Ocean Rose Trilogie Band 3: Erfüllung (ePub)
Das Geheimnis um Vanessas wahre Identität ist gelüftet: Simon weiß inzwischen von ihren Fähigkeiten. Der Preis, den sie dafür zahlt, ist allerdings hoch: Simon glaubt, nicht zu ihr stehen zu können, und die Sirenen wollen sie auf ihre Seite ziehen. Doch...
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Produktinformationen zu „Ocean Rose Trilogie Band 3: Erfüllung (ePub)“
Das Geheimnis um Vanessas wahre Identität ist gelüftet: Simon weiß inzwischen von ihren Fähigkeiten. Der Preis, den sie dafür zahlt, ist allerdings hoch: Simon glaubt, nicht zu ihr stehen zu können, und die Sirenen wollen sie auf ihre Seite ziehen. Doch Vanessa hat inzwischen gelernt, zu kämpfen, und unternimmt alles, um ihre Liebe zu retten.
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Erfüllung von Tricia RayburnKapitel 1
Wir waren kaum eine Stunde unterwegs, da fing es an. Herzflattern, weiche Knie und eine zugeschnürte Kehle, bei der sich jeder Atemzug anfühlte, als würde ich Glassplitter statt frischer Luft in meine Lunge saugen. Diese Gefühle waren mir nicht neu. Seit fast einem Jahr schickte mein Körper mir solche Signale, wann immer ich zu viel Energie verlor, schwach und matt wurde ... austrocknete.
Der Unterschied war, dass ich diesmal nicht an Durst litt. Wir hatten mehrere Raststätten entlang des Highways besucht, um sicherzugehen, dass ich genug Flüssigkeit bekam.
Nein, diesmal hatte ich einfach nur Panik.
»Möchtest du Chips?«
Eine Riesentüte erschien zwischen den Autositzen und wurde aufmunternd geschüttelt.
»Deine Lieblingssorte«, fügte Mom hinzu. »Salz und Balsamico. «
»Sehr viel Salz«, fügte Dad hinzu.
Ich sah zu, wie er einen Salzstreuer aus dem Becherhalter nahm und den Inhalt großzügig über den Tüteninhalt verteilte. Während die weißen Körner auf die Chips rieselten, kam mir der Gedanke, dass der bloße Anblick dieses Snacks mir eigentlich den Magen hätte umdrehen sollen. Tat er aber nicht.
»Danke«, sagte ich, »aber ich habe keinen Hunger.«
»Du hast den ganzen Tag noch nichts gegessen«, erwiderte Mom. »Und in deinem Abendessen hast du gestern auch nur herumgestochert.«
»Ich spare mir meinen Appetit eben auf. Für die Pommes im Harbor Homefries.«
Mom warf Dad einen Blick zu, und er nickte so unmerklich, dass ich es nur sah, weil ich darauf wartete.
... mehr
»Wisst ihr was?«, sagte er, legte die Tüte zurück auf die Konsole und stellte den Salzstreuer in den Becherhalter. »Ein paar von meinen Studenten haben diesen Sommer ein Ferienhaus in Kennebunkport gemietet und mir erzählt, das sei jetzt die fetteste Location überhaupt.«
»Die fetteste Location?«, fragte ich ungläubig.
»Na ja, du weißt schon ... cool ... flippig. Eine dieser jungen Dichterseelen ging so weit, den Ort als Megahammer zu bezeichnen.«
»Wow, megahamma«, sagte Mom.
Dad schaute sie an. »Wieso klingt das nur halb so lächerlich, wenn du es sagst?«
»Weil ich es richtig ausspreche.« Sie versuchte, im Rückspiegel meinen Blick aufzufangen. »Man sagt es mit einem ›a‹ am Ende wie bei ›Digga‹. Stimmt doch, Schatz?«
Ich wandte den Kopf ab und schaute aus dem Fenster. »Ja, ich glaube schon.«
»Na gut«, gab Dad zu. »Wenn unsere baldige Dartmouth- Studentin dir recht gibt, muss es wohl stimmen.«
Ich lehnte die Stirn an das Glas und blinzelte das Erinnerungsbild altertümlicher, mit Efeu umrankter Universitätsmauern weg.
»Jedenfalls ist in der Stadt ziemlich viel los, sie liegt am Wasser und soll hübsch sein. Vielleicht könnten wir sie uns ansehen. Gleich jetzt, meine ich.«
»Ja, gute Idee«, stimmte Mom zu. »Wir sind ja schon fast bei der Abfahrt.«
Ich richtete mich auf. »Haben wir nicht einen Termin?«
»Stimmt«, bestätigte Mom, »aber den können wir verschieben. «
»Du hast alles seit Wochen geplant. Wieso plötzlich dieser Umweg?«
»Wieso nicht?«, fragte Mom. »Es kann nie schaden, sich Alternativen anzuschauen. Das gilt besonders für den Wohnungsmarkt. «
»Aber unser Ziel liegt auch am Wasser, und einen schöneren Ort kann es gar nicht geben.« Ich bemühte mich um ein Lächeln. »Außerdem dürfte es nach dem letzten Sommer längst nicht so überlaufen sein wie sonst.«
Der letzte Satz sollte die Stimmung auflockern, was absolut nicht gelang. Immerhin hatte mein erbärmlicher Versuch eine Wirkung, nämlich dass die Gute-Laune-Fassade meiner Eltern in sich zusammenbrach.
»Wir müssen nicht dorthin zurückkehren«, erklärte Mom und umklammerte das Lenkrad fester.
»Wir können die Ferien verbringen, wo immer wir wollen «, stimmte Dad zu. »Mal was Neues ausprobieren.«
»Ich weiß«, sagte ich. »Das erzählt ihr mir seit sechs Monaten regelmäßig. Aber ihr müsst euch nicht so viele Gedanken machen. Ich will nichts Neues probieren.«
Mom warf einen Blick über die Schulter. Ihre Lippen waren zu einer dünnen, geraden Linie zusammengepresst. Ich wusste trotz der Sonnenbrille, dass sie mich mit zusammengezogenen Brauen und verengten Augen betrachtete.
»Bist du sicher, Vanessa? Ich meine, wirklich sicher? Natürlich bist du seit ... damals ... schon öfter kurz in Winter Harbor gewesen, aber das war etwas anderes.« Sie zögerte, bevor sie fortfuhr: »Diesmal haben wir Sommer.«
Das Wort hing wie eine drückende Gewitterwolke in der Luft, die bald den ganzen Wagen ausfüllte. Ich schaute auf den leeren Sitzplatz neben mir, griff nach vorn zu der
Chips tüte und steckte mir ein paar in den Mund.
»Ja, bin ich«, versicherte ich.
In den letzten Monaten hatte ich unzählige Male beteuern müssen, dass ich kein Problem damit hatte, aber ich verstand ihre Besorgnis. Mein ganzes Leben lang waren wir jeden Juni zu dieser Urlaubstour aufgebrochen, nur fehlte dieses Mal meine ältere Schwester Justine. Dazu kam noch, dass wir ausgerechnet an diesem Tag hatten aufbrechen müssen, um in den Terminplan der Maklerin zu passen. Sie hatte angeblich ein fantastisches Objekt für uns, das gerade erst auf den Markt gekommen war. Also begannen wir unsere Reise direkt nach meiner Aufnahmefeier an der Hawthorne ... und an Justines erstem Todestag.
Wie mein Körper mir die ganze Zeit mitteilte, war das Grund genug für nervöse Magenschmerzen. Allerdings gab es etwas, das ich noch mehr fürchtete.
Nämlich, dass wir nicht nach Winter Harbor zurückkehren würden.
Ich aß mehrere Handvoll Chips und spülte mit zwei Flaschen Salzwasser nach. Die nächste Viertelstunde hörte ich meinen Eltern nur mit halbem Ohr zu und nickte an den richtigen Stellen, während sie über Fassadendämmung diskutierten. Als wir an der Abfahrt nach Kennebunkport vorbei waren, wartete ich noch angespannte fünf Minuten, dann lehnte ich mich zurück und checkte meine Handynachrichten. Ungefähr zum hundertsten Mal, seit ich heute Morgen aufgewacht war.
V! Ich freu mich so auf dich! Kaum zu glauben, aber 20 Stunden können sich echt wie 20 Jahre anfühlen. Bin den ganzen Tag im Restaurant. Komm vorbei, wenn du kannst. Hdgdl, P
Paige. Meine beste Freundin und bis vor kurzem meine Mitbewohnerin. Sie war der Hauptgrund, warum ich es unvorstellbar fand, die Sommerferien woanders zu verbringen. Mit einem Lächeln simste ich zurück.
Kann auch nicht erwarten, dich zu sehen. Sind noch ein paar Stunden unterwegs. Melde mich, wenn wir näher kommen. Arbeite nicht zu viel! Dd, V
Ich schickte die SMS ab und scrollte die früheren Nachrichten entlang, wobei ich wie immer hoffte, dass ich eine übersehen hatte. Vielleicht hatte es einen technischen Fehler gegeben, und ich war nicht benachrichtigt worden, als sie ankam.
Natürlich fand ich nichts dergleichen. Vorsichtshalber rief ich bei meiner Mailbox an, und die funktionierte auch tadellos.
Ich legte das Handy weg und griff stattdessen nach der Auflistung aller Dartmouth-Seminare, die ich mir von der Uni-Website ausgedruckt hatte. Damit rollte ich mich auf der Rückbank zusammen. Ich wusste zwar schon ziemlich genau, welche Kurse ich im Herbst belegen wollte, aber darüber hatte ich meine Eltern nicht informiert. Wenn ich sie davon abhalten wollte, über die Vergangenheit zu reden, war die beste Methode, mich scheinbar in die Planung meiner Zukunft zu vertiefen. Tatsächlich funktionierte die Kursliste als Schutzmauer so gut, dass mich den ganzen Rest der Fahrt niemand fragte, wie es mir ging oder ob ich etwas brauchte.
Andererseits war das wohl auch nicht nötig, denn als wir vom Highway herunterfuhren, sprach mein Aussehen für sich. Mom schaute öfter in den Rückspiegel als auf die Straße, und Dad bestreute eine Tüte Minibretzel mit extra viel Salz, bevor er sie in Reichweite zwischen die Sitze klemmte.
»Mir geht's gut«, versicherte ich, während mir mein Puls in den Ohren hämmerte. »Ehrlich.«
Damit gaben sie sich zufrieden, bis wir uns dem Schild in Form eines Segelbootes näherten, auf dem »Willkommen in Winter Harbor« stand. Plötzlich riss Mom das Steuer nach links, und wir bogen ab, bevor wir die Hauptstraße mit ihren Läden und Restaurants erreichen konnten. Ich wollte schon protestierten, aber zögerte. War ich tatsächlich wild darauf, im Ausflugsverkehr festzustecken? Wir würden im Schritttempo an Eddies Eisladen vorbeikriechen, der sonst immer unser erster Stopp gewesen war und den Beginn des ersehnten Familienurlaubs eingeläutet hatte.
Nein, eigentlich wollte ich das nicht. Dieser Punkt ging an meine Eltern.
Ich holte eine weitere Wasserflasche aus meinem Rucksack und konzentrierte mich aufs Trinken. Ein paar Minuten später führte die Umgehungsstraße wieder zurück auf die Strecke, die wir normalerweise nahmen. Gleich würden wir rechts in Richtung der Berge abbiegen und eine lange, gewundene Straße entlangfahren, die ich so gut kannte, dass ich sie selbst nachts ohne Scheinwerfer bewältigt hätte. Ich wartete auf das Klicken des Blinkers und darauf, dass der Wagen einen sanften Bogen nach Westen machte. Nichts von beidem geschah. Wir fuhren einfach weiter geradeaus.
Zuerst war die schnurgerade Strecke flach, doch dann begann sie zu steigen, es gab weniger Häuser und mehr Bäume. In diesem Teil von Winter Harbor war ich noch nie gewesen. Bevor ich mich entscheiden konnte, ob mir der Gedanke gefiel oder nicht, endete die Straße. Der Wagen hielt an. Wir alle starrten ungläubig nach vorn.
»Soll das ein Witz sein?«, fragte ich zwischen den Sitzen hindurch.
»Ich glaube nicht«, antwortete Mom nach einem Moment. Sie reichte Dad den Zettel mit den Richtungsanweisungen und öffnete ihr Autofenster. Direkt neben unserem Wagen befand sich eine kleine Metallbox mit einem Knopf. Als sie daraufdrückte, schwangen die hohen Torfl ügel auf. Ihre schmiedeeisernen Gitter zeigten Nixen mit Fisch- schwänzen.
»Geben wir dem Haus eine Chance«, sagte Dad. Seine Hände waren nervös damit beschäftigt, den Zettel auf- und zuzufalten.
Am liebsten hätte ich den Stapel Uni-Seminare vor mein Gesicht gehalten, um alles abzublocken, was ich nicht sehen wollte. Stattdessen hingen meine Blicke wie festgebannt an den gesichtlosen Körpern, dem wogenden Haar, den fein ausgearbeiteten Flossen. Ich sagte mir, dass es sich nur um Dekoration handelte, dennoch suchte ich fast zwanghaft nach etwas an den Gestalten, was mir bekannt vorkam. Als sich die Tore hinter uns schlossen und der Wagen die lange Zufahrt emporkroch, drehte ich mich sogar um und beobachtete, wie die Nixen hinter uns kleiner wurden. Irgendwie wollte ich sichergehen, dass sie sich wirklich entfernten.
Der steile Weg wand sich durch dichten Wald, und als wir fast eine Meile gefahren waren, verlor Mom die Geduld. Vielleicht war sie auch nervös, jedenfalls trat sie kräftig aufs Gas. Der Wagen schoss eine Anhöhe hinauf ... und direkt auf den Rand eines Steilufers zu.
Dad und ich klammerten uns an die Panikgriffe über den Türen. Mom keuchte und trat hart auf die Bremse. Das Auto rutschte noch ein paar Meter und kam dann zum Stehen.
»Okay, wir brauchen einen Zaun«, stellte Mom aufatmend fest. »Und zwar einen sehr stabilen.«
Sie öffnete die Tür und stieg aus. Dad beugte sich vor und begann, sich umzudrehen, doch ich hatte keine Lust auf einen weiteren Schwall fürsorglicher Fragen. Also riss ich die Tür auf und sprang aus dem Wagen, ehe mich seine Besorgnis überrollen konnte.
»Jacqueline! Ich bin so froh, dass der Termin noch in letzter Minute geklappt hat.«
Eine Frau kam die breiten Steinstufen zu unserer Linken heruntergeschritten. Sie trug eine helle Leinenhose, eine lange weiße Tunika und Ledersandalen. Ihr Haar war zu einem Pferdeschwanz zurückgebunden, der so stramm saß, dass ihre Augenwinkel regelrecht hochgezogen wurden. Anscheinend hatte mich das Eisentor mit dem Meerjungfrauen- Emblem mehr mitgenommen als gedacht, denn für den Bruchteil einer Sekunde kam sie mir vor wie eine andere Frau, die zu meinen Erlebnissen im letzten Sommer gehörte.
Aber das war unmöglich.
Oder nicht?
»Und das muss deine bildhübsche Tochter sein.« Die Frau schüttelte meiner Mutter die Hand und lächelte mich strahlend an. »Die Elitestudentin. Ich habe schon so viel von dir gehört. Dartmouth, stimmt's?«
Ich zwang mich zu einem Lächeln und gesellte mich zu den beiden. »Stimmt.«
»Von einer Tochter wie dir können andere Eltern nur träumen.«
Ich schaute zu Boden.
»Vanessa«, mischte sich Mom schnell ein, »das hier ist Anne, unsere Maklerin. Und Anne, du hast ganz recht, dieses bildhübsche Mädchen ist unsere Tochter.«
»Und ich bin der total durchschnittliche Ehemann und Vater«, stellte sich Dad vor, der hinter uns angeschlurft kam. »Da haben Sie uns wirklich ein ungewöhnliches Anwesen ausgesucht.«
Copyright © by Ullstein eBooks (Verlag)
»Wisst ihr was?«, sagte er, legte die Tüte zurück auf die Konsole und stellte den Salzstreuer in den Becherhalter. »Ein paar von meinen Studenten haben diesen Sommer ein Ferienhaus in Kennebunkport gemietet und mir erzählt, das sei jetzt die fetteste Location überhaupt.«
»Die fetteste Location?«, fragte ich ungläubig.
»Na ja, du weißt schon ... cool ... flippig. Eine dieser jungen Dichterseelen ging so weit, den Ort als Megahammer zu bezeichnen.«
»Wow, megahamma«, sagte Mom.
Dad schaute sie an. »Wieso klingt das nur halb so lächerlich, wenn du es sagst?«
»Weil ich es richtig ausspreche.« Sie versuchte, im Rückspiegel meinen Blick aufzufangen. »Man sagt es mit einem ›a‹ am Ende wie bei ›Digga‹. Stimmt doch, Schatz?«
Ich wandte den Kopf ab und schaute aus dem Fenster. »Ja, ich glaube schon.«
»Na gut«, gab Dad zu. »Wenn unsere baldige Dartmouth- Studentin dir recht gibt, muss es wohl stimmen.«
Ich lehnte die Stirn an das Glas und blinzelte das Erinnerungsbild altertümlicher, mit Efeu umrankter Universitätsmauern weg.
»Jedenfalls ist in der Stadt ziemlich viel los, sie liegt am Wasser und soll hübsch sein. Vielleicht könnten wir sie uns ansehen. Gleich jetzt, meine ich.«
»Ja, gute Idee«, stimmte Mom zu. »Wir sind ja schon fast bei der Abfahrt.«
Ich richtete mich auf. »Haben wir nicht einen Termin?«
»Stimmt«, bestätigte Mom, »aber den können wir verschieben. «
»Du hast alles seit Wochen geplant. Wieso plötzlich dieser Umweg?«
»Wieso nicht?«, fragte Mom. »Es kann nie schaden, sich Alternativen anzuschauen. Das gilt besonders für den Wohnungsmarkt. «
»Aber unser Ziel liegt auch am Wasser, und einen schöneren Ort kann es gar nicht geben.« Ich bemühte mich um ein Lächeln. »Außerdem dürfte es nach dem letzten Sommer längst nicht so überlaufen sein wie sonst.«
Der letzte Satz sollte die Stimmung auflockern, was absolut nicht gelang. Immerhin hatte mein erbärmlicher Versuch eine Wirkung, nämlich dass die Gute-Laune-Fassade meiner Eltern in sich zusammenbrach.
»Wir müssen nicht dorthin zurückkehren«, erklärte Mom und umklammerte das Lenkrad fester.
»Wir können die Ferien verbringen, wo immer wir wollen «, stimmte Dad zu. »Mal was Neues ausprobieren.«
»Ich weiß«, sagte ich. »Das erzählt ihr mir seit sechs Monaten regelmäßig. Aber ihr müsst euch nicht so viele Gedanken machen. Ich will nichts Neues probieren.«
Mom warf einen Blick über die Schulter. Ihre Lippen waren zu einer dünnen, geraden Linie zusammengepresst. Ich wusste trotz der Sonnenbrille, dass sie mich mit zusammengezogenen Brauen und verengten Augen betrachtete.
»Bist du sicher, Vanessa? Ich meine, wirklich sicher? Natürlich bist du seit ... damals ... schon öfter kurz in Winter Harbor gewesen, aber das war etwas anderes.« Sie zögerte, bevor sie fortfuhr: »Diesmal haben wir Sommer.«
Das Wort hing wie eine drückende Gewitterwolke in der Luft, die bald den ganzen Wagen ausfüllte. Ich schaute auf den leeren Sitzplatz neben mir, griff nach vorn zu der
Chips tüte und steckte mir ein paar in den Mund.
»Ja, bin ich«, versicherte ich.
In den letzten Monaten hatte ich unzählige Male beteuern müssen, dass ich kein Problem damit hatte, aber ich verstand ihre Besorgnis. Mein ganzes Leben lang waren wir jeden Juni zu dieser Urlaubstour aufgebrochen, nur fehlte dieses Mal meine ältere Schwester Justine. Dazu kam noch, dass wir ausgerechnet an diesem Tag hatten aufbrechen müssen, um in den Terminplan der Maklerin zu passen. Sie hatte angeblich ein fantastisches Objekt für uns, das gerade erst auf den Markt gekommen war. Also begannen wir unsere Reise direkt nach meiner Aufnahmefeier an der Hawthorne ... und an Justines erstem Todestag.
Wie mein Körper mir die ganze Zeit mitteilte, war das Grund genug für nervöse Magenschmerzen. Allerdings gab es etwas, das ich noch mehr fürchtete.
Nämlich, dass wir nicht nach Winter Harbor zurückkehren würden.
Ich aß mehrere Handvoll Chips und spülte mit zwei Flaschen Salzwasser nach. Die nächste Viertelstunde hörte ich meinen Eltern nur mit halbem Ohr zu und nickte an den richtigen Stellen, während sie über Fassadendämmung diskutierten. Als wir an der Abfahrt nach Kennebunkport vorbei waren, wartete ich noch angespannte fünf Minuten, dann lehnte ich mich zurück und checkte meine Handynachrichten. Ungefähr zum hundertsten Mal, seit ich heute Morgen aufgewacht war.
V! Ich freu mich so auf dich! Kaum zu glauben, aber 20 Stunden können sich echt wie 20 Jahre anfühlen. Bin den ganzen Tag im Restaurant. Komm vorbei, wenn du kannst. Hdgdl, P
Paige. Meine beste Freundin und bis vor kurzem meine Mitbewohnerin. Sie war der Hauptgrund, warum ich es unvorstellbar fand, die Sommerferien woanders zu verbringen. Mit einem Lächeln simste ich zurück.
Kann auch nicht erwarten, dich zu sehen. Sind noch ein paar Stunden unterwegs. Melde mich, wenn wir näher kommen. Arbeite nicht zu viel! Dd, V
Ich schickte die SMS ab und scrollte die früheren Nachrichten entlang, wobei ich wie immer hoffte, dass ich eine übersehen hatte. Vielleicht hatte es einen technischen Fehler gegeben, und ich war nicht benachrichtigt worden, als sie ankam.
Natürlich fand ich nichts dergleichen. Vorsichtshalber rief ich bei meiner Mailbox an, und die funktionierte auch tadellos.
Ich legte das Handy weg und griff stattdessen nach der Auflistung aller Dartmouth-Seminare, die ich mir von der Uni-Website ausgedruckt hatte. Damit rollte ich mich auf der Rückbank zusammen. Ich wusste zwar schon ziemlich genau, welche Kurse ich im Herbst belegen wollte, aber darüber hatte ich meine Eltern nicht informiert. Wenn ich sie davon abhalten wollte, über die Vergangenheit zu reden, war die beste Methode, mich scheinbar in die Planung meiner Zukunft zu vertiefen. Tatsächlich funktionierte die Kursliste als Schutzmauer so gut, dass mich den ganzen Rest der Fahrt niemand fragte, wie es mir ging oder ob ich etwas brauchte.
Andererseits war das wohl auch nicht nötig, denn als wir vom Highway herunterfuhren, sprach mein Aussehen für sich. Mom schaute öfter in den Rückspiegel als auf die Straße, und Dad bestreute eine Tüte Minibretzel mit extra viel Salz, bevor er sie in Reichweite zwischen die Sitze klemmte.
»Mir geht's gut«, versicherte ich, während mir mein Puls in den Ohren hämmerte. »Ehrlich.«
Damit gaben sie sich zufrieden, bis wir uns dem Schild in Form eines Segelbootes näherten, auf dem »Willkommen in Winter Harbor« stand. Plötzlich riss Mom das Steuer nach links, und wir bogen ab, bevor wir die Hauptstraße mit ihren Läden und Restaurants erreichen konnten. Ich wollte schon protestierten, aber zögerte. War ich tatsächlich wild darauf, im Ausflugsverkehr festzustecken? Wir würden im Schritttempo an Eddies Eisladen vorbeikriechen, der sonst immer unser erster Stopp gewesen war und den Beginn des ersehnten Familienurlaubs eingeläutet hatte.
Nein, eigentlich wollte ich das nicht. Dieser Punkt ging an meine Eltern.
Ich holte eine weitere Wasserflasche aus meinem Rucksack und konzentrierte mich aufs Trinken. Ein paar Minuten später führte die Umgehungsstraße wieder zurück auf die Strecke, die wir normalerweise nahmen. Gleich würden wir rechts in Richtung der Berge abbiegen und eine lange, gewundene Straße entlangfahren, die ich so gut kannte, dass ich sie selbst nachts ohne Scheinwerfer bewältigt hätte. Ich wartete auf das Klicken des Blinkers und darauf, dass der Wagen einen sanften Bogen nach Westen machte. Nichts von beidem geschah. Wir fuhren einfach weiter geradeaus.
Zuerst war die schnurgerade Strecke flach, doch dann begann sie zu steigen, es gab weniger Häuser und mehr Bäume. In diesem Teil von Winter Harbor war ich noch nie gewesen. Bevor ich mich entscheiden konnte, ob mir der Gedanke gefiel oder nicht, endete die Straße. Der Wagen hielt an. Wir alle starrten ungläubig nach vorn.
»Soll das ein Witz sein?«, fragte ich zwischen den Sitzen hindurch.
»Ich glaube nicht«, antwortete Mom nach einem Moment. Sie reichte Dad den Zettel mit den Richtungsanweisungen und öffnete ihr Autofenster. Direkt neben unserem Wagen befand sich eine kleine Metallbox mit einem Knopf. Als sie daraufdrückte, schwangen die hohen Torfl ügel auf. Ihre schmiedeeisernen Gitter zeigten Nixen mit Fisch- schwänzen.
»Geben wir dem Haus eine Chance«, sagte Dad. Seine Hände waren nervös damit beschäftigt, den Zettel auf- und zuzufalten.
Am liebsten hätte ich den Stapel Uni-Seminare vor mein Gesicht gehalten, um alles abzublocken, was ich nicht sehen wollte. Stattdessen hingen meine Blicke wie festgebannt an den gesichtlosen Körpern, dem wogenden Haar, den fein ausgearbeiteten Flossen. Ich sagte mir, dass es sich nur um Dekoration handelte, dennoch suchte ich fast zwanghaft nach etwas an den Gestalten, was mir bekannt vorkam. Als sich die Tore hinter uns schlossen und der Wagen die lange Zufahrt emporkroch, drehte ich mich sogar um und beobachtete, wie die Nixen hinter uns kleiner wurden. Irgendwie wollte ich sichergehen, dass sie sich wirklich entfernten.
Der steile Weg wand sich durch dichten Wald, und als wir fast eine Meile gefahren waren, verlor Mom die Geduld. Vielleicht war sie auch nervös, jedenfalls trat sie kräftig aufs Gas. Der Wagen schoss eine Anhöhe hinauf ... und direkt auf den Rand eines Steilufers zu.
Dad und ich klammerten uns an die Panikgriffe über den Türen. Mom keuchte und trat hart auf die Bremse. Das Auto rutschte noch ein paar Meter und kam dann zum Stehen.
»Okay, wir brauchen einen Zaun«, stellte Mom aufatmend fest. »Und zwar einen sehr stabilen.«
Sie öffnete die Tür und stieg aus. Dad beugte sich vor und begann, sich umzudrehen, doch ich hatte keine Lust auf einen weiteren Schwall fürsorglicher Fragen. Also riss ich die Tür auf und sprang aus dem Wagen, ehe mich seine Besorgnis überrollen konnte.
»Jacqueline! Ich bin so froh, dass der Termin noch in letzter Minute geklappt hat.«
Eine Frau kam die breiten Steinstufen zu unserer Linken heruntergeschritten. Sie trug eine helle Leinenhose, eine lange weiße Tunika und Ledersandalen. Ihr Haar war zu einem Pferdeschwanz zurückgebunden, der so stramm saß, dass ihre Augenwinkel regelrecht hochgezogen wurden. Anscheinend hatte mich das Eisentor mit dem Meerjungfrauen- Emblem mehr mitgenommen als gedacht, denn für den Bruchteil einer Sekunde kam sie mir vor wie eine andere Frau, die zu meinen Erlebnissen im letzten Sommer gehörte.
Aber das war unmöglich.
Oder nicht?
»Und das muss deine bildhübsche Tochter sein.« Die Frau schüttelte meiner Mutter die Hand und lächelte mich strahlend an. »Die Elitestudentin. Ich habe schon so viel von dir gehört. Dartmouth, stimmt's?«
Ich zwang mich zu einem Lächeln und gesellte mich zu den beiden. »Stimmt.«
»Von einer Tochter wie dir können andere Eltern nur träumen.«
Ich schaute zu Boden.
»Vanessa«, mischte sich Mom schnell ein, »das hier ist Anne, unsere Maklerin. Und Anne, du hast ganz recht, dieses bildhübsche Mädchen ist unsere Tochter.«
»Und ich bin der total durchschnittliche Ehemann und Vater«, stellte sich Dad vor, der hinter uns angeschlurft kam. »Da haben Sie uns wirklich ein ungewöhnliches Anwesen ausgesucht.«
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Autoren-Porträt von Tricia Rayburn
Tricia Rayburn hat bereits mehrere Kinder- und Jugendbücher veröffentlicht. Sie lebt gemeinsam mit ihrem Verlobten auf Long Island.
Bibliographische Angaben
- Autor: Tricia Rayburn
- 2013, 400 Seiten, Deutsch
- Übersetzer: Ulrike Nolte
- Verlag: Ullstein eBooks
- ISBN-10: 3843703868
- ISBN-13: 9783843703864
- Erscheinungsdatum: 08.03.2013
Abhängig von Bildschirmgröße und eingestellter Schriftgröße kann die Seitenzahl auf Ihrem Lesegerät variieren.
eBook Informationen
- Dateiformat: ePub
- Größe: 1.79 MB
- Ohne Kopierschutz
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