Glühendes Land (ePub)
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Der neue große Roman von Australiens Bestseller-Auotrin Anne McCullagh Rennie
Glühendes Land von Anne McCullagh Rennie
LESEPROBE
Die siebzehnjährige Kylie Harris wusste genau, dass die Zeit eigentlich nicht mehr für eine weitere Abfahrt reichte, bevor an diesem klarkalten Wintermorgen der Schulbus kam. Außerdem würde ihre Mutter ihr sicher verbieten, morgen am Lyrebird Cup teilzunehmen - einem Skirennen, das Kylie unbedingt gewinnen wollte -, wenn sie hörte, dass ihre Tochter zu den Jahresabschlussprüfungen zu spät gekommen war. Doch Kylie konnte einfach nicht anders. Dreimal war sie nun schon an Murphy's Turn, der letzten scharfen Kurve der Strecke, gestürzt. Sie musste einfach noch üben. Gerade lugte die Sonne über die schneebedeckten Gipfel von Victorias Snowy Mountains, als Kylie, mit Skiern, Stöcken und Schultasche bewaffnet, aus dem Umkleideraum der Sunburst Lodge schlich. Zitternd schloss sie den Reißverschluss ihrer lila und weiß gemusterten Skijacke, eines Erbstücks ihrer älteren Schwester Gwyneth. Dann zupfte sie die eng anliegende schwarze Skihose zurecht, auf die sie sechs Monate lang gespart hatte und die ihre Mutter viel zu gewagt fand, und machte sich mit leise knirschenden Schritten auf den Weg die Straße hinunter. Mit schuldbewusst klopfendem Herzen schnallte sie die Skier an, schlüpfte in ihre Handschuhe, stülpte das Stirnband über ihren wilden, leuchtend roten Lockenschopf und schulterte die Schultasche. Dann vergewisserte sie sich mit einem raschen Blick rückwärts, dass alle im Haus noch schliefen, griff nach ihren Skistöcken und machte sich auf den Weg zum Sessellift, der sie den Koala Bowl hinauf zur Piste bringen würde. Mit zwei Jahren hatte Kylie zum ersten Mal auf Skiern gestanden, doch ihre wahre Leidenschaft für diesen Sport hatte sich erst gezeigt, als Geoff und Susan Harris vor acht Jahren die Sunburst Lodge im Herzen des Skigebiets Lyrebird Falls gekauft hatten. Angefeuert von ihren Eltern, beide selbst gute Skifahrer, hatte sie ihr Naturtalent entdeckt und rasch die ersten Preise gewonnen. Der prestigeträchtige Lyrebird Cup war die einzige Trophäe ihrer Altersklasse, die Kylie noch nicht im Regal stehen hatte.
Dieses Jahr war ihre letzte Gelegenheit, sich an diesem Wettkampf zu beteiligen, und sie war überzeugt, dass dieser international anerkannte Preis ihr die Türen zu den besten ausländischen Skikaderschmieden öffnen würde. Sobald sie genug Geld für das Flugticket gespart hatte, wollte sie sich bewerben. Für die begeisterungsfähige Kylie, die keine falsche Scheu kannte, bedeutete der Lyrebird Cup den ersten Schritt hin zur Verwirklichung ihres Traums, einmal als Skilehrerin die Reichen und Berühmten zu unterrichten.
Als Kylie den Sessellift erreichte, hatte sie sich erfolgreich eingeredet, dass es ihr gelingen würde, ihren Dad um den Finger zu wickeln, falls es wirklich zum Schlimmsten kam und sie den Bus verpasste. Sie hatte nicht nur die Abenteuerlust und die Furchtlosigkeit auf der Piste von ihm geerbt, sondern wusste auch, wie stolz er auf ihre Leistungen im Skisport war. Dad verstand, wie viel es ihr bedeutete, den Lyrebird Cup zu gewinnen. Außerdem hatte sie von ihm gelernt, dass man im Leben manchmal auch ein Risiko eingehen musste. Und heute war eben so ein Tag.
In letzter Zeit war ihre Mutter ohnehin viel zu sehr mit den Vorbereitungen für Gwyneths Hochzeit beschäftigt, um zu bemerken, was Kylie trieb. Gestern Abend zum Beispiel war über nichts anderes gesprochen worden. Während ihr Dad überlegte, wo man die vielen Autos der Gäste unterbringen sollte, hatten Gwyn und Susan die Feier so lange in sämtlichen langweiligen Einzelheiten durchgekaut, bis Kylie am liebsten losgeschrien hätte, denn Spaß und Romantik würden bei dieser Hochzeit offenbar auf der Strecke bleiben.
Aber sie hatte geschwiegen, weil sie ihrer Schwester den großen Tag nicht verderben wollte. Zudem hatte sie gehofft, dass es über der Erörterung der Hochzeitspläne sehr spät werden würde. Wenn am nächsten Morgen alle tief und fest schliefen, würde nämlich niemand bemerken, dass sie sich vor der Schule aus dem Haus schlich. Als sie sich vorhin am Schlafzimmer ihrer Eltern vorbeigepirscht hatte, war kein Mucks zu hören gewesen. Tom Wickham, der Skiliftmechaniker, war schon auf den Beinen, um die Lifts wie jeden Tag auf Eisablagerungen und technische Probleme zu untersuchen. Er begrüßte Kylie mit einem fröhlichen Grinsen.
»Ein bisschen früh, um die Milchkannen einzusammeln«, meinte er lachend.
»Ich weiß. Ich habe nur gehofft ... Bitte, Tom, darf ich jetzt gleich rauffahren? Ich möchte noch einmal auf der Slalomstrecke trainieren und weiß wegen der Prüfungen nicht, ob ich es heute Nachmittag noch schaffe.« Sie schenkte ihm einen schmachtenden Blick aus grünen Augen.
Tom überlegte. Er wusste, wie verzweifelt Kylie den Lyrebird Cup gewinnen wollte.
»Also los«, erwiderte er schmunzelnd.
Er gab seinen Kollegen oben am Gipfel per Funk Bescheid und drückte dann auf einen Knopf, sodass sich die Gondeln langsam in Bewegung setzten.
»Sei aber vorsichtig da oben. Die Piste ist ziemlich vereist.« »Du bist der Größte!«, rief Kylie lächelnd aus.
Rasch nahm sie ihre Schultasche ab und reichte sie Tom mit dankbarer Miene. Dann glitt sie auf Skiern durch die Schranke und nahm im Sessellift Platz.
»Das werde ich dir nie vergessen«, sagte sie, während sie den Sicherheitsbügel vorlegte.
Kylies schlechtes Gewissen war wie weggeblasen, und Begeisterung ergriff sie, als der Sessellift sie rasch den Berghang hinauftrug. Der Weg zum Gipfel dauerte zehn Minuten.
Wenn sie sofort losfuhr, würde sie die Abfahrt zweimal zurücklegen können und den Schulbus trotzdem noch erwischen. Wie immer von Ehrfurcht ergriffen, ließ sie die Schönheit der schneebedeckten Berge auf sich wirken.
Unter ihr kam die große Bergstation von Lyrebird Falls in Sicht. Die Skiständer waren noch leer, die Gebäude lagen schweigend da. Auf der anderen Seite erkannte sie die verkrüppelten Eukalyptusbäume, die, in zarten Dunst gehüllt und die gefrorenen Äste von einer dünnen Schneeschicht überzuckert, die breiten Pisten säumten. Sie warfen lange blaue Schattenfinger über die jungfräulichen Pisten, wo nur hin und wieder ein Felsbrocken durch die Schneedecke ragte. Unten am Hang standen Schneekanonen bereit, um auf Knopfdruck Schneefontänen zu produzieren.
Kylies Augen funkelten vor Vorfreude, als der Sessellift den Gipfel erreichte. Hier war der Schnee in die rosigen Strahlen der ersten Morgensonne getaucht, und der Zauber von Lyrebird Falls war überall zu spüren: das Schweigen, die Einsamkeit, die frische Brise, die ihr die Wangen rötete, und die Herausforderung, welche die Piste für sie bedeutete.
Nachdem Kylie ihre Skibrille aufgesetzt hatte, glitt sie hinüber zum Koala Bowl, wo die Slalomstrecke begann. Die Piste war windgeschützt, wurde den größten Teil des Tages über von der Sonne beschienen und bedeutete gleichzeitig ein Vergnügen und eine Herausforderung, da sich hier häufig Eisplatten bildeten, wenn der angetaute Schnee nachts wieder gefror. Heute war die Piste ausgesprochen gut gepflegt, allerdings nach der kalten Nacht mit einer gefrorenen Kruste bedeckt und von vereisten Stellen durchzogen.
Ein junger Mann, der die lila und grüne Uniform der Pistenmitarbeiter trug, war gerade dabei, Slalomstangen einzustecken, und winkte Kylie zu. Sie erwiderte den Gruß und fuhr hinüber zum Start, einem aufgeschütteten Schneehügel. Oben am steilen Hang stehend, blickte sie den Berg hinunter, und ihr Herz begann zu schlagen. Dann stellte sie die Stoppuhr ein und fuhr los. Mit gebeugten Knien und parallel stehenden Skiern raste sie im Zickzackkurs den Hang hinab und hinterließ dabei die erste Spur des Tages im Schnee. Sie wurde schneller, grub beim Fahren die Kanten in den Hang und genoss den Rausch von Rhythmus und Geschwindigkeit.
Die ersten beiden Kurven bedeuteten keine Schwierigkeit, und der Schnee lag knirschend und fest unter ihren Skiern. Bei der nächsten Kurve jedoch hätte sie fast das Gleichgewicht verloren, da die Skier auf einer Eisplatte ins Rutschen gerieten. Erschrocken nahm sie die nächste Kurve ein wenig langsamer, legte dann eine steile, aber ziemlich einfache Strecke auf einem breiteren Stück Piste zurück, überwand mühelos die folgende Kurve und steuerte dann auf Murphy's Turn zu.
Kylie zwang sich zur Ruhe, als sie ihre Strategie noch einmal in Gedanken durchging, das Gewicht verlagerte und die Knie tiefer beugte. Fast hatte sie es geschafft. Ihr Herz klopfte vor Begeisterung, und all ihre Aufmerksamkeit galt der Strecke. Diesmal würde es klappen! Gerade als sie schon dachte, die heikle Kurve überwunden zu haben, spürte sie, wie ihr der äußere Ski wegrutschte und sie das Gleichgewicht verlor. Kylie kippte zur Seite, schlitterte über die vereiste Fläche und verlor den linken Ski. In beängstigender Geschwindigkeit rutschte sie bergab. Verzweifelt versuchte sie, sich an den Aufschüttungen am Pistenrand festzuhalten. Doch ihre behandschuhten Hände griffen ins Leere, als sie schneller und schneller die Piste hinabglitt. Auch der zweite Ski wurde ihr vom Stiefel gerissen, und die Skistöcke rissen ihr im Fallen von den Handgelenken.
Kylie wurde von Panik ergriffen; sie konnte nichts tun, um ihrer rasenden Fahrt Einhalt zu gebieten. Eine schiere Ewigkeit purzelte sie den Berg hinunter. Dann endlich wurde der Schnee weicher. Gerade war ihr klar geworden, dass sie nun doch nicht würde sterben müssen, als sie in einen gewaltigen Schneehaufen geschleudert wurde und den Stamm eines hohen Eukalyptusbaums nur knapp verfehlte. Ein stechender Schmerz fuhr ihr durchs rechte Knie.
Eine Weile lag sie, reglos und zitternd vor Erleichterung, da. Sie versuchte vorsichtig aufzustehen, musste sich aber wegen der Schmerzen sofort wieder unfreiwillig hinsetzen. Sie rieb sich das Knie und unternahm einen zweiten Anlauf. Diesmal tat es nicht ganz so weh. Kylie drängte die Tränen der Wut und Enttäuschung zurück und klopfte sich den Schnee von der Jacke. Dann blickte sie den Hang hinauf. Ihre Skier und Stöcke waren als dunkle Flecke auf der Piste zu erkennen.
Langsam und unter Schmerzen trottete sie den Berg hinauf, um ihre Ausrüstung einzusammeln, und wischte sich dabei immer wieder die Tränen weg. Wenn sie morgen auch so miserabel fuhr, brauchte sie gar nicht erst anzutreten - sofern sie überhaupt fahren konnte! Sie hätte sich ohrfeigen können, als sie wieder die Skier umschnallte und nach den Stöcken griff. Nach dem Sturz steckte ihr der Schreck noch in den Gliedern.
Noch nie hatte Kylie sich so hilflos gefühlt; ihr Selbstbewusstsein hatte einen herben Schlag erlitten. Vorsichtig fuhr sie zwischen den Bäumen hindurch zurück zum Sessellift. Sie fragte sich, ob sie die Strecke überhaupt ein zweites Mal fahren wollte. Wenigstens liegen die Schmerzen in ihrem Knie allmählich nach. Als sie bemerkte, dass die Zeit allmählich knapp wurde, beschleunigte sie und fuhr weiter, das Gewicht auf das unversehrte Knie verlagert. Die Bäume warfen bläuliche Schatten in den Schnee und die sand- und orangefarbene Rinde der knorrigen Aste schien ihr zuzuwinken.
Gerade setzte sie zur letzten Abfahrt an, als ein anderer Skifahrer, eine Schneewolke aufwirbelnd, von der Seite herangeschossen kam. Fast wäre er ihr über die Skier gefahren, und Kylie staubte der Schnee ins Gesicht.
»Pass doch auf, du Idiot! «, schrie sie und wich ihm aus.
© Weltbild
Deutsch von Karin Dufner
- Autor: Anne McCullagh Rennie
- 2012, 270 Seiten, Deutsch
- Verlag: Weltbild GmbH & Co. KG
- ISBN-10: 3863656776
- ISBN-13: 9783863656775
- Erscheinungsdatum: 01.10.2012
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