Blutwurstblues
Seine längste Schicht dauerte 20 Jahre - denn so lange lag Kommissar Mick Brisgau im Koma! Kein Wunder, dass es seine Kollegen jetzt oftmals schwer mit ihm und seinen Methoden haben. In "Blutwurstblues" ermitteln der letzte Bulle und sein Team in...
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Produktdetails
Produktinformationen zu „Blutwurstblues “
Seine längste Schicht dauerte 20 Jahre - denn so lange lag Kommissar Mick Brisgau im Koma! Kein Wunder, dass es seine Kollegen jetzt oftmals schwer mit ihm und seinen Methoden haben. In "Blutwurstblues" ermitteln der letzte Bulle und sein Team in einer alten Zechensiedlung: ein Taubenzüchter hat das Zeitliche gesegnet.
Achtung: Diesen Fall gibt's nur als Buch!
Klappentext zu „Blutwurstblues “
'Kommissar Mick Brisgau ist ein aus der Zeit gefallener Bilderbuch-Macho mit Herz, seine Erfolge als Polizist und bei den Frauen geben ihm recht. Das Leben mit ihm ist für Polizeikollegen Andreas, Psychologin Tanja und Exfrau Lisa immer wieder eine knallbunte Achterbahnfahrt zum Soundtrack der 80er. In "Blutwurstblues" ermittelt er mit dem Team aus "Der letzte Bulle" in einer alten Zechensiedlung, wo alles ganz harmlos mit dem Tod eines Taubenzüchters beginnt. Für alle, denen 45 Minuten zu kurz sind, jetzt nur als Buch: diesen Mick-Brisgau-Krimi können Sie nicht sehen, aber lesen.
Lese-Probe zu „Blutwurstblues “
Blutwurstblues von Stefan Scheich1
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Ruhrpottidylle. Es war ein Samstagnachmittag im Spätfrühling, und in der Schrebergärtnergemeinschaft »Grüne Lunge Altenessen e. V.« verstummte gerade der letzte Rasenmäher. Der Gestank schlecht verbrannten Zweitaktgemischs verzog sich langsam und machte dem Duft frisch angefeuerter Holzkohle Platz. Aus den Radios der eben noch emsigen Kleingärtner quäkte vereinzelt die Liga-Live- Konferenz auf WDR2. Eben hatte Schalkes Huntelaar die Führung gegen Erzfeind Dortmund erzielt, was ein zufriedenes Lächeln auf Werner Schmigalles Gesicht zauberte, während er in Parzelle 19 A den Grill anzündete.
»Hasse gehört, Horst?!«, rief er in Richtung Buchsbaum- hecke von Parzelle 6 und setzte zur Sicherheit noch ein »Zwei-eins Schalke!« hinterher. Die Stimme des 60-jährigen Fachangestellten der Essener Entsorgungsbetriebe, der zeitlebens ähnlich viele Mülltonnen wie Pils gestemmt haben musste, hatte dabei durchaus einen gehässigen Unterton. Die Antwort ließ nicht lange auf sich warten.
»Ach, leck mich doch, mit dein scheiß Schalke!«, ertönte es jenseits der Hecke. Horst selbst war nicht zu sehen, aber in der Frage, welchem Verein seine Sympathien gehörten, ließ die BVB-Flagge, die müde am Fahnenmast hing, keine Zweifel aufkommen. Werner grinste, musste seine königsblaue Ehre aber natürlich dennoch verteidigen.
»Pass auf, wat'e sachs, oder ich zieh dich gleich durche Rabatte!«
»Ey, könnt ihr mal die Schnauze halten?!«, meldete sich jetzt Schrebergartenteilstück 11 zu Wort. »Die konföderieren grad die Bayern, und ich versteh kein Wort.«
»Bayern? - Pfui!«, schallte es unisono aus 6 und 19 A. In dem Punkt waren sich Schalke- und Dortmundfraktion ausnahmsweise einig.
Halbzeit. Werner Schmigalle fächelte dem Grill ein letztes Lüftchen zu und betrachtete dann sein Tagewerk. Der Rasen geschnitten, die Kanten an den Beeten sauber abgestochen und die Waschbetonplatten vor der Laube gründlich gekärchert. Zufriedenheit machte sich in Werner breit. Die Arbeit war erledigt, Schalke führte und der Grill brannte. Darauf erst mal ein Pils. Getreu der alten Weisheit, dass die Kohlen heiß sein sollten, die Kehle des Grillmeisters aber stets kühl und feucht.
Werner Schmigalle nahm es mit diesem Leitsatz sehr genau. Zu genau, wie seine Frau Roswitha fand, und sie kommentierte das neuerliche Ploppen des Kronkorkens mit dem obligatorischen »Trink nich so viel, Werner!«.
»Dat trink ich doch nich, dat is zum Ablöschen. Schaff mal die Koteletts ran, der Grill is heiß!«, konterte Werner auf altbekannte Weise.
Roswitha verschwand schimpfend in der Gartenlaube und stand wenig später mit einem Teller Grillgut neben ihrem Werner.
So weit das samstägliche Ritual in der Parzelle 19 A. Doch was Werner dann auf dem Teller erblickte, wich von den ungeschriebenen Gesetzen einer seit 34 Jahren funktionierenden Ehe auf geradezu beleidigende Art ab.
»Wat is dat denn?«
»Das sind ...«
Werner schwante Böses, weil es nie ein gutes Zeichen war, wenn seine Frau ins Hochdeutsche abglitt und ihre Stimme dabei automatisch den Tonfall einer Oberlehrerin
annahm.
»Das sind Geflügelsteaks. Dein Cholesterin ist ...«
»Rosaaa.« Die Art, wie Werner das a zog, hatte durchaus etwas Drohendes. Auf jemand anderen hätte der Tonfall einschüchternd gewirkt. Roswitha hingegen stemmte völlig unbeeindruckt die Hände in die breiten Hüften, die sich unter ihrem geblümten Tunikakleid mehr als deutlich abzeichneten. Nein, Roswitha war keine Frau, die sich leicht einschüchtern ließ, und ihre physische Präsenz unterstrich dies.
»Wat is, Männe?«
»Wo sind die Koteletts?«
»Beim Metzger! Der Arzt sacht schließlich ...«
Werner Schmigalle platzte bald der Kragen. »Bist du jetzt mit dem Quacksalber oder mit mir verheiratet?«
»Ich weiß gar nich, wat du hast. Die sind frisch, zart und mager!«
Werner musterte seine Frau einen Moment lang und verstand. Am Morgen hatte ihn Rosa mitten beim Zähneputzen aus dem Bad gescheucht. Ein sicheres Anzeichen dafür, dass sie auf die Waage wollte. Und nun kam sie ihm rein zufällig mit »mageren« Putensteaks? Werners Blick streifte den gedeckten Tisch vor der Laube. Es gab Grünzeug statt Kartoffelsalat. Jetzt wusste er Bescheid.
»Rosa, mach mir kein Terror mit deine Komplexe.«
»Wat genau meinste damit?!«
Roswithas Stimme bekam einen drohenden Unterton, und Werner beeindruckte der sehr wohl. Ihre geweiteten Augen, die schnaubenden Nüstern, die sich kräuselnde Stirn. All das erinnerte ihn an den Abend, an dem ihn Roswitha in diese Wagnerschmonzette ins Aalto geschleppt hatte. Beim Anblick von Brunhilde hatte er sich damals an seine Frau gewandt und gesagt: »Guck ma, wenn die sauer is, sieht die genauso aus wie du.«
Der Abend hatte kein gutes Ende genommen. Brunhilde wurde von Wotan auf einen Felsen verdammt. Werner Schmigalle von Roswitha auf die Couch im Wohnzimmer. Es war also höchste Zeit, Schadensbegrenzung zu betreiben und in dem ganzen Knies mal wieder sachlich zu werden.
»Wat ich mein, is nur, dat auf diesen Grill nix kommt, wat sich aus'm Ei gepellt hat.«
In dem Moment tat es einen Schlag, der den Webergrill neben Schmigalle in seinen Grundfesten erschütterte. Werners erster Gedanke war, dass seine Frau Fakten geschaffen und die Putensteaks einfach auf den Grill geworfen hatte. Zu seiner Verwunderung schaute Roswitha aber genauso ver dattert drein wie er. Dann wanderte ihr Blick zum Grill, auf dessen Rost eine tote weiße Taube lag.
»Wat is dat denn für 'ne Sauerei?«, fragte Werner Schmigalle mehr sich selbst als seine Frau. Eine Antwort bekam er trotzdem.
»Auf jeden Fall eine, die sich aus'm Ei gepellt hat!«, erwiderte Roswitha mit einer gewissen Genugtuung in der Stimme.
Inzwischen machte sich ein beißender Geruch rund um den Grill bemerkbar. Einzelne Federn des Täubchens verkohlten bereits. Werner wollte die Taube vom Rost nehmen, verbrannte sich dabei aber die Pfoten. »Teufel! Verdammt!« Kurz entschlossen griff er zur Grillzange.
»Bah! Bisse verrückt, Werner?! Wer weiß, was die für Krank heiten hat? Nachher hat die noch diese ... diese ... na, diesen Vogelschnuppen halt!«
»Vogelschnuppen? Ich krieg gleich die Pimpanellen!«
Werner bekam das Tier endlich zu fassen. Roswitha wich angewidert zurück, als er sich ihr mit der angekokelten Taube zuwandte.
»Hol 'n Akopatz, mach 'n Rost sauber. Ich komm gleich wieder.«
»Meinste, dat is eine von dem Albrecht seinen?«
»Dem oder seinem Halbstarken. Aber jetzt is hier auch mal Schicht im Schacht!«
Der Kies auf dem Weg, der durch die Schrebergartenanlage führte, spritzte unter Werner Schmigalles Stechschritt nur so nach rechts und links. Als er die Buchsbaumhecke von Parzelle 6 passierte, meldete sich Horst triumphierend zu Wort.
»Wat sachse jetzt, Werner? Ausgleich!«
Werner sagte überhaupt nichts, sondern winkte nur ab, musste dabei aber aufpassen, dass ihm die Taube nicht aus der Grillzange fiel. Der Weg bog nach links ab und endete dann unvermittelt vor einem schnurgerade verlaufenden Jägerzaun, der die Grenze der Kleingärtneranlage »Grüne Lunge Altenessen e. V.« markierte. Jenseits des Zauns lagen ausladende Gärten. Von den dazugehörigen kleinen Einfamilienhäusern im Weserberg waren fast nur die schwarzen Dachschindeln zu erkennen, da sie oben an der Straße lagen und das Gelände auf den gut einhundert Metern leicht anstieg. Früher waren in diesen Gärten Gemüse, Obst und Strauchbeeren angepflanzt worden. Seit es jedoch billiger und vor allem weniger mühselig war, das Grünzeug einfach im Supermarkt zu kaufen und Proben des Gesundheitsamts dem Boden eine erhebliche Schwermetallbelastung attestiert hatten, überließen die Anwohner des Weserbergs besonders den unteren Teil ihrer Gärten zunehmend sich selbst.
So kam es, dass der Jägerzaun, vor dem Werner Schmigalle stand, so etwas wie eine magische Grenze zwischen zwei Reichen darstellte. Auf der einen Seite das Land der gekämmten Grashalme, penibel gepflegter Hecken und Gartenzwerge, auf der anderen Seite eine verwunschene Wildnis. Hier präsentierten sich hohes Gras und knorrige, seit Jahren unbeschnittene Obstbäume dem Auge. An anderer Stelle nutzte Efeu ein vor Urzeiten abgestelltes altes Damenrad als Rankhilfe. Was freundlich betrachtet gerade noch als »wild romantisch« durchgehen konnte, war in Werner Schmigalles Wahrnehmung nicht weniger als der Alptraum eines jeden Kleingärtners.
»Albrecht! Albrecht, komm her!«, brüllte Schmigalle in Richtung Diaspora und winkte dabei mit der Taube in seiner Grillzange. »Albrecht!«, rief er ein weiteres Mal, bekam aber keine Antwort.
»Thomas! Bist du da?!«
Noch immer rührte sich nichts. Bis plötzlich eine Taube aus dem hohen Gras aufflatterte. Werner Schmigalle zuckte kurz zusammen, verfolgte dann aber den Flug der Taube. Ein weißer Pavillon, der etwas abseits auf dem Grundstück stand, geriet in sein Blickfeld. Die schnieke und sogar mit Schnitzwerk verzierte Holzkonstruktion hätte man eher in einem englischen Lustgarten oder vielleicht noch im Park um die Villa Hügel, aber nicht auf so einem verlotterten Grundstück vermutet. Die Funktion des Pavillons erschloss sich Schmigalle aber erst, als die aufgeschreckte Taube darin verschwand. Mit zusammengekniffenen Augen konnte er erkennen, dass die offenen Flächen zwischen Brüstung und Dach mit Gitterdraht abgespannt waren. Ein Taubenschlag.
Klar, für die Viecher nur dat Beste, dachte Schmigalle. Dennoch wunderte er sich. Wenn das Ding wirklich ein Taubenschlag war, warum stand dann die Tür sperrangelweit offen?
»Albrecht! Thomas! Einer von euch is da! Ich weiß et!«, rief Werner Schmigalle fordernd. Kalte Wut stieg in ihm auf, als sich noch immer keiner der feigen Kameraden zeigte. Kurz entschlossen stieg er über den Jägerzaun und marschierte mit hoch erhobener Grillzange auf den Pavillon zu. »Hier! Ich hab was für euch! Halb gar is se auch scho...«
Werner Schmigalle blieben die Worte im Halse stecken, als er den Pavillon betrat. Das Bild, das sich ihm bot, hatte schon fast surrealen Charakter. Inmitten eines guten Dutzends schneeweißer Tauben lag ein Junge im schwarzen Anzug auf den weiß getünchten Dielen. Das Einzige, was die Illusion einer reinen schwarzweißen Aufnahme zerstörte, war das kleine rote Rinnsal, das sich über den Boden schlängelte und seinen Ursprung am Kopf des Jungen fand.
»Thomas?«
Schmigalles Pranke, die immer noch die Grillzange umklammerte, lockerte sich. Die Taube fiel zu Boden.
2
Micks Laune war nicht gerade die beste, als sein Opel Diplomat auf dem Kiesweg der Schrebergartensiedlung rutschend zum Stehen kam. Zu allem Überfluss war der Weg so schmal, dass zwar der Wagen gerade hindurchpasste, aber kein Platz mehr zum Öffnen der Türen blieb. Konife renhecke zur Rechten. Schmiedeeiserner Zaun zur Linken. Um den Lack zu schonen, kletterte Mick auf den Beifahrersitz und stemmte die Tür mit einem Tritt seines Cowboy stiefels gegen die Innenverkleidung auf. Die Hecke gab nach, gleichzeitig schepperte es. Ein Gartenzwerg, der die Grenze zwischen Parzelle 29 und Kiesweg bis eben noch standhaft bewacht hatte, war dem aufschwingenden Blech zum Opfer gefallen. Mick betrachtete das Malheur kurz, schälte sich dann aber aus dem Wagen. Bis zum Jägerzaun, der die Schrebergartenanlage von der dahinterliegenden Wildnis trennte, waren es nur wenige Meter.
Darüber, wo er den Tatort zu suchen hatte, musste Mick nicht lange nachdenken. Rund um den Pavillon gingen uniformierte Beamte und die Männer der Spurensicherung in weißen HAZEMAT-Anzügen ihrer Arbeit nach. Inmitten der hektischen Betriebsamkeit saß ein Mann in sich zusammengesunken auf einem Stapel alter Eisenbahnschwellen, die neben dem Pavillon langsam verrotteten. Mick schenkte ihm nur kurz Beachtung, da er nun Andreas entdeckte, der ihn schon ungeduldig zu sich winkte.
Mick eilte mit großen Schritten über die Wiese. Er hatte seinen Partner noch nicht erreicht, da fielen ihm schon des
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Ruhrpottidylle. Es war ein Samstagnachmittag im Spätfrühling, und in der Schrebergärtnergemeinschaft »Grüne Lunge Altenessen e. V.« verstummte gerade der letzte Rasenmäher. Der Gestank schlecht verbrannten Zweitaktgemischs verzog sich langsam und machte dem Duft frisch angefeuerter Holzkohle Platz. Aus den Radios der eben noch emsigen Kleingärtner quäkte vereinzelt die Liga-Live- Konferenz auf WDR2. Eben hatte Schalkes Huntelaar die Führung gegen Erzfeind Dortmund erzielt, was ein zufriedenes Lächeln auf Werner Schmigalles Gesicht zauberte, während er in Parzelle 19 A den Grill anzündete.
»Hasse gehört, Horst?!«, rief er in Richtung Buchsbaum- hecke von Parzelle 6 und setzte zur Sicherheit noch ein »Zwei-eins Schalke!« hinterher. Die Stimme des 60-jährigen Fachangestellten der Essener Entsorgungsbetriebe, der zeitlebens ähnlich viele Mülltonnen wie Pils gestemmt haben musste, hatte dabei durchaus einen gehässigen Unterton. Die Antwort ließ nicht lange auf sich warten.
»Ach, leck mich doch, mit dein scheiß Schalke!«, ertönte es jenseits der Hecke. Horst selbst war nicht zu sehen, aber in der Frage, welchem Verein seine Sympathien gehörten, ließ die BVB-Flagge, die müde am Fahnenmast hing, keine Zweifel aufkommen. Werner grinste, musste seine königsblaue Ehre aber natürlich dennoch verteidigen.
»Pass auf, wat'e sachs, oder ich zieh dich gleich durche Rabatte!«
»Ey, könnt ihr mal die Schnauze halten?!«, meldete sich jetzt Schrebergartenteilstück 11 zu Wort. »Die konföderieren grad die Bayern, und ich versteh kein Wort.«
»Bayern? - Pfui!«, schallte es unisono aus 6 und 19 A. In dem Punkt waren sich Schalke- und Dortmundfraktion ausnahmsweise einig.
Halbzeit. Werner Schmigalle fächelte dem Grill ein letztes Lüftchen zu und betrachtete dann sein Tagewerk. Der Rasen geschnitten, die Kanten an den Beeten sauber abgestochen und die Waschbetonplatten vor der Laube gründlich gekärchert. Zufriedenheit machte sich in Werner breit. Die Arbeit war erledigt, Schalke führte und der Grill brannte. Darauf erst mal ein Pils. Getreu der alten Weisheit, dass die Kohlen heiß sein sollten, die Kehle des Grillmeisters aber stets kühl und feucht.
Werner Schmigalle nahm es mit diesem Leitsatz sehr genau. Zu genau, wie seine Frau Roswitha fand, und sie kommentierte das neuerliche Ploppen des Kronkorkens mit dem obligatorischen »Trink nich so viel, Werner!«.
»Dat trink ich doch nich, dat is zum Ablöschen. Schaff mal die Koteletts ran, der Grill is heiß!«, konterte Werner auf altbekannte Weise.
Roswitha verschwand schimpfend in der Gartenlaube und stand wenig später mit einem Teller Grillgut neben ihrem Werner.
So weit das samstägliche Ritual in der Parzelle 19 A. Doch was Werner dann auf dem Teller erblickte, wich von den ungeschriebenen Gesetzen einer seit 34 Jahren funktionierenden Ehe auf geradezu beleidigende Art ab.
»Wat is dat denn?«
»Das sind ...«
Werner schwante Böses, weil es nie ein gutes Zeichen war, wenn seine Frau ins Hochdeutsche abglitt und ihre Stimme dabei automatisch den Tonfall einer Oberlehrerin
annahm.
»Das sind Geflügelsteaks. Dein Cholesterin ist ...«
»Rosaaa.« Die Art, wie Werner das a zog, hatte durchaus etwas Drohendes. Auf jemand anderen hätte der Tonfall einschüchternd gewirkt. Roswitha hingegen stemmte völlig unbeeindruckt die Hände in die breiten Hüften, die sich unter ihrem geblümten Tunikakleid mehr als deutlich abzeichneten. Nein, Roswitha war keine Frau, die sich leicht einschüchtern ließ, und ihre physische Präsenz unterstrich dies.
»Wat is, Männe?«
»Wo sind die Koteletts?«
»Beim Metzger! Der Arzt sacht schließlich ...«
Werner Schmigalle platzte bald der Kragen. »Bist du jetzt mit dem Quacksalber oder mit mir verheiratet?«
»Ich weiß gar nich, wat du hast. Die sind frisch, zart und mager!«
Werner musterte seine Frau einen Moment lang und verstand. Am Morgen hatte ihn Rosa mitten beim Zähneputzen aus dem Bad gescheucht. Ein sicheres Anzeichen dafür, dass sie auf die Waage wollte. Und nun kam sie ihm rein zufällig mit »mageren« Putensteaks? Werners Blick streifte den gedeckten Tisch vor der Laube. Es gab Grünzeug statt Kartoffelsalat. Jetzt wusste er Bescheid.
»Rosa, mach mir kein Terror mit deine Komplexe.«
»Wat genau meinste damit?!«
Roswithas Stimme bekam einen drohenden Unterton, und Werner beeindruckte der sehr wohl. Ihre geweiteten Augen, die schnaubenden Nüstern, die sich kräuselnde Stirn. All das erinnerte ihn an den Abend, an dem ihn Roswitha in diese Wagnerschmonzette ins Aalto geschleppt hatte. Beim Anblick von Brunhilde hatte er sich damals an seine Frau gewandt und gesagt: »Guck ma, wenn die sauer is, sieht die genauso aus wie du.«
Der Abend hatte kein gutes Ende genommen. Brunhilde wurde von Wotan auf einen Felsen verdammt. Werner Schmigalle von Roswitha auf die Couch im Wohnzimmer. Es war also höchste Zeit, Schadensbegrenzung zu betreiben und in dem ganzen Knies mal wieder sachlich zu werden.
»Wat ich mein, is nur, dat auf diesen Grill nix kommt, wat sich aus'm Ei gepellt hat.«
In dem Moment tat es einen Schlag, der den Webergrill neben Schmigalle in seinen Grundfesten erschütterte. Werners erster Gedanke war, dass seine Frau Fakten geschaffen und die Putensteaks einfach auf den Grill geworfen hatte. Zu seiner Verwunderung schaute Roswitha aber genauso ver dattert drein wie er. Dann wanderte ihr Blick zum Grill, auf dessen Rost eine tote weiße Taube lag.
»Wat is dat denn für 'ne Sauerei?«, fragte Werner Schmigalle mehr sich selbst als seine Frau. Eine Antwort bekam er trotzdem.
»Auf jeden Fall eine, die sich aus'm Ei gepellt hat!«, erwiderte Roswitha mit einer gewissen Genugtuung in der Stimme.
Inzwischen machte sich ein beißender Geruch rund um den Grill bemerkbar. Einzelne Federn des Täubchens verkohlten bereits. Werner wollte die Taube vom Rost nehmen, verbrannte sich dabei aber die Pfoten. »Teufel! Verdammt!« Kurz entschlossen griff er zur Grillzange.
»Bah! Bisse verrückt, Werner?! Wer weiß, was die für Krank heiten hat? Nachher hat die noch diese ... diese ... na, diesen Vogelschnuppen halt!«
»Vogelschnuppen? Ich krieg gleich die Pimpanellen!«
Werner bekam das Tier endlich zu fassen. Roswitha wich angewidert zurück, als er sich ihr mit der angekokelten Taube zuwandte.
»Hol 'n Akopatz, mach 'n Rost sauber. Ich komm gleich wieder.«
»Meinste, dat is eine von dem Albrecht seinen?«
»Dem oder seinem Halbstarken. Aber jetzt is hier auch mal Schicht im Schacht!«
Der Kies auf dem Weg, der durch die Schrebergartenanlage führte, spritzte unter Werner Schmigalles Stechschritt nur so nach rechts und links. Als er die Buchsbaumhecke von Parzelle 6 passierte, meldete sich Horst triumphierend zu Wort.
»Wat sachse jetzt, Werner? Ausgleich!«
Werner sagte überhaupt nichts, sondern winkte nur ab, musste dabei aber aufpassen, dass ihm die Taube nicht aus der Grillzange fiel. Der Weg bog nach links ab und endete dann unvermittelt vor einem schnurgerade verlaufenden Jägerzaun, der die Grenze der Kleingärtneranlage »Grüne Lunge Altenessen e. V.« markierte. Jenseits des Zauns lagen ausladende Gärten. Von den dazugehörigen kleinen Einfamilienhäusern im Weserberg waren fast nur die schwarzen Dachschindeln zu erkennen, da sie oben an der Straße lagen und das Gelände auf den gut einhundert Metern leicht anstieg. Früher waren in diesen Gärten Gemüse, Obst und Strauchbeeren angepflanzt worden. Seit es jedoch billiger und vor allem weniger mühselig war, das Grünzeug einfach im Supermarkt zu kaufen und Proben des Gesundheitsamts dem Boden eine erhebliche Schwermetallbelastung attestiert hatten, überließen die Anwohner des Weserbergs besonders den unteren Teil ihrer Gärten zunehmend sich selbst.
So kam es, dass der Jägerzaun, vor dem Werner Schmigalle stand, so etwas wie eine magische Grenze zwischen zwei Reichen darstellte. Auf der einen Seite das Land der gekämmten Grashalme, penibel gepflegter Hecken und Gartenzwerge, auf der anderen Seite eine verwunschene Wildnis. Hier präsentierten sich hohes Gras und knorrige, seit Jahren unbeschnittene Obstbäume dem Auge. An anderer Stelle nutzte Efeu ein vor Urzeiten abgestelltes altes Damenrad als Rankhilfe. Was freundlich betrachtet gerade noch als »wild romantisch« durchgehen konnte, war in Werner Schmigalles Wahrnehmung nicht weniger als der Alptraum eines jeden Kleingärtners.
»Albrecht! Albrecht, komm her!«, brüllte Schmigalle in Richtung Diaspora und winkte dabei mit der Taube in seiner Grillzange. »Albrecht!«, rief er ein weiteres Mal, bekam aber keine Antwort.
»Thomas! Bist du da?!«
Noch immer rührte sich nichts. Bis plötzlich eine Taube aus dem hohen Gras aufflatterte. Werner Schmigalle zuckte kurz zusammen, verfolgte dann aber den Flug der Taube. Ein weißer Pavillon, der etwas abseits auf dem Grundstück stand, geriet in sein Blickfeld. Die schnieke und sogar mit Schnitzwerk verzierte Holzkonstruktion hätte man eher in einem englischen Lustgarten oder vielleicht noch im Park um die Villa Hügel, aber nicht auf so einem verlotterten Grundstück vermutet. Die Funktion des Pavillons erschloss sich Schmigalle aber erst, als die aufgeschreckte Taube darin verschwand. Mit zusammengekniffenen Augen konnte er erkennen, dass die offenen Flächen zwischen Brüstung und Dach mit Gitterdraht abgespannt waren. Ein Taubenschlag.
Klar, für die Viecher nur dat Beste, dachte Schmigalle. Dennoch wunderte er sich. Wenn das Ding wirklich ein Taubenschlag war, warum stand dann die Tür sperrangelweit offen?
»Albrecht! Thomas! Einer von euch is da! Ich weiß et!«, rief Werner Schmigalle fordernd. Kalte Wut stieg in ihm auf, als sich noch immer keiner der feigen Kameraden zeigte. Kurz entschlossen stieg er über den Jägerzaun und marschierte mit hoch erhobener Grillzange auf den Pavillon zu. »Hier! Ich hab was für euch! Halb gar is se auch scho...«
Werner Schmigalle blieben die Worte im Halse stecken, als er den Pavillon betrat. Das Bild, das sich ihm bot, hatte schon fast surrealen Charakter. Inmitten eines guten Dutzends schneeweißer Tauben lag ein Junge im schwarzen Anzug auf den weiß getünchten Dielen. Das Einzige, was die Illusion einer reinen schwarzweißen Aufnahme zerstörte, war das kleine rote Rinnsal, das sich über den Boden schlängelte und seinen Ursprung am Kopf des Jungen fand.
»Thomas?«
Schmigalles Pranke, die immer noch die Grillzange umklammerte, lockerte sich. Die Taube fiel zu Boden.
2
Micks Laune war nicht gerade die beste, als sein Opel Diplomat auf dem Kiesweg der Schrebergartensiedlung rutschend zum Stehen kam. Zu allem Überfluss war der Weg so schmal, dass zwar der Wagen gerade hindurchpasste, aber kein Platz mehr zum Öffnen der Türen blieb. Konife renhecke zur Rechten. Schmiedeeiserner Zaun zur Linken. Um den Lack zu schonen, kletterte Mick auf den Beifahrersitz und stemmte die Tür mit einem Tritt seines Cowboy stiefels gegen die Innenverkleidung auf. Die Hecke gab nach, gleichzeitig schepperte es. Ein Gartenzwerg, der die Grenze zwischen Parzelle 29 und Kiesweg bis eben noch standhaft bewacht hatte, war dem aufschwingenden Blech zum Opfer gefallen. Mick betrachtete das Malheur kurz, schälte sich dann aber aus dem Wagen. Bis zum Jägerzaun, der die Schrebergartenanlage von der dahinterliegenden Wildnis trennte, waren es nur wenige Meter.
Darüber, wo er den Tatort zu suchen hatte, musste Mick nicht lange nachdenken. Rund um den Pavillon gingen uniformierte Beamte und die Männer der Spurensicherung in weißen HAZEMAT-Anzügen ihrer Arbeit nach. Inmitten der hektischen Betriebsamkeit saß ein Mann in sich zusammengesunken auf einem Stapel alter Eisenbahnschwellen, die neben dem Pavillon langsam verrotteten. Mick schenkte ihm nur kurz Beachtung, da er nun Andreas entdeckte, der ihn schon ungeduldig zu sich winkte.
Mick eilte mit großen Schritten über die Wiese. Er hatte seinen Partner noch nicht erreicht, da fielen ihm schon des
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Autoren-Porträt von Stefan Scheich
Stefan Scheich ist Autor von Der letzte Bulle. Die Serie um Kommissar Mick Brisgau, der zwanzig Jahre im Koma lag und deshalb eine etwas eigene Sicht auf die Dinge hat, erhielt den Deutschen Fernsehpreis und war für den Grimme-Preis nominiert. Stefan Scheich und Darsteller Henning Baum wurden mit dem Bayrischen Fernsehpreis ausgezeichnet. Stefan Scheich lebt in Essen.
Bibliographische Angaben
- Autor: Stefan Scheich
- 2013, 317 Seiten, Maße: 13,5 x 20,5 cm, Kartoniert (TB), Deutsch
- Verlag: List Hardcover
- ISBN-10: 3471350942
- ISBN-13: 9783471350942
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