Zimtküsse
Zwei halbe Herzen ergeben ein ganzes
Mit einem neuen Pickel auf der Nase fängt alles an, dann trennen sich Sahras Eltern, und die beste Freundin schnappt sich Sahras heimlichen Schwarm. Wer braucht denn so was? Sahra flieht in die offenen Arme ihrer...
Mit einem neuen Pickel auf der Nase fängt alles an, dann trennen sich Sahras Eltern, und die beste Freundin schnappt sich Sahras heimlichen Schwarm. Wer braucht denn so was? Sahra flieht in die offenen Arme ihrer...
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Produktdetails
Produktinformationen zu „Zimtküsse “
Klappentext zu „Zimtküsse “
Zwei halbe Herzen ergeben ein ganzesMit einem neuen Pickel auf der Nase fängt alles an, dann trennen sich Sahras Eltern, und die beste Freundin schnappt sich Sahras heimlichen Schwarm. Wer braucht denn so was? Sahra flieht in die offenen Arme ihrer geliebten Oma in Istanbul. Aber da ahnt sie noch nicht, dass der fünfzehnjährige Tiago, der neu an ihrer Schule ist, verdammt gut küssen kann ...
Eine berührende Geschichte über das Erwachsenenwerden, das Leben auf zwei Kontinenten und die Liebe.
Lese-Probe zu „Zimtküsse “
Zimtküsse von Deniz Selek1. Kapitel
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Wieder nicht geschafft. Seufzend stelle ich den Wecker aus und kuschele mich in meine Decke. Fünf Minuten habe ich noch, bis mich Ma zum Frühstück holt. Gerade genug Zeit, meinen Albtraum zu verdauen. Ich werde ihn einfach nicht los. Er kommt immer wieder und immer habe ich schreckliche Angst. Dabei passiert gar nicht viel. Mein Freund Koray und ich liegen unter einem Sofa. Wir starren auf die Schuhe einer Frau vor uns, kriechen hervor, springen auf und versuchen zu fliehen. Eigentlich will ich ihr entgegentreten und sehen, wer mir solche Angst macht, aber ich schaffe es nicht. Jedes Mal renne ich weg. Dann stehe ich draußen, vor dem kleinen Haus, und höre sein Wimmern. Das ist das Schlimmste. Er kann sich nicht wehren, und ich kann ihm nicht helfen. Wir sind noch klein, gehen nicht mal zur Schule.
Schule! Heute schreiben wir einen Vokabeltest, und ich habe kein bisschen gelernt. Völlig vergessen, weil ich gestern so lange mit Katta telefoniert habe. Weil Katta jetzt auch in Karl verliebt ist. Passt überhaupt nicht. Katta und Karl. Kaka.
Leider sind alle in Karl verliebt. Sogar zwei aus der Zehnten, einen Jahrgang über uns. Weil der so süße blonde Strubbelhaare und dazu braune Augen hat. Das hat sonst keiner. Blonde haben meistens blaue oder grüne Augen, aber Karl hat dunkelbraune mit langen schwarzen Wimpern.
Ich hole das Heft aus meiner Tasche und lege mich wieder ins Bett. Die Worte rutschen an mir vorbei. Stattdessen denke ich daran, dass mit meiner besten Freundin jetzt noch ein Mädchen mehr in Karl verliebt ist.
Als wären es nicht sowieso schon genug. Es hat mich gestört, dass er sie beim Kletterkurs gesichert hat. Dass er sie danach abgeklatscht und ihr ein ›super!‹ zugerufen hat. Dass sie zum ersten Mal den Überhang geschafft hat, weil er ihr von unten zusah.
Katta heißt eigentlich Katharina und kann einfach alles. Klettern, Skaten, Ballett, Einradfahren und sonst was.
Noch nie auf einem Pferd gesessen und schon reitet sie bei uns Fortgeschrittenen. Ich hab dafür ein Jahr gebraucht, sie kommt aus Spaß mit, und unser Reitlehrer ist so begeistert, dass er sie überredet, jede Woche zu kommen. Es ist nicht so, dass Katta damit angibt. Sie gibt nie an. Und sie ist keine Tussi. Ihr ist es egal, ob die Hose zur Jacke passt oder die Stiefel zum Schal. Oder was für Marken sie trägt. Diese Mischung mögen die Jungs. Sie zieht sich einfach irgendwie an und fertig. Ihr steht das. Wenn ich das mache, fühle ich mich wie eine Vogelscheuche.
Katta und ich sind seit dem Kindergarten befreundet, und ich habe sie immer bewundert, aber in der letzten Zeit geht sie mir auf die Nerven. Besonders wegen Karl.
Schließlich fand ich ihn zuerst gut, und sie weiß das ganz genau. Letzte Woche hat er mir in der Schulkantine die Tür aufgehalten und ein bisschen gelächelt. Katta ging hinter mir, und nach dieser Klettersache weiß ich überhaupt nicht mehr, ob er mir oder ihr die Tür aufgehalten hat. Ob er sie oder mich angelächelt hat.
Ich klappe das Heft zu. Hat keinen Zweck, und außerdem bin ich schon spät dran. Frühstück kann ich vergessen. Komisch, dass meine Ma gar nicht gekommen ist.
Ich schlurfe ins Bad und spritze mir kaltes Wasser ins Gesicht. Betrachte mich im Spiegel. Meine grünen Augen sehen im blassen Gesicht klein und wässrig aus. Verschlafen und trübe. An der Stirn sind meine hellbraunen Haare nass geworden und wellen sich ein bisschen. Sieht nett aus.
Dafür ist am rechten Nasenflügel ein roter Huckel, der weh tut. Der nächste Pickel. Katta hat nie Pickel, obwohl sie schon fünfzehn ist. Ich bin vierzehn und habe jede Woche einen neuen. Ungerecht, einfach nur ungerecht.
Was sollte Karl schon von einer Verpickelten wollen, wenn er die tolle Katta ohne Pickel haben kann?
Ich werde richtig wütend. Dafür hat sie hässliche Füße, denke ich. Ihre Zehen sind lang und dünn und krumm und schief.
Gerade als ich beschließe, mich heute in der Schule neben Geli zu setzen, höre ich laute Stimmen aus dem Schlafzimmer meiner Eltern. Erschrocken öffne ich die Tür und lausche.
»Eva, was soll das?!«, schreit mein Vater. »Spinnst du jetzt, oder was?«
Ich höre, wie er polternd im Zimmer auf und ab geht. Irgendetwas fällt herunter.
»Ich fasse es nicht! Ich fasse es einfach nicht!«
Meine Mutter gibt keine Antwort. Eine kurze Weile bleibt es still. Mein Vater spricht laut, schreit aber nicht mehr.
»Kannst du nicht eine Freundin haben, wie jede andere Frau auch?«
Meine Mutter sagt etwas, aber so leise, dass ich nichts verstehe. Die Tür wird aufgerissen. Mit zornigem Gesicht stürmt mein Vater an mir vorbei.
»Baba? Guten Morgen, Baba!«
Er dreht sich nicht einmal um.
»Morgen! Ich muss los!« Und weg ist er.
Verwirrt stehe ich da. Barfüßig festgewachsen auf den eisigen Fliesen. Die Kälte macht meine Fußsohlen taub. Langsam drehe ich meinen Kopf zur Schlafzimmertür. Sehe meine Mutter weinend auf dem Bett sitzen. Mit einer Hand die Tränen wegwischen, die unter ihren geschminkten Augen zu dunklen Schlieren werden. Schlussstriche im Gesicht.
Und in diesem Augenblick weiß ich, dass nichts mehr so sein wird, wie es war.
Ich gucke an mir herunter. Das rosa Nachthemd hat ein Loch am Saum, und in fünfzehn Minuten schreibe ich einen Vokabeltest.
2. Kapitel
Der Ventilator brummt. Immerhin laut genug, um so zu tun, als hätte ich sie nicht gehört. Sie ruft mich zum Essen.
Seit Ewigkeiten hocke ich schon auf unserem winzigen Gästeklo und zupfe mir mit einer Pinzette die Haare von den Beinen. Manche tun richtig weh, aber das freut mich.
Auch ein bisschen Schorf von einem alten Mückenstich kann ich noch abkratzen. Wie schnell Blut fließt, auch wenn die Wunde nur winzig klein ist. Ich betrachte den Tropfen, der schräg an meinem Bein hinunterläuft. Schöne Farbe.
Genau dieses Rot habe ich im Unterricht heute anmischen wollen. Satt und leuchtend. Aber die Tuschkastenfarben taugen einfach nichts. Meine Ma benutzt Acryl oder Pigmente. Sie nimmt immer drei oder vier verschiedene Töne, wenn sie eine ganz bestimmte Farbe braucht. Sie mischt sie so lange miteinander, bis sie genau die kriegt, die sie will. Meine Ma ist Dozentin an der Fachhochschule und gibt Kunstkurse für Studenten. Sie selbst zeichnet am liebsten Frauen. Ausgerechnet Frauen!
Den Vokabeltest habe ich natürlich total in den Sand gesetzt. Kam viel zu spät und schaffte dann ganze drei Wörter, nachdem Ma mir gesagt hat, dass sie in Pepita verliebt ist.
Pepita ist eine ihrer Kolleginnen an der FH. War schon öfter bei uns. Unterrichtet irgendwelche Computerprogramme oder so, keine Ahnung. Ist mir auch egal.
Ich verstehe das alles überhaupt nicht.
Wie kann sich meine eigene Mutter in eine andere Frau verlieben? Wie geht so was? Sie hat doch uns. Baba und mich. Sie war doch immer glücklich. Sie liebt doch UNS! Oder etwa nicht? Wieso dann das?
Die ganze Zeit flimmert mir vor den Augen, wie diese Frau meine Mutter anlacht, mit ihren großen weißen Zähnen, mit ihren kurzen schwarzen Haaren.
Wie sie meine Mutter an sich zieht, wie meine Mutter lachend ihre Mähne zurückwirft und sich ziehen lässt. Wie diese Frau meine Mutter küsst und sie sich einfach küssen lässt. Wie sie dastehen, eng umschlungen, blind und glücklich ohne uns, ohne mich, ohne ihre Tochter.
Wie sie uns ausgesperrt haben aus ihrer Liebe, Baba und mich. Ich will das nicht sehen, ich will das nicht denken!
Ich höre das Telefon durch den Ventilator klingeln und kurz darauf ihr Klopfen an der Klotür. Vorsichtig, zaghaft, fast ängstlich, als würde sie mit einem rohen Ei gegen die Tür tippen.
»Sahra?«
Ich kann nicht antworten.
»Sahra! Hier ist Katta am Telefon für dich.« Langsam stehe ich auf, drehe den Schlüssel he-
rum und öffne die Tür grade so weit, dass mein Arm durchpasst und ich sie nicht sehen muss. »Gib her!«
Normalerweise dürfte ich so nie mit ihr reden. Aber jetzt ist nichts mehr normal. Jetzt sagt sie nichts.
Ich höre, wie sie über die knarrenden Holzdielen durch den Flur in die Küche geht. Ich schleiche aus dem Bad in mein Zimmer und schließe wieder ab.
»Ja, hallo?«
»Mann, hat das gedauert! Hi, ich bin's! Alles okay bei dir?«
Ich beiße mir auf die Lippen. »Klar, wieso?« »Du warst heute Morgen so komisch.«
»Nee, ich krieg nur meine Tage!«
Katta merkt nichts. »Ach so, na dann. Kommst du nachher mit zu Angelo in die Eisdiele? Geli und Karl kommen auch mit und der französische Austauschschüler, der aus der Parallelklasse. Du weißt schon, Oonrie, der Schönling!« Damit es übertrieben französisch klingt, hält sie sich bei seinem Namen die Nase zu und zieht die Anfangsbuchstaben albern in die Länge.
Ich sage nichts, und Katta schnattert weiter.
»Wie findest du den eigentlich? Also ich finde, der hat was! Seine langen Haare sind echt süß!«
Dann nimm du ihn doch, denke ich und verdrehe die Augen. Auf Henry stehe ich nun überhaupt nicht.
»Katta, sei nicht sauer, aber heute geht's nicht. Meine Ma nervt schon voll wegen der Mathearbeit am Freitag. Ich kann die nächste nicht schon wieder verhauen.«
»Hä? Heute ist Montag, wir haben doch noch ewig Zeit!«
Ich merke, dass Katta enttäuscht ist, aber ich will einfach keinen sehen. Auch nicht Karl.
»Nee du, ich hab diese Textaufgaben immer noch nicht verstanden, geht echt nicht!«
»Morgen könnten wir zusammen üben, ich schwänze Ballett für dich.«
»Ach nee, lass mal.«
»Okay dann, tschüs!« Wütend legt Katta auf.
Ich werfe mich aufs Bett, greife nach meinem Tagebuch und lese den letzten Eintrag. Katta und Karl - wie lächerlich!
Gestern wusste ich nicht, dass noch alles in Ordnung war. Da dachte ich wirklich, ich hätte ein Problem. Dabei war alles super. Sahra Senay hatte gestern noch eine heile Familie. Eine deutsche Mutter und einen türkischen Vater. Speziell, aber heile.
Wieder sehe ich Pepita grinsend an meiner Ma rumfummeln.
Ich schüttele wild den Kopf und haue mir gegen die Stirn. Weg, bloß weg mit diesen Bildern! Aber mir wird nur schwindelig, und das Kopfkino geht trotzdem weiter.
Darin packt Ma ihren Koffer, summt ein kleines Lied vor sich hin. Nimmt ein buntes Tuch und steckt ihre Nase ins weiche Geknüddel. Sie lächelt glücklich und tanzt damit durchs Zimmer.
Ich möchte sie schlagen. Hart ins Gesicht. Möchte, dass sie aufwacht und mich aus diesem Albtraum befreit.
Als sie aus der Haustür geht, dreht sie sich nicht mal um. Geht einfach. Verlässt mich, ihr einziges Kind. Verlässt meinen Vater, ihre große Liebe. Und freut sich dabei. Lächelt, weil sie sich auf SIE freut, weil sie es gar nicht abwarten kann, zu IHR zu kommen.
Ich schlage meine Faust ins Kissen. Immer wieder, bis die erste Träne fließt. Ich hasse mich.
...
© S. Fischer Verlag GmbH, Frankfurt am Main
Wieder nicht geschafft. Seufzend stelle ich den Wecker aus und kuschele mich in meine Decke. Fünf Minuten habe ich noch, bis mich Ma zum Frühstück holt. Gerade genug Zeit, meinen Albtraum zu verdauen. Ich werde ihn einfach nicht los. Er kommt immer wieder und immer habe ich schreckliche Angst. Dabei passiert gar nicht viel. Mein Freund Koray und ich liegen unter einem Sofa. Wir starren auf die Schuhe einer Frau vor uns, kriechen hervor, springen auf und versuchen zu fliehen. Eigentlich will ich ihr entgegentreten und sehen, wer mir solche Angst macht, aber ich schaffe es nicht. Jedes Mal renne ich weg. Dann stehe ich draußen, vor dem kleinen Haus, und höre sein Wimmern. Das ist das Schlimmste. Er kann sich nicht wehren, und ich kann ihm nicht helfen. Wir sind noch klein, gehen nicht mal zur Schule.
Schule! Heute schreiben wir einen Vokabeltest, und ich habe kein bisschen gelernt. Völlig vergessen, weil ich gestern so lange mit Katta telefoniert habe. Weil Katta jetzt auch in Karl verliebt ist. Passt überhaupt nicht. Katta und Karl. Kaka.
Leider sind alle in Karl verliebt. Sogar zwei aus der Zehnten, einen Jahrgang über uns. Weil der so süße blonde Strubbelhaare und dazu braune Augen hat. Das hat sonst keiner. Blonde haben meistens blaue oder grüne Augen, aber Karl hat dunkelbraune mit langen schwarzen Wimpern.
Ich hole das Heft aus meiner Tasche und lege mich wieder ins Bett. Die Worte rutschen an mir vorbei. Stattdessen denke ich daran, dass mit meiner besten Freundin jetzt noch ein Mädchen mehr in Karl verliebt ist.
Als wären es nicht sowieso schon genug. Es hat mich gestört, dass er sie beim Kletterkurs gesichert hat. Dass er sie danach abgeklatscht und ihr ein ›super!‹ zugerufen hat. Dass sie zum ersten Mal den Überhang geschafft hat, weil er ihr von unten zusah.
Katta heißt eigentlich Katharina und kann einfach alles. Klettern, Skaten, Ballett, Einradfahren und sonst was.
Noch nie auf einem Pferd gesessen und schon reitet sie bei uns Fortgeschrittenen. Ich hab dafür ein Jahr gebraucht, sie kommt aus Spaß mit, und unser Reitlehrer ist so begeistert, dass er sie überredet, jede Woche zu kommen. Es ist nicht so, dass Katta damit angibt. Sie gibt nie an. Und sie ist keine Tussi. Ihr ist es egal, ob die Hose zur Jacke passt oder die Stiefel zum Schal. Oder was für Marken sie trägt. Diese Mischung mögen die Jungs. Sie zieht sich einfach irgendwie an und fertig. Ihr steht das. Wenn ich das mache, fühle ich mich wie eine Vogelscheuche.
Katta und ich sind seit dem Kindergarten befreundet, und ich habe sie immer bewundert, aber in der letzten Zeit geht sie mir auf die Nerven. Besonders wegen Karl.
Schließlich fand ich ihn zuerst gut, und sie weiß das ganz genau. Letzte Woche hat er mir in der Schulkantine die Tür aufgehalten und ein bisschen gelächelt. Katta ging hinter mir, und nach dieser Klettersache weiß ich überhaupt nicht mehr, ob er mir oder ihr die Tür aufgehalten hat. Ob er sie oder mich angelächelt hat.
Ich klappe das Heft zu. Hat keinen Zweck, und außerdem bin ich schon spät dran. Frühstück kann ich vergessen. Komisch, dass meine Ma gar nicht gekommen ist.
Ich schlurfe ins Bad und spritze mir kaltes Wasser ins Gesicht. Betrachte mich im Spiegel. Meine grünen Augen sehen im blassen Gesicht klein und wässrig aus. Verschlafen und trübe. An der Stirn sind meine hellbraunen Haare nass geworden und wellen sich ein bisschen. Sieht nett aus.
Dafür ist am rechten Nasenflügel ein roter Huckel, der weh tut. Der nächste Pickel. Katta hat nie Pickel, obwohl sie schon fünfzehn ist. Ich bin vierzehn und habe jede Woche einen neuen. Ungerecht, einfach nur ungerecht.
Was sollte Karl schon von einer Verpickelten wollen, wenn er die tolle Katta ohne Pickel haben kann?
Ich werde richtig wütend. Dafür hat sie hässliche Füße, denke ich. Ihre Zehen sind lang und dünn und krumm und schief.
Gerade als ich beschließe, mich heute in der Schule neben Geli zu setzen, höre ich laute Stimmen aus dem Schlafzimmer meiner Eltern. Erschrocken öffne ich die Tür und lausche.
»Eva, was soll das?!«, schreit mein Vater. »Spinnst du jetzt, oder was?«
Ich höre, wie er polternd im Zimmer auf und ab geht. Irgendetwas fällt herunter.
»Ich fasse es nicht! Ich fasse es einfach nicht!«
Meine Mutter gibt keine Antwort. Eine kurze Weile bleibt es still. Mein Vater spricht laut, schreit aber nicht mehr.
»Kannst du nicht eine Freundin haben, wie jede andere Frau auch?«
Meine Mutter sagt etwas, aber so leise, dass ich nichts verstehe. Die Tür wird aufgerissen. Mit zornigem Gesicht stürmt mein Vater an mir vorbei.
»Baba? Guten Morgen, Baba!«
Er dreht sich nicht einmal um.
»Morgen! Ich muss los!« Und weg ist er.
Verwirrt stehe ich da. Barfüßig festgewachsen auf den eisigen Fliesen. Die Kälte macht meine Fußsohlen taub. Langsam drehe ich meinen Kopf zur Schlafzimmertür. Sehe meine Mutter weinend auf dem Bett sitzen. Mit einer Hand die Tränen wegwischen, die unter ihren geschminkten Augen zu dunklen Schlieren werden. Schlussstriche im Gesicht.
Und in diesem Augenblick weiß ich, dass nichts mehr so sein wird, wie es war.
Ich gucke an mir herunter. Das rosa Nachthemd hat ein Loch am Saum, und in fünfzehn Minuten schreibe ich einen Vokabeltest.
2. Kapitel
Der Ventilator brummt. Immerhin laut genug, um so zu tun, als hätte ich sie nicht gehört. Sie ruft mich zum Essen.
Seit Ewigkeiten hocke ich schon auf unserem winzigen Gästeklo und zupfe mir mit einer Pinzette die Haare von den Beinen. Manche tun richtig weh, aber das freut mich.
Auch ein bisschen Schorf von einem alten Mückenstich kann ich noch abkratzen. Wie schnell Blut fließt, auch wenn die Wunde nur winzig klein ist. Ich betrachte den Tropfen, der schräg an meinem Bein hinunterläuft. Schöne Farbe.
Genau dieses Rot habe ich im Unterricht heute anmischen wollen. Satt und leuchtend. Aber die Tuschkastenfarben taugen einfach nichts. Meine Ma benutzt Acryl oder Pigmente. Sie nimmt immer drei oder vier verschiedene Töne, wenn sie eine ganz bestimmte Farbe braucht. Sie mischt sie so lange miteinander, bis sie genau die kriegt, die sie will. Meine Ma ist Dozentin an der Fachhochschule und gibt Kunstkurse für Studenten. Sie selbst zeichnet am liebsten Frauen. Ausgerechnet Frauen!
Den Vokabeltest habe ich natürlich total in den Sand gesetzt. Kam viel zu spät und schaffte dann ganze drei Wörter, nachdem Ma mir gesagt hat, dass sie in Pepita verliebt ist.
Pepita ist eine ihrer Kolleginnen an der FH. War schon öfter bei uns. Unterrichtet irgendwelche Computerprogramme oder so, keine Ahnung. Ist mir auch egal.
Ich verstehe das alles überhaupt nicht.
Wie kann sich meine eigene Mutter in eine andere Frau verlieben? Wie geht so was? Sie hat doch uns. Baba und mich. Sie war doch immer glücklich. Sie liebt doch UNS! Oder etwa nicht? Wieso dann das?
Die ganze Zeit flimmert mir vor den Augen, wie diese Frau meine Mutter anlacht, mit ihren großen weißen Zähnen, mit ihren kurzen schwarzen Haaren.
Wie sie meine Mutter an sich zieht, wie meine Mutter lachend ihre Mähne zurückwirft und sich ziehen lässt. Wie diese Frau meine Mutter küsst und sie sich einfach küssen lässt. Wie sie dastehen, eng umschlungen, blind und glücklich ohne uns, ohne mich, ohne ihre Tochter.
Wie sie uns ausgesperrt haben aus ihrer Liebe, Baba und mich. Ich will das nicht sehen, ich will das nicht denken!
Ich höre das Telefon durch den Ventilator klingeln und kurz darauf ihr Klopfen an der Klotür. Vorsichtig, zaghaft, fast ängstlich, als würde sie mit einem rohen Ei gegen die Tür tippen.
»Sahra?«
Ich kann nicht antworten.
»Sahra! Hier ist Katta am Telefon für dich.« Langsam stehe ich auf, drehe den Schlüssel he-
rum und öffne die Tür grade so weit, dass mein Arm durchpasst und ich sie nicht sehen muss. »Gib her!«
Normalerweise dürfte ich so nie mit ihr reden. Aber jetzt ist nichts mehr normal. Jetzt sagt sie nichts.
Ich höre, wie sie über die knarrenden Holzdielen durch den Flur in die Küche geht. Ich schleiche aus dem Bad in mein Zimmer und schließe wieder ab.
»Ja, hallo?«
»Mann, hat das gedauert! Hi, ich bin's! Alles okay bei dir?«
Ich beiße mir auf die Lippen. »Klar, wieso?« »Du warst heute Morgen so komisch.«
»Nee, ich krieg nur meine Tage!«
Katta merkt nichts. »Ach so, na dann. Kommst du nachher mit zu Angelo in die Eisdiele? Geli und Karl kommen auch mit und der französische Austauschschüler, der aus der Parallelklasse. Du weißt schon, Oonrie, der Schönling!« Damit es übertrieben französisch klingt, hält sie sich bei seinem Namen die Nase zu und zieht die Anfangsbuchstaben albern in die Länge.
Ich sage nichts, und Katta schnattert weiter.
»Wie findest du den eigentlich? Also ich finde, der hat was! Seine langen Haare sind echt süß!«
Dann nimm du ihn doch, denke ich und verdrehe die Augen. Auf Henry stehe ich nun überhaupt nicht.
»Katta, sei nicht sauer, aber heute geht's nicht. Meine Ma nervt schon voll wegen der Mathearbeit am Freitag. Ich kann die nächste nicht schon wieder verhauen.«
»Hä? Heute ist Montag, wir haben doch noch ewig Zeit!«
Ich merke, dass Katta enttäuscht ist, aber ich will einfach keinen sehen. Auch nicht Karl.
»Nee du, ich hab diese Textaufgaben immer noch nicht verstanden, geht echt nicht!«
»Morgen könnten wir zusammen üben, ich schwänze Ballett für dich.«
»Ach nee, lass mal.«
»Okay dann, tschüs!« Wütend legt Katta auf.
Ich werfe mich aufs Bett, greife nach meinem Tagebuch und lese den letzten Eintrag. Katta und Karl - wie lächerlich!
Gestern wusste ich nicht, dass noch alles in Ordnung war. Da dachte ich wirklich, ich hätte ein Problem. Dabei war alles super. Sahra Senay hatte gestern noch eine heile Familie. Eine deutsche Mutter und einen türkischen Vater. Speziell, aber heile.
Wieder sehe ich Pepita grinsend an meiner Ma rumfummeln.
Ich schüttele wild den Kopf und haue mir gegen die Stirn. Weg, bloß weg mit diesen Bildern! Aber mir wird nur schwindelig, und das Kopfkino geht trotzdem weiter.
Darin packt Ma ihren Koffer, summt ein kleines Lied vor sich hin. Nimmt ein buntes Tuch und steckt ihre Nase ins weiche Geknüddel. Sie lächelt glücklich und tanzt damit durchs Zimmer.
Ich möchte sie schlagen. Hart ins Gesicht. Möchte, dass sie aufwacht und mich aus diesem Albtraum befreit.
Als sie aus der Haustür geht, dreht sie sich nicht mal um. Geht einfach. Verlässt mich, ihr einziges Kind. Verlässt meinen Vater, ihre große Liebe. Und freut sich dabei. Lächelt, weil sie sich auf SIE freut, weil sie es gar nicht abwarten kann, zu IHR zu kommen.
Ich schlage meine Faust ins Kissen. Immer wieder, bis die erste Träne fließt. Ich hasse mich.
...
© S. Fischer Verlag GmbH, Frankfurt am Main
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Autoren-Porträt von Deniz Selek
Selek, DenizDeniz Selek wurde in Hannover geboren und wuchs in Istanbul auf. Zurück in Deutschland studierte sie Germanistik und Innenarchitektur. Sie weiß als Deutsch-Türkin, wie es sich anfühlt, in zwei Kulturen zu Hause zu sein. Heute lebt sie als Autorin mit ihrer Familie in Berlin, aber ihr Herz gehört Istanbul, der Stadt voller Zauber und Magie.
Bibliographische Angaben
- Autor: Deniz Selek
- Altersempfehlung: 12 - 15 Jahre
- 2012, 3. Aufl., 288 Seiten, Maße: 13,4 x 20,7 cm, Gebunden, Deutsch
- Verlag: FISCHER Taschenbuch
- ISBN-10: 3596854601
- ISBN-13: 9783596854608
Rezension zu „Zimtküsse “
Ein lesenswerter Roman, der auch Erwachsene mitnimmt und wertvolle Einblicke in Binationalität und grenzüberschreitendes Leben und Lieben gibt - ganz entspannt, humorvoll. Einfach schön. Verband binationaler Familien und Partnerschaften, Newsletter Nr. 19
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