Die Nacht ruft deinen Namen (ePub)

"Denken Sie, ich werde eine gute Krankenschwester werden?" Der junge Arzt blickte erstaunt von seinen Papieren auf. "Aber natürlich. Was soll denn diese Frage?" Dann dachte er kurz nach. "Ach so, sagen Sie ... haben Sie etwa Zweifel an ... an ihrer Berufung bekommen?" Wieder dieser Zynismus bei dem Wort Berufung. Desiderata errötete leicht. Sie sah ganz bezaubernd aus in dem schlichten, dunkelblauen Arbeitskleid, das bis zu ihren Knöcheln reichte und ihre zierliche Gestalt versteckte. Die Füße steckten in ebenso schlichten Schuhen mit Gummisohlen. Das dunkle, halblange Haar war bis auf eine kleine, vorwitzige Strähne unter der weißen Haube versteckt. Darunter schauten zwei rehbraune, fast übernatürlich große Augen in einem blassen Gesicht. Und diesen schönen, sinnlichen Mund hatte noch niemand geküsst. Gerade das dachte di Angelo und musste unwillkürlich lächeln. "Warum lachen Sie?" Fast entrüstet kam diese Frage von dem jungen Mädchen. "Nun, eigentlich lache ich über mich selbst. Aber lassen wir das. Hatte ich Recht mit meiner Vermutung?" Desiderata nickte. "Und warum zweifeln Sie? An Ihren Fähigkeiten wird es nicht liegen. Sie haben sehr viel Geschick und Feingefühl für eine angehende Krankenschwester." Di Angelo stand von seinem Schreibtisch auf und ging zu der Novizin. "Kommen Sie, Kleines. Setzen Sie sich erstmal hin und dann erzählen Sie mir von Ihrem Kummer." Desiderata setzte sich auf einen der beiden Stühle vor dem Schreibtisch. Der Doktor setzte sich auf den anderen und blickte sie erwartungsvoll an. Der jungen Frau fiel es sichtlich schwer, zu sprechen. "Nur keine Scheu. Ihre Mitschwestern werden nichts von unserem Gespräch erfahren." "Ich ... ich weiß einfach nicht, ob ich in einem Kloster leben möchte. Die Arbeit macht mir nichts aus. Wissen Sie, es macht mir viel Freude, Menschen zu helfen und für sie da zu sein. Es ist nur ..." Desiderata stockte und blickte auf. "Ich weiß nicht, ob ich nicht lieber eine Familie hätte und ... und einen Menschen, der