MERKUR Deutsche Zeitschrift für europäisches Denken. Macht und Ohnmacht der Experten / MERKUR Gegründet 1947 als Deutsche Zeitschrift für europäisches (ePub)
Heft 09 / 10 September 2012
Experten führen in den Medien derzeit das große Wort: Ob Klimawandel oder Energiewende, Steuergerechtigkeit oder Demographie, Jugendarbeitslosigkeit oder Naturkatastrophen, Terrorismusgefahr oder Konjunkturaussichten - es gibt kein Thema, zu dem sie nicht...
Leider schon ausverkauft
eBook (ePub)
- Lastschrift, Kreditkarte, Paypal, Rechnung
- Kostenloser tolino webreader
Produktdetails
Produktinformationen zu „MERKUR Deutsche Zeitschrift für europäisches Denken. Macht und Ohnmacht der Experten / MERKUR Gegründet 1947 als Deutsche Zeitschrift für europäisches (ePub)“
Experten führen in den Medien derzeit das große Wort: Ob Klimawandel oder Energiewende, Steuergerechtigkeit oder Demographie, Jugendarbeitslosigkeit oder Naturkatastrophen, Terrorismusgefahr oder Konjunkturaussichten - es gibt kein Thema, zu dem sie nicht befragt, aber auch keines, zu dem sie sich nicht bereitwillig äußern würden. Doch nicht nur der Journalismus scheint ohne sie nicht mehr auszukommen. Experten sind in der Finanzkrise zur Stelle, sie werden in Europaangelegenheiten konsultiert, sie beraten Ministerien und Parteien, ja sie übernehmen mittlerweile in einigen Ländern sogar die Regierungsgeschäfte. Für Laien, so scheint es, ist unsere funktional ausdifferenzierte Gesellschaft längst zu komplex geworden - ohne Rückbindung an spezialisierte Expertise lässt sich deren Regelungsbedarf nicht mehr decken.
Diese Diagnose ist nicht neu. Bereits Anfang der sechziger Jahre sprach Arnold Gehlen von der durch »Sachzwang« legitimierten »funktionalen Autorität« und »Rangüberlegenheit«, die der Figur des Experten in der »neu entstehenden Welt-Industriekultur« überall dort zuwachse, »wo komplexe Geschäfte dauernd und erfolgreich bearbeitet« würden. Natürlich hielt Gehlen sich selbst ebenfalls für einen der dafür unverzichtbaren Männer vom Fach, deren Expertise in einer sich ständig wandelnden Welt ganz selbstverständlich neue soziale Hierarchien begründe. Gerade wegen der Sachgebundenheit ihres Wirkens, so Gehlen zustimmend, stießen Experten völlig zu Recht »praktisch auf keine Ressentiments bei den Untergeordneten«.
Das würde so wohl niemand mehr unterschreiben wollen. Die mediale Omnipräsenz der Experten hat nicht nur ihren Nimbus befördert, sie hat zugleich zu einem gravierenden Ansehensverlust geführt. Schließlich wird man täglich Zeuge ihrer Uneinigkeit und ihres prognostischen Versagens. Ein Blick auf die Berichterstattung der vergangenen Monate zur Finanz- und Währungskrise, zur Zukunft der EU, zur Reaktorkatastrophe in Japan oder zu den internationalen Klimaschutzvereinbarungen belegt, dass das Misstrauen in die Verlässlichkeit von Expertenwissen mittlerweile fast schon habituell geworden ist.
Es ist also vermutlich kein Zufall, dass die Bundeskanzlerin in ihrer Neujahrsansprache, nachdem sie zuvor die großen Herausforderungen ausgemalt hatte, die auf die Bundesrepublik zukämen, den optimistischen Abschluss ihres Ausblicks mit der Nachricht einleitete, sie habe »mit über 100 Experten einen Dialog über Deutschlands Zukunft begonnen«, zugleich aber betonte, sie werde demnächst über das Internet alle Bürger gleichermaßen daran beteiligen: »Ich lade Sie alle ein, machen Sie mit!« Dabei ist selbstverständlich jedem klar, dass derartige Partizipationsversprechen nichts als rhetorische Leerformeln sind und nach Lage der Dinge auch nichts anderes sein können. Schließlich wird selbst der mediale Diskurs, der den Verdacht gegen die Expertise der Experten transportiert, zugleich auf allen Ebenen wiederum maßgeblich von Expertenwissen orchestriert.
Die paradoxe Konstellation, die sich aus der Unverzichtbarkeit der Experten im Angesicht ihrer Überforderung und ihres Ansehensverlusts ergibt, ist das Leitmotiv dieses Doppelhefts, das ansonsten sehr unterschiedlichen Fragen nachgeht: Was macht einen Experten eigentlich zum Experten und in welchen Rollen tritt er auf? Muss man als Politiker Experte sein? Sind Juristen Experten und wenn ja, wofür? Überblicken Ökonomen die Komplexität der global vernetzten Märkte? Wie sieht es mit dem Anspruch der Experten aus, zuverlässige Vorhersagen über zukünftige Entwicklungen zu treffen? Wird die Welt tatsächlich ständig komplexer? Entwickeln sich im Internet neue Formen der technisch gestützten Kollektivexpertise? Welche Bedeutung hat der Begriff der Expertise im Bereich von Kunst und Kultur? Und hat die Figur des Experten die des öffentlichen Intellektuellen abgelöst?
Diese Diagnose ist nicht neu. Bereits Anfang der sechziger Jahre sprach Arnold Gehlen von der durch »Sachzwang« legitimierten »funktionalen Autorität« und »Rangüberlegenheit«, die der Figur des Experten in der »neu entstehenden Welt-Industriekultur« überall dort zuwachse, »wo komplexe Geschäfte dauernd und erfolgreich bearbeitet« würden. Natürlich hielt Gehlen sich selbst ebenfalls für einen der dafür unverzichtbaren Männer vom Fach, deren Expertise in einer sich ständig wandelnden Welt ganz selbstverständlich neue soziale Hierarchien begründe. Gerade wegen der Sachgebundenheit ihres Wirkens, so Gehlen zustimmend, stießen Experten völlig zu Recht »praktisch auf keine Ressentiments bei den Untergeordneten«.
Das würde so wohl niemand mehr unterschreiben wollen. Die mediale Omnipräsenz der Experten hat nicht nur ihren Nimbus befördert, sie hat zugleich zu einem gravierenden Ansehensverlust geführt. Schließlich wird man täglich Zeuge ihrer Uneinigkeit und ihres prognostischen Versagens. Ein Blick auf die Berichterstattung der vergangenen Monate zur Finanz- und Währungskrise, zur Zukunft der EU, zur Reaktorkatastrophe in Japan oder zu den internationalen Klimaschutzvereinbarungen belegt, dass das Misstrauen in die Verlässlichkeit von Expertenwissen mittlerweile fast schon habituell geworden ist.
Es ist also vermutlich kein Zufall, dass die Bundeskanzlerin in ihrer Neujahrsansprache, nachdem sie zuvor die großen Herausforderungen ausgemalt hatte, die auf die Bundesrepublik zukämen, den optimistischen Abschluss ihres Ausblicks mit der Nachricht einleitete, sie habe »mit über 100 Experten einen Dialog über Deutschlands Zukunft begonnen«, zugleich aber betonte, sie werde demnächst über das Internet alle Bürger gleichermaßen daran beteiligen: »Ich lade Sie alle ein, machen Sie mit!« Dabei ist selbstverständlich jedem klar, dass derartige Partizipationsversprechen nichts als rhetorische Leerformeln sind und nach Lage der Dinge auch nichts anderes sein können. Schließlich wird selbst der mediale Diskurs, der den Verdacht gegen die Expertise der Experten transportiert, zugleich auf allen Ebenen wiederum maßgeblich von Expertenwissen orchestriert.
Die paradoxe Konstellation, die sich aus der Unverzichtbarkeit der Experten im Angesicht ihrer Überforderung und ihres Ansehensverlusts ergibt, ist das Leitmotiv dieses Doppelhefts, das ansonsten sehr unterschiedlichen Fragen nachgeht: Was macht einen Experten eigentlich zum Experten und in welchen Rollen tritt er auf? Muss man als Politiker Experte sein? Sind Juristen Experten und wenn ja, wofür? Überblicken Ökonomen die Komplexität der global vernetzten Märkte? Wie sieht es mit dem Anspruch der Experten aus, zuverlässige Vorhersagen über zukünftige Entwicklungen zu treffen? Wird die Welt tatsächlich ständig komplexer? Entwickeln sich im Internet neue Formen der technisch gestützten Kollektivexpertise? Welche Bedeutung hat der Begriff der Expertise im Bereich von Kunst und Kultur? Und hat die Figur des Experten die des öffentlichen Intellektuellen abgelöst?
Inhaltsverzeichnis zu „MERKUR Deutsche Zeitschrift für europäisches Denken. Macht und Ohnmacht der Experten / MERKUR Gegründet 1947 als Deutsche Zeitschrift für europäisches (ePub)“
IUWE VOLKMANN: Reine Vernunft. Zehn Skizzen über den Aufstieg der Experten und den Abschied vom Politischen
WOLFGANG STREECK: Wissen als Macht, Macht als Wissen. Kapitalversteher im Krisenkapitalismus
CHRISTOPH SCHÖNBERGER: Lästig, kränkend und unersetzlich. Die Expertise der Juristen
RALPH BOLLMANN: Der Politiker als Experte
HEINZ-ELMAR TENORTH: Bildungsexpertise
DOMINIK SCHRAGE: Flüssige Technokratie
REMIGIUS BUNIA Das rationale Orakel
II
RUDOLF BURGER: Die verrechnete Zukunft. Futurologie in den Siebzigern
WERNER PLUMPE: Ökonomische Expertise
JÜRGEN KAUBE: Technokratie und Managerherrschaft. Zur Theoriegeschichte eines schlimmen Verdachts
HANS MANFRED BOCK: Nekrologe auf Widerruf. Legenden vom Tod des Intellektuellen
HANS-PETER MÜLLER: Wozu (noch) Intellektuelle? Versuch einer Standortbestimmung
WOLFGANG FACH: Inkompetenzkompensationskompetenz. Wie Souveräne souverän bleiben
FRANK REXROTH: Warum Nichtwissen unzufrieden und Spezialwissen unbeliebt macht
CASPAR HIRSCHI: Die Tragik des wissenschaftlichen Experten. Der Sturz der Académie Royale des Sciences
III
CHRISTIAN DEMAND: Der Fisch, der Fahrrad fährt. Architekturkritik als Laienpredigt
THOMAS E. SCHMIDT: Der Kunstexperte. Kennerschaft und Authentizität
EKKEHARD KNÖRER: Demokratisierung der Kritik? Von Experten und Metaexperten
RUDOLF HELMSTETTER: Wenn ich Ihnen einen guten Rat geben darf. Experten für erfolgreiches Leben im falschen
KARIN WESTERWELLE: Fiktionen des Wissens. Gustave Flauberts "Bouvard und Pécuchet"
ROBIN DETJE: Der Experte ist der natürliche Feind des Genies
Autoren-Porträt
Christian Demand, Jg. 1960, hat Philosophie und Politikwissenschaft studiert und die Deutsche Journalistenschule absolviert. Er war als Musiker und Komponist tätig, später als Hörfunkjournalist beim Bayerischen Rundfunk. Nach Promotion und Habilitation in Philosophie unterrichtete er als Gastprofessor für philosophische Ästhetik an der Universität für angewandte Kunst Wien. 2006 wurde er auf den Lehrstuhl für Kunstgeschichte der Akademie der Bildenden Künste in Nürnberg berufen, wo er bis 2012 lehrt. Buchveröffentlichungen: Die Beschämung der Philister: Wie die Kunst sich der Kritik entledigte (2003), Wie kommt die Ordnung in die Kunst? (2010).Christian Demand ist Herausgeber des MERKUR.
Bibliographische Angaben
- 2013, 1. Auflage, 223 Seiten, Deutsch
- Herausgegeben: Christian Demand
- Verlag: Klett-Cotta Verlag
- ISBN-10: 3608106286
- ISBN-13: 9783608106282
- Erscheinungsdatum: 25.07.2013
Abhängig von Bildschirmgröße und eingestellter Schriftgröße kann die Seitenzahl auf Ihrem Lesegerät variieren.
eBook Informationen
- Dateiformat: ePub
- Größe: 1.59 MB
- Ohne Kopierschutz
- Vorlesefunktion
Family Sharing
eBooks und Audiobooks (Hörbuch-Downloads) mit der Familie teilen und gemeinsam genießen. Mehr Infos hier.
Kommentar zu "MERKUR Deutsche Zeitschrift für europäisches Denken. Macht und Ohnmacht der Experten / MERKUR Gegründet 1947 als Deutsche Zeitschrift für europäisches"
0 Gebrauchte Artikel zu „MERKUR Deutsche Zeitschrift für europäisches Denken. Macht und Ohnmacht der Experten / MERKUR Gegründet 1947 als Deutsche Zeitschrift für europäisches“
Zustand | Preis | Porto | Zahlung | Verkäufer | Rating |
---|
Schreiben Sie einen Kommentar zu "MERKUR Deutsche Zeitschrift für europäisches Denken. Macht und Ohnmacht der Experten / MERKUR Gegründet 1947 als Deutsche Zeitschrift für europäisches".
Kommentar verfassen