Zu verkaufen: Mariana, 15 Jahre
Mein Kampf gegen den Mädchenhandel
Mariana wird seit ihrem 14. Lebensjahr zur Prostitution gezwungen und lebt in einem Gefängnis aus Angst und Gewalt. Nur mit Iana Mateis Hilfe kann sie entkommen.
Matei engagiert sich europaweit im Kampf gegen den Menschenhandel. Mit ihrem Verein...
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Produktdetails
Produktinformationen zu „Zu verkaufen: Mariana, 15 Jahre “
Mariana wird seit ihrem 14. Lebensjahr zur Prostitution gezwungen und lebt in einem Gefängnis aus Angst und Gewalt. Nur mit Iana Mateis Hilfe kann sie entkommen.
Matei engagiert sich europaweit im Kampf gegen den Menschenhandel. Mit ihrem Verein "Reaching Out" hat sie schon zahlreiche Mädchen gerettet.
Klappentext zu „Zu verkaufen: Mariana, 15 Jahre “
"Bist du allein, kannst du sprechen?" "Ja." "Ich habe gehört, du brauchst Hilfe, stimmt das?" "Ich weiß nicht..." "Hast du Angst?" "Ja, sehr." "Ok. Ich hole dich da raus."Mariana ist 15 Jahre alt und Sexsklavin, gefangen in einem entsetzlichen Gefängnis aus Angst und Gewalt. Sie ist eine von Tausenden junger Osteuropäerinnen, die Jahr für Jahr in den Westen geschleust und zur Prostitution gezwungen werden. Iana Matei will Mariana retten. Wie schon so viele Mädchen, die sie gerettet hat. Iana Matei erzählt ihre Geschichten. Grausame, unvorstellbare Schicksale, die niemand unberührt lassen.
Lese-Probe zu „Zu verkaufen: Mariana, 15 Jahre “
Zu verkaufen: Mariana, 15 Jahre von Iana MateiEin Telefongespräch
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Hallo, ist dort Ionela?« »Ja.« »Ich bin Iana Matei. Ich nehme an, Peppi hat dir gesagt, dass ich anrufen werde. Sie hat dir erklärt, wer ich bin, oder?« »Ja, ja, ich weiß Bescheid.« »Kannst du sprechen? Oder hört dir jemand zu?« »Nein, es geht. Ich bin gerade allein.« »Peppi hat mir gesagt, dass du meine Hilfe brauchst. Stimmt das?« »Ich weiß nicht ...« »Hast du Angst?« »Ja.« »Vertraust du mir?« »Ich glaube schon.« »Gut, dann werde ich dich da rausholen.« Ionela ist fünfzehn Jahre alt und arbeitet als Sex-Sklavin. Das ist beinahe schon alles, was ich von ihr weiß, aber es ist für mich mehr als genug: Ich muss dieses Mädchen
retten. Ein Anwalt hat mich heute Morgen alarmiert. Am Telefon hat er mir erklärt, er sei von einer Spanierin namens Peppi beauftragt worden, die sich Sorgen um das Schicksal einer von Menschenhändlern entführten rumänischen Jugendlichen macht. Soweit sie weiß, ist Ionela einer Roma-Familie in die Hände gefallen. Zunächst hatte eine bereits recht alte Frau aus dieser Familie, die zugleich als Zuhälterin fungierte, Ionela den Vorschlag gemacht, sie bei sich, ihren beiden Söhnen und ihrer Tochter aufzunehmen, da die Eltern von Ionela unentwegt Streit miteinander hatten. Ionela musste als Gegenleistung mit der Frau auf einem Markt arbeiten, aber drei Monate später verkündete die Alte ihr trotzdem: »Unterkunft und Verpflegung sind zu teuer. Du hast mich bereits sehr viel Geld gekostet, es wird allmählich Zeit, dass du deine Schulden abbezahlst. Meine Söhne haben eine Arbeit für dich in der Türkei gefunden. Morgen fährst du dorthin.« In der Türkei wurde Ionela geschlagen und mit dem Tode bedroht. Man brach ihren Willen, und sie tat, was man von ihr verlangte: Sie schlief mit fremden Männern. Nach einer Polizeirazzia auf ihrem Straßenstrich wurde sie nach Rumänien zurückgeschickt, wo ihre Zuhälterin sie bereits am Flughafen in Empfang nahm, um sie sofort nach Spanien zu verfrachten. Unmittelbar nach ihrer Ankunft dort versuchte Ionela, sich mit Schlaftabletten das Leben zu nehmen. Ein paar Tage später noch einmal. Beim dritten Versuch hatte sie so viele Tabletten geschluckt, dass sie vollkommen entkräftet war und ihr Zuhälter, einer der Söhne der alten Roma-Frau, sie nicht mehr auf die Straße schicken konnte. Ionela musste eingesperrt im Zimmer eines erbärmlichen Hotels ausharren, aber auch dorthin schickte der Zuhälter einige Kunden. Einem dieser Kunden, einem Spanier, kam sie reichlich jung vor. »Wie alt bist du?« »Fünfzehn.« Ohne die betäubende Wirkung der Medikamente hätte sie vermutlich niemals gewagt, die Wahrheit auszusprechen. Der Mann war zutiefst erschrocken und bombardierte sie mit Fragen. Schließlich erzählte Ionela ihm ihre ganze Geschichte. Entsetzt berichtete der Kunde alles seiner Mutter, und beiden war sofort klar: Das Mädchen musste aus den Händen dieser Schurken befreit werden. Am nächsten Tag ging der Kunde noch einmal zu dem Hotel, wo er erneut einen Besuch bei Ionela aushandelte. Er nahm sie ganz einfach mit und setzte sie mit ein paar Euro in der Tasche in einen Bus zurück nach Rumänien. Er versprach sogar, ihr regelmäßig Geld per Postanweisung zu schicken. In ihrer Heimat suchte Ionela Zuflucht bei einer Tante, wo die Mutter der Roma-Familie sie jedoch alsbald aufspürte. Das war vorauszusehen: Ein Zuhälter weiß alles über seine Opfer, denn über dieses Wissen kann er Druck auf sie ausüben. Die Zuhälter fingen Ionela vor dem Haus ihrer Tante ab und zwangen sie, in ihr Auto zu steigen. Die Tante versuchte tapfer einzugreifen, aber die Zuhälterin fand die richtigen Worte, um sie einzuschüchtern: »Komm bloß nicht auf die Idee, die Polizei zu verständigen. Wenn du uns Schwierigkeiten machst, halten wir uns an deine Tochter.« Das saß. Ihre Tochter war dreizehn Jahre alt. Die Tante hielt den Mund. Die Menschenhändler brachten Ionela nach Calarasi an der Grenze zu Bulgarien, nicht weit von der Schwarzmeerküste entfernt. Glücklicherweise hielt Peppi, die Mutter des spanischen Kunden, Wort: Sie hatte bereits Kontakt zu Ionela aufgenommen und ihr eine Postanweisung geschickt. Die Menschenhändler setzten Ionela so unter Druck, dass sie ihren Entführern alles offenbarte. Das Mädchen musste seine Wohltäterin anrufen, um das Datum für die Postanweisung abzusprechen. Diese Leute lassen keine Gelegenheit aus, wenn irgendwo Geld zu holen ist, aber das war in diesem Fall ihr Fehler.
Ionela nutzte die Gelegenheit, um Peppi mitzuteilen, was ihr zugestoßen war. Machtlos hatte Peppi sich mit einem Anwalt in Verbindung gesetzt, um in Rumänien jemanden ausfindig zu machen, der Ionela retten könnte. Dieser Anwalt tätigte ein paar Anrufe und hörte von mir, meinem Haus und meinen Aktivitäten für die Opfer des Frauenhandels. Die Zeit drängt: Bei der Vereinbarung der letzten Überweisung hat Ionela Peppi gesagt, dass sie erneut in die
Türkei verfrachtet werden soll. Da Ionela bei der türkischen Polizei jedoch bereits aktenkundig ist, haben die Menschenhändler sie für 100 Euro mit einem Mann verheiratet, sodass sie einen anderen Familiennamen trägt. Es muss schnell gehandelt werden: In ein paar Tagen wird sie die Grenze passiert haben ...
Am Telefon spüre ich, wie ausweglos Ionela ihre Lage einschätzt. Sie zögert. »Ionela, ich komme und hole dich ab.« »Nein, das geht nicht! Sie werden mich umbringen! Sie haben gesagt, wenn ich noch einmal versuche davonzulaufen, binden sie mich an ein Auto und schleifen mich solange hinterher, bis ich tot bin.« »Das werden sie nicht tun, sie versuchen nur, dir Angst zu machen.« »Nein, sie werden es tun! Als sie mich bei meiner Tante geholt haben, hat mich Ramon mit der Faust geschlagen, immer wieder. Sie haben mir auch die Haare abgeschnitten, um mich zu bestrafen. Ich habe gesagt, dass ich alles der Polizei sagen werde, aber die Babuschka hat nur gelacht und gesagt, dass die Polizisten ihre Freunde sind!« Ich habe keinerlei Möglichkeit he rauszufinden, ob sie die Wahrheit sagt. Aber das spielt auch keine Rolle, denn ich bin zutiefst davon überzeugt, dass dieses Mädchen sich in Gefahr befindet. Alles andere ist Nebensache.
»Wir werden einen Weg finden, Ionela. Gibt es einen Zeitpunkt, zu dem sie dich allein lassen?« »Nein, ich bin den ganzen Tag über in einem Zimmer eingeschlossen.« »Denk genau nach. Lassen sie dich nie heraus?« »Wenn ich es Ihnen doch sage! Nein, sie wollen mich nicht einmal auf der Straße arbeiten lassen. Sie haben Angst, dass ich wieder weglaufe. Einzig und allein zur Post darf ich gehen, um die Geldüberweisungen von Peppi abzuholen.« »Bist du bei diesem Gang allein?« »Die Babuschka und Ramon warten vor dem Gebäude auf mich. Sie weichen mir keinen Schritt von der Seite.« »Aber du gehst allein in die Post hin ein?« »Ja, aber Peppi hat mir erst gerade vor ein paar Tagen Geld geschickt. Ich weiß nicht, wann die nächste Überweisung kommt.« »Das macht nichts, sie wissen es ja auch nicht. Du wirst ihnen also sagen, dass Peppi dich angerufen hat und dir Geld geschickt hat, das du abholen musst. Dann rufst du mich an und sagst mir, wann du zur Post gehst.« »Und dann?« »Ich werde vor der Post auf dich warten. Ein alter metallicroter Audi wird vor dem Gebäude stehen - mit einer blonden Frau am Steuer. Das bin ich. Die hinteren Türen werden offen sein. Wenn sie dich ins Gebäude schicken, gehst du hin ein ... und kommst sofort wieder heraus. Du musst sie überraschen: Sie werden denken, dass du etwa zehn Minuten brauchst, um die notwendigen Formulare zu unterschreiben. Also werden sie sich wahrscheinlich eine Zigarette anzünden und auf dich warten. Keiner von beiden wird damit rechnen, dass du so schnell wieder heraus kommst. Du rennst schnurstracks zu meinem Auto und springst auf den Rücksitz. Ich lasse den Motor laufen, sodass wir sofort losfahren können. »Gut ...« »Alles wird klappen, Ionela.« »Einverstanden ...« Als ich auflege, bin ich trotz allem ein wenig beunruhigt. Wenn diese Verbrecher etwas ahnen? Egal, wir haben
keine andere Wahl. Wir müssen es so versuchen ... Ionela ruft mich am nächsten Tag an: »Ich habe alles gemacht wie vereinbart und gehe morgen Nachmittag das Geld holen.« »Ich werde dort sein. Wo ist die Post?« »In der Innenstadt.« »Sehr gut. Ich werde sie schon finden. Denk dran: ein roter Audi, eine blonde Frau, und du springst hinten ins Auto.« »Okay.«
Ich lebe in Piteti, einer Industriestadt am Fuße der Karpaten. Die Stadt Calarai, wo ich Ionela abholen werde, liegt schon fast am Schwarzen Meer, etwa vier bis fünf Autostunden von Piteti entfernt. Ich muss also früh aufbrechen, da ich nicht genau weiß, wann Ionela auftauchen wird. Ich hätte meinen stabilen Dacia nehmen können, der für lange Strecken sehr viel bequemer ist, aber mein alter Audi ist wendiger und schneller: Das könnte
sich bei einer Verfolgung als nützlich erweisen. Es ist schon fast Mittag, als ich das Zentrum von Calarai erreiche. Von meinem Stadtplan vollkommen verwirrt, muss ich schließlich doch einen Passanten nach dem Weg zur Post fragen und gelange schließlich ans Ziel. Nur wenige Meter vom Eingang entfernt parke ich in Fahrtrichtung auf dem Gehsteig. So ... jetzt muss ich nur noch warten ... und hoffen, dass die Menschenhändler ihre Pläne nicht geändert haben!
Dreieinhalb Stunden später ist Ionela immer noch nicht aufgetaucht. Aus Angst, sie zu verpassen, bin ich in meinem Wagen geblieben. Seit dem frühen Morgen habe ich nichts gegessen, und mein Magen knurrt gewaltig, aber trotzdem könnte ich nichts herunterbringen. Das Warten ist unerträglich. Ich stelle mir das Schlimmste vor: Hat die Babuschka Lunte gerochen? Hat die eingeschüchterte Ionela gestanden, dass es gar keine Postanweisung gibt? Angst schnürt mir den Magen zu, aber es bleibt mir nichts anderes übrig, als mit gespannter Aufmerksamkeit die ins Postgebäude hin eingehenden und he rauskommenden Menschen zu beobachten. Plötzlich sehe ich sie: ein blasses Mädchen mit strubbligem Haar, das eine Jeans und einen knappen Blouson trägt, steigt aus einem Taxi, das genau vor mir parkt. Ich bin nicht sicher ... ihre wüst geschnittenen Haare ... doch, das muss sie sein. Sie wirft einen Blick zu meinem Auto herüber und lenkt ihre Schritte dann zum Eingang des Gebäudes. Auf dem Beifahrersitz im Auto vor mir erkenne ich eine alte Roma, die mit dem Taxifahrer spricht.
Jetzt funktioniert mein Gehirn vollkommen automatisch. Ich lasse den Motor an und setze langsam zurück, um mit einmaligem Einschlagen des Lenkrads aus meiner Parklücke auszuscheren. Ohne das Taxi aus den Augen zu lassen, taste ich nach dem Griff der hinteren Tür, um diese bereits zu öffnen. Ich bin bereit. Es ist so weit! Ionela kommt aus der Post und wirft sich drei Sekunden später auf den Rücksitz. Sie hat sich noch nicht einmal aufgerichtet, da trete ich schon aufs Gaspedal. Ich habe keine Ahnung, ob die Babuschka etwas gesehen hat, aber als ich das Taxi überholt habe, sehe ich im Rückspiegel, dass der Taxifahrer etwas zu ihr sagt und mit dem Finger auf meinen Audi weist. Sie haben begriffen ... Mein Fuß drückt weiter aufs Gas, ich beschleunige, so gut es geht. Hinter mir nimmt das Taxi nun seinerseits Fahrt auf. »Ionela, wohin soll ich fahren? Nach rechts? Nach links?« Ich kenne die Stadt nicht. Während der vier Stunden, die ich im Auto gewartet habe, habe ich nicht einmal daran gedacht, den Stadtplan im Hinblick auf eine mögliche Route zu studieren ... Was für eine Idiotin ich doch bin! Im Rückspiegel sehe ich Ionelas angstverzerrte Züge. Sie wagt nicht, sich aufzurichten, und versucht, sich durch ein paar flüchtige Blicke aus dem Fenster zurechtzufinden. »Da lang!« Auf der Rückbank kauernd, weist das Mädchen mir mit ihrem Arm die Richtung, in die ich fahren soll. Das Taxi ist mir dicht auf den Fersen. Die Babuschka schwingt drohend ihre Faust.
»Und jetzt, wohin soll ich jetzt fahren?« »Nach links!« Während sie mir antwortet, weist sie mit dem Arm nach rechts. »Ionela! Weißt du nicht, wo rechts und links ist?« »Doch ... nein ... dorthin!« Wir brechen in nervöses Gelächter aus. Ionela ist vollkommen panisch. Wahrscheinlich könnte sie mir im Augenblick nicht einmal die Frage nach ihrem Namen richtig beantworten. Ich folge ihren chaotischen, unvermittelten Anweisungen, so gut es eben geht. Ich biege mehrmals ab, schlängele mich durch enge Gassen, missachte ein Stoppschild ... Im Rückspiegel sehe ich, dass der Abstand zu unseren Verfolgern rasch größer wird. Gut, dass ich den Audi genommen habe! Fünf Minuten später wagt auch Ionela einen Blick aus dem Rückfenster. »Ich sehe sie nicht mehr«, flüstert sie, ohne es wirklich zu glauben. Aber Ionela hat recht: Es ist geschafft, wir haben sie abgehängt. Langsamer fahre ich aber dennoch nicht. Die Menschenhändler könnten mein Autokennzeichen an einen Komplizen weitergeben. Ich bleibe wachsam und achte da rauf, dass kein anderes Auto die Verfolgung aufnimmt. Erst als wir die Stadt hinter uns gelassen haben, bin ich sicher, dass wir gerettet sind. Endlich! Ich fahre unvermindert schnell weiter, um unseren Vorsprung weiter auszubauen, aber ich lächele meiner verängstigten Begleiterin jetzt aufmunternd zu. Eine Zeit lang sagt keine von uns ein Wort. Allmählich normalisiert sich unsere Atmung. Plötzlich klingelt Ionelas Telefon. Kaum hat sie das Gespräch angenommen, bellt jemand so laut in das Gerät, dass ich verstehe, was er sagt: »Gib mir die blonde Hure!« Zitternd und wütend zugleich reicht Ionela mir das Handy. Die brutale Stimme eines Mannes schreit mir ins Ohr: »Bring sie sofort zurück, sonst werfen wir dich den Ratten zum Fraß vor!« »Zur Hölle mit Ihnen!« »Du hättest uns das Mädchen nicht klauen sollen, du weißt offenbar nicht, mit wem du es zu tun hast!« Ich ersticke fast vor Lachen: Dieser Kerl denkt doch tatsächlich, dass er es mit einem anderen Menschenhändler zu tun hat. Er verhält sich gerade so, als hätte ich mir sein bestes Stück unter den Nagel gerissen! »Dreckige H...« Abrupt beende ich das Gespräch und werfe das Telefon auf den Boden. Diese groben Beschimpfungen brauche ich mir nicht anzuhören. Außerdem muss ich dringend meine kleine Schutzbefohlene beruhigen. »Alles ist gut, du bist in Sicherheit, sie können uns nichts mehr tun.« »Ja ... wir haben sie wirklich abgehängt, oder?« Die Stimme des jungen Mädchens klingt angespannt.
Ich spüre, dass es immer noch hochgradig nervös ist und die Situation nicht einzuschätzen vermag. Es weiß nichts von mir, aber es fühlt sich zum ersten Mal in einer starken Position. Der Weg ist weit, und wir nutzen die Zeit, um Bekanntschaft zu schließen. Ich erzähle ihm von meinem Frauenhaus, das Opfer der Zwangsprostitution aufnimmt, und schlage ihm vor, an meinem Wiedereingliederungsprogramm teilzunehmen. Voller Begeisterung geht es auf mein Angebot ein. Es klingt beinahe etwas zu euphorisch ... Aber es erstaunt mich nicht, dass es da rauf aus ist, mir zu gefallen. Es kommt aus einer Umgebung, in der Gewalt an der Tagesordnung war. Wochenlang musste es sich verstellen - einfach, um zu überleben. Es muss erst lernen, mir zu vertrauen ...
Wir sind noch eine Stunde von Piteti entfernt, als Ionelas Telefon erneut klingelt. Ich hebe es vom Boden auf und nehme diesmal selbst ab, um die zu erwartenden Beschimpfungen entsprechend zu parieren. Wider Erwarten ertönt jedoch eine ruhigere Stimme am anderen Ende. »Hallo, ich bin Polizeibeamter. Bei uns wurde die Entführung einer minderjährigen Person gemeldet. Ich fordere Sie auf, das junge Mädchen unverzüglich zurückzubringen.«
Da hört sich doch alles auf! Die Schlepper waren so dreist, zur Polizei zu gehen! Oder ist dieser Beamte von ihnen bestochen worden? Das kann ich jetzt nicht herausbekommen, aber der Befehlston des angeblichen Ordnungshüters bringt das Geschwür, das seit heute Morgen in mir gärt, zum Platzen. Wutentbrannt fahre ich ihn an: »Sie armer Irrer! Die minderjährige Person, die ich angeblich entführt habe, wurde vorher als Prostituierte ausgebeutet! Wa rum decken Sie diese Leute? Haben sie Ihnen denn wenigstens gesagt, dass sie sie zur Heirat mit einem Unbekannten gezwungen haben?«
»Nein, ich weiß nicht, wovon Sie sprechen. Ich weiß nur, dass eine Anzeige wegen Entführung vorliegt.« »Geben Sie mir bitte Ihren Namen, Herr Kommissar.« »...« »Hallo?« Die Verbindung ist unterbrochen. Ganz offenbar war es dem Polizisten lieber, das Gespräch abzubrechen. Wahrscheinlich hat er realisiert, dass die Sache gefährlich für ihn wird. Ionela wirft instinktiv noch einmal einen Blick durchs Rückfenster, was sie mindestens schon einhundert Mal seit unserem Aufbruch in Calarai getan hat. Ich ahne, dass es viel Zeit brauchen wird, bis sie wieder durch die Straßen schlendern wird, ohne sich ängstlich umzublicken. »Sag mal, hast du Hunger?« »Ja.« »Gut, dann werden wir anhalten und etwas essen.« Es ist Nacht geworden. Wir haben den ganzen Tag über nichts zu uns genommen. Es sind nur noch zwanzig Wegminuten bis zu dem Frauenhaus, und ich will ihr kurz in groben Zügen das Programm erklären, bevor ich sie den anderen Mädchen vorstelle. In dem Restaurant an der Straße fällt Ionela über ihren Teller her. Sie ist erschöpft, aber auch erleichtert und möchte jetzt endlich ankommen. Dieses Frauenhaus ist für sie die Chance, ihr Leben zu ändern.
Copyright © 2011 by Bastei Lübbe GmbH & Co. KG, Köln
Übersetzung: Monika Buchgeister
Hallo, ist dort Ionela?« »Ja.« »Ich bin Iana Matei. Ich nehme an, Peppi hat dir gesagt, dass ich anrufen werde. Sie hat dir erklärt, wer ich bin, oder?« »Ja, ja, ich weiß Bescheid.« »Kannst du sprechen? Oder hört dir jemand zu?« »Nein, es geht. Ich bin gerade allein.« »Peppi hat mir gesagt, dass du meine Hilfe brauchst. Stimmt das?« »Ich weiß nicht ...« »Hast du Angst?« »Ja.« »Vertraust du mir?« »Ich glaube schon.« »Gut, dann werde ich dich da rausholen.« Ionela ist fünfzehn Jahre alt und arbeitet als Sex-Sklavin. Das ist beinahe schon alles, was ich von ihr weiß, aber es ist für mich mehr als genug: Ich muss dieses Mädchen
retten. Ein Anwalt hat mich heute Morgen alarmiert. Am Telefon hat er mir erklärt, er sei von einer Spanierin namens Peppi beauftragt worden, die sich Sorgen um das Schicksal einer von Menschenhändlern entführten rumänischen Jugendlichen macht. Soweit sie weiß, ist Ionela einer Roma-Familie in die Hände gefallen. Zunächst hatte eine bereits recht alte Frau aus dieser Familie, die zugleich als Zuhälterin fungierte, Ionela den Vorschlag gemacht, sie bei sich, ihren beiden Söhnen und ihrer Tochter aufzunehmen, da die Eltern von Ionela unentwegt Streit miteinander hatten. Ionela musste als Gegenleistung mit der Frau auf einem Markt arbeiten, aber drei Monate später verkündete die Alte ihr trotzdem: »Unterkunft und Verpflegung sind zu teuer. Du hast mich bereits sehr viel Geld gekostet, es wird allmählich Zeit, dass du deine Schulden abbezahlst. Meine Söhne haben eine Arbeit für dich in der Türkei gefunden. Morgen fährst du dorthin.« In der Türkei wurde Ionela geschlagen und mit dem Tode bedroht. Man brach ihren Willen, und sie tat, was man von ihr verlangte: Sie schlief mit fremden Männern. Nach einer Polizeirazzia auf ihrem Straßenstrich wurde sie nach Rumänien zurückgeschickt, wo ihre Zuhälterin sie bereits am Flughafen in Empfang nahm, um sie sofort nach Spanien zu verfrachten. Unmittelbar nach ihrer Ankunft dort versuchte Ionela, sich mit Schlaftabletten das Leben zu nehmen. Ein paar Tage später noch einmal. Beim dritten Versuch hatte sie so viele Tabletten geschluckt, dass sie vollkommen entkräftet war und ihr Zuhälter, einer der Söhne der alten Roma-Frau, sie nicht mehr auf die Straße schicken konnte. Ionela musste eingesperrt im Zimmer eines erbärmlichen Hotels ausharren, aber auch dorthin schickte der Zuhälter einige Kunden. Einem dieser Kunden, einem Spanier, kam sie reichlich jung vor. »Wie alt bist du?« »Fünfzehn.« Ohne die betäubende Wirkung der Medikamente hätte sie vermutlich niemals gewagt, die Wahrheit auszusprechen. Der Mann war zutiefst erschrocken und bombardierte sie mit Fragen. Schließlich erzählte Ionela ihm ihre ganze Geschichte. Entsetzt berichtete der Kunde alles seiner Mutter, und beiden war sofort klar: Das Mädchen musste aus den Händen dieser Schurken befreit werden. Am nächsten Tag ging der Kunde noch einmal zu dem Hotel, wo er erneut einen Besuch bei Ionela aushandelte. Er nahm sie ganz einfach mit und setzte sie mit ein paar Euro in der Tasche in einen Bus zurück nach Rumänien. Er versprach sogar, ihr regelmäßig Geld per Postanweisung zu schicken. In ihrer Heimat suchte Ionela Zuflucht bei einer Tante, wo die Mutter der Roma-Familie sie jedoch alsbald aufspürte. Das war vorauszusehen: Ein Zuhälter weiß alles über seine Opfer, denn über dieses Wissen kann er Druck auf sie ausüben. Die Zuhälter fingen Ionela vor dem Haus ihrer Tante ab und zwangen sie, in ihr Auto zu steigen. Die Tante versuchte tapfer einzugreifen, aber die Zuhälterin fand die richtigen Worte, um sie einzuschüchtern: »Komm bloß nicht auf die Idee, die Polizei zu verständigen. Wenn du uns Schwierigkeiten machst, halten wir uns an deine Tochter.« Das saß. Ihre Tochter war dreizehn Jahre alt. Die Tante hielt den Mund. Die Menschenhändler brachten Ionela nach Calarasi an der Grenze zu Bulgarien, nicht weit von der Schwarzmeerküste entfernt. Glücklicherweise hielt Peppi, die Mutter des spanischen Kunden, Wort: Sie hatte bereits Kontakt zu Ionela aufgenommen und ihr eine Postanweisung geschickt. Die Menschenhändler setzten Ionela so unter Druck, dass sie ihren Entführern alles offenbarte. Das Mädchen musste seine Wohltäterin anrufen, um das Datum für die Postanweisung abzusprechen. Diese Leute lassen keine Gelegenheit aus, wenn irgendwo Geld zu holen ist, aber das war in diesem Fall ihr Fehler.
Ionela nutzte die Gelegenheit, um Peppi mitzuteilen, was ihr zugestoßen war. Machtlos hatte Peppi sich mit einem Anwalt in Verbindung gesetzt, um in Rumänien jemanden ausfindig zu machen, der Ionela retten könnte. Dieser Anwalt tätigte ein paar Anrufe und hörte von mir, meinem Haus und meinen Aktivitäten für die Opfer des Frauenhandels. Die Zeit drängt: Bei der Vereinbarung der letzten Überweisung hat Ionela Peppi gesagt, dass sie erneut in die
Türkei verfrachtet werden soll. Da Ionela bei der türkischen Polizei jedoch bereits aktenkundig ist, haben die Menschenhändler sie für 100 Euro mit einem Mann verheiratet, sodass sie einen anderen Familiennamen trägt. Es muss schnell gehandelt werden: In ein paar Tagen wird sie die Grenze passiert haben ...
Am Telefon spüre ich, wie ausweglos Ionela ihre Lage einschätzt. Sie zögert. »Ionela, ich komme und hole dich ab.« »Nein, das geht nicht! Sie werden mich umbringen! Sie haben gesagt, wenn ich noch einmal versuche davonzulaufen, binden sie mich an ein Auto und schleifen mich solange hinterher, bis ich tot bin.« »Das werden sie nicht tun, sie versuchen nur, dir Angst zu machen.« »Nein, sie werden es tun! Als sie mich bei meiner Tante geholt haben, hat mich Ramon mit der Faust geschlagen, immer wieder. Sie haben mir auch die Haare abgeschnitten, um mich zu bestrafen. Ich habe gesagt, dass ich alles der Polizei sagen werde, aber die Babuschka hat nur gelacht und gesagt, dass die Polizisten ihre Freunde sind!« Ich habe keinerlei Möglichkeit he rauszufinden, ob sie die Wahrheit sagt. Aber das spielt auch keine Rolle, denn ich bin zutiefst davon überzeugt, dass dieses Mädchen sich in Gefahr befindet. Alles andere ist Nebensache.
»Wir werden einen Weg finden, Ionela. Gibt es einen Zeitpunkt, zu dem sie dich allein lassen?« »Nein, ich bin den ganzen Tag über in einem Zimmer eingeschlossen.« »Denk genau nach. Lassen sie dich nie heraus?« »Wenn ich es Ihnen doch sage! Nein, sie wollen mich nicht einmal auf der Straße arbeiten lassen. Sie haben Angst, dass ich wieder weglaufe. Einzig und allein zur Post darf ich gehen, um die Geldüberweisungen von Peppi abzuholen.« »Bist du bei diesem Gang allein?« »Die Babuschka und Ramon warten vor dem Gebäude auf mich. Sie weichen mir keinen Schritt von der Seite.« »Aber du gehst allein in die Post hin ein?« »Ja, aber Peppi hat mir erst gerade vor ein paar Tagen Geld geschickt. Ich weiß nicht, wann die nächste Überweisung kommt.« »Das macht nichts, sie wissen es ja auch nicht. Du wirst ihnen also sagen, dass Peppi dich angerufen hat und dir Geld geschickt hat, das du abholen musst. Dann rufst du mich an und sagst mir, wann du zur Post gehst.« »Und dann?« »Ich werde vor der Post auf dich warten. Ein alter metallicroter Audi wird vor dem Gebäude stehen - mit einer blonden Frau am Steuer. Das bin ich. Die hinteren Türen werden offen sein. Wenn sie dich ins Gebäude schicken, gehst du hin ein ... und kommst sofort wieder heraus. Du musst sie überraschen: Sie werden denken, dass du etwa zehn Minuten brauchst, um die notwendigen Formulare zu unterschreiben. Also werden sie sich wahrscheinlich eine Zigarette anzünden und auf dich warten. Keiner von beiden wird damit rechnen, dass du so schnell wieder heraus kommst. Du rennst schnurstracks zu meinem Auto und springst auf den Rücksitz. Ich lasse den Motor laufen, sodass wir sofort losfahren können. »Gut ...« »Alles wird klappen, Ionela.« »Einverstanden ...« Als ich auflege, bin ich trotz allem ein wenig beunruhigt. Wenn diese Verbrecher etwas ahnen? Egal, wir haben
keine andere Wahl. Wir müssen es so versuchen ... Ionela ruft mich am nächsten Tag an: »Ich habe alles gemacht wie vereinbart und gehe morgen Nachmittag das Geld holen.« »Ich werde dort sein. Wo ist die Post?« »In der Innenstadt.« »Sehr gut. Ich werde sie schon finden. Denk dran: ein roter Audi, eine blonde Frau, und du springst hinten ins Auto.« »Okay.«
Ich lebe in Piteti, einer Industriestadt am Fuße der Karpaten. Die Stadt Calarai, wo ich Ionela abholen werde, liegt schon fast am Schwarzen Meer, etwa vier bis fünf Autostunden von Piteti entfernt. Ich muss also früh aufbrechen, da ich nicht genau weiß, wann Ionela auftauchen wird. Ich hätte meinen stabilen Dacia nehmen können, der für lange Strecken sehr viel bequemer ist, aber mein alter Audi ist wendiger und schneller: Das könnte
sich bei einer Verfolgung als nützlich erweisen. Es ist schon fast Mittag, als ich das Zentrum von Calarai erreiche. Von meinem Stadtplan vollkommen verwirrt, muss ich schließlich doch einen Passanten nach dem Weg zur Post fragen und gelange schließlich ans Ziel. Nur wenige Meter vom Eingang entfernt parke ich in Fahrtrichtung auf dem Gehsteig. So ... jetzt muss ich nur noch warten ... und hoffen, dass die Menschenhändler ihre Pläne nicht geändert haben!
Dreieinhalb Stunden später ist Ionela immer noch nicht aufgetaucht. Aus Angst, sie zu verpassen, bin ich in meinem Wagen geblieben. Seit dem frühen Morgen habe ich nichts gegessen, und mein Magen knurrt gewaltig, aber trotzdem könnte ich nichts herunterbringen. Das Warten ist unerträglich. Ich stelle mir das Schlimmste vor: Hat die Babuschka Lunte gerochen? Hat die eingeschüchterte Ionela gestanden, dass es gar keine Postanweisung gibt? Angst schnürt mir den Magen zu, aber es bleibt mir nichts anderes übrig, als mit gespannter Aufmerksamkeit die ins Postgebäude hin eingehenden und he rauskommenden Menschen zu beobachten. Plötzlich sehe ich sie: ein blasses Mädchen mit strubbligem Haar, das eine Jeans und einen knappen Blouson trägt, steigt aus einem Taxi, das genau vor mir parkt. Ich bin nicht sicher ... ihre wüst geschnittenen Haare ... doch, das muss sie sein. Sie wirft einen Blick zu meinem Auto herüber und lenkt ihre Schritte dann zum Eingang des Gebäudes. Auf dem Beifahrersitz im Auto vor mir erkenne ich eine alte Roma, die mit dem Taxifahrer spricht.
Jetzt funktioniert mein Gehirn vollkommen automatisch. Ich lasse den Motor an und setze langsam zurück, um mit einmaligem Einschlagen des Lenkrads aus meiner Parklücke auszuscheren. Ohne das Taxi aus den Augen zu lassen, taste ich nach dem Griff der hinteren Tür, um diese bereits zu öffnen. Ich bin bereit. Es ist so weit! Ionela kommt aus der Post und wirft sich drei Sekunden später auf den Rücksitz. Sie hat sich noch nicht einmal aufgerichtet, da trete ich schon aufs Gaspedal. Ich habe keine Ahnung, ob die Babuschka etwas gesehen hat, aber als ich das Taxi überholt habe, sehe ich im Rückspiegel, dass der Taxifahrer etwas zu ihr sagt und mit dem Finger auf meinen Audi weist. Sie haben begriffen ... Mein Fuß drückt weiter aufs Gas, ich beschleunige, so gut es geht. Hinter mir nimmt das Taxi nun seinerseits Fahrt auf. »Ionela, wohin soll ich fahren? Nach rechts? Nach links?« Ich kenne die Stadt nicht. Während der vier Stunden, die ich im Auto gewartet habe, habe ich nicht einmal daran gedacht, den Stadtplan im Hinblick auf eine mögliche Route zu studieren ... Was für eine Idiotin ich doch bin! Im Rückspiegel sehe ich Ionelas angstverzerrte Züge. Sie wagt nicht, sich aufzurichten, und versucht, sich durch ein paar flüchtige Blicke aus dem Fenster zurechtzufinden. »Da lang!« Auf der Rückbank kauernd, weist das Mädchen mir mit ihrem Arm die Richtung, in die ich fahren soll. Das Taxi ist mir dicht auf den Fersen. Die Babuschka schwingt drohend ihre Faust.
»Und jetzt, wohin soll ich jetzt fahren?« »Nach links!« Während sie mir antwortet, weist sie mit dem Arm nach rechts. »Ionela! Weißt du nicht, wo rechts und links ist?« »Doch ... nein ... dorthin!« Wir brechen in nervöses Gelächter aus. Ionela ist vollkommen panisch. Wahrscheinlich könnte sie mir im Augenblick nicht einmal die Frage nach ihrem Namen richtig beantworten. Ich folge ihren chaotischen, unvermittelten Anweisungen, so gut es eben geht. Ich biege mehrmals ab, schlängele mich durch enge Gassen, missachte ein Stoppschild ... Im Rückspiegel sehe ich, dass der Abstand zu unseren Verfolgern rasch größer wird. Gut, dass ich den Audi genommen habe! Fünf Minuten später wagt auch Ionela einen Blick aus dem Rückfenster. »Ich sehe sie nicht mehr«, flüstert sie, ohne es wirklich zu glauben. Aber Ionela hat recht: Es ist geschafft, wir haben sie abgehängt. Langsamer fahre ich aber dennoch nicht. Die Menschenhändler könnten mein Autokennzeichen an einen Komplizen weitergeben. Ich bleibe wachsam und achte da rauf, dass kein anderes Auto die Verfolgung aufnimmt. Erst als wir die Stadt hinter uns gelassen haben, bin ich sicher, dass wir gerettet sind. Endlich! Ich fahre unvermindert schnell weiter, um unseren Vorsprung weiter auszubauen, aber ich lächele meiner verängstigten Begleiterin jetzt aufmunternd zu. Eine Zeit lang sagt keine von uns ein Wort. Allmählich normalisiert sich unsere Atmung. Plötzlich klingelt Ionelas Telefon. Kaum hat sie das Gespräch angenommen, bellt jemand so laut in das Gerät, dass ich verstehe, was er sagt: »Gib mir die blonde Hure!« Zitternd und wütend zugleich reicht Ionela mir das Handy. Die brutale Stimme eines Mannes schreit mir ins Ohr: »Bring sie sofort zurück, sonst werfen wir dich den Ratten zum Fraß vor!« »Zur Hölle mit Ihnen!« »Du hättest uns das Mädchen nicht klauen sollen, du weißt offenbar nicht, mit wem du es zu tun hast!« Ich ersticke fast vor Lachen: Dieser Kerl denkt doch tatsächlich, dass er es mit einem anderen Menschenhändler zu tun hat. Er verhält sich gerade so, als hätte ich mir sein bestes Stück unter den Nagel gerissen! »Dreckige H...« Abrupt beende ich das Gespräch und werfe das Telefon auf den Boden. Diese groben Beschimpfungen brauche ich mir nicht anzuhören. Außerdem muss ich dringend meine kleine Schutzbefohlene beruhigen. »Alles ist gut, du bist in Sicherheit, sie können uns nichts mehr tun.« »Ja ... wir haben sie wirklich abgehängt, oder?« Die Stimme des jungen Mädchens klingt angespannt.
Ich spüre, dass es immer noch hochgradig nervös ist und die Situation nicht einzuschätzen vermag. Es weiß nichts von mir, aber es fühlt sich zum ersten Mal in einer starken Position. Der Weg ist weit, und wir nutzen die Zeit, um Bekanntschaft zu schließen. Ich erzähle ihm von meinem Frauenhaus, das Opfer der Zwangsprostitution aufnimmt, und schlage ihm vor, an meinem Wiedereingliederungsprogramm teilzunehmen. Voller Begeisterung geht es auf mein Angebot ein. Es klingt beinahe etwas zu euphorisch ... Aber es erstaunt mich nicht, dass es da rauf aus ist, mir zu gefallen. Es kommt aus einer Umgebung, in der Gewalt an der Tagesordnung war. Wochenlang musste es sich verstellen - einfach, um zu überleben. Es muss erst lernen, mir zu vertrauen ...
Wir sind noch eine Stunde von Piteti entfernt, als Ionelas Telefon erneut klingelt. Ich hebe es vom Boden auf und nehme diesmal selbst ab, um die zu erwartenden Beschimpfungen entsprechend zu parieren. Wider Erwarten ertönt jedoch eine ruhigere Stimme am anderen Ende. »Hallo, ich bin Polizeibeamter. Bei uns wurde die Entführung einer minderjährigen Person gemeldet. Ich fordere Sie auf, das junge Mädchen unverzüglich zurückzubringen.«
Da hört sich doch alles auf! Die Schlepper waren so dreist, zur Polizei zu gehen! Oder ist dieser Beamte von ihnen bestochen worden? Das kann ich jetzt nicht herausbekommen, aber der Befehlston des angeblichen Ordnungshüters bringt das Geschwür, das seit heute Morgen in mir gärt, zum Platzen. Wutentbrannt fahre ich ihn an: »Sie armer Irrer! Die minderjährige Person, die ich angeblich entführt habe, wurde vorher als Prostituierte ausgebeutet! Wa rum decken Sie diese Leute? Haben sie Ihnen denn wenigstens gesagt, dass sie sie zur Heirat mit einem Unbekannten gezwungen haben?«
»Nein, ich weiß nicht, wovon Sie sprechen. Ich weiß nur, dass eine Anzeige wegen Entführung vorliegt.« »Geben Sie mir bitte Ihren Namen, Herr Kommissar.« »...« »Hallo?« Die Verbindung ist unterbrochen. Ganz offenbar war es dem Polizisten lieber, das Gespräch abzubrechen. Wahrscheinlich hat er realisiert, dass die Sache gefährlich für ihn wird. Ionela wirft instinktiv noch einmal einen Blick durchs Rückfenster, was sie mindestens schon einhundert Mal seit unserem Aufbruch in Calarai getan hat. Ich ahne, dass es viel Zeit brauchen wird, bis sie wieder durch die Straßen schlendern wird, ohne sich ängstlich umzublicken. »Sag mal, hast du Hunger?« »Ja.« »Gut, dann werden wir anhalten und etwas essen.« Es ist Nacht geworden. Wir haben den ganzen Tag über nichts zu uns genommen. Es sind nur noch zwanzig Wegminuten bis zu dem Frauenhaus, und ich will ihr kurz in groben Zügen das Programm erklären, bevor ich sie den anderen Mädchen vorstelle. In dem Restaurant an der Straße fällt Ionela über ihren Teller her. Sie ist erschöpft, aber auch erleichtert und möchte jetzt endlich ankommen. Dieses Frauenhaus ist für sie die Chance, ihr Leben zu ändern.
Copyright © 2011 by Bastei Lübbe GmbH & Co. KG, Köln
Übersetzung: Monika Buchgeister
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Bibliographische Angaben
- Autor: Iana Matei
- 2011, 4. Aufl., 288 Seiten, Maße: 12,5 x 18,6 cm, Kartoniert (TB), Deutsch
- Übersetzung: Buchgeister, Monika
- Übersetzer: Monika Buchgeister
- Verlag: Bastei Lübbe
- ISBN-10: 3404602811
- ISBN-13: 9783404602810
- Erscheinungsdatum: 14.10.2011
Rezension zu „Zu verkaufen: Mariana, 15 Jahre “
"Ein Buch wie ein Paukenschlag." (France Soir)
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