantel ab. Als sie sich gerade nervös fragte, was er wohl als Nächstes ausziehen würde, bückte er sich und hob sie wieder auf seine Arme.
"Was ...?" Sie klammerte sich an ihn.
"Ich bringe Sie hinunter zum Meer." Er klang wütend. "Das Salzwasser wird höllisch brennen, aber es wird ihre Füße und Beine besser säubern als alles andere."
"Ich weiß, dass sie schmutzig sind, aber das ist kein Grund, so verärgert zu sein. Ich habe Sie schließlich nicht darum gebeten, mir die Schuhe auszuziehen."
"Schmutzig! Nur wenn man Ihre Füße in Wasser einweicht, bekommt man diese verdammten Lumpen ab. Sie kleben an Ihrer Haut fest vor lauter Blut!"
"Ach."
"Und Ihre Beine sind übersät von Kratzern und Schnitten."
"Ich habe beim Laufen meinen Rock gerafft. Der Stoff blieb ständig an den Dornen hängen. So ist es wahrscheinlich passiert."
"Aber ja!", stieß er empört hervor. "Gott bewahre, dass ein schäbiger alter Rock an ein paar Dornen hängen bleibt! Da ist es doch viel vernünftiger, sich die Haut in Fetzen reißen zu lassen!"
"Das war nicht der Grund", antwortete sie, mit aller Würde, die sie aufzubringen vermochte. "Mein Rock behinderte mich, ich konnte nicht schnell genug rennen."
Er schnaubte. "Und was ist mit den Stiefeln? Ihre Füße sind voller Blasen!"
"Ich hatte einen langen Weg vor mir", begann sie, verstummte dann aber. Das ging ihn nichts an. Er hatte keinen Grund, böse auf sie zu sein. Das waren ihre Füße, ihre Beine und ihre Stiefel. Wenn ihm ihr Zustand nicht gefiel, sollte er ihn einfach ignorieren. Sie musste niemandem Rechenschaft ablegen. Niemandem außer ihrer Familie.
Er legte den Rest des Weges zum Meer schweigend zurück. Am Wasser angekommen, blieb er jedoch nicht stehen, sondern watete hinein, bis es ihm bis zu den Knien reichte. "Machen Sie sich auf etwas gefasst. Es wird schrecklich wehtun." Seine Stimme klang zornig und sanft zugleich.
Faith schnappte nach Luft, als ihre Haut an den Beinen und Füßen, die mit Hunderten von Kratzern, Schnittwunden und Blasen übersät war, mit dem Salzwasser in Berührung kam. Am liebsten hätte sie geschrien, doch sie biss die Zähne zusammen und zwang sich, den Schmerz zu ertragen.
Alle Merridew-Mädchen konnten Schmerzen ertragen, ohne zu weinen. Ein Vermächtnis von Großvater und seiner Erziehung.
Ohne ein Wort zu sagen, stand Blacklock neben ihr. Erst nach einer geraumen Weile fiel ihr auf, dass er sie stützte und dass sie sich mit aller Kraft an ihm festklammerte. Allmählich ließen die schlimmsten Schmerzen nach. Sie schlug die Augen auf und sah, dass er sie mit grimmiger Miene betrachtete.
"Besser?"
Sie brachte noch immer kein Wort heraus und nickte nur.
"Braves Mädchen. Ich trage Sie jetzt zu dem Felsen dort drüben und werde versuchen, diese Lumpen von Ihren Füßen zu lösen." Er setzte sie behutsam auf den flachen Gesteinsbrocken. "Lassen Sie die Knöchel im Wasser. Ich weiß, es ist kalt, aber dadurch geht die Schwellung zurück."
Er hob den ersten Fuß aus dem Meer und entfernte den zerrissenen Strumpf mit einem für so kräftige Hände erstaunlichen Zartgefühl, danach wiederholte er dies bei ihrem zweiten Bein. Faith beobachtete sein Tun. Ihre Füße waren tatsächlich in einem schrecklichen Zustand, überall waren Blasen aufgegangen und bluteten. Kein Wunder, dass das Salz so gebrannt hatte. Vorher war ihr gar nicht bewusst gewesen, dass sie dermaßen wund waren.
Endlich war er mit seiner Arbeit fertig und richtete sich auf. "Lassen Sie die Füße im Wasser, solange Sie es aushalten. Aufwärmen können Sie sich später am Feuer. Ich weiß, dass es wehtut, aber Meerwasser heilt." Er betrachtete sie eine Weile stumm. "Ich bin gleich wieder bei Ihnen. Bleiben Sie hier." Er machte sich auf den Rückweg zum Strand, und Faith blieb zusammengesunken auf ihrem Felsen sitzen wie eine kleine Meerjungfrau, die sich schmutzig fühlte.
Copyright © 2006 by Anne Gracie.
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Autoren-Porträt von Anne Gracie
Seit Anne Gracie lesen kann, liebt sie Bücher. Schon ihr erster Roman wurde für den RITA Award nominiert. Beim Schreiben ist Geschichte generell, aber auch ihre eigene Familiengeschichte eine wahre Fundgrube für Anne Gracie. Ihr Urgroßvater, ein Seemann, ging Ende des 19. Jahrhunderts in Australien an Land und blieb für immer, weil er sich in ein Mädchen verliebt hatte, das er später heiratete.
Bibliographische Angaben
- Autor: Anne Gracie
- 2014, 1., Aufl., 352 Seiten, Maße: 12,5 x 18,6 cm, Kartoniert (TB), Deutsch
- Übersetzung: Schwinn, Andrea
- Übersetzer: Andrea Schwinn
- Verlag: MIRA Taschenbuch
- ISBN-10: 3956490150
- ISBN-13: 9783956490156
- Erscheinungsdatum: 01.05.2014
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