Die Psychopathen sind unter uns (ePub)
Eine Reise zu den Schaltstellen der Macht
Alles beginnt mit einem mysteriösen Päckchen, das an Neurologen auf der ganzen Welt verschickt wird. Es enthält ein unheimliches Buch, eine Nachricht, aber keinen Absender! Alle sind sich einig: Hier ist ein Psychopath am Werk! Jon Ronson versucht, das...
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Produktinformationen zu „Die Psychopathen sind unter uns (ePub)“
Alles beginnt mit einem mysteriösen Päckchen, das an Neurologen auf der ganzen Welt verschickt wird. Es enthält ein unheimliches Buch, eine Nachricht, aber keinen Absender! Alle sind sich einig: Hier ist ein Psychopath am Werk! Jon Ronson versucht, das Rätsel zu lösen, und begibt sich auf eine filmreife Mission, die so wahr wie gruselig ist. Seine Recherche führt ihn zu »Tony«, einem verurteilten Mörder und diagnostizierten Psychopathen, der beteuert, einer Fehldiagnose zum Opfer gefallen zu sein.
Jon wird auf seiner Reise schnell klar, wo sich die meisten Psychopathen aufhalten: Sie bewegen sich inmitten der Gesellschaft, sie sitzen an den Schalthebeln der Macht, sind Firmenbosse, Politiker und spielen in der Finanzwelt eine führende Rolle - kurzum: Sie lenken sogar unsere Gesellschaft.
Jon wird auf seiner Reise schnell klar, wo sich die meisten Psychopathen aufhalten: Sie bewegen sich inmitten der Gesellschaft, sie sitzen an den Schalthebeln der Macht, sind Firmenbosse, Politiker und spielen in der Finanzwelt eine führende Rolle - kurzum: Sie lenken sogar unsere Gesellschaft.
Lese-Probe zu „Die Psychopathen sind unter uns (ePub)“
Das fehlende Puzzleteil wird gefunden Dies ist eine Geschichte über den Wahnsinn. Sie beginnt mit einer seltsamen Begegnung im Café Costa in Bloomsbury, Zentral-London. Das Café Costa besuchten oft Neurologen, da die Fakultät für Neurologie des London University College gleich um die Ecke liegt. Eine von ihnen bog nun gerade in die Southhampton Row und winkte mir leicht verkrampft zu. Ihr Name war Deborah Talmi. Sie sah aus wie jemand, der seine Tage in Laboratorien verbrachte und somit weder gewohnt war, sich mit Journalisten im Café zu treffen noch im Mittelpunkt verwirrender Rätsel zu stehen. Sie hatte jemanden mitgebracht. Einen jungen, unrasierten, akademisch wirkenden Mann. Sie setzten sich. »Ich bin Deborah«, sagte sie. »Ich bin Jon«, sagte ich. »Ich bin James«, sagte er. »Nun«, sagte ich. »Haben Sie's mitgebracht?« Deborah nickte. Wortlos schob sie ein Paket über den Tisch.Ich öffnete es und drehte es in meinen Händen hin und her. »Es ist sehr schön«, sagte ich. Im letzten Juli erhielt Deborah ein seltsames Paket. Es lag in ihrer Arbeitsnische. Es war mit Göteborg, Schweden abgestempelt. Jemand hatte auf den gepolsterten Umschlag Erzähle Ihnen mehr, wenn ich zurück bin geschrieben. Wer auch immer es ihr gesandt haben mochte, hatte seinen Namen nicht hinterlassen. Das Paket enthielt ein Buch. Es war nur 42 Seiten dick, 21 davon - jede zweite Seite - waren leer, trotzdem wirkte alles - das Papier, die Illustrationen, der Satz - sehr aufwendig hergestellt. Das Cover war ein delikates, unheimliches Bild zweier entkörperlichter Hände, die sich gegenseitig zeichneten. Deborah erkannte, dass es sich um eine Reproduktion von M. C. Eschers Zeichnende Hände handelte. Der Autor war ein »Joe K« (eine Anspielung auf Kafkas Josef K. oder ein Anagramm des englischen Wortes joke (Witz)?) und der Titel war Sein oder Nichts, eine wie auch immer geartete Anspielung auf Sartres Werk Sein und Nichts aus dem Jahre 1943. Jemand hatte mit einer Schere sorgfältig die Seite mit
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Verlags- und Urheberrechtsangaben, ISBN-Nummer und so weiter ausgeschnitten, sodass hier keine Anhaltspunkte zu finden waren. Auf einem Aufkleber las sie: »Warnung! Bitte studieren Sie den Brief an Doktor Hofstadter, bevor Sie das Buch lesen. Viel Glück!« Deborah blätterte es durch. Es war offensichtlich eine Art Rätsel, das darauf wartete, gelöst zu werden, mit kryptischen Versen und Seiten mit ausgeschnittenen Worten und so weiter. Sie starrte nochmals auf die Aufschrift Erzähle Ihnen mehr, wenn ich zurück bin. Einer ihrer Kollegen war gerade in Schweden, und obwohl er eigentlich nicht zu den Leuten gehörte, die geheimnisvolle Pakete versandten, schien es eine überaus logische Erklärung zu sein, dass es von ihm stammte. Aber als er zurückkehrte und sie ihn danach fragte, antwortete er, er wisse nichts davon. Deborah war fasziniert. Und dann fand sie heraus, dass sie nicht alleine war. »Waren alle Empfänger Neurologen?«, fragte ich sie. »Nein«, sagte sie. »Viele waren Neurologen. Aber einer war ein Astrophysiker aus Tibet. Ein anderer ein Religionswissenschaftler aus dem Iran.« »Es waren alles Akademiker«, sagte James. Sie hatten das Paket alle auf die gleiche Weise erhalten - in einem gepolsterten Umschlag aus Göteborg, auf dem Erzähle Ihnen mehr, wenn ich zurück bin! stand. Sie versammelten sich auf Blogs und in Internetforen und versuchten, den Code zu knacken. Vielleicht, schlug ein Empfänger vor, sollte man das Buch als christliche Allegorie lesen, »selbst das rätselhafte Erzähle Ihnen mehr, wenn ich zurück bin! (Eindeutig eine Anspielung auf die Wiederkehr Christi). Der Autor/die Autoren scheint Sartes atheistischem Sein UND Nichts (nicht Sein ODER Nichts) zu widersprechen.« Eine Forscherin in Wahrnehmungspsychologie namens Sarah Allred pflichtete bei: »Ich habe den vagen Verdacht, dass sich das Ganze als virale Marketing- oder Werbestrategie einer religiösen Organisation entpuppen wird, die Akademiker/Intellektuelle/Wissenschaftler/Philosophen lächerlich machen will.« Anderen erschien dies unwahrscheinlich: »Der Kostenfaktor schließt die virale Theorie aus, es sei denn, die Kampagne verlässt sich darauf, dass sich ihre sorgfältig ausgewählten Empfänger im Netz über das Buch austauschen würden.« Die meisten Empfänger glaubten, die Antwort liege faszinierenderweise bei ihnen. Sie persönlich waren als Empfänger dieses Paketes ausgewählt worden. Offensichtlich gab es ein Muster, aber welches? Hatten sie alle einige Jahre zuvor dieselbe Konferenz besucht oder so etwas Ähnliches? Vielleicht sollten sie für eine Spitzenposition in einer geheimniskrämerischen Organisation abgeworben werden? »Der erste, der den Code knackt, kriegt den Job, oder?«, schrieb ein australischer Empfänger. Klar war, dass eine brillante Person oder Organisation mit Verbindungen zu Göteborg ein Rätsel ausgeheckt hatte, das so komplex war, dass es selbst kluge Akademiker nicht lösen konnten. Vielleicht konnte es nicht entschlüsselt werden, weil der Code unvollständig war. Vielleicht fehlte ein Teil. Jemand schlug vor, »den Brief ganz nahe an eine Lampe zu halten oder den Joddampftest zu machen. Vielleicht gibt es eine Geheimschrift, mit anderer Tinte geschrieben.« Aber es gab keine Geheimschrift. Sie gaben sich geschlagen. Wenn Akademiker dieses Rätsel nicht lösen konnten, dann sollten sie sich vielleicht an jemanden mit einer kruderen Vorgehensweise wenden, beispielsweise einen Privatdetektiven oder einen Journalisten. Deborah fragte herum. Welcher Journalist wäre hartnäckig und offen genug, sich auf dieses Geheimnis einzulassen? Sie gingen ein paar Namen durch. Und dann sagte Deborahs Freund James: »Wie wär's mit Jon Ronson?« An dem Tag, an dem ich Deborahs E-Mail mit der Einladung ins Café Costa erhielt, hatte ich eine wirklich schlimme Angstattacke. Ich hatte gerade einen Mann namens Dave McKay interviewt. Er war der charismatische Führer einer australischen religiösen Gruppierung mit dem Namen »The Jesus Christians« (»Die Jesus-Christen«) und hatte jüngst seinen Anhängern nahegelegt, sie sollten alle einem Fremden eine ihrer Nieren spenden. Dave und ich verstanden uns zu Beginn ganz gut - er schien hinreißend exzentrisch zu sein, und somit konnte ich gutes Material für meine Geschichte sammeln, unterhaltend verrückte Zitate und so weiter. Aber als ich mutmaßte, dass der Gruppendruck, der von Dave ausging, vielleicht der Grund war, weshalb sich die leichter zu beeinflussenden Mitglieder entschieden, sich von einer Niere zu trennen, explodierte er. Er schrieb mir in einer E-Mail, dass er mir eine Lehre erteilen und eine anstehende Nierenspende stoppen werde. Er würde die Empfängerin sterben lassen, und ich wäre dafür verantwortlich. Ich war entsetzt (wegen der Empfängerin), aber zugleich sehr erfreut, dass Dave mir eine so verrückte Nachricht sandte, die gut für meine Geschichte war. Ich erzählte einem Journalisten, Dave scheine ziemlich psychopathisch zu sein. (Ich wusste nichts über Psychopathen, aber ich nahm an, dass sie solche Dinge tun würden.) Der Journalist druckte das Zitat ab. Einige Tage später mailte mir Dave: »Es ist üble Nachrede zu behaupten, ich sei ein Psychopath. Ich habe mich rechtlich beraten lassen. Mir wurde gesagt, ich hätte gute Chancen, wenn ich gegen dich rechtliche Schritte einleiten würde. Deine Feindseligkeit mir gegenüber berechtigt dich nicht, mich zu diffamieren.«Deswegen hatte ich gerade eine massive Angstattacke, als Deborahs E-Mail in meinem Posteingang erschien. »Was habe ich mir nur dabei gedacht?«, sagte ich zu meiner Frau Elaine. »Ich hatte es einfach genossen, interviewt zu werden. Ich hatte es einfach genossen, zu plaudern. Und nun ist alles völlig verfahren. Dave McKay wird mich anklagen.« »Was ist los?«, schrie mein Sohn Joel, der gerade in den Raum kam. »Warum schreit ihr alle?« »Ich habe einen dummen Fehler gemacht. Ich habe einen Mann einen Psychopathen genannt und nun ist er wütend«, erklärte ich. »Was wird er mit uns machen?«, fragte Joel. Einen Moment lang herrschte Schweigen. »Nichts«, sagte ich. »Aber wenn er uns nichts tun wird, warum machst du dir dann Sorgen?« »Ich bin besorgt, weil ich ihn wütend gemacht habe«, sagte ich. »Ich mag es nicht, wenn ich Menschen sauer oder wütend mache. Deswegen bin ich traurig.« »Du lügst«, sagte Joel und kniff die Augen zusammen. »Ich weiß, dass es dir egal ist, wenn du Leute wütend oder sauer machst. Was verschweigst du mir?« »Ich habe dir alles gesagt«, sagte ich. »Wird er uns angreifen?«, fragte Joel. »Nein«, sagte ich. »Nein, nein! Das wird definitiv nicht geschehen.« »Sind wir in Gefahr?«, schrie Joel. »Er wird uns nicht angreifen«, schrie ich. »Er wird uns nur anklagen. Er will mir nur mein Geld wegnehmen.« »O Gott!«, sagte Joel.Ich schrieb Dave eine E-Mail und entschuldigte mich dafür, dass ich ihn einen Psychopathen genannt hatte. »Danke, Jon«, schrieb er umgehend zurück. »Mein Respekt für dich ist beträchtlich gewachsen. Wenn wir uns je wieder treffen sollten, dann hoffe ich, dass wir dem ein wenig näher sind, was man Freunde nennen könnte.«»Und so«, dachte ich, »habe ich mich einmal mehr umsonst aufgeregt.« Ich sah meine ungelesenen E-Mails durch und fand die E-Mail von Deborah Talmi. Sie sagte, sie und andere Akademiker auf der ganzen Welt hätten in der Post ein mysteriöses Paket erhalten. Ein Freund, der meine Bücher gelesen habe, habe ihr gesagt, ich sei die Sorte von Journalist, der vielleicht Spaß daran hätte, seltsame Rätsel zu lösen. Sie schloss: »Ich hoffe, ich konnte Ihnen das seltsame Gefühl vermitteln, das die ganze Angelegenheit bei mir auslöst, und wie faszinierend die Geschichte ist. Es ist wie eine Abenteuergeschichte oder ein Alternative Reality Game , und wir sind alle Spielfiguren darin. Da sie es an Forscher gesandt haben, haben sie die Forscherin in mir geweckt, aber ich habe die Antwort nicht gefunden. Ich hoffe sehr, dass Sie den Fall übernehmen.«Jetzt, im Café Costa, blickte sie auf das Buch, das ich hin und her wendete. »Im Wesentlichen«, sagte sie, »versucht jemand auf eine sehr geheimnisvolle Weise, die Aufmerksamkeit bestimmter Akademiker für etwas zu wecken, und ich bin neugierig, weshalb. Ich denke, die Kampagne ist zu ausgeklügelt, um das Werk einer Privatperson zu sein. Das Buch versucht, uns etwas mitzuteilen. Aber ich weiß nicht, was. Ich würde gerne wissen, wer es mir zusandte und weshalb, aber ich habe kein detektivisches Talent.«»Nun gut «, sagte ich. Ich schwieg und untersuchte das Buch gravitätisch. Ich trank einen Schluck Kaffee. »Ich werde es versuchen«, sagte ich. Ich sagte Deborah und James, ich würde meine Untersuchung gerne mit einem Blick auf ihre Arbeitsplätze beginnen. Ich sagte, ich sei neugierig, die Arbeitsnische zu sehen, in der Deborah das Paket zuerst entdeckt hatte. Sie blickten sich verstohlen an, wie um zu sagen: »Das ist ein seltsamer Ort um anzufangen, aber wer darf es wagen, die Methoden großer Detektive anzuzweifeln?« Tatsächlich besagten ihre Blicke vielleicht etwas anderes. Vielleicht besagten sie: »Eine Besichtigung unserer Arbeitsplätze wird Jon sicherlich nicht weiterhelfen, und es ist schon ein wenig seltsam, dass er das will. Hoffen wir, dass wir uns nicht den falschen Journalisten ausgesucht haben. Hoffen wir, dass er kein Sonderling ist oder private Gründe hat, unser Institut von innen sehen zu wollen.«Wenn ihre Blicke dies besagten, dann hatten sie recht. Ich hatte private Gründe, das Innere ihres Instituts sehen zu wollen. James' Fakultät war ein überwältigend unattraktiver Betonklotz in der unmittelbaren Nähe von Russell Square, die Fakultät für Psychologie des London University College. Vergilbte Fotografien aus den 1960er und 1970er Jahren an den Wänden der Korridore zeigten Kinder, die mit schauerlich wirkenden Maschinen verkabelt waren. Sie lächelten aufgeregt und ahnungslos in die Kamera, als ob sie am Strand wären. Offensichtlich war einmal ein Versuch unternommen worden, diese öffentlichen Räume zu verschönern, indem man die Wände in einem fröhlichen Gelb strich. Der Grund dafür war, wie sich herausstellte, dass Babys hierher gebracht wurden, um ihr Hirn zu testen, und jemand gedacht hatte, das Gelb würde sie vielleicht beruhigen. Aber ich konnte nicht nachvollziehen, wie. Die Hässlichkeit des Gebäudes war so niederschlagend, als würde man einer Leiche eine rote Pappnase aufstecken und sie Ronald McDonald nennen. Ich blickte in die Büros. In jedem brütete ein Neurologe oder Psychologe über seinem Schreibtisch und konzentrierte sich auf irgendetwas, das mit dem menschlichen Hirn zu tun hatte. In einem Raum wurde, wie ich erfuhr, über einen Mann aus Wales geforscht, der alle seine Schafe als Individuen wahrnahm, jedoch keine menschlichen Gesichter erkannte, nicht mal das seiner Frau, nicht einmal sich selbst im Spiegel. Sein Zustand nennt sich Prosopagnosia - Gesichtsblindheit. Die Betroffenen beleidigen offensichtlich ständig unabsichtlich ihre Arbeitskollegen und Nachbarn und Gatten und Gattinnen, da sie bei einer Begegnung auf der Straße nicht zurücklächeln und so weiter. Menschen sind deswegen unweigerlich beleidigt, auch wenn sie wissen, dass die Ursache der Unfreundlichkeit eine Störung ist und nicht Überheblichkeit. So kann sich schlechte Stimmung verbreiten. In einem anderen Büro studierte ein Neurologe den Fall eines Arztes vom Juli 1996, eines ehemaligen Luftwaffenpiloten, der bei hellichtem Tage über ein Feld flog, dann wendete, 15 Minuten später nochmal über das Feld flog und plötzlich einen großen Kornkreis entdeckte. Es war, als ob sich dieser gerade materialisiert hätte. Er erstreckte sich über 40 Quadratkilometer und bestand aus 151 Einzelkreisen. Der Kreis, der »Julia Set« getauft wurde, war der meistgefeierte in der Geschichte der Kornkreise. T-Shirts und Poster wurden gedruckt. Tagungen wurden organisiert. Die Bewegung war im Begriff gewesen abzuflauen - es wurde zunehmend klarer, dass Kornkreise nicht von Außerirdischen stammten, sondern in tiefster Nacht von Konzeptkünstlern mit Holzplanken und Schnüren erschaffen wurden -, aber dieser war aus dem Nichts aufgetaucht, innerhalb von 15 Minuten, zwischen zwei Flügen eines Piloten über das Feld. Der Neurologe in diesem Zimmer versuchte herauszufinden, weshalb das Hirn des Piloten den Kreis beim ersten Mal nicht registriert hatte. Denn er war schon vorher da gewesen, er war in der vorigen Nacht von einer Gruppe Konzeptkünstlern, bekannt als »Team Satan«, mit Holzplanken und Schnüren geschaffen worden. In einem dritten Büro sah ich eine Frau, auf ihrem Buchgestell stand ein Kinderbuch über das Hirn: Little Miss Brainy. Sie wirkte fröhlich und flott und war gutaussehend. »Wer ist das?«, fragte ich James. »Essi Viding«, sagte er. »Was untersucht sie?«, fragte ich. »Psychopathen«, sagte James. Ich blickte zu Essi. Sie sah uns, winkte und lächelte. »Das ist sicher gefährlich«, sagte ich. »Ich habe mal eine Geschichte über sie gehört«, sagte James. Sie interviewte einmal einen Psychopathen. Sie zeigte ihm das Bild eines schreckverzerrten Gesichts and forderte ihn auf, das Gefühl zu benennen, das zu sehen war. Er sagte, er wisse nicht, welches Gefühl dies sei, aber es sei genau der Gesichtsausdruck, den die Menschen zeigten, bevor er sie tötete. Ich ging weiter den Gang entlang. Dann hielt ich inne und blickte zu Essi Viding zurück. Ich hatte bis zu diesem Moment nie viel über Psychopathen nachgedacht, und ich fragte mich, ob ich versuchen sollte, welche zu treffen. Es schien mir außergewöhnlich, dass es da draußen Leute gab, deren neurologische Verfassung, gemäß James' Geschichte, sie so furchterregend wie ein vollkommen bösartiges Weltraum-Wesen aus einem Science-Fiction-Film machte. Ich erinnerte mich vage daran, einmal von einigen Psychologen gehört zu haben, dass Psychopathen in Spitzenpositionen in Wirtschaft und Politik gehäuft anzutreffen sind - die klinische Abwesenheit von Mitgefühl war ein Vorteil in diesen Kreisen. Konnte das wirklich wahr sein? Essi winkte mir wieder zu. Und ich entschied, dass es ein Fehler wäre, mich in die Welt der Psychopathen zu begeben, ein ganz besonders großer Fehler für jemanden wie mich, der an übermäßiger Angst litt. Ich winkte zurück und ging den Gang weiter. Deborahs Gebäude, das Wellcome-Trust-Zentrum für Neurobildgebung des University College London, war gleich um die Ecke des Queens Square. Es war modern und mit Faradaykäfigen und fMIRI-Scannern ausgestattet, die von trottelig wirkenden Technikern bedient wurden, die T-Shirts mit Comicfiguren trugen. Ihr eigenbrötlerisches Auftreten ließ die Maschinen weniger bedrohlich wirken. »Unser Ziel«, verkündete die Website des Zentrums, »ist herauszufinden, wie Gedanken und Wahrnehmungen aus der Hirnaktivität entstehen, und wie solche Prozesse neurologische und psychiatrische Krankheiten auslösen können.« Wir erreichten Deborahs Arbeitsnische. Ich inspizierte sie gründlich. »O.k.«, sagte ich. »Gut.« Ich stand da und nickte einen Moment lang mit dem Kopf. Deborah nickte zurück. Wir blickten einander an. Jetzt wäre eigentlich der passende Zeitpunkt, mein persönliches Anliegen zu enthüllen, weshalb ich unbedingt das Innere der Gebäude sehen wollte. Mein Angstlevel war in den letzten Monaten durch die Decke geschossen. Es war nicht mehr normal. Normale Menschen waren nicht so panisch. Normale Menschen fühlten sich ganz gewiss nicht so, als ob sie innerlich von einem ungeborenen Kind mit einer Mini-Elektroschockwaffe gequält würden, als ob sie Stromstöße versetzt kriegten wie von einem Draht, der Kühe davon abhält, ein Feld zu verlassen. Und ich hatte den ganzen Tag, seit unserem Treffen im Café Costa, den Plan, das Gespräch auf mein überängstliches Gehirn zu lenken, und vielleicht würde mir Deborah anbieten, mich in einen fMRI-Scanner zu stecken oder so was Ähnliches. Aber sie war so erfreut, dass ich mich bereit erklärt hatte, das Rätsel um Sein oder Nichts zu lösen, dass ich nicht den Mut aufbrachte, meine Schwäche einzugestehen, weil es diesen Zauber brechen würde. Das war meine letzte Chance. Deborah sah, wie ich sie anstarrte und ansetzte, etwas Wichtiges zu sagen. »Ja?«, sagte sie. Es folgte eine kurze Pause. Ich blickte sie an. »Ich werde dich wissen lassen, wie ich vorankomme«, sagte ich. Der Ryanair-Billigflug nach Göteborg um sechs Uhr morgens war proppenvoll und klaustrophobisch. Ich versuchte, meinen Notizblick aus meiner Hosentasche zu ziehen, um eine To-doListe zu schreiben, aber mein Bein war hoffnungslos unter dem Klapptischchen eingeklemmt, auf dem sich die Überreste meines Snack-Pack-Frühstücks stapelten. Ich brauchte einen Plan für Göteborg. Ich hätte meinen Notizblick wirklich gut gebrauchen können. Mein Gedächtnis war nicht mehr das, was es einmal war. In der Tat verließ ich in diesen Tagen meine Wohnung oft mit einem erregten, entschiedenen Gesichtsausdruck und nach einer Weile hielt ich an und stand einfach nur da und blickte verwirrt in die Gegend. In solchen Momenten wirkt alles traumartig und unklar. Ich werde wahrscheinlich eines Tages mein Gedächtnis vollständig verlieren, wie mein Vater, und dann wird es keine Bücher mehr zu schreiben geben. Ich musste wirklich einen Plan aushecken. Ich versuchte, an meinem Fuß zu kratzen. Ich konnte nicht. Ich war gefangen. Ich war verdammt noch mal gefangen. Ich war verdammt »AUTSCH!«, schrie ich unvermittelt. Mein Bein schoss nach oben und stieß gegen das Klapptischchen. Mein Nachbar blickte mich erstaunt an. Ich hatte eben unbeabsichtigt gekreischt. Ich starrte geradeaus, wirkte geschockt, aber auch leicht beeindruckt. Ich wusste nicht, dass solche geheimnisvollen, verrückten Geräusche in mir steckten. Ich hatte eine Fährte in Göteborg, den Namen und die Geschäftsadresse eines Mannes, der die Identität oder die Identitäten des »Joe K« kennen könnte. Sein Name war Petter Nordlund. Obwohl keines der Pakete, die an die Akademiker versandt worden waren, irgendeinen Hinweis enthielt - keine Namen möglicher Autoren oder Vertriebe - fand ich, tief vergraben im Archiv einer schwedischen Bibliothek, einen »Petter Nordlund« als englischen Übersetzer von Sein oder Nichts verzeichnet. Eine Google-Suche ergab nichts, außer die Adresse einer Firma in Göteborg namens BIR, mit der er irgendetwas zu tun hatte. Wenn, wie die Empfänger des Buches vermuteten, eine Gruppe von schlauen Rätselmachern hinter dieser teuren, mysteriösen Kampagne steckte, deren Motive noch nicht klar waren (Religiöse Propaganda? Virales Marketing? Abwerbungsversuche?), dann war Petter Nordlund mein einziger Zugang zu ihnen. Aber er wusste nicht, dass ich ihn besuchen würde. Ich hatte Angst, er würde verschwinden, wenn er es wüsste. Oder er würde die schattenhafte Organisation warnen, die hinter Sein oder Nichts steckte. Vielleicht würden sie sogar versuchen, mich auf eine Weise aufzuhalten, die ich mir nicht ausmalen wollte. Wie auch immer, ich entschied, dass es am klügsten war, Petter Nordlund zu überraschen. Übersetzer arbeiten oft weit entfernt von ihren Kunden, und Petter Nordlund wusste vielleicht gar nichts über sie. Einige Empfänger vermuteten, Sein oder Nichts sei ein Rätsel, das sich nicht lösen lasse, weil es unvollständig sei, und nachdem ich das Buch eine Woche lang studiert hatte, kam ich zum selben Schluss. Jede Seite schien ein Rätsel zu sein, dessen Lösung außer Reichweite lag. Eine Notiz am Anfang behauptete, dass das Manuskript in einer Ecke eines abgelegenen Bahnhofs »gefunden« worden sei. »Es lag für jeden sichtbar da, aber ich war der einzige, der neugierig genug war, es aufzuheben.« Dann folgten einige elliptische Zitate:»Mein Denken hat Muskeln.« ALBERT EINSTEIN »Ich bin eine seltsame Schleife.« DOUGLAS HOFSTADTER »Das Leben sollte ein freudiges Abenteuer sein.« JOE K Das Buch hatte nur 21 beschriebene Seiten, auf einigen stand jedoch nur ein einziger Satz. Auf Seite 18 las man beispielsweise nur: »Am sechsten Tag, nachdem ich aufgehört hatte, das Buch zu schreiben, saß ich in Bs Wohnung und schrieb das Buch.« Und alles war sehr teuer hergestellt worden, mit Papier und Tinte in höchster Qualität - auf einer Seite war eine filigrane vollfarbige Abbildung eines Schmetterlings - und das ganze Unterfangen musste jemanden oder eine Gruppe sehr viel Geld gekostet haben. Es zeigte sich, dass das fehlende Puzzleteil keine geheime Nachricht in unsichtbarer Tinte war, aber es gab eine andere Möglichkeit. Auf Seite 13 jedes Exemplars war sorgfältig ein Loch herausgeschnitten worden. Einige Wörter fehlten. Hatte die Lösung des Rätsels etwas mit diesen fehlenden Wörtern zu tun?
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Inhaltsverzeichnis zu „Die Psychopathen sind unter uns (ePub)“
Inhalt Das fehlende Puzzleteil wird gefunden 9 Der Mann, der Wahnsinn vortäuschte 37 Psychopathen träumen in Schwarzweiß 68 Der Psychopathentest 90 Toto 119 Die Nacht der lebenden Toten 138 Die richtige Art von Wahnsinn 167 David Shaylers Wahnsinn 177 Ein bisschen zu hoch hinaus 208 Der vermeidbare Tod der Rebecca Riley 226 Viel Glück! 248 Anmerkungen, Quellen, Bibliographie, Danksagung 266
Autoren-Porträt von Jon Ronson
Jon Ronson geboren 1967, ist ein Londoner Journalist, Dokumentarfilmemacher und Radiomoderator mit eigener Sendung. Er ist u. a. Kolumnist für die Zeitung »The Guardian« und schreibt Non-Fiction-Bücher. Sein letztes Buch »Men who stare at goats« (»Männer die auf Ziegen starren «) war ein internationaler Bestseller und wurde 2010 u. a. mit George Clooney verfilmt.
Bibliographische Angaben
- Autor: Jon Ronson
- 2012, 280 Seiten, Deutsch
- Übersetzer: Martin Jaeggi
- Verlag: Tropen
- ISBN-10: 3608102949
- ISBN-13: 9783608102949
- Erscheinungsdatum: 13.03.2012
Abhängig von Bildschirmgröße und eingestellter Schriftgröße kann die Seitenzahl auf Ihrem Lesegerät variieren.
eBook Informationen
- Dateiformat: ePub
- Größe: 4.38 MB
- Ohne Kopierschutz
Pressezitat
»Um es gleich vorneweg zu sagen: Dieses Buch ist fulminant!« Kim Kindermann, Deutschlandradio Kultur, 28.03.2012 »Der Autor reiht viele kleine, investigativ recherchierte Geschichten zu einem Kaleidoskop des Irrsinns aneinander ... Eine rasante Reise in die Strukturen und Methoden der "Wahnsinnsindustrie".« Joachym Ettel, ultimo, Okotber 2012
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