Ziemlich beste Freundinnen / Ullstein eBooks (ePub)
Roman | Ein Wohlfühlroman, der mitten ins Herz trifft
Konstanze ist die wandelnde Perfektion: Die Herzchirurgin, Ehefrau und Mutter hat ihre Familie, ihren Alltag, ihr Bindegewebe, den OP-Plan und sogar das Unkraut im Garten fest im Griff. Die viel zu hell blondierte Glitzernudel Jacqueline dagegen...
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Produktinformationen zu „Ziemlich beste Freundinnen / Ullstein eBooks (ePub)“
Konstanze ist die wandelnde Perfektion: Die Herzchirurgin, Ehefrau und Mutter hat ihre Familie, ihren Alltag, ihr Bindegewebe, den OP-Plan und sogar das Unkraut im Garten fest im Griff. Die viel zu hell blondierte Glitzernudel Jacqueline dagegen improvisiert sich mehr schlecht als recht durch ihr Leben zwischen vier Minijobs und drei Kindern. Ausgerechnet diese beiden Frauen werden Zimmergenossinnen in der orthopädischen Rehaklinik. Eine explosive Mischung in körperlicher Ruhelage. Während die Knochen heilen, verändert sich in Zimmer 233 alles.
Lese-Probe zu „Ziemlich beste Freundinnen / Ullstein eBooks (ePub)“
Ziemlich beste Freundinnen von Astrid Ruppert1
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Konstanze eilte im Laufschritt über die Station. Konstanze eilte immer im Laufschritt irgendwohin, weil sich all das, was sie an einem Tag zu bewältigen hatte, nur im Laufschritt bewältigen ließ. Wenn ihre Beine am OP-Tisch stillstanden, übernahmen ihre Hände das Tempo und hantierten virtuos und präzise mit dem Chirurgenbesteck. Innehalten konnte Konstanze nur, wenn sie schlief. Doch selbst dann flatterten ihre unruhigen Lider, während sie durch ihre Träume jagte. Der Laufschritt war ihre Art, sich durch die Welt zu bewegen. Und schneller als die Beine liefen Konstanzes Gedanken auf ihrer inneren, sich ständig erweiternden To-do-Liste immer schon ein paar Punkte voraus, stets bedacht, einen guten Vorsprung zu behalten. Man konnte nie wissen, wofür es gut war. Vorsprung konnte nie schaden. So überholten ihre Gedanken auch jetzt ihre Beine, schnell zum Stationszimmer zur Übergabe, an die zwei Akten denken, Kügler und Lehmann, oder hieß der doch Lohmann?, beide nach Hause mitnehmen, um abends noch die Arztbriefe zu diktieren, auf dem Heimweg Malte und seine zwei Freunde am Fußballplatz abholen, die zwei Freunde nach Hause bringen, unbedingt ans Tanken denken, unbedingt, dann Abendessen einkaufen - das Ende des Flurs war erreicht -, jetzt schnell die Treppe hoch, wenigstens war das gut für die Pomuskeln, ein Fitnessstudio hatte sie schon lange nicht mehr von innen gesehen, wann auch!? Die Rechenhefte für Lotte durfte sie nicht vergessen, und sie brauchte dringend neue Klingen für den Nassrasierer, sie konnte ja schon gar keine Röcke mehr - Hallo, Kollege Lammel! -, sie versuchte freundlich zu lächeln, obwohl der arrogante Fatzke ihr gerade vorhin bei der Visite in die Parade gefahren war, Blödmann, dieser Lammel, den hatte sie noch nie leiden können, ach ja, und die Zutaten für den Kuchen fürs Schulfest. Den Teig könnte sie nach dem Essen anrühren und den Kuchen in den Ofen schieben, bevor sie die Arztbriefe diktierte, und wenn sie sich richtig ranhielt, waren Kuchen und Briefe gleichzeitig fertig, und sie könnte mit Philipp noch ein Glas Wein trinken. Das musste auch mal wieder sein. Sie hatten nie Zeit füreinander. In einer Ehe, in der beide Vollzeit arbeiteten und eine Familie mit zwei Kindern zu managen war, war es wichtig, ab und an wenigstens ein bisschen Quality Time zusammen zu verbringen, den Begriff hatte sie letztens gelesen. Es musste nicht viel Zeit sein, hatte der Autor geschrieben, aber Qualität sollte sie haben. Das kam ihr total entgegen: Zeit hatten sie sowieso nie. Von viel Zeit mal ganz zu schweigen. Wenn man Beruf und Familie erfolgreich miteinander vereinbaren wollte, musste man eben Vollgas geben. Immer. Dann war alles möglich. Käsekuchen oder Muffins, überlegte sie, während ihre energischen Schritte den Gang entlanghallten. Muffins mochten die Kinder, Käsekuchen die Mütter, oder doch etwas mit Obst? Mist, wo war denn ihr Stethoskop? Wo hatte sie es zuletzt ... ah, wie dumm, unten im Stationszimmer, ja, da hatte sie es liegen lassen, und der Patient hieß doch Lehmann, den hatte sie nämlich vorhin noch damit abgehört. Sie sah das Stethoskop förmlich vor sich, und dieser blöde Spruch ihrer Mutter sprang ihr in den Sinn, was man nicht im Kopf hat ... Sie machte mit Schwung auf dem Absatz kehrt, das musste man eben in den Beinen haben, haha, hetzte die Treppe wieder hinunter, und dann ...
... wusste sie eigentlich gar nicht, wieso sie auf dem Rücken lag, über sich ein helles Licht, so hell, dass sie gleich wieder die Augen schloss. »Frau Keller-Stein?«, sagte eine Stimme, und sie schlug die Augen probeweise wieder auf und sah genau in das Gesicht von diesem blöden Lammel. Ausgerechnet der schon wieder. Und was faselte der da?
»Sie ist wach!« Natürlich war sie wach, was denn sonst! »Frau Keller-Stein, Sie hatten einen Unfall mit einem komplizierten Beinbruch, Weber C, wir müssen gleich operieren.«
War das über ihr eine Behandlungslampe? Dieses Ding war ja völlig falsch eingestellt, eigentlich sollten die Lampen nicht blenden, sie musste gleich Bescheid sagen, damit sich jemand darum kümmerte. Weber C? Hatte Lammel eben Weber C gesagt? Sie wusste, was das war, aber Mist, sie kam grade nicht drauf, und bevor sie den Mund öffnen konnte, was ihr irgendwie sehr schwerfiel, schob sich Philipps Gesicht vor die Lampe, und sie hörte endlich auf zu blenden. Er beugte sich zu ihr und lächelte sie auf so eine bestimmte, besorgte Art an, die ihn viel jünger aussehen ließ als sonst, ein Lächeln wie damals, als sie Lotte mit einem Kaiserschnitt holen mussten. Dabei war sie doch gar nicht schwanger? Und dann fielen ihr die Augen wieder zu.
»Du hättest dir den Hals brechen können.« Philipp saß später, nachdem die Operation gut verlaufen und Konstanze wieder völlig wach war, an ihrem Bett, drückte ihre Hand und schüttelte besorgt den Kopf. »Ich möchte gar nicht darüber nachdenken. Nur zwei Schritte weiter, und es hätte nicht nur deine Beine erwischt. Du hattest wieder ein Tempo drauf ...«
»Das Krankenhaus ist schließlich kein Ort zum Lustwandeln.«
»Die Treppe musst du dich aber auch nicht gleich runterstürzen.«
»Glaub mir, das war keine Absicht.« Konstanze sah Philipp ungnädig an. Mühsam versuchte sie, trotz des schmerzenden Beines ihre Position zu ändern. Irgendwie tat ihr alles weh, und gleichzeitig fühlte sich alles so fremd und wattig an. Sie biss die Zähne zusammen und versuchte, ihr Gewicht zu verlagern. Doch das half auch nicht wirklich.
Unglaublich, dass das ausgerechnet ihr passieren musste. Als Ärztin im eigenen Krankenhaus die Treppe runterstürzen und sich weiß Gott was brechen. Das waren die Geschichten, die bei jeder Weihnachtsfeier von neuem erzählt wurden und von Jahr zu Jahr lustiger wurden. Sie hegte weder die Absicht, hier die Patientin zu geben, noch stand sie gerne im komischen Zentrum solcher Geschichten, die mit ›Wisst ihr noch, als die Keller-Stein die Treppe runtergeflogen ist‹ anfingen. »Nicht Weber A, nicht Weber B, nein Weber C! Haha. Die macht's nicht unter hochkompliziert ...« Die Rolle als Opfer hatte in dem Rollenrepertoire von Konstanzes Leben nicht vorzukommen. Hilflosigkeit war etwas, das sie - wenn sie ehrlich war - verachtete. Sie war eine Frau der Tat. Immer gewesen.
»Lammel hat gesagt, dass alles gutgegangen ist.«
»Dass ausgerechnet der an meine Beine musste. Der freut sich doch, dass ich hier liege, dieser Kleingeist. Bestimmt hat er mich zum Krüppel gemacht.«
»Du weißt genau, dass Lammel der Beste ist. Sei froh, dass er dich operiert hat.«
»Hören Sie ruhig auf Ihren Mann.« Natürlich war es die Stimme von Lammel, der gerade das Krankenzimmer betrat. »Es wäre schädlich für meinen Ruf, wenn ich eine Kollegin zum Krüppel machen würde, gehen Sie davon aus, dass ich alles tun werde, um meinen Ruf zu wahren.«
Konstanze verdrehte die Augen. »Warum hast du mir kein Zeichen gegeben?«, raunzte sie Philipp an. »Ich entwickle mich noch zum Stationsliebling.«
Philipp seufzte. Seine Frau war eine großartige Ärztin, er vermutete, dass sie im OP besser war als er, besser sogar als die meisten hier, aber auf der Kandidatenliste für den Posten des Stationslieblings stand sie - wenn überhaupt - ohnehin ganz hinten an. Lammel würde sie mit oder ohne diese Bemerkung niemals zum Liebling küren, und alle anderen Kollegen auch nicht. Dafür sorgten schon Konstanzes regelmäßige Vorträge darüber, was man ihrer Meinung nach hätte besser machen können. Und das war meist eine Menge. »Effizienz « war eines ihrer Lieblingswörter. In Konstanzes Abteilung konnte es schon keiner mehr hören.
»Und wie ist Ihre Prognose? Wie lange liege ich hier? Wie lange darf ich das Bein nicht belasten? Wie geht es weiter?«
»Da wir auf Ihre begnadeten Hände in diesem Haus nicht verzichten wollen ...«
»Darf ich Sie darauf aufmerksam machen, dass hier alles auf einen Beinbruch hindeutet und nicht auf einen Handbruch?«, unterbrach Konstanze ihn ungehalten.
»Das ist mir keineswegs entgangen.« Lammel nickte geduldig. »Aber da Sie weiterhin mehrstündige OPs durchstehen wollen, im wahrsten Sinne des Wortes, ist in Ihrem Fall besonders strenge Reha angesagt. Wir beobachten den Heilungsprozess und gehen erst einmal von ungefähr sechs Wochen ohne jegliche Belastung aus, dann sehen wir weiter.«
Konstanze begriff sofort den Ernst der Lage und sah Lammel direkt an: »Sechs Wochen? Null Belastung? Also Krücken. Und dann?«
Lammel nickte ernst. »Sehr langsame Wiederbelastung, sehr langsame Wiedereingliederung. Ohne konsequente Schonung wird Ihr Bein nie wieder so belastbar wie vorher.«
»Und mit konsequenter Schonung?« Konstanze sah ihn stirnrunzelnd an. »Ehrlich. Bitte«, setzte sie nach, als er für ihr Gefühl einen kleinen Moment zu lange mit der Antwort zögerte. Lammel legte den Kopf schief »Stehen die Chancen gar nicht so schlecht.«
Konstanze schloss die Augen. Gar nicht so schlecht. Das war eine richtig miese Nachricht in vier kleinen harmlosen Wörtern.
»Es wird leider langwierig. Und wir wissen zu diesem Zeitpunkt noch nicht, was Ihr Sprunggelenk letztlich abbekommen hat. Kann sein, dass das nicht die letzte OP war. Und Sie wissen um die Entzündungsgefahr.«
Das war unmöglich. Komplett unmöglich. Das ging einfach nicht. Das war ein Witz! Aber irgendwie war das alles nicht witzig. Ganz im Gegenteil. Sie spürte, wie ein Kloß dort wuchs, wo eigentlich ihre Luftröhre saß. Nein. Bitte nicht. Nur jetzt nicht schluchzen. Nicht hier. Nicht vor einem Kollegen in Tränen ausbrechen. Kein Mitleid. Um Gottes willen, alles nur das nicht. Sie atmete konzentriert flach weiter, und es gelang ihr, die Tränen zurückzudrängen.
»Und wie soll das funktionieren?«, fragte sie Philipp, als sie wieder allein waren und sich der Kloß in ihrem Hals zumindest für den Moment halbwegs aufgelöst hatte. »Hier. Und zu Hause. Die Kinder ... was ist eigentlich mit den Kindern ...? Oh je. Und der Kuchen, ach Gott, ich wollte heute noch so viel «
»Konstanze ...«, unterbrach Philipp sie und nahm ihre Hand in seine, um sie zu beruhigen. »Es wird schon irgendwie gehen.«
»Aber du musst ja noch einkaufen, Lotte braucht morgen Rechenhefte. Oh, und die Arztbriefe, wenn du mir die Unterlagen bringst, kann ich ja vielleicht gerade noch ...«
»Die Kinder sind versorgt, alles okay. Und heute wird bestimmt nichts mehr eingekauft. Es ist fast Mitternacht. Wenn wir unbedingt einen Kuchen brauchen, dann wird er gekauft. Und Lotte hat morgen zwar kein Rechenheft, aber eine super Entschuldigung. Ein Notfall in der Familie ...«
»Aber«, versuchte Konstanze zu protestieren, doch Philipp verschloss ihr den Mund mit einem Kuss. »Der Notfall muss versuchen zu schlafen. Du hast eigentlich genug Traumsand bekommen, du solltest schlafen können. Mach dir keine Sorgen, Schatz. Wir kriegen das schon hin. Und ich gehe jetzt nach Hause und schau nach dem Rechten, okay? Morgen früh bin ich wieder da.«
Konstanze schloss seufzend die Augen. Das klang gut, nach dem Rechten sehen klang gut. Und sie war wirklich müde. Sie nickte. »Grüß die Kinder. Du musst aufpassen, dass sie sich keine Sorgen ...«
»Ich mach das schon«, versicherte Philipp. »Du schläfst jetzt, hörst auf, dir Sorgen zu machen, und ich übernehme. Okay?«
Nachdem die Tür hinter Philipp ins Schloss gefallen war, fühlte sich das Zimmer plötzlich sehr leer an, und sie merkte, wie elend ihr zumute war. An ihrer Hand war ein Zugang gelegt worden, durch den eine Infusion aus durchsichtigem Schmerzmittel tröpfchenweise in ihren Kreislauf gelangte. Diese Nadel tat weh. Sie erzählte ihren Patienten immer, dass es nicht weh tat.
Copyright © Ullstein eBooks
Konstanze eilte im Laufschritt über die Station. Konstanze eilte immer im Laufschritt irgendwohin, weil sich all das, was sie an einem Tag zu bewältigen hatte, nur im Laufschritt bewältigen ließ. Wenn ihre Beine am OP-Tisch stillstanden, übernahmen ihre Hände das Tempo und hantierten virtuos und präzise mit dem Chirurgenbesteck. Innehalten konnte Konstanze nur, wenn sie schlief. Doch selbst dann flatterten ihre unruhigen Lider, während sie durch ihre Träume jagte. Der Laufschritt war ihre Art, sich durch die Welt zu bewegen. Und schneller als die Beine liefen Konstanzes Gedanken auf ihrer inneren, sich ständig erweiternden To-do-Liste immer schon ein paar Punkte voraus, stets bedacht, einen guten Vorsprung zu behalten. Man konnte nie wissen, wofür es gut war. Vorsprung konnte nie schaden. So überholten ihre Gedanken auch jetzt ihre Beine, schnell zum Stationszimmer zur Übergabe, an die zwei Akten denken, Kügler und Lehmann, oder hieß der doch Lohmann?, beide nach Hause mitnehmen, um abends noch die Arztbriefe zu diktieren, auf dem Heimweg Malte und seine zwei Freunde am Fußballplatz abholen, die zwei Freunde nach Hause bringen, unbedingt ans Tanken denken, unbedingt, dann Abendessen einkaufen - das Ende des Flurs war erreicht -, jetzt schnell die Treppe hoch, wenigstens war das gut für die Pomuskeln, ein Fitnessstudio hatte sie schon lange nicht mehr von innen gesehen, wann auch!? Die Rechenhefte für Lotte durfte sie nicht vergessen, und sie brauchte dringend neue Klingen für den Nassrasierer, sie konnte ja schon gar keine Röcke mehr - Hallo, Kollege Lammel! -, sie versuchte freundlich zu lächeln, obwohl der arrogante Fatzke ihr gerade vorhin bei der Visite in die Parade gefahren war, Blödmann, dieser Lammel, den hatte sie noch nie leiden können, ach ja, und die Zutaten für den Kuchen fürs Schulfest. Den Teig könnte sie nach dem Essen anrühren und den Kuchen in den Ofen schieben, bevor sie die Arztbriefe diktierte, und wenn sie sich richtig ranhielt, waren Kuchen und Briefe gleichzeitig fertig, und sie könnte mit Philipp noch ein Glas Wein trinken. Das musste auch mal wieder sein. Sie hatten nie Zeit füreinander. In einer Ehe, in der beide Vollzeit arbeiteten und eine Familie mit zwei Kindern zu managen war, war es wichtig, ab und an wenigstens ein bisschen Quality Time zusammen zu verbringen, den Begriff hatte sie letztens gelesen. Es musste nicht viel Zeit sein, hatte der Autor geschrieben, aber Qualität sollte sie haben. Das kam ihr total entgegen: Zeit hatten sie sowieso nie. Von viel Zeit mal ganz zu schweigen. Wenn man Beruf und Familie erfolgreich miteinander vereinbaren wollte, musste man eben Vollgas geben. Immer. Dann war alles möglich. Käsekuchen oder Muffins, überlegte sie, während ihre energischen Schritte den Gang entlanghallten. Muffins mochten die Kinder, Käsekuchen die Mütter, oder doch etwas mit Obst? Mist, wo war denn ihr Stethoskop? Wo hatte sie es zuletzt ... ah, wie dumm, unten im Stationszimmer, ja, da hatte sie es liegen lassen, und der Patient hieß doch Lehmann, den hatte sie nämlich vorhin noch damit abgehört. Sie sah das Stethoskop förmlich vor sich, und dieser blöde Spruch ihrer Mutter sprang ihr in den Sinn, was man nicht im Kopf hat ... Sie machte mit Schwung auf dem Absatz kehrt, das musste man eben in den Beinen haben, haha, hetzte die Treppe wieder hinunter, und dann ...
... wusste sie eigentlich gar nicht, wieso sie auf dem Rücken lag, über sich ein helles Licht, so hell, dass sie gleich wieder die Augen schloss. »Frau Keller-Stein?«, sagte eine Stimme, und sie schlug die Augen probeweise wieder auf und sah genau in das Gesicht von diesem blöden Lammel. Ausgerechnet der schon wieder. Und was faselte der da?
»Sie ist wach!« Natürlich war sie wach, was denn sonst! »Frau Keller-Stein, Sie hatten einen Unfall mit einem komplizierten Beinbruch, Weber C, wir müssen gleich operieren.«
War das über ihr eine Behandlungslampe? Dieses Ding war ja völlig falsch eingestellt, eigentlich sollten die Lampen nicht blenden, sie musste gleich Bescheid sagen, damit sich jemand darum kümmerte. Weber C? Hatte Lammel eben Weber C gesagt? Sie wusste, was das war, aber Mist, sie kam grade nicht drauf, und bevor sie den Mund öffnen konnte, was ihr irgendwie sehr schwerfiel, schob sich Philipps Gesicht vor die Lampe, und sie hörte endlich auf zu blenden. Er beugte sich zu ihr und lächelte sie auf so eine bestimmte, besorgte Art an, die ihn viel jünger aussehen ließ als sonst, ein Lächeln wie damals, als sie Lotte mit einem Kaiserschnitt holen mussten. Dabei war sie doch gar nicht schwanger? Und dann fielen ihr die Augen wieder zu.
»Du hättest dir den Hals brechen können.« Philipp saß später, nachdem die Operation gut verlaufen und Konstanze wieder völlig wach war, an ihrem Bett, drückte ihre Hand und schüttelte besorgt den Kopf. »Ich möchte gar nicht darüber nachdenken. Nur zwei Schritte weiter, und es hätte nicht nur deine Beine erwischt. Du hattest wieder ein Tempo drauf ...«
»Das Krankenhaus ist schließlich kein Ort zum Lustwandeln.«
»Die Treppe musst du dich aber auch nicht gleich runterstürzen.«
»Glaub mir, das war keine Absicht.« Konstanze sah Philipp ungnädig an. Mühsam versuchte sie, trotz des schmerzenden Beines ihre Position zu ändern. Irgendwie tat ihr alles weh, und gleichzeitig fühlte sich alles so fremd und wattig an. Sie biss die Zähne zusammen und versuchte, ihr Gewicht zu verlagern. Doch das half auch nicht wirklich.
Unglaublich, dass das ausgerechnet ihr passieren musste. Als Ärztin im eigenen Krankenhaus die Treppe runterstürzen und sich weiß Gott was brechen. Das waren die Geschichten, die bei jeder Weihnachtsfeier von neuem erzählt wurden und von Jahr zu Jahr lustiger wurden. Sie hegte weder die Absicht, hier die Patientin zu geben, noch stand sie gerne im komischen Zentrum solcher Geschichten, die mit ›Wisst ihr noch, als die Keller-Stein die Treppe runtergeflogen ist‹ anfingen. »Nicht Weber A, nicht Weber B, nein Weber C! Haha. Die macht's nicht unter hochkompliziert ...« Die Rolle als Opfer hatte in dem Rollenrepertoire von Konstanzes Leben nicht vorzukommen. Hilflosigkeit war etwas, das sie - wenn sie ehrlich war - verachtete. Sie war eine Frau der Tat. Immer gewesen.
»Lammel hat gesagt, dass alles gutgegangen ist.«
»Dass ausgerechnet der an meine Beine musste. Der freut sich doch, dass ich hier liege, dieser Kleingeist. Bestimmt hat er mich zum Krüppel gemacht.«
»Du weißt genau, dass Lammel der Beste ist. Sei froh, dass er dich operiert hat.«
»Hören Sie ruhig auf Ihren Mann.« Natürlich war es die Stimme von Lammel, der gerade das Krankenzimmer betrat. »Es wäre schädlich für meinen Ruf, wenn ich eine Kollegin zum Krüppel machen würde, gehen Sie davon aus, dass ich alles tun werde, um meinen Ruf zu wahren.«
Konstanze verdrehte die Augen. »Warum hast du mir kein Zeichen gegeben?«, raunzte sie Philipp an. »Ich entwickle mich noch zum Stationsliebling.«
Philipp seufzte. Seine Frau war eine großartige Ärztin, er vermutete, dass sie im OP besser war als er, besser sogar als die meisten hier, aber auf der Kandidatenliste für den Posten des Stationslieblings stand sie - wenn überhaupt - ohnehin ganz hinten an. Lammel würde sie mit oder ohne diese Bemerkung niemals zum Liebling küren, und alle anderen Kollegen auch nicht. Dafür sorgten schon Konstanzes regelmäßige Vorträge darüber, was man ihrer Meinung nach hätte besser machen können. Und das war meist eine Menge. »Effizienz « war eines ihrer Lieblingswörter. In Konstanzes Abteilung konnte es schon keiner mehr hören.
»Und wie ist Ihre Prognose? Wie lange liege ich hier? Wie lange darf ich das Bein nicht belasten? Wie geht es weiter?«
»Da wir auf Ihre begnadeten Hände in diesem Haus nicht verzichten wollen ...«
»Darf ich Sie darauf aufmerksam machen, dass hier alles auf einen Beinbruch hindeutet und nicht auf einen Handbruch?«, unterbrach Konstanze ihn ungehalten.
»Das ist mir keineswegs entgangen.« Lammel nickte geduldig. »Aber da Sie weiterhin mehrstündige OPs durchstehen wollen, im wahrsten Sinne des Wortes, ist in Ihrem Fall besonders strenge Reha angesagt. Wir beobachten den Heilungsprozess und gehen erst einmal von ungefähr sechs Wochen ohne jegliche Belastung aus, dann sehen wir weiter.«
Konstanze begriff sofort den Ernst der Lage und sah Lammel direkt an: »Sechs Wochen? Null Belastung? Also Krücken. Und dann?«
Lammel nickte ernst. »Sehr langsame Wiederbelastung, sehr langsame Wiedereingliederung. Ohne konsequente Schonung wird Ihr Bein nie wieder so belastbar wie vorher.«
»Und mit konsequenter Schonung?« Konstanze sah ihn stirnrunzelnd an. »Ehrlich. Bitte«, setzte sie nach, als er für ihr Gefühl einen kleinen Moment zu lange mit der Antwort zögerte. Lammel legte den Kopf schief »Stehen die Chancen gar nicht so schlecht.«
Konstanze schloss die Augen. Gar nicht so schlecht. Das war eine richtig miese Nachricht in vier kleinen harmlosen Wörtern.
»Es wird leider langwierig. Und wir wissen zu diesem Zeitpunkt noch nicht, was Ihr Sprunggelenk letztlich abbekommen hat. Kann sein, dass das nicht die letzte OP war. Und Sie wissen um die Entzündungsgefahr.«
Das war unmöglich. Komplett unmöglich. Das ging einfach nicht. Das war ein Witz! Aber irgendwie war das alles nicht witzig. Ganz im Gegenteil. Sie spürte, wie ein Kloß dort wuchs, wo eigentlich ihre Luftröhre saß. Nein. Bitte nicht. Nur jetzt nicht schluchzen. Nicht hier. Nicht vor einem Kollegen in Tränen ausbrechen. Kein Mitleid. Um Gottes willen, alles nur das nicht. Sie atmete konzentriert flach weiter, und es gelang ihr, die Tränen zurückzudrängen.
»Und wie soll das funktionieren?«, fragte sie Philipp, als sie wieder allein waren und sich der Kloß in ihrem Hals zumindest für den Moment halbwegs aufgelöst hatte. »Hier. Und zu Hause. Die Kinder ... was ist eigentlich mit den Kindern ...? Oh je. Und der Kuchen, ach Gott, ich wollte heute noch so viel «
»Konstanze ...«, unterbrach Philipp sie und nahm ihre Hand in seine, um sie zu beruhigen. »Es wird schon irgendwie gehen.«
»Aber du musst ja noch einkaufen, Lotte braucht morgen Rechenhefte. Oh, und die Arztbriefe, wenn du mir die Unterlagen bringst, kann ich ja vielleicht gerade noch ...«
»Die Kinder sind versorgt, alles okay. Und heute wird bestimmt nichts mehr eingekauft. Es ist fast Mitternacht. Wenn wir unbedingt einen Kuchen brauchen, dann wird er gekauft. Und Lotte hat morgen zwar kein Rechenheft, aber eine super Entschuldigung. Ein Notfall in der Familie ...«
»Aber«, versuchte Konstanze zu protestieren, doch Philipp verschloss ihr den Mund mit einem Kuss. »Der Notfall muss versuchen zu schlafen. Du hast eigentlich genug Traumsand bekommen, du solltest schlafen können. Mach dir keine Sorgen, Schatz. Wir kriegen das schon hin. Und ich gehe jetzt nach Hause und schau nach dem Rechten, okay? Morgen früh bin ich wieder da.«
Konstanze schloss seufzend die Augen. Das klang gut, nach dem Rechten sehen klang gut. Und sie war wirklich müde. Sie nickte. »Grüß die Kinder. Du musst aufpassen, dass sie sich keine Sorgen ...«
»Ich mach das schon«, versicherte Philipp. »Du schläfst jetzt, hörst auf, dir Sorgen zu machen, und ich übernehme. Okay?«
Nachdem die Tür hinter Philipp ins Schloss gefallen war, fühlte sich das Zimmer plötzlich sehr leer an, und sie merkte, wie elend ihr zumute war. An ihrer Hand war ein Zugang gelegt worden, durch den eine Infusion aus durchsichtigem Schmerzmittel tröpfchenweise in ihren Kreislauf gelangte. Diese Nadel tat weh. Sie erzählte ihren Patienten immer, dass es nicht weh tat.
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Autoren-Porträt von Astrid Ruppert
Astrid Ruppert hat viele Jahre als Redakteurin fürs Fernsehen gearbeitet, bis sie sich ganz aufs Schreiben konzentrierte. Sie lebt mit ihrem Mann in Wiesbaden.
Bibliographische Angaben
- Autor: Astrid Ruppert
- 2013, 1. Auflage, 320 Seiten, Deutsch
- Verlag: Ullstein Taschenbuchvlg.
- ISBN-10: 3843704317
- ISBN-13: 9783843704311
- Erscheinungsdatum: 08.03.2013
Abhängig von Bildschirmgröße und eingestellter Schriftgröße kann die Seitenzahl auf Ihrem Lesegerät variieren.
eBook Informationen
- Dateiformat: ePub
- Größe: 1.20 MB
- Ohne Kopierschutz
Pressezitat
"Lebensnah, klug, amüsant.", Allgemeine Zeitung, Birgitta Lamparth, 07.03.2013
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