Wozu Sex?
Von der Evolution der zwei Geschlechter
Stellen Sie sich vor, bei der Fortpflanzung ginge es nur um Kosten und Zahlen: Die sexuelle Fortpflanzung, bei der nur jeweils die Hälfte der Gene auf die nächste Generation übergeht, wäre von der Bildfläche verschwunden. Oder gar nicht erst aufgetaucht....
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Produktinformationen zu „Wozu Sex? “
Stellen Sie sich vor, bei der Fortpflanzung ginge es nur um Kosten und Zahlen: Die sexuelle Fortpflanzung, bei der nur jeweils die Hälfte der Gene auf die nächste Generation übergeht, wäre von der Bildfläche verschwunden. Oder gar nicht erst aufgetaucht. Schlichte Zellteilung würde die Welt beherrschen. Aber wie sähe diese dann aus? Sexuelle Fortpflanzung hat überdies den Nachteil, daß sie"aufwendig"ist, weil immer zwei sich finden müssen. Welche Vorteile birgt sie also, evolutionär gesehen? Und wieso sind Eier teuer und Spermien billig? Christian Göldenboog gibt einen Überblick über die wichtigen evolutionsbiologischen Fragen und diskutiert in Gesprächen mit so bekannten Wissenschaftlern wie Luigi Luca Cavalli-Sforza, Kim Nasmyth und dem kürzlich verstorbenen Evolutionsgenetiker John Maynard Smith die neuesten Erkenntnisse zum Thema Sexualität.
Stellen Sie sich vor, bei der Fortpflanzung ginge es nur um Kosten und Zahlen: Die sexuelle Fortpflanzung, bei der nur jeweils die H lfte der Gene auf die n chste Generation bergeht, w re von der Bildfl che verschwunden. Oder gar nicht erst aufgetaucht. Schlichte Zellteilung w rde die Welt beherrschen. Aber wie s he diese dann aus? Sexuelle Fortpflanzung hat berdies den Nachteil, da sie "aufwendig" ist, weil immer zwei sich finden m ssen. Welche Vorteile birgt sie also, evolution r gesehen? Und wieso sind Eier teuer und Spermien billig? Christian G ldenboog gibt einen berblick ber die wichtigen evolutionsbiologischen Fragen und diskutiert in Gespr chen mit so bekannten Wissenschaftlern wie Luigi Luca Cavalli-Sforza, Kim Nasmyth und dem k rzlich verstorbenen Evolutionsgenetiker John Maynard Smith die neuesten Erkenntnisse zum Thema Sexualit t.
'G ldenboogs Buch bietet einen hochinformativen berblick ber den neuesten Stand der wissenschaftlichen Erforschung des Ph nomens Sexualit t.' Frankfurter Rundschau
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Lese-Probe zu „Wozu Sex? “
Zum VorspielSex - das Meisterwerk der Natur
Warum gibt es Sex? Um die Einschaltquoten im Fernsehen zu erhöhen, um sich zu amüsieren, um sich zu vermehren. Ohne Sex kein Sexualleben und keinen Morgen danach, keine Romeos und Julias, keine Diskussionen über Homosexualität und keine technischen Innovationen wie das Wasserbett. Andere bevorzugen Sex auf Kamelhöckern, an Straßenecken oder in Parks. Bei Lüstlingen kann er Panikattacken oder Krämpfe in den Beinen hervorrufen. Außerdem ist Sex, wie Henry Miller in Sexus schrieb, "einer der neun Gründe für Reinkarnation. Die anderen acht sind uninteressant."
Sex ist Rückblick mit Scham.
Jeder erinnert sich noch an das erste Mal, nicht jeder erinnert sich an seine erste sexuelle Erinnerung. War es vielleicht der Anblick einer Affenhorde im Zoo? Für Max Morise (1900 bis 1973), ein sexuell-aktives Mitglied der surrealistischen Gruppe um André Breton (1896-1966) und Louis Aragon (1897-1982), war die erste sexuelle Erinnerung der Anblick des Gliedes eines Pferdes, das vor einen Kohlenwagen gespannt war. Der Kohlenwagen parkte vor dem Waffenlager einer Armeedivision in der Avenue de Breteuil in Paris.
Sex ist ein Schlankmacher.
Während einer Viertelstunde Sexualakt verbrennen Mann und Frau durchschnittlich so viele Kalorien wie während eines winterlichen Waldlaufs, umgekehrt führt Nichtsex zu entsprechenden Fettablagerungen. Diesen Tatbestand berücksichtigten Landwirte schon vor 200 Jahren bei ihrer Tierhaltung: Um schöne Fettpolster zu erzielen, wurden Schweinen und Schafen kurzerhand die Genitalien herausgeschnitten.
Sex ist Benotung.
"Ältere Damen sind am besten, denn sie denken immer, sie würden's zum letzten Mal machen", notierte James-Bond-Autor Ian Fleming in seinem Tagebuch. Für Graue Pantherinnen dagegen sind ältere Herren nicht zu übertreffen. Reden die beim Vorspiel doch immer über ihre Krankheiten.
Sex ist gefährlich.
Nelson Rockefeller (1908-1979) verstarb im Alter von 71 Jahren während
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des Aktes, seine junge Geliebte ließ ihn kurzerhand auf dem Boden liegen und verschwand. Auch Kaiser Napoleon III. erlitt beim Sex eine Herzattacke. Im alten Rom stand dem Ehegatten das Recht zu, Nase und Ohren des auf frischer Tat ertappten Nebenbuhlers abzuschneiden.
Sex ist Tod, oder anders ausgedrückt: Sex ist ex.
Männliche Lachse sterben ebenso wie ihre Geschlechtsgenossen bei den Eintagsfliegen, Tintenfischen, Ameisen und Kraken relativ zügig nach dem Versprühen der Spermien. Dasselbe Verhaltensmuster ist im genetischen Programm der Breitschwanz-Beutelmaus zu finden: Bemerkenswerterweise krepieren hier die Männchen im besten Alter und auf dem Höhepunkt ihrer Leistungsfähigkeit. Dies führt zu dem Paradox, daß Männchen ohne Sex länger leben.
Sex ist Venus, die römische Göttin des Frühlings und der Gärten, und Sex ist Mars, römischer Gott des Krieges und der Vegetation. Nach beiden sind Planeten benannt worden, deren Zeichen stehen in der Biologie für weiblich f und männlich F.
Sex ist Trieb und Geschäft.
"Es gibt nur zwei Dinge, die sich immer gut verkaufen lassen: Essen und Sex. Und ich war nie eine sehr gute Köchin", legitimierte die Pariserin Fernande Grudet alias Madame Claude 1970 ihre Funktion als Chefin der größten Prostituiertenagentur ihres Landes.
Sex ist Appetit.
"Und wir sollten den einen Appetit mit ebensowenig Zurückhaltung und falscher Bescheidenheit befriedigen wie den anderen", schrieb 1797 der Marquis de Sade (1740-1814) zu einer Zeit, als es beispielsweise für einen britischen Aristokraten gang und gäbe war, während der Mahlzeiten das Nachtgeschirr zu benutzen und zwischen Hauptgang und Dessert an den Brustwarzen seiner Tischdame zu saugen. Schon immer standen zwei Dinge bei der Erforschung des tierischen und menschlichen Verhaltens besonders im Vordergrund: Essen und Sexualität. Beide sind überlebenswichtig: Ohne Essen geht das Individuum zugrunde, ohne Sex keine Weitergabe von Genen an die nächste Generation. Durchschaut haben diesen Zusammenhang von Sexualität und Essen die Frauen der im Osten Perus lebenden Sharanahua: Haben die Männer keine Lust, auf Jagd zu gehen, ist also kein Fleisch im Dorf, versagen sich die Frauen geschlossen dem Akt. Eine andere Variante in der Beziehung zwischen Mann und Frau, zwischen Sex und Essen favorisiert Jon Bon Jovi: "Die perfekte Frau verwandelt sich nach dem Sex in eine Pizza."
Sex ist Neurose.
Der Neurologe Jean Marie Charcot (1825-1893) analysierte einmal die Neurose einer jungen Frau mit den Worten, daß die Ursache der Affekte stets in der Sexualität liege. Der Wiener Arzt Sigmund Freud (1856-1939) hörte dies und bemerkte später bei Neurotikern das Phänomen des Ausweichens. Er entdeckte so die allzu menschliche Fähigkeit zur Ersatzbefriedigung. Freud schlug die Brücke von der Sexualität zur Kultur, er glaubte, daß "etwas in der Natur des Sexualtriebes selbst dem Zustandekommen der vollen Befriedigung nicht günstig sei". Der ursprüngliche Sexualtrieb zerfalle in eine Reihe von Komponenten, von denen später viele unterdrückt werden müssen. Es seien vor allem unser starkes Interesse an Exkrementen und die zum Liebesleben gehörenden sadistischen Antriebe, die sich als unverträglich mit unserer ästhetischen Kultur erwiesen. Kultur und Zivilisation beruhten daher auf Triebverzicht, und das Individuum werde vor allem in der Familie dazu gebracht, diesen Triebverzicht zu akzeptieren. Gleichzeitig wird die Unmöglichkeit, jemals volle Befriedigung des Sexualtriebs zu erlangen, und die ständige Sublimierung seiner Komponenten zur Quelle der großartigsten Kulturleistungen: So wurde der Künstler als Typ geboren, der seine sexuellen Neurosen selbst heilt. Der Sexualtrieb wird umgeleitet, er gibt sein ursprüngliches Ziel auf, er erhöht oder verfeinert sich in die Kultur hinein. Manchmal verflüchtigt er sich auch nur dorthin. Oder ins Gehirn. "Das größte Geschlechtsorgan haben die Menschen zwischen den Ohren", behauptet der Neurobiologe Simon LeVay, womit er die Ansicht Arthur Schopenhauers (1788-1860) zurechtrückte, wonach "die Genitalien der eigentliche Brennpunkt des Willens" seien und dem Gehirn als Repräsentanten der Erkenntnis diametral entgegengesetzt. Aber Sex ist nicht nur Körper gegen Körper, Haut auf Haut, Sex findet tatsächlich im Kopf statt. Anatomisch gesehen ist es gar nicht so einfach, einen Blutstau im Penis herbeizuführen. Kontrolliert werden die Funktionen, die zu einer Erektion oder einer reibungslosen Ölung der Vagina führen, von Nerven eines Reflexzentrums am Ende der Wirbelsäule, die wiederum vom Gehirn gesteuert werden. Und so spekulieren Neurologen und Gehirnexperten ununterbrochen darüber, wie unser Gehirn sexuelle Aktivitäten beeinflußt, wie der Hypothalamus, ein Teil des Vorderhirns, unseren Hormonhaushalt steuert und eine Ausschüttung von Geschlechtshormonen bewirkt; dieselben Gehirnforscher können uns allerdings nicht erklären, was mit unseren Neuronen passiert, wenn wir in eine Telefonzelle gehen, um bei den Vereinten Nationen oder einer 0190-Nummer anzurufen.
Sex ist Masturbation.
Und Masturbation ist, wie es Woody Allen einmal treffend sagte, "Sex mit jemandem, den ich liebe". Die Vergeudung von Samen an sich selbst galt über viele Jahrhunderte hinweg als Sünde, und noch im 19. Jahrhundert untersuchten eifrige Mediziner Masturbation als Krankheit, die zu verschiedenen Formen des Schwachsinns führen könne. Zum geistigen Befreiungsschlag für alle Onanisten kam es erst 1879, als vor dem Stomach Club, einer Gesellschaft amerikanischer Schriftsteller und Künstler in Paris, ein gewisser Mark Twain (1835-1910) Some Thoughts on the Science of Onanism äußerte. Twains Gedanken zur Wissenschaft des Onanismus müssen als Meilenstein einer fröhlich-narzißtischen Masturbationstheorie betrachtet werden. So wird der große Cäsar mit den Worten zitiert: "Dem Einsamen ist sie Gesellschaft; dem Verlassenen ein Freund; dem Alternden und Impotenten ein Wohltäter." Authentisch verbürgt ist auch die Aussage des berühmten Zulu-Helden Cetewayo: "A jerk in the hand is worth two in the bush", auf gut deutsch etwa: "Ein Schwanz in der Hand ist besser als zwei Tauben im Busch." Zu guter Letzt schloß Twain unübersetzbar: "If you must gamble your lives sexually, don't play a lone hand too much." Publiziert wurde dieser Text erst 1943 in einer limitierten Auflage von 50 Exemplaren.
Sex ist Vermischung.
Die junge Sklavin Sally (1773-1835), im Besitz des amerikanischen Großgrundbesitzers Thomas Jefferson (1743-1826) und Kindermädchen von dessen Tochter, bekam zwischen 1790 und 1808 fünf Kinder, von denen einige Jefferson auffallend ähnlich sahen. Prompt tauchten 1802 in der Presse erste Vaterschaftsverdächtigungen auf, die Jefferson aber nichts anhaben konnten: 1804 wurde er mit überwältigender Mehrheit zum Präsidenten gewählt. 1805 kam es dann zu einer Anklage wegen Amtsmißbrauchs. Zeit seines Lebens stritt Jefferson alle Verdächtigungen souverän ab. 1998 gelang einer Gruppe von Genetikern um E. A. Foster der eindeutige Nachweis, daß zumindest Sallys jüngstes Kind den amerikanischen Staatsmann zum Vater hatte. Inzwischen belegen genetische Studien, wie immens auf amerikanischen Sklavenhalterplantagen die sexuelle Vermischung von oben gewesen sein muß: Bei ungefähr 30 Prozent der in den USA lebenden Afroamerikaner stammt das Y-Chromosom - es wird beim Sex nur über den Vater weitergegeben - von einem weißen Vorfahren.
Sex ist Konflikt.
Die Lust muß kontrolliert, die Triebe müssen in Schach gehalten oder kanalisiert werden; eine Aufgabe, die, so Sigmund Freud, in erster Linie die Kleinfamilie mit ihrem übermächtigen Vater übernimmt. Daher wünschen Töchter und Söhne ihren Eltern häufig den Tod, außerdem komme es in allen Familien zu Geschwisterrivalitäten. 1908, in seiner Abhandlung Über infantile Sexualtheorien, beschreibt Freud detailliert das Interesse des Mädchens am Penis des Knaben, ein Interesse, das von Neid getrieben sein soll; Mädchen bekommen Minderwertigkeitsgefühle und werden schnell eifersüchtig auf den kleinen Spielgefährten des Bruders. Jungen dagegen entwickeln beim Anblick der Schwester eine Angst, die in enger Beziehung zum Ödipuskomplex steht. Die Kastrationsangst. Verliebtheit und sexuelle Wünsche gegenüber der Mutter, Todeswunsch und Haß auf den Vater werden durch diesen Kastrationskomplex in Schach gehalten. Dem Jungen drohe eine mögliche Kastration im Zuge einer väterlichen Bestrafung. Evolutionär gesehen, bemängelte der Soziobiologe Robert Trivers, ergeben diese Freudschen Interpretationen wenig Sinn. Die Selektion im Hinblick auf Inzucht, so Trivers, sei in der Natur derart mächtig, daß zur Vermeidung eines Mutter-Sohn-Inzestes abschreckende Konsequenzen wie die Kastration nicht mehr angedroht werden müssen. Offenbar sei Freud auf die sexuellen Komponenten des Eltern-Nachwuchs-Konfliktes gestoßen und habe diese, da er über keine evolutionsbiologische Sichtweise auf diese Beziehungen verfügte, als das Wesentliche fehlgedeutet. Für Trivers ist wesentlich, daß in sexuell sich fortpflanzenden Arten Eltern und Kinder genetisch nicht identisch sind. Sie haben nur die Hälfte ihrer Gene miteinander gemein, daher kommt es zwischen Eltern und Kindern zu einer Überlappung, aber nie zu einer Identität von Interessen. In sexuell sich fortpflanzenden Arten ist zu erwarten, daß Eltern mit ihrem Nachwuchs in einem permanenten Konflikt leben - über das Maß an elterlicher Investition in den Nachwuchs. Trivers entwickelte seine Vorstellungen, als er in Massachusetts Taubennester beobachtete, in denen es zwischen Eltern und Jungen zu heftigen Auseinandersetzungen um das Futter kam. Inzwischen wenden Entwicklungsgenetiker diese Theorie an, um Konflikte um die Nahrung zwischen Mutter und Fetus während der Schwangerschaft zu erklären. 1974, als Trivers seine Ideen erstmalig in dem Aufsatz Parent-offspring Conflict formulierte, wurde sein Szenario als ziemlich versponnen abgetan.
Sex ist Spekulation und Science-fiction.
Einige dieser Spekulationen sind intelligent, die meisten eher nicht. Eine lesenswerte, die die Kosten des Fortschritts im allgemeinen thematisiert, ist Daedalus or Science and the Future von John Burdon Sanderson Haldane (1892-1964) aus dem Jahr 1923. Darin prognostizierte der britische Genetiker für 1968 in Frankreich etwa 60000 Kinder, deren Befruchtung außerhalb des Mutterleibes stattfinden würde. Man müsse nur den Eierstock einer Frau in der richtigen Flüssigkeit präparieren, schon verrichte dieser seine Arbeit. Inzwischen erwarten die aktuellen Propheten der biotechnologischen Sex-Spekulationen den ins Vorderhirn eintransplantierten Orgasmus-Chip, den künstlichen Riesenpenis, virtuellen Sex mit einem Hologramm eigener Wahl, das Herunterladen sexueller Abenteuer aus dem Internet direkt hinein in die Milliarden Nervenzellen unseres Gehirns sowie das Herstellen neuer Sexualorgane durch Klonen. Möglich natürlich auch, daß im Jahr 2040 Computerviren jeglichen Cybersex vernichten.
Sex ist Phantasie. Aber auch Phantasielosigkeit.
Telefon, Auto, Architektur, Fernsehen und neue Kommunikationstechnologien verändern unsere Wünsche. Träumten Frischverliebte früher von einem Akt im Nachtzug nach Paris, so muß es heute schon die First Class der Swiss oder der Porsche bei Tachostand 250 sein.
Sex ist Sex and the City: Zwei blonde Frauen, die sexuell erfolgreich sind, eine dritte, die schnell verlegen wird, und eine rothaarige Rechtsanwältin, die, um bei Männern anzukommen, sich als Stewardeß ausgibt.
Sex ist richtiger Verkehr.
Am 15. Februar 1928 erzählt der ehemalige Jesuitenpater Jean Genbach seinem Freund André Breton von einer Frau, die zu ihm mit den Worten kam: "Ihre Krawatte gefällt mir, ich würde gerne Ihren Schwanz lecken."
"Haben Sie das akzeptiert?" will Breton wissen.
"Natürlich."
"Ist das für Sie kein Verkehr?" fragt Breton.
"Nein", antwortet Genbach. "Ich nenne das ein kleines Vergnügen, das ich dieser Frau verschaffe."
Sex ist strategische Positionierung.
"Eigentlich mache ich es immer auf die einfache Weise", sagte Louis Aragon, als er 1928 mit Jacques Prévert (1900-1977) und Man Ray (1890-1976) über 69 diskutierte. 69 ist die Windhundposition, im Jargon von Fremdsprachenlehrerinnen auch französisch-beidseitig.
"Ich habe ein sehr eingeschränktes Repertoire", bekannte Aragon gegenüber seinen surrealistischen Freunden. "Die unterschiedlichsten Positionen erregen mich alle ebensosehr, wie sie mir unmöglich sind. Was ich am liebsten mag, ist mein Samenerguß während der Fellatio, wenn ich der aktive Part bin."
Sex ist Missionarsstellung.
Die Frau liegt dabei auf dem Rücken, Beine gespreizt und etwas angewinkelt, die Füße auf den Boden abgestützt. Der Mann liegt oder kniet über der Frau und dringt von vorne in die Scheide ein. Manche Frauen bevorzugen es, ein Kissen unter das Gesäß zu schieben, wodurch der Sex für sie bequemer wird und der Mann einfacher seinen Penis in die Scheide einführen kann. Die Missionarsstellung hat ihren Namen von britischen Missionaren, die während der Kolonialzeit gegenüber afrikanischen Eingeborenen in allen Belangen erzieherisch tätig wurden und behaupteten, erst diese Grundposition mache den Koitus kultiviert und menschlich. Dieselben Missionare sind nie in jenen äquatorialafrikanischen Urwald südlich des Kongoflusses vorgedrungen, in dem die Primatenart Pan paniscus ihr triebbetontes Unwesen treibt. Auch der Bonobo praktiziert die sogenannte Missionarsstellung.
Sex ist überall und ziemlich weit verbreitet.
Vögel, Pflanzen und Pilze haben ihn, Fruchtfliegen und Regenwürmer und Alligatoren auch, ebenso die knapp 4300 Säugetierarten, unter denen immer wieder einmal amerikanische Geistliche und Bonobos mit ihren Sexualpraktiken in die Schlagzeilen geraten. Die ersteren, weil sie sexuelle Vorschriften aus dem Dritten Buch Mose wie "Du darfst nicht mit einem Mann schlafen, wie man mit einer Frau schläft" zwar predigen, aber selbst nicht beherzigen, die Bonobos, weil sie natürlich niemals etwas von Wüstenstammethiken gehört haben. Diese Zwergschimpansenart macht, was sie will, und hat, wie der Primatenforscher Frans de Waal behauptet, aggressives Verhalten durch einen Sex ersetzt, der praktisch in jeder Partnerkombination betrieben wird: "Männer mit Männern, Männer mit Frauen, Frauen mit Frauen, Männer mit Heranwachsenden und so weiter." Warum wird aber immer nur über den Sex von Bonobos, Mäusen, Nonnen oder Kardinälen geschlagzeilt? Schließlich haben sogar Bakterien ein reges Sexualleben.
Sex ist coitus interruptus.
Als die Molekularbiologen Elie L. Wollman und François Jacob in den fünfziger Jahren des letzten Jahrhunderts begannen, den exakten Zeitablauf der Bakterienpaarung zu erforschen, mischten sie auf einer Agar-Platte zwei Bakterienkulturen. Agar ist ein aus der Zellwand von Algen gewonnenes Polysaccharid, ein geleeartiger Zucker als Nährboden für Bakterien und Pilze. Die Pärchen wurden in einen Küchenmixer geschüttet, den man zwei Minuten lang bei hoher Geschwindigkeit laufen ließ. Den Küchenmixer hatte Jacob seiner Frau von seiner ersten Amerikareise mitgebracht, doch die haßte ihn, und so stand er im Pariser Labor der beiden Forscher herum. Die durch den Mixer entwickelten Reibungskräfte spalteten die Paare sofort wieder auf. Prompt wurde in Genetikerkreisen dieses Experiment als coitus interruptus betitelt. Jahre später wunderte sich Jacob über die aus biologischer Sicht bizarren Merkwürdigkeiten von Sex. Warum müssen sich die meisten Lebewesen, so Jacob in Die Maus, die Fliege und der Mensch (1998), "zu zweit zusammentun, um ein drittes hervorzubringen"? Des Nachdenkens wert scheint Jacob auch die Tatsache, "daß von allen Körperfunktionen die Fortpflanzung als einzige von einem Organ wahrgenommen wird, von dem ein Individuum immer nur die Hälfte besitzt, weswegen viel Zeit und Energie auf die Suche nach der anderen Hälfte verwendet werden muß".
Sex ist aufwendig.Während sich Bakterien durch Teilung vermehren, sind Individuen in sexuell sich fortpflanzenden Arten auf einen Partner angewiesen. Bei manchen Arten werden unendlich viele männlichen Keimzellen einfach durch den Wind verbreitet, wie bei den Eichen, oder durch das Wasser, wie bei den Muscheln; Bestäubung oder Befruchtung sind dann mehr oder weniger zufällig. Normalerweise aber ist die Suche nach einem andersgeschlechtlichen Mitspieler mühsam, vor allem, wenn man zur Fortbewegung Löcher in die Erde gräbt. Regenwürmer haben daher im Laufe der Evolution eine originelle Fortpflanzungsstrategie erfunden: Sie sind Simultanzwitter. Sie besitzen eine männliche und eine weibliche Fortpflanzungsmaschinerie, die sowohl Samen als auch Eizellen produziert.
Sex ist Tod, oder anders ausgedrückt: Sex ist ex.
Männliche Lachse sterben ebenso wie ihre Geschlechtsgenossen bei den Eintagsfliegen, Tintenfischen, Ameisen und Kraken relativ zügig nach dem Versprühen der Spermien. Dasselbe Verhaltensmuster ist im genetischen Programm der Breitschwanz-Beutelmaus zu finden: Bemerkenswerterweise krepieren hier die Männchen im besten Alter und auf dem Höhepunkt ihrer Leistungsfähigkeit. Dies führt zu dem Paradox, daß Männchen ohne Sex länger leben.
Sex ist Venus, die römische Göttin des Frühlings und der Gärten, und Sex ist Mars, römischer Gott des Krieges und der Vegetation. Nach beiden sind Planeten benannt worden, deren Zeichen stehen in der Biologie für weiblich f und männlich F.
Sex ist Trieb und Geschäft.
"Es gibt nur zwei Dinge, die sich immer gut verkaufen lassen: Essen und Sex. Und ich war nie eine sehr gute Köchin", legitimierte die Pariserin Fernande Grudet alias Madame Claude 1970 ihre Funktion als Chefin der größten Prostituiertenagentur ihres Landes.
Sex ist Appetit.
"Und wir sollten den einen Appetit mit ebensowenig Zurückhaltung und falscher Bescheidenheit befriedigen wie den anderen", schrieb 1797 der Marquis de Sade (1740-1814) zu einer Zeit, als es beispielsweise für einen britischen Aristokraten gang und gäbe war, während der Mahlzeiten das Nachtgeschirr zu benutzen und zwischen Hauptgang und Dessert an den Brustwarzen seiner Tischdame zu saugen. Schon immer standen zwei Dinge bei der Erforschung des tierischen und menschlichen Verhaltens besonders im Vordergrund: Essen und Sexualität. Beide sind überlebenswichtig: Ohne Essen geht das Individuum zugrunde, ohne Sex keine Weitergabe von Genen an die nächste Generation. Durchschaut haben diesen Zusammenhang von Sexualität und Essen die Frauen der im Osten Perus lebenden Sharanahua: Haben die Männer keine Lust, auf Jagd zu gehen, ist also kein Fleisch im Dorf, versagen sich die Frauen geschlossen dem Akt. Eine andere Variante in der Beziehung zwischen Mann und Frau, zwischen Sex und Essen favorisiert Jon Bon Jovi: "Die perfekte Frau verwandelt sich nach dem Sex in eine Pizza."
Sex ist Neurose.
Der Neurologe Jean Marie Charcot (1825-1893) analysierte einmal die Neurose einer jungen Frau mit den Worten, daß die Ursache der Affekte stets in der Sexualität liege. Der Wiener Arzt Sigmund Freud (1856-1939) hörte dies und bemerkte später bei Neurotikern das Phänomen des Ausweichens. Er entdeckte so die allzu menschliche Fähigkeit zur Ersatzbefriedigung. Freud schlug die Brücke von der Sexualität zur Kultur, er glaubte, daß "etwas in der Natur des Sexualtriebes selbst dem Zustandekommen der vollen Befriedigung nicht günstig sei". Der ursprüngliche Sexualtrieb zerfalle in eine Reihe von Komponenten, von denen später viele unterdrückt werden müssen. Es seien vor allem unser starkes Interesse an Exkrementen und die zum Liebesleben gehörenden sadistischen Antriebe, die sich als unverträglich mit unserer ästhetischen Kultur erwiesen. Kultur und Zivilisation beruhten daher auf Triebverzicht, und das Individuum werde vor allem in der Familie dazu gebracht, diesen Triebverzicht zu akzeptieren. Gleichzeitig wird die Unmöglichkeit, jemals volle Befriedigung des Sexualtriebs zu erlangen, und die ständige Sublimierung seiner Komponenten zur Quelle der großartigsten Kulturleistungen: So wurde der Künstler als Typ geboren, der seine sexuellen Neurosen selbst heilt. Der Sexualtrieb wird umgeleitet, er gibt sein ursprüngliches Ziel auf, er erhöht oder verfeinert sich in die Kultur hinein. Manchmal verflüchtigt er sich auch nur dorthin. Oder ins Gehirn. "Das größte Geschlechtsorgan haben die Menschen zwischen den Ohren", behauptet der Neurobiologe Simon LeVay, womit er die Ansicht Arthur Schopenhauers (1788-1860) zurechtrückte, wonach "die Genitalien der eigentliche Brennpunkt des Willens" seien und dem Gehirn als Repräsentanten der Erkenntnis diametral entgegengesetzt. Aber Sex ist nicht nur Körper gegen Körper, Haut auf Haut, Sex findet tatsächlich im Kopf statt. Anatomisch gesehen ist es gar nicht so einfach, einen Blutstau im Penis herbeizuführen. Kontrolliert werden die Funktionen, die zu einer Erektion oder einer reibungslosen Ölung der Vagina führen, von Nerven eines Reflexzentrums am Ende der Wirbelsäule, die wiederum vom Gehirn gesteuert werden. Und so spekulieren Neurologen und Gehirnexperten ununterbrochen darüber, wie unser Gehirn sexuelle Aktivitäten beeinflußt, wie der Hypothalamus, ein Teil des Vorderhirns, unseren Hormonhaushalt steuert und eine Ausschüttung von Geschlechtshormonen bewirkt; dieselben Gehirnforscher können uns allerdings nicht erklären, was mit unseren Neuronen passiert, wenn wir in eine Telefonzelle gehen, um bei den Vereinten Nationen oder einer 0190-Nummer anzurufen.
Sex ist Masturbation.
Und Masturbation ist, wie es Woody Allen einmal treffend sagte, "Sex mit jemandem, den ich liebe". Die Vergeudung von Samen an sich selbst galt über viele Jahrhunderte hinweg als Sünde, und noch im 19. Jahrhundert untersuchten eifrige Mediziner Masturbation als Krankheit, die zu verschiedenen Formen des Schwachsinns führen könne. Zum geistigen Befreiungsschlag für alle Onanisten kam es erst 1879, als vor dem Stomach Club, einer Gesellschaft amerikanischer Schriftsteller und Künstler in Paris, ein gewisser Mark Twain (1835-1910) Some Thoughts on the Science of Onanism äußerte. Twains Gedanken zur Wissenschaft des Onanismus müssen als Meilenstein einer fröhlich-narzißtischen Masturbationstheorie betrachtet werden. So wird der große Cäsar mit den Worten zitiert: "Dem Einsamen ist sie Gesellschaft; dem Verlassenen ein Freund; dem Alternden und Impotenten ein Wohltäter." Authentisch verbürgt ist auch die Aussage des berühmten Zulu-Helden Cetewayo: "A jerk in the hand is worth two in the bush", auf gut deutsch etwa: "Ein Schwanz in der Hand ist besser als zwei Tauben im Busch." Zu guter Letzt schloß Twain unübersetzbar: "If you must gamble your lives sexually, don't play a lone hand too much." Publiziert wurde dieser Text erst 1943 in einer limitierten Auflage von 50 Exemplaren.
Sex ist Vermischung.
Die junge Sklavin Sally (1773-1835), im Besitz des amerikanischen Großgrundbesitzers Thomas Jefferson (1743-1826) und Kindermädchen von dessen Tochter, bekam zwischen 1790 und 1808 fünf Kinder, von denen einige Jefferson auffallend ähnlich sahen. Prompt tauchten 1802 in der Presse erste Vaterschaftsverdächtigungen auf, die Jefferson aber nichts anhaben konnten: 1804 wurde er mit überwältigender Mehrheit zum Präsidenten gewählt. 1805 kam es dann zu einer Anklage wegen Amtsmißbrauchs. Zeit seines Lebens stritt Jefferson alle Verdächtigungen souverän ab. 1998 gelang einer Gruppe von Genetikern um E. A. Foster der eindeutige Nachweis, daß zumindest Sallys jüngstes Kind den amerikanischen Staatsmann zum Vater hatte. Inzwischen belegen genetische Studien, wie immens auf amerikanischen Sklavenhalterplantagen die sexuelle Vermischung von oben gewesen sein muß: Bei ungefähr 30 Prozent der in den USA lebenden Afroamerikaner stammt das Y-Chromosom - es wird beim Sex nur über den Vater weitergegeben - von einem weißen Vorfahren.
Sex ist Konflikt.
Die Lust muß kontrolliert, die Triebe müssen in Schach gehalten oder kanalisiert werden; eine Aufgabe, die, so Sigmund Freud, in erster Linie die Kleinfamilie mit ihrem übermächtigen Vater übernimmt. Daher wünschen Töchter und Söhne ihren Eltern häufig den Tod, außerdem komme es in allen Familien zu Geschwisterrivalitäten. 1908, in seiner Abhandlung Über infantile Sexualtheorien, beschreibt Freud detailliert das Interesse des Mädchens am Penis des Knaben, ein Interesse, das von Neid getrieben sein soll; Mädchen bekommen Minderwertigkeitsgefühle und werden schnell eifersüchtig auf den kleinen Spielgefährten des Bruders. Jungen dagegen entwickeln beim Anblick der Schwester eine Angst, die in enger Beziehung zum Ödipuskomplex steht. Die Kastrationsangst. Verliebtheit und sexuelle Wünsche gegenüber der Mutter, Todeswunsch und Haß auf den Vater werden durch diesen Kastrationskomplex in Schach gehalten. Dem Jungen drohe eine mögliche Kastration im Zuge einer väterlichen Bestrafung. Evolutionär gesehen, bemängelte der Soziobiologe Robert Trivers, ergeben diese Freudschen Interpretationen wenig Sinn. Die Selektion im Hinblick auf Inzucht, so Trivers, sei in der Natur derart mächtig, daß zur Vermeidung eines Mutter-Sohn-Inzestes abschreckende Konsequenzen wie die Kastration nicht mehr angedroht werden müssen. Offenbar sei Freud auf die sexuellen Komponenten des Eltern-Nachwuchs-Konfliktes gestoßen und habe diese, da er über keine evolutionsbiologische Sichtweise auf diese Beziehungen verfügte, als das Wesentliche fehlgedeutet. Für Trivers ist wesentlich, daß in sexuell sich fortpflanzenden Arten Eltern und Kinder genetisch nicht identisch sind. Sie haben nur die Hälfte ihrer Gene miteinander gemein, daher kommt es zwischen Eltern und Kindern zu einer Überlappung, aber nie zu einer Identität von Interessen. In sexuell sich fortpflanzenden Arten ist zu erwarten, daß Eltern mit ihrem Nachwuchs in einem permanenten Konflikt leben - über das Maß an elterlicher Investition in den Nachwuchs. Trivers entwickelte seine Vorstellungen, als er in Massachusetts Taubennester beobachtete, in denen es zwischen Eltern und Jungen zu heftigen Auseinandersetzungen um das Futter kam. Inzwischen wenden Entwicklungsgenetiker diese Theorie an, um Konflikte um die Nahrung zwischen Mutter und Fetus während der Schwangerschaft zu erklären. 1974, als Trivers seine Ideen erstmalig in dem Aufsatz Parent-offspring Conflict formulierte, wurde sein Szenario als ziemlich versponnen abgetan.
Sex ist Spekulation und Science-fiction.
Einige dieser Spekulationen sind intelligent, die meisten eher nicht. Eine lesenswerte, die die Kosten des Fortschritts im allgemeinen thematisiert, ist Daedalus or Science and the Future von John Burdon Sanderson Haldane (1892-1964) aus dem Jahr 1923. Darin prognostizierte der britische Genetiker für 1968 in Frankreich etwa 60000 Kinder, deren Befruchtung außerhalb des Mutterleibes stattfinden würde. Man müsse nur den Eierstock einer Frau in der richtigen Flüssigkeit präparieren, schon verrichte dieser seine Arbeit. Inzwischen erwarten die aktuellen Propheten der biotechnologischen Sex-Spekulationen den ins Vorderhirn eintransplantierten Orgasmus-Chip, den künstlichen Riesenpenis, virtuellen Sex mit einem Hologramm eigener Wahl, das Herunterladen sexueller Abenteuer aus dem Internet direkt hinein in die Milliarden Nervenzellen unseres Gehirns sowie das Herstellen neuer Sexualorgane durch Klonen. Möglich natürlich auch, daß im Jahr 2040 Computerviren jeglichen Cybersex vernichten.
Sex ist Phantasie. Aber auch Phantasielosigkeit.
Telefon, Auto, Architektur, Fernsehen und neue Kommunikationstechnologien verändern unsere Wünsche. Träumten Frischverliebte früher von einem Akt im Nachtzug nach Paris, so muß es heute schon die First Class der Swiss oder der Porsche bei Tachostand 250 sein.
Sex ist Sex and the City: Zwei blonde Frauen, die sexuell erfolgreich sind, eine dritte, die schnell verlegen wird, und eine rothaarige Rechtsanwältin, die, um bei Männern anzukommen, sich als Stewardeß ausgibt.
Sex ist richtiger Verkehr.
Am 15. Februar 1928 erzählt der ehemalige Jesuitenpater Jean Genbach seinem Freund André Breton von einer Frau, die zu ihm mit den Worten kam: "Ihre Krawatte gefällt mir, ich würde gerne Ihren Schwanz lecken."
"Haben Sie das akzeptiert?" will Breton wissen.
"Natürlich."
"Ist das für Sie kein Verkehr?" fragt Breton.
"Nein", antwortet Genbach. "Ich nenne das ein kleines Vergnügen, das ich dieser Frau verschaffe."
Sex ist strategische Positionierung.
"Eigentlich mache ich es immer auf die einfache Weise", sagte Louis Aragon, als er 1928 mit Jacques Prévert (1900-1977) und Man Ray (1890-1976) über 69 diskutierte. 69 ist die Windhundposition, im Jargon von Fremdsprachenlehrerinnen auch französisch-beidseitig.
"Ich habe ein sehr eingeschränktes Repertoire", bekannte Aragon gegenüber seinen surrealistischen Freunden. "Die unterschiedlichsten Positionen erregen mich alle ebensosehr, wie sie mir unmöglich sind. Was ich am liebsten mag, ist mein Samenerguß während der Fellatio, wenn ich der aktive Part bin."
Sex ist Missionarsstellung.
Die Frau liegt dabei auf dem Rücken, Beine gespreizt und etwas angewinkelt, die Füße auf den Boden abgestützt. Der Mann liegt oder kniet über der Frau und dringt von vorne in die Scheide ein. Manche Frauen bevorzugen es, ein Kissen unter das Gesäß zu schieben, wodurch der Sex für sie bequemer wird und der Mann einfacher seinen Penis in die Scheide einführen kann. Die Missionarsstellung hat ihren Namen von britischen Missionaren, die während der Kolonialzeit gegenüber afrikanischen Eingeborenen in allen Belangen erzieherisch tätig wurden und behaupteten, erst diese Grundposition mache den Koitus kultiviert und menschlich. Dieselben Missionare sind nie in jenen äquatorialafrikanischen Urwald südlich des Kongoflusses vorgedrungen, in dem die Primatenart Pan paniscus ihr triebbetontes Unwesen treibt. Auch der Bonobo praktiziert die sogenannte Missionarsstellung.
Sex ist überall und ziemlich weit verbreitet.
Vögel, Pflanzen und Pilze haben ihn, Fruchtfliegen und Regenwürmer und Alligatoren auch, ebenso die knapp 4300 Säugetierarten, unter denen immer wieder einmal amerikanische Geistliche und Bonobos mit ihren Sexualpraktiken in die Schlagzeilen geraten. Die ersteren, weil sie sexuelle Vorschriften aus dem Dritten Buch Mose wie "Du darfst nicht mit einem Mann schlafen, wie man mit einer Frau schläft" zwar predigen, aber selbst nicht beherzigen, die Bonobos, weil sie natürlich niemals etwas von Wüstenstammethiken gehört haben. Diese Zwergschimpansenart macht, was sie will, und hat, wie der Primatenforscher Frans de Waal behauptet, aggressives Verhalten durch einen Sex ersetzt, der praktisch in jeder Partnerkombination betrieben wird: "Männer mit Männern, Männer mit Frauen, Frauen mit Frauen, Männer mit Heranwachsenden und so weiter." Warum wird aber immer nur über den Sex von Bonobos, Mäusen, Nonnen oder Kardinälen geschlagzeilt? Schließlich haben sogar Bakterien ein reges Sexualleben.
Sex ist coitus interruptus.
Als die Molekularbiologen Elie L. Wollman und François Jacob in den fünfziger Jahren des letzten Jahrhunderts begannen, den exakten Zeitablauf der Bakterienpaarung zu erforschen, mischten sie auf einer Agar-Platte zwei Bakterienkulturen. Agar ist ein aus der Zellwand von Algen gewonnenes Polysaccharid, ein geleeartiger Zucker als Nährboden für Bakterien und Pilze. Die Pärchen wurden in einen Küchenmixer geschüttet, den man zwei Minuten lang bei hoher Geschwindigkeit laufen ließ. Den Küchenmixer hatte Jacob seiner Frau von seiner ersten Amerikareise mitgebracht, doch die haßte ihn, und so stand er im Pariser Labor der beiden Forscher herum. Die durch den Mixer entwickelten Reibungskräfte spalteten die Paare sofort wieder auf. Prompt wurde in Genetikerkreisen dieses Experiment als coitus interruptus betitelt. Jahre später wunderte sich Jacob über die aus biologischer Sicht bizarren Merkwürdigkeiten von Sex. Warum müssen sich die meisten Lebewesen, so Jacob in Die Maus, die Fliege und der Mensch (1998), "zu zweit zusammentun, um ein drittes hervorzubringen"? Des Nachdenkens wert scheint Jacob auch die Tatsache, "daß von allen Körperfunktionen die Fortpflanzung als einzige von einem Organ wahrgenommen wird, von dem ein Individuum immer nur die Hälfte besitzt, weswegen viel Zeit und Energie auf die Suche nach der anderen Hälfte verwendet werden muß".
Sex ist aufwendig.Während sich Bakterien durch Teilung vermehren, sind Individuen in sexuell sich fortpflanzenden Arten auf einen Partner angewiesen. Bei manchen Arten werden unendlich viele männlichen Keimzellen einfach durch den Wind verbreitet, wie bei den Eichen, oder durch das Wasser, wie bei den Muscheln; Bestäubung oder Befruchtung sind dann mehr oder weniger zufällig. Normalerweise aber ist die Suche nach einem andersgeschlechtlichen Mitspieler mühsam, vor allem, wenn man zur Fortbewegung Löcher in die Erde gräbt. Regenwürmer haben daher im Laufe der Evolution eine originelle Fortpflanzungsstrategie erfunden: Sie sind Simultanzwitter. Sie besitzen eine männliche und eine weibliche Fortpflanzungsmaschinerie, die sowohl Samen als auch Eizellen produziert.
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Autoren-Porträt von Christian Göldenboog
Christian Göldenboog, Autor und Journalist, ist ein fundierter Kenner des Themas Biologie und schreibt seit mehr als zwölf Jahren darüber in der "Süddeutschen Zeitung" und in "Psychologie heute". Außerdem ist Christian Göldenboog ein ausgewiesener Champagner-Kenner.Bibliographische Angaben
- Autor: Christian Göldenboog
- 2006, 238 Seiten, Maße: 14 x 22 cm, Gebunden, Deutsch
- Verlag: DVA
- ISBN-10: 3421057842
- ISBN-13: 9783421057846
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