Beginenfeuer
Brügge, 1309: Die junge Waise Ysée lebt, seit sie denken kann, im Beginenhof in Brügge. Auch wenn das Leben manchmal streng und hart dort ist, fühlt sie sich doch geborgen und geschützt, denn die Zeiten sind unsicher und...
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Brügge, 1309: Die junge Waise Ysée lebt, seit sie denken kann, im Beginenhof in Brügge. Auch wenn das Leben manchmal streng und hart dort ist, fühlt sie sich doch geborgen und geschützt, denn die Zeiten sind unsicher und gefährlich.
Da sie zu einer anmutigen jungen Frau heranwächst, werben viele Männer um sie, darunter auch Mathieu, ein Ritter Philipps des Schönen. Doch als auf Druck der Öffentlichkeit die Beginengemeinschaft aufgelöst wird, gerät Ysée in Gefahr. Denn plötzlich offenbart sich das Geheimnis ihrer Herkunft.
Beginenfeuervon Marie Cristen
LESEPROBE
Im Auftragder Magistra
Brügge am 28. Oktober 1309
»Ysée? Ysée, wo steckst du?«
Die Backsteinmauer sah kalt und schmutzig aus, dennoch presste Ysée die Stirn mit aller Macht dagegen. Die Berührung hinterließSpuren auf dem hellen Leinen der Haube und ihrer Haut.
Sie verschwendete keinen Gedanken daran. Kälte, Schmutz und Härte zeigten ihr,dass sie lebendig war. Sie konnte atmen, spüren, zittern und, wenn sie wollte,sogar zornig mit den Fäusten gegen die rote Wand schlagen.
Die Mauer musste es stumm dulden. Sie sagte weder »bezähme deine Launen« noch»sei gehorsam« oder »tu deine Arbeit«, »lass die törichten Gedanken«, »gehfort«. Solche Belehrungen kamen nur von dummen Gänsen wie Schwester Josepha oder Eigennützigen wie ihrer Mutter oder vonHerzlosen wie der zweiten Meisterin Alaina. Sie allebehandelten Ysée wie einen nützlichen Gegenstand. Wieein Ding, das zu tun hatte, was sie ihm sagten, und dem sie keine Gefühleerlaubten. Der kühle Gegendruck milderte nach und nach den Schmerz hinter Ysées Schläfen. Langsam drang der Morgen in ihrBewusstsein. Der Tag begann feucht und windig. Stürmische Böen fuhren durch dieBaumwipfel am Reieufer und rauschten in die Stilledes Beginenhofes vom Weingarten hinein. Nun, da dasHämmern ihres Herzens nachließ, drangen die Geräusche vom Kai des nahen Minnewater-Hafens in ihr Bewusstsein. Das Quietschen dergroßen, hölzernen Kräne, die schwere Lasten von den Schiffen hoben, die dortankerten. Das Poltern der Fässer und Kisten, die Flüche der Männer, die sieschleppten.
Masten und Tauwerk ächzten im Wind, und darüber wurde das Kreischen der Möwenverweht. Vertraute Töne, die sie seit langem begleiteten.
Hinter der Mauer lag Brügge, das dem Zwin Reichtumund Bedeutung verdankte. Dieser Meeresarm, kaum breiter als ein Fluss, von dergroßen Sturmflut des Jahres 1134 als Bresche tief ins Landesinnere geschlagen,machte die Stadt zusammen mit der gemächlich dahinfließendenReie zum bedeutenden Hafen. Beide speisten dasverzweigte System der Kanäle und Grachten, die es wie lichte Bänder durchzogen.Tausende von Bürgern hatten ihre Häuser entlang dieser Wasserstraßen gebaut,deren Ufer man ganz allgemein ebenfalls Reie nannte,und sie nutzten sie ebenso für ihre Geschäfte wie zum schnellen Vorwärtskommen.
Ysée wünschte sich brennend, all dies nicht nur zuhören, sondern auch zu sehen. Seit sie vor vielen Jahren in den Beginenhof gekommen war, hatte sie ihn kein einziges Malmehr verlassen.
»Warum antwortest du nicht, Ysée?«
Seraphinas Stimme klang schrill vor Aufregung. Sicherwar sie zu behäbig, ihre Suche bis zu den Wollschuppen an der Mauerauszudehnen. Dennoch straffte Ysée die Schultern undnahm die Stirn von den Steinen. Gerade noch rechtzeitig, denn dieses Mal stand Seraphina tatsächlich hinter ihr. »Ysée,du Nichtsnutz, was treibst du hier? Ich habe dich bei den Spannrahmen gesucht.Du solltest dort bei Mariana sein. Warum lässt du sie deine Arbeit tun?«
Ysée wischte sich die Hände an ihrem Rock ab. Sie gabkeine Antwort. Es hörte ohnehin niemand zu, wenn sie etwas sagte.
»Du hast Schmutz an der Stirn.« Seraphinaschüttelte den Kopf über so viel Nachlässigkeit. »Und das ausgerechnet jetzt.Die oberste Meisterin möchte dich sehen. Es gehört sich nicht, die Magistra warten zu lassen. Wenn du an deinem Platz gewesenwärest, hättest du noch Zeit gehabt, dich zu säubern. Jetzt wirst du eben ihrenTadel ertragen müssen. Husch, eil dich und komm mit.« Seraphina hastete voraus. Trockene Gräser raschelten unterihren Schritten, und der dunkelblaue Beginenumhangwehte die Blätter vom Weg, die über Nacht gefallen waren. Yséelief hinterher und lauschte der Tirade, die Seraphinatrotz ihrer Atemlosigkeit keinen Herzschlag lang unterbrach. »Dein Müßiggangwird dich noch einmal in Teufels Küche bringen, Schwester. Du weißt, dass ichdeinen Ungehorsam der Meisterin melden muss. Warum träumst du, statt wie alleanderen zu arbeiten?«
Ysée verzog stumm den Mund. Sie tat wahrhaftig ihrenTeil der Pflichten für die Gemeinschaft, aber niemand wollte es wahrhaben.Nicht einmal ihre Mutter, deren Aufgaben sie ebenfalls erledigte. Die obersteMeisterin der Beginen vom Weingarten, Dame Methildis van Ennen, wohnte imKapitelhaus am Rande des großen Kirchenplatzes. Sie war seit vielen Wochenkrank, und ihr Leiden verschlimmerte sich mit jedem Tag. Es schien, alsverzehre sie ein böser Dämon, und keine Arznei linderte ihre Schmerzen. Weshalbsie trotz ihres schweren Leidens das Gespräch mit einer Magd suchte, hättenicht nur Seraphina gerne gewusst. Auch Ysée fragte sich, was ihr zur Last gelegt wurde. »Hineinmit dir«, kommandierte Seraphina, als sie ihr Zielerreichten, und gab Ysée zur Sicherheit einenenergischen Schubs zwischen die Schulterblätter. »Man wartet schon viel zulange auf dich.«
Ysée trat befangen über die Schwelle in einenVorraum, der mit schwarz-weißen Steinquadraten ausgelegt war. Genau gegenüberführte eine polierte Holztreppe nach oben, und linker Hand trat eben die zweiteMagistra Alaina aus derKüche des Kapitelhauses. Sie trug ein Tablett mit einem dampfenden Krug undglänzenden Zinnbechern, dem der frische Geruch nach pfeffriger Minze undRosmarin nachwehte. Bei Ysées Anblick hob sie tadelnddie Brauen. »Du kommst spät«, rügte sie. »Und wie siehst du aus? Deine Haubeist schmutzig, deine Stirn beschmiert. Wahrhaftig, aus dir wird nie eineordentliche Schwester.«
»Soll ich etwa gehen, die Haube wechseln? Dann muss die Magistranoch länger auf mich warten.« Yséereagierte an diesem Morgen besonders empfindlich auf Vorwürfe, obwohl ihr dasHerz bis in den Hals hinaufschlug. Sie mochteSchwester Alaina nicht, und sie hatte das sichereGefühl, dass die zweite Meisterin diese Abneigung erwiderte.
»Du bist aufsässig«, zischte die Ältere mit einem Mund so schmal wie einStrich.
»Verzeiht.« Ysée brachte dieerwartete Entschuldigung mit so viel unterschwelligem Groll vor, dass sie nurnoch mehr Ärger erntete.
»Hinauf mit dir!« Alaina wies mit ausgestreckter Handauf die Treppe, die zum Schlafgemach der obersten Begineführte. »Und keinen Ungehorsam der ehrwürdigen Mutter gegenüber.
Sonst wirst du die nächsten Wochen ausschließlich beim Wollewaschen verbringen.«
Ysée nahm die Drohung ernst und senkte schweigend denBlick. Alaina wusste, dass sie diese Arbeit hasste,und sie würde nicht zögern, eine solche Strafe auszusprechen. Alles daran warihr schrecklich. Die Eintönigkeit der sich wiederholenden Handgriffe, derranzige Gestank des Wollfettes und die Feuchtigkeit, die am Ende auch inKleidern und Haaren hing. Beim Wollewaschen half es nicht einmal, von schönenDingen zu träumen. Das Säubern und Brühen der angelieferten Schafschur war eineder schwersten und hässlichsten Arbeiten, die es im Beginenhofzu tun gab.
Ehe sie die Kammer im ersten Stock betrat, versuchte Yséemit aller Kraft die seltsame Stimmung dieses Tages zu überwinden. Eswiderstrebte ihr, Methildis von Ennenzu begegnen, wenn sie vor Aufbegehren kochte und am liebsten etwasUngeheuerliches getan hätte, um etwas zu erreichen, das sie nicht einmal beimNamen nennen konnte. Die Magistra war die Seele des Beginenhofes, gütig, gerecht und warmherzig. AlleSchwestern liebten sie, und Ysée hätte freudig ihreSeligkeit dafür hingegeben, dass sie wieder gesund wurde.
»Komm näher, Kind, und steh nicht in der Tür, als würdest du am liebsten gleichwieder davonstürmen.« Methildis van Ennen lag, vonmehreren Kissen gestützt, in ihrem Alkoven, als Yséeendlich eintrat. Sie unterdrückte ein Hüsteln und winkte sie mit einer Gestenäher.
»Ihr habt nach mir rufen lassen, ehrwürdige Mutter und Maestra«, begrüßte das junge Mädchen die Kranke respektvoll. Sie gebrauchte wie vieleder anderen Schwestern den alten Titel für die Meisterin, den dieVorsteherinnen des Beginenhofes trugen, seit dieGemeinschaft im Jahre 1245 zur eigenständigen Pfarrgemeinde der Stadt Brüggegeworden war. Gräfin Margareta von Flandern war dies zu verdanken. Sie hattesich damals der Vermittlung des Bischofs von Tournaibedient. Seine Eminenz hatte unter einer Bedingung zugestimmt: Die Beginen mussten ein eigenes Gotteshaus besitzen. Methildis van Ennen hatte Ysée vor vielen Jahren erzählt, wie die Gemeinschaft der Beginen dieser Forderung entsprochen hatte. Noch heutekonnte sie nicht an der Beginenkirche vorbeigehen,ohne sich daran zu erinnern. Im Zentrum der Stadt hatte zu Gräfin MargaretasZeit ein kleines Kirchlein gestanden, das nach dem Bau eines großenGotteshauses nicht mehr benötigt wurde. Die Beginenhatten jeden einzelnen Stein dieser Kapelle aus den Mauern gelöst und in denWeingarten geschleppt. Es hatte fast ein halbes Jahr gedauert, die Kirche dortwieder aufzubauen, aber im Januar 1245 war das Werk vollbracht. Der HeiligenMutter geweiht, bildete die Pfarrkirche bis zum heutigen Tag den Mittelpunktder frommen Gemeinde vom Weingarten. Pater Felix, der Priester, der ihr imAugenblick vorstand, lebte in einem Steinhaus draußen vor der Mauer, am anderenEnde der Brücke zum Weingartenplatz.
»Lass dich anschauen«, sagte die Magistra jetzt.»Dreh den Kopf zum Fenster, ja so gütiger Himmel, wie ähnlich du ihr siehst.«
Ysée schwieg. Was konnte die Meisterin wohl meinen?Sie hatte sich nie Gedanken darüber gemacht, wem sie ähnlich sah. Nur eines warkaum zu leugnen, zwischen ihr und Berthe gab es keineäußerliche Verwandtschaft. Sie wusste, warum, Berthewar gar nicht ihre Mutter. Kannte die oberste Beginedieses streng gehütete Geheimnis ebenfalls?
»Es ist an der Zeit, dass wir über deine Zukunft sprechen, Kind«, fuhr sie zu Ysées Verblüffung fort. »Es geht nicht an, dass du weiterdeine Tage als Magd vertust. Nachdem deine Mutter keinen Versuch unternommenhat, eine Ehe für dich zu arrangieren, musst du nach den Regeln des Weingartensals selbstständige Begine aufgenommen werden. Dasbedeutet, du bist Novizin, bis dich der Rat der Schwestern billigt undwillkommen heißt. Da du keine Mitgift einbringst und kein eigenes Vermögenbesitzt, kannst du der Gemeinschaft nur mit deinem Fleiß und deiner Frömmigkeitdienen.«
Sie hob abwehrend die Hand, als das Mädchen den Mund öffnete. »Lass mich zuEnde kommen. Ich denke, dass du unter den Schwestern, die im Hospital der Beginen ihren Dienst tun, deine Aufgabe finden solltest.Das nötige Wissen vermittelt dir eine ältere Schwester, deren Helferin undSchülerin du ab heute bist. Wenn sie mit dir zufrieden ist, wird sie im Rat derSchwestern für dich sprechen und deine Aufnahme empfehlen. Bis dahin musst dulernen, dich zu zügeln und deine Zunge besser zu hüten.«
Nie wieder Wolle waschen, spinnen, walken oder spannen!
Ohne dass es ihr bewusst wurde, breitete sich ein solches Strahlen auf Ysées Gesicht aus, dass die Magistramit einem Seufzer den Kopf schüttelte. Wahrhaftig, es fiel schwer, dembesonderen Liebreiz dieses Kindes zu widerstehen. Aber sie war nicht umsonstseit mehr als einem Jahrzehnt die oberste Dame der Beginengemeinde.Sie verstand es, persönliche Gefühle zu verbergen. Ganz besonders vor einemMädchen, dessen Schicksal sie so sehr berührte.
»Wie soll ich Euch nur danken, ehrwürdige Mutter?«,murmelte Ysée schließlich befangen. Ob die Meisterinahnte, wie sehr sie sich danach sehnte, anerkannt und geachtet zu werden?
Geschätzt und geliebt?
»Ach Kind «
Die Kranke hustete, und Ysée reichte ihr denbereitstehenden Becher mit Honigwasser.
© KnaurVerlag
- Autor: Marie Cristen
- 2007, 1, 538 Seiten, Maße: 13,1 x 19,1 cm, Geb. mit Su.
- Verlag: Weltbild
- ISBN-10: 3828979513
- ISBN-13: 9783828979512
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