Bilder des 2. Weltkriegs
Aus einer Fülle von Bildmaterial hat ein »Spiegel«-Team die 334 eindrucksvollsten Fotos ausgewählt - viele davon bislang unveröffentlicht und farbig. Sie zeigen alle Facetten des Kriegs: blutiger Frontalltag, die Greuel an Juden und Gefangenen,...
Aus einer Fülle von Bildmaterial hat ein »Spiegel«-Team die 334 eindrucksvollsten Fotos ausgewählt - viele davon bislang unveröffentlicht und farbig. Sie zeigen alle Facetten des Kriegs: blutiger Frontalltag, die Greuel an Juden und Gefangenen, gutgelaunte Landser auf dem Vormarsch, Leichenberge, Ruinen.
Bilder des Zweiten Weltkriegs herausgegeben von Michael Sontheimer
LESEPROBE
DIE KAMERA ALS WAFFE
Fotografie im Zweiten Weltkrieg
Ein Foto ist ein mit Hilfe von Licht, einer Kamera und einemFilm geschaffenes Bild. Es konserviert eine Situation und wird so zum Zeugnisvon Geschehenem. Was wir auf einer Fotografie sehen, ist unabänderlicheVergangenheit und mutet authentisch an. Aber ist es deshalb wahr?
Ein Foto wird zwar durch ein Objektiv aufgenommen, doch dieKamera bedient ein Mensch, der subjektiv den Ausschnitt und den Moment derAufnahme auswählt. Deshalb sollte sich der Betrachter einer Fotografie dieFrage stellen: Wer hat sie wo und wann mit welcher Absicht gemacht?
Doch selbst wenn dies bekannt ist, erklären Fotos oft wenig.Wer versucht, einen komplexen Vorgang wie den Zweiten Weltkrieg zu erläuternoder zu analysieren, kommt mit Worten wesentlich weiter. Die Kraft derFotografie liegt dagegen in ihrer Überzeugungskraft und in ihrer Wirkung aufdie Gefühle der Betrachter. Fotos können - so die amerikanische Autorin SusanSontag - etwas, was Worte kaum zu Wege bringen: "Sie suchen uns heim undlassen uns nicht mehr los."
In den frühenzwanziger Jahren des 20. Jahrhunderts eroberte in Deutschland ein neuerZeitschriftentypus rasant den Markt für Druck-Erzeugnisse: die Illustrierte.Die entscheidende Innovation dieser Blätter, die bald in allen westlichenIndustriestaaten erfolgreich kopiert wurden, war die Reportage mit der Kamera.Die Fotografien waren für die Illustrierten wichtiger als das Wort. Die "MünchnerIllustrierte Presse" kam auf eine Auflage von über 600 000 Exemplaren und die"Berliner Illustrirte Zeitung" verkaufte knapp 2 Millionen. Die"Arbeiter-Illustrierte-Zeitung" wandte sich an die Linken und dasProletariat; sie kam auf eine Auflage von etwa einer halben Million.
Angesichts des großen Erfolgs der Illustrierten entwickeltesich unter deutschen Intellektuellen eine Debatte über die Funktion vonFotografien. Walter Benjamin klassifizierte sie als potenzielle "Beweisstückeim historischen Prozess". Siegfried Kracauer dagegen beurteilte denpraktizierten Fotojournalismus sehr kritisch: "In den Illustrierten sieht dasPublikum die Welt", schrieb er, "an deren Wahrnehmung es die Illustriertenhindern."
Dagegen argumentierte Kurt Tucholsky alias Peter Panterunter dem programmatischen Titel "Ein Bild sagt mehr als 1000 Worte":Was Worte nicht zu sagen vermögen, "lehrt die Anschauung, die direkt an das Gefühlszentrumgreift, die die Vermittlung von Gehirnarbeit als fast nebensächlich übergeht, dieunausradierbar sagt, wie es gewesen ist".
Aber ist es wirklich so gewesen, wie es das Foto festhält?Garantieren Fotos, dass das Gezeigte authentisch ist? Auch Tucholsky warntedavor, dass "jeder Propagandist die Wirkung des Tendenzbildes zu schätzen"wisse. Dies galt in besonderem Maße für die Nationalsozialisten. JosephGoebbels studierte die Methoden der amerikanischen Werbung und maß derFotografie für die Manipulation der Massen eine zentrale Bedeutung bei. "DasErlebnis des Einzelnen ist zum Volkserlebnis geworden, und das dank derKamera", erklärte der Minister für Volksaufklärung und Propaganda 1933 inBerlin bei der Eröffnung der Fotomesse "Die Kamera".
DieVoraussetzung für die visuelle Revolutionierung der Presse, aber auch dafür,dass bis zum Beginn des Zweiten Weltkriegs an die sieben Millionen Deutsche zuFreizeitfotografen werden, war die industrielle Produktion vonKleinbildkameras und Rollfilmen. Leitz brachte 1925 eine handliche Kameranamens Leica auf den Markt, mit der im Zweiten Weltkrieg die besten Fotografenarbeiteten. Der legendären Leica folgte die Contax von Zeiss Ikon und vieleModelle anderer Hersteller.
Dank diesertechnologischen Entwicklung und der Massenproduktion von Kameras wurde derZweite Weltkrieg zum ersten umfassend fotografierten Krieg der Geschichte. Wieviele Kriegsfotos in den Jahren 1939 bis 1945 insgesamt aufgenommen wurden, lässtsich allerdings nur grob schätzen. Allein die Zahl der ausschließlich zurinternen militärischen Verwendung gemachten Luftbilder liegt bei knapp 30Millionen, von denen rund 10 Millionen in amerikanischen und über 5 Millionenin britischen Archiven erhalten sind.
DieFotografen der Propagandakompanien der Wehrmacht haben rund zwei MillionenNegative hinterlassen. Und das Imperial War Museum in London verwahrt ungefährdrei Millionen Aufnahmen überwiegend britischer Herkunft. Hinzu kommen noch dieFotos von Millionen Soldaten, die private Erinerungsfotos machten und von denennur ein geringer Teil bislang der Öffentlichkeit zugänglich ist. Vor diesemHintergrund scheint die Annahme nicht unrealistisch, dass im ZweitenWeltkrieg über 40 Millionen einzelne Fotos belichtet wurden.
Wenn wirheute Bilder aus dem Zweiten Weltkrieg betrachten, führen diese uns auch vorAugen, dass sich dramatische Fotos deutlicher in die Erinnerung brennen, alsdies laufende Film- oder Fernsehbilder vermögen. Und das dramatische Foto istes, dem die professionellen Fotografen hinterherjagen. Sie wollen Bildermachen, die die Betrachter fesseln, überraschen oder schockieren. (...)
© 2005 DeutscheVerlags-Anstalt, München und SPIEGEL-Buchverlag, Hamburg
- Autor: MICHAEL SONTHEIMER (HG.)
- 2005, 2, 255 Seiten, mit zahlreichen farbigen Abbildungen, Maße: 21,5 x 28 cm, Gebunden, Deutsch
- Hrsg. v. Michael Sontheimer
- Verlag: DVA
- ISBN-10: 3421058725
- ISBN-13: 9783421058720
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