Castillo, L: Stärker als dein Tod
Deutsche Erstveröffentlichung
Ausbruch aus dem Hochsicherheitstrakt! Der Flüchtige überrumpelt die Security-Frau Emily und nimmt sie als Geisel. Doch der Ausbrecher ist kein Killer, sondern ein CIA-Agent mit einer besonderen Mission. Kann er zusammen mit Emily ein Komplott aufdecken?
Leider schon ausverkauft
versandkostenfrei
Buch
8.99 €
Produktdetails
Produktinformationen zu „Castillo, L: Stärker als dein Tod “
Ausbruch aus dem Hochsicherheitstrakt! Der Flüchtige überrumpelt die Security-Frau Emily und nimmt sie als Geisel. Doch der Ausbrecher ist kein Killer, sondern ein CIA-Agent mit einer besonderen Mission. Kann er zusammen mit Emily ein Komplott aufdecken?
Klappentext zu „Castillo, L: Stärker als dein Tod “
Emily Monroe ist wie gelähmt vor Angst. Ihr persönlicher Albtraum ist wahr geworden! Viel zu spät versucht sie, per Funk einen Ausbruch aus dem Hochsicherheitstrakt des Gefängnises zu melden: Der Entflohene überwältigt sie und nimmt sie als Geisel. Doch Zack Devlin ist kein Schwerverbrecher, sondern CIA-Agent in gefährlicher Mission. Undercover ermittelt er, warum immer wieder lebenslang Verurteilte spurlos verschwinden. Zack vermutet ein mörderisches Komplott. Aber dafür braucht er Beweise und bestimmt nicht eine Frau wie Emily, in deren Nähe aus Adrenalin plötzlich pure Leidenschaft wird.
Lese-Probe zu „Castillo, L: Stärker als dein Tod “
Stärker als dein Tod von Linda CastilloÜbersetzung von Judith Heisig
Prolog
Der Schrei hallte von den Backsteinwänden wider, die dem Gefängnis fast das Aussehen eines mittelalterlichen Schlosses verliehen, in dem unaussprechliche Folterqualen zum Alltag gehörten. Der Strafgefangene, der auf der schmalen Trage lag, wehrte sich gegen die Nylonbänder, mit denen seine Hände und Füße festgebunden waren. Blutspritzer befleckten das Laken, das ihn von der Hüfte abwärts bedeckte.
Schmerz und Angst verzerrten sein Gesicht. „Aufhören", bettelte er. „Bitte ..."
Der Arzt in dem weißen Kittel schaute hinunter auf seinen Patienten und erinnerte sich selbst daran, dass der Mann ein Mörder war, der kein Mitgefühl verdiente. Doch das Wissen darum machte sein Vorhaben nicht einfacher.
Während er sich innerlich gegen die gequälten Schreie des Gefangenen wappnete, griff er nach der kleinen Ampulle mit der Aufschrift RZ-902. „Es ist fast vorbei", sagte er. „Versuchen Sie, sich zu entspannen."
Fest umklammerte er das Fläschchen, als plötzlich die Tür aufging. Sein Magen zog sich vor Anspannung zusammen, während ein Mann im maßgeschneiderten Anzug den Untersuchungsraum betrat.
„Um Himmels willen, ich konnte ihn auf dem ganzen Weg zur Krankenstation hören." Der Mann starrte den Häftling finster an. „Bringen Sie ihn zum Schweigen, oder es werden bald Fragen gestellt werden, die wir nicht beantworten wollen."
„Ich wollte ihm gerade ein Beruhigungsmittel spritzen, bevor ich ihn in den Testraum bringe."
... mehr
„Tun Sie, was nötig ist. Aber bringen Sie ihn endlich zum Schweigen. Ich möchte nicht, dass irgendwelche übereifrigen Vollzugsbeamten anfangen, hier herumzuschnüffeln." Als der Mann im Anzug das Klemmbrett auf dem Tisch entdeckte, nahm er es in die Hand und studierte die Eintragungen. „Wie hat der Patient auf die Behandlung mit RZ-902 reagiert?"
Beide Männer wussten, dass die Wörter „Patient" und „Behandlung" Euphemismen waren. Allerdings schob der Arzt diesen Gedanken rasch beiseite, um sich auf die geforderte Antwort zu konzentrieren. „Besser als erwartet."
„Die Sterblichkeitsrate?"
„Achtundneunzig Prozent."
„Zeitrahmen?"
„Weniger als fünf Minuten."
„Hervorragend", meinte der Mann und lächelte zufrieden. „Ich möchte innerhalb einer Stunde einen vollständigen Bericht auf meinem Schreibtisch." Er sah auf die Uhr. „Ich treffe mich um zwölf mit unserem Kunden. Ich möchte eine detaillierte Darstellung über alle Phasen der Produktentwicklung."
„Ich kümmere mich gleich darum", erwiderte der Doktor, während er nach der Spritze griff, um den Gefangenen zu sedieren.
„Nein. Bitte." Der Häftling kämpfte gegen die Fesseln an. „Tun Sie mir nicht mehr weh."
Der Arzt und der Mann im Anzug schauten einander an. Der Doktor wich dem Blick des Patienten aus, als er ihm das starke Beruhigungsmittel verabreichte. „Nur etwas gegen die Schmerzen", erklärte er, während er die Nadel in die Armvene des Insassen schob.
„Ich kann nicht ... Mord ..." Die Stimme des Gefangenen erstarb. Das Mittel begann zu wirken.
Kühl starrte der Mann auf den bewusstlosen Patienten herunter. „Sie haben sichergestellt, dass niemand ihn vermissen wird?"
Der Arzt nickte. „Wie die anderen. Keine Familie. Keine Freunde. Er ist ein lebenslänglich verurteilter Straftäter und hat seit zwei Jahren keinen Besucher empfangen."
„Das Bitterroot Super Max ist eine gute Beschaffungsquelle für Patienten. Sorgen Sie dafür, dass das so bleibt."
„Ja, Sir."
„Ich habe noch einen weiteren Gefangenen, der Ihnen zugestellt wird. Er sollte innerhalb der nächsten Stunde eintreffen."
„Noch ein Patient? Heute Abend? Aber das war nicht ..."
„Ich möchte, dass er behandelt wird. Die ganze Dosis bekommt. Sorgen Sie für einen tödlichen Ausgang!", befahl der Mann eisig. „Es wird niemanden kümmern, wenn er unerwartet stirbt."
Der Arzt hatte das Gefühl, als ob sich eine Schlinge immer enger um seinen Hals legte. „Ja, Sir."
„Wenn Sie hier fertig sind, nehmen Sie die Unterlagen, die Sie für den Bericht brauchen, und vernichten Sie alles andere. Ich möchte, dass nichts übrig bleibt."
Der Doktor, der nur zu gut verstand, was der Mann meinte, nickte. „Ich werde das Krematorium gleich benachrichtigen."
„Ich bin sicher, dass ich Sie nicht an die heikle Natur dieses Projekts erinnern muss."
„Nein, ich benötige keine Erinnerung." Schließlich konnte ein Mann kaum das vergessen, was ihn Tag und Nacht verfolgte.
Nachdem der Mann hinausgegangen war, rollte der Arzt die Trage mit dem Häftling in den Testraum und versuchte nicht darüber nachzudenken, was er getan hatte. Und er wollte erst recht nicht darüber nachdenken, was er als Nächstes tun musste.
1. Kapitel
Das Klappern von Stahl an Stahl riss Zack Devlin aus dem Schlaf. Augenblicklich sprang er auf die Füße und richtete seine ganze Aufmerksamkeit auf die zwei Vollzugsbeamten, die vor seiner Zelle standen.
„Zurücktreten, Gefangener."
Zurücktreten war der Ausdruck, den die Wärter benutzten, wenn sie eine Gefängniszelle betreten wollten. Es handelte sich um eine Sicherheitsanweisung, die den Häftling aufforderte, die Hände hinter den Kopf zu legen und die Finger zu verschränken. Was wollten die beiden Beamten zu dieser frühen Morgenstunde in seiner Zelle?
Zack nahm die geforderte Position ein, sein Herz raste. „Ist es nicht ein bisschen früh für Tee und Gebäck?", scherzte er.
Der eine Officer hieß Mitchell. Er war zwar streng zu den Gefangenen, aber niemals unfair. Der andere Wärter war in etwa so beliebt wie eine schlimme Grippe. Mills erniedrigte die Männer gern, genoss es, ihnen die Würde zu nehmen. Wenn er die Gelegenheit dazu hatte, misshandelte er sie vermutlich auch.
Mills‘ Schlüssel klirrten, als er die Zellentür aufschloss. „Zurücktreten", wiederholte er.
Zack befolgte die Anweisung, doch seine Nerven waren zum Zerreißen gespannt. Beide Männer betraten den Raum. „Wenn ich gewusst hätte, dass ihr kommt, hätte ich aufgeräumt."
„Halt deinen vorlauten Mund und zeig mir deine Handgelenke", sagte Mills scharf.
Das Bitterroot Super Max-Gefängnis war ein Ort, in dem die Routine regierte. Tag für Tag vollzogen sich hier die immer gleichen Rituale und Abläufe. Dass zwei Wärter morgens um vier in seine Zelle kamen und ihm Plastikhandfesseln verpassten, gehörte definitiv nicht zu dieser Routine.
„Was soll das alles?", fragte Zack und versuchte beiläufig zu klingen.
„Dreh dich um", befahl Mills. „Sofort."
Zack wusste, dass er keine Wahl hatte. Also drehte er sich um und bot Mills seine Handgelenke dar, damit dieser die Fesseln anlegen konnte. Kurz kam ihm der Gedanke, dass seine Tarnung aufgeflogen sein könnte. Aber er war sich sicher, dass das unmöglich war. Die Agency hatte seine falsche Identität peinlich genau aufgebaut. Es war völlig unmöglich, dass jemand etwas ahnte.
„Spreiz die Beine."
Zack trug kein Hemd. Nur eine verknitterte Baumwollhose mit Kordel, wie sie alle Insassen für die Nacht bekamen. „Nicht viel Platz, um eine Waffe zu verstecken", sagte er.
„Folge nur den Anweisungen. Tu es einfach."
Ohne den Blick von Mills abzuwenden, kam Zack dem Befehl nach. Er knirschte mit den Zähnen, während Mills mit den Händen rasch und ruppig über seinen Körper fuhr.
„Er ist sauber." Mills griff die Handfesseln und zog sie fester. Du kommst auf die Krankenstation."
Zacks Herzschlag beschleunigte sich zu einem wilden Stakkato. Er wusste nur zu gut, was auf der Krankenstation des Gefängnisses geschah. Was zum Teufel war los? „Ich bin nicht krank."
„Der Doktor sagt, du brauchst einen Bluttest."
„Ich brauche keinen Bluttest."
Mitchell tippte auf das Klemmbrett, das er in der Hand hielt. „Ich habe den Auftrag hier schriftlich, Partner. Lass uns gehen."
„Wofür soll der Bluttest gut sein?", hakte Zack nach, der in Gedanken sämtliche Szenarien durchging, die ihn auf der Krankenstation erwarten mochten. Keines davon erschien ihm angenehm.
„Du kannst den Doc fragen, wenn du dort bist. Und jetzt beweg dich."
Der Impuls zu kämpfen war stark, doch jeder Versuch sich zu wehren oder zu flüchten wäre vergebens. Seit seiner Ankunft im Gefängnis vor vier Monaten hatte Zack gelernt, seine Kämpfe auszuwählen. Die Erfahrung sagte ihm, dass er diesen nicht gewinnen würde. Unwillkürlich drängt sich ihm die Erinnerung an all die anderen Insassen auf, die man auf die Krankenstation gebracht hatte und die mit heftigen Blutungen oder Brandwunden zurückgekehrt waren - oder aber gar nicht mehr.
Er sah auf die Uhr an der Wand. In einer Stunde sollte er seinen Kontakt von MIDNIGHT treffen. Zack war nicht sehr zuversichtlich, dass er das schaffen würde. Wenn es um die Krankenstation des Gefängnisses ging, konnte eine einzige Stunde den Unterschied zwischen Leben und Tod bedeuten.
Während die beiden Beamten ihn den Gang entlangführten, dachte er daran, dass er vermutlich nur zwei Minuten hatte, um sich einen Plan auszudenken. Andererseits war er immer schnell im Denken gewesen.
Er hoffte nur, dass ihm rasch genug etwas einfiel, um sein Leben zu retten.
Um vier Uhr in der Frühe waren die Gefängniskorridore so spärlich erleuchtet wie eine Unterwasserhöhle. Emily Monroes Schritte hallten von den Wänden und Stahltüren wider, als sie zur Krankenstation eilte. Ihre Schicht begann nicht vor fünf, aber sie war früher gekommen, um ein paar Nachforschungen anzustellen. Sie hatte viele Fragen, die beantwortet werden wollten. Was zum Beispiel mit den beiden Häftlingen geschehen war, die auf die Station gekommen und nie wieder in ihre Zellen zurückgekehrt waren. Da Dr. Lionel offenbar keine Erklärung abgeben wollte, musste sie auf eigene Faust nach Antworten suchen.
Am Ende des Korridors zog sie ihren Sicherheitsausweis durch das Gerät und gab danach den vierstelligen Code auf dem in der Wand eingelassenen Tastaturfeld ein. Das Stahlschloss klickte, und sie schob die Tür auf.
Auf der Krankenstation war es so dunkel und still wie auf einem Friedhof. Was ihr merkwürdig erschien angesichts der Tatsache, dass die Station rund um die Uhr besetzt war, sieben Tage die Woche. Bei der vollkommenen Stille richteten sich ihre feinen Nackenhaare auf.
Irritiert schlich sie auf Zehenspitzen zu der zweiten Tür, durch die sie zu dem Aufnahmebereich, den Untersuchungsräumen und den Gefängniszellen gelangen würde. Wieder zog sie ihren Ausweis durch das Lesegerät, wartete, bis das rote Licht grün leuchtete, und öffnete die Tür. Wie bereits zuvor fand sie auch diesen Bereich der Station still und verlassen vor. Zumindest hatte sie erwartet, dass eine von Dr. Lionels Assistentinnen Nachtdienst hatte und in ihrem Büro saß und am Computer arbeitete. Wo waren alle abgeblieben?
Emily, die immer misstrauischer wurde, legte die Hand auf die Dose Pfefferspray an ihrem Gürtel und marschierte weiter den Flur entlang. Das leise Klackern ihrer Stiefel bei jedem Schritt entsprach ihrem Herzschlag, der viel zu rasch ging.
Sie betrat Untersuchungsraum eins und machte das Licht an. Sie sah eine Untersuchungsliege, Edelstahltische und eine höhenverstellbare Deckenlampe. Aber keine Menschenseele.
Emily war nicht leicht zu erschrecken, doch in den drei Jahren, die sie schon als Vollzugsbeamtin in Idahos Bitterroot Super Max-Gefängnis arbeitete, hatte sie gelernt, ihren Instinkten zu vertrauen. Und genau jetzt sagten ihr diese Instinkte, dass irgendetwas absolut nicht in Ordnung war.
Sowie sie die Tür zu Untersuchungsraum zwei geöffnet hatte und das Licht einschaltete, sah sie die Umrisse eines Mannes unter einem blutbefleckten Lacken auf der Untersuchungsliege. Sie schritt zu der Liege und zog das Laken fort. Eine dunkle Vorahnung ergriff sie, als sie in das wächserne Gesicht des Gefangenen schaute. Seine blauen Lippen. Etwas Blut war ihm aus der Nase gesickert und nun schwarz getrocknet. Seine Augen standen halb offen. Er war tot.
Ganz flau vor Angst berührte sie sein Gesicht. Sein Körper war noch warm. Was ging hier vor? Wo waren Dr. Lionel und seine Assistentin? Was war mit dem Häftling geschehen?
Sie dachte wieder an die anderen Insassen, die auf die Krankenstation gebracht worden und verschwunden waren. Seit Wochen stellte sie Fragen und forschte nach, aber niemand von den Verantwortlichen hatte ihr eine direkte Antwort gegeben. Heute Morgen hatte sie die Dinge selbst in die Hand nehmen wollen und war hier hergekommen, um sich umzusehen. Sie hatte nicht erwartet, eine Leiche zu finden ...
Emily bemühte sich, nicht die Nerven zu verlieren, und griff nach ihrem Funkgerät. „Hier ist null-zwei-vier-neun. Ich habe einen Code ..."
Eine Bewegung hinter ihr ließ sie verstummen. Sie wirbelte herum. Der glänzende Stahl einer Waffe blitzte auf. Sie erblickte schwarzes Haar. Dunkle Augen. Ein unrasiertes Kinn. Sie spürte, wie ein Adrenalinstoß durch ihren Körper schoss. Sie umklammerte das Walkie-Talkie fester und riss es an den Mund. „Code ..."
Eine Hand schnellte hervor und schlug ihr das Funkgerät aus der Hand. Aus dem Augenwinkel sah sie es durch die Luft segeln. Sie hetzte zur Tür, doch augenblicklich war der Mann über ihr. Seine Hände hatten ihre Oberarme gepackt, noch bevor das Walkie-Talkie auf dem Boden landete.
„Sei mucksmäuschenstill, wenn du überleben willst", befahl er, wobei seine Augen bedrohlich funkelten.
Emily befreite sich aus seinem Griff und sprang zurück. „Zurücktreten, Gefangener! Jetzt!" Sie versuchte autoritär zu klingen, hörte aber das ängstliche Beben in ihrer Stimme.
„Bleib ganz ruhig und greif mich nicht an." Er ging langsam auf sie zu. „Ich möchte dir nichts tun."
Sie wusste nicht, ob es an der Pistole in seiner Hand oder an dem Ausdruck in seinen Augen lag, doch für einen kurzen schrecklichen Moment war sie starr vor Angst. Ein bewaffneter, verzweifelter Häftling, der nichts zu verlieren hatte - das war der schlimmste Albtraum eines jeden Wärters.
Sie machte einen Schritt zurück und hob die Arme, um ihn abzuwehren, obwohl sie wusste, dass es nichts nützen würde. „Bleiben Sie weg von mir."
Er kam weiter auf sie zu. „Tu einfach, was ich sage, und dir wird nichts geschehen."
Sie hörte die Worte kaum, so laut schlug ihr Herz. Sie sah auf die Waffe in seiner Hand und schätzte die Distanz zwischen ihnen ab, die Entfernung zur Tür. Sie fragte sich, ob sie es schaffen würde, das Funkgerät auf dem Fußboden zu erreichen, oder ob er ihr vorher in den Rücken schießen würde.
Einen Augenblick später besann sie sich darauf, was sie in ihrer Ausbildung gelernt hatte, und die Routine übernahm das Kommando. Mit einem Satz nach vorn trat sie ihm die Waffe aus der Hand. Die Pistole fiel zu Boden. Bevor er sie aufheben konnte, versuchte sie einen Handflächenschlag in sein Gesicht, den er jedoch abwehrte. Mit einer raschen Drehung ließ das linke Bein vorschnellen und landete einen Treffer in seinem Magen. Stöhnend stolperte er nach hinten. Rasch griff sie nach dem Pfefferspray an ihrem Gürtel. Sie riss die Dose hoch, während sie sich gleichzeitig nach dem Funkgerät bückte. Sie musste an das Walkie-Talkie kommen!
Er bewegte sich mit der Geschwindigkeit einer großen hungrigen Raubkatze, die ihre Beute erlegte. In einer einzigen geschmeidigen Bewegung streckte er sich nach der Waffe und warf sich auf Emily. Mit der freien Hand schlug er ihr das Pfefferspray aus der Hand. Im nächsten Moment hielt er sie an den Schultern gepackt, wobei sich seine Finger in ihr Fleisch bohrten, und schob sie zurück in den Untersuchungsraum.
„Für eine Wärterin nimmst du Anweisungen nicht besonders ernst", stieß er aus.
„Nehmen Sie Ihre Hände weg!"
„Beruhige dich und hör zu."
Ein Schrei löste sich aus ihrer Kehle, als ihr Rücken die Wand berührte. Sie war festgenagelt. Sie versuchte, ihr Knie einzusetzen, wollte ihn so zu Fall bringen. Doch er verlagerte sein Gewicht geschickt zur Seite und wich aus. Sie wand sich, aber sein Körper war so hart und unnachgiebig wie eine Ziegelmauer. „Versuch das nicht noch mal, wenn du nicht so enden willst wie der Mann auf der Liege", warnte er sie.
Seine Stimme war leise und gefährlich. Sie hörte den Hauch eines Akzents. Vielleicht Irisch. Allerdings hatte sie viel zu viel Angst, um länger darüber nachzudenken. Sein Gesicht war nur Zentimeter von ihrem entfernt. Er stand so nah, dass sie seinen warmen Atem an ihrer Wange spürte. Sie starrte in seine Augen, die die Farbe von dunkel gerösteten Kaffeebohnen hatten. Tödliche Entschlossenheit und Verzweiflung spiegelten sich darin wider. Sie begriff, dass er nicht der Typ für leere Drohungen war.
„Sie können nicht ernsthaft glauben, dass Sie mit dieser Sache durchkommen", presste sie keuchend hervor.
„Doch, das ist genau das, was ich denke." Jeder Nerv in ihrem Körper war angespannt, als er sein Gewicht verlagerte und mit der Waffe auf sie zielte. „Nimm die Hände hoch."
Emily hob die Hände bis auf Schulterhöhe. „Ich bin nicht bewaffnet."
„Es ist nichts Persönliches, aber das überprüfe ich lieber selbst." Ohne den Blick von ihren Augen abzuwenden, fuhr er mit den Händen rasch und routiniert über ihren Körper. Sowie er die zweite Dose Pfefferspray an ihrem Knöchel ertastete, hielt er inne. Verdammt.
„Ich schätze, das hast du vergessen."
„Ich bin gerne vorbereitet für den Fall, dass ich von irgendeinem miesen Häftling angegriffen werde."
Als er die Dose in den Papierkorb warf, entdeckte sie eine blutende Verletzung auf der Innenseite seines Arms. Nicht von einer Abschürfung, wie er sie bei einem Handgemenge erlitten hätte, sondern von einem sauberen Schnitt. Die Art von Schnitt, die ein Arzt bei einem chirurgischen Eingriff vornehmen würde. Sie fragte sich, ob er Dr. Lionel bei irgendeiner kleineren Operation überwältigt hatte.
„Wo ist Dr. Lionel?", fragte sie.
„Wir haben keine Zeit für Fragen." Er deutete mit der Pistole in Richtung Tür. „Du kommst mit mir. Los."
„Wohin bringen Sie mich?"
Er trug nur eine Gefängnishose mit Kordel. Kein Hemd. Keine Schuhe. Seine Statur war die eines Langstreckenläufers, mit langen Gliedmaßen und einem Bauch, der wie aus Stein gemeißelt schien. Seine Brust war muskulös und mit gekräuseltem schwarzen Haar bedeckt. Auf anziehende Art und Weise vereinte sein Körper Kraft und Anmut.
Sie wandte den Blick ab und sah verstohlen zu dem Funksprechgerät, das ein, zwei Meter entfernt auf dem Boden lag. Wenn sie es erreichte, brauchte sie nur den Alarmknopf zu drücken, um die Zentrale zu benachrichtigen, dass sie in Schwierigkeiten steckte ...
© 2005 by Linda Castillo
„Tun Sie, was nötig ist. Aber bringen Sie ihn endlich zum Schweigen. Ich möchte nicht, dass irgendwelche übereifrigen Vollzugsbeamten anfangen, hier herumzuschnüffeln." Als der Mann im Anzug das Klemmbrett auf dem Tisch entdeckte, nahm er es in die Hand und studierte die Eintragungen. „Wie hat der Patient auf die Behandlung mit RZ-902 reagiert?"
Beide Männer wussten, dass die Wörter „Patient" und „Behandlung" Euphemismen waren. Allerdings schob der Arzt diesen Gedanken rasch beiseite, um sich auf die geforderte Antwort zu konzentrieren. „Besser als erwartet."
„Die Sterblichkeitsrate?"
„Achtundneunzig Prozent."
„Zeitrahmen?"
„Weniger als fünf Minuten."
„Hervorragend", meinte der Mann und lächelte zufrieden. „Ich möchte innerhalb einer Stunde einen vollständigen Bericht auf meinem Schreibtisch." Er sah auf die Uhr. „Ich treffe mich um zwölf mit unserem Kunden. Ich möchte eine detaillierte Darstellung über alle Phasen der Produktentwicklung."
„Ich kümmere mich gleich darum", erwiderte der Doktor, während er nach der Spritze griff, um den Gefangenen zu sedieren.
„Nein. Bitte." Der Häftling kämpfte gegen die Fesseln an. „Tun Sie mir nicht mehr weh."
Der Arzt und der Mann im Anzug schauten einander an. Der Doktor wich dem Blick des Patienten aus, als er ihm das starke Beruhigungsmittel verabreichte. „Nur etwas gegen die Schmerzen", erklärte er, während er die Nadel in die Armvene des Insassen schob.
„Ich kann nicht ... Mord ..." Die Stimme des Gefangenen erstarb. Das Mittel begann zu wirken.
Kühl starrte der Mann auf den bewusstlosen Patienten herunter. „Sie haben sichergestellt, dass niemand ihn vermissen wird?"
Der Arzt nickte. „Wie die anderen. Keine Familie. Keine Freunde. Er ist ein lebenslänglich verurteilter Straftäter und hat seit zwei Jahren keinen Besucher empfangen."
„Das Bitterroot Super Max ist eine gute Beschaffungsquelle für Patienten. Sorgen Sie dafür, dass das so bleibt."
„Ja, Sir."
„Ich habe noch einen weiteren Gefangenen, der Ihnen zugestellt wird. Er sollte innerhalb der nächsten Stunde eintreffen."
„Noch ein Patient? Heute Abend? Aber das war nicht ..."
„Ich möchte, dass er behandelt wird. Die ganze Dosis bekommt. Sorgen Sie für einen tödlichen Ausgang!", befahl der Mann eisig. „Es wird niemanden kümmern, wenn er unerwartet stirbt."
Der Arzt hatte das Gefühl, als ob sich eine Schlinge immer enger um seinen Hals legte. „Ja, Sir."
„Wenn Sie hier fertig sind, nehmen Sie die Unterlagen, die Sie für den Bericht brauchen, und vernichten Sie alles andere. Ich möchte, dass nichts übrig bleibt."
Der Doktor, der nur zu gut verstand, was der Mann meinte, nickte. „Ich werde das Krematorium gleich benachrichtigen."
„Ich bin sicher, dass ich Sie nicht an die heikle Natur dieses Projekts erinnern muss."
„Nein, ich benötige keine Erinnerung." Schließlich konnte ein Mann kaum das vergessen, was ihn Tag und Nacht verfolgte.
Nachdem der Mann hinausgegangen war, rollte der Arzt die Trage mit dem Häftling in den Testraum und versuchte nicht darüber nachzudenken, was er getan hatte. Und er wollte erst recht nicht darüber nachdenken, was er als Nächstes tun musste.
1. Kapitel
Das Klappern von Stahl an Stahl riss Zack Devlin aus dem Schlaf. Augenblicklich sprang er auf die Füße und richtete seine ganze Aufmerksamkeit auf die zwei Vollzugsbeamten, die vor seiner Zelle standen.
„Zurücktreten, Gefangener."
Zurücktreten war der Ausdruck, den die Wärter benutzten, wenn sie eine Gefängniszelle betreten wollten. Es handelte sich um eine Sicherheitsanweisung, die den Häftling aufforderte, die Hände hinter den Kopf zu legen und die Finger zu verschränken. Was wollten die beiden Beamten zu dieser frühen Morgenstunde in seiner Zelle?
Zack nahm die geforderte Position ein, sein Herz raste. „Ist es nicht ein bisschen früh für Tee und Gebäck?", scherzte er.
Der eine Officer hieß Mitchell. Er war zwar streng zu den Gefangenen, aber niemals unfair. Der andere Wärter war in etwa so beliebt wie eine schlimme Grippe. Mills erniedrigte die Männer gern, genoss es, ihnen die Würde zu nehmen. Wenn er die Gelegenheit dazu hatte, misshandelte er sie vermutlich auch.
Mills‘ Schlüssel klirrten, als er die Zellentür aufschloss. „Zurücktreten", wiederholte er.
Zack befolgte die Anweisung, doch seine Nerven waren zum Zerreißen gespannt. Beide Männer betraten den Raum. „Wenn ich gewusst hätte, dass ihr kommt, hätte ich aufgeräumt."
„Halt deinen vorlauten Mund und zeig mir deine Handgelenke", sagte Mills scharf.
Das Bitterroot Super Max-Gefängnis war ein Ort, in dem die Routine regierte. Tag für Tag vollzogen sich hier die immer gleichen Rituale und Abläufe. Dass zwei Wärter morgens um vier in seine Zelle kamen und ihm Plastikhandfesseln verpassten, gehörte definitiv nicht zu dieser Routine.
„Was soll das alles?", fragte Zack und versuchte beiläufig zu klingen.
„Dreh dich um", befahl Mills. „Sofort."
Zack wusste, dass er keine Wahl hatte. Also drehte er sich um und bot Mills seine Handgelenke dar, damit dieser die Fesseln anlegen konnte. Kurz kam ihm der Gedanke, dass seine Tarnung aufgeflogen sein könnte. Aber er war sich sicher, dass das unmöglich war. Die Agency hatte seine falsche Identität peinlich genau aufgebaut. Es war völlig unmöglich, dass jemand etwas ahnte.
„Spreiz die Beine."
Zack trug kein Hemd. Nur eine verknitterte Baumwollhose mit Kordel, wie sie alle Insassen für die Nacht bekamen. „Nicht viel Platz, um eine Waffe zu verstecken", sagte er.
„Folge nur den Anweisungen. Tu es einfach."
Ohne den Blick von Mills abzuwenden, kam Zack dem Befehl nach. Er knirschte mit den Zähnen, während Mills mit den Händen rasch und ruppig über seinen Körper fuhr.
„Er ist sauber." Mills griff die Handfesseln und zog sie fester. Du kommst auf die Krankenstation."
Zacks Herzschlag beschleunigte sich zu einem wilden Stakkato. Er wusste nur zu gut, was auf der Krankenstation des Gefängnisses geschah. Was zum Teufel war los? „Ich bin nicht krank."
„Der Doktor sagt, du brauchst einen Bluttest."
„Ich brauche keinen Bluttest."
Mitchell tippte auf das Klemmbrett, das er in der Hand hielt. „Ich habe den Auftrag hier schriftlich, Partner. Lass uns gehen."
„Wofür soll der Bluttest gut sein?", hakte Zack nach, der in Gedanken sämtliche Szenarien durchging, die ihn auf der Krankenstation erwarten mochten. Keines davon erschien ihm angenehm.
„Du kannst den Doc fragen, wenn du dort bist. Und jetzt beweg dich."
Der Impuls zu kämpfen war stark, doch jeder Versuch sich zu wehren oder zu flüchten wäre vergebens. Seit seiner Ankunft im Gefängnis vor vier Monaten hatte Zack gelernt, seine Kämpfe auszuwählen. Die Erfahrung sagte ihm, dass er diesen nicht gewinnen würde. Unwillkürlich drängt sich ihm die Erinnerung an all die anderen Insassen auf, die man auf die Krankenstation gebracht hatte und die mit heftigen Blutungen oder Brandwunden zurückgekehrt waren - oder aber gar nicht mehr.
Er sah auf die Uhr an der Wand. In einer Stunde sollte er seinen Kontakt von MIDNIGHT treffen. Zack war nicht sehr zuversichtlich, dass er das schaffen würde. Wenn es um die Krankenstation des Gefängnisses ging, konnte eine einzige Stunde den Unterschied zwischen Leben und Tod bedeuten.
Während die beiden Beamten ihn den Gang entlangführten, dachte er daran, dass er vermutlich nur zwei Minuten hatte, um sich einen Plan auszudenken. Andererseits war er immer schnell im Denken gewesen.
Er hoffte nur, dass ihm rasch genug etwas einfiel, um sein Leben zu retten.
Um vier Uhr in der Frühe waren die Gefängniskorridore so spärlich erleuchtet wie eine Unterwasserhöhle. Emily Monroes Schritte hallten von den Wänden und Stahltüren wider, als sie zur Krankenstation eilte. Ihre Schicht begann nicht vor fünf, aber sie war früher gekommen, um ein paar Nachforschungen anzustellen. Sie hatte viele Fragen, die beantwortet werden wollten. Was zum Beispiel mit den beiden Häftlingen geschehen war, die auf die Station gekommen und nie wieder in ihre Zellen zurückgekehrt waren. Da Dr. Lionel offenbar keine Erklärung abgeben wollte, musste sie auf eigene Faust nach Antworten suchen.
Am Ende des Korridors zog sie ihren Sicherheitsausweis durch das Gerät und gab danach den vierstelligen Code auf dem in der Wand eingelassenen Tastaturfeld ein. Das Stahlschloss klickte, und sie schob die Tür auf.
Auf der Krankenstation war es so dunkel und still wie auf einem Friedhof. Was ihr merkwürdig erschien angesichts der Tatsache, dass die Station rund um die Uhr besetzt war, sieben Tage die Woche. Bei der vollkommenen Stille richteten sich ihre feinen Nackenhaare auf.
Irritiert schlich sie auf Zehenspitzen zu der zweiten Tür, durch die sie zu dem Aufnahmebereich, den Untersuchungsräumen und den Gefängniszellen gelangen würde. Wieder zog sie ihren Ausweis durch das Lesegerät, wartete, bis das rote Licht grün leuchtete, und öffnete die Tür. Wie bereits zuvor fand sie auch diesen Bereich der Station still und verlassen vor. Zumindest hatte sie erwartet, dass eine von Dr. Lionels Assistentinnen Nachtdienst hatte und in ihrem Büro saß und am Computer arbeitete. Wo waren alle abgeblieben?
Emily, die immer misstrauischer wurde, legte die Hand auf die Dose Pfefferspray an ihrem Gürtel und marschierte weiter den Flur entlang. Das leise Klackern ihrer Stiefel bei jedem Schritt entsprach ihrem Herzschlag, der viel zu rasch ging.
Sie betrat Untersuchungsraum eins und machte das Licht an. Sie sah eine Untersuchungsliege, Edelstahltische und eine höhenverstellbare Deckenlampe. Aber keine Menschenseele.
Emily war nicht leicht zu erschrecken, doch in den drei Jahren, die sie schon als Vollzugsbeamtin in Idahos Bitterroot Super Max-Gefängnis arbeitete, hatte sie gelernt, ihren Instinkten zu vertrauen. Und genau jetzt sagten ihr diese Instinkte, dass irgendetwas absolut nicht in Ordnung war.
Sowie sie die Tür zu Untersuchungsraum zwei geöffnet hatte und das Licht einschaltete, sah sie die Umrisse eines Mannes unter einem blutbefleckten Lacken auf der Untersuchungsliege. Sie schritt zu der Liege und zog das Laken fort. Eine dunkle Vorahnung ergriff sie, als sie in das wächserne Gesicht des Gefangenen schaute. Seine blauen Lippen. Etwas Blut war ihm aus der Nase gesickert und nun schwarz getrocknet. Seine Augen standen halb offen. Er war tot.
Ganz flau vor Angst berührte sie sein Gesicht. Sein Körper war noch warm. Was ging hier vor? Wo waren Dr. Lionel und seine Assistentin? Was war mit dem Häftling geschehen?
Sie dachte wieder an die anderen Insassen, die auf die Krankenstation gebracht worden und verschwunden waren. Seit Wochen stellte sie Fragen und forschte nach, aber niemand von den Verantwortlichen hatte ihr eine direkte Antwort gegeben. Heute Morgen hatte sie die Dinge selbst in die Hand nehmen wollen und war hier hergekommen, um sich umzusehen. Sie hatte nicht erwartet, eine Leiche zu finden ...
Emily bemühte sich, nicht die Nerven zu verlieren, und griff nach ihrem Funkgerät. „Hier ist null-zwei-vier-neun. Ich habe einen Code ..."
Eine Bewegung hinter ihr ließ sie verstummen. Sie wirbelte herum. Der glänzende Stahl einer Waffe blitzte auf. Sie erblickte schwarzes Haar. Dunkle Augen. Ein unrasiertes Kinn. Sie spürte, wie ein Adrenalinstoß durch ihren Körper schoss. Sie umklammerte das Walkie-Talkie fester und riss es an den Mund. „Code ..."
Eine Hand schnellte hervor und schlug ihr das Funkgerät aus der Hand. Aus dem Augenwinkel sah sie es durch die Luft segeln. Sie hetzte zur Tür, doch augenblicklich war der Mann über ihr. Seine Hände hatten ihre Oberarme gepackt, noch bevor das Walkie-Talkie auf dem Boden landete.
„Sei mucksmäuschenstill, wenn du überleben willst", befahl er, wobei seine Augen bedrohlich funkelten.
Emily befreite sich aus seinem Griff und sprang zurück. „Zurücktreten, Gefangener! Jetzt!" Sie versuchte autoritär zu klingen, hörte aber das ängstliche Beben in ihrer Stimme.
„Bleib ganz ruhig und greif mich nicht an." Er ging langsam auf sie zu. „Ich möchte dir nichts tun."
Sie wusste nicht, ob es an der Pistole in seiner Hand oder an dem Ausdruck in seinen Augen lag, doch für einen kurzen schrecklichen Moment war sie starr vor Angst. Ein bewaffneter, verzweifelter Häftling, der nichts zu verlieren hatte - das war der schlimmste Albtraum eines jeden Wärters.
Sie machte einen Schritt zurück und hob die Arme, um ihn abzuwehren, obwohl sie wusste, dass es nichts nützen würde. „Bleiben Sie weg von mir."
Er kam weiter auf sie zu. „Tu einfach, was ich sage, und dir wird nichts geschehen."
Sie hörte die Worte kaum, so laut schlug ihr Herz. Sie sah auf die Waffe in seiner Hand und schätzte die Distanz zwischen ihnen ab, die Entfernung zur Tür. Sie fragte sich, ob sie es schaffen würde, das Funkgerät auf dem Fußboden zu erreichen, oder ob er ihr vorher in den Rücken schießen würde.
Einen Augenblick später besann sie sich darauf, was sie in ihrer Ausbildung gelernt hatte, und die Routine übernahm das Kommando. Mit einem Satz nach vorn trat sie ihm die Waffe aus der Hand. Die Pistole fiel zu Boden. Bevor er sie aufheben konnte, versuchte sie einen Handflächenschlag in sein Gesicht, den er jedoch abwehrte. Mit einer raschen Drehung ließ das linke Bein vorschnellen und landete einen Treffer in seinem Magen. Stöhnend stolperte er nach hinten. Rasch griff sie nach dem Pfefferspray an ihrem Gürtel. Sie riss die Dose hoch, während sie sich gleichzeitig nach dem Funkgerät bückte. Sie musste an das Walkie-Talkie kommen!
Er bewegte sich mit der Geschwindigkeit einer großen hungrigen Raubkatze, die ihre Beute erlegte. In einer einzigen geschmeidigen Bewegung streckte er sich nach der Waffe und warf sich auf Emily. Mit der freien Hand schlug er ihr das Pfefferspray aus der Hand. Im nächsten Moment hielt er sie an den Schultern gepackt, wobei sich seine Finger in ihr Fleisch bohrten, und schob sie zurück in den Untersuchungsraum.
„Für eine Wärterin nimmst du Anweisungen nicht besonders ernst", stieß er aus.
„Nehmen Sie Ihre Hände weg!"
„Beruhige dich und hör zu."
Ein Schrei löste sich aus ihrer Kehle, als ihr Rücken die Wand berührte. Sie war festgenagelt. Sie versuchte, ihr Knie einzusetzen, wollte ihn so zu Fall bringen. Doch er verlagerte sein Gewicht geschickt zur Seite und wich aus. Sie wand sich, aber sein Körper war so hart und unnachgiebig wie eine Ziegelmauer. „Versuch das nicht noch mal, wenn du nicht so enden willst wie der Mann auf der Liege", warnte er sie.
Seine Stimme war leise und gefährlich. Sie hörte den Hauch eines Akzents. Vielleicht Irisch. Allerdings hatte sie viel zu viel Angst, um länger darüber nachzudenken. Sein Gesicht war nur Zentimeter von ihrem entfernt. Er stand so nah, dass sie seinen warmen Atem an ihrer Wange spürte. Sie starrte in seine Augen, die die Farbe von dunkel gerösteten Kaffeebohnen hatten. Tödliche Entschlossenheit und Verzweiflung spiegelten sich darin wider. Sie begriff, dass er nicht der Typ für leere Drohungen war.
„Sie können nicht ernsthaft glauben, dass Sie mit dieser Sache durchkommen", presste sie keuchend hervor.
„Doch, das ist genau das, was ich denke." Jeder Nerv in ihrem Körper war angespannt, als er sein Gewicht verlagerte und mit der Waffe auf sie zielte. „Nimm die Hände hoch."
Emily hob die Hände bis auf Schulterhöhe. „Ich bin nicht bewaffnet."
„Es ist nichts Persönliches, aber das überprüfe ich lieber selbst." Ohne den Blick von ihren Augen abzuwenden, fuhr er mit den Händen rasch und routiniert über ihren Körper. Sowie er die zweite Dose Pfefferspray an ihrem Knöchel ertastete, hielt er inne. Verdammt.
„Ich schätze, das hast du vergessen."
„Ich bin gerne vorbereitet für den Fall, dass ich von irgendeinem miesen Häftling angegriffen werde."
Als er die Dose in den Papierkorb warf, entdeckte sie eine blutende Verletzung auf der Innenseite seines Arms. Nicht von einer Abschürfung, wie er sie bei einem Handgemenge erlitten hätte, sondern von einem sauberen Schnitt. Die Art von Schnitt, die ein Arzt bei einem chirurgischen Eingriff vornehmen würde. Sie fragte sich, ob er Dr. Lionel bei irgendeiner kleineren Operation überwältigt hatte.
„Wo ist Dr. Lionel?", fragte sie.
„Wir haben keine Zeit für Fragen." Er deutete mit der Pistole in Richtung Tür. „Du kommst mit mir. Los."
„Wohin bringen Sie mich?"
Er trug nur eine Gefängnishose mit Kordel. Kein Hemd. Keine Schuhe. Seine Statur war die eines Langstreckenläufers, mit langen Gliedmaßen und einem Bauch, der wie aus Stein gemeißelt schien. Seine Brust war muskulös und mit gekräuseltem schwarzen Haar bedeckt. Auf anziehende Art und Weise vereinte sein Körper Kraft und Anmut.
Sie wandte den Blick ab und sah verstohlen zu dem Funksprechgerät, das ein, zwei Meter entfernt auf dem Boden lag. Wenn sie es erreichte, brauchte sie nur den Alarmknopf zu drücken, um die Zentrale zu benachrichtigen, dass sie in Schwierigkeiten steckte ...
© 2005 by Linda Castillo
... weniger
Autoren-Porträt von Linda Castillo
New York Times-Bestseller-Autorin Linda Castillo lebt mit ihrem Mann in Texas.
Bibliographische Angaben
- Autor: Linda Castillo
- 2012, 1. Aufl., 299 Seiten, Maße: 12,5 x 18,6 cm, Taschenbuch, Deutsch
- Übersetzer: Judith Heisig
- Verlag: MIRA Taschenbuch
- ISBN-10: 3862784592
- ISBN-13: 9783862784592
- Erscheinungsdatum: 01.10.2012
Rezension zu „Castillo, L: Stärker als dein Tod “
"Gefährlich sexy - ein Muss für Romantic-Thriller-Fans!"RT Bookclub
Kommentare zu "Castillo, L: Stärker als dein Tod"
0 Gebrauchte Artikel zu „Castillo, L: Stärker als dein Tod“
Zustand | Preis | Porto | Zahlung | Verkäufer | Rating |
---|
2.5 von 5 Sternen
5 Sterne 0Schreiben Sie einen Kommentar zu "Castillo, L: Stärker als dein Tod".
Kommentar verfassen