Das Washington-Dekret (ePub)
Thriller
Die atemberaubende Vision vom Zerfall einer Gesellschaft
Durch den kaltblütigen Mord an seiner Ehefrau und dem ungeborenen Kind gerät der neu gewählte amerikanische Präsident Bruce Jansen völlig aus dem Gleichgewicht. Er erlässt das >Washington Dekret...
Durch den kaltblütigen Mord an seiner Ehefrau und dem ungeborenen Kind gerät der neu gewählte amerikanische Präsident Bruce Jansen völlig aus dem Gleichgewicht. Er erlässt das >Washington Dekret...
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Produktinformationen zu „Das Washington-Dekret (ePub)“
Die atemberaubende Vision vom Zerfall einer Gesellschaft
Durch den kaltblütigen Mord an seiner Ehefrau und dem ungeborenen Kind gerät der neu gewählte amerikanische Präsident Bruce Jansen völlig aus dem Gleichgewicht. Er erlässt das >Washington Dekret< - eine politische Entscheidung, die schwerwiegende Folgen nach sich zieht für die gesamte amerikanische Bevölkerung.
Amerika im Ausnahmezustand ...
Doggie Rogers, Mitarbeiterin im Stab des Präsidenten, steht nach dem Attentat unter Schock - nicht zuletzt, weil ihr eigener Vater nun des Mordes angeklagt wird. Auf der Suche nach der Wahrheit wird Doggie zur meistgesuchten Frau der USA. Mit Hilfe von Freunden versucht sie das Komplott aufzudecken. Alles ruht nun auf ihren Schultern ...
Durch den kaltblütigen Mord an seiner Ehefrau und dem ungeborenen Kind gerät der neu gewählte amerikanische Präsident Bruce Jansen völlig aus dem Gleichgewicht. Er erlässt das >Washington Dekret< - eine politische Entscheidung, die schwerwiegende Folgen nach sich zieht für die gesamte amerikanische Bevölkerung.
Amerika im Ausnahmezustand ...
Doggie Rogers, Mitarbeiterin im Stab des Präsidenten, steht nach dem Attentat unter Schock - nicht zuletzt, weil ihr eigener Vater nun des Mordes angeklagt wird. Auf der Suche nach der Wahrheit wird Doggie zur meistgesuchten Frau der USA. Mit Hilfe von Freunden versucht sie das Komplott aufzudecken. Alles ruht nun auf ihren Schultern ...
Lese-Probe zu „Das Washington-Dekret (ePub)“
Das Washington-Dekret von Jussi Adler-OlsenAus dem Dänischen von Hannes Thiess und Marieke Heimburger
Der Schneesturm, der das Land am Tag der Präsidentschaftswahl heimsuchte, war ohne Vorwarnung gekommen. Die Strommasten außerhalb der Ortschaften knickten um wie Streichhölzer. Schnell war die Ostküste von South Carolina im Süden bis Massachusetts im Norden unter Schneemassen begraben. Es war so kalt, dass sich auf dem Potomac Eis bildete. Seit 1976 hatte man keine solche Kälte im November erlebt, und seit Februar 2002 hatte es nicht mehr so viel Schnee gegeben. Die Menschen trauten sich nicht aus dem Haus. Überall steckten Autos fest, ganze Stadtteile waren ohne Strom, und auf dem Land hatte man Probleme, die Wahllokale mit Personal zu versorgen. Aber nichts von alldem konnte Bruce Jansen den Sieg streitig machen, so viel war klar.
John Bugatti und seine Fernsehcrew von der NBC waren bereits am Vortag im Hotel Splendor in Virginia Beach eingetroffen. Das Wahlkampfteam und die Gruppe dunkel gekleideter Sicherheitsbeamter hatten sich ebenfalls schon einquartiert. Alle warteten auf Jansens Ankunft.
Als sein Assistent das Zeichen gab, drehte sich Bugatti zur Kamera. Es war Showtime und Primetime. Ganz Amerika sah jetzt zu.
Gut gelaunt blickte Bugatti direkt ins Objektiv. »Alles deutet darauf hin, dass heute Abend Geschichte geschrieben wird. Trotz eines Schneesturms, vergleichbar jenem, mit dem Jimmy Carter sich damals nach Amtsantritt herumschlagen musste, gibt es keinen Zweifel, dass Senator Bruce Jansen auf dem Weg ins Weiße Haus ist. Das jedenfalls ist das Ergebnis sämtlicher Wählerumfragen von heute.
Und wenn man an einen Zusammenhang zwischen dem Abschneiden der Redskins beim Finalspiel und dem Ergebnis der Präsidentschaftswahlen glaubt, dann ist die Niederlage der Redskins ein Omen dafür, dass ein Regierungswechsel bevorsteht. Dann würde zum allerersten Mal ein Präsident
... mehr
mit skandinavischen Wurzeln ins Oval Office einziehen. Aller-dings kein Nachkomme der vielen Skandinavier, die Ende des neunzehnten und Anfang des zwanzigsten Jahrhunderts einwanderten, sondern ein Nachkomme Hans Jansens, jenes großen Kaufmanns in Boston, der zu den ersten Kolonisatoren unseres stolzen Landes gehörte.
Bruce Jansen hat das im Wahlkampf oft thematisiert, sodass wir alle seinen familiären Hintergrund kennen. Wer hat nicht schon in einem der Drugstores eingekauft, die den Namen des Jansen-Clans tragen? Aber alles in allem macht das skandinavische Blut in Jansens Adern doch nur einen Tropfen in einem Meer von englischem, irischem und schottischem Blut aus, das seit Anfang des achtzehnten Jahrhunderts seine Familie veredelt hat. Und deshalb können wir alle, auch die alten Ostküstenfamilien, Jansen die Arroganz des einen Tropfens skandinavischen Bluts vergeben und darüber lachen. Denn alles, was Jansen anfasst, macht er mit Wissen und Verstand, aber auch mit Humor und Talent, und dafür lieben wir ihn.
Der Bruder unseres gegenwärtigen Präsidenten wird, trotz einigermaßen guter Ergebnisse und großer Unterstützung während seiner Amtszeit als Gouverneur von Florida, der enormen Beliebtheit, die Jansen und seine wunderbare Ehefrau im ganzen Land genießen, nichts entgegenzusetzen haben. Jansen hat die Wähler wie im Sturm erobert, und die Sympathien für diesen Mann, der vor Jahren auf so tragische Weise seine erste Frau verlor und in dessen Präsidentschaft endlich wieder kleine Füße durch das Weiße Haus tapsen werden, sind gewaltig.«
Neben ihm stand Wesley Barefoot, wie immer lächelnd und perfekt gekleidet. Bugatti wandte sich ihm zu. »Wesley Barefoot, Sie kennen Bruce Jansen seit seiner Chinareise vor sechzehn Jahren. Haben Sie selbst in Jansen während all der Jahre den möglichen Präsidentschaftskandidaten gesehen? Und wenn ja, haben Sie dann einen Präsidentschaftskandidaten erlebt, der sich weiterentwickelt hat?«
Wesley schüttelte den Kopf. »Bei Bruce Jansen ist man nie im Zweifel, wen man vor sich hat. Er ist der geborene Präsident. Mir ist noch nie ein Mann mit vergleichbar großem Interesse für das Wohl und Wehe seines Landes begegnet, und ich kann ohne Zögern sagen, dass dieses Interesse bei ihm schon immer bestanden hat. Selbstverständlich findet über einen so langen Zeitraum hinweg eine persönliche Entwicklung statt. Aber letztendlich hat nichts von dem Rummel, den Wahlkämpfe und die Aufmerksamkeit der Medien nun mal mit sich bringen, etwas an Bruce Jansens grundsätzlichen Einstellungen zum Leben und zu den politischen Fragestellungen geändert. Nicht im Geringsten.«
»Und der Mord in Peking, hat der auch nichts geändert?«
Barefoot schwieg einen Moment und sah wie erwartet zu Boden. Bugatti hatte ihn vorher gewarnt, dass die Frage kommen würde.
»Caroll Jansen war das Ein und Alles des damaligen Senators. So etwas verwindet man nie. Das, was damals geschehen ist, war entsetzlich.« Er blickte auf, und Bugatti nickte.
»Aber Trauer lässt die Seele reifen«, sagte Barefoot. »Vielleicht müssen wir Caroll Jansens unglücklichem Schicksal danken, wenn wir das unermüdliche Engagement des Senators gegen Übergriffe, Gewalt und Not betrachten. Ich glaube sogar, dass durch das, was damals geschah, die ganze Nation verändert wurde.« Er wandte den Blick zur Kamera. »Doch Bruce Jansen ist ein Mann, der stets einen kühlen Kopf bewahren wird - komme, was da wolle. Er ist ein Garant für Stabilität und Gerechtigkeit und der Inbegriff von Glaubwürdigkeit. Das wird das Fundament der Politik der nächsten Jahre sein.« Er deutete direkt in die Kamera. »Darauf können Sie sich verlassen!«
Bugatti lächelte. Die Wahllokale hatten noch nicht geschlossen, und das war Bruce Jansens Chefagitator offenbar sehr bewusst. Dieses Interview könnte durchaus noch die eine oder andere Wählerstimme bringen.
Er dankte Barefoot, und mit Blick in die Kamera sagte er:
»In einer halben Stunde schließen hier an der Ostküste die Wahllokale. Und in einer Stunde können wir anfangen, darüber zu spekulieren, was uns die künftigen vier Jahre bringen werden. Im Moment warten wir darauf, dass Bruce Jansens Hubschrauber trotz Schneesturms und schlechter Sichtverhält-nisse in etwa zwei Stunden hier am Strand vor dem Splendor Hotel landen wird.« Lächelnd deutete er zur Eingangshalle des Hotels. »Vor dem Hotel warten bereits ungefähr zweihundert Vertreter der Presse, um ihn und seine hochschwangere Frau in Empfang zu nehmen. Mimi Jansen ist seit zehn Tagen über dem Termin, das Kind kann also jederzeit kommen.«
Bugatti wandte sich dem nächsten Interviewpartner zu, einem hiesigen Meteorologen. Der äußerte sich besorgt über die katastrophenähnlichen Zustände mit vielerorts einem halben Meter Schnee und etlichen Verkehrsunfällen mit tödlichem Ausgang. Am Ende forderte Bugatti alle auf, die noch nicht gewählt hatten, nun an die Wahlurnen zu eilen, »aber bitte schön vorsichtig«.
Dann reichte er das Mikrofon seinem Assistenten und über-ließ den Bildschirm dem nächsten Beitrag über einen abscheulichen Mord durch einen Heckenschützen auf der 5th Avenue in New York. Bugatti schaute sich um. Die Hotellobby war erfüllt von Stimmengewirr. Am anderen Ende des großen Raums, gleich hinter dem monströsen Abklatsch der Freiheits-statue, sah er Doggie Rogers. Sie wirkte unruhig.
Senator Jansens Ankunft gestaltete sich nicht unproblematisch. Das Unwetter hatte sich weiter verschlimmert, es schneite mittlerweile so heftig, dass die Sichtweite gegen null tendierte, und insbesondere die Männer vom Secret Service hatten Sorge wegen der Böen, die vom Meer her über das Land fegten. Aus den Instrumenten des Blasorchesters stiegen Dampfwolken auf, als die Bläser sie aufwärmten. Der Schein der Fackeln brannte sich in die Dunkelheit ringsum. »Kein Grund zur Beunruhigung, Leute«, war wenige Minuten vor der Ankunft über die Lautsprecheranlage Bruce Jansens verzerrte Stimme aus dem Hubschrauber zu hören. »Wir werden rechtzeitig da sein. Der Pilot sagt, er ist mindestens hundertfünfzig Mal in Da Nang gelandet, das hier ist nichts dagegen.«
Bugatti entdeckte den Hubschrauber erst, als die Rotorblätter die obere Schneeschicht vom Strand fegten. Scheinwerfer richteten sich auf die silbrig glänzende Maschine. Ein großer Moment, wenn man so weit gekommen war. In wenigen Sekunden würde der nächste Präsident der Vereinigten Staaten aussteigen, anderes schien nach den ersten Hochrechnungen kaum mehr denkbar. Mindestens tausend Menschen hatten dem Wetter getrotzt und erwarteten ihn jubelnd.
Siegesgewiss stand Bruce Jansen in der offenen Luke des Hubschraubers, beide Arme in die Höhe gestreckt. So liebten ihn die Leute. Leichtfüßig verließ er die Maschine, direkt gefolgt von seinem juristischen Berater Stephen Lovell. Hinter ihm erschien mit geröteten Wangen und in einen Pelzmantel gehüllt die lächelnde Mimi Jansen. Der Mantel konnte nicht verbergen, wie weit fortgeschritten ihre »anderen Umstände« waren. Sie sah hinreißend aus.
Die Journalisten drängten sich nach vorn, und zwei Mal wurde Bugatti von seinem Kameramann Marvin Gallegos getrennt. Offenbar waren alle wild entschlossen, Jansens erste Worte noch Sekunden vor dem Nebenmann in den Äther zu schicken. Darum ging es, das war Bugatti klar.
Er gab Marvin ein Zeichen, mit ihm außen um die Schar herum- und die Treppe zum Hotel hinaufzurennen. Dann musste eben Kamerateam zwei die Außenaufnahmen übernehmen. Bugatti wusste, dass Jansen nicht dort draußen in Kälte und Dunkelheit stehen bleiben würde. Warum auch, wo es doch in der taghell erleuchteten Lobby viel angenehmer war? Die Aufnahmen dort drinnen würden fantastisch werden.
Das Empfangskomitee wartete in der Eingangshalle. Neben den grau und schwarz gekleideten Sicherheitsleuten bestand es aus dem amtierenden Gouverneur von Virginia und dem Hotelbesitzer Bud Curtis, hinter denen sich Mitglieder des Kongresses mit ihren Frauen aufgestellt hatten. Alle trugen sie große Buttons mit Jansens Konterfei, die Frauen waren dem Anlass entsprechend festlich gekleidet. Eine hatte sich sogar extra ein Kostüm schneidern lassen: die Jacke aus der Flagge der Vereinigten Staaten und den Rock aus der Flagge des Bundesstaates Virginia. Ein selten hässlicher und geschmackloser Anblick.
Als der prominente Gast die Lobby betreten und sich den Schnee abgebürstet hatte, schüttelte ihm der Hotelbesitzer mit einer Herzlichkeit die Hand, als wäre er der lange vermisste und endlich heimgekehrte Bruder. Bud Curtis führte die Gäste gleich zu einem kleinen Podium bei der giftgrünen Freiheitsstatue, wo ein mit großen Rosen geschmücktes Rednerpult bereitstand.
Jansen gab seiner Frau einen Kuss und klopfte seinem Wahlkampfleiter Thomas Sunderland auf die Schulter. Dann sprang er mit einem Satz aufs Podium und trat hinter das Rednerpult. »Ladies and Gentlemen!«, rief er und sah dabei seine Zuhörer an, als kenne er jeden Einzelnen. »Ich habe eben weitere Hochrechnungen erhalten und kann Ihnen sagen, dass mein verehrter Gegenkandidat, der Gouverneur von Florida, den Vorsprung nicht mehr einholen wird. Das großartige amerikanische Volk hat den Wettergöttern getrotzt, die Wahlbeteiligung liegt im ganzen Land um die sechzig Prozent.« Er streckte die Arme in die Höhe, und das Publikum schrie und klatschte enthusiastisch. »Die Menschen haben ein ganz klares Urteil gesprochen: Wir haben mindestens fünfundsechzig Prozent der abgegebenen Stimmen errungen und bereits jetzt eine deutliche Mehrheit der Wahlmänner auf unserer Seite. Da können wir, liebe, treue Freunde, wohl so kühn sein und sagen: Wir haben gewonnen! «
Die versammelten Gäste jubelten noch lauter, und wie durch Zauberhand rieselte Konfetti von der Decke und machte dem Schneesturm draußen Konkurrenz.
»Fünfundsechzig Prozent«, murmelte Bugatti vor sich hin. Nicht schlecht. Das war ein gewaltiger Denkzettel für die republikanische Partei und die gegenwärtige Regierung. Einen solchen erdrutschartigen Sieg hatte es noch nie gegeben. Bugatti tat es allen anderen gleich, riss die Arme hoch und jubelte, so laut er konnte.
Auch er stand voll und ganz hinter Jansen.
In den folgenden Minuten sprach Bruce Jansen seinem Kontrahenten Dank für einen guten und fairen Wahlkampf aus, schickte herzliche Grüße an seine Mitarbeiter und zog dann seine Frau zu sich aufs Podium. Er winkte allen zu, dankte Gott und dem amerikanischen Volk und sandte noch einmal einen nachdrücklichen und herzlichen Gruß an seinen geschlagenen Gegner in die laufenden Fernsehkameras.
Dann überließ er den Platz seinem Sprecher Wesley Barefoot. Er selbst stellte sich zwischen die Sicherheitsbeamten. »Meine Damen und Herren, Sie hörten den zukünftigen Präsidenten der Vereinigten Staaten von Amerika«, verkündete Wesley und machte Bugatti dann ein Zeichen. Offenbar sollte jetzt sein Interview stattfinden.
»Wir verabschieden uns für eine Weile von Senator Jansen«, fuhr Barefoot fort, während Bugatti dem Kameramann signalisierte, ihm zu folgen. »Seine Frau muss aus nachvollziehbaren Gründen etwas ruhen, und die Stimmenauszählung ist noch nicht abgeschlossen. Aber wir werden im Laufe des Abends noch mehr von unserem zukünftigen Präsidentenpaar hören, das verspreche ich Ihnen. Genießen Sie unterdessen diese wunderbare Umgebung«, er nickte dankbar zum Hotelbesitzer hinüber, »essen und trinken und tanzen Sie! Das Fest hat begonnen! «
Bugatti und Marvin drückten sich hinter den feiernden Menschen aus dem Saal. Bud Curtis führte sie zu einer Seitentür, vermutlich eine Abkürzung für die Presse, so holten sie Jansen und sein Gefolge ein.
Jansen entdeckte Bugatti sofort und streckte ihm die Hand entgegen. »John! Herzlich willkommen! «
»Meinen Glückwunsch, Mister President. Das ist wirklich großartig. «
»Danke, John, aber Präsident werde ich erst in ein paar Monaten sein.«
Bugatti nickte Jansens Frau zu, die von Nahem doch sehr müde aussah. Sie hatte eine Krankenschwester an ihrer Seite und wurde dicht gefolgt von einer Ärztin, die Mimi Jansen im Falle des Falles zum Krankenhaus begleiten oder sogar entbinden sollten. Neben der Ärztin ging Thomas Sunderland, der sich ausnahmsweise einmal ein breites Lächeln gestattete. Direkt hinter den beiden folgten zwei der größten Leibwächter, dann kamen die VIP-Gäste. Bud Curtis führte diese prominente Schar an, er zeigte ihnen den Weg. Was vermutlich unnötig war, denn Jansens persönliche Sicherheitsleute und zwei Angehörige des Secret Service wohnten schon seit Tagen im Hotel und kannten jeden Winkel des Komplexes.
»Hey ! «, flüsterte eine Stimme hinter Bugatti. Er drehte sich um und sah Doggie, die sich ihren Weg zu ihm freikämpfte. Sie hakte sich bei ihm unter und drückte seinen Arm. »Schöner Abend, findest du nicht auch?«
Er lächelte sie an.
Sie bogen um eine Ecke und befanden sich plötzlich in einer Ausbuchtung, einer Art Zwischenraum, der den schmalen Korridor, den sie gerade verlassen hatten, mit dem nächsten Abschnitt verband. Unter der Decke hingen mindestens hundert Flaggen, und das gesamte Gefolge wandte den Blick nach oben. Bugatti warf dem Kameramann hinter sich einen Blick zu, an der Kamera leuchtete die rote Lampe.
An dieser Stelle stoppte Bud Curtis die Gesellschaft für einen Moment. »Meine Damen und Herren! Als Anerkennung von Bruce Jansens fantastischem Wahlkampf wollen wir für ihn und seine Frau etwas enthüllen!« Dann nickte er einem gekrümmt stehenden kleinen Mann in roter Jacke zu, der mit einem der grau gekleideten Männer vom Secret Service vor einem Vorhang gewartet hatte.
Bugatti merkte, wie Doggie zusammenzuckte. Sie strahlte plötzlich etwas wie Panik aus. Im selben Augenblick traten zwei Sicherheitsbeamte, ein kleiner blonder Typ im grauen Anzug von einer Seite und von der anderen ein Kleiderschrank von einem Mann, in schwarzem Armanianzug und mit schweren Goldketten am Handgelenk, auf den schmächtigen Mann zu. Blitzschnell tastete ihn der graue Secret-Service-Beamte ab. Der sollte es wagen, mich mal so anzufassen, dachte Bugatti. Darüber vergaß er vollständig die Veränderung, die er gerade an seiner jungen Freundin beobachtet hatte.
Als der Sicherheitsbeamte in Grau fertig war und einen Schritt zurücktrat, sagte Bud Curtis »Bitte sehr«, und die Menschen rückten näher. Der Kleine zog an einer Schnur, und der Vorhang fiel zur Seite weg. Zum Vorschein kam ein mindestens fünf mal fünf Meter großes Gemälde, auf dem Senator Jansen und seine Frau vor dem Weißen Haus dargestellt waren. Ein strahlendes Paar vor einer wahnsinnig bunten Kulisse aus Sonnenschein, blühenden Bäumen und Vögeln, deren Zwitschern man zu hören meinte. Schlimmer als Disney-Produktionen und Werke von Norman Rockwell und allen seinen Nachahmern zusammen, fand Bugatti.
Aber offenbar war man sich einig, darüber hinwegzusehen. Die Menschen applaudierten und drängten nach vorn, sodass der kleine Mann nach hinten treten musste, um nicht an die Wand gepresst zu werden. Bugatti beobachtete ihn. Er passte kein bisschen in diese Umgebung.
Da tat Mimi Todd Jansen einen Schritt nach vorn, um sich das Bild genauer anzusehen. Sie hatte ein Talent, mit solchen Situationen umzugehen, selbst wenn ihr angestrengtes Lächeln verriet, dass auch sie schon schönere Gemälde gesehen hatte. Sie wechselte ein paar Worte mit dem Hoteldirektor, der nickte und lächelte, sich dann durch die Menge zurückzog und blitzschnell durch eine Seitentür verschwand. Senator Jansen reichte seiner blassen Frau den Arm, um mit ihr zu dem Konferenzraum zu gehen, in dem das Interview stattfinden sollte. In diesem Augenblick ertönte ein Schuss.
Blitzschnell drehte Bugatti sich um und sah sich einem wilden Durcheinander gegenüber. Einige Menschen rannten in die Richtung, aus der das Geräusch gekommen war, andere davon weg. Thomas Sunderland gehörte zu denen, die Bugatti in alldem am klarsten erkannte. Panik stand ihm ins Gesicht geschrieben, er wirkte verkrampft, das Futter einer Jackentasche war herausgestülpt, der Kragen aufgestellt. Er sah aus, als hätte man ihn geschlagen. Der größte der schwarz gekleideten Sicherheitsbeamten schob sich gewaltsam vorwärts. Genau im selben Moment trat der kleine Mann, der das Gemälde enthüllt hatte, zwei Schritte auf Jansen zu und schrie etwas. Erst jetzt erkannte Bugatti den Revolver in der Hand des Kleinen. Rauch und Pulvergeruch hingen in der Luft, die Menschen schrien, viele warfen sich zu Boden. Weitere Schüsse fielen, ein Kopfschuss traf den Attentäter und besudelte das Gemälde und die Fahnen. Bugatti spürte einen Schmerz und sah an sich hinunter. Sein Nachbar fasste sich an die Brust, auch ihn hatte ein Querschläger getroffen. Die Kamera lag neben Bugatti auf dem Boden, das rote Licht blinkte. In dem Tumult war sie dem Kameramann aus der Hand gefallen. Bugatti sah, wie sich auf seinem Hemd unter dem Arm ein Blutfleck ausbreitete. Doggie ließ ihn los und schrie wie alle anderen. Er berührte seine Wunde und begriff erst jetzt, was gerade passiert war.
Ein paar Meter weiter drückten mehrere Sicherheitsbeamte Senator Jansen auf den Boden, aber das konnte dessen Entsetzen nicht verbergen: Vor ihm auf dem Läufer lag seine Frau, Mimi Todd Jansen, mit weit aufgerissenen Augen, um Luft ringend, in einer Blutlache.
Der stechende Schmerz in Bugattis Lende wurde stärker, und er fiel auf die Knie.
Bis auf die Sicherheitsbeamten und Bugatti mit seinem verstörten Kameramann war die Hotellobby menschenleer.
Bugatti schickte nun schon zum vierten Mal seit dem Attentat vor zwei Stunden seine Kommentare in den Äther. Senator Jansen und seine Frau hatte man sofort weggebracht. Dutzende von FBI-Leuten und Mitarbeiter der Mordkommission von Richmond hatten seither alle vernommen, die sich während des Attentats in diesem Abschnitt des Korridors aufgehalten hatten. Ein Team von Spezialisten analysierte die Videoaufzeichnungen der Überwachungskameras und die Kopie des Bandes von Bugattis Kameramann, die ihnen die Techniker aus dem Übertragungswagen gegeben hatten. Zur gleichen Zeit wurde der Mittelgang minutiös untersucht, und in dem festlich geschmückten Raum wurden zum wiederholten Mal die Spuren der Gewalt in allen Details fotografiert.
Wie sich zeigte, waren viele der von den Sicherheitsleuten abgefeuerten Kugeln irgendwo abgeprallt und hatten zahlreiche Gäste verletzt, zum Glück schwebte aber niemand in Lebensgefahr. Die kleine Fleischwunde, die Bugatti davon getragen hatte, war bereits genäht. Er dachte lieber nicht darüber nach, in welchem Umfang man ihm schmerzstillende Medikamente verabreicht hatte.
Über den In-Ear-Kopfhörer gab sein Producer ihm ruhig und gefasst die Neuigkeiten durch. Bugatti war erschüttert.
Nachdem er einige Male tief durchgeatmet hatte, nickte er seinem Kameramann ernst zu, und das rote Lämpchen an der Kamera leuchtete auf.
»Vor wenigen Sekunden teilten die Ärzte des CJW Medical Center mit, Mimi Todd Jansen sei ihren schweren Verletzungen erlegen. Über den Zustand des Kindes herrscht Unklarheit.« Er machte eine Pause, dabei bemühte er sich, direkt in die Kamera zu sehen. »Eine große und bedeutende Persönlichkeit wurde auf brutalste Weise umgebracht, Amerika steht unter Schock. Zwei Stunden sind seit dem fatalen Attentat auf Mimi Todd Jansen vergangen, und im CJW Medical Center in Richmond kämpft man zur Stunde um das Leben ihres Kindes. Der Hubschrauber musste unter äußerst schwierigen Bedingungen durch den immer noch wütenden Schneesturm fliegen. Man war gezwungen, südlich von Lanexa zu landen und die hochschwangere Mimi Todd Jansen die restliche Strecke über die Interstate 64 bis zum Chippenham Campus zu fahren.« Den Blick immer noch direkt in die Kamera gerichtet, sagte er: »Lassen Sie uns eine Schweigeminute einlegen für einen großartigen Menschen.«
Die Minute kam ihm vor wie eine Ewigkeit. Menschen polterten durch die Lobby, aber sobald sie die versteinerte Schar um Bugatti sahen, blieben auch sie stehen.
Endlich gab der Producer Bugatti das Signal, fortzufahren. Er wandte sich seinem Monitor zu. »Erica, gibt es vom Krankenhaus Neues zum Zustand des Kindes?«
Undeutlich erschien ein Bild seiner alten Kollegin Erica Nelsen mit dem Krankenhaus im Hintergrund. Der Atem stand wie eine kleine Wolke vor ihrem Mund. »Nein, John, leider nicht. Wir wissen, dass im Augenblick in der zweiten Etage hektische Aktivität herrscht. Das Kind wurde in einem der OPs im Erdgeschoss durch Kaiserschnitt auf die Welt geholt, aber es heißt, man habe das Kind nun auf die Intensivstation gebracht.«
»Das könnte ein Hinweis darauf sein, dass das Kind lebt. Hat sich irgendeiner der Ärzte vor Ort geäußert, Erica?«
Nun war Erica in Nahaufnahme zu sehen. Sie wirkte durch-gefroren, aber vor lauter Schneetreiben konnte man ihre Miene nur schwer ausmachen. »Einen Moment, John!« Sie fasste sich ans Ohr und starrte mit leerem Blick in die Kamera. » Man informiert mich gerade, die Chancen, dass das Kind überlebt, seien gering. Zwar wurde es nicht durch den Schuss getroffen, aber Mimi Todd Jansen hatte sehr viel Blut verloren, und leider zeichnet sich ab, dass das Kind dieses Trauma nicht überleben kann.«
»Erica, wie haben die Ärzte Mimi Jansen unterwegs nach Richmond behandelt? Man hat doch sicher alles Menschen-mögliche für sie getan?«
Sie nickte. »Ja, natürlich, John, das steht völlig außer Frage. Mimi Todd Jansen hat schon unterwegs Bluttransfusionen erhalten, aber dazu habe ich noch keine weiteren Details.« Sie neigte den Kopf ein klein wenig auf die Seite und fasste sich wieder konzentriert ans Ohr. Dann nickte sie mit ernster Miene und blickte schließlich sichtlich bewegt in die Kamera.
»Es tut mir außerordentlich leid, das sagen zu müssen.« Sie schluckte. »Wie wir gerade hören, konnte auch das Leben des Kindes nicht gerettet werden. Von ärztlicher Seite heißt es, die Entbindung sei gut vonstattengegangen, aber der Zustand des Kindes sei so kritisch gewesen, dass es bereits nach wenigen Minuten verstarb.«
Bugatti ließ ihr einen Augenblick Zeit, sich zu fassen. Das war ungeheuer trauriges, aber auch ungeheuer gutes Fernsehen.
»Ich weiß, wie schwer das für Sie ist, Erica. Aber darf ich Sie trotzdem fragen, ob wir etwas zum Geschlecht des Kindes wissen? Gibt es dazu Informationen?«
»Ja, es war ... es war ein Junge. Er war ... er war ...« Sie blickte zu Boden und wollte dann weitersprechen, vermochte es aber nicht.
Bugattis Producer forderte ihn über seinen Kopfhörer auf, zu übernehmen. In dieser Situation die richtigen Worte zu finden, war schwer. Er holte tief Luft. »Wir erleben eines der tragischsten Ereignisse in der Geschichte unseres Landes. Auf dem Höhepunkt seines Lebens verliert Senator Bruce Jansen seine Frau und sein Kind. Von einer Sekunde zur nächsten stürzt seine Welt ein. Wir sind Zeugen einer nie dagewesenen Tragödie. «
Die landesweite Hochrechnung kam eine halbe Stunde später. Senator Jansen war wie erwartet mit überwältigender Mehrheit zum nächsten Präsidenten der USA gewählt worden. Dieser Moment hätte der Triumph seines Lebens sein sollen, doch jetzt wusste niemand, wo er sich überhaupt befand. Im Krankenhaus bei seiner Frau und seinem Kind vermuteten ihn die einen, auf seinem Landsitz in Onancock die anderen. Jedenfalls war er verschwunden.
Erst gegen zwei Uhr nachts trat Thomas Sunderland vor die Kamera und teilte dem amerikanischen Volk mit, der zukünftige Präsident befinde sich bei guter Gesundheit. Ihn habe keine der Kugeln getroffen, aber er wolle abwarten, bis er sich nach dem großen Schock etwas gefasst habe, bevor er mit einer Erklärung vor die Öffentlichkeit trete. Anschließend dankte Wahlkampfleiter Sunderland dem amerikanischen Volk für die Unterstützung und verneigte sich vor Mimi Todd Jansen und dem toten Kind.
Trotz des späten Sendeplatzes erreichte diese Fernsehsendung die höchste Einschaltquote, die es je gegeben hatte.
Bugatti war todmüde, weshalb er auf den letzten Beitrag, den ihm der Producer zum Abschluss übertragen hatte, gut hätte verzichten können. Trotzdem nickte er freundlich in die Kamera.
»Unser Mitgefühl gilt Senator Bruce Jansen und Mimi Todd Jansens Familie. Möge Gott sie segnen. -Wie wird es jetzt weitergehen? Die Verfassung verlangt, dass wir einen Präsidenten haben, aber da die Amtseinsetzung erst in zwei Monaten, am 20. Januar, stattfindet, könnte in der Zwischenzeit noch viel passieren. Bruce Jansen muss eine Entscheidung treffen. Kann er unter diesen Bedingungen die Aufgabe als Präsident übernehmen, oder wird er den Platz seinem designierten Vizepräsidenten Michael K. Lerner überlassen? Einem sachlichen und rechtschaffenen, aber trockenen Juristen, der im Wahlkampf in vielerlei Hinsicht im Schatten des Spitzenkandidaten gestanden hat und mit dem das amerikanische Volk bisher großen Ernst und wenig Charisma verbindet? Das wird sich zeigen. Sollte Bruce Jansen diese Krise überstehen und das höchste Amt des Landes annehmen, wäre er der fünfte Präsident, der als Witwer das Amt antritt, und der erste Witwer seit einhundertzwanzig Jahren.«
Bugatti machte bewusst eine Pause, dann fuhr er fort: »Außer diesen fünf Präsidenten und dem geschiedenen Woodrow Wilson hat nur der ledige James Buchanan allein im Weißen Haus gelebt. Er, unser fünfzehnter Präsident, dessen Initialen in umgekehrter Reihenfolge dieselben waren wie die Bruce Jansens und der Demokrat war wie Jansen, sah sich mit immensen Konflikten konfrontiert: Das Land befand sich damals am Rand des Bürgerkriegs. Bruce Jansens innere Konflikte müssen in diesen Stunden ähnlich zerstörerisch und furchtbar sein. Möge Gott ihm beistehen.«
Er wartete, bis das rote Licht an der Kamera erlosch. Der Abschluss der Sendung war ihm etwas chaotisch geraten, aber er war wirklich erschöpft. Er war seit über zwanzig Stunden auf den Beinen, zwanzig hektischen und irrsinnigen Stunden, die tiefe Spuren in seiner Seele hinterlassen hatten. Raben-schwarze Stunden. Er machte den Sicherheitsbeamten ein Zeichen, dass er nun gern mit dem Aufzug in sein Zimmer fahren wolle, aber sie schüttelten den Kopf und baten ihn, in einem der Sessel vor der Wand Platz zu nehmen. Also setzte er sich zwei Plätze entfernt von Jansens juristischem Berater Stephen Lovell. Der starrte wie paralysiert vor sich hin. Zwar war er nicht unmittelbar im Schlussfeld gewesen, aber doch nahe genug dabei. Ein besonnener Mann, nun in seinen Grundfesten erschüttert. Wie alle anderen.
Bugatti blickte auf die leuchtenden Ziffern, die angaben, auf welcher Etage sich der Aufzug befand. So saß er geraume Zeit.
Alle Aufzüge befanden sich mindestens zehn Minuten im zwölften Stock. Plötzlich und wie auf Kommando neigten mehrere der Sicherheitsbeamten intensiv lauschend den Kopf zur Seite. Zwei spähten zum Hoteleingang, als wollten sie sicher-gehen, dass der Weg frei war. Dann begannen die Aufzüge, sich abwärtszubewegen. Erst einer und dann auch mehrere andere, bis alle wie um die Wette nach unten sausten.
Bugatti stand auf, wurde aber sofort aufgefordert, sich wie-der zu setzen. Die Sicherheitsleute wandten sich dem Aufzug zu, der bereits am weitesten unten war. Die Türen öffneten sich und entließen einen Schwarm finster dreinblickender Männer. Zwischen sich eingeklemmt schoben sie eine Gestalt vorwärts. Bugatti ignorierte die Anweisungen der Sicherheitskräfte und erhob sich ...
© 2013 der deutschsprachigen Ausgabe: Deutscher Taschenbuch Verlag GmbH & Co. KG, München
Bruce Jansen hat das im Wahlkampf oft thematisiert, sodass wir alle seinen familiären Hintergrund kennen. Wer hat nicht schon in einem der Drugstores eingekauft, die den Namen des Jansen-Clans tragen? Aber alles in allem macht das skandinavische Blut in Jansens Adern doch nur einen Tropfen in einem Meer von englischem, irischem und schottischem Blut aus, das seit Anfang des achtzehnten Jahrhunderts seine Familie veredelt hat. Und deshalb können wir alle, auch die alten Ostküstenfamilien, Jansen die Arroganz des einen Tropfens skandinavischen Bluts vergeben und darüber lachen. Denn alles, was Jansen anfasst, macht er mit Wissen und Verstand, aber auch mit Humor und Talent, und dafür lieben wir ihn.
Der Bruder unseres gegenwärtigen Präsidenten wird, trotz einigermaßen guter Ergebnisse und großer Unterstützung während seiner Amtszeit als Gouverneur von Florida, der enormen Beliebtheit, die Jansen und seine wunderbare Ehefrau im ganzen Land genießen, nichts entgegenzusetzen haben. Jansen hat die Wähler wie im Sturm erobert, und die Sympathien für diesen Mann, der vor Jahren auf so tragische Weise seine erste Frau verlor und in dessen Präsidentschaft endlich wieder kleine Füße durch das Weiße Haus tapsen werden, sind gewaltig.«
Neben ihm stand Wesley Barefoot, wie immer lächelnd und perfekt gekleidet. Bugatti wandte sich ihm zu. »Wesley Barefoot, Sie kennen Bruce Jansen seit seiner Chinareise vor sechzehn Jahren. Haben Sie selbst in Jansen während all der Jahre den möglichen Präsidentschaftskandidaten gesehen? Und wenn ja, haben Sie dann einen Präsidentschaftskandidaten erlebt, der sich weiterentwickelt hat?«
Wesley schüttelte den Kopf. »Bei Bruce Jansen ist man nie im Zweifel, wen man vor sich hat. Er ist der geborene Präsident. Mir ist noch nie ein Mann mit vergleichbar großem Interesse für das Wohl und Wehe seines Landes begegnet, und ich kann ohne Zögern sagen, dass dieses Interesse bei ihm schon immer bestanden hat. Selbstverständlich findet über einen so langen Zeitraum hinweg eine persönliche Entwicklung statt. Aber letztendlich hat nichts von dem Rummel, den Wahlkämpfe und die Aufmerksamkeit der Medien nun mal mit sich bringen, etwas an Bruce Jansens grundsätzlichen Einstellungen zum Leben und zu den politischen Fragestellungen geändert. Nicht im Geringsten.«
»Und der Mord in Peking, hat der auch nichts geändert?«
Barefoot schwieg einen Moment und sah wie erwartet zu Boden. Bugatti hatte ihn vorher gewarnt, dass die Frage kommen würde.
»Caroll Jansen war das Ein und Alles des damaligen Senators. So etwas verwindet man nie. Das, was damals geschehen ist, war entsetzlich.« Er blickte auf, und Bugatti nickte.
»Aber Trauer lässt die Seele reifen«, sagte Barefoot. »Vielleicht müssen wir Caroll Jansens unglücklichem Schicksal danken, wenn wir das unermüdliche Engagement des Senators gegen Übergriffe, Gewalt und Not betrachten. Ich glaube sogar, dass durch das, was damals geschah, die ganze Nation verändert wurde.« Er wandte den Blick zur Kamera. »Doch Bruce Jansen ist ein Mann, der stets einen kühlen Kopf bewahren wird - komme, was da wolle. Er ist ein Garant für Stabilität und Gerechtigkeit und der Inbegriff von Glaubwürdigkeit. Das wird das Fundament der Politik der nächsten Jahre sein.« Er deutete direkt in die Kamera. »Darauf können Sie sich verlassen!«
Bugatti lächelte. Die Wahllokale hatten noch nicht geschlossen, und das war Bruce Jansens Chefagitator offenbar sehr bewusst. Dieses Interview könnte durchaus noch die eine oder andere Wählerstimme bringen.
Er dankte Barefoot, und mit Blick in die Kamera sagte er:
»In einer halben Stunde schließen hier an der Ostküste die Wahllokale. Und in einer Stunde können wir anfangen, darüber zu spekulieren, was uns die künftigen vier Jahre bringen werden. Im Moment warten wir darauf, dass Bruce Jansens Hubschrauber trotz Schneesturms und schlechter Sichtverhält-nisse in etwa zwei Stunden hier am Strand vor dem Splendor Hotel landen wird.« Lächelnd deutete er zur Eingangshalle des Hotels. »Vor dem Hotel warten bereits ungefähr zweihundert Vertreter der Presse, um ihn und seine hochschwangere Frau in Empfang zu nehmen. Mimi Jansen ist seit zehn Tagen über dem Termin, das Kind kann also jederzeit kommen.«
Bugatti wandte sich dem nächsten Interviewpartner zu, einem hiesigen Meteorologen. Der äußerte sich besorgt über die katastrophenähnlichen Zustände mit vielerorts einem halben Meter Schnee und etlichen Verkehrsunfällen mit tödlichem Ausgang. Am Ende forderte Bugatti alle auf, die noch nicht gewählt hatten, nun an die Wahlurnen zu eilen, »aber bitte schön vorsichtig«.
Dann reichte er das Mikrofon seinem Assistenten und über-ließ den Bildschirm dem nächsten Beitrag über einen abscheulichen Mord durch einen Heckenschützen auf der 5th Avenue in New York. Bugatti schaute sich um. Die Hotellobby war erfüllt von Stimmengewirr. Am anderen Ende des großen Raums, gleich hinter dem monströsen Abklatsch der Freiheits-statue, sah er Doggie Rogers. Sie wirkte unruhig.
Senator Jansens Ankunft gestaltete sich nicht unproblematisch. Das Unwetter hatte sich weiter verschlimmert, es schneite mittlerweile so heftig, dass die Sichtweite gegen null tendierte, und insbesondere die Männer vom Secret Service hatten Sorge wegen der Böen, die vom Meer her über das Land fegten. Aus den Instrumenten des Blasorchesters stiegen Dampfwolken auf, als die Bläser sie aufwärmten. Der Schein der Fackeln brannte sich in die Dunkelheit ringsum. »Kein Grund zur Beunruhigung, Leute«, war wenige Minuten vor der Ankunft über die Lautsprecheranlage Bruce Jansens verzerrte Stimme aus dem Hubschrauber zu hören. »Wir werden rechtzeitig da sein. Der Pilot sagt, er ist mindestens hundertfünfzig Mal in Da Nang gelandet, das hier ist nichts dagegen.«
Bugatti entdeckte den Hubschrauber erst, als die Rotorblätter die obere Schneeschicht vom Strand fegten. Scheinwerfer richteten sich auf die silbrig glänzende Maschine. Ein großer Moment, wenn man so weit gekommen war. In wenigen Sekunden würde der nächste Präsident der Vereinigten Staaten aussteigen, anderes schien nach den ersten Hochrechnungen kaum mehr denkbar. Mindestens tausend Menschen hatten dem Wetter getrotzt und erwarteten ihn jubelnd.
Siegesgewiss stand Bruce Jansen in der offenen Luke des Hubschraubers, beide Arme in die Höhe gestreckt. So liebten ihn die Leute. Leichtfüßig verließ er die Maschine, direkt gefolgt von seinem juristischen Berater Stephen Lovell. Hinter ihm erschien mit geröteten Wangen und in einen Pelzmantel gehüllt die lächelnde Mimi Jansen. Der Mantel konnte nicht verbergen, wie weit fortgeschritten ihre »anderen Umstände« waren. Sie sah hinreißend aus.
Die Journalisten drängten sich nach vorn, und zwei Mal wurde Bugatti von seinem Kameramann Marvin Gallegos getrennt. Offenbar waren alle wild entschlossen, Jansens erste Worte noch Sekunden vor dem Nebenmann in den Äther zu schicken. Darum ging es, das war Bugatti klar.
Er gab Marvin ein Zeichen, mit ihm außen um die Schar herum- und die Treppe zum Hotel hinaufzurennen. Dann musste eben Kamerateam zwei die Außenaufnahmen übernehmen. Bugatti wusste, dass Jansen nicht dort draußen in Kälte und Dunkelheit stehen bleiben würde. Warum auch, wo es doch in der taghell erleuchteten Lobby viel angenehmer war? Die Aufnahmen dort drinnen würden fantastisch werden.
Das Empfangskomitee wartete in der Eingangshalle. Neben den grau und schwarz gekleideten Sicherheitsleuten bestand es aus dem amtierenden Gouverneur von Virginia und dem Hotelbesitzer Bud Curtis, hinter denen sich Mitglieder des Kongresses mit ihren Frauen aufgestellt hatten. Alle trugen sie große Buttons mit Jansens Konterfei, die Frauen waren dem Anlass entsprechend festlich gekleidet. Eine hatte sich sogar extra ein Kostüm schneidern lassen: die Jacke aus der Flagge der Vereinigten Staaten und den Rock aus der Flagge des Bundesstaates Virginia. Ein selten hässlicher und geschmackloser Anblick.
Als der prominente Gast die Lobby betreten und sich den Schnee abgebürstet hatte, schüttelte ihm der Hotelbesitzer mit einer Herzlichkeit die Hand, als wäre er der lange vermisste und endlich heimgekehrte Bruder. Bud Curtis führte die Gäste gleich zu einem kleinen Podium bei der giftgrünen Freiheitsstatue, wo ein mit großen Rosen geschmücktes Rednerpult bereitstand.
Jansen gab seiner Frau einen Kuss und klopfte seinem Wahlkampfleiter Thomas Sunderland auf die Schulter. Dann sprang er mit einem Satz aufs Podium und trat hinter das Rednerpult. »Ladies and Gentlemen!«, rief er und sah dabei seine Zuhörer an, als kenne er jeden Einzelnen. »Ich habe eben weitere Hochrechnungen erhalten und kann Ihnen sagen, dass mein verehrter Gegenkandidat, der Gouverneur von Florida, den Vorsprung nicht mehr einholen wird. Das großartige amerikanische Volk hat den Wettergöttern getrotzt, die Wahlbeteiligung liegt im ganzen Land um die sechzig Prozent.« Er streckte die Arme in die Höhe, und das Publikum schrie und klatschte enthusiastisch. »Die Menschen haben ein ganz klares Urteil gesprochen: Wir haben mindestens fünfundsechzig Prozent der abgegebenen Stimmen errungen und bereits jetzt eine deutliche Mehrheit der Wahlmänner auf unserer Seite. Da können wir, liebe, treue Freunde, wohl so kühn sein und sagen: Wir haben gewonnen! «
Die versammelten Gäste jubelten noch lauter, und wie durch Zauberhand rieselte Konfetti von der Decke und machte dem Schneesturm draußen Konkurrenz.
»Fünfundsechzig Prozent«, murmelte Bugatti vor sich hin. Nicht schlecht. Das war ein gewaltiger Denkzettel für die republikanische Partei und die gegenwärtige Regierung. Einen solchen erdrutschartigen Sieg hatte es noch nie gegeben. Bugatti tat es allen anderen gleich, riss die Arme hoch und jubelte, so laut er konnte.
Auch er stand voll und ganz hinter Jansen.
In den folgenden Minuten sprach Bruce Jansen seinem Kontrahenten Dank für einen guten und fairen Wahlkampf aus, schickte herzliche Grüße an seine Mitarbeiter und zog dann seine Frau zu sich aufs Podium. Er winkte allen zu, dankte Gott und dem amerikanischen Volk und sandte noch einmal einen nachdrücklichen und herzlichen Gruß an seinen geschlagenen Gegner in die laufenden Fernsehkameras.
Dann überließ er den Platz seinem Sprecher Wesley Barefoot. Er selbst stellte sich zwischen die Sicherheitsbeamten. »Meine Damen und Herren, Sie hörten den zukünftigen Präsidenten der Vereinigten Staaten von Amerika«, verkündete Wesley und machte Bugatti dann ein Zeichen. Offenbar sollte jetzt sein Interview stattfinden.
»Wir verabschieden uns für eine Weile von Senator Jansen«, fuhr Barefoot fort, während Bugatti dem Kameramann signalisierte, ihm zu folgen. »Seine Frau muss aus nachvollziehbaren Gründen etwas ruhen, und die Stimmenauszählung ist noch nicht abgeschlossen. Aber wir werden im Laufe des Abends noch mehr von unserem zukünftigen Präsidentenpaar hören, das verspreche ich Ihnen. Genießen Sie unterdessen diese wunderbare Umgebung«, er nickte dankbar zum Hotelbesitzer hinüber, »essen und trinken und tanzen Sie! Das Fest hat begonnen! «
Bugatti und Marvin drückten sich hinter den feiernden Menschen aus dem Saal. Bud Curtis führte sie zu einer Seitentür, vermutlich eine Abkürzung für die Presse, so holten sie Jansen und sein Gefolge ein.
Jansen entdeckte Bugatti sofort und streckte ihm die Hand entgegen. »John! Herzlich willkommen! «
»Meinen Glückwunsch, Mister President. Das ist wirklich großartig. «
»Danke, John, aber Präsident werde ich erst in ein paar Monaten sein.«
Bugatti nickte Jansens Frau zu, die von Nahem doch sehr müde aussah. Sie hatte eine Krankenschwester an ihrer Seite und wurde dicht gefolgt von einer Ärztin, die Mimi Jansen im Falle des Falles zum Krankenhaus begleiten oder sogar entbinden sollten. Neben der Ärztin ging Thomas Sunderland, der sich ausnahmsweise einmal ein breites Lächeln gestattete. Direkt hinter den beiden folgten zwei der größten Leibwächter, dann kamen die VIP-Gäste. Bud Curtis führte diese prominente Schar an, er zeigte ihnen den Weg. Was vermutlich unnötig war, denn Jansens persönliche Sicherheitsleute und zwei Angehörige des Secret Service wohnten schon seit Tagen im Hotel und kannten jeden Winkel des Komplexes.
»Hey ! «, flüsterte eine Stimme hinter Bugatti. Er drehte sich um und sah Doggie, die sich ihren Weg zu ihm freikämpfte. Sie hakte sich bei ihm unter und drückte seinen Arm. »Schöner Abend, findest du nicht auch?«
Er lächelte sie an.
Sie bogen um eine Ecke und befanden sich plötzlich in einer Ausbuchtung, einer Art Zwischenraum, der den schmalen Korridor, den sie gerade verlassen hatten, mit dem nächsten Abschnitt verband. Unter der Decke hingen mindestens hundert Flaggen, und das gesamte Gefolge wandte den Blick nach oben. Bugatti warf dem Kameramann hinter sich einen Blick zu, an der Kamera leuchtete die rote Lampe.
An dieser Stelle stoppte Bud Curtis die Gesellschaft für einen Moment. »Meine Damen und Herren! Als Anerkennung von Bruce Jansens fantastischem Wahlkampf wollen wir für ihn und seine Frau etwas enthüllen!« Dann nickte er einem gekrümmt stehenden kleinen Mann in roter Jacke zu, der mit einem der grau gekleideten Männer vom Secret Service vor einem Vorhang gewartet hatte.
Bugatti merkte, wie Doggie zusammenzuckte. Sie strahlte plötzlich etwas wie Panik aus. Im selben Augenblick traten zwei Sicherheitsbeamte, ein kleiner blonder Typ im grauen Anzug von einer Seite und von der anderen ein Kleiderschrank von einem Mann, in schwarzem Armanianzug und mit schweren Goldketten am Handgelenk, auf den schmächtigen Mann zu. Blitzschnell tastete ihn der graue Secret-Service-Beamte ab. Der sollte es wagen, mich mal so anzufassen, dachte Bugatti. Darüber vergaß er vollständig die Veränderung, die er gerade an seiner jungen Freundin beobachtet hatte.
Als der Sicherheitsbeamte in Grau fertig war und einen Schritt zurücktrat, sagte Bud Curtis »Bitte sehr«, und die Menschen rückten näher. Der Kleine zog an einer Schnur, und der Vorhang fiel zur Seite weg. Zum Vorschein kam ein mindestens fünf mal fünf Meter großes Gemälde, auf dem Senator Jansen und seine Frau vor dem Weißen Haus dargestellt waren. Ein strahlendes Paar vor einer wahnsinnig bunten Kulisse aus Sonnenschein, blühenden Bäumen und Vögeln, deren Zwitschern man zu hören meinte. Schlimmer als Disney-Produktionen und Werke von Norman Rockwell und allen seinen Nachahmern zusammen, fand Bugatti.
Aber offenbar war man sich einig, darüber hinwegzusehen. Die Menschen applaudierten und drängten nach vorn, sodass der kleine Mann nach hinten treten musste, um nicht an die Wand gepresst zu werden. Bugatti beobachtete ihn. Er passte kein bisschen in diese Umgebung.
Da tat Mimi Todd Jansen einen Schritt nach vorn, um sich das Bild genauer anzusehen. Sie hatte ein Talent, mit solchen Situationen umzugehen, selbst wenn ihr angestrengtes Lächeln verriet, dass auch sie schon schönere Gemälde gesehen hatte. Sie wechselte ein paar Worte mit dem Hoteldirektor, der nickte und lächelte, sich dann durch die Menge zurückzog und blitzschnell durch eine Seitentür verschwand. Senator Jansen reichte seiner blassen Frau den Arm, um mit ihr zu dem Konferenzraum zu gehen, in dem das Interview stattfinden sollte. In diesem Augenblick ertönte ein Schuss.
Blitzschnell drehte Bugatti sich um und sah sich einem wilden Durcheinander gegenüber. Einige Menschen rannten in die Richtung, aus der das Geräusch gekommen war, andere davon weg. Thomas Sunderland gehörte zu denen, die Bugatti in alldem am klarsten erkannte. Panik stand ihm ins Gesicht geschrieben, er wirkte verkrampft, das Futter einer Jackentasche war herausgestülpt, der Kragen aufgestellt. Er sah aus, als hätte man ihn geschlagen. Der größte der schwarz gekleideten Sicherheitsbeamten schob sich gewaltsam vorwärts. Genau im selben Moment trat der kleine Mann, der das Gemälde enthüllt hatte, zwei Schritte auf Jansen zu und schrie etwas. Erst jetzt erkannte Bugatti den Revolver in der Hand des Kleinen. Rauch und Pulvergeruch hingen in der Luft, die Menschen schrien, viele warfen sich zu Boden. Weitere Schüsse fielen, ein Kopfschuss traf den Attentäter und besudelte das Gemälde und die Fahnen. Bugatti spürte einen Schmerz und sah an sich hinunter. Sein Nachbar fasste sich an die Brust, auch ihn hatte ein Querschläger getroffen. Die Kamera lag neben Bugatti auf dem Boden, das rote Licht blinkte. In dem Tumult war sie dem Kameramann aus der Hand gefallen. Bugatti sah, wie sich auf seinem Hemd unter dem Arm ein Blutfleck ausbreitete. Doggie ließ ihn los und schrie wie alle anderen. Er berührte seine Wunde und begriff erst jetzt, was gerade passiert war.
Ein paar Meter weiter drückten mehrere Sicherheitsbeamte Senator Jansen auf den Boden, aber das konnte dessen Entsetzen nicht verbergen: Vor ihm auf dem Läufer lag seine Frau, Mimi Todd Jansen, mit weit aufgerissenen Augen, um Luft ringend, in einer Blutlache.
Der stechende Schmerz in Bugattis Lende wurde stärker, und er fiel auf die Knie.
Bis auf die Sicherheitsbeamten und Bugatti mit seinem verstörten Kameramann war die Hotellobby menschenleer.
Bugatti schickte nun schon zum vierten Mal seit dem Attentat vor zwei Stunden seine Kommentare in den Äther. Senator Jansen und seine Frau hatte man sofort weggebracht. Dutzende von FBI-Leuten und Mitarbeiter der Mordkommission von Richmond hatten seither alle vernommen, die sich während des Attentats in diesem Abschnitt des Korridors aufgehalten hatten. Ein Team von Spezialisten analysierte die Videoaufzeichnungen der Überwachungskameras und die Kopie des Bandes von Bugattis Kameramann, die ihnen die Techniker aus dem Übertragungswagen gegeben hatten. Zur gleichen Zeit wurde der Mittelgang minutiös untersucht, und in dem festlich geschmückten Raum wurden zum wiederholten Mal die Spuren der Gewalt in allen Details fotografiert.
Wie sich zeigte, waren viele der von den Sicherheitsleuten abgefeuerten Kugeln irgendwo abgeprallt und hatten zahlreiche Gäste verletzt, zum Glück schwebte aber niemand in Lebensgefahr. Die kleine Fleischwunde, die Bugatti davon getragen hatte, war bereits genäht. Er dachte lieber nicht darüber nach, in welchem Umfang man ihm schmerzstillende Medikamente verabreicht hatte.
Über den In-Ear-Kopfhörer gab sein Producer ihm ruhig und gefasst die Neuigkeiten durch. Bugatti war erschüttert.
Nachdem er einige Male tief durchgeatmet hatte, nickte er seinem Kameramann ernst zu, und das rote Lämpchen an der Kamera leuchtete auf.
»Vor wenigen Sekunden teilten die Ärzte des CJW Medical Center mit, Mimi Todd Jansen sei ihren schweren Verletzungen erlegen. Über den Zustand des Kindes herrscht Unklarheit.« Er machte eine Pause, dabei bemühte er sich, direkt in die Kamera zu sehen. »Eine große und bedeutende Persönlichkeit wurde auf brutalste Weise umgebracht, Amerika steht unter Schock. Zwei Stunden sind seit dem fatalen Attentat auf Mimi Todd Jansen vergangen, und im CJW Medical Center in Richmond kämpft man zur Stunde um das Leben ihres Kindes. Der Hubschrauber musste unter äußerst schwierigen Bedingungen durch den immer noch wütenden Schneesturm fliegen. Man war gezwungen, südlich von Lanexa zu landen und die hochschwangere Mimi Todd Jansen die restliche Strecke über die Interstate 64 bis zum Chippenham Campus zu fahren.« Den Blick immer noch direkt in die Kamera gerichtet, sagte er: »Lassen Sie uns eine Schweigeminute einlegen für einen großartigen Menschen.«
Die Minute kam ihm vor wie eine Ewigkeit. Menschen polterten durch die Lobby, aber sobald sie die versteinerte Schar um Bugatti sahen, blieben auch sie stehen.
Endlich gab der Producer Bugatti das Signal, fortzufahren. Er wandte sich seinem Monitor zu. »Erica, gibt es vom Krankenhaus Neues zum Zustand des Kindes?«
Undeutlich erschien ein Bild seiner alten Kollegin Erica Nelsen mit dem Krankenhaus im Hintergrund. Der Atem stand wie eine kleine Wolke vor ihrem Mund. »Nein, John, leider nicht. Wir wissen, dass im Augenblick in der zweiten Etage hektische Aktivität herrscht. Das Kind wurde in einem der OPs im Erdgeschoss durch Kaiserschnitt auf die Welt geholt, aber es heißt, man habe das Kind nun auf die Intensivstation gebracht.«
»Das könnte ein Hinweis darauf sein, dass das Kind lebt. Hat sich irgendeiner der Ärzte vor Ort geäußert, Erica?«
Nun war Erica in Nahaufnahme zu sehen. Sie wirkte durch-gefroren, aber vor lauter Schneetreiben konnte man ihre Miene nur schwer ausmachen. »Einen Moment, John!« Sie fasste sich ans Ohr und starrte mit leerem Blick in die Kamera. » Man informiert mich gerade, die Chancen, dass das Kind überlebt, seien gering. Zwar wurde es nicht durch den Schuss getroffen, aber Mimi Todd Jansen hatte sehr viel Blut verloren, und leider zeichnet sich ab, dass das Kind dieses Trauma nicht überleben kann.«
»Erica, wie haben die Ärzte Mimi Jansen unterwegs nach Richmond behandelt? Man hat doch sicher alles Menschen-mögliche für sie getan?«
Sie nickte. »Ja, natürlich, John, das steht völlig außer Frage. Mimi Todd Jansen hat schon unterwegs Bluttransfusionen erhalten, aber dazu habe ich noch keine weiteren Details.« Sie neigte den Kopf ein klein wenig auf die Seite und fasste sich wieder konzentriert ans Ohr. Dann nickte sie mit ernster Miene und blickte schließlich sichtlich bewegt in die Kamera.
»Es tut mir außerordentlich leid, das sagen zu müssen.« Sie schluckte. »Wie wir gerade hören, konnte auch das Leben des Kindes nicht gerettet werden. Von ärztlicher Seite heißt es, die Entbindung sei gut vonstattengegangen, aber der Zustand des Kindes sei so kritisch gewesen, dass es bereits nach wenigen Minuten verstarb.«
Bugatti ließ ihr einen Augenblick Zeit, sich zu fassen. Das war ungeheuer trauriges, aber auch ungeheuer gutes Fernsehen.
»Ich weiß, wie schwer das für Sie ist, Erica. Aber darf ich Sie trotzdem fragen, ob wir etwas zum Geschlecht des Kindes wissen? Gibt es dazu Informationen?«
»Ja, es war ... es war ein Junge. Er war ... er war ...« Sie blickte zu Boden und wollte dann weitersprechen, vermochte es aber nicht.
Bugattis Producer forderte ihn über seinen Kopfhörer auf, zu übernehmen. In dieser Situation die richtigen Worte zu finden, war schwer. Er holte tief Luft. »Wir erleben eines der tragischsten Ereignisse in der Geschichte unseres Landes. Auf dem Höhepunkt seines Lebens verliert Senator Bruce Jansen seine Frau und sein Kind. Von einer Sekunde zur nächsten stürzt seine Welt ein. Wir sind Zeugen einer nie dagewesenen Tragödie. «
Die landesweite Hochrechnung kam eine halbe Stunde später. Senator Jansen war wie erwartet mit überwältigender Mehrheit zum nächsten Präsidenten der USA gewählt worden. Dieser Moment hätte der Triumph seines Lebens sein sollen, doch jetzt wusste niemand, wo er sich überhaupt befand. Im Krankenhaus bei seiner Frau und seinem Kind vermuteten ihn die einen, auf seinem Landsitz in Onancock die anderen. Jedenfalls war er verschwunden.
Erst gegen zwei Uhr nachts trat Thomas Sunderland vor die Kamera und teilte dem amerikanischen Volk mit, der zukünftige Präsident befinde sich bei guter Gesundheit. Ihn habe keine der Kugeln getroffen, aber er wolle abwarten, bis er sich nach dem großen Schock etwas gefasst habe, bevor er mit einer Erklärung vor die Öffentlichkeit trete. Anschließend dankte Wahlkampfleiter Sunderland dem amerikanischen Volk für die Unterstützung und verneigte sich vor Mimi Todd Jansen und dem toten Kind.
Trotz des späten Sendeplatzes erreichte diese Fernsehsendung die höchste Einschaltquote, die es je gegeben hatte.
Bugatti war todmüde, weshalb er auf den letzten Beitrag, den ihm der Producer zum Abschluss übertragen hatte, gut hätte verzichten können. Trotzdem nickte er freundlich in die Kamera.
»Unser Mitgefühl gilt Senator Bruce Jansen und Mimi Todd Jansens Familie. Möge Gott sie segnen. -Wie wird es jetzt weitergehen? Die Verfassung verlangt, dass wir einen Präsidenten haben, aber da die Amtseinsetzung erst in zwei Monaten, am 20. Januar, stattfindet, könnte in der Zwischenzeit noch viel passieren. Bruce Jansen muss eine Entscheidung treffen. Kann er unter diesen Bedingungen die Aufgabe als Präsident übernehmen, oder wird er den Platz seinem designierten Vizepräsidenten Michael K. Lerner überlassen? Einem sachlichen und rechtschaffenen, aber trockenen Juristen, der im Wahlkampf in vielerlei Hinsicht im Schatten des Spitzenkandidaten gestanden hat und mit dem das amerikanische Volk bisher großen Ernst und wenig Charisma verbindet? Das wird sich zeigen. Sollte Bruce Jansen diese Krise überstehen und das höchste Amt des Landes annehmen, wäre er der fünfte Präsident, der als Witwer das Amt antritt, und der erste Witwer seit einhundertzwanzig Jahren.«
Bugatti machte bewusst eine Pause, dann fuhr er fort: »Außer diesen fünf Präsidenten und dem geschiedenen Woodrow Wilson hat nur der ledige James Buchanan allein im Weißen Haus gelebt. Er, unser fünfzehnter Präsident, dessen Initialen in umgekehrter Reihenfolge dieselben waren wie die Bruce Jansens und der Demokrat war wie Jansen, sah sich mit immensen Konflikten konfrontiert: Das Land befand sich damals am Rand des Bürgerkriegs. Bruce Jansens innere Konflikte müssen in diesen Stunden ähnlich zerstörerisch und furchtbar sein. Möge Gott ihm beistehen.«
Er wartete, bis das rote Licht an der Kamera erlosch. Der Abschluss der Sendung war ihm etwas chaotisch geraten, aber er war wirklich erschöpft. Er war seit über zwanzig Stunden auf den Beinen, zwanzig hektischen und irrsinnigen Stunden, die tiefe Spuren in seiner Seele hinterlassen hatten. Raben-schwarze Stunden. Er machte den Sicherheitsbeamten ein Zeichen, dass er nun gern mit dem Aufzug in sein Zimmer fahren wolle, aber sie schüttelten den Kopf und baten ihn, in einem der Sessel vor der Wand Platz zu nehmen. Also setzte er sich zwei Plätze entfernt von Jansens juristischem Berater Stephen Lovell. Der starrte wie paralysiert vor sich hin. Zwar war er nicht unmittelbar im Schlussfeld gewesen, aber doch nahe genug dabei. Ein besonnener Mann, nun in seinen Grundfesten erschüttert. Wie alle anderen.
Bugatti blickte auf die leuchtenden Ziffern, die angaben, auf welcher Etage sich der Aufzug befand. So saß er geraume Zeit.
Alle Aufzüge befanden sich mindestens zehn Minuten im zwölften Stock. Plötzlich und wie auf Kommando neigten mehrere der Sicherheitsbeamten intensiv lauschend den Kopf zur Seite. Zwei spähten zum Hoteleingang, als wollten sie sicher-gehen, dass der Weg frei war. Dann begannen die Aufzüge, sich abwärtszubewegen. Erst einer und dann auch mehrere andere, bis alle wie um die Wette nach unten sausten.
Bugatti stand auf, wurde aber sofort aufgefordert, sich wie-der zu setzen. Die Sicherheitsleute wandten sich dem Aufzug zu, der bereits am weitesten unten war. Die Türen öffneten sich und entließen einen Schwarm finster dreinblickender Männer. Zwischen sich eingeklemmt schoben sie eine Gestalt vorwärts. Bugatti ignorierte die Anweisungen der Sicherheitskräfte und erhob sich ...
© 2013 der deutschsprachigen Ausgabe: Deutscher Taschenbuch Verlag GmbH & Co. KG, München
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Autoren-Porträt von Jussi Adler-Olsen
Jussi Adler-Olsen veröffentlicht seit 1997 Romane, seit 2007 die erfolgreiche Serie um Carl Mørck vom Sonderdezernat Q. Er ist einer der erfolgreichsten Bestsellerautoren weltweit. Seine vielfach preisgekrönten Bücher erscheinen in 45 Sprachen und in 120 Ländern. Seine Bücher wurden und werden mehrfach verfilmt.Bibliographische Angaben
- Autor: Jussi Adler-Olsen
- 2013, 1. Auflage, 656 Seiten, Deutsch
- Übersetzer: Marieke Heimburger, Hannes Thiess
- Verlag: dtv Verlagsgesellschaft
- ISBN-10: 3423415576
- ISBN-13: 9783423415576
- Erscheinungsdatum: 01.02.2013
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eBook Informationen
- Dateiformat: ePub
- Größe: 1.06 MB
- Ohne Kopierschutz
- Vorlesefunktion
Rezension zu „Das Washington-Dekret (ePub)“
"Gleichwohl ist auch dieser actionreiche Krimi so spannend, dass man sich seiner Sogwirkung nur schwer entziehen kann." Heinrich Thies, Hannoversche Allgemeine Zeitung 21.01.2013
Pressezitat
»Er versteht es, Bücher zu schreiben, die man nicht mehr aus der Hand legen kann, wenn man ein Mal begonnen hat, sie zu lesen.«Bastian Wünsch, NDR 2, Buchtipp 27.01.2013
Family Sharing
eBooks und Audiobooks (Hörbuch-Downloads) mit der Familie teilen und gemeinsam genießen. Mehr Infos hier.
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