Stoß im Himmel (ePub)
Der Schnitzelkrieg der Kulturen
Nach dem Nr. 1-Bestseller "6 Österreicher unter den ersten 5": Der neue Roman von Dirk Stermann
Stoß im Himmel - in dieser Wiener Gasse wohnt Stermanns Freund Rudi Gluske friedlich vor sichhin. Bis er erleben muss, dass ein versehentlich vertauschtes...
Stoß im Himmel - in dieser Wiener Gasse wohnt Stermanns Freund Rudi Gluske friedlich vor sichhin. Bis er erleben muss, dass ein versehentlich vertauschtes...
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Produktinformationen zu „Stoß im Himmel (ePub)“
Nach dem Nr. 1-Bestseller "6 Österreicher unter den ersten 5": Der neue Roman von Dirk Stermann
Stoß im Himmel - in dieser Wiener Gasse wohnt Stermanns Freund Rudi Gluske friedlich vor sichhin. Bis er erleben muss, dass ein versehentlich vertauschtes Schnitzel existenzbedrohende Folgen haben kann und sogar Allah und die Politik auf den Plan ruft. Doch zum Glück hat er seine wortgewaltige Freundin Laetitia, deren schlagkräftigen Ururgroßvater und Stermann selbst an der Seite - sowie eine ganz besondere biologische Waffe seines Vaters ...
Stoß im Himmel - in dieser Wiener Gasse wohnt Stermanns Freund Rudi Gluske friedlich vor sichhin. Bis er erleben muss, dass ein versehentlich vertauschtes Schnitzel existenzbedrohende Folgen haben kann und sogar Allah und die Politik auf den Plan ruft. Doch zum Glück hat er seine wortgewaltige Freundin Laetitia, deren schlagkräftigen Ururgroßvater und Stermann selbst an der Seite - sowie eine ganz besondere biologische Waffe seines Vaters ...
Lese-Probe zu „Stoß im Himmel (ePub)“
Stoß im Himmel von Dirk StermannINTRO
August 2012. New Ulm, Sleepy Eye, Mankato, Magnolia, Kanaranzi. Am Straßenrand eine Armee toter Waschbären. Daneben eine Welt voller Getreidespeicher und Wassertürme. Zwischen Sioux Falls und Sioux City über den Big Sioux River. Rechts geht es nach Fargo, North Dakota, wo in meiner Vorstellung Männer in Häckslern enden - kopfüber.
Immer weiter geradeaus. Ich will mir den Weg anschauen, den sie genommen hat, damals, im Winter 2011 - jetzt, im Sommer darauf. The end of my world, hat Rosa über diese Gegend geschrieben. Ich fahre auf der 90 Interstate, ihr hinterher. Mit 65 mph, etwas mehr als 100 km/h, langsamer als mein Schatten.
Zwischen Humboldt und Canistota fahren Häuser auf Rädern und sechs gelbe Leihlaster von Penske. Da ziehen viele um, wahrscheinlich weg von hier. Mit Recht. Um der inneren Leere etwas anderes entgegenzusetzen als diese äußere hier. Die gelben Laster verschwimmen mit der tiefstehenden Sonne und den Weizenfeldern zu einer gelben Fläche. Vielleicht ist Rosa damals im Winter auch hinter solchen Umzugswagen hergefahren. Penske, Penske, Gluske.
Strichgerade Straßen. Man könnte auch mit Lenkrad- sperre fahren. Hunderte von Harleyfahrern, alle auf dem Weg zum jährlichen Treffen nach Sturgis. Die Frauen auf den Rücksitzen dehnen schon einmal ihre Vaginas. Bald werden sie auf Bierflaschen reiten müssen, während die Bärtigen dazu biertrinkend Unverständliches grölen. Eine halbe Million Motorradfahrer treffen sich jährlich im August in diesem 6000-Seelen-Nest. Ohne Motorradhelm fahren sie, natürlich. Dafür mit Tüchern oder Stahlhelmen auf dem Kopf. Hier sieht man mehr deutsche Weltkriegshelme als bei der Wehrmachtsausstellung.
... mehr
Die meisten von ihnen tragen Ohrstöpsel. Der Krach ist für die anderen gedacht. An den Tankstellen können die Biker Kappen mit dem Aufdruck Big Cock County kaufen.
Manche haben während der Fahrt eine Zigarette im Mund. Der Fahrtwind macht jeden Zug unmöglich. Zu dumm zum Rauchen.
Eine riesige Werbetafel: Visit Worlds Only Corn Palace. Ein Palast aus Getreide - seit 1921 steht das Gebäude, ein hausgewordenes Erntedank, hier im Corn Belt der USA.
Plötzlich schwarzer Himmel. Blitze. Gott macht Fotos fürs Archiv. Tornado Country, der Herr spielt mit seinem flachen Land. Die Prärie lockt Schlechtwetterfronten an wie das Licht die Motten. Hier hält den Sturm nichts auf. Vom Norden Kanadas nimmt er Anlauf, schießt über die Ebene und bläht sich immer weiter auf, bis er alles über den beiden Dakotas ausgießt. Starkstrom aus dunklen Wolken. North und South Dakota sind ein El Dorado für Blitzforscher und Tornadofreunde.
Durch Aurora County biege ich ab auf den Highway 281. Stickney hat 334 Einwohner, verkündet ein Schild am Ortseingang. Trotz 30 mph Geschwindigkeitsbegrenzung ist man nach Sekunden schon nicht mehr da. In Corsica, dem Nachbarort, leben doppelt so viele Menschen, und es gibt laut Schild über 65 Geschäftsleute. Wahrscheinlich 66.
Ich nähere mich Platte, South Dakota, und damit den Schoenhuts. Platte, Charles Mix County. 1367 Einwohner. Auf dem Wasserturm steht: It's possible in Platte. Vor einer der elf Kirchen befindet sich ein Schild: God does not keep us from lifes storms. He walks with us through them.
Rosa Gluske hätte gesagt: »Gott hat einen Gehfehler.« Aber ich habe auch noch nie eine Familie kennengelernt, die so sturmzerzaust war wie die wunderbaren Gluskes. Von ihnen handelt diese Geschichte. So, wie ich sie aufgeschrieben habe nach diesem ereignisreichen Sommer, nachdem ich alles geordnet habe: Rosas Briefe, die Notizen, die ich mir gemacht habe nach den Gesprächen mit Rudi und Laetitia, und den merkwürdigen »Roman« von Paul Maria Suess.
Ich erinnere mich, dass ich gerade ein Ei im Glas aß, als ich ihren Bruder Rudi Gluske zum ersten Mal traf. Ein weiches Ei im Glas - später hätte ich mich das nicht mehr ohne weiteres getraut.
ICH
Ich hatte Ferien. Willkommen Österreich machte Pause. Ich hatte nichts geplant und wollte einen ganzen Sommer lang in Wien bleiben, zum ersten Mal seit Jahren. Ich hatte immer gehört, wie ruhig und entspannt es hier im Sommer sei. Wie ungrantig die Stadt dann sei, wie gut ihr die Hitze stehe. Ich sollte schnell merken, dass es ganz und gar nicht entspannt werden würde.
Ich stieg in der Kettenbrückengasse in die U4. Aus einem der Zeitungsständer am Eingang der von Otto Wagner entworfenen Station hatte ich mir eine Gratiszeitung genommen. Ich las im Stehen:
Gen zeigt: Hitler mit Afrikanern verwandt. In Liverpool wurde John Lennons Toilette versteigert. Ein Schwein hat 3377 Fans auf Twitter und eine Haushaltshilfe 41 Nägel im Körper. Ein Kätzchen kommt mit vier Ohren zur Welt - besser folgen tut die süße »Luntik« aus Wladiwostok aber auch nicht. Nordkorea zahlt Schulden mit Ginseng.
Ich war auf dem Weg in die »Sztuhlbein Brötchenstube« in der Schwertgasse im ersten Bezirk. Ich hatte mir vorgenommen, jeden Monat mein Stammcafé zu wechseln. Jetzt, im Juni 2012, war es das »Sztuhlbein«.
Eine Durchsage: »Bitte überlassen Sie Ihren Sitzplatz bei Bedarf Frauen mit Kin...«
Das Band riss ab. Frauen mit Kinn sollte ich also meinen Platz überlassen. Ich las weiter in der Zeitung:
Idee des Tages? Schachtel-Designer Erik Askin will durch eine neue Form von Zigarettenschachteln das Rauchen unattraktiver machen. Die neue Form mache das Transportieren der Schachteln unpraktischer.
Neben mir saß ein Volksschulkind. Es las auch das Umsonstblatt, war aber auf einer anderen Seite als ich: »U10 Kids Station«. Ich blätterte hin. Das war kein weiter Weg, denn die Zeitung hatte nur wenige Seiten. Man konnte sie zwischen zwei U-Bahnstationen auslesen, wenn man wollte.
Die Kinderseite war graphisch albern gestaltet. Bunte Buchstaben mit Tiergesichtern. Das K von »Kids« war ein Känguru, das I ein Igel, das S ein Stachelschwein. Es gab eine Witzzeichnung: Zwei Hunde gehen durch die Wüste, und der eine Hund sagt: »Wenn nicht bald ein Baum kommt, mach ich in die Hose.«
Das Mädchen war Brillenträgerin. Sie nahm die Brille ab, zog ein Brillenputztuch aus der Tasche und wischte sich damit über die Augen. Ich hatte noch nie einen Menschen gesehen, der sich die Augen putzt. War aber bei der Feinstaubbelastung in den Städten keine dumme Idee.
Die »Lesecke« in der U10 Kids Station war sehr überschaubar. Sie bestand aus einem kurzen Text: Superknut. Ich las ihn zwischen Kettenbrückengasse und Karlsplatz.
SUPERKNUT
Unruhe. Gebannt starren alle auf die Türe. Wachsende Unruhe. Man hört Schritte hinter der Türe. Größte große Unruhe. Die Klinke bewegt sich. Die Türe öffnet sich. Grenzenloser Jubel. »Jetzt macht mal halblang. Ich bin's doch nur«, seufzt Knut. Aber seine Eltern und die vier Großeltern und die dicken Tanten jubeln ihm zu. Durchs offene Fenster fliegt ein Schwarm Vögel in die Wohnung. »Guckt mal, Amseln«, sagt Knut, aber alle haben nur Augen für ihn. Er trinkt ein Glas Milch, und alle applaudieren. »Mann, das ist doch nur Milch«, murrt Knut, aber alle sind begeistert. Seine Schwester Irma hat beim Kinderyoga fliegen gelernt und zeigt es voller Stolz, aber weil Knut sich gerade jetzt am Kinn kratzt, jubeln alle nur ihm zu. »Schaut, wie er sich kratzt. Am Kinn, der Knut. Bravo, Bravao, Bravinski!« Alle, auch die brasilianische und die russische Tante, klatschen in die Hände, während Irma resigniert wieder landet.
R. G. (Morgen geht's weiter.)
Ich stieg am Karlsplatz aus und ging am Musikverein mit seinem berühmten Goldenen Saal vorbei und am Hotel Imperial zum Ring. Es war Viertel nach neun, die Luft war klar, und Wien sah aus, als stünde ein Schönheitswettbewerb an, bei dem sich die Stadt einiges ausrechnete.
Ich schlenderte quer durch den ersten Bezirk, am Café Schwarzenberg, der Walfischgasse und dem Haus der Musik vorbei, über die Seilerstätte und die Himmelpfortgasse.
Vor dem Café Frauenhuber saßen drei Damen und spielten Karten. Die Kärntner Straße ging ich hinauf, über den Stephansplatz, den Graben und die Tuchlauben zu den Neun Chören der Engel und dann über den Judenplatz zur Schwertgasse.
Im »Sztuhlbein« schimpfte ein Israeli, wir seien alle Antisemiten, weil sich jemand darüber beschwert hatte, dass er rauchte. Er sah aus, als sei er schon einmal gestorben, Er war kugelrund, hatte eine Stoppelglatze, ein lächerlich weißes Gebiss und fleischige Lippen, die immer feucht waren, so als würde er sie immer wieder mit Schmalz einreiben. Er erinnerte mich an meinen russischen Freund Aleksey, den ich am Naschmarkt kennengelernt habe. Wir standen damals nebeneinander bei »Prof. Falafel« und warteten auf die ganz frischen Falafeln, die Gözde, mein Lieblingsfalafelverkäufer, gerade für uns zubereitete. Am Naschmarkt war eine Art Falafelkrieg ausgebrochen. »Dr. Falafel« hatte dort zwei Stände, mit großartigen Falafeln. Eine Großfamilie aus Israel betrieb sie. Sie waren Marktführer, bis »Prof. Falafel« eröffnete, eine jordanisch-ägyptische Großfamilie, für die Gözde arbeitete. Ein lukullischer Nahostkonflikt.
Mit seinen dicken Fingern bediente sich Aleksey aus einem 500-Gramm-Schälchen mit Humus. Seine ganze Hand war voll klebrigem Kichererbsenpüree und Sesampaste. Er sei Geschäftsmann, sagte er. Als er bemerkte, dass ich Deutscher war, erzählte er mir, er sei 1989 Handelsattaché der UdSSR in West-Berlin gewesen. Die amerikanischen Kollegen hätten ihn damals gewarnt: »Ihr müsst aufpassen«, sagten die Amerikaner. »Euer Gorbatschow, auf den müsst ihr aufpassen!«
Aleksey fuhr jetzt direkt mit der Zunge in den Humus. »Natürlich«, schmatzte er, »die Amis hatten Angst, dass sich was verändert. Für sie persönlich. Jeder von den Offizieren hatte in Berlin eine Villa, voll eingerichtet, vom Schirmständer bis zum Klopapierhalter. Das hat alles die Bundesrepublik bezahlt. Die Amerikaner haben schön blöd geschaut, als das vorbei war. Von wegen: ›Mr Gorbatschow, tear down this wall.‹ Einen Scheiß wollten die. Die hätten eher mitgeholfen, die Mauer noch ein bisschen höher zu bauen. Phantastische Villen waren das - Grunewald, Wannsee ... Vom Feinsten!«
Was genau für eine Sorte Geschäftsmann er war, habe ich nie herausgefunden. »Mal mehr Import, mal mehr Export - je nachdem«, hatte er mir einmal erklärt.
Aber ich wusste: Falls einmal eine wirkliche Krise ausbrechen sollte, war es wichtig, Leute wie Aleksey zu kennen. Inmitten der größten Hungersnot wüsste er immer, wo es ein gutes Kalbsschnitzel gäbe. Er lebte in einer 400-Quadratmeter-Wohnung am Kohlmarkt, »aber ganz spartanisch eingerichtet«, wie er jammernd meinte. »Ich habe nichts und brauche nichts«, sagte er.
Er hatte vielleicht nichts, doch davon reichlich. Aleksey war ein spendabler Freund, hielt sich aber an ein Gebot des Modezopfes Karl Lagerfeld: »Ja, ich werfe mein Geld zum Fenster hinaus; aber ich schaue genau nach, wo es hinfällt!«
Im »Sztuhlbein« bimmelte eine Fahrradklingel - ein angenehmer Klingelton. Am Nebentisch hielt sich ein kleiner junger Mann mit feuerroten Haaren bis zum Arsch das Handy ans Ohr.
»Säckchen?«, hörte ich ihn sagen. Wie einer Doku über Headbangen in Irland entsprungen sah er aus. Vor ihm auf dem Kaffeehaustisch stand ein Laptop. Ich konnte von meinem Platz aus den Bildschirm sehen. Superknut stand da. Und weiter:
Knut verdreht die Augen, deshalb bemerkt niemand, dass seine fünf Tage alte Cousine Mia die Worte »Konfektionsgröße Mammut« ruft. »Nein, wie er die Augen verdreht, der Knut! Bravo, Bravao, Bravinski!« Die fünf Tage alte Mia resigniert und beschließt, so lange stumm zu bleiben, bis ihr ein Kleid der Konfektionsgröße Mammut passt wie angegossen.
R. G. (Morgen geht's weiter.)
Er legte auf, und ich fragte ihn, ob er R.G. sei. Ich hätte in der U-Bahn gerade von Superknut gelesen, und ich wüsste schon, dass man das nicht tue, aber ich hätte ihm auf den Bildschirm geschaut und gesehen, dass er gerade an einer Fortsetzung schriebe.
»Ja. Ich heiße Rudi Gluske«, sagte er. Er war auch Deutscher, das weichere Wienerisch hatte seine Aussprache aber schon geschmeidiger gemacht.
»Dirk Stermann«, erwiderte ich.
»Guten Tag, Dirk Stermann.«
»Guten Tag, Rudi Gluske«, sagte ich. Später meinte Laetitia einmal, Rudi habe ein Herz aus Butter. Das spürte ich schon bei unserer ersten Begegnung.
© 2013 Ullstein Buchverlage GmbH, Berlin.
Die meisten von ihnen tragen Ohrstöpsel. Der Krach ist für die anderen gedacht. An den Tankstellen können die Biker Kappen mit dem Aufdruck Big Cock County kaufen.
Manche haben während der Fahrt eine Zigarette im Mund. Der Fahrtwind macht jeden Zug unmöglich. Zu dumm zum Rauchen.
Eine riesige Werbetafel: Visit Worlds Only Corn Palace. Ein Palast aus Getreide - seit 1921 steht das Gebäude, ein hausgewordenes Erntedank, hier im Corn Belt der USA.
Plötzlich schwarzer Himmel. Blitze. Gott macht Fotos fürs Archiv. Tornado Country, der Herr spielt mit seinem flachen Land. Die Prärie lockt Schlechtwetterfronten an wie das Licht die Motten. Hier hält den Sturm nichts auf. Vom Norden Kanadas nimmt er Anlauf, schießt über die Ebene und bläht sich immer weiter auf, bis er alles über den beiden Dakotas ausgießt. Starkstrom aus dunklen Wolken. North und South Dakota sind ein El Dorado für Blitzforscher und Tornadofreunde.
Durch Aurora County biege ich ab auf den Highway 281. Stickney hat 334 Einwohner, verkündet ein Schild am Ortseingang. Trotz 30 mph Geschwindigkeitsbegrenzung ist man nach Sekunden schon nicht mehr da. In Corsica, dem Nachbarort, leben doppelt so viele Menschen, und es gibt laut Schild über 65 Geschäftsleute. Wahrscheinlich 66.
Ich nähere mich Platte, South Dakota, und damit den Schoenhuts. Platte, Charles Mix County. 1367 Einwohner. Auf dem Wasserturm steht: It's possible in Platte. Vor einer der elf Kirchen befindet sich ein Schild: God does not keep us from lifes storms. He walks with us through them.
Rosa Gluske hätte gesagt: »Gott hat einen Gehfehler.« Aber ich habe auch noch nie eine Familie kennengelernt, die so sturmzerzaust war wie die wunderbaren Gluskes. Von ihnen handelt diese Geschichte. So, wie ich sie aufgeschrieben habe nach diesem ereignisreichen Sommer, nachdem ich alles geordnet habe: Rosas Briefe, die Notizen, die ich mir gemacht habe nach den Gesprächen mit Rudi und Laetitia, und den merkwürdigen »Roman« von Paul Maria Suess.
Ich erinnere mich, dass ich gerade ein Ei im Glas aß, als ich ihren Bruder Rudi Gluske zum ersten Mal traf. Ein weiches Ei im Glas - später hätte ich mich das nicht mehr ohne weiteres getraut.
ICH
Ich hatte Ferien. Willkommen Österreich machte Pause. Ich hatte nichts geplant und wollte einen ganzen Sommer lang in Wien bleiben, zum ersten Mal seit Jahren. Ich hatte immer gehört, wie ruhig und entspannt es hier im Sommer sei. Wie ungrantig die Stadt dann sei, wie gut ihr die Hitze stehe. Ich sollte schnell merken, dass es ganz und gar nicht entspannt werden würde.
Ich stieg in der Kettenbrückengasse in die U4. Aus einem der Zeitungsständer am Eingang der von Otto Wagner entworfenen Station hatte ich mir eine Gratiszeitung genommen. Ich las im Stehen:
Gen zeigt: Hitler mit Afrikanern verwandt. In Liverpool wurde John Lennons Toilette versteigert. Ein Schwein hat 3377 Fans auf Twitter und eine Haushaltshilfe 41 Nägel im Körper. Ein Kätzchen kommt mit vier Ohren zur Welt - besser folgen tut die süße »Luntik« aus Wladiwostok aber auch nicht. Nordkorea zahlt Schulden mit Ginseng.
Ich war auf dem Weg in die »Sztuhlbein Brötchenstube« in der Schwertgasse im ersten Bezirk. Ich hatte mir vorgenommen, jeden Monat mein Stammcafé zu wechseln. Jetzt, im Juni 2012, war es das »Sztuhlbein«.
Eine Durchsage: »Bitte überlassen Sie Ihren Sitzplatz bei Bedarf Frauen mit Kin...«
Das Band riss ab. Frauen mit Kinn sollte ich also meinen Platz überlassen. Ich las weiter in der Zeitung:
Idee des Tages? Schachtel-Designer Erik Askin will durch eine neue Form von Zigarettenschachteln das Rauchen unattraktiver machen. Die neue Form mache das Transportieren der Schachteln unpraktischer.
Neben mir saß ein Volksschulkind. Es las auch das Umsonstblatt, war aber auf einer anderen Seite als ich: »U10 Kids Station«. Ich blätterte hin. Das war kein weiter Weg, denn die Zeitung hatte nur wenige Seiten. Man konnte sie zwischen zwei U-Bahnstationen auslesen, wenn man wollte.
Die Kinderseite war graphisch albern gestaltet. Bunte Buchstaben mit Tiergesichtern. Das K von »Kids« war ein Känguru, das I ein Igel, das S ein Stachelschwein. Es gab eine Witzzeichnung: Zwei Hunde gehen durch die Wüste, und der eine Hund sagt: »Wenn nicht bald ein Baum kommt, mach ich in die Hose.«
Das Mädchen war Brillenträgerin. Sie nahm die Brille ab, zog ein Brillenputztuch aus der Tasche und wischte sich damit über die Augen. Ich hatte noch nie einen Menschen gesehen, der sich die Augen putzt. War aber bei der Feinstaubbelastung in den Städten keine dumme Idee.
Die »Lesecke« in der U10 Kids Station war sehr überschaubar. Sie bestand aus einem kurzen Text: Superknut. Ich las ihn zwischen Kettenbrückengasse und Karlsplatz.
SUPERKNUT
Unruhe. Gebannt starren alle auf die Türe. Wachsende Unruhe. Man hört Schritte hinter der Türe. Größte große Unruhe. Die Klinke bewegt sich. Die Türe öffnet sich. Grenzenloser Jubel. »Jetzt macht mal halblang. Ich bin's doch nur«, seufzt Knut. Aber seine Eltern und die vier Großeltern und die dicken Tanten jubeln ihm zu. Durchs offene Fenster fliegt ein Schwarm Vögel in die Wohnung. »Guckt mal, Amseln«, sagt Knut, aber alle haben nur Augen für ihn. Er trinkt ein Glas Milch, und alle applaudieren. »Mann, das ist doch nur Milch«, murrt Knut, aber alle sind begeistert. Seine Schwester Irma hat beim Kinderyoga fliegen gelernt und zeigt es voller Stolz, aber weil Knut sich gerade jetzt am Kinn kratzt, jubeln alle nur ihm zu. »Schaut, wie er sich kratzt. Am Kinn, der Knut. Bravo, Bravao, Bravinski!« Alle, auch die brasilianische und die russische Tante, klatschen in die Hände, während Irma resigniert wieder landet.
R. G. (Morgen geht's weiter.)
Ich stieg am Karlsplatz aus und ging am Musikverein mit seinem berühmten Goldenen Saal vorbei und am Hotel Imperial zum Ring. Es war Viertel nach neun, die Luft war klar, und Wien sah aus, als stünde ein Schönheitswettbewerb an, bei dem sich die Stadt einiges ausrechnete.
Ich schlenderte quer durch den ersten Bezirk, am Café Schwarzenberg, der Walfischgasse und dem Haus der Musik vorbei, über die Seilerstätte und die Himmelpfortgasse.
Vor dem Café Frauenhuber saßen drei Damen und spielten Karten. Die Kärntner Straße ging ich hinauf, über den Stephansplatz, den Graben und die Tuchlauben zu den Neun Chören der Engel und dann über den Judenplatz zur Schwertgasse.
Im »Sztuhlbein« schimpfte ein Israeli, wir seien alle Antisemiten, weil sich jemand darüber beschwert hatte, dass er rauchte. Er sah aus, als sei er schon einmal gestorben, Er war kugelrund, hatte eine Stoppelglatze, ein lächerlich weißes Gebiss und fleischige Lippen, die immer feucht waren, so als würde er sie immer wieder mit Schmalz einreiben. Er erinnerte mich an meinen russischen Freund Aleksey, den ich am Naschmarkt kennengelernt habe. Wir standen damals nebeneinander bei »Prof. Falafel« und warteten auf die ganz frischen Falafeln, die Gözde, mein Lieblingsfalafelverkäufer, gerade für uns zubereitete. Am Naschmarkt war eine Art Falafelkrieg ausgebrochen. »Dr. Falafel« hatte dort zwei Stände, mit großartigen Falafeln. Eine Großfamilie aus Israel betrieb sie. Sie waren Marktführer, bis »Prof. Falafel« eröffnete, eine jordanisch-ägyptische Großfamilie, für die Gözde arbeitete. Ein lukullischer Nahostkonflikt.
Mit seinen dicken Fingern bediente sich Aleksey aus einem 500-Gramm-Schälchen mit Humus. Seine ganze Hand war voll klebrigem Kichererbsenpüree und Sesampaste. Er sei Geschäftsmann, sagte er. Als er bemerkte, dass ich Deutscher war, erzählte er mir, er sei 1989 Handelsattaché der UdSSR in West-Berlin gewesen. Die amerikanischen Kollegen hätten ihn damals gewarnt: »Ihr müsst aufpassen«, sagten die Amerikaner. »Euer Gorbatschow, auf den müsst ihr aufpassen!«
Aleksey fuhr jetzt direkt mit der Zunge in den Humus. »Natürlich«, schmatzte er, »die Amis hatten Angst, dass sich was verändert. Für sie persönlich. Jeder von den Offizieren hatte in Berlin eine Villa, voll eingerichtet, vom Schirmständer bis zum Klopapierhalter. Das hat alles die Bundesrepublik bezahlt. Die Amerikaner haben schön blöd geschaut, als das vorbei war. Von wegen: ›Mr Gorbatschow, tear down this wall.‹ Einen Scheiß wollten die. Die hätten eher mitgeholfen, die Mauer noch ein bisschen höher zu bauen. Phantastische Villen waren das - Grunewald, Wannsee ... Vom Feinsten!«
Was genau für eine Sorte Geschäftsmann er war, habe ich nie herausgefunden. »Mal mehr Import, mal mehr Export - je nachdem«, hatte er mir einmal erklärt.
Aber ich wusste: Falls einmal eine wirkliche Krise ausbrechen sollte, war es wichtig, Leute wie Aleksey zu kennen. Inmitten der größten Hungersnot wüsste er immer, wo es ein gutes Kalbsschnitzel gäbe. Er lebte in einer 400-Quadratmeter-Wohnung am Kohlmarkt, »aber ganz spartanisch eingerichtet«, wie er jammernd meinte. »Ich habe nichts und brauche nichts«, sagte er.
Er hatte vielleicht nichts, doch davon reichlich. Aleksey war ein spendabler Freund, hielt sich aber an ein Gebot des Modezopfes Karl Lagerfeld: »Ja, ich werfe mein Geld zum Fenster hinaus; aber ich schaue genau nach, wo es hinfällt!«
Im »Sztuhlbein« bimmelte eine Fahrradklingel - ein angenehmer Klingelton. Am Nebentisch hielt sich ein kleiner junger Mann mit feuerroten Haaren bis zum Arsch das Handy ans Ohr.
»Säckchen?«, hörte ich ihn sagen. Wie einer Doku über Headbangen in Irland entsprungen sah er aus. Vor ihm auf dem Kaffeehaustisch stand ein Laptop. Ich konnte von meinem Platz aus den Bildschirm sehen. Superknut stand da. Und weiter:
Knut verdreht die Augen, deshalb bemerkt niemand, dass seine fünf Tage alte Cousine Mia die Worte »Konfektionsgröße Mammut« ruft. »Nein, wie er die Augen verdreht, der Knut! Bravo, Bravao, Bravinski!« Die fünf Tage alte Mia resigniert und beschließt, so lange stumm zu bleiben, bis ihr ein Kleid der Konfektionsgröße Mammut passt wie angegossen.
R. G. (Morgen geht's weiter.)
Er legte auf, und ich fragte ihn, ob er R.G. sei. Ich hätte in der U-Bahn gerade von Superknut gelesen, und ich wüsste schon, dass man das nicht tue, aber ich hätte ihm auf den Bildschirm geschaut und gesehen, dass er gerade an einer Fortsetzung schriebe.
»Ja. Ich heiße Rudi Gluske«, sagte er. Er war auch Deutscher, das weichere Wienerisch hatte seine Aussprache aber schon geschmeidiger gemacht.
»Dirk Stermann«, erwiderte ich.
»Guten Tag, Dirk Stermann.«
»Guten Tag, Rudi Gluske«, sagte ich. Später meinte Laetitia einmal, Rudi habe ein Herz aus Butter. Das spürte ich schon bei unserer ersten Begegnung.
© 2013 Ullstein Buchverlage GmbH, Berlin.
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Autoren-Porträt von Dirk Stermann
Dirk Stermann, geboren 1965 in Duisburg, lebt seit 1987 in Wien. Er zählt zu den populärsten Kabarettisten und Radiomoderatoren Österreichs und ist auch in Deutschland durch Fernseh- und Radioshows sowie durch Bühnenauftritte und Kinofilme weit bekannt.
Bibliographische Angaben
- Autor: Dirk Stermann
- 2013, 1. Auflage, 336 Seiten, Deutsch
- Verlag: Ullstein Taschenbuchvlg.
- ISBN-10: 3843705798
- ISBN-13: 9783843705790
- Erscheinungsdatum: 08.03.2013
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eBook Informationen
- Dateiformat: ePub
- Größe: 2.13 MB
- Ohne Kopierschutz
Family Sharing
eBooks und Audiobooks (Hörbuch-Downloads) mit der Familie teilen und gemeinsam genießen. Mehr Infos hier.
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