Tochter der roten Sonne (ePub)
Wildes, weites Australien
Als reiche Erbin macht sich Georgina Stapleton auf den Weg von England nach Australien. Doch die Reise endet in einer Katastrophe, als ihr Schiff vor der Südküste Australiens in einen Sturm gerät und zerschellt. Nur zwei...
Als reiche Erbin macht sich Georgina Stapleton auf den Weg von England nach Australien. Doch die Reise endet in einer Katastrophe, als ihr Schiff vor der Südküste Australiens in einen Sturm gerät und zerschellt. Nur zwei...
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Produktinformationen zu „Tochter der roten Sonne (ePub)“
Wildes, weites Australien
Als reiche Erbin macht sich Georgina Stapleton auf den Weg von England nach Australien. Doch die Reise endet in einer Katastrophe, als ihr Schiff vor der Südküste Australiens in einen Sturm gerät und zerschellt. Nur zwei Menschen überleben den Schiffbruch: Georgina und der Schiffsoffizier Miles Bennett. Gemeinsam machen sich die beiden auf den Weg zurück in die Zivilisation . Doch als Georgina erkennt, wie sehr sie sich zu diesem Mann hingezogen fühlt, wird ihr auch klar, dass sie auf dem Weg in ein ganz anderes Leben ist ...
"Eine wunderbare Autorin"
Channel Nine
Als reiche Erbin macht sich Georgina Stapleton auf den Weg von England nach Australien. Doch die Reise endet in einer Katastrophe, als ihr Schiff vor der Südküste Australiens in einen Sturm gerät und zerschellt. Nur zwei Menschen überleben den Schiffbruch: Georgina und der Schiffsoffizier Miles Bennett. Gemeinsam machen sich die beiden auf den Weg zurück in die Zivilisation . Doch als Georgina erkennt, wie sehr sie sich zu diesem Mann hingezogen fühlt, wird ihr auch klar, dass sie auf dem Weg in ein ganz anderes Leben ist ...
"Eine wunderbare Autorin"
Channel Nine
Lese-Probe zu „Tochter der roten Sonne (ePub)“
1Plymouth, England
Februar 1840
»Wie aufregend!«, rief Georgina mit einem Blick auf die Treppenstufen, die in die Seite des Schiffs eingelassen waren. »Ich gehe nach dir hinauf, Onkel Hugh!«
Ihre Blicke folgten den Stufen hinauf zu dem Bollwerk des großen Segelschiffs, das sich über ihnen erhob. Daneben sah das kleine Ruderboot, mit dem sie über den Fluss schaukelten, noch winziger aus.
»Kommt überhaupt nicht in Frage«, erwiderte ihre Tante. »Du wartest mit mir, bis wir mit dem Tragstuhl des Bootsmannes hinaufgebracht werden. Der erste Eindruck ist entscheidend. Als Passagiere der Kabinenklasse kommen wir vermutlich zuletzt an Bord, und alle werden an Deck sein und deine Ankunft beobachten. Du willst doch nicht, dass die Leute dich für eine Wilde halten.«
Georgina hob die Füße und ihre langen, dicken Röcke, als die Männer die Ruder ins Boot zogen. Der Stoff in ihren Händen war üppig und weich. Sie schob ihren warmen Mantel zurück und begutachtete den Rock. »In diesem Kleid kann ich doch nur einen guten Eindruck machen, Tante Mary.«
Das Kleid war nach der neuesten Mode geschnitten. Der weite Rock würde im Stehen über den Boden wischen, die Taille war schmal, das Mieder eng geschnitten, mit einer Spitze Richtung Nabel. Es brachte ihre Figur vorteilhaft zur Geltung. Die Ärmel waren modisch weit, und das strahlende Hellblau passte zu ihren Augen. Ihre Haut fühlte sich unter der frischen Brise lebendig an und glühte ein wenig.
Ihre Tante sah sie mit leicht zusammengezogenen Lippen an. »Nun ja, es ist ein schönes Kleid«, gab sie zögernd zu. »Aber die Farbe … ich finde es ein wenig zu früh, die Trauerkleidung abzulegen. Grau oder lavendel …«
»Oder irgendeine andere traurige Farbe!«, lachte Georgina.
... mehr
»Dieses Blau ist jedenfalls viel zu strahlend.«
»Aber, aber, meine Liebe, sie ist doch erst neunzehn! Zu jung, um ihr halbes Leben in Trauer zu verbringen«, unterbrach Onkel Hugh vorsichtig. Er widersprach seiner Frau nur selten.
Sie waren sich in all den Jahren immer ähnlicher geworden – ein wenig mollig, stahlgraues Haar, Doppelkinn und ein wenig pompöses Auftreten. Und sie schienen sich fast immer einig zu sein. Nur jetzt, in Bezug auf Georgina, waren sie unterschiedlicher Meinung.
»Nein, und der liebe Papa hätte das auch gar nicht gewollt«, fügte Georgina hinzu. »Er glaubte an ein Leben in Fülle, er wollte aus jeder Gelegenheit so viel Vergnügen ziehen wie möglich. Er wäre entsetzt, wenn er mich ewig in langweiligen Farben sehen müsste, die mir nicht stehen.«
Das Gespräch wurde unterbrochen, als eine Stimme von oben sie aufforderte, an Bord zu gehen.
»Vorsichtig, haltet euch gut fest«, warnte ihre Tante, aber Georgina hörte nicht zu. Sie zog ihre Handschuhe aus.
Ihre Blicke waren fest auf ihren Onkel geheftet, der jetzt die Treppe hinaufging. Auf beiden Seiten waren dicke Taue als Handlauf gespannt.
Als er oben angekommen war, griff sie nach den Tauen. Sie hatte schon lange kein echtes Abenteuer mehr erlebt, und sie würde den Überlegungen ihrer Tante nicht einen Augenblick folgen.
Der Aufstieg war furchterregend und schwierig genug, um ein wilder Genuss zu sein.
Als sie oben ankam, packte sie jemand fest am Arm. Ein Blick sagte ihr, dass es nicht ihr Onkel war. Es war eine starke, autoritäre Hand und ein muskulöser, sonnengebräunter Unterarm mit vielen feinen goldenen Härchen, die in der blassen Wintersonne funkelten.
Sie blickte auf und sah in ein Paar blaue Augen, allerdings nicht dunkelblau wie die ihren, sondern himmelblau, wie von der Sonne und dem Meer über viele Jahre gebleicht. Ein gut aussehendes Gesicht kam ihr entgegen, das Gesicht eines Mannes, der viel Zeit unter freiem Himmel verbrachte. Die Sonne hatte die hohen Wangenknochen und das feste Kinn goldbraun gefärbt, als würde Wikingerblut in seinen Adern fließen. Das blonde, ebenfalls von der Sonne gebleichte Haar war ein wenig zerzaust und kräuselte sich unter dem Rand der Offiziersmütze.
»Nur weiter, Miss. Klettern Sie auf die Reling, ich helfe Ihnen«, sagte der Mann.
Er hielt ihren Blick fest, als sie seinen Worten folgte. Dann umfassten seine Hände ihre Taille, als sie leichtfüßig aufs Deck sprang.
Sie sah zu ihm auf, heftig atmend vor Aufregung. Sie war größer als die meisten anderen Frauen, aber er überragte sie bei Weitem. Seine Größe und die breiten Schultern verliehen ihm eine entschiedene Autorität, die sie – gemeinsam mit seiner schicken, makellosen Uniform – auf den Gedanken brachten, es müsse sich um den Kapitän handeln.
»Willkommen an Bord, Miss Stapleton«, sagte er.
»Vielen Dank, Herr Kapitän.«
»Miles Bennett, Erster Maat, Madam«, sagte er und lächelte verlegen. »Kapitän werde ich vielleicht auf der nächsten Reise sein, die ich mache, wenn alles gut geht. Der Kapitän kann sie selbst nicht in Empfang nehmen, da er noch an Land ist und letzte Besorgungen macht. Er kommt immer als Letzter an Bord. Ich habe während seiner Abwesenheit den Befehl über das Schiff.«
Er warf einen Blick über die Schulter. »Jimmy Cole!«, rief er einem jungen Kerl auf dem Hauptdeck zu.
Jimmy kam angerannt. »Aye, aye, Sir!« Seine großen grünen Augen funkelten vor Aufregung, und sein Lächeln erstreckte sich von einem Ohr zum anderen und entblößte einige Zahnlücken. Die Ohren selbst standen ab wie die Segel eines Schiffs. Georgina bemühte sich, ernst zu bleiben, während sie sich vorstellte, wie der Wind in seine Ohren griff und ihn übers Deck trieb. Er war jung, begeistert und wollte alles richtig machen.
»Du kannst Miss Stapleton und Mr und Mrs Clendenning den Weg zu ihren Kabinen zeigen, wenn dort alles bereit ist. Sorg dafür, dass sie sich dort gut einrichten.«
»Aye, aye, Sir.«
»Georgina?« Die Stimme ihres Onkels.
Sie riss sich vom Anblick des Ersten Maats los und drehte sich zu ihrem Onkel um, der besorgt über die Reling hinunter zu dem Ruderboot spähte.
»Bleib noch einen Moment hier, solange wir auf deine Tante warten«, sagte er. eorgina klatschte in die Hände und sah sich um. »Wie aufregend! Ich war noch nie auf einem Schiff. Ich freue mich so auf die Fahrt«, sagte sie zu dem Ersten Maat.
»Ich wünschte, alle unsere Passagiere würden es so sehen. Das würde die Reise für alle Beteiligten viel angenehmer machen«, erwiderte der Maat trocken. »Entschuldigen Sie mich, Madam.« Er entfernte sich und rief den Seeleuten in der Nähe einige Befehle zu.
Georgina, die ihre Tante bei ihrem Onkel in guten Händen wusste, spazierte über das Hüttendeck und beobachtete das geschäftige Treiben. Die Seeleute liefen in alle Richtungen, bereiteten das Schiff aufs Ablegen vor und schimpften leise vor sich hin, wenn die Passagiere sie störten.
Auf dem Hauptdeck zweieinhalb Meter unter ihr waren verschiedene Passagiere aus dem Zwischendeck zu sehen: junge Männer, die in kleinen Gruppen herumlungerten, mit aufgeregten Blicken und immer auf der Suche nach einem Spaß. Verhärmte Frauen mit verschwollenen Augen und mit Säuglingen auf dem Arm, die ihre Kinder beobachteten, die über Taue und Gepäckstücke tollten. Die verheirateten Männer waren ernst und dunkel gekleidet; sie dachten wohl an die fünfmonatige Reise, die vor ihnen lag. Krumme alte Männer und Frauen saßen an windgeschützten Plätzen, so alt, dass sich Georgina fragte, warum sie noch einmal von vorn anfangen wollten. Manche Leute lasen, spielten, schrieben, nähten oder strickten. Einige aßen, rauchten oder saßen einfach da und taten gar nichts. Die Kleidung verriet Menschen aus jeder Schicht und aus jeder Gegend des Vereinigten Königreichs von Großbritannien und Irland, von den mondänen Straßen der Stadt London bis zu den letzten Winkeln Schottlands.
Es herrschte ein unbeschreiblicher Lärm. Befehle wurden gebrüllt, die Seeleute sangen und fluchten, Glocken läuteten, Ketten rasselten, Babys schrien, über ihnen kreischten die Möwen, Schweine quiekten, einige Passagiere tanzten einen Jig zu den kratzigen Tönen einer Fiedel, die Frauen schrien ihren Kindern zu, sie sollten nicht zu nah an die Reling gehen, und eine Gruppe betete laut und klagend um Errettung von den Gefahren der See. Und das Schiff selbst knirschte, stöhnte und knackte im Rhythmus der Wellen.
Georgina rümpfte die Nase. Die Gerüche waren ebenso erstaunlich wie die Geräusche. Teer und Tau, faulendes Holz, Hühnerdung, alter Fisch, ungewaschene Menschen, schmutziges Wasser in den Speigatten, Lebensmittel aller Art, der Geruch von Kochtöpfen über den Herdfeuern und natürlich das schlammige Hafenwasser, in dem das Schiff schwankte.
»Komm, Georgina!«, rief ihr Onkel, und sie ging zurück zu ihm und der Tante, um sich die Kabinen zeigen zu lassen.
Ihre Einzelkabine war nicht schlimmer als erwartet. Sie war etwas weniger als zwei auf zwei Meter groß und hatte ein Bullauge, durch das der kalte Wind blies. Nebenan lag die Kabine ihrer Tante und ihres Onkels. Sie war drei mal zwei Meter groß, die beste Kabine an Bord. Durch das schöne, quadratische Fenster am Bug überblickte man den Hafen.
Jimmy Cole stellte sich als Schiffsjunge und Kabinenboy vor und half dem Steward, ihre Sachen zu verstauen. Der Schrankkoffer wurde mit Klampen sicher am Boden befestigt, und lose Gegenstände wurden mit starken Tauen an den Seitenwänden festgebunden. »Hältst du meinen Koffer für ein wildes Tier, Jimmy?«, lachte Georgina. »Glaubst du, er springt mich an, sobald ich ihm den Rücken zukehre?«
»Na ja, Madam, ich war noch nicht auf See, aber ich mache, was man mir sagt. Und es heißt, es kann schrecklich raue See geben.«
»Wenn du hier fertig bist, habe ich kaum noch Platz, um mich anzuziehen«, sagte sie.
»Dann sollten sie mal ins Zwischendeck gucken, ist ja nur ein paar Zentimeter unter ihnen. Da sind hundertfünfzig Seelen zusammengepfercht wie Tiere. Kein Platz zum Stehen oder Anziehen, kein bisschen Platz für einen selbst, nur ein oder zwei Fuß breit zum Schlafen auf der Pritsche, und die Kinder auch noch dazwischen …« Er schwieg abrupt, als ihn der Steward mahnend ansah.
»Nun ja, jeder hat wohl sein Schicksal zu tragen.« Georgina zuckte mit den Schultern.
Von oben waren Gesang und das Rattern von Ketten zu hören. Ein Seemannslied.
Sie spürte, dass sich das Schiff anders bewegte, und hörte Jubeln und Gerenne über sich.
»Was ist jetzt los?«
»Ich würde sagen, wir sind unterwegs, Madam.«
»Dann muss ich rauf«, erwiderte Georgina, strich sich das blonde Haar zurück und setzte sich die Haube wieder auf. Sie wartete auf ihren Onkel und ihre Tante, und dann gingen sie durch den Mittelgang, vorbei an den Kabinen des Kapitäns, des Schiffsarztes und der anderen Passagiere und durch die Messe. Der Salon war gut eingerichtet, mit echten Teppichen, damast-bezogenen Stühlen und Tischen mit Einlegearbeiten. Sie würden also den gewohnten Komfort nicht vollkommen entbehren müssen.
Die Passagiere standen dicht gedrängt an der Reling. Einige jubelten und winkten, andere weinten oder riefen letzte Abschiedsgrüße hinüber ans Land. Und einige warfen einen ernsten, vielleicht letzten Blick auf das gute alte England.
Georgina konnte ihre Aufregung kaum bezähmen. Endlich ging es los! Nicht mehr lange, dann würde sie ihren Verlobten in die Arme schließen, heiraten, die Trauer hinter sich lassen und die Freuden des Ehelebens genießen. Sie würde frei sein, würde ihren eigenen Hausstand und Dienstboten haben, mit gut aussehenden Männern flirten, wie es nur verheiratete Frauen tun durften, sie würde die angenehmen Zeitvertreibe der oberen Klassen genießen, Bälle, Besuche, Partys, Jagden … Und das aufregende neue Land! Was für ein Leben!
Jetzt hatte sie Zeit, die anderen Kabinenpassagiere zu beobachten, die auf dem Deck spazieren gingen. Ein junges Paar, beide mit braunen Haaren und sanften, großen braunen Augen – offenbar Bruder und Schwester. Er hielt die Hand seiner Schwester und murmelte ihr tröstende Worte zu. Georgina grüßte lächelnd; Onkel Hugh stellte sich vor.
»Richard Cambray«, erwiderte der junge Mann, schüttelte Onkel Hugh die Hand und verbeugte sich dann respektvoll vor Tante Mary. Dann nahm er Georginas Hand. »Sehr erfreut«, sagte er. Georgina bemerkte, dass er sie eindringlich ansah. Eine neue Eroberung wartete auf sie …
»Und das ist meine Schwester, Miss Gemma Cambray«, sagte Richard ruhig.
Seine Schwester nickte Georgina kühl zu und zog Richards Arm enger an sich. Es schien Georgina, als wollte sie ihn vor der Bedrohung durch eine attraktive, selbstbewusste Frau beschützen.
Ihre Verwandten tauschten noch ein paar Höflichkeiten aus, während Georgina die anderen Passagiere auf dem Hüttendeck beobachtete. Ihr Blick blieb an einem großen, dunklen Mann hängen, der sich das Haar mit Öl zurückgekämmt hatte. Alles an ihm sah wie geschliffen aus, vom Scheitel bis zur Sohle. Seinen Zylinder hielt er in der Hand. Sein Mantel war von feinster Qualität, und seine breiten Schultern schienen keine Polster nötig zu haben. Sie hörte, wie sie heftig einatmete. Das war ein Mann, der ihr auf Anhieb gefiel! Er wandte sich ihr zu, als spürte er ihren Blick, und bevor sie die Augen niederschlagen konnte, hatte er fast unmerklich eine Braue hochgezogen, und sie sah ein Funkeln in seinen Augen. Ein Schauer der Vorfreude lief ihr über den Rücken.
Als sie wieder hochsah, erwartete sie, dass er den Blick abgewandt hätte, aber weit gefehlt, er starrte sie immer noch an. Sein voller Mund verzog sich zu einem langsamen, fast zynischen Lächeln. Er wusste, dass sie ihn anziehend fand.
Sie hob ihr Kinn ein wenig und sah weg, als würden sie all die Schiffe und kleinen Fischerboote um sie herum viel mehr interessieren. Bald darauf beeilten sich einige Passagiere, dem Lotsen letzte Briefe zu übergeben, und für eine Weile vergaß sie den Mann. Der Lotse ging von Bord und ruderte mit seinem kleinen Boot davon. Wenig später hatten sie den Kanal hinter sich gelassen. Ein letzter Ton des Nebelhorns, und sie waren allein.
»Volle Kraft voraus!«, brüllte ein Mann mit heftigem schottischem Akzent: der Kapitän, wie Georgina vermutete. Er sah aus wie aus alten Geschichten. Klein, rundlich, mit vielen Falten im Gesicht und einem Schnurrbart. Haare und Bart waren grau; früher war er wohl rothaarig gewesen. Seine tief liegenden Augen wurden von buschigen Brauen überschattet.
»Aye, aye, Sir!«, rief der gut aussehende Maat zurück.
»Segel runter!«
Der Befehl wurde wiederholt, die Seeleute rannten los, dass die weiten Hosen flatterten.
»Die gehorchen aufs Wort!«, murmelte Georgina ihrem Onkel zu.
»Das will ich hoffen. Wenn einer aufmuckt, wird er ohne Pardon ausgepeitscht. Und wenn mehr als einer aufmuckt, ist es eine Meuterei. Wenn sie damit Erfolg haben, ist es Piraterie, und wenn nicht, ist es ihr sicheres Ende. Gehorchen müssen sie, auf einem Schiff gibt es keine Diskussionen.«
»Großsegel hoch!«, befahl der Maat.
Die Masse aus Tuch, Tauen und Blöcken krachte, ratterte und flatterte nach oben, während die Seeleute bei jedem Zug brüllten. Das Schiff drehte sich langsam in den Wind und nahm Fahrt auf.
Die Passagiere stießen drei mächtige Jubelrufe aus, und Georgina spürte, wie ihr die Tränen in die Augen schossen.
»Romantisch, nicht wahr, Miss Stapleton?«, sagte Richard Cambray zu ihr.
»Unbedingt, Mr Cambray.«
Nur die Seeleute blieben scheinbar ungerührt.
»Aber, aber, meine Liebe, sie ist doch erst neunzehn! Zu jung, um ihr halbes Leben in Trauer zu verbringen«, unterbrach Onkel Hugh vorsichtig. Er widersprach seiner Frau nur selten.
Sie waren sich in all den Jahren immer ähnlicher geworden – ein wenig mollig, stahlgraues Haar, Doppelkinn und ein wenig pompöses Auftreten. Und sie schienen sich fast immer einig zu sein. Nur jetzt, in Bezug auf Georgina, waren sie unterschiedlicher Meinung.
»Nein, und der liebe Papa hätte das auch gar nicht gewollt«, fügte Georgina hinzu. »Er glaubte an ein Leben in Fülle, er wollte aus jeder Gelegenheit so viel Vergnügen ziehen wie möglich. Er wäre entsetzt, wenn er mich ewig in langweiligen Farben sehen müsste, die mir nicht stehen.«
Das Gespräch wurde unterbrochen, als eine Stimme von oben sie aufforderte, an Bord zu gehen.
»Vorsichtig, haltet euch gut fest«, warnte ihre Tante, aber Georgina hörte nicht zu. Sie zog ihre Handschuhe aus.
Ihre Blicke waren fest auf ihren Onkel geheftet, der jetzt die Treppe hinaufging. Auf beiden Seiten waren dicke Taue als Handlauf gespannt.
Als er oben angekommen war, griff sie nach den Tauen. Sie hatte schon lange kein echtes Abenteuer mehr erlebt, und sie würde den Überlegungen ihrer Tante nicht einen Augenblick folgen.
Der Aufstieg war furchterregend und schwierig genug, um ein wilder Genuss zu sein.
Als sie oben ankam, packte sie jemand fest am Arm. Ein Blick sagte ihr, dass es nicht ihr Onkel war. Es war eine starke, autoritäre Hand und ein muskulöser, sonnengebräunter Unterarm mit vielen feinen goldenen Härchen, die in der blassen Wintersonne funkelten.
Sie blickte auf und sah in ein Paar blaue Augen, allerdings nicht dunkelblau wie die ihren, sondern himmelblau, wie von der Sonne und dem Meer über viele Jahre gebleicht. Ein gut aussehendes Gesicht kam ihr entgegen, das Gesicht eines Mannes, der viel Zeit unter freiem Himmel verbrachte. Die Sonne hatte die hohen Wangenknochen und das feste Kinn goldbraun gefärbt, als würde Wikingerblut in seinen Adern fließen. Das blonde, ebenfalls von der Sonne gebleichte Haar war ein wenig zerzaust und kräuselte sich unter dem Rand der Offiziersmütze.
»Nur weiter, Miss. Klettern Sie auf die Reling, ich helfe Ihnen«, sagte der Mann.
Er hielt ihren Blick fest, als sie seinen Worten folgte. Dann umfassten seine Hände ihre Taille, als sie leichtfüßig aufs Deck sprang.
Sie sah zu ihm auf, heftig atmend vor Aufregung. Sie war größer als die meisten anderen Frauen, aber er überragte sie bei Weitem. Seine Größe und die breiten Schultern verliehen ihm eine entschiedene Autorität, die sie – gemeinsam mit seiner schicken, makellosen Uniform – auf den Gedanken brachten, es müsse sich um den Kapitän handeln.
»Willkommen an Bord, Miss Stapleton«, sagte er.
»Vielen Dank, Herr Kapitän.«
»Miles Bennett, Erster Maat, Madam«, sagte er und lächelte verlegen. »Kapitän werde ich vielleicht auf der nächsten Reise sein, die ich mache, wenn alles gut geht. Der Kapitän kann sie selbst nicht in Empfang nehmen, da er noch an Land ist und letzte Besorgungen macht. Er kommt immer als Letzter an Bord. Ich habe während seiner Abwesenheit den Befehl über das Schiff.«
Er warf einen Blick über die Schulter. »Jimmy Cole!«, rief er einem jungen Kerl auf dem Hauptdeck zu.
Jimmy kam angerannt. »Aye, aye, Sir!« Seine großen grünen Augen funkelten vor Aufregung, und sein Lächeln erstreckte sich von einem Ohr zum anderen und entblößte einige Zahnlücken. Die Ohren selbst standen ab wie die Segel eines Schiffs. Georgina bemühte sich, ernst zu bleiben, während sie sich vorstellte, wie der Wind in seine Ohren griff und ihn übers Deck trieb. Er war jung, begeistert und wollte alles richtig machen.
»Du kannst Miss Stapleton und Mr und Mrs Clendenning den Weg zu ihren Kabinen zeigen, wenn dort alles bereit ist. Sorg dafür, dass sie sich dort gut einrichten.«
»Aye, aye, Sir.«
»Georgina?« Die Stimme ihres Onkels.
Sie riss sich vom Anblick des Ersten Maats los und drehte sich zu ihrem Onkel um, der besorgt über die Reling hinunter zu dem Ruderboot spähte.
»Bleib noch einen Moment hier, solange wir auf deine Tante warten«, sagte er. eorgina klatschte in die Hände und sah sich um. »Wie aufregend! Ich war noch nie auf einem Schiff. Ich freue mich so auf die Fahrt«, sagte sie zu dem Ersten Maat.
»Ich wünschte, alle unsere Passagiere würden es so sehen. Das würde die Reise für alle Beteiligten viel angenehmer machen«, erwiderte der Maat trocken. »Entschuldigen Sie mich, Madam.« Er entfernte sich und rief den Seeleuten in der Nähe einige Befehle zu.
Georgina, die ihre Tante bei ihrem Onkel in guten Händen wusste, spazierte über das Hüttendeck und beobachtete das geschäftige Treiben. Die Seeleute liefen in alle Richtungen, bereiteten das Schiff aufs Ablegen vor und schimpften leise vor sich hin, wenn die Passagiere sie störten.
Auf dem Hauptdeck zweieinhalb Meter unter ihr waren verschiedene Passagiere aus dem Zwischendeck zu sehen: junge Männer, die in kleinen Gruppen herumlungerten, mit aufgeregten Blicken und immer auf der Suche nach einem Spaß. Verhärmte Frauen mit verschwollenen Augen und mit Säuglingen auf dem Arm, die ihre Kinder beobachteten, die über Taue und Gepäckstücke tollten. Die verheirateten Männer waren ernst und dunkel gekleidet; sie dachten wohl an die fünfmonatige Reise, die vor ihnen lag. Krumme alte Männer und Frauen saßen an windgeschützten Plätzen, so alt, dass sich Georgina fragte, warum sie noch einmal von vorn anfangen wollten. Manche Leute lasen, spielten, schrieben, nähten oder strickten. Einige aßen, rauchten oder saßen einfach da und taten gar nichts. Die Kleidung verriet Menschen aus jeder Schicht und aus jeder Gegend des Vereinigten Königreichs von Großbritannien und Irland, von den mondänen Straßen der Stadt London bis zu den letzten Winkeln Schottlands.
Es herrschte ein unbeschreiblicher Lärm. Befehle wurden gebrüllt, die Seeleute sangen und fluchten, Glocken läuteten, Ketten rasselten, Babys schrien, über ihnen kreischten die Möwen, Schweine quiekten, einige Passagiere tanzten einen Jig zu den kratzigen Tönen einer Fiedel, die Frauen schrien ihren Kindern zu, sie sollten nicht zu nah an die Reling gehen, und eine Gruppe betete laut und klagend um Errettung von den Gefahren der See. Und das Schiff selbst knirschte, stöhnte und knackte im Rhythmus der Wellen.
Georgina rümpfte die Nase. Die Gerüche waren ebenso erstaunlich wie die Geräusche. Teer und Tau, faulendes Holz, Hühnerdung, alter Fisch, ungewaschene Menschen, schmutziges Wasser in den Speigatten, Lebensmittel aller Art, der Geruch von Kochtöpfen über den Herdfeuern und natürlich das schlammige Hafenwasser, in dem das Schiff schwankte.
»Komm, Georgina!«, rief ihr Onkel, und sie ging zurück zu ihm und der Tante, um sich die Kabinen zeigen zu lassen.
Ihre Einzelkabine war nicht schlimmer als erwartet. Sie war etwas weniger als zwei auf zwei Meter groß und hatte ein Bullauge, durch das der kalte Wind blies. Nebenan lag die Kabine ihrer Tante und ihres Onkels. Sie war drei mal zwei Meter groß, die beste Kabine an Bord. Durch das schöne, quadratische Fenster am Bug überblickte man den Hafen.
Jimmy Cole stellte sich als Schiffsjunge und Kabinenboy vor und half dem Steward, ihre Sachen zu verstauen. Der Schrankkoffer wurde mit Klampen sicher am Boden befestigt, und lose Gegenstände wurden mit starken Tauen an den Seitenwänden festgebunden. »Hältst du meinen Koffer für ein wildes Tier, Jimmy?«, lachte Georgina. »Glaubst du, er springt mich an, sobald ich ihm den Rücken zukehre?«
»Na ja, Madam, ich war noch nicht auf See, aber ich mache, was man mir sagt. Und es heißt, es kann schrecklich raue See geben.«
»Wenn du hier fertig bist, habe ich kaum noch Platz, um mich anzuziehen«, sagte sie.
»Dann sollten sie mal ins Zwischendeck gucken, ist ja nur ein paar Zentimeter unter ihnen. Da sind hundertfünfzig Seelen zusammengepfercht wie Tiere. Kein Platz zum Stehen oder Anziehen, kein bisschen Platz für einen selbst, nur ein oder zwei Fuß breit zum Schlafen auf der Pritsche, und die Kinder auch noch dazwischen …« Er schwieg abrupt, als ihn der Steward mahnend ansah.
»Nun ja, jeder hat wohl sein Schicksal zu tragen.« Georgina zuckte mit den Schultern.
Von oben waren Gesang und das Rattern von Ketten zu hören. Ein Seemannslied.
Sie spürte, dass sich das Schiff anders bewegte, und hörte Jubeln und Gerenne über sich.
»Was ist jetzt los?«
»Ich würde sagen, wir sind unterwegs, Madam.«
»Dann muss ich rauf«, erwiderte Georgina, strich sich das blonde Haar zurück und setzte sich die Haube wieder auf. Sie wartete auf ihren Onkel und ihre Tante, und dann gingen sie durch den Mittelgang, vorbei an den Kabinen des Kapitäns, des Schiffsarztes und der anderen Passagiere und durch die Messe. Der Salon war gut eingerichtet, mit echten Teppichen, damast-bezogenen Stühlen und Tischen mit Einlegearbeiten. Sie würden also den gewohnten Komfort nicht vollkommen entbehren müssen.
Die Passagiere standen dicht gedrängt an der Reling. Einige jubelten und winkten, andere weinten oder riefen letzte Abschiedsgrüße hinüber ans Land. Und einige warfen einen ernsten, vielleicht letzten Blick auf das gute alte England.
Georgina konnte ihre Aufregung kaum bezähmen. Endlich ging es los! Nicht mehr lange, dann würde sie ihren Verlobten in die Arme schließen, heiraten, die Trauer hinter sich lassen und die Freuden des Ehelebens genießen. Sie würde frei sein, würde ihren eigenen Hausstand und Dienstboten haben, mit gut aussehenden Männern flirten, wie es nur verheiratete Frauen tun durften, sie würde die angenehmen Zeitvertreibe der oberen Klassen genießen, Bälle, Besuche, Partys, Jagden … Und das aufregende neue Land! Was für ein Leben!
Jetzt hatte sie Zeit, die anderen Kabinenpassagiere zu beobachten, die auf dem Deck spazieren gingen. Ein junges Paar, beide mit braunen Haaren und sanften, großen braunen Augen – offenbar Bruder und Schwester. Er hielt die Hand seiner Schwester und murmelte ihr tröstende Worte zu. Georgina grüßte lächelnd; Onkel Hugh stellte sich vor.
»Richard Cambray«, erwiderte der junge Mann, schüttelte Onkel Hugh die Hand und verbeugte sich dann respektvoll vor Tante Mary. Dann nahm er Georginas Hand. »Sehr erfreut«, sagte er. Georgina bemerkte, dass er sie eindringlich ansah. Eine neue Eroberung wartete auf sie …
»Und das ist meine Schwester, Miss Gemma Cambray«, sagte Richard ruhig.
Seine Schwester nickte Georgina kühl zu und zog Richards Arm enger an sich. Es schien Georgina, als wollte sie ihn vor der Bedrohung durch eine attraktive, selbstbewusste Frau beschützen.
Ihre Verwandten tauschten noch ein paar Höflichkeiten aus, während Georgina die anderen Passagiere auf dem Hüttendeck beobachtete. Ihr Blick blieb an einem großen, dunklen Mann hängen, der sich das Haar mit Öl zurückgekämmt hatte. Alles an ihm sah wie geschliffen aus, vom Scheitel bis zur Sohle. Seinen Zylinder hielt er in der Hand. Sein Mantel war von feinster Qualität, und seine breiten Schultern schienen keine Polster nötig zu haben. Sie hörte, wie sie heftig einatmete. Das war ein Mann, der ihr auf Anhieb gefiel! Er wandte sich ihr zu, als spürte er ihren Blick, und bevor sie die Augen niederschlagen konnte, hatte er fast unmerklich eine Braue hochgezogen, und sie sah ein Funkeln in seinen Augen. Ein Schauer der Vorfreude lief ihr über den Rücken.
Als sie wieder hochsah, erwartete sie, dass er den Blick abgewandt hätte, aber weit gefehlt, er starrte sie immer noch an. Sein voller Mund verzog sich zu einem langsamen, fast zynischen Lächeln. Er wusste, dass sie ihn anziehend fand.
Sie hob ihr Kinn ein wenig und sah weg, als würden sie all die Schiffe und kleinen Fischerboote um sie herum viel mehr interessieren. Bald darauf beeilten sich einige Passagiere, dem Lotsen letzte Briefe zu übergeben, und für eine Weile vergaß sie den Mann. Der Lotse ging von Bord und ruderte mit seinem kleinen Boot davon. Wenig später hatten sie den Kanal hinter sich gelassen. Ein letzter Ton des Nebelhorns, und sie waren allein.
»Volle Kraft voraus!«, brüllte ein Mann mit heftigem schottischem Akzent: der Kapitän, wie Georgina vermutete. Er sah aus wie aus alten Geschichten. Klein, rundlich, mit vielen Falten im Gesicht und einem Schnurrbart. Haare und Bart waren grau; früher war er wohl rothaarig gewesen. Seine tief liegenden Augen wurden von buschigen Brauen überschattet.
»Aye, aye, Sir!«, rief der gut aussehende Maat zurück.
»Segel runter!«
Der Befehl wurde wiederholt, die Seeleute rannten los, dass die weiten Hosen flatterten.
»Die gehorchen aufs Wort!«, murmelte Georgina ihrem Onkel zu.
»Das will ich hoffen. Wenn einer aufmuckt, wird er ohne Pardon ausgepeitscht. Und wenn mehr als einer aufmuckt, ist es eine Meuterei. Wenn sie damit Erfolg haben, ist es Piraterie, und wenn nicht, ist es ihr sicheres Ende. Gehorchen müssen sie, auf einem Schiff gibt es keine Diskussionen.«
»Großsegel hoch!«, befahl der Maat.
Die Masse aus Tuch, Tauen und Blöcken krachte, ratterte und flatterte nach oben, während die Seeleute bei jedem Zug brüllten. Das Schiff drehte sich langsam in den Wind und nahm Fahrt auf.
Die Passagiere stießen drei mächtige Jubelrufe aus, und Georgina spürte, wie ihr die Tränen in die Augen schossen.
»Romantisch, nicht wahr, Miss Stapleton?«, sagte Richard Cambray zu ihr.
»Unbedingt, Mr Cambray.«
Nur die Seeleute blieben scheinbar ungerührt.
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Autoren-Porträt von Ann Clancy
Ann Clancy ist Australierin mit irischen Wurzeln. Ihre Kindheit verbrachte sie in Papua-Neuginea, und sie hat die ganze Welt bereist, bevor sie beschloss, das Schreiben zu ihrem Beruf zu machen. Abenteuerliche Geschichten von starken, unabhängigen Frauen liegt ihr besonders am Herzen. Heute lebt sie mit ihrer Familie in Adelaide im Süden Australien.
Bibliographische Angaben
- Autor: Ann Clancy
- 2013, 333 Seiten, Deutsch
- Verlag: Weltbild Deutschland
- ISBN-10: 3863658205
- ISBN-13: 9783863658205
- Erscheinungsdatum: 16.12.2013
Abhängig von Bildschirmgröße und eingestellter Schriftgröße kann die Seitenzahl auf Ihrem Lesegerät variieren.
eBook Informationen
- Dateiformat: ePub
- Größe: 1.37 MB
- Mit Kopierschutz
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