Breakpoint
Breakpointvon Richard A. Clarke
LESEPROBE
SONNTAG, 8.MÄRZ
7:30Ostküsten-Standardzeit
Vor derKüste von New Jersey
Wo Meer undLand sich treffen, schoss eine gelbe Flamme in die Luft. Kurz darauf stieg eineblauschwarze Wolke um den inzwischen orangeroten Feuerball auf. Die Wolke wurdeimmer größer und nahm schließlich eine flache Form an, die hoch über dem Wasserschwebte.
»AtlanticCity, Atlantic City«, sagte die Pilotin ruhig in ihr am Kinn befestigtesMikrofon. »Küstenwache Einundvierzig-Zehn. Haben eine mutmaßlicheGaspipeline-Explosion auf Position zehn Uhr geortet; etwa zwanzig Kilometervoraus. Geschätzte Position des Feuers: Pine Harbor. Over.«
Von derPilotenkanzel der USCG 4110 - einem alten zweimotorigen Patrouillenflugzeug vomTyp Casa 212, das die Küste von New Jersey überwachte - aus betrachtet, hobsich die Rauchsäule deutlich vom an diesem Sonntag stumpfgrauen Morgenhimmelab. »Roger, Einundvierzig-Zehn. Fliegen Sie weiter nach PineHarbor, um sich selbst ein Bild zu machen, understatten Sie anschließend Bericht«, drang eine knisternde Stimme aus demFunkgerät. »Wir nehmen mit der Einsatzleitung in der Zentrale Verbindung aufund fragen nach, ob die dort mehr wissen.«
LieutenantAnne Brucelli hatte vor fünf Jahren ihren Abschluss ander Militärakademie gemacht und liebte es, am Steuer eines Flugzeugs zu sitzen.Außerdem war sie stolz darauf, der Küstenwache und dem Heimatschutzanzugehören. Obwohl sie sich schon auf ihren künftigen Job als Pilotin einerBell-Boeing Osprey - eines hochmodernenKipprotorflugzeugs - freute, war sie auch mit dieser alten Casa zufrieden. DieMaschine beförderte sie zumindest in die Luft und über das Meer, und sie konnteso die Welt aus einer Perspektive betrachten, die den meisten Menschen verwehrtblieb. Heute war ihr Copilot ein ehemaliger Kommilitone von der Akademie, Lieutenant Chuck Appleton. Anne klappte ihr Visier herunterund schaltete auf Teleskopfunktion.
»Hey, Anne,dort drüben, auf zwei Uhr, ist noch eine Feuersäule! «, rief Appletonplötzlich. »Das muss ungefähr bei Banning Beach sein.« Dank ihrer Flughöhe von etwa tausendfünfhundert Meternkonnten sie über hundertzwanzig Kilometer weit blicken. Die zweite Flammeschien irgendwo im Westen von Long Island aufzusteigen.
Noch ehesie Gelegenheit hatten, Meldung zu machen, knisterte das Funkgerät erneut:»Küstenwache für Einundvierzig- Zehn, hier spricht Atlantic City, brechen Sieab und fliegen Sie stattdessen nach Miller s Hook im Süden. Dort gehen Sie so tief wie möglich runterund sehen sich das weiße Blockhaus am Ende der Landzunge an. Verstanden? DieseAnweisung kommt von der Einsatzleitung des Heimatschutzes.«
Brucelliließ die orangefarbene Maschine eine enge Kurve fliegen, änderte den Kurs undhatte vier Minuten später die Küste vor Miller s Hook erreicht. Wieder warf Appleton einen Blick durch dasVisier, um sich die Bilder anzusehen, welche von der am Bug der Maschinebefestigten Kamera eingefangen wurden. Dann zoomte er das Ende der Landzungenäher heran.
»Ich kannein kleines weißes Gebäude erkennen. Keine Fenster. Ringsherum ein Zaun.Daneben ein weißer Pick-up.« Langsam drehte er denKopf nach rechts und richtete den Blick auf die Straße. »Zwei Motorradfahrer,die ziemlich schnell ins Landesinnere fahren. Sonst ist dort keineMenschenseele.« Das Flugzeug setzte den raschenSinkflug in Richtung der schmalen Landzunge fort.
Währenddessenmachte die Pilotin über Funk Meldung: »Atlantic City, KüstenwacheEinundvierzig Heiliger Strohsack! Moment mal, Chuck.«Sie flog eine steile Linkskurve, als eine gelblichrote Feuerzunge vor derFrontscheibe des Cockpits emporloderte. Darauf ertönte eine schrilleAlarmsirene, und eine monotone Frauenstimme vom Band verkündete: »Brand imlinken Triebwerk, Brand im linken Triebwerk. Maßnahmen einleiten.«
Brucellibemühte sich, die bockende Maschine unter Kontrolle zu bekommen, und drücktegleichzeitig den großen roten Löschknopf über ihrem Kopf. Im selben Momentsetzte Lieutenant Appleton in ruhigem Tonfall einenFunkspruch ab:
»Mayday, Mayday. KüstenwacheEinundvierzig-Zehn. Wir gehen einen knappen Kilometer vor Miller sHook runter. Fordern SAR-Rettungskommando an.« Allerdings wusste er, dass eigentlich sie selbst heuteMorgen das SAR-Rettungskommando waren, denn das unbemannte Flugzeug, das sonstan der Küste von New Jersey patrouillierte, stand wegen Wartungsarbeiten in derWerkstatt.
7:45Ostküsten-Standardzeit
Unternehmenszentralevon Horizon Communications
New Creighton, New Jersey
Am Fußeeines sanft geschwungenen grünen Hügels, nur knapp achtzig Kilometernordwestlich, ließ sich Constance Murphy gerade vom Leiter der Nachtschicht beiHorizon Communications Berichterstatten. Von ihrem Kommandoposten aus hatte sie Blick auf eine zweiStockwerke hohe Karte der Vereinigten Staaten, durchzogen von gelben Linien,die blinkende grüne Leuchtdioden miteinander verbanden - eine Installation, dieden Namen »Große Tafel« trug. In der unteren Etage übergaben die Techniker vonder Nachtschicht soeben ihre Plätze an die ablösenden Kollegen. Die blinkenden LEDs symbolisierten zwanzig Prozent des weltweitenInternetverkehrs, der normalerweise über die Glasfaserkabel von Horizon Communications abgewickeltwurde. Sie verliefen in Röhren und Kabelsträngen unter Weizenfeldern, anFlussufern entlang, über Brücken und am Rande von Straßen. Das fastvierzigtausend Kilometer lange Glasfaser-Streckennetz transportierte diePhotonen, die von Routern in Elektronen und zu guterLetzt in Milliarden von Internet-Protokoll-Paketen, bestehend aus Einsen undNullen, umgewandelt wurden: E-Mail- und Web-Browser, Bestellungen, Verkaufsangebote,Reisebuchungen, Pornographie und Lagerbestandslisten.
Murphybeobachtete mit einer Kaffeetasse in der Hand ihr Team in der unteren Etage undhörte dabei mit halbem Ohr dem Nachtschichtleiter Joshua Schwartzzu, der lang und breit erklärte, dass nichts Ungewöhnliches vorgefallen sei. Imnächsten Moment jedoch bemerkte sie etwas aus dem Augenwinkel, und als sieaufblickte, erkannte sie erschrocken, dass eine der Leuchtdioden, ein Stücksüdlich von New York, plötzlich von Grün auf Rot umgesprungen war. Eine Sekundespäter begann die nächste, diesmal östlich der Stadt, rot zu blinken. Murphy unterbrachSchwartz Redefluss, indem sie ihm die Hand auf denArm legte, und wies mit dem Kopf auf den oberen rechten Rand der Großen Tafel.
»Was istdenn da los?«, wunderte sich Schwartz,runzelte die Stirn und starrte angestrengt auf die Karte. »Das sind ja unsere dreiAtlantik-Kabel. Was ?« Sofort setzte er sich an seinen Computer und ließ dieFinger über die Tastatur tanzen. »New Creightonbekommt keine Signale von den Routern in Pine Harbor, PleasantBay und Banning Beach mehr. Handshake-Protokolleverschwinden. Nichts geht mehr. Wie können alle drei Routergleichzeitig ausfallen? Schließlich gibt es in jeder Station zwei Ersatzrouter als Back-up.«
ConstanceMurphy beugte sich über Schwartz Schulter und schauteauf seinen Bildschirm. »Das bedeutet, wir haben keine Verbindung nach Europamehr.«
»Sie sagenes. Sämtliche neun Router an unserer Küste haben offensichtlichbeschlossen, gleichzeitig den Geist aufzugeben. HorizonCommunications ist von Europa abgeschnitten!«
Schwartzschüttelte den Kopf. »Jetzt müssen wir vor Infotelund ETT zu Kreuze kriechen und sie bitten, unsere Daten auf ihre Kabel umleitenzu dürfen, bis wir wissen, was zum Teufel da los ist.«
Murphy nahmden Hörer eines grünen Telefons ab, auf dem hektisch eine große Lampe blinkte.»Horizon Communications, Murphy.«Während sie zuhörte, starrte sie Schwartz entgeistert an, und ihre Augen weiteten sich. »Momentbitte«, sagte sie in den Hörer und beugte sich vor. Dann griff sie nach einem langenSchwanenhals-Mikrofon, das mit Lautsprechern in der unteren Etage verbundenwar. »Hier spricht Murphy. Nachtschicht, bitte nicht nach Hause gehen. Ichwiederhole, nicht nach Hause gehen. Tagschicht, ab jetzt gilt der Notfall-Plan.«
Sie drehtesich zu Schwartz um. »Ich habe ETT am Apparat. Aufderen Leitungen können wir nicht umschalten. Alle ihre Relaisstationen an denStränden sind ebenfalls mausetot.« In verständnislosemEntsetzen sahen die beiden einander an. Schließlich erhob sich Schwartz. »Trommeln Sie alle zusammen. Ich verständige dasNational Communications System.« ( )
© Hoffmannund Campe Verlag
Übersetzung:Karin Dufner
- Autor: Richard A. Clarke
- 2007, 316 Seiten, Maße: 14 x 21 cm, Gebunden, Deutsch
- Aus d. Amerikan. v. Karin Dufner
- Übersetzer: Karin Dufner
- Verlag: Hoffmann und Campe
- ISBN-10: 3455400310
- ISBN-13: 9783455400311
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