Hauchnah / Mira Star Bestseller Autoren Romance (ePub)
Klick - noch ein Schnappschuss von der bunten Marktplatzszene. Dann wird die Welt um Natalie Jones dunkel. Die junge Fotografin erblindet plötzlich und zieht sich völlig zurück. Bis sie wegen ihres letzten Fotos, dem Schlüssel in einem grausamen Verbrechen,...
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Produktdetails
Produktinformationen zu „Hauchnah / Mira Star Bestseller Autoren Romance (ePub)“
Klick - noch ein Schnappschuss von der bunten Marktplatzszene. Dann wird die Welt um Natalie Jones dunkel. Die junge Fotografin erblindet plötzlich und zieht sich völlig zurück. Bis sie wegen ihres letzten Fotos, dem Schlüssel in einem grausamen Verbrechen, ins Visier des Mörders gerät. Special Agent Liam McKenzie soll sie beschützen. In seiner Nähe spürt sie ein erotisches Knistern. Obwohl sie fühlt, dass auch er sie begehrt, geht Natalie auf Distanz. Aus Angst, dass Liam nur Mitleid für sie empfindet... Sie kommen einander keinen Schritt näher - bis der Killer erneut zuschlägt.
Lese-Probe zu „Hauchnah / Mira Star Bestseller Autoren Romance (ePub)“
Hauchnah von Virna DePaul 1. Kapitel
Plainville war eine merkwürdig malerische Stadt; Nordkaliforniens Antwort auf das Mayberry in der Andy Griffith Show. Ländlich genug als Drehort für jeden beliebigen Low-Budget-Slasherfilm. Kontraste spielten in der Standfotografie eine genauso große Rolle wie im Film. Vielleicht hatte Natalie Jones aus diesem Grund Plainville zum Schauplatz ihres endgültigen Abstiegs in die Finsternis gewählt.
Die Schlüsselszene einer Tragikomödie. Ein Darsteller. Ein Zuschauer.
Und Vorhang.
Im Moment allerdings erfreute sie sich eines letzten Aufschubs.
Sie hätte so tun können, als wäre ihr das Wort „Netzhautdegeneration" noch nie untergekommen. Als erwartete sie nicht die völlige Dunkelheit. Als wäre sie eine ganz normale Frau, die sich den Vormittag mit einem Bummel über den Bauernmarkt vertrieb, Bioobst und -gemüse prüfte und das Gemeinschaftsgefühl genoss.
Beim Anblick eines der berittenen Polizisten, die hin und wieder den Marktplatz umrundeten, griff sie entschlossen nach ihrer Kamera, um ihn zu fotografieren. Dadurch jedoch wurde ihre Selbsttäuschung hinfällig.
Sie war nicht normal, war es im Grunde nie gewesen.
Sie konnte wohl die imposante Größe des Tieres, den Umriss und die Bewegungen wahrnehmen und erkennen, dass es ein typischer Fuchs war. Aber selbst mit einem Super-Vergrößerungsobjektiv sah sie nicht das Spiel der kraftvollen Muskeln unter der Haut, konnte den Ledersattel auf seinem Rücken nicht von der wahrscheinlich darunterliegenden Decke unterscheiden oder mit Sicherheit sagen, dass es sich bei dem Reiter um einen Mann und nicht um eine kräftige Frau handelte.
... mehr
Natalie presste die Lippen zusammen, ließ die Kamera sinken und blinzelte gegen die drohenden Tränen an.
Es ist schon richtig, dachte sie. Größer war nicht immer gleich besser, nicht wenn sie bei einem Fünfhundert-Kilo-Pferd keine Einzelheiten erfassen konnte. Trotzdem, es war immer noch besser als gar nichts.
Empört seufzend lief sie weiter, darauf bedacht, den Kopf hochzuhalten und langsam zu gehen. Doch auch nicht zu langsam.
Riesige Mammutbäume säumten rechts von ihr den Weg. Natalie hielt wieder inne, da unverhofft Sonnenstrahlen durch die Zweige brachen und sie blendeten. Sarkastisch verzog sie den Mund, dann schloss sie die Augen, hob das Gesicht und genoss die kaum merkliche Wärme auf ihrer Haut. Diesen Moment wollte sie für dunklere Zeiten im Gedächtnis bewahren, zusammen mit Erinnerungen an andere Orte, die ihr Frieden vermittelt hatten.
Die Seine in Frankreich.
Die Serpentinenwege in den Schweizer Bergen.
Die unbefestigten Straßen Malaysias, zu beiden Seiten umgeben vom üppigen Grün des tropischen Regenwaldes.
Die Erinnerungen würden ihr helfen, ihren Kummer zu verbergen.
Zu verbergen.
Dieser Begriff war ihr inzwischen ziemlich vertraut. Eine Fähigkeit, die sie beinahe bis zur Perfektion vervollkommnet hatte.
So viele Jahre hatte sie das Bevorstehende gefürchtet, dass ihr Auftreten nur noch selten widerspiegelte, wie viel Angst und Panik sie tief in sich empfand. Seit die Krankheit nicht mehr nur eine Wahrscheinlichkeit, sondern Wirklichkeit war, bedeutete die Fähigkeit, ihre Gefühle verbergen zu können, etwas sehr Wertvolles für sie. Beherrschung, ja, aber noch wichtiger war - Würde. Im Gegensatz zu ihrer Mutter würde sie ihr Schicksal mit Anstand annehmen und sich nicht von ihrer Situation unterkriegen oder zerstören lassen. Und es spielte auch keine Rolle, dass sie sich ihrer Zukunft allein stellen musste. Alleinsein war besser, auch wenn sie das eine Zeit lang nicht glauben wollte.
Unvermittelt drifteten ihre Gedanken zu Duncan Oliver ab. Trotz der wärmenden Sonnenstrahlen auf ihrem Gesicht schlang sie ihren Pullover fester um sich. Sie fröstelte.
Warum musste sie zu allem Überfluss auch noch ständig so frieren?
Nichts - kein Kaffee, kein warmes Kaminfeuer, nicht einmal eine Heizdecke - konnte die Kälte ganz vertreiben, die sich in ihrem Inneren ausgebreitet hatte, nachdem Duncan vor zwei Wochen mit angespannter, doch entschlossener Miene zu ihr gekommen war und mit ihr hatte reden wollen.
"Tut mir leid, Natalie. Ich liebe dich, aber ... aber ich halte es nicht aus. Ich ertrage es nicht, mitanzusehen, was du durchmachst", hatte er gesagt.
Zu dem Zeitpunkt hatte Natalie nur mit Mühe ihre Tränen unterdrücken können. "Doch du kannst es ertragen, dass ich es allein durchstehen muss? Obwohl das hundertmal schlimmer ist?" Ach was, hundert. Eher tausendmal. Hunderttausend.
Natürlich hatte sie das nicht laut ausgesprochen. Und genau so wollte sie es weiterhin halten.
Seufzend öffnete sie die Augen, blinzelte, bis ihre Sicht nicht mehr ganz so verschwommen war, und ging weiter. Im Hintergrund hörte sie Pete, einen Einheimischen, der in diversen Kriegen gekämpft und bei seiner Heimkehr seine Frau an den Krebs verloren hatte, seine Weltuntergangsprognosen und politischen Parolen brüllen. Die Polizei würde es so lange hinnehmen, bis sich eine Traube von Menschen um ihn gebildet hätte. Dann würden sie ihn mit sanfter Gewalt entfernen.
Bedächtig näherte sie sich Pete, immer auf der Hut, niemandem in den Weg zu geraten. Der Markt hatte gerade erst geöffnet, und das Gedränge, das sich in etwa zwei Stunden im Park entwickeln würde, hatte noch nicht eingesetzt. Bis dahin würde sie längst fort sein, ihre Fotos vergrößert auf dem Computermonitor bearbeiten und versuchen, sie nicht zu streng zu beurteilen und nicht daran zu denken, dass sie wohl zu den letzten gehörten, die sie je aufnehmen würde.
Sie geriet ins Stolpern, als etwas ihre Waden streifte, und spontan griff sie nach unten und ertastete weiches Fell. Sie lachte, und der heisere Ton erschreckte sie. "Hallo, Süßer", meinte sie und streichelte den Hund, bis der Besitzer nach ihm pfiff und der Hund davonrannte.
Für eine Weile konnte sie unbeschwert lächeln, und sie kostete das unverhoffte Gefühl der Zufriedenheit aus. Als sie Pete erreichte, unterbrach er seine Volksrede, um sie zu begrüßen. "Hallo, Natalie, du Hübsche."
Angesichts der vertrauten Begrüßung musste sie wieder lächeln. Wann immer sie ihn traf, war Pete höflich zu ihr. Stets erkannte er sie, obwohl sein Bewusstsein in einem Wimpernschlag von wahnhaft auf vernünftig umschalten konnte. "Hi, Pete. Wie geht's dir heute?"
"Prima. Keine Angst. Alles wird gut."
"Danke, Pete. Das freut mich." Sie warf einen Fünfdollarschein in sein Körbchen und ging weiter. Seine Worte berührten sie seltsam. Er sagte dies bei jeder Begegnung, und meistens tat Natalie sie als leeres Gefasel ab. Aber heute gaben sie ihr Halt.
Zwar schritt die Krankheit fort, doch Natalie konnte noch sehen. Konnte noch arbeiten. Vielleicht hatte Pete recht, und alles würde gut.
Sie hatte für das Planville-Magazin schon Hunderte von Fotos geschossen, um die Sanierung des Stadtzentrums zu dokumentieren. Dank des ungewöhnlich sonnigen Tages allerdings wären die Bilder vom Bauernmarkt eine hübsche Zugabe. Auch wenn noch kein großes Gedränge herrschte, spazierten immerhin schon etliche Besucher umher. Einige bewegten sich so schnell, dass ihre Körper ein Kaleidoskop verschwommener Farben bildeten. Falls sie ihr Tempo jedoch verlangsamten und Natalie nahe genug herankam, konnte sie sie einordnen: Geschäftsleute, Pärchen, Familien.
Wiederholt durchstreifte sie den Park auf der Suche nach Motiven, die sie so oft aufnahm, bis sie genau richtig waren. Einige Male, als Gegenstände oder Personen ihr besonders auffielen, aufgewertet durch den Hintergrund oder einen Gesichtsausdruck, sofern sie ihn erkennen konnte, formulierte sie im Geiste gleich Bildunterschriften. Dies hatte sie sich in Dubai angewöhnt und nicht wieder abgelegt.
Das Foto von der zierlichen dunkelhaarigen Frau, die sich bei dem Mann mit den silbergrauen Haaren untergehakt hatte und lachend zu ihm hochschaute, nannte sie "Freude".
Und das Bild eines Mannes, der, den Blick auf einen nahen Spielplatz gerichtet, an einem Baum lehnte und etwas in der Hand hielt, das wie eine Videokamera aussah, sollte "Beobachter" heißen.
Eine ältere Frau ging ernst dreinguckend vorbei, lächelte aber sogleich, als das Baby in ihren Armen Himbeeren auf ihren Hals spuckte. Der Wind trug den Hauch eines Dufts von Babyshampoo und Milch zu Natalie herüber. Sie konnte nicht widerstehen und drehte sich um, um das Baby, so verschwommen es auch war, so lange wie möglich im Blick zu behalten. Es gelang ihr nicht lange.
Im Gewimmel der wachsenden Menschenmenge drang wieder Petes Geschwätz an ihr Ohr. "Nicht, was du denkst ... Er hat dich geblendet ..." Natalie runzelte die Stirn, wandte den Kopf und schnappte nach Luft, da sie gegen etwas Hartes stieß.
Kräftige Hände packten sie bei den Armen, damit sie nicht stürzte. "Hoppla, kleine Dame. Pass auf, wohin du gehst."
Ärgerlich zog Natalie die Brauen hoch. Kleine Dame? Sie hob den Kopf, kniff die Augen zusammen, doch weil er die Sonne im Rücken hatte, konnte sie noch weniger von dem Mann erkennen. Er war groß und roch nach Tabak, doch sie nahm noch einen weiteren Geruch an ihm wahr. Es schien, als hätte er sich mit Parfüm eingenebelt, um sein Laster zu verbergen. Er trug einen Hut. Angesichts seiner Worte und der Spur eines texanischen Akzents hätte sie auf einen Cowboyhut getippt, allerdings war der Hut irgendwie bunt gemustert, und etwas daran funkelte wie ein Diamant.
Sie bezwang ihre Mischung aus Verlegenheit und Ärger, entschuldigte sich und ging um ihn herum. Pete brüllte jetzt, und sie schnitt eine Grimasse, sowie er jemandem vorwarf, ein Heuchler zu sein. Ein Scharlatan. Immer wenn Pete anfing, Leute zu beschimpfen, griff die Polizei schließlich ein. Dieses Mal blieb Natalie stehen, bevor sie sich abwandte. Pete zeigte auf ein Pärchen, und mehrere Leute beobachteten neugierig das Schauspiel.
"Gib ihm nicht, was er haben will", kreischte Pete. "Geh nach Hause! Geh nach Hause. Geh ..."
Eine Gestalt näherte sich ihm. "Also, Pete. Das reicht. Komm mit." Die Stimme klang freundlich, aber dennoch streng. Eindeutig ein Cop. Und tatsächlich verstummte Pete und ließ sich abführen. Dann war er verschwunden. Die Menge zerstreute sich.
Natalie fragte sich, ob der Polizist Pete nur bis zur Parkgrenze begleitete oder ob er ihn zu seinem Wohnwagen mehrere Häuserblocks entfernt fahren würde. Sie war einmal dort gewesen, weil sie Pete ihre Hilfe anbieten wollte. Sie wusste, dass auch die Cops ihm Hilfe angeboten hatten. Pete lehnte solche Unterstützung dankend ab.
Sie lief weiter, doch Pete und seine Anschuldigungen kreisten in ihren Gedanken, bis Kinderlachen und das Geplätscher von Wasser sie aus ihrer Versunkenheit holten. Sie ging auf den Parkbrunnen zu. Da er ein schönes letztes Motiv sein würde, beschleunigte sie ihre Schritte.
Ohne Vorwarnung explodierte plötzlich ein Schmerz hinter ihren Augen. Sie sah einen grellen Lichtblitz, bevor der Rest ihrer Sehkraft zusammenschrumpfte.
Ihre Hände, die locker die Kamera hielten, zuckten so heftig, dass der Trageriemen an ihrem Hals riss. Wie aus weiter Ferne hörte sie den Fotoapparat vor ihren Füßen auf dem Boden aufschlagen. Dann spielten offenbar ihre übrigen Sinne verrückt. Ihr Gehör ließ nach. Ihre Finger wurden taub. Ihre ohnehin schon kühle Haut wurde eisig. Doch die erhoffte Distanziertheit blieb aus. Auch die ruhige Inkaufnahme, die sie sich im Laufe von fast zwanzig Jahren erarbeitet hatte, löste sich in nichts auf.
Kein Versteck weit und breit.
"Nein", flüsterte sie. "Nicht jetzt. Bitte nicht jetzt."
Natalies Welt war unvermittelt völlig dunkel geworden.
Copyright © 2012 by Virna DePaul
Natalie presste die Lippen zusammen, ließ die Kamera sinken und blinzelte gegen die drohenden Tränen an.
Es ist schon richtig, dachte sie. Größer war nicht immer gleich besser, nicht wenn sie bei einem Fünfhundert-Kilo-Pferd keine Einzelheiten erfassen konnte. Trotzdem, es war immer noch besser als gar nichts.
Empört seufzend lief sie weiter, darauf bedacht, den Kopf hochzuhalten und langsam zu gehen. Doch auch nicht zu langsam.
Riesige Mammutbäume säumten rechts von ihr den Weg. Natalie hielt wieder inne, da unverhofft Sonnenstrahlen durch die Zweige brachen und sie blendeten. Sarkastisch verzog sie den Mund, dann schloss sie die Augen, hob das Gesicht und genoss die kaum merkliche Wärme auf ihrer Haut. Diesen Moment wollte sie für dunklere Zeiten im Gedächtnis bewahren, zusammen mit Erinnerungen an andere Orte, die ihr Frieden vermittelt hatten.
Die Seine in Frankreich.
Die Serpentinenwege in den Schweizer Bergen.
Die unbefestigten Straßen Malaysias, zu beiden Seiten umgeben vom üppigen Grün des tropischen Regenwaldes.
Die Erinnerungen würden ihr helfen, ihren Kummer zu verbergen.
Zu verbergen.
Dieser Begriff war ihr inzwischen ziemlich vertraut. Eine Fähigkeit, die sie beinahe bis zur Perfektion vervollkommnet hatte.
So viele Jahre hatte sie das Bevorstehende gefürchtet, dass ihr Auftreten nur noch selten widerspiegelte, wie viel Angst und Panik sie tief in sich empfand. Seit die Krankheit nicht mehr nur eine Wahrscheinlichkeit, sondern Wirklichkeit war, bedeutete die Fähigkeit, ihre Gefühle verbergen zu können, etwas sehr Wertvolles für sie. Beherrschung, ja, aber noch wichtiger war - Würde. Im Gegensatz zu ihrer Mutter würde sie ihr Schicksal mit Anstand annehmen und sich nicht von ihrer Situation unterkriegen oder zerstören lassen. Und es spielte auch keine Rolle, dass sie sich ihrer Zukunft allein stellen musste. Alleinsein war besser, auch wenn sie das eine Zeit lang nicht glauben wollte.
Unvermittelt drifteten ihre Gedanken zu Duncan Oliver ab. Trotz der wärmenden Sonnenstrahlen auf ihrem Gesicht schlang sie ihren Pullover fester um sich. Sie fröstelte.
Warum musste sie zu allem Überfluss auch noch ständig so frieren?
Nichts - kein Kaffee, kein warmes Kaminfeuer, nicht einmal eine Heizdecke - konnte die Kälte ganz vertreiben, die sich in ihrem Inneren ausgebreitet hatte, nachdem Duncan vor zwei Wochen mit angespannter, doch entschlossener Miene zu ihr gekommen war und mit ihr hatte reden wollen.
"Tut mir leid, Natalie. Ich liebe dich, aber ... aber ich halte es nicht aus. Ich ertrage es nicht, mitanzusehen, was du durchmachst", hatte er gesagt.
Zu dem Zeitpunkt hatte Natalie nur mit Mühe ihre Tränen unterdrücken können. "Doch du kannst es ertragen, dass ich es allein durchstehen muss? Obwohl das hundertmal schlimmer ist?" Ach was, hundert. Eher tausendmal. Hunderttausend.
Natürlich hatte sie das nicht laut ausgesprochen. Und genau so wollte sie es weiterhin halten.
Seufzend öffnete sie die Augen, blinzelte, bis ihre Sicht nicht mehr ganz so verschwommen war, und ging weiter. Im Hintergrund hörte sie Pete, einen Einheimischen, der in diversen Kriegen gekämpft und bei seiner Heimkehr seine Frau an den Krebs verloren hatte, seine Weltuntergangsprognosen und politischen Parolen brüllen. Die Polizei würde es so lange hinnehmen, bis sich eine Traube von Menschen um ihn gebildet hätte. Dann würden sie ihn mit sanfter Gewalt entfernen.
Bedächtig näherte sie sich Pete, immer auf der Hut, niemandem in den Weg zu geraten. Der Markt hatte gerade erst geöffnet, und das Gedränge, das sich in etwa zwei Stunden im Park entwickeln würde, hatte noch nicht eingesetzt. Bis dahin würde sie längst fort sein, ihre Fotos vergrößert auf dem Computermonitor bearbeiten und versuchen, sie nicht zu streng zu beurteilen und nicht daran zu denken, dass sie wohl zu den letzten gehörten, die sie je aufnehmen würde.
Sie geriet ins Stolpern, als etwas ihre Waden streifte, und spontan griff sie nach unten und ertastete weiches Fell. Sie lachte, und der heisere Ton erschreckte sie. "Hallo, Süßer", meinte sie und streichelte den Hund, bis der Besitzer nach ihm pfiff und der Hund davonrannte.
Für eine Weile konnte sie unbeschwert lächeln, und sie kostete das unverhoffte Gefühl der Zufriedenheit aus. Als sie Pete erreichte, unterbrach er seine Volksrede, um sie zu begrüßen. "Hallo, Natalie, du Hübsche."
Angesichts der vertrauten Begrüßung musste sie wieder lächeln. Wann immer sie ihn traf, war Pete höflich zu ihr. Stets erkannte er sie, obwohl sein Bewusstsein in einem Wimpernschlag von wahnhaft auf vernünftig umschalten konnte. "Hi, Pete. Wie geht's dir heute?"
"Prima. Keine Angst. Alles wird gut."
"Danke, Pete. Das freut mich." Sie warf einen Fünfdollarschein in sein Körbchen und ging weiter. Seine Worte berührten sie seltsam. Er sagte dies bei jeder Begegnung, und meistens tat Natalie sie als leeres Gefasel ab. Aber heute gaben sie ihr Halt.
Zwar schritt die Krankheit fort, doch Natalie konnte noch sehen. Konnte noch arbeiten. Vielleicht hatte Pete recht, und alles würde gut.
Sie hatte für das Planville-Magazin schon Hunderte von Fotos geschossen, um die Sanierung des Stadtzentrums zu dokumentieren. Dank des ungewöhnlich sonnigen Tages allerdings wären die Bilder vom Bauernmarkt eine hübsche Zugabe. Auch wenn noch kein großes Gedränge herrschte, spazierten immerhin schon etliche Besucher umher. Einige bewegten sich so schnell, dass ihre Körper ein Kaleidoskop verschwommener Farben bildeten. Falls sie ihr Tempo jedoch verlangsamten und Natalie nahe genug herankam, konnte sie sie einordnen: Geschäftsleute, Pärchen, Familien.
Wiederholt durchstreifte sie den Park auf der Suche nach Motiven, die sie so oft aufnahm, bis sie genau richtig waren. Einige Male, als Gegenstände oder Personen ihr besonders auffielen, aufgewertet durch den Hintergrund oder einen Gesichtsausdruck, sofern sie ihn erkennen konnte, formulierte sie im Geiste gleich Bildunterschriften. Dies hatte sie sich in Dubai angewöhnt und nicht wieder abgelegt.
Das Foto von der zierlichen dunkelhaarigen Frau, die sich bei dem Mann mit den silbergrauen Haaren untergehakt hatte und lachend zu ihm hochschaute, nannte sie "Freude".
Und das Bild eines Mannes, der, den Blick auf einen nahen Spielplatz gerichtet, an einem Baum lehnte und etwas in der Hand hielt, das wie eine Videokamera aussah, sollte "Beobachter" heißen.
Eine ältere Frau ging ernst dreinguckend vorbei, lächelte aber sogleich, als das Baby in ihren Armen Himbeeren auf ihren Hals spuckte. Der Wind trug den Hauch eines Dufts von Babyshampoo und Milch zu Natalie herüber. Sie konnte nicht widerstehen und drehte sich um, um das Baby, so verschwommen es auch war, so lange wie möglich im Blick zu behalten. Es gelang ihr nicht lange.
Im Gewimmel der wachsenden Menschenmenge drang wieder Petes Geschwätz an ihr Ohr. "Nicht, was du denkst ... Er hat dich geblendet ..." Natalie runzelte die Stirn, wandte den Kopf und schnappte nach Luft, da sie gegen etwas Hartes stieß.
Kräftige Hände packten sie bei den Armen, damit sie nicht stürzte. "Hoppla, kleine Dame. Pass auf, wohin du gehst."
Ärgerlich zog Natalie die Brauen hoch. Kleine Dame? Sie hob den Kopf, kniff die Augen zusammen, doch weil er die Sonne im Rücken hatte, konnte sie noch weniger von dem Mann erkennen. Er war groß und roch nach Tabak, doch sie nahm noch einen weiteren Geruch an ihm wahr. Es schien, als hätte er sich mit Parfüm eingenebelt, um sein Laster zu verbergen. Er trug einen Hut. Angesichts seiner Worte und der Spur eines texanischen Akzents hätte sie auf einen Cowboyhut getippt, allerdings war der Hut irgendwie bunt gemustert, und etwas daran funkelte wie ein Diamant.
Sie bezwang ihre Mischung aus Verlegenheit und Ärger, entschuldigte sich und ging um ihn herum. Pete brüllte jetzt, und sie schnitt eine Grimasse, sowie er jemandem vorwarf, ein Heuchler zu sein. Ein Scharlatan. Immer wenn Pete anfing, Leute zu beschimpfen, griff die Polizei schließlich ein. Dieses Mal blieb Natalie stehen, bevor sie sich abwandte. Pete zeigte auf ein Pärchen, und mehrere Leute beobachteten neugierig das Schauspiel.
"Gib ihm nicht, was er haben will", kreischte Pete. "Geh nach Hause! Geh nach Hause. Geh ..."
Eine Gestalt näherte sich ihm. "Also, Pete. Das reicht. Komm mit." Die Stimme klang freundlich, aber dennoch streng. Eindeutig ein Cop. Und tatsächlich verstummte Pete und ließ sich abführen. Dann war er verschwunden. Die Menge zerstreute sich.
Natalie fragte sich, ob der Polizist Pete nur bis zur Parkgrenze begleitete oder ob er ihn zu seinem Wohnwagen mehrere Häuserblocks entfernt fahren würde. Sie war einmal dort gewesen, weil sie Pete ihre Hilfe anbieten wollte. Sie wusste, dass auch die Cops ihm Hilfe angeboten hatten. Pete lehnte solche Unterstützung dankend ab.
Sie lief weiter, doch Pete und seine Anschuldigungen kreisten in ihren Gedanken, bis Kinderlachen und das Geplätscher von Wasser sie aus ihrer Versunkenheit holten. Sie ging auf den Parkbrunnen zu. Da er ein schönes letztes Motiv sein würde, beschleunigte sie ihre Schritte.
Ohne Vorwarnung explodierte plötzlich ein Schmerz hinter ihren Augen. Sie sah einen grellen Lichtblitz, bevor der Rest ihrer Sehkraft zusammenschrumpfte.
Ihre Hände, die locker die Kamera hielten, zuckten so heftig, dass der Trageriemen an ihrem Hals riss. Wie aus weiter Ferne hörte sie den Fotoapparat vor ihren Füßen auf dem Boden aufschlagen. Dann spielten offenbar ihre übrigen Sinne verrückt. Ihr Gehör ließ nach. Ihre Finger wurden taub. Ihre ohnehin schon kühle Haut wurde eisig. Doch die erhoffte Distanziertheit blieb aus. Auch die ruhige Inkaufnahme, die sie sich im Laufe von fast zwanzig Jahren erarbeitet hatte, löste sich in nichts auf.
Kein Versteck weit und breit.
"Nein", flüsterte sie. "Nicht jetzt. Bitte nicht jetzt."
Natalies Welt war unvermittelt völlig dunkel geworden.
Copyright © 2012 by Virna DePaul
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Autoren-Porträt von Virna DePaul
Auf dem College hatte Virna DePaul Englisch als Hauptfach belegt. Doch trotz ihrer Vorliebe für Shakespeare, Musicals und Liebesromane machte sie ihren Abschluss in Jura. Zehn Jahre war sie als Staatsanwältin tätig - bis sie ihre Leidenschaft fürs Schreiben entdeckte.
Bibliographische Angaben
- Autor: Virna DePaul
- 2013, 320 Seiten, Deutsch
- Übersetzer: Elisabeth Hartmann
- Verlag: Mira Taschenbuch Verlag
- ISBN-10: 3862787869
- ISBN-13: 9783862787869
- Erscheinungsdatum: 10.07.2013
Abhängig von Bildschirmgröße und eingestellter Schriftgröße kann die Seitenzahl auf Ihrem Lesegerät variieren.
eBook Informationen
- Dateiformat: ePub
- Größe: 1.20 MB
- Ohne Kopierschutz
Pressezitat
Eine fesselnde Geschichte! Sie werden dieses Buch nicht aus der Hand legen können!" Brenda Novak, New York Times-Bestsellerautorin
Kommentar zu "Hauchnah / Mira Star Bestseller Autoren Romance"
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