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Pest und Corona

Bestsellerautor Daniel Wolf über Pandemien und ihre Sündenböcke und die Faszination Mittelalter

Fast 4.000 Buchseiten dick: Daniel Wolfs Saga über die lothringische Handelsstadt Varennes-Saint-Jacques und die Kaufmannsfamilie Fleury ist ein monumentales Werk. Foto: © Klaus Venus

Faszination Mittelalter: eine fremde Welt

Wenn Bestsellerautor Daniel Wolf in seine Lieblingsepoche, das Mittelalter, abtaucht, dann fasziniert ihn daran vor allem diese völlig andere, uns fremde Welt. "Die antiken Griechen und Römer, obwohl zeitlich weiter weg, waren uns näher als die Menschen des Mittelalters, die ganz anders gelebt, gearbeitet und gedacht haben als wir", erklärt er seine Leidenschaft fürs Mittelalter im Weltbild-Interview (weiter unten). Was sich Daniel Wolf beim Schreiben seiner erfolgreichen vierbändigen Fleury-Saga (mit rund 1 Million verkaufter Bücher) nicht hätte träumen lassen: Dass die Vergangenheit die Gegenwart einholt und uns eine Pandemie – wie seinerzeit die Pest – überrollt.

Pest und Corona: Verschwörungstheorien damals wie heute

Daniel Wolf ist sich sicher: Mit dem Wissen von heute hätte sich der vierte Band seiner Erfolgsreihe, "Die Gabe des Himmels", anders gelesen: "Hätte ich damals gewusst, was ich heute weiß, wäre der Roman wohl erheblich anders geworden. Ich hätte Pest-Leugner eingebaut, die die Seuche für eine Verschwörung der Regierung halten und die bei ihren Versammlungen auf dem Marktplatz fahrlässig eine Ansteckung riskieren, weil in ihren Augen die Pest nicht schlimmer ist als ein gewöhnlicher Katarrh…", erklärt Daniel Wolf augenzwinkernd.

Auch wenn sich nach seiner Wahrnehmung die allermeisten Menschen vernünftig und solidarisch verhielten, zeigt sich der Autor historischer Romane entsetzt: "An Corona sieht man leider, dass ein Teil der Menschheit in den letzten 600 Jahren nicht wesentlich klüger geworden ist. Damit hätte ich 2016 am wenigstens gerechnet: dass auch 2020 Leute angesichts einer Pandemie wirren Verschwörungstheorien anheimfallen können und verzweifelt nach einem Sündenbock suchen. Im Mittelalter waren es die Juden, heute ist es Bill Gates. Aber zum Glück ist das eine kleine Minderheit."

Autor Daniel Wolf heißt im realen Leben Christoph Lode. Den ersten Teil seiner Fleury-Reihe, "Das Salz der Erde", veröffentlichte er 2013. Es folgten die Bände "Das Licht der Welt", "Das Gold des Meeres" und "Die Gabe des Himmels". Foto: © Klaus Venus

Bestsellerautor Daniel Wolf über Pandemien und ihre Sündenböcke, seine Leidenschaft fürs Mittelalter und die Hintergründe seiner "Fleury-Saga"

Sie tauchen als Autor regelmäßig ein in die Lebenswirklichkeit des Mittelalters. Ist das Ihre Lieblingsepoche der Geschichte und wenn ja, warum?

Daniel Wolf: Das Hoch- und Spätmittelalter ist seit vielen Jahren meine liebste historische Epoche. Daran fasziniert mich vor allem dessen Fremdheit. Das Mittelalter unterschied sich immens von der Lebenswirklichkeit des 21. Jahrhunderts. Die antiken Griechen und Römer, obwohl zeitlich weiter weg, waren uns näher als die Menschen des Mittelalters, die ganz anders gelebt, gearbeitet und gedacht haben als wir. Einiges spricht dafür, dass sie sogar anders gefühlt haben. Diese Fremdheit möchte ich in meinen Romanen darstellen und für meine Leser und Leserinnen erlebbar machen.

Auf den Punkt gebracht: Welche drei Lebensumstände des Mittelalters wären für Sie ein No-Go gewesen?

Daniel Wolf: O Gott, da gibt es erheblich mehr als drei! [Lacht] Ich werde oft gefragt: Wenn es eine Zeitmaschine gäbe, würdest du ins Mittelalter reisen, um dort zu leben? Auf keinen Fall! Es gab keine Betäubung beim Zahnarzt, keine Antibiotika, keine Desinfektionsmittel. Das Rechtswesen war irrational und blutrünstig. Das Leben sehr hart und oft sehr kurz. Nein, danke. Ich fühle mich im 21. Jahrhundert ausgesprochen wohl.

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Zuletzt haben Sie Schlagzeilen damit gemacht, dass Sie auf einem historischen Segelschiff "anheuerten", um für den neuesten Band Ihrer aktuellen Friesen-Saga zu recherchieren. Macht Recherche immer so viel Spaß?

Daniel Wolf: "Anheuern" ist zu viel gesagt. [Lacht] Ich fuhr einen Tag als Gast auf der "Wissemara" mit, dem Nachbau einer spätmittelalterlichen Kogge. Aber der Törn hat tatsächlich enorm Spaß gemacht, ich habe einiges über historische Seefahrt und über das Leben an Bord eines alten Segelschiffes gelernt. Solche Erlebnisse sind allerdings eher die Ausnahme. Der Großteil der Recherche für einen historischen Roman besteht darin, Fachbücher zu lesen und Detailfragen zu klären: Hatte ein mittelalterliches Haus Fenster, und wenn ja, wie sahen die aus? Wie hat man sich im 14. Jahrhundert gekleidet? Wie wurde in dieser und jener Region ein Verbrechen geahndet? Aber auch diese kleinteilige Detektivarbeit macht viel Spaß.

Sie leben im pfälzischen Speyer, einer geschichtsträchtigen Stadt. Die Romane Ihrer Fleury-Saga spielen hingegen in Frankreich bzw. Lothringen. Warum wählten Sie diesen Teil Europas als "Setting" und war das keine Hürde bei der Recherche?

Daniel Wolf: Würden meine Romane in Speyer spielen, hätte das die Recherche sicher erleichtert. Aber wer weiß, vielleicht schreibe ich ja in Zukunft einen historischen Speyer-Roman, Material dafür gäbe es reichlich…
Lothringen hat sich aus verschiedenen Gründen als Schauplatz für die Fleury-Saga angeboten. Beispielsweise waren dort bestimmte politische und gesellschaftliche Zustände, die für die Romanhandlungen wichtig sind, im 12. bis 14. Jahrhundert stark und klar ausgeprägt – etwa der Feudalismus. Außerdem mag ich die Region landschaftlich und kulturell sehr.

Stimmt es, dass Speyer dennoch indirekt in die fiktive Handelsstadt Varennes-Saint-Jacques eingeflossen ist?

Daniel Wolf: Varennes trägt Züge verschiedener deutscher und französischer Städte. Mainz, Worms, Frankfurt und Metz sind eingeflossen, sogar ein bisschen Lübeck ist drin. Aber die Verwandtschaft mit Speyer ist sicher am größten. Die Konflikte zwischen Kirche und Bürgertum etwa, die in meiner Heimatstadt im Hochmittelalter stattgefunden haben, gibt es in verfremdeter Form auch in den Fleury-Romanen. Das Judenbad, das ich in "Die Gabe des Himmels" beschreibe, ist fast 1:1 der Mikwe von Speyer nachempfunden.

Wie viele Freiheiten nehmen Sie sich als Autor, wenn es um die Geschichtsschreibung geht? Wo ziehen Sie die Grenze zwischen Fakten und Fiktion und haben Sie ein Beispiel für uns?

Daniel Wolf: Historische Ereignisse, Personen und Details aus dem Alltagsleben stelle ich möglichst faktengetreu dar. Allerdings will ich kein Sachbuch schreiben, sondern einen Roman – und der soll in erster Linie unterhalten. Die Leser und Leserinnen sollen die Möglichkeit bekommen, sich mit den Romanfiguren zu identifizieren, mit ihnen mitzufiebern und auf diese Weise eine lange vergangene Epoche zu entdecken. Daher bette ich die historischen Fakten in eine fiktionale Geschichte ein – die allerdings immer wieder reale Ereignisse und Personen berührt.
Ein Beispiel wäre die Fehde Friedrichs II. gegen den lothringischen Herzog Thiébaut, die ich in meinem Roman "Das Licht der Welt" schildere. Die hat wirklich stattgefunden, aber die Teilnahme meines Helden Michel Fleury an dem Feldzug ist natürlich erfunden.

In Band 4 der Saga wird Adrien Fleury Arzt und kämpft später gegen die Pest. Hätten Sie sich beim Schreiben vorstellen können, dass wir uns alle bald selbst einer Pandemie stellen müssen?

Daniel Wolf: Absolut nicht. Als ich 2016 "Die Gabe des Himmels" schrieb, war das Thema Pandemie weit weg, ein lange vergangenes Ereignis. Hätte ich damals gewusst, was ich heute weiß, wäre der Roman wohl erheblich anders geworden. Ich hätte Pest-Leugner eingebaut, die die Seuche für eine Verschwörung der Regierung halten und die bei ihren Versammlungen auf dem Marktplatz fahrlässig eine Ansteckung riskieren, weil in ihren Augen die Pest nicht schlimmer ist als ein gewöhnlicher Katarrh…
An Corona sieht man leider, dass ein Teil der Menschheit in den letzten 600 Jahren nicht wesentlich klüger geworden ist. Damit hätte ich 2016 am wenigstens gerechnet: dass auch 2020 Leute angesichts einer Pandemie wirren Verschwörungstheorien anheimfallen können und verzweifelt nach einem Sündenbock suchen. Im Mittelalter waren es die Juden, heute ist es Bill Gates. Aber zum Glück ist das eine kleine Minderheit. Nach meiner Wahrnehmung verhalten sich die allermeisten Menschen vernünftig und solidarisch. Meinen Lesern und Leserinnen wünsche ich, dass sie diese schwierige Zeit gut und vor allem gesund überstehen.