Zeit der Freundschaft
Bewegend, romantisch und voller Fantasie: ein ''Pageturner'' vom Feinsten.
Jack und Will sind höchst ungleiche Brüder, doch eines haben sie gemeinsam: Beide lieben die eigenwillige Nachbarstochter Julia.
Als der Zweite Weltkrieg hereinbricht,...
Bewegend, romantisch und voller Fantasie: ein ''Pageturner'' vom Feinsten.
Jack und Will sind höchst ungleiche Brüder, doch eines haben sie gemeinsam: Beide lieben die eigenwillige Nachbarstochter Julia.
Als der Zweite Weltkrieg hereinbricht, durchkreuzt er die Lebenspläne der drei und zerstört Träume, die zum Greifen nah schienen. Sie verlieren die Unbeschwertheit der Jugend, doch die Sehnsucht nach Liebe und Glück gibt ihnen neue Kraft.
Die beiden ungleichen Brüder Jack und Will, die beide in die dickköpfige Nachbarstochter Julia verliebt sind, ihre naive Cousine Topaz, die mit Männern so gar kein Glück zu haben scheint, und der unbestechliche Marius: Mitreißend und voller Leidenschaft erzählt Judith Lennox von einer Clique im Umbruch - fünf junge Menschen im England der Nachkriegszeit, die ihrer Jugend beraubt werden und doch ihre Sehnsüchte nie verraten.
"Eine atmosphärische und dichte Familiengeschichte. Von Anfang bis zu Ende fiebern die Leser mit, wenn es um Liebe, Freundschaft, Haß und Verlust geht." Radio Galaxy
Bewegende Frauenschicksale, viel Atmosphäre und Zeitkolorit: Ihre Romane »Das Winterhaus« und »Die Mädchen mit den dunklen Augen« machten Judith Lennox berühmt. Seitdem verzaubert sie ihre LeserInnen mit jedem neuen Roman und ist regelmäßig in den Spiegel-Bestsellerlisten zu finden.
Zeit derFreundschaft von Judith Lennox
LESEPROBE
»Ach, Topaz! DeineMütze! Sie wird doch voller Ruß!«
Topaz zog Kopf und Oberkörper ins Eisenbahnabteil zurück.Aber sie setzte sich nicht, sondern blieb mit aufgestützten Händen am offenenFenster stehen und sah, während die Lokomotive schnaubend und mitgelegentlichem schrillem Pfeifen ihre Bahn zog, in die vorüberfliegendeLandschaft hinaus - Dorset mit seinen sanftgewellten Hügeln, schmalenWasserläufen und kurzen, verlockenden Blicken auf das hell funkelnde Meer.
Manches, was sie sah, war ihr vertraut, vieles aber schienihr fremd, und sie fragte sich, ob sich die Gegend sosehr verändert oder sieselbst einfach vergessen hatte. Seit ihrem letzten Besuch bei denChancellor-Vettern waren ja immerhin sieben Jahre vergangen. Sie war zehngewesen, als sie Jack und Will im Sommer des Jahres 1939 das letzte Mal aufWiedersehen gesagt hatte. Ein kleinesKind!
Natürlich hatte der Krieg seine Spuren hinterlassen. Wiesen,die von alters her immer nur Wiesen gewesen waren, waren umgepflügt worden, umzum Anbau von Weizen oder Kartoffeln genutzt zu werden, und die Häuser, mitabblätterndem Anstrich und klaffenden Löchern in den Dächern, wo dieDachschindeln fehlten, wirkten verwahrlost. Flakstellungen hoben sich grau vongoldgelben Stoppelfeldern ab, Panzerfallen aus Beton standen finster wiedrohende Riesen an gewundenen Landstraßen.
»Mach bitte dasFenster zu, Topaz«, sagte ihre Mutter. »Der Schmutz ist ja entsetzlich.«Veronica Brooke schnippte ein Stäubchen von ihrer blaßlila Leinenjacke undmusterte im Spiegel ihrer Puderdose prüfend ihr schönes Gesicht. »Und kämm dirmal die Haare.«
Topaz schob das Fenster hoch und schaute in den Spiegel. IhrHaar, eine buschige dunkelrote Mähne, sah ihrer Meinung nach nicht schlimmer ausals sonst, aber sie tat ihrer Mutter den Gefallen, nahm die Baskenmütze ab undzog ein paarmal den Kamm durch das Lockengewirr. Sie hatte Schmetterlinge imBauch vor Aufregung und Erwartungsfreude, darum fiel es ihr schwerstillzusitzen, wie ihre Mutter es von ihr wünschte. Vor dem Krieg waren sieregelmäßig jeden Sommer für vierzehn Tage bei den Chancellor-Vettern zu Besuchgewesen, und diese Besuche stachen strahlend wie Glaskugeln an einerHolzperlenkette aus ihren Erinnerungen hervor.
Der Zug verlangsamte die Fahrt, als er sich dem Bahnhofnäherte. Weit entfernt konnte Topaz in der Mulde des Tals flüchtig das graue,von Bäumen beschattete Dach von Missencourt erkennen. Dann bemerkte sieplötzlich das Auto, das auf der schmalen Landstraße parallel zur Eisenbahnliniedahinschoß, und stürzte mit lautem Freudengeschrei in den Korridor hinaus.
»Will!« schrie sie aus Leibeskräften, nachdem sie hastig einFenster heruntergeschoben hatte. »Will!«
Vom Fahrersitz des Wagens aus erwiderte Will Chancellor ihrWinken, und während der Zug weiter an Tempo verlor, stürmte Topaz, über Kofferund Taschen setzend und sich zwischen stehenden Passagieren, Kinderwagen undHunden hindurchdrängend, unaufhaltsam nach vorn, um mit dem Auto auf gleicherHöhe zu bleiben.
Die Stimme ihrer Mutter folgte ihr durch die Waggons. »Aber Topaz!«
Der Zug fuhr in den kleinen Bahnhof ein. Sobald erangehalten hatte, stieß Topaz die Tür auf und warf sich Will in die Arme.
»Du bist aber gewachsen!« Er lachte sie an, und in seinenWorten schwang keine Spur der Enttäuschung und der Kritik mit, die dieser Tageso häufig mit ebenjener Bemerkung zum Ausdruck gebracht wurden.
Will, zweiundzwanzig Jahre alt, war der jüngere ihrer beidenVettern. Auch er hatte sich verändert: Aus dem Will ihrer Erinnerung - einemschlaksigen Schuljungen mit Brille, der das Herz auf der Zunge trug - war einhochgewachsener junger Mann geworden, dessen Züge sich auf eine Weise geformtund gefestigt zu haben schienen, wie das bei ihrem eigenen runden Gesichtbisher nicht gelungen war. Topaz war überzeugt, daß sie diesen Moment bis ansEnde ihres Lebens im Gedächtnis behalten würde: die Freude darüber, nach solanger Abwesenheit endlich wieder an dem Ort und mit den Menschenzusammenzusein, die ihr die liebsten auf der Welt waren.
Der Gepäckträger nahm Veronica Brooke ihre Koffer ab.
»Hallo, Tante Veronica«, sagte Will. »Wie schön, dich zusehen.« Er gab ihr einen Kuß auf die Wange. »Ich hoffe, die Fahrt war nichtallzu unangenehm.«
»Nur einErster-Klasse-Wagen.« Veronica rümpfte verächtlich die Nase.
Will lud mit Hilfe des Trägers das Gepäck in den AustinSeven. Mrs. Brooke setzte sich vorn neben Will, und Topaz stieg hinten ein.
»Wie geht es Tante Prudence?« fragte sie, als Will losfuhr.»Und Onkel John? Und den Jungs - sind sie immer noch solche Nervensägen?«
»Mama geht es gut. Und Papa auch. Und die Jungs sindnatürlich immer noch die gleichen Nervensägen; dazu sind sie ja da - einem dasLeben schwerzumachen.« Wills Vater war Leiter eines Jungeninternats.
»Und Jack? Ist er schon wieder zu Hause?« Wills ältererBruder Jack war Soldat.
»Er kommt nächste Woche. Er hat uns ein Telegrammgeschickt.«
»Da ist Tante Prudence bestimmt überglücklich. Er war jaewig weg, nicht?«
»Ja, vier Jahre. Mama ist fest entschlossen, zur Feierseiner Heimkehr ein Riesenfest zu veranstalten. Sie hat vor, sämtlicheVerwandte dazu einzuladen.« Will verdrehte die Augen.
Topaz sah Will und Jack vor sich, wie sie als Jungen gewesenwaren, zwei Brüder wie Tag und Nacht: Will, der jüngere, zart und blond;dunkler und ruhig der ältere Jack. Will hatte ihr während ihres Exils im LakeDistrict, dem Seengebiet im Nordwesten, ab und zu geschrieben (hastiggekritzelte Briefe voller Tintenflecken); von Jack, der im Frühjahr 1942 mitdem Pionierkorps nach Nordafrika geschickt worden und seither nicht wieder inEngland gewesen war, hatte sie nichts gehört. Aber Jack, sagte sie sich, war jaauch immer in erster Linie mit Julia befreundet gewesen.
Sie hatten das Schulhaus erreicht. Die vordere Haustür standoffen. Topaz winkte und warf Handküsse, als Prudence Chancellor herauskam.
Nach dem Mittagessen gingen Topaz und Will zu Fuß vomSchulhaus nach Missencourt, so hieß der Besitz, auf dem die Familie Temperleylebte. Marius und Julia Temperley waren die besten Freunde der beidenChancellor-Brüder, und Topaz schönste Erinnerungen an ihre Aufenthalte inDorset schlossen unweigerlich die Temperleys ein.
Redend versuchten sie, die Trennung von sieben Jahren zuüberbrücken.
»War das eigentlich schlimm für dich, Will?« erkundigte sichTopaz. »Ich meine, daß du beim Militär nicht genommen worden bist?«
Will schob seine Brille etwas höher und antwortete mit einemSchulterzucken: »Mich hats an den Sportunterricht in der Schule erinnert - dahab ich auch immer nur am Spielfeldrand gestanden und zugeschaut. Natürlichhabe ich mich ausgeschlossen gefühlt, schon deshalb weil Jack und Marius beidean der Front waren.«
Topaz hatte die Kriegsjahre mit ihrer Mutter zusammen ineinem Hotel im Lake District verbracht. Das Hotel war schlecht geheizt undungemütlich gewesen und schien in einer Welt zu existieren, die nichts mit dergemein hatte, von der in den Rundfunknachrichten berichtet wurde.
»Und den Lehrer zu spielen ...«, fuhr Will fort. »Na,heldenhaft war das weiß Gott nicht.« Die letzten drei Jahre hatte Will an derSchule seines Vaters, wo zahlreiche Lehrer wegen Einberufung fehlten,aushilfsweise Latein und Physik unterrichtet.
»Hats dir keinen Spaß gemacht?«
Er schnitt eine Grimasse. »Ich hab die Tage bis zu denFerien gezählt. Genau wie früher, als ich noch selbst zur Schule gegangen bin.«
»Machst du jetzt weiter?«
»Das glaube ich nicht. Ich bin kein guter Lehrer, wenn ichehrlich sein soll. Die haben mich nur Vaters wegen behalten und weil sieniemand Besseren finden konnten. Bei uns war immer schon Jack der Intelligente,das weißt du doch. Im übrigen sind mittlerweile die meisten Lehrer wieder da.Und selbst wenn ich es nicht so gräßlich fände, da vorn vor der Klasse zustehen, würde ich hier ganz bestimmt nicht bleiben wollen - an der Schule, diemein Vater leitet, und im Haus meiner Eltern. Ich möchte etwas tun, was mehr -mehr mir selbst entspricht.«
»Wie meinst du das?«
»Ich muß ihnen zeigen, daß ich selbst etwas auf die Beinestellen kann.«
Noch immer, fiel Topaz auf, lagen diese bläulichen Schattenunter Wills Augen, und sie fragte neugierig: »Ist es wirklich wahr, daß deinHerz Geräusche macht?«
Eine Erkrankung an rheumatischem Fieber, als er fünf Jahrealt gewesen war, hatte Wills Herz geschädigt. »Ich hab keine Ahnung«,antwortete er. »Ich hab es noch nie abgehört.«
»Darf ich mal?«
Will blieb stehen, und Topaz drückte aufmerksam lauschendihr Ohr an seine linke Brustseite. Dann richtete sie sich wieder auf. »Ich weißeigentlich gar nicht, wie ein Herz richtig klingen muß.«
Sie standen im Gras am Straßenrand, als ein Autovorbeibrauste. »1934er Riley MPH«, sagte Will bewundernd, während er dem Wagennachblickte, bis er hinter einer Kurve verschwand. »Ein tolles Auto. Von demsind überhaupt nur zwanzig hergestellt worden. Irre Beschleunigung.«
Topaz sah plötzlich einen viel jüngeren Will vor sich, derihr mit tintenblauen Fingern stolz seine Liste von Autokennzeichen zeigte. Siehakte sich bei ihm ein, als sie weitergingen.
»Ich hab im Krieg oft an euch gedacht«, erzählte sie. »Andich und Jack und Julia und Marius. Immer wenn ich alles so richtig satt hatte,hab ich mir diesen Weg vom Schulhaus nach Missencourt vorgestellt. Und jetztbin ich endlich wieder hier!« Sie reckte den Hals, um hinter den Bäumen dasHaus der Temperleys sehen zu können. »Und wenn Jack nächste Woche heimkommt«,fuhr sie fort, »ist alles wieder wie früher.«
»Glaubst du das wirklich?«
»Du nicht?«
»Na ja, damals waren wir doch noch Kinder! Inzwischen hatsich viel verändert.«
»Aber man empfindetdoch noch wie vorher, oder nicht?«
Will antwortete nicht.
»Du hast Jack bestimmt furchtbar vermißt«, fügte Topazhinzu, aber gleichzeitig fiel ihr mit aller Lebhaftigkeit ein Zwischenfall ein,der Jahre zurücklag: Jack und Will hatten eine Münze geworfen, um zuentscheiden, wer mit Julia zusammen auf einem Pferd reiten dürfe. Sie erinnertesich an Jacks zornigen Blick und an das Blitzen des Triumphs in Willskornblumenblauen Augen, als er gewonnen hatte.
»Da ist Julia«, sagte Will lächelnd.
Sie kam ihnen auf dem Fahrrad entgegengesaust. Am Fuß desHügels sprang sie ab. »So spät! Ich hab schon gedacht, du kommst gar nicht.«Sie warf beide Arme um Topaz. »Ich hatte genug von der Warterei, drum hab ichmich aufs Fahrradgesetzt.« Sie trat einen Schritt zurück und betrachtete Topazaufmerksam.
»Na komm, sags schon«, forderte Topaz sie in resigniertemTon auf. »Ich bin gewachsen.«
»Das kann man wohl sagen. Du hast schon einen richtigenBusen.«
»Julia -«, sagteWill peinlich berührt.
»Na, es stimmt doch! Sie hat mehr als ich.« Julia hatte eineweiße Baumwollbluse an und dazu eine beigefarbene lange Hose. Das braune Haarhing ihr in einem zerzausten Pferdeschwanz den Rücken hinunter. Sie war großund schlank, mit langen, dünnen Gliedern und einem schmalen, aristokratischwirkenden Gesicht, in dem die großen, tiefliegenden grauen Augen auffielen.Topaz fand immer, daß Julias Aussehen überhaupt nicht zu ihrem Wesen paßte;ihre noble Schönheit schien von ihrem hitzigen Temperament und ihrer bisweilenfatalen Impulsivität nichts zu wissen.
»Also, wenn dus genau wissen willst, ein Busen ist nurlästig«, erklärte Topaz. »Dauernd ist er einem im Weg. Und wenn ich renne,wabbelt er.«
Sobald sie um die Ecke bogen, kam Missencourt in Sicht.Harmonisch fügte sich der elegante, rechteckige Bau aus hellem Naturstein, andem wilder Wein in die Höhe wuchs, in die grüne Kulisse von Wald und Tal. Vomhinteren Teil des Hauses gelangte man durch hohe Flügeltüren auf einegepflasterte Terrasse, an die sich weite Rasenflächen anschlossen. Dieschlanken Zypressen, die den Park umgrenzten, warfen dunkle Schatten aufs Gras,und auf dem glatten Wasser des kreisrunden Weihers in der Mitte des Rasensschwammen Seerosen. Topaz erinnerte sich der Goldfische im Teich, goldeneLichter in dunkelgrünen Tiefen.
Aber sogar Missencourt hatte Veränderungen hinnehmen müssen.Zwar schien am Haus selbst die Zeit spurlos vorübergegangen zu sein, doch Teileder großen Rasenflächen hatte man umgegraben, um Gemüsebeete anzulegen, wieTopaz sah, und so wuchsen dort jetzt anstelle des samtig weichen Grases ihrerErinnerung graugrüner Kohl und das lindgrüne Gefieder von Karotten.
»Mama ist nicht da«, sagte Julia. »Aber Marius ist imArbeitszimmer. Geh doch rein und sag ihm guten Tag, Topaz. Er kanns kaumerwarten, dich zu sehen.«
© Piper Verlag
Übersetzung: Mechtild Sandberg
Autoren-Porträt von Judith Lennox
JudithLennox , 1953 in Salisbury geboren, wuchs in Hampshire auf. Mit ihrem Roman»Das Winterhaus« gelang ihr ein großer Erfolg, an den sie u.a. mit »Die Mädchenmit den dunklen Augen«, »Die geheimen Jahre« und »Zeit der Freundschaft«anknüpfte. Judith Lennox lebt mit ihrer Familie in der Nähe von Cambridge undin einem Cottage in Sheffield. Sie liebt Gärtnern und Wandern, alte Häuser undhistorische Stätten.
Interview mitJudith Lennox
Wenn Siesich jemandem, der Sie und Ihre Bücher nicht kennt, vorstellen sollten: Wiewürden Sie sich charakterisieren, als Persönlichkeit ebenso wie als Autorin?
Als Person: Ich genieße es, allein zu sein - wasfür eine Schriftstellerin natürlich auch notwendig ist. Aber natürlich bin ichauch sehr gerne mit anderen Menschen zusammen. Meine Familie - d.h. mein Mannund meine drei Söhne, Geschwister, Nichten und Neffen - hat immer Priorität.Ich hasse es, wenn ich mich aus irgendeinem Grund zu lange drinnen aufhaltenmuss, und ich liebe die Landschaft in England. Nach einem Arbeitstag sehne ichmich nach einem Spaziergang an der frischen Luft. Ich gehe gerne ins Kino, insTheater, ins Ballett oder ins Konzert, und natürlich lese ich für mein Lebengerne. Ich würde einen netten Abend mit guten Freunden jederzeit einer großenParty vorziehen. Ich interessiere mich für andere Menschen und dafür, wie sie"funktionieren", was sie in Schwung hält.
Als Autorin fasziniert mich Geschichte, dieVergangenheit. Am interessantesten finde ich, wie historische und politischeEreignisse auf das Leben einzelner Personen Einfluss nehmen. Es istaufschlussreich zu beobachten, was Menschen zu bestimmten Handlungen veranlasstund wie sie reagieren, wenn plötzlich ein Ereignis, auf das sie keinen Einflusshaben, ihr Leben völlig umkrempelt. Ich schreibe gerne über die Suche nachLiebe. Damit meine ich nicht nur die Liebe zwischen Mann und Frau, sondern auchdie Liebe zwischen Eltern und ihren Kindern, zwischen Geschwistern und zwischenFreunden. Ein anderes Thema, das mich beschäftigt, ist Selbstfindung. Für meineweiblichen Hauptpersonen gestaltet sich die Suche nach dem eigenen Ich manchmalbesonders schwer, da die Bedürfnisse ihrer Mitmenschen mitunter wichtigerscheinen als ihre persönlichen Sehnsüchte und Ziele.
Es war eine logische Konsequenz, dass ich meineersten Romane im 16. und 17. Jahrhundert ansiedelte. Ich hatte an derUniversität viel über diese Zeit gelernt und war deshalb einfach damit vertraut.Nachdem ich vier Romane geschrieben hatte, bekam ich das Gefühl, dass michdiese Epoche langsam einschränkte. Man gelangt irgendwann an seine Grenzen,wenn man die Frauen von damals historisch korrekt darstellen möchte. Eine Frau,die im 16. Jahrhundert lebte, hatte eben nur sehr begrenzte Möglichkeiten, sichberuflich zu verwirklichen. Auch die Wahl des Ehemanns wurde durch zahlreicheFaktoren beeinflusst. Eines der großen Themen des 20. Jahrhunderts war dergrundlegende Wandel in Bezug auf die Rolle der Frau und ihre Möglichkeiten,sich selbst zu verwirklichen. Darüber wollte ich schreiben. Es ist zudem leichter,Personen zu ergründen, die unserer Zeit näher sind, da die Unterschiede inReligion, Sprache und Denkweise nicht so grundlegend sind. Darüber hinaus wares mir wichtig, die Geschichte des 20. Jahrhunderts zu verstehen, da diese unsereheutige Zeit so stark prägt.
Ihnengelingt in "Die geheimen Jahre" eine atmosphärisch dichte Schilderungder Zeit des Ersten Weltkrieges und der 20er Jahre. Woher haben Sie IhrWissen über diese Zeit?
Ich recherchiere natürlich sehr viel, bevor ichmit dem Schreiben beginne. Zuerst mache ich mich mit den bedeutendstenEreignissen der Epoche vertraut. Für "Die geheimen Jahre" waren dasder Erste Weltkrieg und die Ereignisse der Zwanziger Jahre. Ich habe sehr vielüber Sozialgeschichte gelesen. Bevor ich eine Geschichte schreiben kann, mussich genau wissen, welche Kleidung die entsprechenden Personen trugen, welcheMöbel sie hatten, womit sie ihre Zeit verbrachten etc. Ich besuche allerelevanten Museen, herrschaftlichen Anwesen und Schlösser. Mittlerweilerecherchiere ich zunehmend im Internet. Als ich "Die geheimen Jahre"schrieb, stand mir diese Möglichkeit allerdings noch nicht zur Verfügung.Autobiografien und mündliche Überlieferungen aus der Zeit sind vonunschätzbarem Wert. Ich beginne nie mit meinem Text, bevor ich die Zeit, überdie ich schreiben möchte, ganz deutlich vor Augen habe.
Siestudierten Englisch, arbeiteten später unter anderem als Pianistin in einerBallettschule. Gab es für Sie einen speziellen Anlass, sich ab Mitte der 80erJahre ganz der Arbeit als Schriftstellerin zu widmen? Haben Sie vielleichtvorher schon geschrieben?
Ich spielte Klavier in einer Ballettschule,nachdem mein erster Sohn geboren wurde. Nach der Geburt meines zweiten Sohneszogen wir um nach Cambridge. Dort begann ich Gedichte, kleinere Geschichten undTheaterstücke zu schreiben. Schreiben hat mir immer großen Spaß gemacht. Alsowollte ich versuchen, dieses Hobby zum Beruf zu machen. Damals ging meindritter Sohn gerade in den Kindergarten, und so hatte ich einige Stunden desTages ganz für mich. Ich begann, meinen ersten Roman zu schreiben. Es war eingroßartiger Tag für mich, als dieses Buch schließlich veröffentlicht wurde.
Wenn Sieeinen Roman schreiben, haben Sie dann auch Ihre Leser vor Augen oderkonzentrieren Sie sich ganz auf das Schreiben als solches?
Im Großen und Ganzen konzentriere ich mich eherauf die Geschichte an sich - ich muss mich darin verlieren, alles um mich herumausblenden können und möglichst fließend schreiben. Darüber hinaus behalte ichaber auch den Leser im Hinterkopf. Es ist unerlässlich, dass die Geschichtemeinen Lesern gefällt und sie fesselt. Ich hoffe immer, dass sie meineFaszination für die Vergangenheit bis zu einem gewissen Grad teilen. BeimSchreiben muss ich jedoch vorerst mit meinem eigenen Urteilsvermögen auskommen- ich bin meine erste Leserin und Kritikerin.
Die Fragen stellte RolandGroße Holtforth, literaturtest.de.
- Autor: Judith Lennox
- 2004, 10. Aufl., 576 Seiten, Maße: 12 x 19 cm, Taschenbuch, Deutsch
- Übersetzer: Mechtild Ciletti
- Verlag: Piper
- ISBN-10: 3492242499
- ISBN-13: 9783492242493
- Erscheinungsdatum: 01.10.2004
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