Der Mythos von der Weisheit Ägyptens in der französischen Literatur der Moderne / Gründungsmythen Europas in Literatur, Musik und Kunst (PDF)
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Die Frage nach den Gründungsmythen Europas ist im Zeitalter der Globalisierung besonders virulent. Will man ein europäisches Netzwerk schaffen, muss man sich auf die europäischen Dimensionen der nationalen Kulturen besinnen und ihre für den Kontinent Identität stiftenden Potenziale verfolgen. Ein Gründungsmythos Europas ist der von der Weisheit Ägyptens. Seit der Aufklärung wird er intensiv propagiert und den anderen gründungsmythischen Säulen des Kontinents, Hebraismus und Hellenismus, gegenübergestellt. In der französischen Literatur der sogenannten klassischen Moderne spielt dieser Mythos dank der Expedition Napoleons nach Ägypten und der Entzifferung der Hieroglyphen eine große Rolle. Am Beispiel der zahlreichen Erinnerungsbilder Ägyptens kann man beobachten, wie die bekanntesten Autoren der Moderne, darunter Nerval, Baudelaire, Gautier, Mallarmé, solche mythischen Bilder als fiktive Projektionen ausweisen, jedoch deren Anspruch, Sinn und Legitimation zu stiften, nicht aufgeben.
Einer der einflussreichsten Autoren der Moderne ist Th¤ophile Gautier. Gautier ist nicht allein aufgrund der von ihm begründeten ästhetischen Theorie des ›l’art pour l’art‹ bedeutend. Er ist zugleich einer der zentralen Literatur- und Kunstkritiker der Zeit. Ägypten spielt in den literarischen Werken Gautiers eine herausragende Rolle. Im Zentrum der Beschäftigung des Autors mit der ägyptischen Kultur steht die Geschichte der Tahoser im Roman de la momie von 1857, der Tochter eines Hohen Priesters, die den Pharaonenthron besteigt.
Diesem Roman gehen zwei Erzählungen voraus: Une nuit de Cl¤op?tre (1838), die von der Liebesnacht der Herrscherin mit ihrem Sklaven Me?amoun handelt, sowie Un pied de momie (1840), die Geschichte von einemMumienfuß, dessen Besitzer im Traum die Eignerin dieses Fußes, die Prinzessin Hermonthis, erscheint.
Ägypten ist aber auch Thema der Lyrik Gautiers, insbesondere in dem Gedicht Le Sphinx aus der Sammlung La Com¤die de la mort von 1838, in dem der Autor mythensynkretistisch eine Sphinxstatue als Mischwesen aus Isis und dem antikenMonster beschreibt. In dem GedichtNostalgies d’Ob¤lisques der Sammlung Emaux et cam¤es (1852) erzählt der 1836 nach Paris auf die Place de la Concorde verbrachte Obelisk seinem ›Bruder‹ in Luxor, wie er nunmehr aller geheimnisvollen historischen Tiefe entrissen und aller religiösen Bedeutung enthoben in einem Land ohne echten Totenkult und ohne Krypten in Langeweile sein Dasein fristet433.
Von den Autoren der Moderne, die sich mit der Kultur Ägyptens befasst haben, ist Th¤ophile Gautier derjenige, der besonders intensiv auf die Erkenntnisse der Ägyptenreisenden sowie der Wissenschaften, insbesondere der Archäologen und der
[…] en m’ouvrant votre ¤rudition et votre bibliothºque, vous m’avez fait croire que j’¤tais savant et que je connaissais assez l’antique Ãgypte pour la d¤crire; sur vos pas je me suis promen¤ dans les temples, dans les palais, dans les hypog¤es, dans la cit¤ vivante et dans la cit¤ morte […] L’histoire est de vous, le roman est de moi; je n’ai eu qu’? r¤unir par mon style, comme par un ciment de mosa?que, les pierres pr¤cieuses que vous m’apportiez.
- Autor: Michael Bernsen
- 2011, 1. Auflage 2011, 204 Seiten, Deutsch
- Herausgegeben: Uwe Baumann, Michael Bernsen, Paul Geyer
- Verlag: V&R unipress
- ISBN-10: 3862348679
- ISBN-13: 9783862348671
- Erscheinungsdatum: 14.09.2011
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