Hirnströme (PDF)
Eine Kulturgeschichte der Elektroenzephalographie
Die Visualisierung von Gehirnprozessen hat in der Geschichte der Hirnforschung regelmäßig große Erwartungen geweckt. Cornelius Borck stellt mit der Registrierung elektrischer Hirnströme eine Aufzeichnungstechnik ins Zentrum seiner Untersuchung, mit der sich...
sofort als Download lieferbar
eBook (pdf)
26.99 €
- Lastschrift, Kreditkarte, Paypal, Rechnung
- Kostenloser tolino webreader
Produktdetails
Produktinformationen zu „Hirnströme (PDF)“
Die Visualisierung von Gehirnprozessen hat in der Geschichte der Hirnforschung regelmäßig große Erwartungen geweckt. Cornelius Borck stellt mit der Registrierung elektrischer Hirnströme eine Aufzeichnungstechnik ins Zentrum seiner Untersuchung, mit der sich seinerzeit die Hoffnung verknüpfte, das Gehirn in seiner eigenen Sprache schreiben zu lassen und so seine Funktionsweise lesbar zu machen. Er verfolgt die vielfach widersprüchlichen Deutungen zur Elektroenzephalographie von den Versuchen des deutschen Psychiaters Hans Berger und seiner Veröffentlichung eines menschlichen EEG im Jahr 1929 bis zu ihrer internationalen Ausbreitung und Konsolidierung als klinische Diagnosemethode in der Mitte des 20sten Jahrhunderts. Borcks These lautet, daß die Schrift des Gehirns in lokalen Forschungskulturen je spezifische Konturen annahm, aus deren Widerstreit ein neues wissenschaftliches Objekt, das elektrische Gehirn hervortrat.
Wenn sich in Borcks Analyse Differenzen und Divergenzen in der Hirnforschung als Effekte lokaler Interaktionen verschiedener Akteure erschließen, liefert er damit zugleich einen Beleg für die kulturelle Formbarkeit des Gehirns. Das elektrische Gehirn ist in einem historisch präzisierbaren Sinne erst das Produkt seiner elektrotechnischen Erforschung. Das Wissen vom Gehirn und Theorien über dessen Funktionieren sind von den Maschinen geprägt, denen sich dieses Wissen verdankt. Es stellt sich deshalb vielmehr die Frage, was sich eigentlich darin manifestiert, daß sich die erhobenen EEG-Befunde immer wieder den vorgelegten Theorien und Deutungen entzogen.
Wenn sich in Borcks Analyse Differenzen und Divergenzen in der Hirnforschung als Effekte lokaler Interaktionen verschiedener Akteure erschließen, liefert er damit zugleich einen Beleg für die kulturelle Formbarkeit des Gehirns. Das elektrische Gehirn ist in einem historisch präzisierbaren Sinne erst das Produkt seiner elektrotechnischen Erforschung. Das Wissen vom Gehirn und Theorien über dessen Funktionieren sind von den Maschinen geprägt, denen sich dieses Wissen verdankt. Es stellt sich deshalb vielmehr die Frage, was sich eigentlich darin manifestiert, daß sich die erhobenen EEG-Befunde immer wieder den vorgelegten Theorien und Deutungen entzogen.
Lese-Probe zu „Hirnströme (PDF)“
VORWÄRTS UND VIEL VERMESSEN! (S. 213-218)Zur kulturellen Praxis einer neuen Technik Anfang der 1950er Jahre nutzte ein junger Absolvent der Pariser École normale supérieur – mit seinen Interessen zwischen Philosophie und Psychologie schwankend, aber offenbar von einer Tutorenstelle an der École und einer Assistentenstelle am Philosophischen Institut der Universität Lille intellektuell unausgelastet – seine persönlichen Kontakte, um Alltag und Forschungsarbeit der Psychiatrie kennenzulernen. Im neuropsychiatrischen Hôpital Sainte-Anne in Paris, wo er während seines Studiums selbst einmal wegen depressiver Zustände als Patient gewesen war, hospitierte er eine Zeitlang bei Jacqueline und Georges Verdeaux in der EEGAbteilung.
Er wurde als Kontrollproband buchstäblich teilnehmender Beobachter ihrer Studien und begleitete sie auch bei ihren EEG-Untersuchungen in der zentralen französischen Untersuchungsstelle zur medizinisch- psychologischen Begutachtung von Strafgefangenen in Fresnes. In der Verschränkung der beiden EEG-Einsatzorte manifestierte sich ein Nexus von therapeutischer und disziplinierender Praxis, der den Intellektuellen immer wieder neu als Verschränkung von Wissen und Macht beschäftigen sollte.
Auch wenn Michel Foucault sich selbst nicht dezidiert zu seinen Erfahrungen in der EEG-Forschung geäußert hat, stehen sie in einer mehr als nur zufälligen Koinzidenz mit seinem ersten Buch Psychologie und Geisteskrankheit. Dort formulierte er 1954 eine irritierende epistemologische Perspektive auf die Entwicklung der Psychologie: Man darf nicht vergessen, daß die »objektive« oder »positive« oder »wissenschaftliche« Psychologie ihren historischen Ursprung und ihren Grund in einer pathologischen Erfahrung gefunden hat. […]
Der Mensch ist eine psychologisierbare Gattung erst geworden,
... mehr
seit sein Verhältnis zum Wahnsinn eine Psychologie ermöglicht hat, d.h. seit sein Verhältnis zum Wahnsinn äußerlich durch Ausschluß und Bestrafung und innerlich durch Einordnung in die Moral und durch Schuld definiert worden ist. Was hier noch mit dem Ziel geschrieben war, den Wahnsinn wieder in sein Eigenrecht einzusetzen, um ihn so von Entstellungen durch moralische oder wissenschaftliche Pathologisierungen zu befreien, radikalisierte Foucault bekanntlich schon bald zu einer grundsätzlichen Kritik der Rationalität.
Foucault analysierte die Ausschlußmechanismen an den sozialen Rändern der Gesellschaft als Konstituierungsbedingungen der modernen Humanwissenschaften und der damit verbundenen Rationalitäts typen. Diese These zum Operationsmodus wissenschaftlicher Diskurse läßt sich ohne weiteres von Foucaults Beobachtungen im neuropsychiatrischen EEG-Labor auf die Phase der Etablierung und Standardisierung der Elektroenzephalographie zurückbeziehen.
Denn die Regulierung des Wissens in der sich als Disziplin formierenden Elektroenzephalographie ging unweigerlich mit einer Perfektionierung von Ausschluß- und Überwachungstechniken durch die neuen hirnelektrischen Diagnosetechniken einher. Die Registrierung und Auswertung von Hirnströmen produzierte neue klassifizierende Praktiken in bezug auf die verschiedensten gesellschaftlichen Gruppen wie Kinder, Frauen, Wahnsinnige, Epileptiker, Genies oder Schwachsinnige. Der disziplinierende Effekt quantifizierender Verfahren in den Lebenswissenschaften ist mittlerweile zum Topos einer Biopolitik geronnen.
Foucault analysierte die Ausschlußmechanismen an den sozialen Rändern der Gesellschaft als Konstituierungsbedingungen der modernen Humanwissenschaften und der damit verbundenen Rationalitäts typen. Diese These zum Operationsmodus wissenschaftlicher Diskurse läßt sich ohne weiteres von Foucaults Beobachtungen im neuropsychiatrischen EEG-Labor auf die Phase der Etablierung und Standardisierung der Elektroenzephalographie zurückbeziehen.
Denn die Regulierung des Wissens in der sich als Disziplin formierenden Elektroenzephalographie ging unweigerlich mit einer Perfektionierung von Ausschluß- und Überwachungstechniken durch die neuen hirnelektrischen Diagnosetechniken einher. Die Registrierung und Auswertung von Hirnströmen produzierte neue klassifizierende Praktiken in bezug auf die verschiedensten gesellschaftlichen Gruppen wie Kinder, Frauen, Wahnsinnige, Epileptiker, Genies oder Schwachsinnige. Der disziplinierende Effekt quantifizierender Verfahren in den Lebenswissenschaften ist mittlerweile zum Topos einer Biopolitik geronnen.
... weniger
Autoren-Porträt von Cornelius Borck
Cornelius Borck ist Associate Professor for Philosophy and Language of Medicine an der McGill University in Montreal. Nach einem Medizin- und Philosophiestudium arbeitete er in der experimentellen Neurowissenschaft in London, am Institut für Wissenschafts- und Technikforschung der Universität Bielefeld und am Max-Planck-Institut für Wissenschaftsgeschichte in Berlin. Von 2002 bis 2004 war er Leiter einer Forschungsgruppe in der Fakultät Medien der Bauhaus Universität Weimar. Er ist Herausgeber von "Anatomien medizinischen Wissens" (1996), "Psychographien" (2005), "Georges Canguilhem - Maß und Eigensinn" (2005).
Bibliographische Angaben
- Autor: Cornelius Borck
- 2013, 384 Seiten, Deutsch
- Verlag: Wallstein Verlag GmbH
- ISBN-10: 3835320742
- ISBN-13: 9783835320741
- Erscheinungsdatum: 11.09.2013
Abhängig von Bildschirmgröße und eingestellter Schriftgröße kann die Seitenzahl auf Ihrem Lesegerät variieren.
eBook Informationen
- Dateiformat: PDF
- Größe: 9.73 MB
- Ohne Kopierschutz
- Vorlesefunktion
Pressezitat
"ein Beispiel für wirklich gute Wissenschaftsgeschichte"[Quelle: Christian Geyer, FAZ, 18.07.2005]
"Die Studie führt exemplarisch vor, was Wissenschaftsgeschichte vermag"
[Quelle: Elisabeth von Thadden, Die Zeit, 14.07.2005]
"Tatsache ist: Je mehr wir uns versprechen durften, von den Neurowissenschaften über uns selbst aufgeklärt zu werden, desto fremder sind wir uns geworden."
[Quelle: Martin Stingelin, Literaturen, Juli/August 2005]
"Cornelius Borck versteht es, die Kulturgeschichte der Elektroenzephalographie mit vielen Anekdoten und aussagefähigen Dokumenten so anregend zu erzählen, daß sein Buch "Hirnströme" nicht nur einem kleinen Kreis von Fachwissenschaftlern vorbehalten blieben sollte."
[Quelle: Matthias Eckoldt, DeutschlandRadio, 29.08.2005]
"This book provides a wealth of knowledge on all imaginable applications of the cerebral electricity. It is a fascinating story that urges the reader to continue and find out more."
[Quelle: Peter Koehler, Nuncius, Vol. XXI, 2, 2006]
"Borck is an entertaining ans stylish writer (...). Hirnströme is an excellent book: well researches, highly original, and deeply rewarding."
[Quelle: Christoph Gradmann, Book Reviews - ISIS, 98 : 4 (2007), Dez. 2007]
Family Sharing
eBooks und Audiobooks (Hörbuch-Downloads) mit der Familie teilen und gemeinsam genießen. Mehr Infos hier.
Kommentar zu "Hirnströme"
0 Gebrauchte Artikel zu „Hirnströme“
Zustand | Preis | Porto | Zahlung | Verkäufer | Rating |
---|
Schreiben Sie einen Kommentar zu "Hirnströme".
Kommentar verfassen