Autobiografie einer Optimistin
Alison Lapper kam 1965 mit einer schweren Behinderung zur Welt: Sie hat keine Arme und stark verkürzte Beine. Heute ist sie eine bekannte und vielfach...
Alison Lapper kam 1965 mit einer schweren Behinderung zur Welt: Sie hat keine Arme und stark verkürzte Beine. Heute ist sie eine bekannte und vielfach ausgezeichnete Künstlerin, Fotografin, Malerin - und Modell. Im September 2005 wird eine 4,7 Meter hohe Marmorstatue ihres Körpers am ehrwürdigen Trafalgar Square in London enthüllt: Alison Lapper, schwanger.
Ohne jede Larmoyanz, dafür aber mit hinreißendem Mutterwitz beschreibt sie ihre Kinderzeit in einem Behindertenheim, die Auseinandersetzung mit ihren körperlichen Fähigkeiten und den Reaktionen fremder Menschen auf ihren Körper. Alison Lapper entdeckt die Kunst als das, "worin ich wirklich gut bin", und die positive Ausstrahlung, die sie auf viele Menschen hat.
Mit siebzehn zieht sie in ihre eigene Wohnung, studiert Kunst in Brighton, heiratet einen nicht-behinderten Mann, der sie nach der Hochzeit jedoch als sein Eigentum betrachtet. Alison Lapper trennt sich von ihm.
Als sie schwanger wird und ihr damaliger Freund sie verlässt, entschließt sich Alison, ihren Sohn Parys ohne seine Unterstützung zur Welt zu bringen und ihn selbst zu versorgen. Und sie tut es: auf ihre ganz eigene, mutige und lebenssprühende Art. Mitreißend und zutiefst bewegend: Die Lebensgeschichte einer behinderten Frau, Mutter und Künstlerin - voller Mut, Energie und Lebenslust!
Alison Lapper kam 1965 mit einer schweren Behinderung zur Welt: Sie hat keine Arme und stark verkürzte Beine. Heute ist sie eine bekannte und vielfach ausgezeichnete Künstlerin, Fotografin, Malerin - und Modell. Im September 2005 wird eine 4,7 Meter hohe Marmorstatue ihres Körpers am ehrwürdigen Trafalgar Square in London enthüllt:
Alison Lapper, schwanger.
Ohne jede Larmoyanz, dafür aber mit hinreißendem Mutterwitz beschreibt sie ihre Kinderzeit in einem Behindertenheim, die Auseinandersetzung mit ihren körperlichen Fähigkeiten und den Reaktionen fremder Menschen auf ihren Körper. Alison Lapper entdeckt die Kunst als das, "worin ich wirklich gut bin", und die positive Ausstrahlung, die sie auf viele Menschen hat.
Mit siebzehn zieht sie in ihre eigene Wohnung, studiert Kunst in Brighton, heiratet einen nicht-behinderten Mann, der sie nach der Hochzeit jedoch als sein Eigentum betrachtet. Alison Lapper trennt sich von ihm.
Als sie schwanger wird und ihr damaliger Freund sie verlässt, entschließt sich Alison, ihren Sohn Parys ohne seine Unterstützung zur Welt zu bringen und ihn selbst zu versorgen. Und sie tut es: auf ihre ganz eigene, mutige und lebenssprühende Art.
Mitreißend und zutiefst bewegend: Die Lebensgeschichte einer behinderten Frau, Mutter und Künstlerin - voller Mut, Energie und Lebenslust!
"Sie überwand alle Vorurteile, um eine Künstlerin zu werden und eine Familie zu haben. Und nun hat sie bald ihren Auftritt an der Seite von Lord Nelson!"
Independent
Autobiografieeiner Optimistin von Alison Lapper
LESEPROBE
Prolog
Ein großer Polizist in einer gelben, reflektierenden Jacke beugtesich zum Fenster auf der Fahrerseite herunter: "Dürfte ich bitte Ihre Einladungsehen?" Ich saß mit meinen Freunden im Fond der Limousine und wartete, währender das Schriftstück aufmerksam durchlas. Wir hatten uns in die lange Schlangevon Luxusautos vor den Toren des Buckingham Palace eingereiht - Bentleys,Rolls-Royce, ein paar Limousinen wie die, die ich für diesen Tag gemietethatte, und die eine oder andere Familienkutsche, die ein wenig fehl am Platzwirkte. Es war ein sonniger Tag im Mai 2003, und ein paar der Leute, die wiewir eine Einladung in den Palast hatten, standen plaudernd auf dem Bürgersteig.Ich sah Admiräle und Generäle in ihren Uniformen, Männer in Cutaways und Frauen,die Kleider trugen, mit denen sie auch beim Royal Ascot nicht aus dem Rahmengefallen wären. Aber auch Leute aus fernen Ländern waren darunter, die ihre jeweilige Landestrachttrugen. Alle wirkten so elegant, dass mich plötzlich Besorgnis überfiel. MeinKleid stammte aus einem Secondhandladen für Designerkleidung in Arundel. Es waraus in sich gemusterter, weißer Seide und auf meine Maße umgearbeitet worden,dazu trug ich rote Accessoires. Im Laden hatte es sehr schön ausgesehen, aberjetzt fragte ich mich, ob es sich mit den Kleidern der anderen Frauen messenkonnte. Ich äußerte meine Bedenken gegenüber meinen Freunden, aber sie warender einhelligen Meinung, mein Kleid sei wunderbar und stünde mir ausgezeichnet.
Einige Monate zuvorhatte ich ein Schreiben aus dem Buckingham Palace erhalten, in dem mirmitgeteilt wurde, dass ich für meine Verdienste in der Kunst zum Member of theOrder of the British Empire ernannt werden sollte. Diese Nachricht traf michwie ein Blitz aus heiterem Himmel, und entsprechend überrascht war ich. Meinerster Gedanke war, dass mich jemand auf den Arm nehmen wollte. Warum solltensie ausgerechnet mich ausgesucht haben? Ich rief meinen Freund Peter Hull an,dem vor zehn Jahren diese Ehrung selbst zuteil geworden war. Ich erzählte ihm,dass ich von irgendeinem Witzbold diesen Brief erhalten hätte, und fragte, wasich damit anstellen sollte. Nachdem ich ihm das Schreiben vorgelesen hatte,meinte er, ich solle mir keine Sorgen machen, der Brief käme tatsächlich ausdem Buckingham Palace, er sei echt. Ich legte den Hörer etwas beruhigter auf,war aber noch immer wie benommen. Auch wenn ich keine Ahnung hatte, wer michnominiert haben könnte oder warum, empfand ich große Dankbarkeit. Man fragtemich in dem Brief, ob ich den Orden annehmen wolle und ob ich bereit sei, ihnam 8. Mai im Buckingham Palace von der Königin in Empfang zu nehmen. MeineEntscheidung war klar. Ich liebe Feierlichkeiten, gleichgültig, welcher Art,und mir fiel kein Anlass ein, der feierlicher sein konnte, als im BuckinghamPalace zu erscheinen und von der Königin höchstpersönlich einen Orden zuerhalten. Dann bat man mich noch, Stillschweigen darüber zu bewahren, bis amNeujahrstag die New Year s Honours List mit den Namen aller zu Ehrenden bekanntgegeben wurde. Diese Klausel stellte natürlich die reinste Folter für mich dar,da ich es kaum erwarten konnte, allen davon zu erzählen.
In dem Brief stand, dassich drei Gäste mitbringen durfte, und ebendiese drei saßen nun gemeinsam mitmir in der großen weißen Limousine. Sue und Jane waren enge Freundinnen vonmir, und der dritte Gast war Michael, mein Freund. Außerdem war noch einKameramann vom dänischen Fernsehen dabei, aber in seiner Gegenwart fühlte ichmich nicht gehemmt, da er mich in den letzten fünf Jahren immer wieder gefilmthatte.
Wir fünf waren an diesemMorgen die hundert Kilometer von Shoreham, wo ich lebe, hierher gefahren. DieFahrt hatte lange gedauert, über drei Stunden, aber das hatte unserer gutenLaune keinen Abbruch getan. Im Kühlschrank der Limousine warteten einigeFlaschen Champagner auf uns, die wir allerdings erst nach der Zeremonie öffnenwollten. Die Vorstellung, beschwipst im Buckingham Palace einzutreffen und überden roten Teppich zu torkeln, um meinen Orden von der Königin entgegenzunehmen,hielt mich davon ab, es gleich zu tun, auch wenn ich sehr in Versuchung geriet.Bis es so weit war, genossen wir das ganze Drumherum, wozu auch der Luxusgehörte, von einem Chauffeur gefahren zu werden.
Die Fenster derLimousine waren getönt, so dass wir sehen konnte, was in der Welt draußen vorsich ging, aber niemand uns sehen konnte. Als wir durch Croydon fuhren,starrten die Leute dem Auto nach, so als fragten sie sich, welche Berühmtheitdarin saß. Wie hätten sie wohl reagiert, wenn ich das Fenster heruntergelassenund sie gegrüßt hätte? Ich glaube, sie wären ziemlich erstaunt gewesen, nichtnur, weil sie mich vermutlich nicht erkannt hätten, sondern auch, weil sie danngesehen hätten, dass ich keine Arme habe, dass ich behindert bin. Sogar im 21.Jahrhundert wird den Leuten meistens unbehaglich zumute, wenn sie einemBehinderten begegnen. Ich bin überzeugt, wenn sie mich in meinem langen weißenSeidenkleid im Fond der Stretchlimousine gesehen hätten, wäre das doppeltverwirrend und höchstwahrscheinlich auch recht enttäuschend gewesen. Bis aufein paar bemerkenswerte Ausnahmen - Stephen Hawking, Tanni Gray Thomson undHeather Mills - sind Behinderte einfach nicht berühmt.
Während wir dasaßen undwarteten, überlegte sich der Kameramann, dass dies eine gute Gelegenheit fürein paar Außenaufnahmen sei, und verließ den Wagen, um den Buckingham Palacemit unserer Limousine davor zu filmen. Aber kaum hatte er sein Stativaufgestellt und die ersten Aufnahmen gemacht, als sich die Autoschlange inBewegung zu setzen begann. Wir mussten alle furchtbar lachen, als er mit seinerAusrüstung unterm Arm angehastet kam.
In unserer Nervositäthatten wir im Kopf alle möglichen Katastrophenszenarios durchgespielt. MeinKleid würde reißen. Die Einladung würde sich als Fälschung herausstellen. Estäte ihnen furchtbar Leid, aber es habe da ein Missverständnis gegeben, eineandere Alison Lapper würde den Orden für ihre Verdienste in der Kunst verliehenbekommen. Aber all unsere Nervosität war wie weggeblasen, als wir durch diePalasttore glitten und in den Innenhof fuhren.
Ich war noch nie imBuckingham Palace gewesen. Genauso wenig hatte ich bislang viele Gedanken andie königliche Familie verschwendet, oder daran, was sie so machte. Soweit es michbetraf, lebten sie in einer Welt, die meiner so fern war, wie ich es mir nurvorstellen konnte. Sie waren mir immer wie Menschen aus einer längstvergangenen Zeit vorgekommen, die zwar noch unter uns weilten, aber kaum etwasmit normalen Leuten wie mir oder dir zu tun hatten, und zwar weder im Gutennoch im Schlechten. Als ich jedoch den hohen Säulengang entlangging und denPalast betrat, begann ich plötzlich etwas von der Geschichte des Königshauseszu empfinden, und auch von der Macht, die der Thron seit Jahrhunderteninnehatte. Die riesigen Gemälde an den Wänden und die unglaublich hohen Decken,die sich über mir spannten, betonten den Ernst und die Bedeutsamkeit diesesAnlasses noch mehr. Als ich in dem gedruckten Programm die Liste mit den Namenall derer las, die an diesem Tag geehrt werden sollten, wurde mir klar, dassdies bei den meisten für ihren jahrzehntelangen, hingebungsvollen Dienst an derÖffentlichkeit geschah. Ich will nicht gerade sagen, dass ich mir wie eineBetrügerin vorkam, aber ich empfand auf einmal so etwas wie Demut. Ich begannzu ahnen, welche Ehre mir dadurch zuteil wurde, dass ich hier sein durfte.
Man teilte uns demAlphabet nach in Gruppen auf und führte uns in die Gemäldegalerie, woRembrandts und Canalettos an den Wänden hingen. Der Zeremonienmeister erklärteuns den Ablauf des Geschehens und wie wir uns der Königin gegenüber zuverhalten hätten. Das erste Mal sollten wir sie mit "Eure Majestät" ansprechen,in der Folge genügte ein "Ma am". Es war streng verboten, ihr den Rückenzuzukehren, und wenn sie das letzte Wort an uns gerichtet hätte, täte sie dasmit einem Händedruck oder, in meinem Fall, mit einer Berührung der Schulterkund. Dann sollten wir uns rückwärts bis zu einem angemessenen Abstand von ihrentfernen.
Man teilte mir einen jungen Mann namens Ian zu, der einer derPagen der Königin war. Er kümmerte sich in der Gemäldegalerie um mich und wichmir auch nicht von der Seite, als wir uns zu dem Saal begaben, wo die Königinihres Amts waltete. Ich fragte ihn, wie lange es dauern würde, bis ich an derReihe war, und er meinte, etwa vierzig Minuten. Da ich nicht so lange stehenkonnte, veranlasste er, dass man mir ganz vorn einen Sitzplatz zuwies, von demaus ich den Feierlichkeiten zusehen konnte, während er meinen Platz unter denWartenden einnahm. Er fragte mich, ob er mich begleiten solle, wenn ich an derReihe war, vor die Königin zu treten, und ich sagte ja, weil es mir furchtbarpeinlich gewesen wäre, wenn ich gestürzt wäre, und abgesehen davon hätte mir jemandwieder auf die Beine helfen müssen. Ich war sehr froh über Ians Hilfe, da ichmittlerweile angesichts der Bedeutsamkeit dieses Augenblicks schrecklich nervöswar. Darüber hinaus befanden sich vierhundert Leute in dem Saal, die irgendwannalle den Blick auf mich richten würden, was nicht gerade zu meiner Beruhigungbeitrug.
Endlich wurde mein Nameaufgerufen, und Ian trat gemeinsam mit mir vor. Beim Podium angekommen,begrüßte ich die Queen wie geheißen mit Eure Majestät und verbeugte mich. Sieerklärte, sie würde zu mir kommen und verließ das Podium. Ich meinte, das seieine gute Idee, weil sie sich sonst ziemlich weit zu mir hätte herunterbeugenmüssen. Die Queen lachte und fragte mich über meine Kunst und über Parys ausund erkundigte sich nach meinem nächsten Projekt. Egal, welchen Hintergrund dieLeute hatten, sie konnte mit jedem über alles reden. Natürlich wusste ich, dasssie darin jahrzehntelange Übung hatte, aber ich fand es trotzdem sehrbeeindruckend.
Sie hat eine kleineEwigkeit mit mir gesprochen, zumindest kam es mir so vor, aber wahrscheinlichwar es nicht länger als eine halbe Minute. Sie befestigte den Orden an demkleinen Häkchen, das man mir in der Gemäldegalerie ans Kleid gesteckt hatte,und gratulierte mir. Dann bekam ich den angekündigten leichten Klaps auf dieSchulter. Ian, der einige Schritte hinter mir gewartet hatte, trat vor, und wirzogen uns beide von der königlichen Hoheit zurück. Als wir am hinteren Ende desRaums angelangt waren, meinte er: "Sehen Sie, Sie sind nicht hingefallen. ImGegenteil, Sie haben Ihre Sache sogar sehr gut gemacht."
Ian und ich setzten unsund warteten, bis auch die letzten vierzig Leute ihren Orden in Empfanggenommen hatten und die Zeremonie mit dem Abspielen von God save the Queen beendetwurde. Ich war das erste und wahrscheinlich auch das letzte Mal von der Hymnegerührt.
Als ich wieder den imhellen Sonnenschein liegenden Innenhof betrat, schwebte ich wie auf Wolken. DasFilmteam der BBC-Serie Child of our Time wartete schon auf mein Erscheinen, umein Interview mit mir zu machen, und natürlich auch der dänische Kameramann,der mir wie gewohnt auf Schritt und Tritt mit seiner Kamera folgte. DieBBC-Leute wollten wissen, was ich im Moment der Ordensverleihung durch dieQueen empfunden hätte, aber sie hatten auch bohrendere Fragen auf Lager, undich musste fast weinen, als sie sich erkundigten, warum ich Parys nicht mit inden Buckingham Palace genommen hatte. Ich hätte nichts lieber getan als das,aber ich wusste, dass die Zeremonie sehr lange dauern würde, und es wäre ihmsicher langweilig geworden und er hätte zu quengeln begonnen. Deswegen hatteich ihn zu Hause gelassen.
Nach dem Interview fürdas dänische Fernsehen ließ ich mich noch von einem der vielen offiziellenFotografen im Hof fotografieren. Unmittelbar neben mir hatte sich derSchauspieler Edward Fox mit Familie für die Fotografen in Pose gestellt. Ichsonnte mich ganz ungeniert im Glanz des Ereignisses und hatte wenig Lust, michvon dort wegzubewegen. Ian gesellte sich zu uns, und wir unterhielten uns einbisschen. Er klärte mich über den Unterschied zwischen einem Pagen und einemLakaien auf und über die Hierarchie und verschiedene Seiten des Lebens imPalast aus der Sicht der Bediensteten. Vollkommen fasziniert hörte ich ihm zu,da ich bis zu diesem Tag keine Ahnung von solchen Dingen gehabt hatte. DasGanze war wie ein Rausch. Ich war umgeben von berühmten und bedeutenden Menschen und fühlte mich ihnen irgendwiezugehörig. Und die siebzehn Jahre, die ich im Chailey Heritage zugebrachthatte, einer staatlichen Behinderteneinrichtung in Sussex, schienen mit einemMal in ferner Vergangenheit zu liegen.
Wir lungerten also solange wie möglich im Innenhof des Buckingham Palace herum. Es war schließlichbereits drei Uhr, als wir auf der Pall Mall entlangfuhren und mit der erstenFlasche Champagner anstießen. Beim letzten Schluck aus unseren Gläsern bog derFahrer in die kleine Sackgasse ein, die vom Strand abgeht und in der das Savoyliegt. Ich hatte dort einen Tisch für uns reserviert, um dafür zu sorgen, dassdieser Tag uns allen unauslöschlich im Gedächtnis blieb. Der Service warerstklassig. Noch bevor ich einen Wunsch aussprechen konnte, stand schon einKellner an meiner Seite, um ihn mir zu erfüllen. Das Essen sah wunderbar ausund schmeckte hervorragend. Und dann kamen auch noch zwei der Pagen, mit denenich mich vorher schon unterhalten hatte, von einem der Nachbartische zu unsherüber, und wir plauderten ein wenig. Sie hatten Prinz Philip auf einerKreuzfahrt mit der königlichen Jacht Britannia begleitet und wussten einigeamüsante Geschichten zu erzählen. Wir alle waren noch immer wie berauscht vonder Zeremonie, es war einfach wunderbar.
Als wir uns zurück zuunserer Limousine begaben, um die Heimfahrt anzutreten, wurde es bereitsdunkel. Wir öffneten eine neue Flasche Champagner und plauderten über dieEreignisse des Tages, aber irgendwann versiegte das Gespräch, und eine Weilesagte keiner mehr etwas, während der Wagen durch die Außenbezirke von London glitt.Ich dachte über den Orden nach, der noch immer an meinem Kleid befestigt war,und versuchte, das Geschehen von einem neutraleren Standpunkt aus zubetrachten. Einerseits begriff ich die Ehrung natürlich als etwas, das mirpersönlich zuteil wurde. Aber gleichzeitig glaubte ich, dass sie allenBehinderten auf der ganzen Welt galt. Wir sind eine benachteiligte Gruppe inder Gesellschaft, mit der viele Leute Probleme haben. Für die meisten stellenwir eine unangenehme Störung dar, und für gewöhnlich entscheiden sich die Leutedafür, uns zu ignorieren. Die übliche Art, mit uns umzugehen. Es gibt diesenSpruch, dem zufolge man Kinder sehen, aber nicht hören sollte. Ich denke,insgeheim herrscht bezüglich Behinderter eine ähnliche Einstellung: dass mansie nämlich weder sehen noch hören sollte. Und viele Behinderte führen einentsprechendes Leben. Sie geben dem Druck nach, dem Starren, den unduldsamenBlicken, den ablehnenden Gesichtern.
Auch ich habe diesenDruck gespürt, aber aus einem mir selbst unerklärlichen Grund habe ich niezugelassen, dass er allzu großen Einfluss auf mich und mein Leben ausübt. Michhat immer die Idee beherrscht, dass mein Leben genauso erfüllt sein kann wiedas der anderen, egal, wie meine Umwelt dazu steht. Im Gegenteil, immer dann,wenn mir jemand erklärte, ich könne irgendetwas nicht tun, spornte mich dasumso mehr an, zu beweisen, dass er Unrecht hatte. Mir war allerdings immerklar, dass ich mehr als die Nichtbehinderten tun musste, wollte ich meine Zieleerreichen. Und eines der größten Hindernisse auf diesem Weg waren derenVorurteile und ihre beschränkte Sicht im Hinblick auf das, was ich erreichenkonnte.
Es lässt sich natürlichleicht darüber klagen, dass Behinderte diskriminiert werden und dass unsereGesellschaft sie vernachlässigt. Vereinzelt kann man Veränderungen feststellen,und ganz langsam verbessert sich die Lage auch insgesamt, aber dieMöglichkeiten von Behinderten bleiben überall in Großbritannien weit hinter demeuropäischen Durchschnitt zurück, und die Diskriminierung durch öffentlicheStellen gehört nach wie vor zum Alltag Behinderter. In Großbritannien gibt esbeispielsweise sehr viel weniger behinderte Ärzte als in anderen LändernEuropas. Aber solange Menschen mit Behinderungen wie ich nicht bereit sind,darüber zu reden, was es bedeutet, ein solches Leben zu führen, wird die übrigeBevölkerung niemals verstehen, mit welchen Schwierigkeiten wir zu kämpfenhaben. Wie kann ich den Leuten vorwerfen, dass sie keine Ahnung von Behinderunghaben, und mich gleichzeitig weigern, ihnen irgendetwas über mein Leben zuerzählen? Es war an diesem Tag im Buckingham Palace, als ich zu dem Schlusskam, dass ich die Dinge, für die ich mehr Verständnis erreichen will, am bestenerklären kann, indem ich meine Lebensgeschichte erzähle. (...)
© Blanvalet Verlag
Übersetzung: Andrea Stumpf, Gabriele Werbeck
- Autor: Alison Lapper
- 2005, 1, 254 Seiten, mit zahlreichen farbigen Abbildungen, Maße: 14 x 22 cm, Gebunden, Deutsch
- Mit Guy Feldman. Aus d. Engl. v. Andrea Stumpf u. Gabriele Werbeck
- Verlag: Blanvalet
- ISBN-10: 3764502053
- ISBN-13: 9783764502058
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