Blood Magic - Weiß wie Mondlicht, rot wie Blut
Als Silla vor ihrer Haustür ein altes, geheimnisvolles Zauberbuch findet, ändert sich ihr Leben schlagartig. Sie taucht ein in die Welt des berauschenden Zaubers. Doch die Blutmagie kann dunkle Mächte heraufbeschwören und nur Nick, der Nachbarsjunge, warnt Silla davor.
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Produktdetails
Produktinformationen zu „Blood Magic - Weiß wie Mondlicht, rot wie Blut “
Als Silla vor ihrer Haustür ein altes, geheimnisvolles Zauberbuch findet, ändert sich ihr Leben schlagartig. Sie taucht ein in die Welt des berauschenden Zaubers. Doch die Blutmagie kann dunkle Mächte heraufbeschwören und nur Nick, der Nachbarsjunge, warnt Silla davor.
"Ein unglaubliches Buch. Wahnsinn!" -- Leser-Welt.de
"In diese Geschichte taucht man hinein, sie lässt einen nicht mehr los, man lebt mit Silla die Magie." -- Buchrezicenter.de
"Ein düsteres Buch voller Magie, das für Gänsehaut sorgt und vor allem aufgrund seiner sympathischen Charaktere und des angenehmen Stils der Autorin überzeugt." -- Büchertreff.de
"In diese Geschichte taucht man hinein, sie lässt einen nicht mehr los, man lebt mit Silla die Magie." -- Buchrezicenter.de
"Ein düsteres Buch voller Magie, das für Gänsehaut sorgt und vor allem aufgrund seiner sympathischen Charaktere und des angenehmen Stils der Autorin überzeugt." -- Büchertreff.de
Lese-Probe zu „Blood Magic - Weiß wie Mondlicht, rot wie Blut “
Blood Magic - Weiß wie Mondlicht, rot wie Blut von Tess Gratton1
Ich heiße Josephine Darly,
und ich habe vor, ewig zu leben.
2
Silla
Wer niemals länger allein auf einem Friedhof war, kann eigentlich nicht wissen, wer er ist.
Der Grabstein kühlte meinen Rücken und drückte mein dünnes T-Shirt in den herabrinnenden Schweiß. Die Dämmerung wusch die Schatten vom Friedhof und rückte ihn in einen Zwischenzustand: Es war weder Tag noch Nacht, nur ein grauer, tränenreicher Augenblick. Ich saß im Schneidersitz auf dem dürren Gras, das über dem Grab meiner Eltern wuchs, und hatte das Buch auf dem Schoß.
Ich wischte den Schmutz vom Umschlag. Das Buch war so groß wie ein Taschenbuch und sah in meinen Händen klein und unbedeutend aus. Der mahagonifarbene Lederumschlag war mit den Jahren weich geworden; an den Ecken war die Farbe abgewetzt. Der Beschnitt der Seiten war früher vergoldet gewesen, aber auch davon war nichts mehr übrig. Das Buch knisterte, als ich es aufschlug und die Widmung las. Ich las sie flüsternd vor, damit sie wirklicher erschien.
Notizen über Transformation
und Transzendenz
Oh, schmölze doch dies allzu feste Fleisch,
Zerging und löst' in einen Tau sich auf!
Shakespeare
... mehr
Das war eins von Dads Lieblingszitaten. Aus Hamlet. Dad rezitierte es jedes Mal wenn Reese oder ich beleidigt aus dem Zimmer rannten. Er behauptete, im Gegensatz zu dem dänischen Prinzen hätten wir keinen Grund zur Klage. Ich weiß noch genau, wie er mich bei einem dieser Anlässe über das Glas hinweg mit zusammengekniffenen blauen Augen ansah.
Das Buch war am Nachmittag mit der Post gekommen, in braunes Papier gewickelt und ohne Absender. Auf dem Umschlag des Päckchens stand wie auf einer Vorladung in Blockbuchstaben DRUSILLA KENNICOT. In der oberen rechten Ecke klebten sechs Briefmarken. Es roch wie Blut.
Dieses eigenartige Aroma nackter Kupfermünzen blieb mir im Hals stecken, verklebt mit Erinnerungen. Als ich die Augen schloss, sah ich Blutspritzer auf Bücherregalen.
Als ich die Augen wieder aufschlug, war ich noch immer allein auf dem Friedhof.
In der Umschlagklappe steckte ein dreifach gefalteter Brief, der auf festem Blankopapier geschrieben war.
Silla, lautete das erste Wort. Jedes Mal wenn ich meinen Namen in der alten Schreibschrift sah, lief mir ein Schauer über den Rücken. Das untere Ende des S schlängelte sich ewig weiter.
Silla,
ich empfinde deinen Verlust wie meinen eigenen, Kind. Ich habe deinen Vater fast sein ganzes Leben lang gekannt, und er war mir ein teurer Freund. Zu meinem großen Bedauern sehe ich mich nicht in der Lage, an seiner Gedenkfeier teilzunehmen, doch glaube mir, dass ich sein Leben preise und seinen Tod schmerzlich betrauere.
Wenn ich dir auch nur den kleinsten Trost reichen kann, so hoffe ich, dass er hierin besteht. In diesem Buch sind die Geheimnisse verzeichnet, die er zur Vollkommenheit gebracht hat. Jahrzehnte der Forschung, die Erkenntnisse eines ganzen Lebens. Dein Vater war
ein außerordentlich begabter Magier und Heiler, der sehr stolz auf dich war, stolz
auf deine Kraft. Ich weiß, dass es ihm gefallen hätte, dieses Verzeichnis seiner
Werke jetzt in deinen Händen zu wissen.
Ich setze die größten Hoffnungen in dich und deinen Bruder.
Die Unterschrift lautete schlicht: Der Diakon. Kein Nachname, keine Information darüber, wo oder wie man ihn erreichen könnte.
In einiger Entfernung flogen kreischend Krähen zwischen den Grabsteinen auf. Unter rauem Krächzen und wildem Flügelschlag stoben sie in einer schwarzen Wolke durch die Luft. Ich sah ihnen zu, wie sie über den grauen Himmel auf mein Haus zuflogen - wahrscheinlich um die Blauhäher zu ärgern, die in dem Ahorn im Vorgarten nisteten.
Als der Wind mir die kurzen Haare ins Gesicht wehte, strich ich sie zurück. Wer mochte dieser Diakon sein? Er behauptete, ein Freund meines Vaters zu sein, aber ich hatte noch nie von ihm gehört. Und warum schrieb er so unglaubliche, lächerliche Dinge über ihn: dass mein Dad ein Magier und Heiler gewesen sein sollte, obwohl er als Lateinlehrer an der Highschool gearbeitet hatte? Dennoch war ich sicher, dass ich ein Buch in Händen hielt, das mein Vater geschrieben hatte. Ich erkannte seine feine, zier liche Handschrift, die winzigen Schwünge im großen L und die perfekten Winkel in jedem einzelnen R. Das Tippen auf einer Tastatur hatte er nicht ausstehen können, und deshalb hatte er Reese und mich bei jeder Gelegenheit getriezt, uns eine lesbare Handschrift zuzulegen. Reese war ihm insoweit entgegengekommen, als er in Blockbuchstaben schrieb, aber ich war so verliebt in meine wilde Schnörkelklaue, dass es mir egal war, ob man sie entziffern konnte oder nicht.
Woher dieses Buch auch stammte, es gehörte meinem Vater.
Beim Durchblättern entdeckte ich, dass jede Seite von oben bis unten mit engen Zeilen in perfekter Handschrift beschrieben war. Dazu kamen sorgsam gezeichnete Diagramme, die sich wie Spinnweben über das Papier ausbreiteten. Darin waren Kreise in Kreisen, griechische Buchstaben, seltsame Piktogramme und Runen zu sehen. Es gab Dreiecke und Pentagramme, Quadrate und Achtecke sowie siebenarmige Sterne. Am Seitenrand hatte Dad winzige Bemerkungen in Latein und lange Listen mit Inhaltsstoffen notiert.
Salz kam in all diesen Listen vor, sowie bekannte Sachen wie Ingwer, Wachs, Fingernägel, Spiegelscherben, Hühnerkrallen, Katzenzähne und bunte Bändchen. Aber ich fand auch Wörter, die ich nicht kannte, wie Carmot, Odermennig und Speick.
Und Blut. Jede Liste beinhaltete einen Blutstropfen.
Das Buch verzeichnete Zaubersprüche, um Verlorenes wiederzufinden, Neugeborene zu segnen und Flüche abzuwenden. Zaubersprüche als Schutz gegen das Böse. Um über weite Entfernungen zu sehen, die Zukunft vorherzusagen und alle Arten von Krankheiten und Verletzungen zu heilen.
Staunend und voller Angst blätterte ich weiter. Doch ich spürte auch eine gewisse Aufregung, die wie Elektrizität prickelte. Konnte das wirklich wahr sein? Es passte nicht zu Dad, sich ausgeklügelte Tricks auszudenken, und trotz seiner Vorliebe für alte Bücher und Heldensagen war er nie versponnen gewesen.
Es musste einen Zauberspruch geben, den ich ausprobieren konnte. Ich wollte es wissen, wollte es mit eigenen Augen sehen.
Als ich darüber nachdachte, kroch mir der Geruch wieder in den Hals, der Geruch von Blut. Er klebte in meinen Nasenhöhlen und kroch wie dichter Rauch meine Speiseröhre hinunter.
Ich hob das Buch an meine Nase und nahm einen langen, reinigenden Atemzug. Dabei stellte ich mir vor, ich könnte ihn in dem Buch riechen. Meinen Vater.
Nicht das viele Blut, das sein Hemd und den Teppich unter seiner Leiche getränkt hatte, sondern seinen leicht öligen Rauch-Seife-Duft, wenn er morgens nach dem Duschen und einer schnellen Zigarette zum Frühstück auf die hintere Terrasse kam. Ich ließ das Buch wieder in den Schoß sinken und schloss die Augen, bis Dad da war und vor mir saß. Die eine Hand hatte er auf mein rechtes Knie gelegt.
Als ich klein war, kam er immer kurz vorm Schlafengehen in mein Zimmer und berührte mein Knie, wenn er sich aufs Bett setzte. Die Schwerkraft zog mich immer mehr zu ihm hin, bis ich den Kopf an seine Schulter lehnen oder auf seinen Schoß krabbeln konnte, während er mir kindgerechte Versionen literarischer Klassiker erzählte. Am liebsten hörte ich Frankenstein und Was ihr wollt, davon konnte ich gar nicht genug kriegen.
Auf dem Friedhof krächzte die nächste Krähe, ein einsamer Vogel, der langsam hinter seinen Verwandten her flog.
Ich hob das Buch mit beiden Händen hoch, schlug es an einer beliebigen Stelle auf und sah mir den Zauberspruch an: Erneuerung.
Er sollte Leben bringen, bei sorgfältiger Anwendung auf entzündetem oder abgestorbenem Fleisch. Oder Pflanzen länger Kraft verleihen.
Das Diagramm sah aus wie eine Spirale in einem Kreis, die sich wie eine Schlange zur Mitte hin eindrehte. Ich brauchte nur Salz, Blut und Atem. Nichts leichter als das.
Mit einem Stock zog ich einen Kreis in die Friedhofserde. Dann holte ich eine Schachtel mit koscherem Salz aus der Plastiktüte, die ich in der Küche mit den dort vorhandenen Ingredienzien vollgepackt hatte. Die Salzkristalle glitzerten zwischen den dünnen Grashalmen, nachdem ich sie im Kreis verstreut hatte. Setze den Gegenstand in die Mitte des Kreises, hatte Dad geschrieben.
Ich kaute auf der Innenseite meiner Unterlippe. Ich war nirgends verletzt und hatte nichts Abgestorbenes vorzuweisen. Und für Blumen war der Herbst zu weit fortgeschritten.
Doch am Fuß des Grabsteins gegenüber lag ein kleiner Haufen welken Laubs, aus dem ich mir ein schönes Blatt aussuchte. Als ich wieder saß, legte ich das schrumpelige Ahornblatt sanft in die Mitte des Kreises. Die Ränder waren schwarz und gewellt, aber in den Adern waren noch rote Linien zu erkennen. Die Bäume in der Umgebung hatten erst wenige Blätter verloren, sodass dieses hier wahrscheinlich noch aus dem letzten Jahr stammte. Es hatte eine Menge Zeit auf dem Friedhof verbracht.
Jetzt kam der schwierige Teil. Ich kramte mein Taschenmesser aus der Hosentasche und klappte das Messer auf. Als ich die Spitze an meinen linken Daumen gesetzt hatte, zögerte ich.
Bei der Vorstellung, wie weh es tun würde, bekam ich Bauchschmerzen. Und wenn dieses Zauberbuch nur ein Witz war? Ich war verrückt, so etwas auch nur zu versuchen! Das konnte doch alles gar nicht sein. Es gab keine Magie.
Doch da stand es Schwarz auf Weiß in Dads Handschrift und so eine Gemeinheit traute ich ihm nicht zu. Und wahnsinnig war er auch nicht - und wenn die Leute es hundertmal behaupteten. Dad hatte an diese Sache geglaubt, sonst hätte er keine Zeit darauf verschwendet. Ich vertraute meinem Vater, das musste ich einfach.
Wie auch immer, es ging nur um einen einzigen Blutstropfen.
Vorsichtig drückte ich das Messer in meine Haut, ohne einzuschneiden. Ich zitterte am ganzen Körper, weil ich drauf und dran war, herauszufinden, ob es Magie nun gab oder nicht. Die Spannung hinterließ einen scharfen Geschmack auf meiner Zunge.
Ich schnitt tief ins Fleisch.
Obwohl ich den Mund fest geschlossen hatte, schrie ich leise auf, als das Blut hervorquoll, so dunkel wie Öl. Ich streckte die Hand aus und starrte auf den dicken Tropfen, der über meinen Daumen rann. Der dumpfe Schmerz zog bis in meinen Arm hoch und pochte in meinem Schulterblatt, ehe er nachließ. Meine Hand zitterte, aber ich hatte keine Angst mehr.
Rasch ließ ich ein, zwei, drei Tropfen Blut auf das Blatt fallen. Sie sammelten sich in einer kleinen Pfütze in der Mitte. Ich beugte mich vor und starrte das Blut an, als könnte es zurückschauen. Dabei dachte ich an Dad und daran, wie sehr ich ihn vermisste. Das hier musste einfach echt sein.
»Ago vita iterum«, flüsterte ich und hauchte über das Blatt, bis der kleine Teich aus Blut sich kräuselte.
Nichts passierte. Der Wind zerzauste mir wieder die Haare und ich legte zum Schutz die Hände um das Blatt. Als ich nach unten sah, dachte ich, ich hätte die lateinischen Wörter vielleicht falsch ausgesprochen. Ich drückte meinen Daumen, sammelte Blut und ließ es herabtropfen. Dann wiederholte ich den Spruch.
Unter meinem Atem erschauerte das Blatt und die Ränder entrollten sich wie wachsende Blätter auf Zeitlupenaufnahmen. Die rote Mitte breitete sich bis zur Spitze aus und verwandelte sich in ein üppiges Hellgrün. Das Blatt lag im Kreis, so glatt und frisch, als hätte ich es gerade vom Baum gepflückt.
Plötzlich wurde ich durch ein kratzendes Geräusch im Gras abgelenkt.
Ein Junge beobachtete mich mit großen Augen.
Übersetzung: Anne Brauner
© 2011 für die deutschsprachige Ausgabe
Das war eins von Dads Lieblingszitaten. Aus Hamlet. Dad rezitierte es jedes Mal wenn Reese oder ich beleidigt aus dem Zimmer rannten. Er behauptete, im Gegensatz zu dem dänischen Prinzen hätten wir keinen Grund zur Klage. Ich weiß noch genau, wie er mich bei einem dieser Anlässe über das Glas hinweg mit zusammengekniffenen blauen Augen ansah.
Das Buch war am Nachmittag mit der Post gekommen, in braunes Papier gewickelt und ohne Absender. Auf dem Umschlag des Päckchens stand wie auf einer Vorladung in Blockbuchstaben DRUSILLA KENNICOT. In der oberen rechten Ecke klebten sechs Briefmarken. Es roch wie Blut.
Dieses eigenartige Aroma nackter Kupfermünzen blieb mir im Hals stecken, verklebt mit Erinnerungen. Als ich die Augen schloss, sah ich Blutspritzer auf Bücherregalen.
Als ich die Augen wieder aufschlug, war ich noch immer allein auf dem Friedhof.
In der Umschlagklappe steckte ein dreifach gefalteter Brief, der auf festem Blankopapier geschrieben war.
Silla, lautete das erste Wort. Jedes Mal wenn ich meinen Namen in der alten Schreibschrift sah, lief mir ein Schauer über den Rücken. Das untere Ende des S schlängelte sich ewig weiter.
Silla,
ich empfinde deinen Verlust wie meinen eigenen, Kind. Ich habe deinen Vater fast sein ganzes Leben lang gekannt, und er war mir ein teurer Freund. Zu meinem großen Bedauern sehe ich mich nicht in der Lage, an seiner Gedenkfeier teilzunehmen, doch glaube mir, dass ich sein Leben preise und seinen Tod schmerzlich betrauere.
Wenn ich dir auch nur den kleinsten Trost reichen kann, so hoffe ich, dass er hierin besteht. In diesem Buch sind die Geheimnisse verzeichnet, die er zur Vollkommenheit gebracht hat. Jahrzehnte der Forschung, die Erkenntnisse eines ganzen Lebens. Dein Vater war
ein außerordentlich begabter Magier und Heiler, der sehr stolz auf dich war, stolz
auf deine Kraft. Ich weiß, dass es ihm gefallen hätte, dieses Verzeichnis seiner
Werke jetzt in deinen Händen zu wissen.
Ich setze die größten Hoffnungen in dich und deinen Bruder.
Die Unterschrift lautete schlicht: Der Diakon. Kein Nachname, keine Information darüber, wo oder wie man ihn erreichen könnte.
In einiger Entfernung flogen kreischend Krähen zwischen den Grabsteinen auf. Unter rauem Krächzen und wildem Flügelschlag stoben sie in einer schwarzen Wolke durch die Luft. Ich sah ihnen zu, wie sie über den grauen Himmel auf mein Haus zuflogen - wahrscheinlich um die Blauhäher zu ärgern, die in dem Ahorn im Vorgarten nisteten.
Als der Wind mir die kurzen Haare ins Gesicht wehte, strich ich sie zurück. Wer mochte dieser Diakon sein? Er behauptete, ein Freund meines Vaters zu sein, aber ich hatte noch nie von ihm gehört. Und warum schrieb er so unglaubliche, lächerliche Dinge über ihn: dass mein Dad ein Magier und Heiler gewesen sein sollte, obwohl er als Lateinlehrer an der Highschool gearbeitet hatte? Dennoch war ich sicher, dass ich ein Buch in Händen hielt, das mein Vater geschrieben hatte. Ich erkannte seine feine, zier liche Handschrift, die winzigen Schwünge im großen L und die perfekten Winkel in jedem einzelnen R. Das Tippen auf einer Tastatur hatte er nicht ausstehen können, und deshalb hatte er Reese und mich bei jeder Gelegenheit getriezt, uns eine lesbare Handschrift zuzulegen. Reese war ihm insoweit entgegengekommen, als er in Blockbuchstaben schrieb, aber ich war so verliebt in meine wilde Schnörkelklaue, dass es mir egal war, ob man sie entziffern konnte oder nicht.
Woher dieses Buch auch stammte, es gehörte meinem Vater.
Beim Durchblättern entdeckte ich, dass jede Seite von oben bis unten mit engen Zeilen in perfekter Handschrift beschrieben war. Dazu kamen sorgsam gezeichnete Diagramme, die sich wie Spinnweben über das Papier ausbreiteten. Darin waren Kreise in Kreisen, griechische Buchstaben, seltsame Piktogramme und Runen zu sehen. Es gab Dreiecke und Pentagramme, Quadrate und Achtecke sowie siebenarmige Sterne. Am Seitenrand hatte Dad winzige Bemerkungen in Latein und lange Listen mit Inhaltsstoffen notiert.
Salz kam in all diesen Listen vor, sowie bekannte Sachen wie Ingwer, Wachs, Fingernägel, Spiegelscherben, Hühnerkrallen, Katzenzähne und bunte Bändchen. Aber ich fand auch Wörter, die ich nicht kannte, wie Carmot, Odermennig und Speick.
Und Blut. Jede Liste beinhaltete einen Blutstropfen.
Das Buch verzeichnete Zaubersprüche, um Verlorenes wiederzufinden, Neugeborene zu segnen und Flüche abzuwenden. Zaubersprüche als Schutz gegen das Böse. Um über weite Entfernungen zu sehen, die Zukunft vorherzusagen und alle Arten von Krankheiten und Verletzungen zu heilen.
Staunend und voller Angst blätterte ich weiter. Doch ich spürte auch eine gewisse Aufregung, die wie Elektrizität prickelte. Konnte das wirklich wahr sein? Es passte nicht zu Dad, sich ausgeklügelte Tricks auszudenken, und trotz seiner Vorliebe für alte Bücher und Heldensagen war er nie versponnen gewesen.
Es musste einen Zauberspruch geben, den ich ausprobieren konnte. Ich wollte es wissen, wollte es mit eigenen Augen sehen.
Als ich darüber nachdachte, kroch mir der Geruch wieder in den Hals, der Geruch von Blut. Er klebte in meinen Nasenhöhlen und kroch wie dichter Rauch meine Speiseröhre hinunter.
Ich hob das Buch an meine Nase und nahm einen langen, reinigenden Atemzug. Dabei stellte ich mir vor, ich könnte ihn in dem Buch riechen. Meinen Vater.
Nicht das viele Blut, das sein Hemd und den Teppich unter seiner Leiche getränkt hatte, sondern seinen leicht öligen Rauch-Seife-Duft, wenn er morgens nach dem Duschen und einer schnellen Zigarette zum Frühstück auf die hintere Terrasse kam. Ich ließ das Buch wieder in den Schoß sinken und schloss die Augen, bis Dad da war und vor mir saß. Die eine Hand hatte er auf mein rechtes Knie gelegt.
Als ich klein war, kam er immer kurz vorm Schlafengehen in mein Zimmer und berührte mein Knie, wenn er sich aufs Bett setzte. Die Schwerkraft zog mich immer mehr zu ihm hin, bis ich den Kopf an seine Schulter lehnen oder auf seinen Schoß krabbeln konnte, während er mir kindgerechte Versionen literarischer Klassiker erzählte. Am liebsten hörte ich Frankenstein und Was ihr wollt, davon konnte ich gar nicht genug kriegen.
Auf dem Friedhof krächzte die nächste Krähe, ein einsamer Vogel, der langsam hinter seinen Verwandten her flog.
Ich hob das Buch mit beiden Händen hoch, schlug es an einer beliebigen Stelle auf und sah mir den Zauberspruch an: Erneuerung.
Er sollte Leben bringen, bei sorgfältiger Anwendung auf entzündetem oder abgestorbenem Fleisch. Oder Pflanzen länger Kraft verleihen.
Das Diagramm sah aus wie eine Spirale in einem Kreis, die sich wie eine Schlange zur Mitte hin eindrehte. Ich brauchte nur Salz, Blut und Atem. Nichts leichter als das.
Mit einem Stock zog ich einen Kreis in die Friedhofserde. Dann holte ich eine Schachtel mit koscherem Salz aus der Plastiktüte, die ich in der Küche mit den dort vorhandenen Ingredienzien vollgepackt hatte. Die Salzkristalle glitzerten zwischen den dünnen Grashalmen, nachdem ich sie im Kreis verstreut hatte. Setze den Gegenstand in die Mitte des Kreises, hatte Dad geschrieben.
Ich kaute auf der Innenseite meiner Unterlippe. Ich war nirgends verletzt und hatte nichts Abgestorbenes vorzuweisen. Und für Blumen war der Herbst zu weit fortgeschritten.
Doch am Fuß des Grabsteins gegenüber lag ein kleiner Haufen welken Laubs, aus dem ich mir ein schönes Blatt aussuchte. Als ich wieder saß, legte ich das schrumpelige Ahornblatt sanft in die Mitte des Kreises. Die Ränder waren schwarz und gewellt, aber in den Adern waren noch rote Linien zu erkennen. Die Bäume in der Umgebung hatten erst wenige Blätter verloren, sodass dieses hier wahrscheinlich noch aus dem letzten Jahr stammte. Es hatte eine Menge Zeit auf dem Friedhof verbracht.
Jetzt kam der schwierige Teil. Ich kramte mein Taschenmesser aus der Hosentasche und klappte das Messer auf. Als ich die Spitze an meinen linken Daumen gesetzt hatte, zögerte ich.
Bei der Vorstellung, wie weh es tun würde, bekam ich Bauchschmerzen. Und wenn dieses Zauberbuch nur ein Witz war? Ich war verrückt, so etwas auch nur zu versuchen! Das konnte doch alles gar nicht sein. Es gab keine Magie.
Doch da stand es Schwarz auf Weiß in Dads Handschrift und so eine Gemeinheit traute ich ihm nicht zu. Und wahnsinnig war er auch nicht - und wenn die Leute es hundertmal behaupteten. Dad hatte an diese Sache geglaubt, sonst hätte er keine Zeit darauf verschwendet. Ich vertraute meinem Vater, das musste ich einfach.
Wie auch immer, es ging nur um einen einzigen Blutstropfen.
Vorsichtig drückte ich das Messer in meine Haut, ohne einzuschneiden. Ich zitterte am ganzen Körper, weil ich drauf und dran war, herauszufinden, ob es Magie nun gab oder nicht. Die Spannung hinterließ einen scharfen Geschmack auf meiner Zunge.
Ich schnitt tief ins Fleisch.
Obwohl ich den Mund fest geschlossen hatte, schrie ich leise auf, als das Blut hervorquoll, so dunkel wie Öl. Ich streckte die Hand aus und starrte auf den dicken Tropfen, der über meinen Daumen rann. Der dumpfe Schmerz zog bis in meinen Arm hoch und pochte in meinem Schulterblatt, ehe er nachließ. Meine Hand zitterte, aber ich hatte keine Angst mehr.
Rasch ließ ich ein, zwei, drei Tropfen Blut auf das Blatt fallen. Sie sammelten sich in einer kleinen Pfütze in der Mitte. Ich beugte mich vor und starrte das Blut an, als könnte es zurückschauen. Dabei dachte ich an Dad und daran, wie sehr ich ihn vermisste. Das hier musste einfach echt sein.
»Ago vita iterum«, flüsterte ich und hauchte über das Blatt, bis der kleine Teich aus Blut sich kräuselte.
Nichts passierte. Der Wind zerzauste mir wieder die Haare und ich legte zum Schutz die Hände um das Blatt. Als ich nach unten sah, dachte ich, ich hätte die lateinischen Wörter vielleicht falsch ausgesprochen. Ich drückte meinen Daumen, sammelte Blut und ließ es herabtropfen. Dann wiederholte ich den Spruch.
Unter meinem Atem erschauerte das Blatt und die Ränder entrollten sich wie wachsende Blätter auf Zeitlupenaufnahmen. Die rote Mitte breitete sich bis zur Spitze aus und verwandelte sich in ein üppiges Hellgrün. Das Blatt lag im Kreis, so glatt und frisch, als hätte ich es gerade vom Baum gepflückt.
Plötzlich wurde ich durch ein kratzendes Geräusch im Gras abgelenkt.
Ein Junge beobachtete mich mit großen Augen.
Übersetzung: Anne Brauner
© 2011 für die deutschsprachige Ausgabe
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Autoren-Porträt von Tessa Gratton
Tessa Gratton wurde in Okinawa, Japan, geboren, als ihr Vater dort im Dienst der US Navy war. Mit ihrer Familie bereiste sie die Welt und studierte dann an der Universität von Kansas. Von klein auf wollte sie eigentlich Paläontologin oder Zauberin werden. Leider hat sich herausgestellt, dass sie zu ungeduldig ist, um Dinosaurier zu jagen, aber sie sucht noch immer jemanden, der ihr das Zaubern beibringen kann. Inzwischen lebt sie in Kansas, USA, mit ihrer Katze und ihrem Hund, und erzählt Geschichten vom Zaubern.Anne Brauner ist Übersetzerin mit dem Schwerpunkt Kinder- und Jugendliteratur sowie Autorin mit zahlreichen Publikationen auf dem Gebiet der Reiseliteratur.
Bibliographische Angaben
- Autor: Tessa Gratton
- Altersempfehlung: 12 - 15 Jahre
- 2011, 444 Seiten, Maße: 13,5 x 21,5 cm, Gebunden, Deutsch
- Übersetzung: Brauner, Anne
- Übersetzer: Anne Brauner
- Verlag: cbj
- ISBN-10: 3570152863
- ISBN-13: 9783570152867
Rezension zu „Blood Magic - Weiß wie Mondlicht, rot wie Blut “
"Ein düsteres Buch voller Magie, das für Gänsehaut sorgt und vor allem aufgrund seiner sympathischen Charaktere und des angenehmen Stils der Autorin überzeugt."
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