Die Brautjägerin (ePub)
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Das Wichtigste zuerst. Ich bin keine Zuhälterin (ganz egal, was meine Mutter sagt). Ich weiß, dass nicht nur ich Eltern habe, die mich nicht verstehen. Viele meiner Studienfreundinnen müssen sich jedes Mal, wenn sie an Weihnachten nach Hause kommen, einen Vortrag von ihrem Vater anhören, sie sollten sich »einen richtigen Job« suchen. Und das sind Leute, die richtige Jobs haben: Webdesignerinnen, Lifestyle-Manager, Personalberaterinnen. Na gut, ich gebe zu, dass meine Tätigkeit schwerer zu definieren ist. Sagen wir einfach, dass schon der Versuch, meiner Mum zu erklären, worum es dabei geht, ein großer Fehler war. Je mehr ich mich bemühte, mich zu rechtfertigen, desto zwielichtiger hörte sich die Sache an. Also, nur damit das klar ist: Zuhälter leben üblicherweise nicht bei ihrer unverheirateten Tante im Dachgeschoss eines Altbaus in Richmond-upon-Thames, während sie horrende Schulden abbezahlen und versuchen, die Anzahlung für eine eigene schuhschachtelgroße Wohnung in London zusammenzusparen. Zuhälter sehen sich keine alten Hollywood-Schmachtfetzen an oder lesen Psychologieschinken, um die Geheimnisse der Anziehung noch besser zu verstehen. Und Zuhälter würden niemals, niemals ^ »Wollen Sie denn den ganzen Abend lang nur vom Spielfeldrand aus zusehen? Sie werden nie einen Mann finden, wenn Sie hier das Mauerblümchen spielen.« »Äh, dann mache ich wohl besser mit, ja.« Ich lasse mich von einer sehr bestimmt auftretenden Glasgower Großmutter ins Getümmel ziehen. Wo war ich? Ach ja. Zuhälter würden niemals, niemals einen schottischen Volkstanzkurs im Gemeindezentrum eines weniger eleganten Teils von East London besuchen, weil ein amerikanischer Millionär der festen Überzeugung ist, dass nur ein schottisches Mädchen sein Herz zum Jubeln bringen kann. Dwight MacKenzie schuldet mir was. Na ja, er hat mir schon einen Vorschuss von dreitausend Pfund bezahlt, und nach Abschluss meines Auftrags wird noch mehr Geld fließen - solche Summen zahlt meine durchschnittliche
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Kundschaft allerdings immer noch aus der Portokasse. Und der Fairness halber sei gesagt, dass sie als durchaus angemessene Entschädigung für die Demütigungen gelten können, die ich gleich von einem Haufen Rentnern in Kilts werde erdulden müssen. Liebe kann man vielleicht nicht kaufen, aber als Multimillionär bekommt man für Geld zumindest Unterstützung in der Richtung. Der Gemeindesaal ist so kalt wie eine zugige schottische Burg, wenngleich sehr viel weniger pittoresk, und meine Mittänzer lassen sich in drei Kategorien einteilen: gichtige alte Männer mit knochigen Knien und fadenscheinigen Strümpfen; stämmige Matronen mit Polyesterstrickjacken im Zopfmuster und entschlossenen Mienen; und jüngere Mädchen, die ständig zur Tür spähen, als erwarteten sie, dass Bonnie Prince Charlie hereinspaziert kommt, um sie zu retten. Der einzige Mann unter fünfzig ist furchtbar leichtfüßig und sieht aus, als würde er auch sonst am liebsten Röcke tragen. Meine neue Tanzpartnerin ist eine Matrone. Ihr Teint hat sich ihrem scharlachroten Pulli angeglichen, und sie ist sehr klein und sehr rund, wie eine rote Teekanne. Sie greift nach meiner Hand, und ich stelle fest, dass ihr drahtiger grauer Dutt mir knapp bis zur Nase reicht - dabei bin ich nur einen Meter dreiundsechzig groß. »Normalerweise wären Sie der Mann, was, Mädchen?«, bemerkt sie und lächelt dann. »Aber es ist wohl besser, wenn ich führe, weil Sie doch neu sind.« »Ist gut«, sage ich, als die Musik anfängt und sie mich vorwärtszerrt. Habe ich schon erwähnt, dass ich zwei linke Füße habe? Trotzdem darf ich der wahren Liebe natürlich nicht im Weg herumstehen. »Sagen Sie nichts«, sagt sie. »Sie sind auf der Suche nach Ihrem persönlichen Braveheart hier?« »Äh. Nein, nicht ganz.« »Oder Ihrem eigenen Renton?« »Renton?« »Der aus Trainspotting. Ich finde ja, all diese Drogen und die Kotzerei waren vielleicht ein bisschen viel, aber Ewan McGregor hat ganz schön was unterm Sporran.« »Nein, auf den habe ich es auch nicht abgesehen.« Sie stößt mich von sich weg, starrt mich forschend an und reißt mich dann wieder an sich, alles im Takt der Musik. »Ich sage ja nur, englische Mädchen kommen nie hierher, außer, sie sind auf der Suche nach ihrem eigenen schottischen Helden.« Was sie wohl sagen würde, wenn ich ihr erklärte, dass ich auf der Suche nach einer Schottin war? Ich entscheide mich lieber für eine harmlose Lüge. »Na gut, ich gebe es zu. Allerdings habe ich es eher auf meinen persönlichen Sean Connery abgesehen.« Sie grinst. »Oho. Wenn Sie einen finden - Finger weg! Auf einen von denen warte ich schon mein Leben lang.« Allmählich wird mir angenehm warm von diesem Gehüpfe und Gewirbel. Na ja, eher Gewackel meinerseits, wenn ich ehrlich bin. Volkstänze und Brüste in Körbchengröße C sind nun mal nicht füreinander geschaffen. »Ich wäre also nicht die Erste, die auf der Suche nach einem Männerrock hier auftaucht?« »O nein. Aber die englischen Mädchen bleiben meist nicht lange, wenn sie erst merken, dass die meisten Männer hier älter sind als Edinburgh Castle. Die schottischen Mädchen sind da aus härterem Holz geschnitzt.« Sie weist auf die drei jüngsten Frauen im Raum, jede im Griff eines Knubbelkniepartners. »Sind auch erst wegen der Männer gekommen, aber die sind geblieben, weil ihnen das Tanzen im Blut liegt.« Ich verrenke mir den Nacken, um die jungen Frauen auf Dwight-Potenzial hin zu überprüfen. Nummer eins ist hübsch und schlank, mit keltischen Locken so rot wie ein Feuerwehrauto, einem umwerfenden Lächeln und guten Zähnen. Wenn ich wild spekulieren sollte - und was erwartet man schon von einem Mädchen, dessen ursprünglicher Traumjob es gewesen war, die Persönlichkeitstests für die Cosmopolitan zu schreiben? -, würde ich vermuten, dass sie auch das passende gute Herz dazu hat. Allerdings genügt sie Dwights Anforderungen in einem ganz entscheidenden Punkt leider nicht: Er ist wahrlich nicht der größte Amerikaner in London, und sie würde ihn ein Stück überragen. Nummer zwei ist kleiner, aber sie hat Baumstammwerferarme mit einer Haut wie Haferbrei. Dwight mag ein geborener Romantiker sein, aber er ist geradezu faschistisch, was körperliche Schönheit angeht, und selbst bis zur Makellosigkeit poliert. Er hat bereits zwei reizende Schauspielerinnen abgelehnt, die ich in Macbeth entdeckt hatte, nur wegen ein bisschen Orangenhaut. Ich betrachte es als Teil meiner Aufgabe, meine Klienten zu ermuntern, ihren Horizont ein wenig zu erweitern und auch da, wo man es auf den ersten Blick nicht vermuten würde, das Potenzial für Liebe zu sehen. Aber diese Männer sind so daran gewöhnt, genau das zu bekommen, was sie wollen - sei es ein Aston Martin Vantage in exakt dem richtigen Rotton oder ein Lendensteak in exakt dem richtigen Blauton (es ist kein Zufall, dass die meisten meiner erfolgsverwöhnten Kunden ihr Fleisch praktisch roh mögen). Und letztendlich bin ich ja auch der Meinung, dass man bei der Suche nach wahrer Liebe keine Kompromisse machen sollte. Das dritte Mädchen hat genau die richtige Figur, aber die steckt in einem hautengen gelben Gymnastikanzug, ergänzt mit den passenden Legwarmers, wie ich sie zuletzt in Fame gesehen habe. Selbst ihr Haar leuchtet in einem beängstigenden Blond-aus-der-Flasche. Der Gesamteindruck ist umso erschreckender, weil alle anderen warm eingepackt sind, und ich bewundere zwar ihre Tapferkeit, glaube aber nicht, dass Dwight ihre knallharten Brustwarzen zu schätzen wüsste, die sich wie Erbsen unter dem Anzug abzeichnen. Er legt großen Wert auf bescheidene Sittsamkeit bei Frauen, nicht zuletzt deshalb, weil seine kalifornische Exfrau ihn wegen des Aerobic- Lehrers verlassen hat, der am Sunset Boulevard den Stangentanzkurs für Fortgeschrittene leitet. »Autsch!« Meine Tanzpartnerin reißt so heftig an meinem Arm, dass sie ihn mir fast ausrenkt, und ich versuche, die anderen nachzuahmen, die sich zur fieberhaft fröhlichen Musik halb trippelnd, halb hüpfend auf die Mitte des Saals zubewegen. »Sie sind wohl mit den Gedanken woanders, Mädchen«, sagt sie. »Sehr gefährlich, wenn man so neu ist.« Und damit schleudert sie mich fort, in die Arme eines alten Mannes in einem violetten Kilt. Als der Blick seiner wässrigen Augen auf mich fällt (auf mein Dekollete, um genau zu sein), werfe ich einen Blick zurück und sehe, wie die rote Teekanne mir neckisch zuzwinkert. »Na, hallo, meine Liebe«, keucht er und krallt lange, runzelige Finger um meine Taille. »Ich freue mich ja immer so, wenn junges Blut hereinkommt. Übrigens heiße ich Sean. Wie Sean Connery.« »Ich bin Rebecca«, nuschele ich, während sein feuchter Atem an meinem Hals kondensiert. »Meine Freunde nennen mich Becca.« »Oh, ich will unbedingt Ihr Freund sein«, sagt er und packt mich noch fester. Ich habe keine Skrupel, Männer in meinem Alter abzuweisen, aber irgendwie erscheint es mir ungehörig, einem Rentner mit Krakenfingern eine zu knallen. Und ich bin überzeugt davon, dass er das sehr wohl weiß und es weidlich ausnutzen wird. Was ich für die Liebe nicht alles auf mich nehme ^ Nach zehn langen Minuten des Grapschens, Schubsens und der allgemeinen Belästigung durch den schmierigen Sean bin ich zutiefst erleichtert, als die Tanzlehrerin eine kurze Erfrischungspause anordnet. Ich muss blitzschnell eine Entscheidung treffen: Mit den Omas Tee trinken und Shortbread knabbern und sie nach unverheirateten Enkelinnen aushorchen, oder den drei Mädels zur Damentoilette folgen. Ich entscheide mich für Letzteres. Auf der Toilette ist es eiskalt, aber zumindest kann Sean mir hierher nicht nachkommen. Die Baumstammwerferin und das Feuerwehrauto frischen vor dem Spiegel ihr Make-up auf, also muss die mit den Kichererbsenbrustwarzen in einer der Kabinen sein. Die beiden blicken auf, als ich den Raum betrete. »Hallo.« Ich deute ein Winken an. Sie lächeln zurück. Die Baumstammwerferin spricht mich als Erste an. »Du hast also den Härtetest bei unserem Ungeheuer von Loch Ness überstanden.« Ich nicke. »Sollte das nicht ungeheurer Lustmolch heißen?« Regel Nummer eins bei der Heiratsvermittlung: Nutze den Humor, um eine gute Beziehung zu potenziellen Treffern herzustellen. Das Feuerwehrauto runzelt die Stirn. »He, das ist mein Opa, von dem du da redest.« Scheiße. So viel zu Regel Nummer eins. »Entschuldigung. Ich wollte nicht Die Kichererbse tritt aus einer Kabine, und ihr Haar leuchtet so gelb wie das einer Zeichentrickheldin. Kara Killernippel vielleicht, oder Wonderbra Woman. Ich gerate leicht ins Schwitzen. Diese drei wirken in diesem engen, geschlossenen Raum ziemlich einschüchternd. Doch dann grinst sie. »Ach, nimm Lorna nicht so ernst. Die will dich nur auf den Arm nehmen. Wir sind alle schon durch die gierigen Hände dieses alten Bocks gegangen. Das ist eine Art Aufnahmeprüfung. Du hast bestanden. Also, willkommen im Club.« Sie streckt mir eine perfekt manikürte Hand hin. »Ich heiße übrigens Carole.« Die Baumstammwerferin greift das Stichwort auf. »Und ich bin Tina.« »Becca«, sage ich und notiere mir mental ihre richtigen Namen zu den Spitznamen, die ich ihnen gegeben habe. Wenn einem jedes Jahr Tausende potenzieller Dating-Kandidatinnen begegnen, braucht man seine kleinen Eselsbrücken, um der Erinnerung auf die Sprünge zu helfen. »Ihr kommt also schon lange zu dem Volkstanzabend?« Kichererbsen-Carole nickt. Sie ist offensichtlich die Anführerin. »Mhm. Seit zwei Jahren. Ich habe angefangen, weil ich zu Hause in Schottland immer gern getanzt habe. Und diese beiden sind wegen der Männer gekommen.« Feuerwehrauto - wie heißt sie gleich wieder? Lorna - schneidet eine Grimasse. »Ja, und was war das für eine Enttäuschung. Aber wir machen trotzdem weiter mit, weil es immer lustig ist.« Tina mit den massigen Armen ist mit ihrem Lipgloss fertig. »Weißt du eigentlich, dass schottischer Volkstanz eine der sportlichen Aktivitäten ist, die sich besonders positiv auf das allgemeine Wohlbefinden auswirken?« »Ach, tatsächlich?« Ich lüge. Das war einer der wichtigsten Gründe, weshalb ich hergekommen bin. Nachdem ich sämtliche schottischen Pubs und Fußballfanclubs nach aussichtsreichen Frauen abgeklappert habe, von meinen katastrophalen Begegnungen mit den orangenhäutigen Damen aus Macbeth ganz zu schweigen, habe ich in einer Psychologiezeitschrift einen Artikel darüber gelesen, dass Volkstänze wirkungsvoller sind als Prozac, wenn es darum geht, Stimmung und Einstellung positiv zu beeinflussen. Und Dwight selbst ist Furcht einflößend positiv. »O ja«, sagt Lorna. »Das liegt an der Konzentration, weißt du? Und am Rhythmus. Man kann sich selbst völlig vergessen beim Tanzen. Wir sind süchtig danach.« »Na ja«, wendet Carole ein und rückt ihren BH so zurecht, dass die Kichererbsen unter ihrem Gymnastikanzug genau symmetrisch angeordnet sind, »vielleicht liegt das auch daran, dass wir jede Tanzstunde mit ein paar Drinks im Pub abschließen. Du kannst ja nachher mitkommen, wenn du möchtest Heiliger Valentin, ich danke dir! Man muss wissen, dass es bei der Kuppelei vor allem auf gutes Networking ankommt. »Aber gern. Sofern das Lustmolchungeheuer nicht auch eingeladen ist?« Carole schaudert. »Also, das war überhaupt nicht witzig.« Bis wir das Ring o' Roses erreichen, eine Kneipe etwa zehn Minuten Fußmarsch vom Gemeindesaal entfernt, hat sich die glücklich machende Wirkung bei mir tatsächlich eingestellt. Das liebe ich so an meinem Beruf: neue Leute kennenzulernen und seltsame neue Welten zu betreten. Die einzige Wolke an meinem vom Tanzen blitzblauen Himmel ist der Mangel an Brautkandidatinnen. Dwight ist kein sonderlich geduldiger Mann, und seine Reaktion auf meinen Standardspruch »Die Liebe kann man nicht hetzen« war: »Warum denn nicht, zum Teufel?« Dwight ist die ultimative Verkörperung dessen, was ich als heiratsbereiten Mann bezeichne: sehr gut situiert, motiviert und scharf. Sobald ich eine Frau gefunden habe, die alle seine Kriterien erfüllt, wird er nur so zum Altar sprinten. Dann sehe ich sie. Sie sitzt in der Ecke und winkt meinen drei Begleiterinnen zu, und ich folge ihnen hoffnungsvoll. Als wir uns dem Tisch nähern, versuche ich mich in Dwight hineinzuversetzen und gehe seine Checkliste unabdingbarer Voraussetzungen durch _ Zierlich - Treffer. Sie ist so winzig wie Björk. Ich würde darauf wetten, dass ihr Taille-Hüft-Quotient haargenau dem 0,67-Ideal entspricht, das Männer schon seit der Steinzeit am anziehendsten finden. Niedlich - Treffer. Sie hat elfenhaft feine Gesichtszüge und hellbraunes Haar, das ihr etwas spitzes Gesicht in weichen, kinnlangen Locken umrahmt. Jung, aber nicht zu jung - Treffer. Höchstens zwei Jahre jünger als ich. Wenn ich raten müsste, würde ich sagen, fünfundzwanzig. Doch dann gerate ich leicht in Panik. Der fatale Fehler bei all meinen bisherigen Annahmen könnte ein ganz grundsätzlicher sein: Warum, um alles in der Welt, sollten sich meine drei Volkstänzerinnen ausschließlich auf schottische Freundinnen beschränken? Die Chancen stehen ebenso gut, dass sie Engländerin ist, oder Polin, oder _ »Und das ist unsere neue Rekrutin.« Carole schiebt mich nach vorn und erklärt, ich sei mitgekommen, weil ich nach der Grapschfolter dringend einen Drink bräuchte. Die Elfe lächelt - oh, Dwight würde in der Herzenswärme dieses Lächelns nur so dahinschmelzen - und streckt eine kindlich zarte Hand aus. Ich drücke sie. »Ich bin Becca Orchard.« »Willkommen im Club, Becca. Ich bin Heather Campbell.« Volltreffer! Eins zu null für die Brautjägerin. Kapitel 2 »^ heißt Heather, ihr Akzent ist genau so, wie sich ein Amerikaner ein Mädchen aus dem Hochland vorstellt. Sie ist mit Pferden und Hunden aufgewachsen und, stell dir vor, sie arbeitet sogar für eine Tierschutzorganisation. Perfekter könnte sie gar nicht sein!« Meine Tante Georgia reicht eine Tasse Espresso durch das Schiebefenster und windet sich dann durch die schmale Öffnung auf den winzigen Balkon hinaus. Zwanzig Jahre sind vergangen, seit sie die Ballettkritiker mit ihrem Debüt als sterbender Schwan begeistert hat, doch ihre Haltung ist immer noch beneidenswert. »Ein vollkommen makelloses Geschöpf, ja? Ich frage mich, wo sie all die Leichen versteckt hat.« »Ach, komm schon. Vielleicht habe ich diesmal einfach den Jackpot geknackt, Georgie.« Sie schließt die Augen und genießt die Frühlingssonne, dann rückt sie ihren Stuhl an die wärmste Stelle. »Das stimmt. Ich mag ja pervers sein, aber ich kann nicht anders, ich hoffe einfach, dass sie zumindest eine abscheuliche Angewohnheit oder wenigstens eine Leiche im Keller hat. Ansonsten wäre sie unerträglich langweilig.« »Dein Problem ist, dass du zu lange in London gelebt hast.« »Und deines besteht darin«, erwidert sie und lässt genau drei Körnchen Zucker in ihren Kaffee fallen, »dass du immer noch die Unschuld vom Lande bist. Und diese Naivität wird dein Verderben sein, genau wie bei Rotkäppchen im großen, wilden Wald.« »Aber meine Naivität ist genau das, was meine Klienten wollen, Georgie. Mein typischer Auftraggeber ist selbst so zynisch geworden, dass er schon keine Hoffnung mehr hat, eine Frau zu finden, die ihn nicht seines Geldes wegen will. Wenn ich auch so abgebrüht wäre und nicht mehr daran glauben würde, dass ich die goldene Nadel im Heuhaufen finden kann _ na ja, dann hätte ich für ihn keinerlei Nutzen. Dann könnte er es ebenso gut in den Nachtclubs oder im Internet bei den Lügnerinnen und Goldgräberinnen versuchen, die nur hinter seinem Geld her sind.« Sie lächelt nachsichtig. »Ach, schon gut. Bleib ruhig die unverbesserliche Romantikerin, wenn du willst. Ist mir doch egal. Was weiß denn schon dein dummes altes Tantchen von der Welt?« Mein dummes altes Tantchen weiß: wie man im The Ivy (oder im Hakkasan, im Claridges oder wo auch immer man diese Woche unbedingt gesehen werden muss) einen Tisch bekommt; wie man auf der Warteliste für die neue Balenciaga-Tasche der Saison ganz nach oben rutscht (ihren Namen auf eine Warteliste zu setzen empfindet sie allerdings als »ausgesprochen demütigend, Becky, wie diese Frauen, die in Moskau nach altbackenem Brot Schlange stehen mussten, damals, ehe die Russen kamen und halb Chelsea aufgekauft haben«); wie man erkennt, ob ein Mann nur eine Platinum Card hat oder eine Amex Centurion, und zwar allein an seinen Socken; wie man zeitgenössische Kunst kauft; wie man einfach überall ein Upgrade bekommt; wie man en pointe tanzt, und wie man in einer einzigen Woche ganze sieben Kilo abnimmt. Nicht, dass sie jemals auch nur ein Gramm Übergewicht hätte. Mit fünfundvierzig passt sie immer noch in die Kleider, die sie mit siebzehn getragen hat. Und vor allem kann sie die heute noch anziehen, weil sie sich schon immer in einem Stil gekleidet hat, den Zeitschriften als zeitlose Eleganz bezeichnen: fließende Stoffe in Creme, Weiß und Schwarz in Schnitten, die ihre schlanke Figur betonen, aber dennoch so fallen, dass sie trotz ihres knabenhaften Körperbaus sinnlich wirkt. Die Dramatik spart sie sich für ihr Make-up auf - unauslöschlicher scharlachroter Lippenstift von einer Pariser Drogerie und Katzenaugen in der Kajalfarbe, die gerade in Mode ist (augenblicklich Türkis). Sie hat mich einmal geschminkt, aber ich habe ausgesehen wie ein Clown. Ich habe ihr kräftiges, kastanienbraunes Haar und ihre zierlichen Fesseln geerbt, aber alles dazwischen kommt nach meiner Mum, die die praktische, eher kurvige Figur einer Bauersfrau hat. Wenn ich Georgie nicht so unglaublich gern hätte, wäre ich entsetzlich neidisch auf sie. Ohne sie hätte ich mein Geschäft niemals aufziehen können. Ja, ohne sie wäre ich vermutlich immer noch in Gloucestershire und längst mit dem einsilbigen Sohn eines Viehfuttervertreters verheiratet worden, um mich fröhlich zu vermehren, so wie mein großer Bruder. Nicht, dass es an diesem Leben irgendetwas auszusetzen gäbe, aber ich sitze doch lieber auf einem Balkon mit Blick auf die Themse und die Reichen und Schönen als in einem Stall mit Aussicht auf Dutzende übellauniger Kühe mit glänzenden metallenen Maschinenteilen an den ekelhaften, gräulich-rosa Eutern. Als ich noch klein war, erschien mir Georgie wie eine Botschafterin aus einer anderen Welt, die mir die Augen für ein Leben jenseits der Melkmaschine öffnete. Bei ihren seltenen Besuchen auf dem Hof war es beinahe so, als wäre plötzlich eine Giraffe im Stall aufgetaucht, ein Geschöpf, das genauso viele Glieder und Augen und Ohren wie wir anderen hatte, aber tausendmal exotischer war. Sie bewegte sich wie Blätter im Wind und duftete nach Chanel No. 19. Im Alter von elf Jahren war die kleine Schwester meiner Mutter aus einer unbeheizten Kate auf der übel riechendsten Schweinefarm im ganzen County in die Pracht des achtzehnten Jahrhunderts in der White Lodge der Royal Ballet School im Herzen des Richmond Park versetzt worden. Als sie das Schlösschen zum ersten Mal sah, kam sie sich vor wie eine Figur in einem Jane-Austen-Roman, wie sie heute noch erzählt. Wie seltsam, dass sie lieber dort bleiben wollte. »Du hast mir alles beigebracht, was ich weiß, Tantchen, so viel ist sicher.« »Ach, liebe Becky, wenn das nur wahr wäre. Aber danke, dass du es zumindest behauptest.« Sie schiebt die walnussbraunen Beine durch das schnörkelige Gitter der Balkonbrüstung; ihre Füße stecken wie immer in chinesischen Seidenpantoffeln. Jahrelang hat sie sich geweigert, sich vor mir unterhalb der Knöchel nackt zu zeigen. »Liebste Nichte, es gibt nichts, aber auch gar nichts, was so hässlich und desillusionierend ist wie die Füße einer Tänzerin.« Sie erklärte sich erst dazu bereit, als ich damit drohte, selbst mit dem Balletttanzen anzufangen; da enthüllte sie mir den dadurch angerichteten Schaden, als Warnung. Ihre Füße waren nicht direkt hässlich - nichts an Georgie war das -, aber sie waren trotzdem schockierend: Verunstaltet und übel zugerichtet wie die Hände eines Arbeiters, und sie standen in starkem Widerspruch zu den Gliedmaßen des einzigen mir persönlich bekannten Menschen, der einer Göttin nahekommt. Ich trinke meinen Kaffee aus und stehe auf. »Ich muss mich farblos tarnen.« »Ach Gott, die Stadt ist zu dieser Jahreszeit wirklich ermüdend. Es ist, als hätten die Leute Angst, sie könnten gefeuert werden, wenn sie auch nur eine pastellfarbene Krawatte tragen. Und, wen willst du heute verkuppeln?« »Das ist mein geheimer Klient, weißt du noch? Heute ist das erste persönliche Treffen.« »Aha. Daher also die eintönige Kleidung, ja? Na dann, bonne chance, Agent Cupido. Dass nur ja deine Tarnung nicht auffliegt.« Als die U-Bahn abwärts in den Tunnel rollt, spüre ich, wie meine Identität gemeinsam mit dem Tageslicht schwindet. Ich habe diese Fahrt früher zweimal täglich machen müssen und weiß bis heute nicht genau, wie ich das geschafft habe, ohne verrückt zu werden. In London zu leben war mein großes Ziel gewesen, doch als ich endlich hier war, war ich vor allem schockiert davon, wie wenig Sonne ich zu sehen bekam, und wie schnell ich geisterhaft wurde und nicht mehr von den übrigen Pendlern zu unterscheiden war. Heute ist meine Anonymität wenigstens Taktik: Je mehr ich aussehe wie alle anderen, desto wahrscheinlicher ist es, dass ich meine Undercover-Mission erfolgreich durchführen kann. Bei den meisten meiner Klienten erlaube ich mir gewisse Freiheiten in Kleidung und Auftreten. Ich würde es nicht wagen, in voller Barbara-Cartland-Aufmachung zu erscheinen, aber eine rosa Bluse (lässt meine Augen grüner strahlen) und vielleicht meine liebste viktorianische Schmetterlingsbrosche (nie, niemals irgendetwas Herzförmiges) reichen aus, um meine weichere Seite zu betonen. Meine Klienten gehören zu den Männern, die sich mit den scharfkantigen Platin-und-Mahagoni-Insignien der Superreichen umgeben - da kommt man mit ein paar Rüschen schon ziemlich weit. Doch im Fall von Edward Lincoln, oberster Boss des Overseas Opportunities Fund von Anemone International, muss ich so farblos sein wie jeder andere Möchtegern in dieser Stadt. Denn Edward hat keine Ahnung, dass er heiratsvermittelt wird. Und ich habe immer noch keine Ahnung, ob ich diesen Auftrag überhaupt annehmen will. Ich steige an der Temple aus, dem geschäftigen Ende der Themse, eine ganze Welt entfernt von der Bier-und-Ruder-Meile in Richmond. Ich gehe die Fleet Street entlang ins Herz der Stadt. Die Bürgersteige sind verlassen: Um elf Uhr sitzt jeder, der irgendetwas darstellt, seit mindestens drei Stunden an seinem Schreibtisch, vermutlich eher vier. Den Anwesenheitszwang vermisse ich ebenso wenig wie die Pendelei. Na schön, ich gebe zu, dass ich vielleicht das Adrenalin vermisse, die beinahe psychotische Zielstrebigkeit, die durch die Büroräume von Benson Associates sprudelte. Von gemeinsamen Zielen zu sprechen wäre eine Illusion gewesen: Wir hätten noch um den letzten Keks in der Gemeinschaftsteeküche erbittert gekämpft, ganz zu schweigen von irgendeiner Spur, die uns helfen konnte, unsere Kommission zu steigern. Aber wir hatten trotzdem das Gefühl, als steckten wir alle gemeinsam da drin, wie bedrängte Soldaten in einem Schützengraben, und das ist etwas, das ich allein in meinem Büro-Schrägstrich- Schlafzimmer in Georgies Dachstudio nicht reproduzieren kann. Reiß dich zusammen, Becca. Du hast es gehasst! Ich schüttele den Kopf über meine eigene Schwäche, und ein Straßenfeger wirft mir einen seltsamen Blick zu. Es bringt nichts, in fehlgeleiteter Nostalgie zu schwelgen. Schließlich ist es nicht so, als hätte ich die Wahl gehabt, meinen Job aufzugeben oder nicht, und ich würde ihn unter keinen Umständen wiederhaben wollen. Nicht einmal dann, wenn Marcus Benson mich auf Knien darum anflehen _ Das Bild ist so absurd - Marcus, der irgendjemanden um irgendetwas anfleht; Marcus, der einen Schaden an seiner Armani-Hose riskiert -, dass es mich zum Kichern bringt. Also muss ich erst bis hundert zählen, um mich zu beruhigen, ehe ich den eisigen Empfang von Anemone International betrete. Ich fahre mit dem Aufzug in den vierten Stock: Edwards Stockwerk. Mein jüngster Bald-Bräutigam ist einer der klügsten Köpfe auf seinem Gebiet, der mit der Treffsicherheit eines Tomahawk-Marschflugkörpers ein unterbewertetes Unternehmen anvisieren kann, aber offenbar keinerlei Erfahrung mit dem weiblichen Teil der menschlichen Spezies vorzuweisen hat. »Hallo, ich bin Rebecca Orchard, die Arbeitspsychologin von Orchard Coaching. Ich habe einen Termin bei Edward Lincoln.« Bei der Arbeit benutze ich immer meinen vollen Namen, weil er mir mehr Substanz verleiht. Ich reiche der Dame am Empfang meine Karte - die ich übers Wochenende am Laptop zusammengebastelt habe. In neun von zehn Fällen sagt einem das Mädchen am Empfangstisch bereits alles, was man über den Frauengeschmack eines potenziellen Klienten wissen muss ^ aber wenn man sich die hier ansieht, steht er auf Matronen mittleren Alters mit Peter-Pan-Kragen und haarigen Muttermalen. Welch angenehme Abwechslung. Ich glaube, Edward Lincoln könnte mir ganz sympathisch sein. Diese Situation stellt mich allerdings vor ein moralisches Dilemma. Nach fünf Jahren als Headhunter, in denen meine moralischen Prinzipien täglich auf die Probe gestellt wurden, habe ich mich selbstständig gemacht - und ich habe mir geschworen, dass nur noch die allerharmlosesten Lügen zulässig sein würden, um der wahren Liebe auf die Sprünge zu helfen. Deshalb macht es mir nichts aus, der Volkstanzbrigade etwas vorzutäuschen. Meine Behauptung war harmlos und plausibel: Wenn ich nach der Benson-Geschichte nicht das Gelübde abgelegt hätte, lebenslänglich Single zu bleiben, dann wäre es durchaus möglich, dass ich jetzt nach Dem Richtigen Rockträger suche. Und im Vergleich zu den Sachen, die ich in meinen Headhunting-Zeiten erzählt habe, ist das gar nichts. Meine Kollegen hatten kein Problem damit, sich als Arzt aus der Notaufnahme auszugeben, der die Zielperson wegen ihres Kindes sprechen muss, oder als Sprechstundenhilfe einer Fachklinik für Geschlechtskrankheiten, die das Testergebnis nun vorliegen hat - alles, um übereifrige Sekretärinnen zu überlisten. Ein weiterer Grund, weshalb ich diesen Job nicht allzu sehr vermisse. Edwards Fall jedoch ist moralisch grenzwertig. Ich hätte nicht im Traum daran gedacht, ihn anzunehmen, wenn ich nicht schon Perry Todd, Edwards schnieken, dicken Chef mit dem Haarausfallproblem, mit Idoia, der anbetungswürdigen spanischen Mosaik-Künstlerin, zusammengebracht hätte, bei einer meiner ersten Brautjagdexpeditionen. Letzte Woche hat er mich um einen »zwanglosen Kaffee, nur so« gebeten (als gäbe es so etwas in dieser Stadt) und mir seinen teuflischen Plan enthüllt. »Die Sache ist die, Rebecca«, erklärte Perry und unterstrich jeden Satz mit einem Biss in ein Stück Blätterteiggebäck. »Hab da diesen Mitarbeiter. Guter Kerl. Wird's weit bringen. Verdammt schlauer Kopf. Ein Problem. Keine Frau. Keine Spur von einer Frau. Nicht mal eine Spur von Interesse an einer Frau.« »Könnte er vielleicht schwul sein, Perry?« Perry schüttelte den Kopf. »Auch schon dran gedacht. Nein. Kommt zu Weihnachten und anderen besonderen Anlässen mit zum Lapdancing. Reagiert auf, ähem _ angemessene Weise. Verzeihung. Ist eben ein Zahlenmensch. Redet nicht viel.« Ich beschloss, meine Schwulenvermutung ruhen zu lassen. »Also, ich kann mich gern mal mit ihm treffen und mit ihm darüber sprechen, ob er Interesse hätte.« Perry wirkte plötzlich verschlagen. Er legte sogar den Rest seines Gebäcks für einen Moment beiseite. »Nein. Nein, wissen Sie - wie soll ich das Knifflige Sache. Bin nicht sicher, ob ihm klar ist, wie wichtig eine Ehefrau ist. Für seine Karriere. Hat sich bisher ganz gut gemacht, aber mit verschiedenen Socken und Ei auf der Krawatte ist irgendwo Schluss mit Aufstieg.« Ich nickte. Perrys Einstellung war mir schon allzu oft begegnet: Seniorchefs, die sich selbst einen One-Night-Stand nach dem anderen mit der Hälfte der Frauen in ihrer Abteilung gönnen, aber jedem, der noch nicht in festen Händen ist, die Beförderung verweigern, mit der Begründung, dass nur eine Ehefrau Stabilität und Familienwerte garantieren könne. »Und?« 1 4 3 20 19
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Autoren-Porträt von Amy Appleton
Amy Appleton ist das Pseudonym einer englischen Bestsellerautorin, die, geboren in Lancastershire, heute in London lebt und arbeitet. Sie schreibt derzeit an einem weiteren Amy-Appleton-Roman.
Bibliographische Angaben
- Autor: Amy Appleton
- 2010, 448 Seiten, Deutsch
- Übersetzer: Katharina Volk
- Verlag: Random House ebook
- ISBN-10: 364104989X
- ISBN-13: 9783641049898
- Erscheinungsdatum: 12.10.2010
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