Wummelies wunderbare Welt - Die wahre Lüge
Wummelie freundet sich mit dem Landstreicher Anatole an. Er hat eine wunderbare Gabe: Mit seinen Pinseln und Maltöpfen lässt er die Welt in tausend Farben erstrahlen. Doch leider stellt Wummelie fest, dass Anatole es mit der Wahrheit nicht immer...
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Produktdetails
Produktinformationen zu „Wummelies wunderbare Welt - Die wahre Lüge “
Wummelie freundet sich mit dem Landstreicher Anatole an. Er hat eine wunderbare Gabe: Mit seinen Pinseln und Maltöpfen lässt er die Welt in tausend Farben erstrahlen. Doch leider stellt Wummelie fest, dass Anatole es mit der Wahrheit nicht immer so genau nimmt. Das bringt ihm ziemlich oft Ärger ein. Ganz besonders, als endlich sein Herzenswunsch in Erfüllung geht und er seine kleine Enkelin Alma wiederfindet. Die ist nämlich ganz schön enttäuscht darüber, dass man sie so lange angeflunkert hat. Mit Wummelies Hilfe versucht Anatole, Almas Vertrauen zurückzugewinnen. Und dabei kommt ihm seine besondere Gabe sehr gelegen ...
Klappentext zu „Wummelies wunderbare Welt - Die wahre Lüge “
Lügen haben kurze Beine. Aber manchmal können es auch sehr lange Beine sein. Das stellt Wummelie jedenfalls fest, als sie sich mit dem Landstreicher Picaro anfreundet. Denn der malt sich mitunter ziemlich verrückte Geschichten aus und hat sich damit ganz schön was eingebrockt: Seine Enkelin Alma denkt, er sein ein König und wartet gespannt darauf, dass er sie mit seiner goldenen Kutsche abholt. Kann das gut ausgehen?
Lese-Probe zu „Wummelies wunderbare Welt - Die wahre Lüge “
Wummelies wunderbare Welt von Sabine BohlmannLeseprobe
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Wir sind wie die Flusskäfer.
Sie schwimmen den Fluss entlang nach oben,
und wenn die Tage länger werden, wieder nach unten. Sie folgen dem Mond und richten sich nach den Sternen.
Auf den ersten Blick sind sie klein und unscheinbar,
aber wenn man genauer hinsieht,
leuchten sie in vielen verschiedenen Farben -
wie ein Regenbogen.
Noch eine Biegung und noch eine Biegung ... " Wummelie seufzte und lenkte das Hausboot
sacht in die eine und dann in die andere Richtung. Nun stand sie schon eine Stunde am Steuer und konzentrierte sich auf den Lauf des Flusses.
„Hast du mitgezählt, Hennilotte, wie viele es waren? Oder du, Vanille, hast du es dir gemerkt?"
Hennilotte, das Huhn, überlegte eine Weile. Doch zählen war noch nie Hühnerstärke gewesen. Es sei denn, es ging um die eigenen Eier, die man täglich legte. Eins gestern, eins heute und eins morgen. Und Vanille, die weiße schöne Ziege, antwortete Wummelie mit einem lauten „Määäääh", was so viel heißen sollte wie: mindestens Fünfzehn, wenn nicht sogar Zwölf!
Wummelie schüttelte ihre braunen verfilzten Haare. Sie hatte Hunger und wollte sich ausruhen, aber der Fluss mit seinen Biegungen machte es unmöglich, das Steuerrad aus den Augen zu lassen.
„Derjenige, der sich diesen Fluss hier ausgedacht hat, muss ein Spaßvogel gewesen sein", stellte sie kopfschüttelnd fest.
Vanille grinste, sie war die einzige Ziege, die das konnte. Und Hennilotte setzte sich gemütlich auf die Veranda des Hausbootes und schloss die Augen. Ihr war schon ganz schwindelig von den vielen Kurven. Hatte man eine hinter sich, war bereits die nächste Biegung in Sicht.
Rechts herum, links herum, rechts herum ^ wie auf einem Jahrmarkt.
„Kommt, lasst uns ein Liedchen singen! Dann werden wir diese Kurverei gar nicht mehr merken, und ich werde meinen Hunger nicht mehr spüren, und alles ist gut!" Das Mädchen holte tief Luft und wollte gerade ein Lied anstimmen, da spitzten alle drei die Ohren. Denn sie hörten eine andere Stimme ein Liedchen trällern:
„Und tun dir auch die Füße weh, vom kleinen bis zum großen Zeh, dann jammer nicht, schrei laut jucheeee, mir tun ja nur die Füße weh!"
Jetzt folgte eine kleine Melodie auf einer Mundharmonika, der sich die zweite Strophe anschloss:
„Und hast du Hunger und auch Durst, dann denk an eine Leberwurst, viel schlimmer wär's, du könnt'st nicht denkeeeen,
nicht einen Gedanken an Wurst verschwenden ..."
Wummelie, Hennilotte und Vanille erkannten nun auch den Sänger. Es war ein älterer Herr mit grauen Haaren, einem grauen Mantel, grauer Hose und grauen Schuhen. Alles an ihm war grau, bis auf seinen Hut. Der war grün. Richtig grün. Und an diesem Hut steckten viele lustige Dinge: zwei bunte Papierschirmchen, eine Plastikblume, eine Postkarte, kleine Visitenkarten, eine Anstecknadel mit einem Marienkäfer darauf und vieles mehr. Wummelie blickte den Mann, der stromabwärts am Ufer entlang ging, neugierig an. Auch Hennilotte spähte interessiert durchs Geländer. Vanille streckte ihren Kopf ebenfalls über die Brüstung, um besser sehen zu können. Jetzt schwamm das Hausboot auf gleicher Höhe mit dem Mann. Dieser hielt abrupt inne, und nun sah auch er neugierig zum Fluss und auf das, was dort neben ihm aufgetaucht war.
„Ich gebe zu", begann er, „ich habe schon bessere Texte gedichtet." Er blieb kurz stehen und mus terte das Hausboot. Es hatte einen wunderschönen Dachgarten, mit Pflanzen und Windspielen und einer Hängematte. Das Häuschen selbst hatte viele unterschiedlich große Fenster. Ein schiefes Ofenrohr ragte aus dem Haus und blies kleine weiße Wölkchen in den Himmel. So, als wolle das Boot eine Wolkenspur hinterlassen.
Aber weitaus interessanter war die Besatzung des Bootes: ein Huhn, eine Ziege und ein eigenartig aussehendes Mädchen. Barfuss stand es da. In seine
strubbeligen Filzhaare waren Perlen und Federn geflochten. Es hatte eine freche Stupsnase, begleitet von zwei großen runden Augen. Das Mädchen trug eine geflickte Hose, darüber ein Kleid und Ketten um Hals, Arme und sogar um ihr Fußgelenk.
Nun muss man wissen, dass dieser Mann schon viel seltsamere Zeitgenossen in seinem Leben gesehen hatte. Darum hielt er sich auch nicht weiter damit auf, sich zu wundern, sondern hob
seinen Hut kurz und elegant zum Gruß und nickte dem Mädchen zu.
„Ahoi! Wie geht's?"
„Gut", antwortete Wummelie. „Und selbst?"
„Meine Füße schmerzen, und in meinem Magen ist so viel Platz, da könnte es sich eine ganze Wurstfamilie gemütlich machen", rief der Mann Wummelie zu.
Wummelie kicherte. „Kann ich dich ein Stückchen mit nehmen? Du könntest mir doch Gesellschaft leisten, bei den vielen Kurven, die ich steuern muss. Und du könntest dich ausruhen. Vielleicht finde ich auch noch ein Eckchen Wurst, mit einer ganzen Wurst familie kann ich leider nicht dienen. Auf jeden Fall könnte ich dir einen Becher Ziegenmilch und ein wundervolles Ei anbieten."
Der alte Mann kratzte sich am Kopf und überlegte. „Weißt du", sagte er schließlich, nahm seinen Wanderstock und lächelte Wummelie freundlich an. „Schon meine Mutter hat immer gesagt: ‚Steig niemals zu Fremden auf ein Boot, auch wenn sie äußerst nett aussehen und Hühner und Ziegen haben!‘"
Jetzt lachte Wummelie laut auf. „Du hast Angst vor mir?"
Der Mann machte sich wieder daran, seinen Weg fortzusetzen. „Man kann nie vorsichtig genug sein!", erklärte er. Er hatte bereits die ersten Schritte flussabwärts gemacht. Das Hausboot trieb langsam auf dem Fluss, mit ihm auf gleicher Höhe.
Wummelie hielt das Steuer in beiden Händen und schielte zu dem Alten hinüber. „Ich bin Wummelie", stellte sie sich vor. „Das hier sind Hennilotte und Vanille. Hennilotte ist ein Kampfhuhn, und Vanille kann schon ungemütlich werden, wenn man sich danebenbenimmt. Aber normalerweise sind die beiden lammfromm und völlig ungefährlich. Ich gehöre zu der Sippe der Bootsmenschen und bin ebenfalls ungefährlich. Bootsmenschen sind so!"
Jetzt sah der alte Herr zu Wummelie hinüber und blieb für einen Augenblick stehen. „Ah, das schwimmende Volk!"
Wummelie nickte stolz. „Und du? Wie heißt du?"
„Mich nennt man Picaro!" Er zog erneut seinen Hut. Dann drehte er sich wieder um und ging weiter.
So fuhr Wummelie eine Zeit lang schweigend neben dem Alten her. „Wohnst du hier in der Nähe?", fragte sie ihn nach einer Weile. Sie war es nicht gewohnt, viele Fragen zu stellen. Normalerweise wollten die Leute alles von ihr wissen, und sie hatte nie Eile, alles über die anderen herauszufinden. Früher oder später erzählten die meisten Menschen ihr freiwillig alles, was sie wissen wollte.
„Ich wohne nirgends und überall. Ich bin ein Landstreicher!", antwortete Picaro.
„Aha, dann streichst du also durch das Land!" „Das auch!"
„Was denn sonst noch?"
„Na, ich streiche durch das Land und ich streiche das Land an!" Er griff in eine Tasche und holte einen langen Pinsel heraus.
Wummelie grinste. „Dann hast du das alles hier gemalt? Das Blau des Himmels, das Grün der Bäume, das Schwarz meiner dreckigen Füße?"
Picaro lachte, es war eher ein Kichern. Er kicherte mit hoher Stimme. Das hörte sich so lustig an, dass Wummelie mitlachen musste.
„Nicht ganz", sagte er schließlich. „Ich male hier und da, wenn es mir irgendwo zu farblos ist: eine graue Wand, ein grauer Asphaltweg ... ein graues Herz ... Den Himmel, die Bäume und deine schwarzen Füße, dafür war jemand anderer verantwortlich. Jemand, der sehr viel früher dran war als ich. Nur die kleinen grauen Stellen, die dieser jemand vergessen hat, die bemale ich!"
„Bei uns Bootsmenschen gibt es einen Geschichtenerzähler. Wenn er traurig ist und der Tag trüb, erzählt er auch graue Geschichten. Man kann sie sich in seinem Kopf nur schwarz- weiß vorstellen. Aber wenn es ein schöner Tag ist und der Geschichtenerzähler guter Dinge, kann er so farbenfroh erzählen, dass man es fast nicht aushält."
Picaro lächelte.
Und so verging eine weitere Stunde. Picaro ging Schritt für Schritt am Ufer entlang, und Wummelie fuhr mit dem Hausboot nebenher. Und mit jedem Schritt wurden sie sich vertrauter. Mit jeder Geschichte mehr hatten sie das Gefühl, sich schon lange zu kennen. Bis Wummelie plötzlich meinte: „Picaro?"
„Mhm?"
„Jetzt weißt du doch eine ganze Menge über mich, und ich weiß eine ganze Menge über dich. Wir sind uns also nicht mehr fremd. Ich bin nicht mehr nur ein Mädchen mit Huhn und Ziege, ich bin Wummelie mit Hennilotte und Vanille. Nun könntest du doch zu mir aufs Boot steigen und deinen Füßen Ruhe und deinem Magen ein kleines Eckchen Wurst gönnen, oder?"
„Mhm", machte der Alte noch einmal. „Von jemandem den Namen kennen heißt noch nicht viel! Und selbst wenn ich dir vertraue, woher willst du wissen, dass du mir vertrauen kannst?"
Wummelie überlegte. „Du hast Weihnachtsleuchteaugen", sagte sie dann.
„Ich habe was?" Der Alte blieb stehen und sah zu Wummelie hinüber.
„Alles an dir ist grau - außer deinem Hut natürlich ^ aber deine Augen leuchten wie bei Kindern an Weihnachten."
Jetzt lächelte der Alte.
Wummelie redete weiter: „Außerdem, hast du es schon vergessen? Meine Ziege kann echt unangenehm werden, und mein Huhn ..."
„... ist ein Kampfhuhn, richtig?", unterbrach Picaro das Mädchen.
Wummelie nickte.
Der Landstreicher betrachtete das Hausboot und seine Besatzung noch ein wenig, dann streckte er die Hände aus. „Wirf mir ein Seil rüber!", rief er Wummelie zu.
© 2010 Schneiderbuch verlegt durch EGMONT Verlagsgesellschaften mbH.
Wir sind wie die Flusskäfer.
Sie schwimmen den Fluss entlang nach oben,
und wenn die Tage länger werden, wieder nach unten. Sie folgen dem Mond und richten sich nach den Sternen.
Auf den ersten Blick sind sie klein und unscheinbar,
aber wenn man genauer hinsieht,
leuchten sie in vielen verschiedenen Farben -
wie ein Regenbogen.
Noch eine Biegung und noch eine Biegung ... " Wummelie seufzte und lenkte das Hausboot
sacht in die eine und dann in die andere Richtung. Nun stand sie schon eine Stunde am Steuer und konzentrierte sich auf den Lauf des Flusses.
„Hast du mitgezählt, Hennilotte, wie viele es waren? Oder du, Vanille, hast du es dir gemerkt?"
Hennilotte, das Huhn, überlegte eine Weile. Doch zählen war noch nie Hühnerstärke gewesen. Es sei denn, es ging um die eigenen Eier, die man täglich legte. Eins gestern, eins heute und eins morgen. Und Vanille, die weiße schöne Ziege, antwortete Wummelie mit einem lauten „Määäääh", was so viel heißen sollte wie: mindestens Fünfzehn, wenn nicht sogar Zwölf!
Wummelie schüttelte ihre braunen verfilzten Haare. Sie hatte Hunger und wollte sich ausruhen, aber der Fluss mit seinen Biegungen machte es unmöglich, das Steuerrad aus den Augen zu lassen.
„Derjenige, der sich diesen Fluss hier ausgedacht hat, muss ein Spaßvogel gewesen sein", stellte sie kopfschüttelnd fest.
Vanille grinste, sie war die einzige Ziege, die das konnte. Und Hennilotte setzte sich gemütlich auf die Veranda des Hausbootes und schloss die Augen. Ihr war schon ganz schwindelig von den vielen Kurven. Hatte man eine hinter sich, war bereits die nächste Biegung in Sicht.
Rechts herum, links herum, rechts herum ^ wie auf einem Jahrmarkt.
„Kommt, lasst uns ein Liedchen singen! Dann werden wir diese Kurverei gar nicht mehr merken, und ich werde meinen Hunger nicht mehr spüren, und alles ist gut!" Das Mädchen holte tief Luft und wollte gerade ein Lied anstimmen, da spitzten alle drei die Ohren. Denn sie hörten eine andere Stimme ein Liedchen trällern:
„Und tun dir auch die Füße weh, vom kleinen bis zum großen Zeh, dann jammer nicht, schrei laut jucheeee, mir tun ja nur die Füße weh!"
Jetzt folgte eine kleine Melodie auf einer Mundharmonika, der sich die zweite Strophe anschloss:
„Und hast du Hunger und auch Durst, dann denk an eine Leberwurst, viel schlimmer wär's, du könnt'st nicht denkeeeen,
nicht einen Gedanken an Wurst verschwenden ..."
Wummelie, Hennilotte und Vanille erkannten nun auch den Sänger. Es war ein älterer Herr mit grauen Haaren, einem grauen Mantel, grauer Hose und grauen Schuhen. Alles an ihm war grau, bis auf seinen Hut. Der war grün. Richtig grün. Und an diesem Hut steckten viele lustige Dinge: zwei bunte Papierschirmchen, eine Plastikblume, eine Postkarte, kleine Visitenkarten, eine Anstecknadel mit einem Marienkäfer darauf und vieles mehr. Wummelie blickte den Mann, der stromabwärts am Ufer entlang ging, neugierig an. Auch Hennilotte spähte interessiert durchs Geländer. Vanille streckte ihren Kopf ebenfalls über die Brüstung, um besser sehen zu können. Jetzt schwamm das Hausboot auf gleicher Höhe mit dem Mann. Dieser hielt abrupt inne, und nun sah auch er neugierig zum Fluss und auf das, was dort neben ihm aufgetaucht war.
„Ich gebe zu", begann er, „ich habe schon bessere Texte gedichtet." Er blieb kurz stehen und mus terte das Hausboot. Es hatte einen wunderschönen Dachgarten, mit Pflanzen und Windspielen und einer Hängematte. Das Häuschen selbst hatte viele unterschiedlich große Fenster. Ein schiefes Ofenrohr ragte aus dem Haus und blies kleine weiße Wölkchen in den Himmel. So, als wolle das Boot eine Wolkenspur hinterlassen.
Aber weitaus interessanter war die Besatzung des Bootes: ein Huhn, eine Ziege und ein eigenartig aussehendes Mädchen. Barfuss stand es da. In seine
strubbeligen Filzhaare waren Perlen und Federn geflochten. Es hatte eine freche Stupsnase, begleitet von zwei großen runden Augen. Das Mädchen trug eine geflickte Hose, darüber ein Kleid und Ketten um Hals, Arme und sogar um ihr Fußgelenk.
Nun muss man wissen, dass dieser Mann schon viel seltsamere Zeitgenossen in seinem Leben gesehen hatte. Darum hielt er sich auch nicht weiter damit auf, sich zu wundern, sondern hob
seinen Hut kurz und elegant zum Gruß und nickte dem Mädchen zu.
„Ahoi! Wie geht's?"
„Gut", antwortete Wummelie. „Und selbst?"
„Meine Füße schmerzen, und in meinem Magen ist so viel Platz, da könnte es sich eine ganze Wurstfamilie gemütlich machen", rief der Mann Wummelie zu.
Wummelie kicherte. „Kann ich dich ein Stückchen mit nehmen? Du könntest mir doch Gesellschaft leisten, bei den vielen Kurven, die ich steuern muss. Und du könntest dich ausruhen. Vielleicht finde ich auch noch ein Eckchen Wurst, mit einer ganzen Wurst familie kann ich leider nicht dienen. Auf jeden Fall könnte ich dir einen Becher Ziegenmilch und ein wundervolles Ei anbieten."
Der alte Mann kratzte sich am Kopf und überlegte. „Weißt du", sagte er schließlich, nahm seinen Wanderstock und lächelte Wummelie freundlich an. „Schon meine Mutter hat immer gesagt: ‚Steig niemals zu Fremden auf ein Boot, auch wenn sie äußerst nett aussehen und Hühner und Ziegen haben!‘"
Jetzt lachte Wummelie laut auf. „Du hast Angst vor mir?"
Der Mann machte sich wieder daran, seinen Weg fortzusetzen. „Man kann nie vorsichtig genug sein!", erklärte er. Er hatte bereits die ersten Schritte flussabwärts gemacht. Das Hausboot trieb langsam auf dem Fluss, mit ihm auf gleicher Höhe.
Wummelie hielt das Steuer in beiden Händen und schielte zu dem Alten hinüber. „Ich bin Wummelie", stellte sie sich vor. „Das hier sind Hennilotte und Vanille. Hennilotte ist ein Kampfhuhn, und Vanille kann schon ungemütlich werden, wenn man sich danebenbenimmt. Aber normalerweise sind die beiden lammfromm und völlig ungefährlich. Ich gehöre zu der Sippe der Bootsmenschen und bin ebenfalls ungefährlich. Bootsmenschen sind so!"
Jetzt sah der alte Herr zu Wummelie hinüber und blieb für einen Augenblick stehen. „Ah, das schwimmende Volk!"
Wummelie nickte stolz. „Und du? Wie heißt du?"
„Mich nennt man Picaro!" Er zog erneut seinen Hut. Dann drehte er sich wieder um und ging weiter.
So fuhr Wummelie eine Zeit lang schweigend neben dem Alten her. „Wohnst du hier in der Nähe?", fragte sie ihn nach einer Weile. Sie war es nicht gewohnt, viele Fragen zu stellen. Normalerweise wollten die Leute alles von ihr wissen, und sie hatte nie Eile, alles über die anderen herauszufinden. Früher oder später erzählten die meisten Menschen ihr freiwillig alles, was sie wissen wollte.
„Ich wohne nirgends und überall. Ich bin ein Landstreicher!", antwortete Picaro.
„Aha, dann streichst du also durch das Land!" „Das auch!"
„Was denn sonst noch?"
„Na, ich streiche durch das Land und ich streiche das Land an!" Er griff in eine Tasche und holte einen langen Pinsel heraus.
Wummelie grinste. „Dann hast du das alles hier gemalt? Das Blau des Himmels, das Grün der Bäume, das Schwarz meiner dreckigen Füße?"
Picaro lachte, es war eher ein Kichern. Er kicherte mit hoher Stimme. Das hörte sich so lustig an, dass Wummelie mitlachen musste.
„Nicht ganz", sagte er schließlich. „Ich male hier und da, wenn es mir irgendwo zu farblos ist: eine graue Wand, ein grauer Asphaltweg ... ein graues Herz ... Den Himmel, die Bäume und deine schwarzen Füße, dafür war jemand anderer verantwortlich. Jemand, der sehr viel früher dran war als ich. Nur die kleinen grauen Stellen, die dieser jemand vergessen hat, die bemale ich!"
„Bei uns Bootsmenschen gibt es einen Geschichtenerzähler. Wenn er traurig ist und der Tag trüb, erzählt er auch graue Geschichten. Man kann sie sich in seinem Kopf nur schwarz- weiß vorstellen. Aber wenn es ein schöner Tag ist und der Geschichtenerzähler guter Dinge, kann er so farbenfroh erzählen, dass man es fast nicht aushält."
Picaro lächelte.
Und so verging eine weitere Stunde. Picaro ging Schritt für Schritt am Ufer entlang, und Wummelie fuhr mit dem Hausboot nebenher. Und mit jedem Schritt wurden sie sich vertrauter. Mit jeder Geschichte mehr hatten sie das Gefühl, sich schon lange zu kennen. Bis Wummelie plötzlich meinte: „Picaro?"
„Mhm?"
„Jetzt weißt du doch eine ganze Menge über mich, und ich weiß eine ganze Menge über dich. Wir sind uns also nicht mehr fremd. Ich bin nicht mehr nur ein Mädchen mit Huhn und Ziege, ich bin Wummelie mit Hennilotte und Vanille. Nun könntest du doch zu mir aufs Boot steigen und deinen Füßen Ruhe und deinem Magen ein kleines Eckchen Wurst gönnen, oder?"
„Mhm", machte der Alte noch einmal. „Von jemandem den Namen kennen heißt noch nicht viel! Und selbst wenn ich dir vertraue, woher willst du wissen, dass du mir vertrauen kannst?"
Wummelie überlegte. „Du hast Weihnachtsleuchteaugen", sagte sie dann.
„Ich habe was?" Der Alte blieb stehen und sah zu Wummelie hinüber.
„Alles an dir ist grau - außer deinem Hut natürlich ^ aber deine Augen leuchten wie bei Kindern an Weihnachten."
Jetzt lächelte der Alte.
Wummelie redete weiter: „Außerdem, hast du es schon vergessen? Meine Ziege kann echt unangenehm werden, und mein Huhn ..."
„... ist ein Kampfhuhn, richtig?", unterbrach Picaro das Mädchen.
Wummelie nickte.
Der Landstreicher betrachtete das Hausboot und seine Besatzung noch ein wenig, dann streckte er die Hände aus. „Wirf mir ein Seil rüber!", rief er Wummelie zu.
© 2010 Schneiderbuch verlegt durch EGMONT Verlagsgesellschaften mbH.
... weniger
Autoren-Porträt von Sabine Bohlmann
Sabine Bohlmann hat nach ihrer Schauspielausbildung in diversen TV-Filmen und Serien (u. a. Marienhof) mitgespielt sowie als Synchronsprecherin gearbeitet. So leiht sie u. a. Lisa Simpson und Vanessa Paradis ihre Stimme. Seit 2004 ist sie auch als erfolgreiche Autorin von Ratgebern, Kinderbüchern und Musik-CDs für Kinder tätig.
Bibliographische Angaben
- Autor: Sabine Bohlmann
- Altersempfehlung: 9 - 11 Jahre
- 2010, 172 Seiten, mit Abbildungen, Maße: 15 x 21,5 cm, Gebunden, Deutsch
- Verlag: Schneiderbuch
- ISBN-10: 3505127450
- ISBN-13: 9783505127458
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