Könige der ersten Nacht (ePub)
Roman
Das große historische Epos von Bestsellerautor Bernhard Hennen
Mailand 1162: Nach fast einjähriger Belagerung erobern die Kreuzritter Kaiser Friedrichs I. die Stadt und erbeuten einen der kostbarsten Schätze der Christenheit: die Gebeine der Weisen aus...
Mailand 1162: Nach fast einjähriger Belagerung erobern die Kreuzritter Kaiser Friedrichs I. die Stadt und erbeuten einen der kostbarsten Schätze der Christenheit: die Gebeine der Weisen aus...
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Produktinformationen zu „Könige der ersten Nacht (ePub)“
Das große historische Epos von Bestsellerautor Bernhard Hennen
Mailand 1162: Nach fast einjähriger Belagerung erobern die Kreuzritter Kaiser Friedrichs I. die Stadt und erbeuten einen der kostbarsten Schätze der Christenheit: die Gebeine der Weisen aus dem Morgenland. Sie sollen Köln zu einem mächtigen Pilgerort machen. Erzbischof Rainald von Dassel wähnt sich am Ziel seiner Wünsche, da macht er eine ungeheuerliche Entdeckung. In einer dunklen Nacht werden vier Ritter ausgesandt, um einem Geheimnis nachzuspüren, das den Lauf der Welt für immer verändern könnte.
Mailand 1162: Nach fast einjähriger Belagerung erobern die Kreuzritter Kaiser Friedrichs I. die Stadt und erbeuten einen der kostbarsten Schätze der Christenheit: die Gebeine der Weisen aus dem Morgenland. Sie sollen Köln zu einem mächtigen Pilgerort machen. Erzbischof Rainald von Dassel wähnt sich am Ziel seiner Wünsche, da macht er eine ungeheuerliche Entdeckung. In einer dunklen Nacht werden vier Ritter ausgesandt, um einem Geheimnis nachzuspüren, das den Lauf der Welt für immer verändern könnte.
Lese-Probe zu „Könige der ersten Nacht (ePub)“
Das Richtschwert funkelte in der Frühlingssonne. Alles hielt den Atem an. Sie warteten auf ihn. Eine flüchtige Handbewegung, ein Nicken, würde über Leben oder Tod entscheiden. Der alte König genoss diesen Augenblick. Sein eigenes Leben würde nicht mehr lange währen. Ein paar Tage vielleicht noch ^ Er konnte spüren, wie nah der Tod ihm war. Und keine Macht der Welt vermochte ihn abzuwenden. Der Alte nickte dem Henker zu. In blitzendem Bogen fuhr die Klinge nieder. Der Hieb war mit solcher Kraft geführt, dass der Hals glatt durchtrennt wurde und das Schwert knirschend auf den Marmorboden der Terrasse traf. Blut sprudelte über das blendende Weiß der Platten. Der König tat einen tiefen Seufzer. Gewöhnlich fühlte er sich belebt, wenn er einer Hinrichtung zusah. Doch diesmal war es anders ^ Seine Hände krampften sich um die Lehnen des Thronsessels. »Bring mir den Kopf!«, befahl er mit müder Stimme. In den letzten Jahren war sein Augenlicht schwächer geworden, und er musste ganz sicher wissen, dass man den Richtigen getötet hatte. Er blickte zu seiner Schwester Salome, die der Hinrichtung ungerührt zugesehen hatte. Sie hatte ihn auf die Spur der Verschwörer gebracht. Doch nicht einmal ihr mochte er noch trauen! Er wusste, dass sein Thron von Verrätern und Aasgeiern umringt war, die es nicht abwarten konnten, dass er endlich den letzten Atemzug tat. Der Henker hatte den Kopf bei den dichten, schwarzgelockten Haaren gepackt und trug ihn zu ihm hinüber. Ein treuer Mann, dieser Gallier mit den Haaren aus Gold. Einst hatte sein Henker in der Leibgarde Kleopatras gedient. Nach dem Tod der Herrscherin am Nil hatte Octavian ihm den Gallier und dessen vierhundert Kameraden als Lohn für treue Dienste geschenkt. Der Alte lächelte bei seinen Gedanken an die Vergangenheit und blickte in die dunklen Augen des Toten. Warmes Blut tropfte aus dem Halsstumpf auf seinen Schoß. Der König tastete über die unrasierten Wangen. Die Haut des Toten war wärmer als seine gichtkrummen Finger. »Und
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ich hatte dich für den Klügsten aus meiner Brut gehalten, Antipater, mein Sohn.« Er lächelte bitter und dachte an den kleinen Jungen, der vor so langen Jahren auf seinen Schoß gekrochen war, um ihn frech am Bart zu zupfen. »Du Narr! Du wusstest doch, dass ich dir den Thron überlassen würde! Hättest du nicht die paar Tage noch warten können ^ Meine Wunderheiler haben dir doch sicherlich verraten, wie es um mich steht.« Der Alte machte eine ärgerliche Geste. »Weg mit dem Aas!« Es war nicht das erste Mal, dass der König der Hinrichtung eines seiner Söhne beigewohnt hatte. Doch diesmal empfand er keine Befriedigung. Zu nah war sein eigener Tod. Er blickte über den Palastgarten unterhalb der Terrasse. Er war immer gern hier in Jericho gewesen. Dafür, dass der Frühling gerade erst begonnen hatte, war es bereits angenehm warm. Der Alte presste sich die Rechte auf den Leib. Die Schmerzen waren zurückgekehrt. Es war, als hause eine Ratte in seinem Gedärm, die ihm bei lebendigem Leib die Eingeweide auffraß. Salome stand auf und trat an seine Seite. »Kann ich etwas für dich tun, Bruder? Dir einen »Setz dich«, fauchte er ungehalten. Diese Kriecherei widerte ihn so an! Sie warteten doch alle nur darauf, dass es endlich vorbei war! Geier! Sie sollten sich vorsehen! Ein Wort von ihm, und sie alle lägen vor ihm im Grab. Stille! Sie ahnten wohl seine Gedanken. Recht so! Elende Brut. Ein Leben lang hatte er für dieses Königreich gekämpft. Es mit List und seinem eigenen Blute erschaffen und verteidigt. Und diesen Geiern würde es einfach in den Schoß fallen. Was würden sie damit anfangen? Was würde von seinem Lebenswerk in siebzig Jahren noch bestehen? Der alte König sah zum strahlend blauen Himmel hinauf. Irgendwo in den Gärten jenseits der Terrasse erklang helles Frauenlachen. Sie hatten keinen Respekt mehr vor ihm. Nicht einmal in seinem eigenen Palast. Zu lachen, während er sich vor Qualen wand!! Und nicht nur hier lachten sie. Sein Siechtum wurde überall mit Freuden begrüßt. Er wusste das! Wütend ballte er die Fäuste und sah im Geiste, wie man in ganz Judäa feiern würde, wenn er endlich verreckt sein würde! Den edomitischen Sklaven Roms nannten sie ihn ^ Aber noch war dieser Sklave König! Und alle, die seinen Tod so sehr herbeisehnten, sollten noch einmal seine Macht zu spüren bekommen. Hatte er ihnen nicht den Tempel in Jerusalem geschenkt und den Hafen Caesarea? Hatte er nicht von seinem Golde Getreide in Ägypten gekauft und unter den Bedürftigen verschenken lassen, als Hungersnot herrschte? Hatte er nicht in schlechten Zeiten die Last der Abgaben gesenkt und das gierige Rom ferngehalten? Und hatten sie es ihm gedankt? Nein! Einen König wie ihn hatten sie nicht verdient. Ein neuerlicher Krampf peinigte ihn. Verfluchter Schmerz! Nur Opium vermochte ihn zu lindern. Aber das wagte er nicht zu nehmen! Er musste bei klarem Verstand bleiben. Wieder überkamen ihn Zorn und Bitternis. Seine Güte hatten sie ihm mit Missgunst und Aufständen vergolten, die Judäer, Galiläer und Samariter. Nun sollten sie zu spüren bekommen, was es hieß, einen ungnädigen König zu haben. »Dumnorix!« »Ja, Herr!« Der Kommandant seiner gallischen Leibwache trat vor sein Lager. »Ich wünsche, dass aus jedem Dorf, nein, aus jeder Sippe in Judäa jemand verhaftet wird. Männer, Frauen, Kinder, wer immer euch als Erstes begegnet, wenn ihr ein Haus betretet, den nehmt ihr mit. Schafft sie alle hierher nach Jericho in das Hippodrom, und postiert auf den Besucherrängen Bogenschützen, auf dass keiner davonläuft.« Der Offizier nickte knapp und verließ dann eiligen Schrittes die Terrasse. Gute Gallier! Sie dienten allein dem Gold. Bei ihnen konnte er sich ganz sicher sein, dass seine Befehle ausgeführt wurden. Der König musterte die Gesichter seiner Frauen und Kinder, die um ihn herumstanden. Eine große Familie hatte er. Groß genug, um jederzeit auf einige von ihnen verzichten zu können. Sie wussten das! Alle wichen sie seinem Blick aus. Ihnen war klar, was diese Verhaftungen für seine Nachfolger bedeuten mochten. Es könnte einen neuen Aufstand geben. Vielleicht schritt auch der verdammte Augustus ein und nahm dies Unrecht zum Anlass, das Königreich endgültig unter römische Herrschaft zu stellen. Aber was scherte ihn das, wenn er im Grab lag. Sollten doch die Römer herrschen! Dann würden die Völker Israels ihm schon sehr bald nachtrauern. Die Römer würden ihnen keinen Tempel bauen. Und das bisschen Blut, das er vergossen hatte. Wenn sie die Römer so reizten wie ihn, dann würden wahre Ströme von Blut fließen. »Bitte, Bruder«, flüsterte Salome. »Sei gnädig. Ruf die Gallier zurück. Beende deine Herrschaft mit einem Unrecht, und all dein Ruhm wird verblassen!« Sie hat mehr Mut als meine verdammten Söhne. Ob sie wohl die Herrschaft an sich reißen würde? Hatte sie vielleicht falsches Zeugnis über Antipater abgelegt, damit sein ältester Sohn aus dem Weg war? »Noch bin ich der Herrscher!«, fuhr er sie an. Wieder ertönte weit entfernt im Garten helles Gelächter. Seine Gallier sollten diese Weiber greifen und ihnen die Zungen herausreißen! Kein Respekt! Er rang mit dem Tod, und ganz Judäa frohlockte! Aber ihr Lachen würde ihnen noch vergehen. Er war der König! Und es lag in seiner Macht, sein Volk lachen oder weinen zu lassen! Und das sollten sie spüren! »An dem Tag, an dem ich sterbe, soll in jedem Haus in diesem Land geweint werden, so wie es sich gehört, wenn ein König stirbt! Deshalb sollen noch in der Stunde meines Todes alle hingerichtet werden, die ins Hippodrom geschafft wurden!« Er klatschte in die Hände. »Und nun macht euch davon, oder ich lasse auch euch in das Hippodrom schicken und vererbe mein Königreich dem Augustus! Hinweg mit euch allen!« Endlich allein, genoss er den Anblick des Gartens. Überall blühten nun Blumen. Alles wuchs und gedieh. Nur er würde vergehen ^ Doch wenigstens sein Name würde bleiben. Niemals würde man Herodes, den König von Judäa, vergessen! Dies alles geschah - genau genommen - vier Jahre, bevor der Stern über Bethlehem leuchtete ^ Herodes war vor allem der Mörder seiner eigenen Kinder. Die Bluttat, die ihm das Matthäus-Evangelium andichtete, hat er nicht begangen. Doch sind nicht jene ketzerische Narren, welche die Jahre an den Fingern abzählen und dann die Köpfe schütteln? Was zählt schon Genauigkeit, wenn es gilt, eine Geschichte zu erzählen, die den Lauf der Welt verändern soll. Wird die Wahrheit nur konsequent unterdrückt, so werden sich Lügen zur Wahrheit erheben. So dachte auch ein anderer Fürst zwölfhundert Jahre später. XANTEN AM NIEDERRHEIN, DER ZWEITE JANUAR 1189 und als zur Mitternacht kam angeritten, der Teufel aus dem glüh'nden Höllenreich, da hat man sie vom Galgen abgeschnitten und warf die Schurken in den Mühlenteich.« Mit einem dramatischen Akkord beendete Hartmann die Ballade und griff nach seinem Humpen. Das Bier war dünn und bitter, aber dafür kostete es ihn nichts. Ein Mittagsmahl für ein paar Lieder, das war stets ein gutes Geschäft. Zufrieden betrachtete der junge Ritter seine Zuhörer: Handwerker und ein paar Bauern, die an diesem grauen Wintertag zum Zechen in die kleine Stadt gekommen waren. Kaum war das Lied verklungen, tuschelten sie miteinander und erzählten sich von Kälbern mit zwei Köpfen, unheimlichen Spuren im Schnee oder dem Hexenspuk an einem einsamen Wegkreuz auf den Feldern. So war es stets, wenn er ein Lied vom Teufel sang. Mit dem letzten Stück Brot wischte Hartmann das Bratenfett aus seiner Holzschüssel und schob genüsslich kauend seine Laute in die lederne Hülle. Wenn er sich beeilte, würde er noch vor Einbruch der Nacht bis zum nächsten Dorf kommen. Einen ganzen Nachmittag in einer Schenke zu vertrödeln, konnte er sich nicht leisten. Er hatte sich geschworen, bis zum Dreikönigsfest in Cöln zu sein und dort das Kreuz zu nehmen, um sich alsbald dem Heerzug des Kaisers anzuschließen. An der Seite der edelsten Ritter des Reiches würde er reiten, um das Heilige Jerusalem zu befreien! »Ihr junges Volk habt gut reden, wenn ihr vom Teufel singt und eure Späße über den Leibhaftigen macht«, ereiferte sich ein kahlköpfiger Bauer. »Aber wenn ihr vor ihm steht, dann rutscht auch euch das Herz in die Hose, und plötzlich seid ihr dann so maulfaul wie ein toter Fisch! Und du«, der Alte sah den jungen Ritter an, »auch du, der du so lang wie ein Baum bist, wirst dir wünschen, ein Mäuschen zu sein, das sich noch im kleinsten Loch verstecken kann, wenn du ihm wahrhaftig begegnest!« Hartmann nahm seinen Umhang von einem Stuhl, der dicht vor dem offenen Kamin stand. »Wir sind doch hier unter guten Christenmenschen, Alter. Wollen wir hoffen, dass keiner zum Teufel fährt und eines Tages hören muss, ob deine Worte wahr sind.« Der junge Ritter lachte, doch keiner der anderen Gäste fiel in sein Lachen ein. »Hier muss man nicht bis zur Hölle hinabsteigen, um einem Schergen des Gottseibeiuns zu begegnen«, murmelte der Glatzkopf finster. »Seit den Zeiten des Erzbischofs Rainald von Dassel haust ein Unhold, den die Hölle ausgespien hat, keine zwei Stunden von hier. Wenn du Mumm hast, dann spiel dort einmal auf. Solltest du aber Verstand haben, dann nimm die Straße nach Cöln und sieh zu, dass du deiner Wege kommst.« Der Wind, der über den Rhein herüberwehte, und die tanzenden Schneeflocken hatten die Wegspur vor dem einsamen Reiter fast ausgelöscht. Seine lange und hagere Gestalt wurde durch die schwere Winterkleidung verborgen. Wie ein Stecken auf einem Pferd sähe er aus, so hatte man ihn oft verhöhnt, seine lange Nase mit einem Rabenschnabel verglichen und das dicke, strähnige Haar mit Rattenschwänzen. Aber mit den Jahren hatte er gelernt, sich zu wehren! Hartmann sah über die Schulter zu den schwarzen Wolkengebirgen, die von Norden her über das Land krochen, das unter einem eisigen Leichentuch lag. Er hätte in Xanten, in Ad Sanctos bleiben sollen, dachte der junge Ritter reumütig. Bei den Heiligen, dieser Stadtname war ein Omen gewesen! Jetzt umzukehren hieße allerdings, dem Sturm entgegenzureiten. Das Städtchen lag schon mehr als zwei Meilen hinter ihm. Sollte er es wagen? Oder doch lieber nach dem Gehöft suchen? Weit konnte es ja nicht mehr sein. Knirschend schoben sich Eisplatten auf dem Fluss übereinander. Seine Stute schnaubte unruhig. Er streichelte sie zwischen den Ohren. »Ruhig, Esseilte. Wir werden schon einen hübschen, warmen Stall für dich finden.« Mit leichtem Schenkeldruck trieb er das Pferd voran. Es gab kein Zurück! Es blieb ihm nur noch wenig Zeit, das Ziel seiner Pilgerfahrt zu erreichen. In vier Tagen schon war das Dreikönigsfest, und er hatte noch fast hundert Meilen vor sich. Hartmann nahm den Zügel in die Linke und rieb die steifgefrorene Rechte über seine wollene Hose, bis mit stechendem Schmerz Wärme und Leben in seine Finger zurückkehrten. Schon vor dem Weihnachtsfest hätte er seine Reise beginnen sollen, und zwar zu Fuß, wie es sich für einen ordentlichen Pilger gehörte! Als ahne sie seine Gedanken, schnaubte die Stute. »Dir steht es nicht zu, mich zu maßregeln«, brummte der junge Ritter ärgerlich. »Wenn ich Esel mit mir selbst ins Gericht gehe, dann heißt das noch lange nicht, dass ich es den Pferden zugestehe.« Esseilte warf den Kopf in den Nacken und wieherte. Hartmann zog die Zügel straff und hielt inne. Es roch nach Rauch. Der Wind war schärfer geworden und schnitt wie mit Messern durch seinen Umhang. Das Schneetreiben nahm ihm fast jede Sicht. Undeutlich erkannte er einen bewaldeten Hügel, der abseits des Weges direkt am Ufer des Rheins lag. Hartmann verließ den Weg und blickte noch einmal zurück. Finsternis hatte den Horizont verschlungen. Bald würde der Sturm sie erreicht haben. Mühsam kämpfte sich die Stute den Hang hinauf. Über ihnen heulte der Wind in den Baumwipfeln. Vage konnte er die Umrisse eines Turms erkennen. Auf der Kuppe des Hügels lag ein großes, befestigtes Gehöft. Doch das hohe Tor war versperrt. Hartmann sprang aus dem Sattel, zog seinen Dolch und hämmerte mit dem Knauf gegen die verschlossene Mannpforte. »He!« Seine Stimme ging im Getöse des Sturms fast unter. »Hört mich denn keiner? Ich bin ein Reisender und fordere das Gastrecht!« Er presste die Wange gegen das gefrorene Holz und spähte durch den Spalt zwischen den beiden Flügeltüren. Sollte es keine Torwache geben? Esseilte riss ihm die Zügel aus der Hand und wieherte. Eine Windböe fuhr heulend durch die Dachsparren des Turms. Hartmann fluchte. Hätte er nur ein Horn! In diesem Sturm würde man ihn niemals hören. Wieder begann er mit dem Knauf der Waffe gegen das Tor zu hämmern. Als seine Faust von den Schlägen schon ganz taub geworden war, gab er endlich auf. Kalter Schweiß rann ihm von der Stirn. Es musste einen anderen Weg geben! Er spähte durch den Spalt zwischen den beiden großen Torflügeln. Wenn sie nicht mit einem zu schweren Balken versperrt waren, könnte er den Riegel vielleicht mit seinem Schwert hochdrücken. Die Stute schnaubte unruhig und scharrte mit den Hufen im Schnee. Hatte sich am Fenster des Turms etwas bewegt? Hartmann kniff die Augen zusammen und spähte hinauf. Dort war nichts zu sehen. »Was für ein ungastliches Haus!«, fluchte er und zog sein Schwert. Konnte es denn sein, dass so früh am Abend schon alle schliefen? Die Sonne war doch kaum hinter dem Horizont verschwunden! Gerade wollte er sein Schwert durch den Spalt zwischen den Torflügeln schieben, als im Hof ein blasses Licht erschien. Ein Knecht mit einer Laterne hastete zum Tor. Die Mannpforte öffnete sich. Hartmann trat einen Schritt zurück. Sein Gegenüber hielt die Laterne so hoch, dass ihr Licht ihn blendete. »Wer seid Ihr?«, fragte der Pförtner barsch. »Ein Ritter und Dichter, Hartmann von Ouwe geheißen. Ich bitte um das Gastrecht und um einen Platz am Feuer für diese Nacht. Morgen schon werde ich weiterreisen und Nun, wo sich seine Augen an das Licht gewöhnt hatten, konnte Hartmann sein Gegenüber erkennen. Es war ein kleiner Mann mit faltigem Gesicht und tiefliegenden blassen Augen. Er schien ängstlich, so als fürchte er, einem Halsabschneider das Tor geöffnet zu haben. »Bittet mich nicht, Euch diese Schwelle überschreiten zu lassen, Herr. Dies Haus ist verflucht, und alle, die Er schüttelte den Kopf. »Versucht es eine Meile flussaufwärts. Dort wird man Euch »Bist du toll? Hörst du denn den Sturm nicht? Außerdem ist es finster. Ich würde nicht einmal den Weg von diesem Hügel hinunterfinden!« »Gero!« Eine tiefe Stimme übertönte den heulenden Wind. Der Knecht zuckte zusammen und drehte sich um. Die Mannpforte schwang nun ganz auf. Hartmann musste sich ducken, um die niedrige Tür zu durchschreiten. »Ich habe Euch gewarnt, Herr«, flüsterte der Knecht und blickte dabei ängstlich über die Schulter. »Viel gibt's hier nicht zu beißen. Wir hatten eine schlechte Ernte dieses Jahr, und unser Herr Gero schüttelte den Kopf. »Das ist einer, den keiner freiwillig besuchen kommt.« »Wie meinst du das?« »Das werdet Ihr schon sehen, Herr.« Der Knecht griff nach Esseiltes Zügeln. »Wie heißt dein Herr?«, fragte Hartmann ungeduldig. »Ingerimm von Waldeck. Aber keiner hier glaubt, dass dies sein richtiger Name ist. Er hat ^ Aber was zerreiß ich mir das Maul. Geht nur in die Halle! Ihr habt ja Augen zu sehen.« Als Gero keine Anstalten machte, noch irgendetwas zu sagen, nahm der junge Ritter seine Decke und die in Leder eingeschlagene Laute vom Sattel. Wie ein Blinder tastete er sich in dem immer stärker werdenden Schneetreiben über den Hof, bis er die Tür zum Langhaus fand. Er betrat eine winzige Kammer, in der eine flackernde Kerze brannte. Ein Vorhang aus dichter Wolle trennte die Türkammer vom Hauptraum. Hartmann klopfte sich den Schnee von den Kleidern und achtete darauf, nicht in den Fettnapf zu treten, der dicht bei der Schwelle stand. Entlang der Wände waren bis zur niedrigen Decke hinauf Holzscheite gestapelt. Der Geruch des abgelagerten Holzes mischte sich mit dem Rauch, der durch den Vorhang drang. Er hörte Stimmenraunen im Hauptraum. Hartmann tastete nach dem Schabeisen und kratzte sich den festgebackenen Schnee von den Stiefeln. Er war ein wenig unruhig. Was hatte der Pförtner gemeint ^ Was erwartete ihn hier? Als er sich aufrichtete, stieß er mit der Laute gegen einen der Holzstapel. Ein dissonanter Ton drang durch das Lederfutter. Hartmann lächelte. Von solchem Geschwätz würde er sich nicht ins Bockshorn jagen lassen! Entschlossen zog er den Vorhang zur Seite und trat in den Hauptraum. Eine junge Frau in einem grünen Kleid mit perlenbesticktem Gürtel kam ihm entgegen. »Willkommen auf Burg Waldeck, Fremder.« Wie zufällig ließ sie bei der Begrüßung ihren Umhang aus verfilztem Wolfsfell halb von den Schultern gleiten. »Ich danke für die Gnade, in einer solchen Nacht ein Dach über dem Kopf haben zu dürfen.« Hartmann deutete eine Verbeugung an und musterte die Frau dabei aus den Augenwinkeln. Sie war nicht im landläufigen Sinne hübsch, doch hatte sie etwas an sich, das einem Mann auf den ersten Blick die Glut zwischen die Schenkel trieb. Sie trug das lange rote Haar offen. Ihre Augen waren grün und von buschigen Brauen überschattet. Die kleine Nase zierten halb verblasste Sommersprossen, und ihr Mund. Der junge Ritter räusperte sich nervös. »Ich danke dem Schicksal, das mich in das Haus einer solch gnädigen Herrin geführt hat.« Er setzte sein charmantestes Lächeln auf. »In Euren Augen lebt selbst in der kältesten Winternacht die Erinnerung an das wunderbare Grün der Frühlingswiesen weiter.« Sie erwiderte sein Lächeln. »Ihr sprecht wie ein Dichter, doch ich bin keine Herrin. Ich bin lediglich die Kebse des Herrn von Waldeck, und jeder hier im Saale redet schlecht von mir, weil ich meinen Mann verlassen habe, als der Herr mir befahl, hierherzukommen, um für ihn die Beine breit zu machen.« Sie warf einen verächtlichen Blick zu den übrigen Bediensteten, die an der langen Tafel des Saals saßen und mit unverhohlener Neugier zu Hartmann herüberstarrten. »Und Euer Herr?«, fragte der Ritter verwirrt. »Er ist oben in seiner Turmkammer.« Sie deutete auf eine niedrige Tür nicht weit vom Ende der Tafel. »Die meiste Zeit schließt er sich dort oben ein, und wir alle sind ihm dankbar dafür. Aber Ihr müsst ja völlig durchgefroren sein. Kommt zum Feuer! Nehmt im Stuhl des Herrn Platz. Er hat befohlen, Euch gut zu behandeln.« Der Ritter nickte verlegen. Er hatte gehofft, sie hätte ihn um seinetwillen so freundlich aufgenommen. »Man wird heute Abend vom Besten auftragen, was dieses Gut zu bieten hat, aber erhofft Euch nicht zu viel, Herr Hartmann ließ sich zu dem hohen Lehnstuhl vor dem Kamin führen. Sein Blick wanderte durch den Saal, der von einem langen Tisch, flankiert von Holzbänken, beherrscht wurde. Zwei Frauen kneteten Teig, eine dritte rupfte ein Huhn. Neben ihr hockte ein Mann und setzte beschädigtes Zaumzeug instand. Ein anderer war mit einer Holzarbeit beschäftigt. Niemand außer der Rothaarigen hatte das Wort an ihn gerichtet, als er eingetreten war. Die Diener wagten nicht einmal, zu ihm aufzublicken. So kühl war er schon lange nicht mehr empfangen worden. Der große Kamin am Ende der Halle zog schlecht. Ein Teil des Rauchs trieb in den Saal und sammelte sich unter den schwarzen Deckenbalken. Entlang der Wände reihten sich die Schlafstellen der Bediensteten. Sie sahen ein wenig aus wie Beichtstühle, nur dass sie nicht mit prächtigen Schnitzereien geschmückt waren. Dünne Holzwände trennten sie voneinander, und an den Vorderseiten hingen schwere Vorhänge herab. Die Hitze des Feuers schmolz das Eis in Hartmanns Haar. Wasser tropfte auf sein Gesicht. Die junge Frau war neben ihm niedergekniet, rieb seine Schuhe mit Fett ein und streifte dann die Lederbänder um seine Wickelgamaschen aus Schafsfell ab. Hartmann war ein wenig verlegen. Seine Waden waren dürr wie Ziegenbeine, und wenn er erst einmal seinen schweren Umhang ablegte, dann würde man auch sehen, dass er nicht halb so stattlich war, wie er auf den ersten Blick wirken mochte. Er zögerte es ein wenig hinaus. Nestelte an der schweren Bronzefibel, die den Umhang schloss, herum. Er atmete noch einmal tief ein, dann stellte er sich dem Unausweichlichen. Mit lang einstudierter, galanter Geste warf er den Umhang ab. Er breitete ihn über die Stuhllehne zum Trocknen. Keine verstohlenen Blicke!
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Autoren-Porträt von Bernhard Hennen
Bernhard Hennen, 1966 geboren, studierte Germanistik, Geschichte und Vorderasiatische Altertumskunde. Mit seiner »Elfen«-Saga stürmte er alle Bestsellerlisten und schrieb sich an die Spitze der deutschen Fantasy-Autoren. Bernhard Hennen lebt mit seiner Familie in Krefeld.
Bibliographische Angaben
- Autor: Bernhard Hennen
- 2010, 592 Seiten, Deutsch
- Verlag: Penguin Random House
- ISBN-10: 3641039681
- ISBN-13: 9783641039684
- Erscheinungsdatum: 29.11.2010
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