Cassies großer Traum / Elfentänzer Bd.1
Aufruhr unter den Sandelfen: Die berühmte Ballettschule der Elfentänzer wird wiedereröffnet! Cassie möchte um jeden Preis aufgenommen werden. Nicht, dass sie viel fürs Tanzen übrig hätte, aber sie hofft, in der Schule Hinweise auf ihre Mutter zu finden....
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Produktinformationen zu „Cassies großer Traum / Elfentänzer Bd.1 “
Klappentext zu „Cassies großer Traum / Elfentänzer Bd.1 “
Aufruhr unter den Sandelfen: Die berühmte Ballettschule der Elfentänzer wird wiedereröffnet! Cassie möchte um jeden Preis aufgenommen werden. Nicht, dass sie viel fürs Tanzen übrig hätte, aber sie hofft, in der Schule Hinweise auf ihre Mutter zu finden. Diese war nämlich einst die Primadünerina des Sandelfenreichs und verschwand auf geheimnisvolle Weise in der Nacht des Großen Sandsturms, als Cassie noch sehr klein war. Niemand scheint genau zu wissen, was damals passiert ist, und die Tanzschule war seitdem geschlossen bis jetzt Ein aufregendes Abenteuer in einer neuen fantastischen und einzigartigen Welt!
Lese-Probe zu „Cassies großer Traum / Elfentänzer Bd.1 “
Cassies großer Traum von Lynda WaterhouseAuszug aus dem Buch Feen und andere wunderbare Gestalten von Nathaniel Relyveld, 1874:
Die Sandelfen
Wir wissen nur sehr wenig über diese geheimnisvollen Kreaturen, deren Zuhause die Sanddünen sind. Sie leben nach Regeln, die in einem Werk festgehalten sind, das sie Das Buch vom Sand nennen. Sandelfen sind geflügelte Wesen, welche die Fähigkeit verloren haben zu fliegen.
Männliche Sandelfen bereisen die Wüsten der Erde als Sandfahrer in ihren Sandgalionen oder gehen zur See. Die heranwachsenden Jungen werden Surfjungen genannt. Sie verbringen ihre Zeit damit, das Meer lesen zu lernen und sich auf ihr Leben als Sandfahrer vorzubereiten.
Weibliche Sandelfen sieben den Sand, um ihn rein zu halten. Manche von ihnen jedoch zeigen ein besonderes Talent für den Tanz und werden Sandtänzerinnen. Sandtänzerinnen trainieren viele Jahre, bis sie die geheimen Dünentänze beherrschen. Sie sind zu tiefen Gefühlen fähig und können sehr nachtragend sein, wenn man ihre Pläne durchkreuzt.
Hütet euch, die uralte Überlieferung zu vergessen, nach der uns allen Unheil droht, sollten sie je mit dem Tanzen aufhören.
Kapitel 1
Die Hoffnung ist wie ein starker Wind,
der ein Sandkorn viele tausend Meilen weit trägt.
Das Buch vom Sand
... mehr
Cassandra Dünengras schlich sich in einem unbemerkten Augenblick von ihrer Geburtstagsparty. Sie war sehr grantig und brauchte etwas Zeit für sich. Wenn sie grantig war, fühlte sie tief in ihrem Bauch eine seltsame Mischung aus Traurigkeit, Freude und schlechter Laune, und an ihrem Geburtstag war sie jedes Mal grantig. Es war der Tag, an dem sie ihre Mutter am meisten vermisste.
Cassie hangelte sich aus der Düne und kroch so nah an den Strand heran, wie sie sich traute. Eine ganze Weile würde sie niemand vermissen. Ihre einzigen Gäste waren die alte Mrs Sanderling, Lena Meerlavendel und ihre Tante Euphorbia. Die drei waren viel zu beschäftigt damit, unzählige Tassen Salbeitee zu trinken und den neusten Klatsch und Tratsch auszutauschen, als dass sie ihr Fehlen bemerkt hätten.
Es war ein kalter Nachmittag, und der Wind fuhr unter das glockenförmige pinkfarbene Kleid, das Tante Euphorbia ihr geschenkt hatte. Er wirbelte Körner des salzigen feuchten Sands auf, über den sie lief, die an ihrem Gesicht kleben blieben. Aber das machte ihr nichts aus - zum ersten Mal an diesem Tag löste sich ihre schlechte Laune in Luft auf. Ihr Herz pochte wild, als könne es die ungestümen, feurigen Gedanken hören, die ihr durch den Kopf schossen, und sie fühlte sich stark und mächtig. Sie nahm einen Kieselstein, zielte auf einen großen Felsbrocken und schleuderte ihn so weit sie konnte. Sie wartete auf das plumpsende Geräusch, mit dem er auf den Sand treffen würde.
„Autsch!" Ein kleiner Surfjunge tauchte hinter dem Felsbrocken auf, er rieb sich den Kopf und sah ziemlich sauer aus.
„Rubus!" Cassie lächelte, als sie auf ihren Freund zu rannte. „Alles in Ordnung?"
Der Junge ließ seine Hand sinken und richtete sich auf. „Na klar. So ein kleiner Stein kann mir doch nichts anhaben." Er schüttelte seine Flügel, streckte seine dünnen braunen Arme in einer Surferpose aus und grinste sie an. Seine Haut war sonnengebräunt, und das vom Wind zerzauste sandfarbene Haar hing ihm ungebändigt ins Gesicht.
Nachdem sie geguckt hatte, ob sie allein waren, setzte Cassie sich auf die Kante des Felsbrockens. Weibliche Sandelfen durften den Schutz ihrer Düne eigentlich nicht verlassen, und auf gar keinen Fall sollten sie sich mit Surfjungen unterhalten. Jedenfalls nicht, solange diese sich noch nicht als Sandfahrer bewiesen hatten.
Aber Rubus und Cassie waren schon als Sandbabys beste Freunde gewesen. Mit Rubus konnte Cassie über alles reden, das sie bewegte. Er schien stets genau zu wissen, wie Cassie sich fühlte, manchmal sogar, bevor Cassie es selbst wusste. Beide hatten ihre Eltern in dem Großen Sandsturm vor sieben Jahren verloren. Es stand fest, dass Rubus' Eltern und Cassies Vater bei dem Versuch umgekommen waren, anderen zu helfen, die der Sandsturm überrascht hatte. Über das Schicksal von Cassies Mutter dagegen war nichts bekannt. Sie war und blieb spurlos verschwunden. Cassie wusste, dass sie wahrscheinlich tot war, trotzdem ließ ihr die Frage, was ihrer Mutter zugestoßen war, keine Ruhe. Sie musste unbedingt herausfinden, was in jener Nacht geschehen war. Rubus verstand das besser als jeder andere.
„Du hast mir nicht zufällig eine Kleinigkeit zu Essen mitgebracht?" Rubus schnupperte und kratzte sich die Brust, und Cassie stieg der würzige Geruch frischer Meeresalgen in die Nase. Sie holte ein großes Strandhaferbrötchen hervor, das Rubus im Handumdrehen verschlang.
„Euphorbia backt jedes Jahr leckere Sachen zu deinem Geburtstag", mümmelte er zwischen zwei Bissen.
„Deine Manieren würden ihr gar nicht gefallen, Reden mit vollem Mund! Dafür würdest du mit einem Stirnrunzeln und hochgezogenen Augenbrauen bedacht." Cassie zog eine Grimasse. Dann hüllte sie ihre Beine in den Stoff ihres langen Kleides und blickte hinaus aufs Meer. „Wie geht es mit dem Sandsegeln voran?"
Rubus' meergrüne Augen leuchteten. „Es ist viel schwerer als Sandsurfen, weil man nicht nur das Brett, sondern auch das Segel meistern muss. Aber bei einem Rennen vor ein paar Tagen habe ich den fünften Platz gemacht. Ich muss noch ganz schön an meiner Technik feilen, doch ich lerne jeden Tag dazu. Wenn du möchtest, nehme ich dich auf eine Fahrt mit."
Cassie seufzte. „Das hört sich toll an, aber ich muss bald wieder zurück."
Rubus schluckte die letzten Krumen des Strandhaferbrötchens hinunter und wischte sich über den Mund. „Wie schade. Ich hatte gehofft, du würdest das hier mal ausprobieren." Er griff hinter den Felsen und zog ein langes, glattes, in Form geschliffenes Stück Treibholz hervor.
Cassie schnappte überrascht nach Luft. „Ist das für mich?"
„Es gehört dir", erwiderte Rubus. „Alles Gute zum Geburtstag!"
Cassie starrte das Geschenk mit offenem Mund an. „Mein eigenes Sandbrett!", sagte sie schließlich strahlend.
Rubus wurde rot. „Du hast mir lange genug in den Ohren gelegen, wie sehr du dir eins wünschst, und ich war es satt, dir meins zu leihen. Es ist an der Zeit, dass du dein eigenes bekommst!"
Cassie sprang auf und zog ihr Kleid so hoch, dass sie nicht darüber stolpern konnte. „Komm schon, Rubus! Dir werd ich's zeigen!"
Rubus schnappte sich sein Brett, und sie kraxelten kichernd zur nächsten Sanddüne. Cassie sah sich nach allen Seiten um, sie wollte sichergehen, dass niemand sie beobachtete. Dann stellte sie sich vorsichtig auf das ovale Holzbrett. Langsam verlagerte sie ihr Gewicht nach vorn und spürte eine unbändige Freude, als das Brett sich über den Kamm der Düne neigte und zu gleiten begann. Auf dem Weg die Düne hinab wurde es rasend schnell, Sand spritzte nach allen Seiten, während Rubus ihre Abfahrt immer wieder kreuzte.
Nach einer halben Stunde, die sie die Düne ununterbrochen hochgerannt und auf dem Sandbrett wieder hinabgejagt waren, ließ sich Cassie kichernd und nach Luft japsend in den Sand fallen. „Das hat irrsinnig Spaß gemacht. Du weißt, wie sehr ich mir ein eigenes Brett gewünscht habe. Danke, Rubus. Ich werde jeden Tag nach der Schule üben."
Rubus fegte mit der Hand den Sand von seinem Brett. „Auf jeden Fall wirkst du nicht mehr so grantig. Eben hätte dein Gesichtsausdruck noch jede Flut in eine Ebbe verwandelt." Er guckte übertrieben grantig, um den entsprechenden Gesichtsausdruck zu demonstrieren.
Cassie streckte ihm die Zunge raus und wackelte mit den Ohren. „Ich kann nichts dafür, wie ich aussehe. Und außerdem verstößt es gegen die Regeln, wenn ein Surfjunge so unhöflich ist."
Rubus' grüne Augen funkelten, als er sagte: „Du brichst im Moment sicher selbst so einige Regeln."
Cassie rollte mit den Augen. „Nervige Regeln! Im Buch vom Sand stehen 623, und wahrscheinlich breche ich alle fünf Minuten eine davon! Von jetzt an werde ich meine gesamte Freizeit mit meinem Sandbrett verbringen."
Rubus lachte. „Bist du sicher, dass du nicht lieber tanzen möchtest? Ich habe gehört, die Tanzschule in der Düne der Träume wird wiedereröffnet. Und es gibt nur noch 622 Regeln, die du brechen kannst. Regel 623 ist Geschichte - es ist nicht länger verboten, in der Öffentlichkeit zu tanzen."
„Ja, dass die Schule wieder aufmacht, ist überall Gesprächsthema Nummer eins", erwiderte Cassie. „Ich frage mich, warum es gerade jetzt passiert, wo sie doch sieben Jahre lang geschlossen war." Sie zupfte an ihren Haaren. „Ich weiß, es gilt als Traum einer jeden Sandelfe, Primadünerina zu werden, aber meiner ist es nicht. Man muss ein ganz besonderes Talent haben, um Sandtänzerin zu werden, und nur die besten unter ihnen werden Dünentänzerinnen. Ich bin nicht annähernd gut genug."
„Sandtänzerinnen halten sich alle für so was von toll, stell dir vor, wie grässlich erst Dünentänzerinnen sein müssen! Ich bin froh, dass du keine werden willst." Rubus nahm eine klassische Tänzerinnenpose ein und quäkte: „Ich bin eine Sandtänzerin! Ruinier mein Kleid nicht. Ich muss schließlich gut aussehen! Meine Flügel beben und flattern nur dann, wenn ich tanze!" Er nahm eine Handvoll Seetang, drapierte sie auf seinem Kopf und quiekte: „Mein Haar ... bring mein Haar nicht durcheinander! Ich habe drei Tage gebraucht, bis die Frisur perfekt war."
Er brach zusammen und rollte sich lachend im Sand.
Cassie tat, als trainiere sie ihre Oberarmmuskeln und sagte mit verstellter, tiefer Stimme: „Und Surfjungen denken, sie seien so cool, dabei sind sie total dämlich!"
„Das ist nicht fair, Cassie!", sagte Rubus mit blitzenden Augen. „Wir müssen die Gezeiten lesen können und die Wellenwissenschaft beherrschen und uns außerdem um alles Leben im Meer kümmern. Und wir überbringen Nachrichten, denn wir stehen nicht im Ruf, nachtragend zu sein!"
„Zumindest sind weibliche Sandelfen zu tiefen Gefühlen fähig, nur deshalb sind wir oftmals nachtragend. Sandtänzerinnern kleiden sich so, dass sie mit den Dünen verschmelzen, und wenn die Dünentänzerinnen tanzen, bringen sie die Dünen zum Singen", schleuderte Cassie zurück.
Rubus war überrascht. „Ich wusste gar nicht, dass das Tanzen die Dünen zum Singen bringt."
Cassie seufzte. „Ich verstehe nicht, warum unsere Welten so strikt voneinander getrennt sein müssen. Wir könnten so viel voneinander lernen!"
„Es soll uns beschützen." Rubus sah sie durch die Fransen seines sonnengebleichten Ponys hindurch an.
„Aber sollte man nicht wenigstens mal an der Gefahr schnuppern, um ein Leben in Sicherheit überhaupt schätzen zu können? Das macht mich so wütend! Der einzige Tanz, den ich gut beherrsche, ist der Wüterich! Und gerade kündigt sich einer an."
Rubus und Cassie stampften mit den Füßen auf, wirbelten um die eigene Achse und sangen:
„Wi-wa-Wut im Bauch Wi-wa-Wut im Bauch Eine tosende Welle
Spürst du sie auch?"
Cassie wirbelte dreimal im Kreis herum. Rubus musste sich ducken, damit ihr Haar ihm nicht ins Gesicht peitschte. Sie stampften beide wild mit dem rechten und dem linken Fuß auf und ließen sich dann erschöpft in den Sand fallen.
Cassie sah Rubus an. „Du wirst immer besser."
„Erzähl das bloß keinem. Es ist mir egal, was wir sollen und was nicht, aber ich möchte auf keinen Fall, dass die anderen Jungen sich über mich lustig machen. Dein Wüterich war übrigens super!"
Rubus kaute auf einem Halm Seegras und sagte sanft: „Du könntest versuchen, die Aufnahmeprüfung zu machen. Ich dachte, du würdest vielleicht auf die Tanzschule wollen, weil..." Er verstummte.
„Weil meine Mutter Primadünerina war", beendete Cassie den Satz. Sie seufzte tief. „Marina Dünengras war die beste Elfentänzerin von allen. Sieh mich an. Ich bin kein bisschen wie sie. Mein Haar ist so hell wie Quarzsand. Meine Augen sind blau, nicht grün, und meine Nase ist schmal und knubbelig, als säße eine Seepocke auf ihrer Spitze. Marina entlockte ihrem Körper die erstaunlichsten Drehungen und Wendungen. Meine Arme und Beine sind wie Gummi und machen ständig, was sie wollen. Meine Mutter war einfach perfekt. Wie kann ich da hoffen, so zu werden wie sie?" Cassies Zehen kribbelten vor Verlangen, gleich noch einen Wüterich zu tanzen, und ihre Augen füllten sich mit Tränen.
„Wenn sie nur in jener Nacht, als der Sandsturm über uns hereinbrach, nicht ausgegangen wäre." Cassie kaute auf ihrer Lippe, und ihre Flügel zitterten. Den Blick in die Ferne gerichtet sagte sie: „Ich frage mich jeden Tag, was ihr zugestoßen ist. Niemand scheint mir diese Frage beantworten zu können."
Rubus ließ den Stock, mit dem er im Sand gebohrt hatte, plötzlich fallen. „Wäre die Tanzschule nicht der perfekte Ort, um herauszufinden, was in jener Nacht geschehen ist? Hast du nicht gesagt, du hättest mitangehört, wie Tante Euphorbia jemandem erzählt hat, deine Mutter sei an jenem Abend auf dem Weg dorthin gewesen? Dass die Tanzschule von Sandlingen wieder öffnet, ist deine Chance. Hat deine Mutter diesen Ort nicht geliebt? Du musst unbedingt dorthin."
Cassie krümmte die Zehen. „Ich, an einer Tanzschule? Das ist eine vollkommen lächerliche Idee!"
„Aber vielleicht findest du auf diese Weise etwas heraus!", hielt Rubus dagegen.
„Genau, was für ein hoffnungsloser Fall ich bin", erwiderte Cassie. „Ich würde die Aufnahmeprüfung gar nicht bestehen."
Ein paar dunkle Wolken schoben sich vor die Sonne, es sah aus, als ziehe sie missbilligend ihre Augenbrauen zusammen. Cassie wurde an ihre Tante Euphorbia erinnert. „Ich mache mich besser auf den Heimweg", sagte sie.
Rubus blickte aufs Meer hinaus. „Hast du dich je gefragt, was jenseits der Dünen und des Meeres auf uns wartet?" Seine Miene war voller Sehnsucht, und Cassie hatte den Eindruck, dass seine Augen die Farbe wechselten, auf die Weise, wie eine Wolke die Farbe eines Tümpels von Grün in Grau verwandelt.
„Das frage ich mich andauernd", sagte Cassie, nahm ihr Sandbrett und rannte nach Kleinsilbergras zurück.
© 2011 Schneiderbuch verlegt durch EGMONT Verlagsgesellschaften mbH.
Cassandra Dünengras schlich sich in einem unbemerkten Augenblick von ihrer Geburtstagsparty. Sie war sehr grantig und brauchte etwas Zeit für sich. Wenn sie grantig war, fühlte sie tief in ihrem Bauch eine seltsame Mischung aus Traurigkeit, Freude und schlechter Laune, und an ihrem Geburtstag war sie jedes Mal grantig. Es war der Tag, an dem sie ihre Mutter am meisten vermisste.
Cassie hangelte sich aus der Düne und kroch so nah an den Strand heran, wie sie sich traute. Eine ganze Weile würde sie niemand vermissen. Ihre einzigen Gäste waren die alte Mrs Sanderling, Lena Meerlavendel und ihre Tante Euphorbia. Die drei waren viel zu beschäftigt damit, unzählige Tassen Salbeitee zu trinken und den neusten Klatsch und Tratsch auszutauschen, als dass sie ihr Fehlen bemerkt hätten.
Es war ein kalter Nachmittag, und der Wind fuhr unter das glockenförmige pinkfarbene Kleid, das Tante Euphorbia ihr geschenkt hatte. Er wirbelte Körner des salzigen feuchten Sands auf, über den sie lief, die an ihrem Gesicht kleben blieben. Aber das machte ihr nichts aus - zum ersten Mal an diesem Tag löste sich ihre schlechte Laune in Luft auf. Ihr Herz pochte wild, als könne es die ungestümen, feurigen Gedanken hören, die ihr durch den Kopf schossen, und sie fühlte sich stark und mächtig. Sie nahm einen Kieselstein, zielte auf einen großen Felsbrocken und schleuderte ihn so weit sie konnte. Sie wartete auf das plumpsende Geräusch, mit dem er auf den Sand treffen würde.
„Autsch!" Ein kleiner Surfjunge tauchte hinter dem Felsbrocken auf, er rieb sich den Kopf und sah ziemlich sauer aus.
„Rubus!" Cassie lächelte, als sie auf ihren Freund zu rannte. „Alles in Ordnung?"
Der Junge ließ seine Hand sinken und richtete sich auf. „Na klar. So ein kleiner Stein kann mir doch nichts anhaben." Er schüttelte seine Flügel, streckte seine dünnen braunen Arme in einer Surferpose aus und grinste sie an. Seine Haut war sonnengebräunt, und das vom Wind zerzauste sandfarbene Haar hing ihm ungebändigt ins Gesicht.
Nachdem sie geguckt hatte, ob sie allein waren, setzte Cassie sich auf die Kante des Felsbrockens. Weibliche Sandelfen durften den Schutz ihrer Düne eigentlich nicht verlassen, und auf gar keinen Fall sollten sie sich mit Surfjungen unterhalten. Jedenfalls nicht, solange diese sich noch nicht als Sandfahrer bewiesen hatten.
Aber Rubus und Cassie waren schon als Sandbabys beste Freunde gewesen. Mit Rubus konnte Cassie über alles reden, das sie bewegte. Er schien stets genau zu wissen, wie Cassie sich fühlte, manchmal sogar, bevor Cassie es selbst wusste. Beide hatten ihre Eltern in dem Großen Sandsturm vor sieben Jahren verloren. Es stand fest, dass Rubus' Eltern und Cassies Vater bei dem Versuch umgekommen waren, anderen zu helfen, die der Sandsturm überrascht hatte. Über das Schicksal von Cassies Mutter dagegen war nichts bekannt. Sie war und blieb spurlos verschwunden. Cassie wusste, dass sie wahrscheinlich tot war, trotzdem ließ ihr die Frage, was ihrer Mutter zugestoßen war, keine Ruhe. Sie musste unbedingt herausfinden, was in jener Nacht geschehen war. Rubus verstand das besser als jeder andere.
„Du hast mir nicht zufällig eine Kleinigkeit zu Essen mitgebracht?" Rubus schnupperte und kratzte sich die Brust, und Cassie stieg der würzige Geruch frischer Meeresalgen in die Nase. Sie holte ein großes Strandhaferbrötchen hervor, das Rubus im Handumdrehen verschlang.
„Euphorbia backt jedes Jahr leckere Sachen zu deinem Geburtstag", mümmelte er zwischen zwei Bissen.
„Deine Manieren würden ihr gar nicht gefallen, Reden mit vollem Mund! Dafür würdest du mit einem Stirnrunzeln und hochgezogenen Augenbrauen bedacht." Cassie zog eine Grimasse. Dann hüllte sie ihre Beine in den Stoff ihres langen Kleides und blickte hinaus aufs Meer. „Wie geht es mit dem Sandsegeln voran?"
Rubus' meergrüne Augen leuchteten. „Es ist viel schwerer als Sandsurfen, weil man nicht nur das Brett, sondern auch das Segel meistern muss. Aber bei einem Rennen vor ein paar Tagen habe ich den fünften Platz gemacht. Ich muss noch ganz schön an meiner Technik feilen, doch ich lerne jeden Tag dazu. Wenn du möchtest, nehme ich dich auf eine Fahrt mit."
Cassie seufzte. „Das hört sich toll an, aber ich muss bald wieder zurück."
Rubus schluckte die letzten Krumen des Strandhaferbrötchens hinunter und wischte sich über den Mund. „Wie schade. Ich hatte gehofft, du würdest das hier mal ausprobieren." Er griff hinter den Felsen und zog ein langes, glattes, in Form geschliffenes Stück Treibholz hervor.
Cassie schnappte überrascht nach Luft. „Ist das für mich?"
„Es gehört dir", erwiderte Rubus. „Alles Gute zum Geburtstag!"
Cassie starrte das Geschenk mit offenem Mund an. „Mein eigenes Sandbrett!", sagte sie schließlich strahlend.
Rubus wurde rot. „Du hast mir lange genug in den Ohren gelegen, wie sehr du dir eins wünschst, und ich war es satt, dir meins zu leihen. Es ist an der Zeit, dass du dein eigenes bekommst!"
Cassie sprang auf und zog ihr Kleid so hoch, dass sie nicht darüber stolpern konnte. „Komm schon, Rubus! Dir werd ich's zeigen!"
Rubus schnappte sich sein Brett, und sie kraxelten kichernd zur nächsten Sanddüne. Cassie sah sich nach allen Seiten um, sie wollte sichergehen, dass niemand sie beobachtete. Dann stellte sie sich vorsichtig auf das ovale Holzbrett. Langsam verlagerte sie ihr Gewicht nach vorn und spürte eine unbändige Freude, als das Brett sich über den Kamm der Düne neigte und zu gleiten begann. Auf dem Weg die Düne hinab wurde es rasend schnell, Sand spritzte nach allen Seiten, während Rubus ihre Abfahrt immer wieder kreuzte.
Nach einer halben Stunde, die sie die Düne ununterbrochen hochgerannt und auf dem Sandbrett wieder hinabgejagt waren, ließ sich Cassie kichernd und nach Luft japsend in den Sand fallen. „Das hat irrsinnig Spaß gemacht. Du weißt, wie sehr ich mir ein eigenes Brett gewünscht habe. Danke, Rubus. Ich werde jeden Tag nach der Schule üben."
Rubus fegte mit der Hand den Sand von seinem Brett. „Auf jeden Fall wirkst du nicht mehr so grantig. Eben hätte dein Gesichtsausdruck noch jede Flut in eine Ebbe verwandelt." Er guckte übertrieben grantig, um den entsprechenden Gesichtsausdruck zu demonstrieren.
Cassie streckte ihm die Zunge raus und wackelte mit den Ohren. „Ich kann nichts dafür, wie ich aussehe. Und außerdem verstößt es gegen die Regeln, wenn ein Surfjunge so unhöflich ist."
Rubus' grüne Augen funkelten, als er sagte: „Du brichst im Moment sicher selbst so einige Regeln."
Cassie rollte mit den Augen. „Nervige Regeln! Im Buch vom Sand stehen 623, und wahrscheinlich breche ich alle fünf Minuten eine davon! Von jetzt an werde ich meine gesamte Freizeit mit meinem Sandbrett verbringen."
Rubus lachte. „Bist du sicher, dass du nicht lieber tanzen möchtest? Ich habe gehört, die Tanzschule in der Düne der Träume wird wiedereröffnet. Und es gibt nur noch 622 Regeln, die du brechen kannst. Regel 623 ist Geschichte - es ist nicht länger verboten, in der Öffentlichkeit zu tanzen."
„Ja, dass die Schule wieder aufmacht, ist überall Gesprächsthema Nummer eins", erwiderte Cassie. „Ich frage mich, warum es gerade jetzt passiert, wo sie doch sieben Jahre lang geschlossen war." Sie zupfte an ihren Haaren. „Ich weiß, es gilt als Traum einer jeden Sandelfe, Primadünerina zu werden, aber meiner ist es nicht. Man muss ein ganz besonderes Talent haben, um Sandtänzerin zu werden, und nur die besten unter ihnen werden Dünentänzerinnen. Ich bin nicht annähernd gut genug."
„Sandtänzerinnen halten sich alle für so was von toll, stell dir vor, wie grässlich erst Dünentänzerinnen sein müssen! Ich bin froh, dass du keine werden willst." Rubus nahm eine klassische Tänzerinnenpose ein und quäkte: „Ich bin eine Sandtänzerin! Ruinier mein Kleid nicht. Ich muss schließlich gut aussehen! Meine Flügel beben und flattern nur dann, wenn ich tanze!" Er nahm eine Handvoll Seetang, drapierte sie auf seinem Kopf und quiekte: „Mein Haar ... bring mein Haar nicht durcheinander! Ich habe drei Tage gebraucht, bis die Frisur perfekt war."
Er brach zusammen und rollte sich lachend im Sand.
Cassie tat, als trainiere sie ihre Oberarmmuskeln und sagte mit verstellter, tiefer Stimme: „Und Surfjungen denken, sie seien so cool, dabei sind sie total dämlich!"
„Das ist nicht fair, Cassie!", sagte Rubus mit blitzenden Augen. „Wir müssen die Gezeiten lesen können und die Wellenwissenschaft beherrschen und uns außerdem um alles Leben im Meer kümmern. Und wir überbringen Nachrichten, denn wir stehen nicht im Ruf, nachtragend zu sein!"
„Zumindest sind weibliche Sandelfen zu tiefen Gefühlen fähig, nur deshalb sind wir oftmals nachtragend. Sandtänzerinnern kleiden sich so, dass sie mit den Dünen verschmelzen, und wenn die Dünentänzerinnen tanzen, bringen sie die Dünen zum Singen", schleuderte Cassie zurück.
Rubus war überrascht. „Ich wusste gar nicht, dass das Tanzen die Dünen zum Singen bringt."
Cassie seufzte. „Ich verstehe nicht, warum unsere Welten so strikt voneinander getrennt sein müssen. Wir könnten so viel voneinander lernen!"
„Es soll uns beschützen." Rubus sah sie durch die Fransen seines sonnengebleichten Ponys hindurch an.
„Aber sollte man nicht wenigstens mal an der Gefahr schnuppern, um ein Leben in Sicherheit überhaupt schätzen zu können? Das macht mich so wütend! Der einzige Tanz, den ich gut beherrsche, ist der Wüterich! Und gerade kündigt sich einer an."
Rubus und Cassie stampften mit den Füßen auf, wirbelten um die eigene Achse und sangen:
„Wi-wa-Wut im Bauch Wi-wa-Wut im Bauch Eine tosende Welle
Spürst du sie auch?"
Cassie wirbelte dreimal im Kreis herum. Rubus musste sich ducken, damit ihr Haar ihm nicht ins Gesicht peitschte. Sie stampften beide wild mit dem rechten und dem linken Fuß auf und ließen sich dann erschöpft in den Sand fallen.
Cassie sah Rubus an. „Du wirst immer besser."
„Erzähl das bloß keinem. Es ist mir egal, was wir sollen und was nicht, aber ich möchte auf keinen Fall, dass die anderen Jungen sich über mich lustig machen. Dein Wüterich war übrigens super!"
Rubus kaute auf einem Halm Seegras und sagte sanft: „Du könntest versuchen, die Aufnahmeprüfung zu machen. Ich dachte, du würdest vielleicht auf die Tanzschule wollen, weil..." Er verstummte.
„Weil meine Mutter Primadünerina war", beendete Cassie den Satz. Sie seufzte tief. „Marina Dünengras war die beste Elfentänzerin von allen. Sieh mich an. Ich bin kein bisschen wie sie. Mein Haar ist so hell wie Quarzsand. Meine Augen sind blau, nicht grün, und meine Nase ist schmal und knubbelig, als säße eine Seepocke auf ihrer Spitze. Marina entlockte ihrem Körper die erstaunlichsten Drehungen und Wendungen. Meine Arme und Beine sind wie Gummi und machen ständig, was sie wollen. Meine Mutter war einfach perfekt. Wie kann ich da hoffen, so zu werden wie sie?" Cassies Zehen kribbelten vor Verlangen, gleich noch einen Wüterich zu tanzen, und ihre Augen füllten sich mit Tränen.
„Wenn sie nur in jener Nacht, als der Sandsturm über uns hereinbrach, nicht ausgegangen wäre." Cassie kaute auf ihrer Lippe, und ihre Flügel zitterten. Den Blick in die Ferne gerichtet sagte sie: „Ich frage mich jeden Tag, was ihr zugestoßen ist. Niemand scheint mir diese Frage beantworten zu können."
Rubus ließ den Stock, mit dem er im Sand gebohrt hatte, plötzlich fallen. „Wäre die Tanzschule nicht der perfekte Ort, um herauszufinden, was in jener Nacht geschehen ist? Hast du nicht gesagt, du hättest mitangehört, wie Tante Euphorbia jemandem erzählt hat, deine Mutter sei an jenem Abend auf dem Weg dorthin gewesen? Dass die Tanzschule von Sandlingen wieder öffnet, ist deine Chance. Hat deine Mutter diesen Ort nicht geliebt? Du musst unbedingt dorthin."
Cassie krümmte die Zehen. „Ich, an einer Tanzschule? Das ist eine vollkommen lächerliche Idee!"
„Aber vielleicht findest du auf diese Weise etwas heraus!", hielt Rubus dagegen.
„Genau, was für ein hoffnungsloser Fall ich bin", erwiderte Cassie. „Ich würde die Aufnahmeprüfung gar nicht bestehen."
Ein paar dunkle Wolken schoben sich vor die Sonne, es sah aus, als ziehe sie missbilligend ihre Augenbrauen zusammen. Cassie wurde an ihre Tante Euphorbia erinnert. „Ich mache mich besser auf den Heimweg", sagte sie.
Rubus blickte aufs Meer hinaus. „Hast du dich je gefragt, was jenseits der Dünen und des Meeres auf uns wartet?" Seine Miene war voller Sehnsucht, und Cassie hatte den Eindruck, dass seine Augen die Farbe wechselten, auf die Weise, wie eine Wolke die Farbe eines Tümpels von Grün in Grau verwandelt.
„Das frage ich mich andauernd", sagte Cassie, nahm ihr Sandbrett und rannte nach Kleinsilbergras zurück.
© 2011 Schneiderbuch verlegt durch EGMONT Verlagsgesellschaften mbH.
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Autoren-Porträt von Lynda Waterhouse
Lynda Waterhouse arbeitet als Grundschullehrerin und Kinder- und Jugendbuchautorin. Wenn sie nicht arbeitet, liebt sie es, zu faulenzen und zu lesen. Außerdem belauscht sie gerne Gespräche, natürlich nur aus Recherchezwecken. Zu ihren Hobbys gehören das Verpassen ihrer Aerobicstunden, gefühlvolle Filme und Anti-Folk Musik.
Bibliographische Angaben
- Autor: Lynda Waterhouse
- Altersempfehlung: 10 - 12 Jahre
- 2011, 206 Seiten, Maße: 14 x 21,5 cm, Gebunden, Deutsch
- Aus d. Engl. v. Katrin Weingran
- Übersetzer: Katrin Weingran
- Verlag: Schneiderbuch
- ISBN-10: 3505129240
- ISBN-13: 9783505129247
- Erscheinungsdatum: 14.01.2011
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